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OLG München, Hinweisbeschluss v. 13.12.2022 – 19 U 2605/22
Titel:

Kein Schadensersatz wegen angeblicher Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung

Normenkette:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
Leitsätze:
1. Es existiert zwar ein sich aus der allgemeinen Lebenserfahrung ergebender Erfahrungssatz, wonach auszuschließen ist, dass ein Käufer ein Kraftfahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht. Ein kausaler Schaden des Käufers in der Form eines ungewollten Vertrages ist jedoch nicht ersichtlich, wenn ausweislich amtlicher Auskünfte des Kraftfahrtbundesamtes die Gefahr eines Rückrufs und mithin der Stilllegung des konkreten Fahrzeugs nicht besteht. (Rn. 11 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird jemand durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrags gebracht, den er sonst nicht geschlossen hätte, kann er auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist. Die Bejahung eines Vermögensschadens unter diesem Aspekt setzt allerdings voraus, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern dass auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abschalteinrichtung, Vermögensschaden, kausaler Schaden, Rückruf, Kraftfahrtbundesamt
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Endurteil vom 11.04.2022 – 61 O 2777/21 Die
Fundstelle:
BeckRS 2022, 38441

Tenor

I. Der Senat weist gemäß § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Ingolstadt vom 11.04.2022, Az. 61 O 2777/21 Die, nach § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen.
Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.

Entscheidungsgründe

I.
1
Der Kläger macht gegen die Beklagte deliktische Schadenersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sog. Diesel- bzw. Abgasskandal geltend.
2
Er begehrt die Rückabwicklung des Kaufes eines gebraucht erworbenen Pkw, Marke VW, Typ Touareg 3.0l TDI 180 kW, ausgestattet mit einem Motor des Typs EA89... (Euro 5), vom 13.01.2018 (s. Anlagenkonvolut Klageseite) bei der A. GmbH, ..., zu einem Bruttokaufpreis von 28.570 €.
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Das Landgericht wies die Klage ab, da es ebenso an hinreichenden greifbaren Anhaltspunkten für eine sittenwidrige Schädigung des Klägers durch die Beklagte nach § 826 BGB fehle. Andere deliktische Anspruchsgrundlagen seien nicht anwendbar. Wegen der Einzelheiten wird gemäß § 522 Abs. 2 S. 4 ZPO auf das angegriffene Urteil des Landgerichts Bezug genommen.
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Dagegen richtet sich die mit Schriftsatz vom 29.04.2022 (Bl. 1 f. d.A. Bd. II) eingelegte und mit Schriftsatz vom 07.06.2022 (Bl. 7 ff. d.A. Bd. II) begründete Berufung des Klägers. Zum Vorliegen eines deliktischen Schadenersatzanspruches gegen die Beklagte habe er hinreichend schlüssig vorgetragen. Auch habe er einen kausalen Schaden.
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Der Kläger beantragt, das Urteil des Landgerichts abzuändern und zu erkennen wie folgt:
„1. Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs der Marke V. mit der Fahrgestellnummer ... an den Kläger dem Kaufpreis in Höhe von 28.570 € abzüglich eines Nutzungsentschädigungsbetrages in Höhe von 7.266,55 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 21.303,45 € seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs gemäß vorstehender Ziffer 1. in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in höhe von 1.295,43 € zu erstatten.“
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Zu den Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die Berufungsbegründung vom 07.06.2022 (Bl. 7 ff. d.A. Bd. II), die Berufungserwiderung vom 04.10.2022 (Bl. 55 ff. d.A. Bd. II) sowie die weiteren Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
II.
8
Der Senat ist einstimmig der Auffassung, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
9
Die angefochtene Entscheidung des Erstgerichts ist richtig. Das landgerichtliche Urteil beruht nicht auf einer Rechtsverletzung (§§ 513 Abs. 1,546 ZPO). Vielmehr rechtfertigen die Tatsachen, die der Senat im Rahmen des durch § 529 ZPO festgelegten Prüfungsumfangs der Beurteilung des Streitstoffes zugrunde zu legen hat, keine andere Entscheidung. Die Ausführungen der Klagepartei in der Berufungsinstanz vermögen dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg zu verhelfen, da sie das Urteil des Landgerichts, auf das Bezug genommen wird, nicht erschüttern.
10
Ergänzend ist noch Folgendes auszuführen:
11
Unabhängig davon, auf welche Anspruchsgrundlage das klägerische Schadenersatzbegehren gestützt wird, ist nach Ansicht des Senats bereits kein kausaler Schaden des Klägers gemäß §§ 249 ff. BGB in der Form eines ungewollten Vertrages ersichtlich.
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Dies gilt selbst bei unterstellter Einschlägigkeit von § 823 Abs. 2 BGB. Damit kommt es für den hiesigen Rechtsstreit auch nicht auf den Ausgang des Vorabentscheidungsersuchens vor dem EuGH, Az. C-100/21, an, weshalb dieser vorliegend nicht abzuwarten oder das Verfahren mit Blick darauf auszusetzen ist.
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1. Der Kläger macht diesbezüglich geltend, dass er den Kaufvertrag über den streitgegenständlichen Pkw nicht abgeschlossen hätte, falls er zu diesem Zeitpunkt Kenntnis davon gehabt hätte, dass in dessen Motor durch die Beklagte eine unzulässige emissionsbezogene Abschalteinrichtung eingebaut gewesen sei. Da die Beklagte dies dem zuständigen Kraftfahrtbundesamt (KBA) gegenüber nicht offengelegt habe, drohe permanent der Rückruf und die Stilllegung des Fahrzeugs. Daher müsse er - unter Berücksichtigung einer Nutzungsentschädigung - von der Beklagten so gestellt werden, als sei er den streitgegenständlichen Gebrauchtwagenkauf nie eingegangen.
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2. Nach der Rechtsprechung (z.B. BGH, Urteil v. 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, Rz. 49, 51) existiert ein sich aus der allgemeinen Lebenserfahrung ergebender Erfahrungssatz, wonach auszuschließen ist, dass ein Käufer ein Kraftfahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht. Namentlich bei einem zur eigenen Nutzung erworbenen Kraftfahrzeug ist dessen Gebrauchsfähigkeit und ständige Verfügbarkeit für den Eigentümer von so großer Bedeutung, dass selbst die vorübergehende Entziehung eines Kraftfahrzeugs einen Vermögensschaden darstellt. Der Verlust der Nutzungsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs wirkt sich typischerweise als solcher auf die materiale Grundlage der Lebenshaltung signifikant aus. Das rechtfertigt die Annahme, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwirbt, bei der bestehenden Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte.
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3. Nach den von Beklagtenseite vorgelegten, amtlichen Auskünften des KBA vom 06.07.2022 (Anlage BE 1), vom 31.05.2022 (Anlage BE 2) und vom 15.03.2022 (Anlage BE 3) besteht die Gefahr eines Rückrufs und mithin der Stilllegung des Fahrzeugs des Klägers indes nicht.
16
Hinsichtlich des verfahrensgegenständlichen Fahrzeug- und Motortyps erläutert das KBA darin, dass dieser nach seinen Untersuchungen keine unzulässige Abschalteinrichtung oder Konformitätsabweichung hinsichtlich des Emissionsverhaltens aufweise. Daher bestehe kein behördlich angeordneter Rückruf und es drohe keine amtliche Betriebsuntersagung; auch seien deswegen keine Nebenstimmungen zu diesem Fahrzeug angeordnet worden.
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Gemäß der veröffentlichten Stellungnahme des KBA zum EuGH-Urteil vom 14.07.2022 (www.....html, Stand: 13.12.2022]) habe das KBA dabei als Maßstab eine sehr enge Auslegung bei der Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen angesetzt und entsprechend der Vorgaben des Art. 5 Abs. 2 zu Abschalteinrichtungen in der europäischen Verordnung (EG) Nr. 715/2007 agiert. Bereits in der Vergangenheit habe es die nunmehr in den Urteilen des EuGH vom 14.07.2022 (u.a. in der Rechtssache Az. C-145/20) vertretene Auffassung zur Unzulässigkeit von temperaturabhängigen Abschalteinrichtungen für Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius angewandt und sei je nach verfügbarer Technologie darüber hinausgegangen. Die Genehmigungspraxis des KBA gewährleiste damit bereits die Maßstäbe des EuGH, dass die volle Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems überwiegend gewährleistet sein müsse.
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4. Somit fehlt es an der hinreichenden Darlegung eines Vermögensschadens des Klägers.
19
Wird jemand durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrags gebracht, den er sonst nicht geschlossen hätte, kann er auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist. Die Bejahung eines Vermögensschadens unter diesem Aspekt setzt allerdings voraus, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern dass auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht (z.B. BGH, Urteil v. 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, Rz. 46 m.w.N.).
20
Es ist aus objektiver Sicht des Rechtsverkehrs jedoch nicht erkennbar, dass und gegebenenfalls warum das KBA trotz der genannten amtlichen Auskünfte und Untersuchungen von Aggregaten des Typs EA89... nunmehr doch zum gegenteiligen Ergebnis kommen sollte, dass in den Fahrzeug- oder Motortyp des Klägers eine illegale Abschalteinrichtung eingebaut sein sollte und deswegen einen amtlichen Rückruf und eine Betriebsuntersagung anordnen könnte. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand ist dies nicht mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit zu erwarten.
III.
21
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO). Auch erfordern weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats als Berufungsgericht oder die Zulassung der Revision (§§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO).
22
Wie dargestellt, liegen den vorstehenden Ausführungen die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Leitlinien zugrunde.
23
Dazu ist keine mündliche Verhandlung geboten (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO), da keine besonderen Gründe vorgetragen oder sonst ersichtlich sind, bei denen nur die Durchführung einer mündlichen Verhandlung der prozessualen Fairness entspräche.
IV.
24
Bei dieser Sachlage wird schon aus Kostengründen empfohlen, die Berufung zurückzunehmen, was eine Ermäßigung der Gebühren für das „Verfahren im Allgemeinen“ von 4,0 (Nr. 1220 GKG-KV) auf 2,0 (Nr. 1222 GKG-KV) mit sich brächte.
25
Zu diesen Hinweisen besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses. Der Senat soll nach der gesetzlichen Regelung die Berufung unverzüglich durch Beschluss zurückweisen, falls sich Änderungen nicht ergeben. Mit einer einmaligen Verlängerung dieser Frist um maximal drei weitere Wochen ist daher nur bei Glaubhaftmachung konkreter, triftiger Gründe zu rechnen (vgl. OLG Rostock, Beschluss v. 27.05.2003, Az. 6 U 43/03, juris Rz. 7 ff.). Eine Fristverlängerung um insgesamt mehr als einen Monat ist daneben entsprechend § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO nur mit Zustimmung des Gegners möglich.