Titel:
Begründung einer Beitragsanpassung in der Krankenversicherung
Normenketten:
VVG § 203 Abs. 2 S. 1, Abs. 5
VAG § 155 Abs. 3 S. 2
BGB § 306 Abs. 1, § 307
MB/KK 2009 § 8b
Leitsätze:
1. Die nach § 203 Abs. 5 VVG erforderliche Begründung der Beitragserhöhung muss eine Angabe der Rechnungsgrundlage enthalten, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 S. 1 VVG veranlasst hat. Anzugeben ist auch, dass die Veränderung den maßgeblichen Schwellenwert überschritten hat, nicht hingegen ist erforderlich eine Mitteilung, in welcher Höhe sich diese Berechnungsgrundlage verändert hat. Auch die Angabe der Veränderung weiterer Faktoren, die die Prämienhöhe beeinflusst haben (zB des Rechnungszinses), ist nicht erforderlich. Zweck der Begründung ist es insbesondere nicht, dem Versicherungsnehmer eine Plausibilitätskontrolle der Beitragsanpassung zu ermöglichen (Anschluss an BGH BeckRS 2020, 37391; BeckRS 2021, 21198). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es bleibt offen, ob die Bestimmung in § 8b MB/KK, die ein Absehen von der Prämienanpassung im Falle einer nur vorübergehenden Abweichung erlaubt, unwirksam ist. Selbst im Falle einer Unwirksamkeit von § 8b Abs. 2 MB/KK ließe dies die Wirksamkeit von § 8b Abs. 1 MB/KK gem. § 306 Abs. 1 BGB unberührt (Anschluss an OLG Nürnberg BeckRS 2022, 46511; s. auch BGH BeckRS 2022, 18282). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein "Altersgruppensprung“" (hier: Wechsel von Kinder- auf Jugendlichen-Beiträge nach Vollendung des 15. Lebensjahres, stellt keine gesondert zu begründende Beitragsanpassung iSv § 203 Abs. 2 VVG dar. Die diesbezügliche Bestimmung in den AVB des Krankenversicherers genügt den Anforderungen des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. (Rn. 40 – 45) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Krankenversicherung, Beitragsanpassung, Prämienanpassung, blue-pencil-Test, Altersgruppensprung
Rechtsmittelinstanz:
OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 21.11.2022 – 8 U 1621/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 38257
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 30.288,36 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klagepartei nimmt die Beklagte auf Feststellung der Unwirksamkeit von Beitragserhöhungen zur privaten Krankenversicherung, Rückzahlung bezahlter Beiträge, Feststellung der Pflicht der Beklagten zur verzinslichen Auszahlung von gezogenen Nutzungen sowie Auskunft über die Höhe der sogenannten auslösenden Faktoren für die Neukalkulation von Prämien in Anspruch.
2
Die Klagepartei ist seit 01.10.1995 bei der Beklagten (diese firmierte zunächst als …) privat krankenversichert. Mitversichert ist …. Vereinbart ist die Geltung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) nebst Tarifbedingungen, die der Kammer aus zahlreichen Verfahren bekannt sind (vgl. auszugsweise auch Anlagen B9-B11). Die AVB enthalten eine Regelung, wonach bereits bei einer Abweichung von mehr als 5 % alle Beiträge der Beobachtungseinheit überprüft und – soweit erforderlich – mit Zustimmung des Treuhänders angepasst werden können.
3
Die Klagepartei ist der Ansicht, die von der Beklagten gemäß § 203 VVG ausgesprochene Beitragsanpassungen seien unwirksam. Insbesondere fehle es am Zugang einer ordnungsgemäßen Begründung nach § 203 Abs. 5 VVG. Betroffen sollen hiervon die folgenden Anpassungen sein:
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im Tarif CV3H250 die Erhöhung zum 01.01.2012
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-
im Tarif CV3H250 die Erhöhung zum 01.01.2013
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im Tarif CV3H250 die Erhöhung zum 01.01.2014
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im Tarif CV3H250 die Erhöhung zum 01.01.2015
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im Tarif CV3H250 die Erhöhung zum 01.01.2019
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im Tarif EBE die Erhöhung zum 01.01.2018
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im Tarif EBE63 die Erhöhung zum 01.01.2018
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im Tarif KTNA42 die Erhöhung zum 01.01.2012
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im Tarif KTNA42 die Erhöhung zum 01.01.2014
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im Tarif CV3H500 die Erhöhung zum 01.12.2018
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Die Klagepartei könne daher die Rückzahlung der zu viel geleisteten Beiträge verlangen. Zudem schulde die Beklagte die Herausgabe der aus den zu viel bezahlten Beiträgen gezogenen Nutzungen. Zudem habe die Klagepartei Anspruch auf Auskunft über die jeweilige Höhe der auslösenden Faktoren für die Neukalkulation der Prämien.
5
Die Klagepartei beantragte zunächst:
1) Es wird festgestellt, dass folgende Neufestsetzungen der Prämien in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer … unwirksam sind:
aa) die Erhöhung des Beitrags im Tarif KTNA42 zum 01.01.2012 in Höhe von 3,50 €
bb) die Erhöhung des Beitrags im Tarif CV3H250 zum 01.01.2012 in Höhe von 68,55 €
cc) die Erhöhung des Beitrags im Tarif CV3H250 zum 01.01.2013 in Höhe von 26,67 €
dd) die Erhöhung des Beitrags im Tarif KTNA42 zum 01.01.2014 in Höhe von 2,90 €
ee) die Erhöhung des Beitrags im Tarif KTNA42 zum 01.01.2014 in Höhe von 2,90 €
ff) die Erhöhung des Beitrags im Tarif CV3H250 zum 01.01.2013’4 in Höhe von 35,75 €
gg) die Erhöhung des Beitrags im Tarif CV3H250 zum 01.01.2015 in Höhe von 25,84 €
hh) die Erhöhung des Beitrags im Tarif EBE zum 01.01.2018 in Höhe von 17,61 €
ii) die Erhöhung des Beitrags im Tarif EBE63 zum 01.01.2018 in Höhe von 2,31 €
jj) die Erhöhung des Beitrags im Tarif CV3H250 zum 01.01.2019 in Höhe von 86,97 €
aa) die Erhöhung des Beitrags im Tarif CV3H500 zum 01.12.2018 in Höhe von 3,50 €
und die Klägerseite nicht zur Zahlung des jeweiligen Differenzbetrages verpflichtet, sowie der Gesamtbetrag unter Berücksichtigung der erfolgten Abwenkungen auf insgesamt 666,76 € zu reduzieren ist.
2) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite 18.930,72 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
3) Die Beklagte wird verurteilt,
- a)
-
der Klägerseite die Nutzungen in Höhe von (sic) herauszugeben, die die Beklagte bis zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerseite auf die unter 1) aufgeführten Beitragsanpassungen gezahlt hat,
- b)
-
die Zinsen aus den herauszugebenden Nutzungen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit an die Klägerseite zu zahlen.
4) Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerseite Auskunft über die jeweilige Höhe der auslösenden Faktoren für die Neukalkulation der Prämien in sämtlichen ehemaligen und derzeitigen Tarifen des Versicherungsvertrages mit der Versicherungsnummer … für die letzten zehn Jahre zu erteilen.
5) Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerseite hinsichtlich der außergerichtlichen anwaltlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.728,48 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit freizustellen.
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Mit Schriftsatz vom 21.09.2021 wurden die ursprünglichen Klageanträge Ziff. 1 und Ziff. 4 teilweise für erledigt erklärt und zurückgenommen.
7
Die Klagepartei beantragte zuletzt:
1) Es wird festgestellt, dass folgende Neufestsetzungen der Prämien in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer … unwirksam sind:
aa) die Erhöhung des Beitrags im Tarif CV3H250 zum 01.01.2013 in Höhe von 26,67 €
bb) die Erhöhung des Beitrags im Tarif EBE zum 01.01.2018 in Höhe von 17,61 €
cc) die Erhöhung des Beitrags im Tarif EBE63 zum 01.01.2018 in Höhe von 2,31 €
dd) die Erhöhung des Beitrags im Tarif CV3H250 zum 01.01.2019 in Höhe von 86,97 €
aa) die Erhöhung des Beitrags im Tarif CV3H500 zum 01.12.2018 in Höhe von 3,50 €
und der Gesamtbeitrag unter Berücksichtigung des erfolgten Absenkungen auf insgesamt 796,90 € zu reduzieren ist.
2) Es wird festgestellt, dass folgende Neufestsetzungen der Prämien in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer … unwirksam sind:
aa) die Erhöhung des Beitrags im Tarif KTNA42 zum 01.01.2012 in Höhe von 3,59 €
bb) die Erhöhung des Beitrags im Tarif CV3H250 zum 01.01.2012 in Höhe von 68,55 €
cc) die Erhöhung des Beitrags im Tarif KTNA42 zum 01.01.2014 in Höhe von 2,90 €
dd) die Erhöhung des Beitrags im Tarif CV3H250 zum 01.01.2014 in Höhe von 35,75 €
ee) die Erhöhung des Beitrags im Tarif CV3H250 zum 01.01.2015 in Höhe von 25,84 €
und die Klägerseite nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet war.
3) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite 17.546,88 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
4) Die Beklagte wird verurteilt,
a) der Klägerseite die Nutzungen in Höhe von 1.345,33 €herauszugeben, die die Beklagte bis zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerseite auf die unter 1) und 2) aufgeführten Beitragsanpassungen gezahlt hat,
b) die Zinsen aus den herauszugebenden Nutzungen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit an die Klägerseite zu zahlen.
5) Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerseite Auskunft über die jeweilige Höhe der auslösenden Faktoren für die Neukalkulation der Prämien in sämtlichen ehemaligen und derzeitigen Tarifen des Versicherungsvertrages mit der Versicherungsnummer … für die letzten zehn Jahre zu erteilen.
6) Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerseite hinsichtlich der außergerichtlichen anwaltlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.728,48 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit freizustellen.
8
Die Beklagte schloss sich den Teil-Erledigterklärungen nicht an und beantragte:
9
Die Beklagte behauptet im Wesentlichen, dass die Erhöhungen erforderlich gewesen seien, um die dauerhafte Erfüllbarkeit der Versicherungsverträge sicherzustellen. Über die Beitragsanpassungen sei die Klägerseite zutreffend informiert worden. Die Beklagte hat zudem die Einrede der Verjährung erhoben.
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Das Gericht hat keinen Beweis erhoben. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstand wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 23.03.2022 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
11
Die zulässige Klage ist unbegründet.
12
Der Klagepartei stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Feststellung, Zahlung und Auskunft nicht zu.
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1. Soweit die Klagepartei Ansprüche wegen erhöhter Beiträge geltend macht, die sie vor dem 01.01.2018 gezahlt haben will, sind diese wegen Verjährung jedenfalls nicht mehr durchsetzbar. Insofern besteht auch kein Feststellungsinteresse hinsichtlich der vorangegangenen Beitragserhöhungen. Ansprüche wegen bis einschließlich Dezember 2017 erfolgter Beitragszahlungen sind – bei Erhebung der Klage im Jahr 2021 – verjährt (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 2021 – IV ZR 113/20 – r+s 2022, 30; OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 11. Januar 2022 – 8 U 2909/21 – n.v.).
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Im Streitfall betrifft dies sämtliche Ansprüche, die die Klagepartei für betreffende Prämienerhöhungen in den Tarifen CV3H250 und KTNA42 im Zeitraum 01.01.2012 bis 31.12.2017 geltend macht.
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2. Ansprüche wegen infolge der Beitragserhöhung im Tarif KTNA42 zum 01.01.2014 geleisteter Beitragszahlungen bestehen nicht, da diese Beitragserhöhung nicht zu beanstanden und damit rechtswirksam ist.
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a. Die nach § 203 Abs. 5 VVG erforderliche Begründung der Beitragserhöhung muss eine Angabe der Rechnungsgrundlage enthalten, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG veranlasst hat. Anzugeben ist auch, dass die Veränderung den maßgeblichen Schwellenwert überschritten hat, nicht hingegen ist erforderlich eine Mitteilung, in welcher Höhe sich diese Berechnungsgrundlage verändert hat. Auch die Angabe der Veränderung weiterer Faktoren, die die Prämienhöhe beeinflusst haben (wie zum Beispiel des Rechnungszinses), ist nicht erforderlich. Zweck der Begründung ist es insbesondere nicht, dem Versicherungsnehmer eine Plausibilitätskontrolle der Beitragsanpassung zu ermöglichen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Dezember 2020 – IV ZR 294/19 – BGHZ 228, 56; BGH, Urteil vom 21. Juli 2021 – IV ZR 191/20,- juris).
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b. Diesen Anforderungen wird das insofern maßgebliche Schreiben der Beklagten aus November 2013 im Zusammenhang mit dem Beiblatt „Informationen zu Ihrem Vertrag“ gerecht.
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Das Schreiben nennt als Gründe der Prämienanpassung einerseits, dass die sich die medizinische Versorgung stetig verbessere und daher die Kosten im Gesundheitswesen steigen würden. Andererseits sorge eine höhere Lebenserwartung (demografische Entwicklung) zu steigenden Kosten für die Krankenversicherer. Die jährliche Überprüfung habe ergeben, dass die Beiträge in einigen Tarifen anpasst werden müssten. Zwar wird weder im Schreiben noch im Beiblatt ein konkreter Schwellenwert angegeben. Allerdings wird dem Versicherungsnehmer deutlich gemacht, dass nur bei einer deutlichen Steigerung die Beträge angepasst werden müssen („Stellen wird dabei in einem Tarif eine deutliche Abweichung fest (…)).
19
Dieser Begründung konnte auch ein Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse klar und verständlich entnehmen, dass letztlich die nicht nur vorübergehende Erhöhung von Versicherungsleistungen die Beitragsanpassung ausgelöst habe.
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c. Die Beitragserhöhung zum 01.01.2014 ist auch in materieller Hinsicht nicht zu beanstanden.
21
Insbesondere steht der materiellen Wirksamkeit nicht der – insoweit von der Klagepartei allein vorgebrachte – Einwand entgegen, die Beklagte sei zu einer Beitragsanpassung nicht berechtigt gewesen, sofern die maßgeblichen Berechnungsgrundlagen nur in einem Umfang zwischen 5 % und 10 % von den maßgeblichen Vergleichswerten abwichen.
22
Nach § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG setzt eine Beitragsanpassung voraus, dass die tatsächlich erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen um mehr als 10 % abweichen, sofern nicht in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen ein geringerer Prozentsatz vorgesehen ist.
23
In den für den Streitfall maßgeblichen Allgemeinen Versicherungsbedingungen ist in § 11 AVB i.V. mit den einschlägigen Tarifbestimmungen unstreitig vereinbart, dass die Beklagte auch dann Beitragsneufestsetzungen vornehmen wird, wenn hinsichtlich der Berechnungsgrundlage „Versicherungsleistungen“ eine Abweichung von mehr als 5 % eingetreten ist. Diese Bestimmung ist wirksam.
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Die Bestimmung entspricht ausdrücklich der Öffnungsklausel in § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG und benachteiligt den Versicherungsnehmer dabei nicht im Sinne des §§ 307 Abs. 1, Abs. 2 BGB unangemessen (vgl. OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 11.01.2022, Az.: 8 U 2909/21, n.v. Seite 5).
25
Eine Unwirksamkeit ergibt sich auch nicht daraus, dass die Bestimmung des § 8b Nr. 2 MB/KK, die ein Absehen von der Prämienanpassung im Falle einer nur vorübergehenden Abweichung erlaubt, möglicherweise unwirksam ist. Selbst im Falle einer Unwirksamkeit von § 8b Nr. 2 MB/KK ließe dies die Wirksamkeit von § 8b Nr. 1 MB/KK gemäß § 306 Abs. 1 BGB unberührt, weil sich die Bestimmungen im Sinne eines „blue-pencil-tests“ inhaltlich ohne weiteres voneinander trennen lassen (vgl. OLG Nürnberg, a.a.O., S. 5).
26
d. Unabhängig von der ohnehin teilweise eingetretenen Verjährung (s.o. unter Ziff. 1) kann die Klagepartei damit keine Ansprüche geltend machen, soweit sie sich hierzu auf die Erhöhung zum 01.01.2014 beruft.
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3. Ansprüche wegen infolge der Beitragserhöhung im Tarif CV3H250 zum 01.01.2015 geleisteter Beitragszahlungen bestehen nicht, da diese Beitragserhöhung nicht zu beanstanden und damit rechtswirksam ist.
28
a. Wegen der Anforderung, die von der Rechtsprechung an ein Prämienerhöhungsschreiben gestellt werden, wird auf die oben unter Ziff. 2a getätigten Ausführungen verwiesen.
29
b. Auch das insofern maßgebliche Schreiben der Beklagten nebst Nachtrag zum Versicherungsschein wird diesen Anforderungen gerecht.
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Im Beiblatt werden die maßgebenden Gründe für die Erhöhung explizit unter der Überschrift „Warum steigen die Ausgaben?“ genannt. Insofern gleicht das Schreiben dem der Erhöhung zum 01.04.2014. Bezüglich der formellen Anforderungen wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
31
c. Hinsichtlich der Wirksamkeit unter materiellen Gesichtspunkten gilt das oben (unter 2d) ausgeführte.
32
d. Unabhängig von der ohnehin teilweise eingetretenen Verjährung (s.o. unter Ziff. 1) kann die Klagepartei damit keine Ansprüche geltend machen, soweit sie sich hierzu auf die Erhöhung zum 01.01.2015 beruft.
33
4. Ansprüche wegen infolge der Beitragserhöhung im Tarif EBE und EBE63 zum 01.01.2018 geleisteter Beitragszahlungen bestehen nicht, da diese Beitragserhöhung nicht zu beanstanden und damit rechtswirksam ist.
34
a. Wegen der Anforderung, die von der Rechtsprechung an ein Prämienerhöhungsschreiben gestellt werden, wird auf die oben unter Ziff. 2a getätigten Ausführungen verwiesen.
35
b. Auch das insofern maßgebliche Schreiben der Beklagten nebst Nachtrag zum Versicherungsschein wird diesen Anforderungen gerecht.
36
Im Beiblatt werden die maßgebenden Gründe für die Erhöhung explizit unter der Überschrift „Gründe für steigende Kosten“ genannt. Durch die stetige Verbesserung der medizinischen Versorgung und die demografische Entwicklung würde steigenden Kosten kommen. Zudem wird auf die lang andauernde Niedrigzinsphase abgestellt. Die jährliche Überprüfung habe ergeben, dass die Beiträge in einigen Tarifen anpasst werden müssten. Zwar wird weder im Schreiben noch im Beiblatt ein konkreter Schwellenwert angegeben. Allerdings wird dem Versicherungsnehmer deutlich gemacht, dass nur bei einer deutlichen Steigerung die Beträge angepasst werden müssen.
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Diese Begründung war dabei auch für einen Empfänger ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse klar und verständlich. Insbesondere ist damit klar zum Ausdruck gekommen, dass nicht das individuelle Verhalten des Versicherungsnehmers Anlass zur Beitragserhöhung war.
38
c. Hinsichtlich der Wirksamkeit unter materiellen Gesichtspunkten gilt das oben (unter 2d) ausgeführte.
39
d. Die Klagepartei kann damit keine Ansprüche geltend machen, soweit sie sich hierzu auf die Erhöhung zum 01.01.2018 beruft.
40
5. Bei der Erhöhung zum 01.12.2019 betreffend der mitversicherten Person … handelt es sich um keine Beitragsanpassung nach § 203 Abs. 2 VVG, sondern um eine Erhöhung infolge eines „Altersgruppensprungs“.
41
Entgegen der Ansicht der Klagepartei ist § 9 der AVB nicht wegen eines Verstoßes gegen das Transparenzgebot, § 307 Abs. 1 S. 2 BGB, unwirksam. In Krankenversicherungsverträgen sind sogenannte Beitragsanpassungsklauseln grundsätzlich zulässig. Mit Blick auf das Gebot von Treu und Glauben führt der Bundesgerichtshof hierzu aus, dass wegen der grundsätzlichen langen Dauer des Versicherungsverhältnisses ein Bedürfnis des Versicherers anzuerkennen ist, die Prämien an allgemein nicht vorhersehbaren Kostenentwicklungen und der allgemeinen Preisentwicklung anzupassen (vgl. hierzu BGH, Urteil v. 01. Juli 1992 – IV ZR 191/91).
42
Die materiellen Anforderungen des Transparenzgebotes im Sinne der Verständlichkeit und Bestimmtheit werden durch die Beitragsanpassungsklausel gewahrt.
43
Nach dem Gebot der Verständlichkeit sollen die Rechte und Pflichten des Versicherungsnehmers nach den Grundsätzen von Treu und Glauben möglichst klar und verständlich dargestellt werden, indem diesem speziell die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen einer Klausel erkennbar gemacht werden (Bach/Moser, PKV, Teil A. Einleitung Rn. 149). Abzustellen ist auf dem Standpunkt eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers (vgl. BGH, Urteil v. 16. September 2009 – IV ZR 256/08). Das Gebot der Bestimmtheit ist hingegen dann gewahrt, wenn dem Versicherungsnehmer keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume verbleiben.
44
Gemessen an diesen Grundsätzen ist ein Verstoß gegen das Transparenzgebot aus § 307 Abs. 1 S. 2 BGB nicht festzustellen. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann bei Lektüre dieser Klausel die Abhängigkeit der Höhe der Versicherungsprämie vom erreichten Alter eindeutig erkennen. Durch die exakte Bestimmung des Zeitpunktes des Erreichens einer bestimmten Altersgrenze – und mithin eines objektiven Kriteriums – verbleiben beim Versicherungsnehmer hinsichtlich der Voraussetzungen keinerlei Beurteilungsspielräume mehr. Dass auch die genaue Erhöhung bei Erreichung der nächsten Altersstufe benannt wird, ist indes nicht zu fordern. Vom Verwender kann nicht abverlangt werden, mit der Klausel umfassend sämtliche Konsequenzen, mithin alle denkbaren Fälle, zu regeln (vgl. BGH, Urteil v. 09. Juni 2011 – III ZR 157/10). Die Grenze ist vielmehr dort zu ziehen, wo die Regelung für den Versicherungsnehmer wieder unverständlich wird oder aber dazu führt, dass Bedenken hinsichtlich der zumutbaren Kenntnisnahme begründet sein können. Das Transparenzgebot darf nach alledem nicht überspannt werden. Konkret ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der privaten Krankenversicherung um ein Massengeschäft handelt, welches nicht mit jedem einzelnen Versicherungsnehmer individuell vereinbart wird (vgl. hierzu BGH, Urteil v. 01. Juli 1992 – IV ZR 191/91) und zum anderen ist danach zu fragen, ob im Gegensatz hierzu das Informationsinteresse des Versicherungsnehmers maßgebend beeinträchtigt wird. Speziell im Hinblick auf das Informationsinteresse ist anzuführen, dass diesem durch eine Überfrachtung der AVB mit versicherungstechnischen Details nicht gedient ist. Es erscheint aus diesen Gründen weder geboten noch sachgerecht, detaillierte Informationen über die Anpassungsmethoden im Rahmen der Klausel zu verlangen. Einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist es indes zuzumuten, insbesondere auf die tabellarische Auflistung der Altersstufen sowie auf die technischen Bewertungsgrundlagen verwiesen zu werden. Durch eine Aufnahme derselben in die Klausel würde das Informationsinteresse des Versicherungsnehmers nicht gedient werden, da dann die unübersichtliche graphische und systematische Gestaltung eher Verwirrung stiften würde. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass der Versicherungsnehmer erkennen kann, welche Faktoren eine Prämienerhöhung auszulösen vermögen. Dies ist – wie aufgezeigt – der Fall. Hierauf wurde die Klagepartei auch mit Schreiben vom November 2017 hingewiesen. Es wurde insbesondere darauf aufmerksam gemacht, dass die Beitragserhöhung aufgrund des Erreichens der nächsten Altersstufe – und mithin aufgrund eines vom Versicherungsnehmer nicht steuerbaren Kriteriums – erfolgt ist. Auf den nachfolgenden Seiten ist zudem erläutert, welche Tarif konkret betroffen sind und welche Rechte ihm zustehen.
45
6. Ansprüche wegen infolge der Beitragserhöhung im Tarif CV3H250 zum 01.01.2019 geleisteter Beitragszahlungen bestehen nicht, da diese Beitragserhöhung nicht zu beanstanden und damit rechtswirksam ist.
46
a. Wegen der Anforderung, die von der Rechtsprechung an ein Prämienerhöhungsschreiben gestellt werden, wird auf die oben unter Ziff. 2a getätigten Ausführungen verwiesen.
47
b. Auch das insofern maßgebliche Schreiben der Beklagten nebst Nachtrag zum Versicherungsschein wird diesen Anforderungen gerecht.
48
Im Beiblatt wird unter der Überschrift „Gründe für steigende Kosten“ wiederum auf die stetige Verbesserung der medizinischen Versorgung und der hierdurch steigenden Kosten im Gesundheitswesen hingewiesen. Neben dem Hinweis auf die demografische Entwicklung wird zudem auf die Niedrigzinsphase hingewiesen. Zwar wird weder im Schreiben noch im Beiblatt ein konkreter Schwellenwert angegeben. Allerdings wird dem Versicherungsnehmer deutlich gemacht, dass nur bei einer deutlichen Steigerung die Beträge angepasst werden müssen. Dies genügt den formellen Anforderungen.
49
c. Hinsichtlich der Wirksamkeit unter materiellen Gesichtspunkten gilt das oben (unter 2d) ausgeführte.
50
d. Die Klagepartei kann damit keine Ansprüche geltend machen, soweit sie sich hierzu auf die Erhöhung zum 01.01.2019 beruft.
51
7. Da der Klagepartei somit keinerlei Zahlungsansprüche zustehen, kann auch kein Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich der Feststellung einer Pflicht der Beklagten bestehen, aus überzahlten Beiträgen gezogene Nutzungen herauszugeben.
52
8. Schließlich ist das Auskunftsbegehren bezüglich der sog. auslösenden Faktoren (= Antrag Ziff. 4) unbegründet.
53
Es fehlt hierzu an einer Anspruchsgrundlage. Weder aus der vertraglichen Abrede noch aus dem Gesetz ergibt sich eine derartige Verpflichtung der Beklagten ihrem Versicherungsnehmer gegenüber. Dass die Mitteilung auch keiner vertraglichen Nebenpflicht der beklagten Krankenversicherung zu entnehmen ist, ergibt sich aus folgender Überlegung: § 203 Abs. 5 VVG legt dem Versicherer lediglich auf, seinem Versicherungsnehmer die „maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie“ an die Hand zu geben. Der Versicherer muss nach höchstrichterlicher Rechtsprechung gerade nicht mitteilen, in welcher Höhe sich diese Rechnungsgrundlage verändert hat. Er hat auch nicht die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie z.B. des Rechnungszinses, anzugeben (BGH, Urt. v. 16.12.2020, Az.: IV ZR 294/19 = r+s 2021, 89, Rn. 25; bestätigt in Urt. v. 14.4.2021 – IV ZR 36/20). Die Mitteilungspflicht hat also nicht den Zweck, dem Versicherungsnehmer eine Plausibilitätskontrolle der Prämienanpassung zu ermöglichen (BGH, r+s 2021, 89, Rn. 36).
54
Die Vorlage von sog. auslösenden Faktoren kann der beklagten Versicherung daher allenfalls im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast abverlangt werden, wenn der Versicherungsnehmer substantiiert vorträgt, die materiellen Voraussetzungen einer konkreten Prämienerhöhung seien nicht erfüllt. Dies ist vorliegend aber nicht der Fall. Vielmehr begehrt die Klagepartei pauschal Auskunft über die jeweilige Höhe der auslösenden Faktoren für die Neukalkulation der Prämien in sämtlichen ehemaligen und derzeitigen Tarifen des streitgegenständlichen Versicherungsvertrages für zahlreiche vergangene Jahre.
55
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1, § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt § 709 Satz 1, Satz 2 ZPO.