Inhalt

OLG München, Endurteil v. 21.12.2022 – 7 U 6463/21
Titel:

Kleiner Schadensersatz als Restschadensersatzanspruch nach § 852 S. 1 BGB in einem Diesel-Fall

Normenketten:
BGB § 195, § 199, § 214, § 826, § 852 S. 1
ZPO § 287
Leitsätze:
1. Zum Anspruch aus § 852 BGB bei verjährten "Diesel-Fällen" vgl. auch BGH BeckRS 2022, 4174; BeckRS 2022, 4153; BeckRS 2022, 4167; BeckRS 2022, 38006; BeckRS 2022, 42085; BeckRS 2022, 25008; BeckRS 2022, 42732 sowie BGH BeckRS 2022, 38891 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); BGH BeckRS 2022, 32458 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Koblenz BeckRS 2022, 25067 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Musterfeststellungsklage vor dem OLG Braunschweig hemmte die Verjährungsfrist nur für solche Käufer eines vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs, die dieser beigetreten waren. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Geltendmachung des kleinen Schadensersatzes ist auch im Rahmen des § 852 BGB möglich. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
4. Beim kleinen Schadensersatz kommt eine Vorteilsanrechnung erst in Betracht, wenn Restwert des Fahrzeugs und gezogene Nutzungen den wahren Wert des Fahrzeugs übersteigen. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 189, unzulässige Abschalteinrichtung, Verjährung, Neuwagen, Musterfeststellungsklage, Restschadensersatzanspruch, kleiner Schadensersatz, Restwert, Nutzungsentschädigung
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 04.08.2021 – 20 O 17368/20
Fundstelle:
BeckRS 2022, 38223

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts München I vom 04.08.2021, Az. 20 O 17368/20, teilweise abgeändert und wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 2.630 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 13.01.2022 zu bezahlen.
2. Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen und wird die Berufung der Klägerin
zurückgewiesen.
3. Von den Kosten erster Instanz haben die Klägerin 7/8 und die Beklagte 1/8 zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin und die Beklagte je zur Hälfte.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

A.
1
Die Parteien streiten um die Rückabwicklung eines PKW-Kaufs im sogenannten „…-Diesel-Skandal“. Auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 ZPO).
2
Die Klägerin beantragt in der Berufung:
1. Das Urteil des Landgerichts München I vom 04.08.2021, 20 O 17368/20 wird aufgehoben und wie folgt abgeändert.
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerpartei einen Betrag bezüglich des Fahrzeugs ... (Fahrzeugidentifikationsnummer: .), dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch mindestens € 5.525,21 betragen muss, zu bezahlen nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
3. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, die Klägerpartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerpartei entstandenen vor gerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 1.195,95 freizustellen.
Hilfsweise, und zwar für den Fall, dass das Gericht von der Verjährung der Schadensersatzansprüche sowie von der Unbegründetheit der bezifferten Anträge ausgehen sollte, beantragt die Klägerpartei, wie folgt zu erkennen:
Die Beklagtenpartei wird verurteilt, Auskunft an die Klägerpartei zu erteilen, welchen Kaufpreis sie durch den Verkauf des Fahrzeugs ... (Fahrzeugidentifikationsnummer: ...), an die Erstankäuferin vereinnahmt hat und welche Nutzungen sie seither aus dem vereinnahmten Kaufpreis gezogen hat.
3
Für den Fall, dass dieser Antrag Erfolg hat, beantragt die Klägerpartei zusätzlich, wie folgt zu erkennen:
1. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, die Richtigkeit der Auskunft an Eides statt zu versichern.
2. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, an die Klägerpartei Schadensersatz in einer Höhe zu bezahlen, die nach Erteilung der Auskunft noch zu bestimmen ist, nebst Zinsen aus dem fraglichen Betrag in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
4
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung.
5
Im Übrigen wird von der Fertigung eines Tatbestandes gemäß § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen und auf die Schriftsätze und die Sitzungsniederschrift vom 21.12.2022 Bezug genommen.
B.
6
Die zulässige (dazu unter I.) Berufung der Klägerin hat teilweise Erfolg und führt - im Rahmen der zulässigen Antragsumstellung in der Berufungsinstanz auf den sog. kleinen Schadensersatz - zum Zuspruch der Klage im tenorierten Umfang. Zutreffend hat das Landgericht zwar Verjährung der inmitten stehenden Ansprüche angenommen (dazu unter II.), jedoch zu Unrecht Ansprüche aus § 852 BGB verneint (dazu unter IV.). Im Vergleich zu unverjährten Ansprüchen wirkt sich die Beschränkung der Schadensersatzhöhe aufgrund von § 852 BGB vorliegend nicht tragend aus.
I.
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Die Berufung der Klägerin ist zulässig, denn mit der Berufung verfolgt die Klägerin zwar nicht den - unzulässigen (vgl. BGH, Urteil vom 05.10.2021 - VI ZR 136/20) - Antrag auf Feststellung der Schadensersatzpflicht weiter, wohl aber die bereits erstinstanzlich hilfsweise geltend gemachten Ansprüche in Bezug auf § 852 BGB. Schon deshalb erstrebt die Klägerin mit der Berufung zumindest auch eine Beseitigung der Beschwer erster Instanz und ist die Berufung zulässig.
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Die Umstellung der Feststellungsklage auf eine Zahlungsklage stellt nach der (gegenüber § 533 ZPO vorrangigen, vgl. Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 43. Aufl., § 533 Rn. 11) Bestimmung des § 264 Nr. 2, § 525 S. 1 ZPO eine stets zulässige Erweiterung des Klageantrags in der Hauptsache dar (vgl. Seiler, aaO, § 264 Rn. 4) .
II.
9
Vorliegend bestehen Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte (jedenfalls) aus § 826 BGB. Diese sind jedoch verjährt.
10
1. Das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit einer Umschaltlogik, wie im landgerichtlichen Tatbestand festgehalten, landläufig treffend als „Schummelsoftware“ bezeichnet, die nur auf dem Prüfstand eine Abgasreinigung vornimmt, stellt eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung des Käufers eines solchen Fahrzeugs dar. Auf die Ausführungen des Bundesgerichtshofs in der Leitentscheidung vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, juris-Rn. 13ff. wird vollumfänglich Bezug genommen. Sie macht sich der Senat in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht ausdrücklich zueigen.
11
Die Unkenntnis von der Schummelsoftware war für den Kauf des Fahrzeugs auch kausal. Dies hat die Klägerin in der Verhandlung im Rahmen ihrer Anhörung bestätigt. Die Klägerin war glaubwürdig; die Aussage war glaubhaft, da jedes andere Verhalten schlichtweg unvernünftig gewesen wäre. Einer förmlichen Einvernahme der Partei bedurfte es aufgrund des Verzichts der Beklagten nicht.
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2. Allein in Betracht kommende deliktische Ansprüche sind verjährt, § 214 Abs. 1 BGB. Auf Verjährung hat sich die Beklagte berufen.
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2.1. Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).
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In Fällen der vorliegenden Art genügt für den Beginn der Verjährung gemäß § 199 Abs. 1 BGB, dass der geschädigte Fahrzeugkäufer Kenntnis vom „Diesel-“ bzw. „Abgasskandal“ im Allgemeinen, von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs und von der Relevanz dieser Betroffenheit für seine Kaufentscheidung hat, wobei letztere Kenntnis nicht gesondert festgestellt werden muss, sondern naturgemäß beim Geschädigten vorhanden ist (BGH, Urteil vom 10.02.2022 - VII ZR 69221, juris-Rn. 23 mwN).
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2.2. Vorliegend hat die Klägerin schon nicht bestritten, dass sie im Februar 2016 das Kundenanschreiben der Beklagten erhalten hat. Damit hat die Klägerin positive Kenntnis vom Dieselskandal und von der persönlichen Betroffenheit spätestens ab diesem Zeitpunkt.
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Im Übrigen wäre die Unkenntnis von der persönlichen Betroffenheit Ende 2016 auch grob fahrlässig (BGH, aaO, juris-Rn. 26ff.).
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Die mediale Berichterstattung zum …-Abgasskandal zum Motortyp EA … setzte bereits - mit Wucht - im Herbst 2015 ein. Die Klägerin hat im Rahmen ihrer Anhörung freimütig eingeräumt, vom Dieselabgasskandal im Allgemeinen aus den Medien, die sie täglich konsumiere, erlangt zu haben. Über die freigeschalteten Online-Plattformen von . bestand seit Oktober 2015 ohne Weiteres die Möglichkeit, die tatsächliche Betroffenheit eines Fahrzeugs leicht in Erfahrung zu bringen. Daneben bestand die Möglichkeit, sich telefonisch, schriftlich oder per E-Mail beim Kundenservice der Beklagten zu informieren, ob in einem konkreten Pkw die Software verbaut ist. Die Informationsquellen waren öffentlich kommuniziert und leicht zugänglich. Die Klagepartei wäre - selbst wenn sie die Plattformen nicht gekannt hätte - bei einfachsten Nachforschungen ohne Weiteres auf die Internetseiten gestoßen. Sie hätte sich dadurch Gewissheit über die Betroffenheit ihres Fahrzeugs durch Inanspruchnahme öffentlich verfügbarer Informationsquellen verschaffen können. Die Klagepartei hat damit auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeiten, die weder besondere Kosten noch nennenswerte Mühe verursacht hätten, nicht ausgenutzt.
18
Angesichts der Länge des seit Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals verstrichenen Zeitraums bestand für die Klägerin jedenfalls bis Ende 2016 Anlass, diese Betroffenheit selbst zu recherchieren. Dies nicht getan zu haben, war grob fahrlässig.
19
Die Klageerhebung war einer Klagepartei jedenfalls 2016 auch zumutbar (BGH, aaO, juris-Rn. 33ff. mwN). Auf die Ausführungen in der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung wird Bezug genommen.
20
Damit lief die Verjährungsfrist Ende 2016 an und endete Ende 2019. Die Klage wurde erst 2020 eingereicht.
21
2.3. Die Musterfeststellungsklage hemmt, anders als die Klägerin meint, die Verjährung nur, wenn die Klägerin dieser beitritt. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut von § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB, der eine wirksame Anmeldung des Gläubigers zum Klageregister voraussetzt. Ein Beitritt ist jedoch unstreitig nicht erfolgt.
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2.4. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der behaupteten Täuschung über das Software-Update, woraus die Klägerin selbständige - unverjährte - Ansprüche aus § 826 BGB herleiten möchte.
23
Das Update ist schon nicht geeignet, einen eigenständigen Vermögensschaden der Klägerin zu begründen. Ohne das Update wäre es nämlich zeitnah nach Überzeugung des Senats zur Stilllegung des Fahrzeugs gekommen, das Fahrzeug mithin entwertet worden. Das Update führt somit zu einer Wertsteigerung des durch die Schummelsoftware mängelbehafteten Fahrzeugs (folgerichtig spricht der BGH im Urteil vom 06.07.2021 - VI ZR 40/20, juris-Rn. 24 von einer zum Minderwert gegenläufigen Vorteilsanrechnung).
24
Eine Stilllegung des Fahrzeugs droht nach Aufspielung des Updates nicht mehr. Insbesondere das dort enthaltene Thermofenster begründet dieses Risiko nicht; jedenfalls fehlt es hinsichtlich des Thermofensters an einem Verschulden der Beklagten, so dass das Thermofenster keinen Anknüpfungspunkt für eine Haftung der Beklagten bilden kann. Die Klägerin trägt selbst unter Vorlage der Anlage K2 vor, dass das Thermofenster dem zuständigen Kraftfahrtbundesamt (KBA) offengelegt wurde, das das Update engmaschig überwacht hat. Von einer Täuschung kann keine Rede sein. Es war - zumindest damals - die übereinstimmende Einschätzung dieser Behörde als auch sämtlicher Automobilhersteller, dass ein Thermofenster zulässig sei.
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Ohne jeden tatsächlichen Anhaltspunkt und damit ins Blaue erfolgt der Vortrag, dass die Stickoxid-Grenzwerte trotz des Updates nicht eingehalten würden. Relevant ist bei der vorliegenden Abgasklasse allein die Einhaltung auf dem Prüfstand. Nach den von der Klägerin selbst angegebenen Daten halten die genannten Fahrzeuge dort die Grenzwerte ein (Berufungsbegründung, S. 19 ff., Bl. 354 ff. d.A.). Lediglich ergänzend sei angemerkt, dass die angegebenen Werte zugleich eine signifikante Reduktion der Emissionen im Straßenverkehr zeigen. Mit der Annahme der Verjährung ist grundsätzlich die Bedingung für die hilfsweise erhobene Stufenklage eingetreten. Danach begehrt die Klägerin Auskunft über die Höhe des erlangten Kaufpreises und die gezogenen Nutzungen.
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Diese Auskunftsklage ist abzuweisen. Ein Auskunftsanspruch besteht vorliegend (unabhängig von der Frage, ob und inwieweit die Händlermarge im Rahmen des kleinen Schadensersatzes überhaupt relevant ist) nicht. Es ist Sache des Käufers eines vom Dieselabgasskandal betroffenen Fahrzeugs, zum erlangten Etwas vorzutragen. Dies ist ihm grundsätzlich auch möglich. Er kann seinen Händler zu der Händlermarge befragen. Er kann im Übrigen aus im Internet zugänglichen Quellen zu Händlermargen der Beklagten prüfen, ob die Angaben plausibel sind. Erst wenn diese Erkenntnismöglichkeiten im Einzelfall scheitern, kann erwogen werden, einem Käufer Auskunftsansprüche zuzubilligen. Hier hat die Klägerin jedoch trotz Hinweises (Verfügung vom 25.10.2022, Bl. 414 d.A.) ihren Händler zu einer Marge nicht befragt. Ein Auskunftsanspruch ist ihr daher nicht zuzubilligen.
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Dasselbe gilt im Ergebnis hinsichtlich des Auskunftsanspruchs zu gezogenen Nutzungen. Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche geltend, die im Falle des § 852 BGB durch die Bereicherung der Beklagten gedeckelt ist. Ihren Schaden kennt die Klägerin. Es ist an ihr, die Beklagte in Verzug zu setzen, um den Anspruch verzinslich zu stellen. Kenntnis etwaig gezogener Nutzungen der Beklagten ist für die Geltendmachung dieser Ansprüche nicht notwendig.
IV.
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Die Klägerin hat - zumindest vorsorglich - Vortrag zur Händlermarge gehalten (Schriftsatz vom 11.11.2022, Bl. 545 ff. d.A.), so dass die Sache auch hinsichtlich etwaiger Ansprüche aus § 852 BGB entscheidungsreif ist. Insoweit hat die Klage im tenorierten Umfang Erfolg. Die Klägerin hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausdrücklich klargestellt, dass sie - auch im Rahmen des § 852 BGB - den sog. Kleinen Schadensersatz begehrt.
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1. Ansprüche dem Grunde nach bestehen trotz Verjährung, da die Beklagte - wie oben näher begründet - aus einer deliktischen Handlung (jedenfalls aus § 826 BGB) haftet. Somit bleibt sie gemäß § 852 S. 1 BGB der Klägerin zur Herausgabe des Erlangten verpflichtet, was die Klägerin auch ausdrücklich geltend macht. Diesen Anspruch hat der Kläger vor Ablauf der insoweit geltenden Verjährungsfrist von 10 Jahren (§ 852 S. 2 BGB) ab Kauf rechtshängig gemacht. Dabei kann dahinstehen, ob die Frist mit Abholung des Fahrzeugs oder mit Annahme des Auftrags am 20.12.2010 (vgl. Anlage K50) anläuft. Selbst in letzterem Fall ist die Klage (gerade noch) rechtzeitig erhoben. Die Klageschrift vom 17.12.2020 ging am 18.12.2020 beim Landgericht ein, das unter dem 29.12.2020 den Kostenvorschuss anforderte (Kostenheft, Bl. II). Die Einzahlung erfolgte am 13.01.2020. Die Zustellung der Klage der Klage erfolgte aufgrund richterlicher Verfügung vom 20.01.2021 am 25.01.2021, mithin „demnächst“ im Sinne § 167 ZPO. Die Klage auf Feststellung der Schadensersatzpflicht machte diesen rechtshängig und hemmte ihn, § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB; auf die Zulässigkeit der Klage kommt es insoweit nicht an (Ellenberger in Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 204 Rn. 5).
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2. Hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 852 BGB auf Dieselabgasfälle schließt sich der Senat der - zwischenzeitlich mehrfach bestätigten - Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der Entscheidung vom 21.02.2022 - VIa ZR 8/21 an. Danach findet § 852 BGB auf die Diesel-Abgasfälle Anwendung; die Möglichkeit der Erhebung einer Musterfeststellungsklage ändert daran nichts (BGH, aaO, juris-Rn. 54ff.).
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3. Vorliegend hat die Beklagte aus dem Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch die Klägerin etwas erlangt. Kriterium hierfür ist nach der mittlerweile ebenfalls gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 13. Juni 2022 - VIa ZR 680/21, juris-Rn. 18 mwN): Liegt dem Neuwagenkauf eines nach § 826 BGB durch den Fahrzeughersteller Geschädigten bei einem Händler die Bestellung des bereitzustellenden Fahrzeugs durch den Händler bei dem Hersteller zugrunde und schließen der Hersteller und der Händler einen Kaufvertrag über das Fahrzeug, aufgrund dessen der Hersteller gegen den Händler einen Anspruch auf Zahlung des Händlereinkaufspreises erlangt, ist dem Grunde nach ein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB gegeben, weil der schadensauslösende Vertragsschluss zwischen dem Geschädigten und dem Händler einerseits und der Erwerb des Anspruchs auf Zahlung des Händlereinkaufspreises bzw. der Erwerb des Händlereinkaufspreises durch den Hersteller andererseits auf derselben, wenn auch mittelbaren Vermögensverschiebung beruhen. Hat der Händler dagegen das Fahrzeug unabhängig von einer Bestellung des Geschädigten vor dem Weiterverkauf auf eigene Kosten und eigenes (Absatz-)Risiko erworben, fehlt es an dem für §§ 826, 852 Satz 1 BGB erforderlichen Zurechnungszusammenhang.
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Der Senat bildet sich die Überzeugung, dass erst die Bestellung der Klägerin bei ihrem Verkäufer den Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs bei der Beklagten ausgelöst hat, aus folgendem zeitlichem Ablauf:
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Ausweislich der vorgelegten Rechnung (Anlage K50) wurde die Bestellung am 20.12.2010 angenommen; eine Auslieferung erfolgte erst am 23.05.2011. Dieser Zeitversatz erklärt sich nur durch eine Lieferung erst auf Bestellung. Auch der Ansatz von Überführungskosten spricht gegen einen Kauf des Fahrzeugs „vom Hof“ des Händlers, also eines Fahrzeugs, das dieser bereits endgültig erworben hat. Schließlich hat die Klägerin unwidersprochen vorgetragen, das Fahrzeug sei erst am 28.01.2011 und damit nach dem Kauf in Produktion gegangen.
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4. Die Klägerin begehrt, wie ausgeführt, den sog. kleinen Schadensersatz. Die Geltendmachung des kleinen Schadensersatzes ist auch im Rahmen des § 852 BGB möglich. Beim kleinen Schadensersatz begehrt der Gläubiger den Betrag, um den er den Kaufgegenstand, gemessen am objektiven Wert von Leistung und Gegenleistung, zu teuer erworben hat (BGH, Urteil vom 24.01.2022 - VIa ZR 100/21, juris-Rn. 9). Dieser überteuerte Kaufpreis (abzüglich der Händlermarge) ist der Beklagten zugeflossen, kann daher im Rahmen des § 852 BGB grundsätzlich herausverlangt werden (ebenso: OLG München, Urteil vom 19.05.2022 - 24 U 4614/21; OLG Köln, Urteile vom 17.08.2022 - 22 U 30/22 und vom 23.08.2022 - 3 U 190/21).
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5. Den Minderwert schätzt der Senat auf 10% des Bruttokaufpreises von 26.300 €, also auf 2.630 €. Dieser Betrag liegt unzweifelhaft unter dem Betrag, den die Beklagte aus dem Kauf - selbst bei Zugrundelegung einer Händlermarge von 15% - erlangt hat.
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5.1. Der Senat ist nach § 287 ZPO befugt, den Minderwert zu schätzen. Es handelt sich nicht etwa um die Frage eines tatbestandlichen Primärschadens, dessen Vorliegen dem Strengbeweis unterliegen würde. Der Schaden im Rahmen des § 826 BGB liegt bereits in dem Abschluss eines ungewollten Vertrages. Im Übrigen steht es für den Senat außer Zweifel, dass ein von einer Stillegung bedrohtes Fahrzeug in seinem Wert - signifikant - gemindert ist.
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5.2. Eine Schätzung erscheint sachgerecht. Die Einholung gleich mehrerer Sachverständigengutachten, zum einen zu der Frage des Minderwertes, zum anderen zu den technischen Folgen eines Updates, erscheint bezogen auf den geltend gemachten Streitwert - völlig - unökonomisch. Ein Gutachten zum Minderwert - der relevanten Ausgangsgröße - setzt eine umfassende Marktanalyse voraus, ist folglich extrem aufwändig und in seiner Aussagekraft beschränkt, da ein rein hypothetischer Sachverhalt zu ermitteln wäre. Im Kaufzeitpunkt gab es keinen Dieselabgasskandal. Allenfalls eine Näherung wäre möglich, wenn man versuchen wollte zu ermitteln, wie sich das Bekanntwerden des Dieselabgasskandals (noch ohne Vorliegen des Updates) auf die Kaufpreise ausgewirkt hat und man diese Minderungsquote auf die Vergangenheit überträgt.
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Die Parteien haben der angekündigten Schätzung im Rahmen der mündlichen Verhandlung auch nicht widersprochen.
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5.3. Für die Berechnung des sogenannten kleinen Schadensersatzes ist zunächst der Vergleich der Werte von Leistung und Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblich. Dies schließt eine schadensmindernde Berücksichtigung später eintretender Umstände im Rahmen der Vorteilsausgleichung nicht aus. So ist etwa auch eine etwaige Aufwertung des Fahrzeugs durch ein Software-Update als nachträgliche Maßnahme der Beklagten, die gerade der Beseitigung der Prüfstanderkennungssoftware dienen soll, zu berücksichtigen; dabei sind allerdings etwaige mit dem Software-Update verbundene Nachteile in die Bewertung des Vorteils gleichermaßen einzubeziehen und in den so zu bemessenden Schaden „einzupreisen“ (BGH, Urteil vom 05.10.2021 - VI ZR 136/20, juris Rn. 17).
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Nach diesen Maßstäben hat der Senat bei der wirtschaftlichen Bewertung des Fahrzeugs und seines damaligen Wertes die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehende Unsicherheit in den Blick genommen, dass das Fahrzeug aufgrund der verbauten Prüfstandserkennung dem Risiko einer (späteren) Betriebsuntersagung bzw. -stilllegung ausgesetzt war. Dieser Minderwert ist nicht unbeträchtlich, da die Funktionsfähigkeit des Fahrzeugs betroffen ist. Das Risiko einer Stilllegung ist aber zur Überzeugung des Senats durch vom Kraftbundesamt als zuständiger Behörde nach umfassender Prüfung freigegebene Update gebannt. In jedem Fall verbleibt - gerade angesichts einer zunehmenden Sensibilität für die Umwelt - der Makel eines Autos mit Betrugssoftware. Ferner gelingt der Beklagten nicht, den jedenfalls plausiblen Verdacht nachteiliger Folgen auszuräumen, etwa in Form eines erhöhten Kraftstoffverbrauchs auf der Straße, wie er auch schon von gerichtlich bestellten Sachverständigen attestiert wurde (vgl. Anlage R13), oder in Form eines erhöhten Verschleißes.
41
In einer Gesamtschau schätzt der Senat den Minderwert auf 10% des Bruttokaufpreises von 26.300 €, mithin auf 2.630 €.
42
6. Der zuzuerkennende Betrag ist vorliegend nicht zu kürzen.
43
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kommt eine Vorteilsanrechnung in Betracht (BGH, Urteil vom 24.01.2022 - VIa ZR 100/21, juris-Rn. 22), wenn Restwert des Fahrzeugs und gezogene Nutzungen den wahren Wert des Fahrzeugs - hier: 23.670 € (90% des Bruttoeinkaufspreises) - übersteigen. Dies ist jedoch nicht der Fall.
44
Den Restwert schätzt der Senat anhand einer Bewertung über ein einschlägiges Internetportal (https://www.dat.de/gebrauchtfahrzeugwerte/ …start) unter Angabe des exakten Fahrzeugtyps, des Datums der Erstzulassung, der Laufleistung und der Postleitzahl der Wohnanschrift der Klägerin auf 5.000 €.
45
Die Nutzungsvorteile bemessen sich nach der unstreitigen Fahrtleistung des neu erworbenen Fahrzeugs von 74.464 km durch die Klägerin. Für die Berechnung kann zugunsten der Beklagten sogar unterstellt werden, dass das Fahrzeug nur eine Gesamtlaufleistung von 200.000 km habe. Daraus ergäben sich bei linearer Berechnung - eine degressive Berechnung wäre verfehlt, da es um die Bewertung des Nutzungsvorteils der Käuferin geht, dieser Vorteil aber nicht je nach Kilometerstand unterschiedlich ist - anzurechnende Nutzungsvorteile von 10.186,51 €.
46
Beide Beträge (5.000 € und 10.186,51 €) erreichen auch in der Summe nicht den objektiven Wert des Fahrzeugs.
47
Ob und inwieweit eine Händlermarge wegen der Deckelung des Anspruchs auf das Erlangte auch im Rahmen des kleinen Schadensersatzes in Ansatz zu bringen ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung (vgl. dazu: OLG Köln, Urteil vom 23.08.2022 - 3 U 190/21, juris-Rn. 35ff.): Selbst bei zusätzlichem Ansatz einer 15%-igen Händlermarge, also weiterer 3.945 €, wird der objektive Wert des Fahrzeugs nicht erreicht.
48
7. Der Betrag ist ab dem Tag nach Rechtshängigkeit des erstmals auf den kleinen Schadensersatzanspruch konkretisierten Antrags im Berufungsbegründungsschriftsatz, der der Beklagten am 12.01.2022 zugestellt wurde, zu verzinsen, § 291, § 288 Abs. 1 BGB.
V.
49
Der Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten besteht nicht. Es fehlt jedweder substantiierter Vortrag zur vorgerichtlichen Tätigkeit, insbesondere dazu, welche Tätigkeit entfaltet wurde und welcher Anspruch tatsächlich geltend gemacht wurde. Eines Hinweises bedurfte es, weil Nebenforderung, nicht (§ 139 Abs. 2 S. 1 ZPO). Im Übrigen besteht ein Anspruch auch aus Rechtsgründen nicht. Hinsichtlich dieses Schadenspostens hat die Beklagte nichts erlangt, so dass auch keine Herausgabe nach § 852 BGB geschuldet ist (vgl. BGH, Urteil vom 21.02.2022 - VIa ZR 8/21, juris-Rn. 77). Anhaltspunkte für einen bei vorgerichtlicher Einschaltung des Rechtsanwalts bereits bestehenden Verzug (dazu BGH, aaO, juris-Rn. 78) bestehen nicht.
C.
50
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO und berücksichtigt das Obsiegen und Unterliegen in Bezug auf den jeweiligen Streitwert erster (21.040 €, entspricht 80% des Kaufpreises, im Rahmen des dort erhobenen Feststellungsantrags) und zweiter Instanz (5.525,21 €).
51
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit fußt auf §§ 708 Nr. 10, 711,713 ZPO.
52
Die Revision war nicht zuzulassen, da Revisionsgründe (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO) nicht vorliegen. Die maßgeblichen Fragestellungen zu Verjährung und zu § 852 BGB sind - wie gezeigt - höchstrichterlich geklärt. Die Schätzung des Minderwerts ist originär tatrichterliche Tätigkeit und stellt auch bei divergierenden Ergebnissen keinen Zulassungsgrund dar.