Titel:
Zur deliktischen Haftung des Fahrzeugherstellers für unzulässige Abschalteinrichtungen – unzureichender Vortrag
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
StGB § 263 Abs. 1
ZPO § 138
EG-FGV § 6, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Das Verschweigen des Einsatzes eines sog. Thermofensters ist bei Würdigung der Gesamtumstände auch unter Berücksichtigung eines durchschnittlichen Anstandsmaßstabs schon objektiv nicht als sittenwidrig zu bewerten. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Da Fahrzeuge erst ab der Abgasnorm Euro 6d-TEMP überhaupt außerhalb des unter normierten Bedingungen stattfindenden Prüfstandslaufs auch im Rahmen einer RDE-Fahrt bestimmte Abgaswerte einhalten, kann bei einem Euro-5-Fahrzeug von einer Überschreitung der Grenzwerte für die Typzulassung außerhalb der hierfür maßgeblichen Testbedingungen nicht auf das Vorliegen einer Zykluserkennung zur Manipulation der Abgaswerte geschlossen werden. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei den Vorschriften der § 6, § 27 Abs. 1 EG-FGV bzw. den Regelungen der Fahrzeugemissionen-VO handelt es sich nicht um Schutzgesetze iSd § 823 Abs. 2 BGB. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abgasskandal, Dieselskandal, Sittenwidrigkeit, Verschweigen Thermofenster, ausreichender Vortrag zu Rollenprüfstandserkennung, Bezugnahme auf Publikationen, Überschreitung von Grenzwerten, Stoffgleichheit von Schaden und Bereicherung, VO (EG) 715/2007
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 20.05.2022 – 5 U 48/22
OLG Bamberg, Beschluss vom 28.06.2022 – 5 U 48/22
OLG Bamberg, Beschluss vom 19.07.2022 – 5 U 48/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 38197
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 44.722,71 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Klagepartei begehrt von der Beklagten Schadensersatz insbesondere wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung bzw. deliktischem Handeln im Zusammenhang mit dem Kauf eines PKWs mit Dieselantrieb, in dem ein von der Beklagten entwickelter Motor EA 896Gen2 verbaut ist.
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Die Klagepartei erwarb am 09.04.2013 das streitgegenständliche Fahrzeug VW Touareg 3.0 V6 TDI mit der FIN … als Neufahrzeug zu einem Kaufpreis von 64.950,- € brutto. Die Beklagte war an dem Vertragsschluss unmittelbar nicht beteiligt.
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Das Fahrzeug unterliegt der Abgasnorm Euro 5 und verfügt über eine EG-Typengenehmigung. Ein wirksamer Widerruf dieser bestandskräftigen EG-Typengenehmigung liegt nicht vor.
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Mit außergerichtlichem, anwaltlichen Schreiben vom 19.11.2020 forderte die Klagepartei die Beklagte unter Fristsetzung bis 03.12.2020 zur Zahlung von Schadenersatz Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs auf. Eine Stellungnahme der Beklagten erfolgte nicht.
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Die Klagepartei trägt im Wesentlichen vor, die Beklagte habe den Motor mit Abschalteinrichtungen versehen, im Fahrzeug verbaut und dieses in Verkehr gebracht.
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In dem Fahrzeug seien folgende unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut:
- Rollenprüfstandserkennung/ Fahrzykluserkennung
- Temperaturgebundene Abschalteinrichtung (Thermofenster)
- manipulierte Schaltpunktsteuerung/Lenkwinkelerkennung
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Die Motorsteuerungssoftware erkenne über einen Servolenkungssensor, wenn sich das Fahrzeug im Prüfstand des NEFZ befinde und aktiviere einen besonderen Reinigungsmodus. Gleichzeitig werde über das AECD Steuergerät die Leistung reduziert, so dass weniger Abgase ausgestoßen und die gesetzlichen Abgaswerte eingehalten werden könnten, was sonst nicht der Fall sei.
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Weiterhin sei im streitgegenständlichen Fahrzeug, eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters verbaut, das die Abgasrückführungsrate bei einer Temperatur unter 17°C reduziere.
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Ferner stelle die im Fahrzeug befindliche Schaltpunktsteuerung des Automatikgetriebes eine unzulässige Abschalteinrichtung dar, da hierdurch zielgerichtet die Schadstoffemissionen beeinflusst würden. Der streitgegenständliche Motor sei mit einem sog.
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Warmlaufschaltprogramm ausgestattet. Die Schaltpunkte des Getriebes bei kaltem Motor ohne Lenkradwinkeleinschlag seien höher als nach Lenkradeinschlag. Die Folge bei Dieselmotoren seien niedrigere NOx Werte im Rollenprüfstand im Vergleich zum Straßenbetrieb.
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Die Beklagte, insbesondere einzelne Vorstandsmitglieder hätten Kenntnis von der Verwendung der Software gehabt.
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Die Klagepartei behauptet weiter, dass Fahrzeuge mit dem streitgegenständlichen Motortyp der Rückrufaktion 23X6 unterfielen und sie das Fahrzeug in Kenntnis der vorgenannten Umstände, nicht erworben hätte.
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Die Klagepartei ist daher der Ansicht, dass sie von der Beklagten Schadenersatz in Form der Rückzahlung des Kaufpreises, unter Abzug einer Nutzungsentschädigung unter Berücksichtigung einer Gesamtlaufleistung von 350.000 km habe.
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Die Klagepartei beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft € 44.722,71 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Volkswagen Touareg mit der Fahrzeug-Identifikationsnummer …
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von € 3.178,40 freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, bezüglich des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei vom Kraftfahrtbundesamt kein verbindlicher Rückrufbescheid in Bezug auf das Emissionsverhalten erlassen worden. Vielmehr habe das KBA in zahlreichen Parallelverfahren allgemeingültig bestätigt, dass in Fahrzeugen mit dem Motortyp V6-TDI Generation 2 EU5 keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei.
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Sämtliche Behauptungen der Klagepartei zu unzulässigen Abschalteinrichtungen seien bloße Spekulationen und Mutmaßungen ins Blaue hinein.
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In dem streitgegenständlichen Fahrzeug sei weder eine Fahrzykluserkennung noch ein AECDSteuergerät verbaut.
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Das vorhandene Thermofenster stelle keine unzulässige Abschalteinrichtung dar, sondern diene vielmehr in zulässigerweise dem Motorschutz.
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Die Lenkradwinkelerkennung sei per se nicht unzulässig.
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Auch liege keine Täuschung oder ein sittenwidriges Verhalten durch die Beklagte vor.
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Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 01.12.2021 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist in vollem Umfang unbegründet und war daher abzuweisen. Der Klagepartei steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch gegen die Beklagte auf Schadensersatz in Form der Erstattung des Kaufpreises für das Fahrzeug Zug um Zug Herausgabe des erlösten Verkaufspreises abzgl. der gezogenen Nutzungen und auch nicht der geltend gemachte Feststellungsanspruch bzw. die geltend gemachten Nebenforderungen zu.
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1. Ein Anspruch der Klagepartei aus §§ 826, 31 BGB bzw. § 831 BGB, scheidet schon deshalb aus, weil das klägerseits behauptete Verhalten der Beklagten, soweit man überhaupt von einem substantiierten Vortrag ausgehen konnte, unter keinem Gesichtspunkt als sittenwidrig anzusehen ist. Soweit die Klage auf den angeblichen Einbau einer Abschalteinrichtung in Form einer Rollenprüfstandserkennung bzw. einer Motoraufwärmfunktion gestützt wird, erfolgte der Vortrag ins Blaue hinein, so dass bereits ein substantiierter Vortrag nicht vorlag und die Klage ohne weitere Beweisaufnahme abzuweisen war.
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a) Objektiv sittenwidrig wäre eine Handlung, die nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggründen und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, d.h. mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Ein Unterlassen wäre dann sittenwidrig, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Dass das Verhalten gegen vertragliche Pflichten oder das Gesetz verstößt, unbillig erscheint oder einen Schaden hervorruft, genügt nicht. Insbesondere ist die Verfolgung eigener Interessen bei der Ausübung von Rechten im Grundsatz auch dann legitim, wenn damit eine Schädigung Dritter verbunden ist. Hinzutreten muss nach der Rechtsprechung eine nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als „anständig“ Geltenden besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann (vgl. mwN: Palandt/Sprau, BGB, 79. Auflage 2020, § 826 BGB, Rn. 4).
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b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist ein sittenwidriges Verhalten gem. § 826 BGB nicht dargetan bzw. erfolgte erkennbar ins Blaue hinein und war deshalb unbeachtlich, so dass eine Beweisaufnahme in Form des angebotenen Sachverständigengutachtens nicht zu erfolgen hatte und der Beklagtenseite auch eine Vorlage von weiteren Unterlagen nicht aufzugeben war.
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aa) Hinsichtlich des sogenannten „Thermofensters“ wäre, selbst wenn ein Verstoß anzunehmen wäre, ein Verschweigen des Einsatzes der Abschalteinrichtung in Gestalt eines sog. „Thermofensters“ bei Würdigung der Gesamtumstände auch unter Berücksichtigung eines durchschnittlichen Anstandsmaßstabs schon objektiv nicht als sittenwidrig zu bewerten. Insoweit unterscheidet sich die Fallgestaltung deutlich und entscheidend vom Einsatz einer Motorsteuerungssoftware, die zielgerichtet den Prüfstandslauf erkennt und deshalb in einen völlig anderen Betriebsmodus schaltet. Die Fallgestaltung eines sog. „Thermofensters“ unterscheidet sich damit signifikant von der Fallgestaltung einer „Schummelsoftware“ in Form einer Umschaltlogik, wie sie Gegenstand der im Jahr 2015 beim Motor EA 189 gerichtsbekannt aufgedeckten Geschehnisse ist. Dabei hat der Hersteller des Motors EA 189 nämlich nicht nur gesetzliche Abgaswerte außer Acht gelassen, sondern mit der Abschalteinrichtung ein System zur planmäßigen Verschleierung seines Vorgehens gegenüber den Aufsichtsbehörden und den Verbrauchern geschaffen.
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Allein der Umstand, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug der Klagepartei durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei bestimmten Temperaturen reduziert und letztlich ganz abgeschaltet wird, reicht für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Dabei kann zugunsten der Klagepartei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren ist (vgl. zu Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG auch EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 - C-693/18, Celex-Nr. 62018CJ0693). Auch ein darin liegender Gesetzesverstoß wäre auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände, wobei die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzung nach allgemeinen Grundsätzen die Klagepartei als Anspruchsteller trägt (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 35). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzte temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung nicht danach unterscheidet, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet und keine Funktion aufweist, die bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert, sondern in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise arbeitet (vgl. zu alldem: BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19 -, Rn. 16 - 19, juris)
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Genau so liegt der konkrete Fall. Auch unter Zugrungelegung des klägerischen Vortrags bezüglich des „Thermofensters“ liegt lediglich eine temperaturbeeinflusste Steuerung vor, die jedoch sowohl auf dem Prüfstand als auch im Realbetrieb im Grundsatz in gleicher Weise arbeitet. Substantiierter Vortrag zu weiteren besonderen Umständen, die eine Rückschluss auf ein besonders verwerfliches Handeln der maßgeblichen Personen zulassen, fehlt. Eine Vorlagepflicht von weiteren Unterlagen ergibt sich damit mangels substantiierten Klägervortrag nicht.
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Zudem ist angesichts der äußerst kontroversen Diskussionen über die Zulässigkeit des „Thermofensters“ eine Auslegung dahingehend, dass ein „Thermofenster“ eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, jedenfalls nicht unvertretbar. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann ebenso nicht verwerflich sein (so auch LG Stuttgart, Urteil vom 03.05.2019, Az. 22 O 238/18, juris, Rn. 30 ff.; LG Limburg, Urteil vom 24.05.2019, Az. 2 O 50/19, juris, Rn. 25; LG Bonn, Urteil vom 17.05.2019, Az. 15 O 132/18, juris, Rn. 25 ff.; LG Schweinfurt, Urteil vom 17.01.2020, Az. 21 O 95/19).
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In der Gesamtschau kann deshalb selbst beim Vorliegen eines objektiv unzulässigen „Thermofensters“ nicht von objektiver Sittenwidrigkeit ausgegangen werden.
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bb) Die Voraussetzungen einer Haftung für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten wurden von Klägerseite auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer sonstigen unzulässigen Abschalteinrichtung, insbesondere in Form einer angeblich vorhandenen Rollenprüfstandserkennung bzw. einer Motoraufwärmfunktion ausreichend substantiiert dargetan.
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(1) Soweit die Klägerseite auf Publikationen zu anderen Herstellern und/oder zu anderen Motorentypen Bezug nimmt, ergibt sich gerade kein substantiierter Vortrag zum streitgegenständlichen Motor, da kein ausreichender Vortrag dazu vorliegt, dass diese Ergebnisse oder sich daraus angeblich ergebene Indizien übertragbar sind. Die Bezugnahme erfolgt vielmehr ohne erkennbares Muster und ohne Selektion.
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Hinsichtlich dem Vortrag, dass die Werte des tatsächlichen Schadstoffausstoßes im Normalbetrieb über den angegebenen Werten im Sinne der zu Grunde liegenden Euro-5-Norm liegen ist zu berücksichtigen, dass erst ab der Abgasnorm Euro 6d-TEMP Fahrzeuge überhaupt außerhalb des unter normierten Bedingungen stattfindenden Prüfstandslaufs auch im Rahmen einer RDE-Fahrt bestimmte Abgaswerte einhalten. Bei einem Euro-5-Fahrzeug kann daher von einer Überschreitung der Grenzwerte für die Typzulassung außerhalb der hierfür maßgeblichen Testbedingungen nicht auf das Vorliegen einer Zykluserkennung zur Manipulation der Abgaswerte geschlossen werden, nicht einmal im Sinne eines Indizes oder wenigstens greifbarer Anhaltspunkte (vgl. nur OLG Celle Urteil vom 13.11.2019, Az. 7 U 367/18, BeckRS 2019, 29587, beck-online; LG Stuttgart Urteil vom 19.6.2020, Az. 19 O 223/19, BeckRS 2020, 13252, beck-online; OLG Stuttgart Urteil vom 16.6.2020, Az. 16a U 228/19, BeckRS 2020, 16010, beck-online).
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(2) Auch bezüglich des Vortrags zu einem angeblichen amtlichen Rückruf erfolgt der Vortrag bereits erkennbar ins Blaue hinein, da wahllos Bezug genommen wird auf ein Konvolut von Rückrufbescheiden des KBA, die aber erkennbar nicht den streitgegenständlichen Motor betreffen, sondern Motoren, die der Euro 6-Norm unterliegen bzw. sich erkennbar unterscheiden.
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(3) Damit liegt in der Gesamtschau auch bei der gebotenen Zurückhaltung ein völlig willkürlicher Vortrag ins Blaue hinein vor, wobei jegliche Anhaltspunkte fehlen. Dies wird besonders deutlich, sofern die Klagepartei hinsichtlich der Rollenprüfstandserkennung ausführt, dass das AECD Steuergerät die Leistung reduziere, so dass weniger Abgase ausgestoßen werden. Wie die Beklagtenpartei im Schriftsatz vom 23.11.2021 (Bl. 253 d.A.) unwidersprochen ausführt, ist in dem streitgegenständlichen Fahrzeug kein AECD Steuergerät verbaut.
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Auch mangels substantiierten Vortrags zu einer Motoraufwärmfunktion scheidet auch unter diesem Gesichtspunkt ein Anspruch auf Grund sittenwidrigen Verhaltens aus. Eine etw. angebotene Beweiserhebung würde zur reinen Ausforschung verkommen, weil eine Behauptung ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhaltes willkürlich aufgestellt wurde, so dass nach der zutreffenden Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Bamberg (Beschluss vom 31.03.2020, Az. 3 U 57/19), die sich auch mit der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in einem obiter dictum im Beschluss vom 28.01.2020, Az. VIII ZR 57/19, auseinandersetzt, eine Beweisaufnahme nicht zu erfolgen hatte, sondern vielmehr eine reine Behauptung ins Blaue hinein vorliegt.
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2. Der Klagepartei steht auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB zu.
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Es fehlt bereits an einer für einen solchen Anspruch erforderlichen Stoffgleichheit zwischen dem behaupteten Schaden der Klagepartei und einer möglichen Bereicherung der Beklagten. Die Klagepartei stützt seinen Anspruch letztlich darauf, ihm sei ein Schaden in Form der Eingehung einer ungewollten Kaufpreisverpflichtung entstanden. Bei der Beklagten, deren Bereicherung der mögliche Täter erstrebt haben könnte, ist eine solche jedoch allenfalls dadurch eingetreten, dass sie das Fahrzeug an den Erstkäufer ausgeliefert hat, nicht aber an die Klagepartei als Gebrauchtwagenkäufer (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 23.01.2020, Az. 1 U 308/19; OLG Stuttgart, Urteil vom 08.08.2019, Az. 9 U 9/19; OLG Karlsruhe, Urteil vom 09.01.2020, Az. 17 U 133/19).
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Der Vortrag der Klagepartei zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Gestalt eines „Thermofensters“ reicht darüber hinaus auch in subjektiver Hinsicht nicht aus, einen solchen deliktischen Schadensersatzspruch zu begründen, denn unabhängig davon, ob es sich bei dem „Thermofenster“ in objektiver Hinsicht überhaupt um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der VO(EG) 715/2007 handelt (vgl. hierzu LG Stuttgart, VuR 2019, 148 mit abl. Anm. Wessel DAR 2019, 277; abl. auch OLG Stuttgart, ZVertriebsR 2019, 301 [306]), wäre das bloße Vorhandensein einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug nicht geeignet, deliktische Ansprüche der Klagepartei auszulösen. Denn es ist nichts zu den subjektiven Voraussetzungen der deliktischen Anspruchsgrundlage von Substanz vorgetragen (siehe OLG Köln, ZVertriebsR 2019, 370 [371]): So hätten über die schlichte Kenntnis von der Verwendung des „Thermofensters“ hinaus auch Anhaltspunkte dafür vorgetragen werden müssen, dass dies bei der Beklagten zugleich mit dem Bewusstsein geschehen ist, möglicherweise gegen gesetzliche Vorschriften zu verstoßen, und dass dieser Gesetzesverstoß zumindest billigend in Kauf genommen wurde. Aus den vorgetragenen Umständen kann nicht geschlossen werden, dass ein solches Bewusstsein bei den Organen der Beklagten vorlag.
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Vielmehr ist angesichts der äußerst kontroversen Diskussionen über die Zulässigkeit des „Thermofensters“ eine Auslegung dahingehend, dass ein „Thermofenster“ eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, jedenfalls nicht unvertretbar, so dass auch unter diesem Aspekt ein zumindest bedingt vorsätzliches Handeln der Beklagten fern liegt.
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3. Auch Ansprüche aus §§ 823 Abs. i.V.m. §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV bzw. VO (EG) 715/2007 sind nicht gegeben.
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Ein solcher Anspruch scheidet schon deshalb aus, da es sich bei §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV bzw. den Regelungen der VO (EG) 715/2007 jedenfalls nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, und BGH, Urteil vom 30.7.2020, Az. VI ZR 5/20).
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4. Mangels Hauptanspruch unterliegen auch die geltend gemachten Nebenforderungen der Klageabweisung.
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II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.
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Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus §§ 3 ZPO i.V.m. 45 ff. GKG.