Titel:
Zweckentfremdung von Wohnraum durch gewerbliche Nutzung, Vorliegen von Wohnraum (objektive Eignung und subjektive Zweckbestimmung), Kein Ausnahmetatbestand (gewerbliche Nutzung bereits vor 1972)
Normenketten:
ZwEWG Art. 3 Abs. 2
ZeS § 3 Abs. 1, Abs. 2
ZeS § 3 Abs. 3 Nr. 2
ZeS § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1
Schlagworte:
Zweckentfremdung von Wohnraum durch gewerbliche Nutzung, Vorliegen von Wohnraum (objektive Eignung und subjektive Zweckbestimmung), Kein Ausnahmetatbestand (gewerbliche Nutzung bereits vor 1972)
Fundstelle:
BeckRS 2022, 38081
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen eine zweckentfremdungsrechtliche Anordnung mit der sie verpflichtet wird, die Nutzung von Wohnraum zu anderen als Wohnzwecken zu beenden.
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Bescheidsobjekt ist eine Einheit im … 23, Vordergebäude, 6. OG, Nr. 47, die mit einem dem Bescheid beigegebenen Planauszug bestimmt wird. Der Planauszug ist einer Baugenehmigung (Tekturgenehmigung vom 17. Juli 1963) (vgl. den abgetrennten Aktenbestandteil zu Beginn der Behördenakte - i.F.: BA -) entnommen und sieht folgende Raumaufteilung und Nutzung vor: Zwei Kinderzimmer, zwei Schlafzimmer, ein Arbeitszimmer, ein Zimmer und eine Wohnhalle, zwei Bäder und eine Küche im 6. Obergeschoss. Die streitgegenständliche Einheit war nach dem Plan räumlich mit einer sich anschließenden 4-Zimmer-Einheit, vermittelt über eine gemeinsame Garderobe, verbunden. Weiter findet sich ein wohnungsinterner Aufgang in darüber liegende Räumlichkeiten, damals ausgestrichen und damit nur nachrichtlich bezeichnet mit Mädchen- und Fremdenzimmer (mittlerweile abgeteilt und ausgebildet als eigene separate Einheit im 7. Stock).
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Der Verwaltungsvorgang enthält überdies einen früheren Tekturplan (Nr. …), der unter dem 31. August 1960 genehmigt wurde und der noch folgende Raumaufteilung und Nutzung im 6. Stockwerk auswies: Ein Kinder- bzw. Schlafzimmer, ein Eltern- bzw. Schlafzimmer, ein großer, verbundener Raum, gekennzeichnet als Speise- und Wohnzimmer, eine Küche und ein Bad mit WC. Demgegenüber wurde in der Tektur vom 17. Juli 1963 der große Speise- bzw. Wohnbereich aufgeteilt und der streitgegenständlichen Einheit wurde ein weiteres Zimmer der sich anschließenden Einheit auf derselben Ebene zugeschlagen.
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Die in der zur Grundlage des Bescheids gemachten und in der Tektur vom 17. Juli 1963 niedergelegten Verhältnisse finden sich in einer weiteren Bauzeichnung als Bestandteil einer Baugenehmigung vom 16. September 1983 (Bl. 79 ff. d. Gerichtsakte im Verfahren M 9 S 18.3233) zur nachträglichen Genehmigung des Dachausbaus, in einem Aufteilungsplan mit Stempel vom 26. November 1985 - durch den die Teilung der Einheiten herbeigeführt wurde (nunmehr: Einheiten Nr. 47, 48 und 50) - und in einem unter dem 30. September 1988 gestempelten Tekturplan (beides im abgetrennten Aktenbestandteil zu Beginn der BA). Im zuletzt genannten Tekturplan wurden die genannten Nutzungen in der Einheit Nr. 47 mittels Bleistift ausgestrichen und jeweils durch „Büro“ ersetzt, wobei weder der Urheber noch das Änderungsdatum ersichtlich sind.
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Die Klägerin hat die Einheit seit 1. Januar 2000 zum Betrieb eines Büros bzw. einer Praxis angemietet (vgl. Mietvertrag vom 15. bzw. 17. Dezember 1999, Bl. 39 ff. d. BA). Die gewerbliche Nutzung wird unstreitig seitdem ausgeübt, wie u. a. eine Ortsermittlung der Beklagten am 29. April 2015 ergeben hat (vgl. den Ermittlungsbericht und die Fotos auf Bl. 16 ff. d. BA). Vermieterin ist Frau L. M., die das Objekt 1990 erwarb (Bl. 48 und 230 ff. d. BA). Die Kaufvertragsurkunde weist als Grundbesitz aus: „47,000/1000 Miteigentumsanteil am Grundstück […] verbunden mit dem Sondereigentum an Wohnung lt. Aufteilungsplan Nr. 47“ (Bl. 110 d. BA). Entsprechendes weist auch das Grundbuch aus (Bl. 243 d. BA).
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Zuvor stand die Einheit u. a. im Eigentum der Familie … (zur Chronologie Bl. 79 und 239 d. BA), die das Anwesen erbaut hatte. Laut Angaben des bevollmächtigten Verwalters der jetzigen Vermieterin - Herr … -, sei bei Erwerb des Objekts vonseiten des Verkäufers versichert worden, dass die streitgegenständlichen Räume im 6. OG seit Erbauung des Gebäudes noch nie wohnwirtschaftlich genutzt worden seien (vgl. die Sachverhaltsdarstellung vom 8. Dezember 2015, Bl. 71 d. BA). Herr … legte weiter u. a. ein Schreiben des ehemaligen Eigentümers, Herr … …, an Frau L. M. vom 15. März 1991 vor (Bl. 75 f. d. BA), wonach „die Flächen … 23, 6. Stock links, heute als Eigentumswohnung Nr. 47 bezeichnet, […] gewerblich genutzt [wurden]. Von 1960 bis 1984 waren dort zwei Büros mit Mitarbeitern und ein Besprechungsraum installiert.“ Weiter übergab er einen Mietvertrag aus dem Jahr 1988, wonach wohl - das Stockwerk wird nicht bezeichnet - die streitgegenständliche Einheit als Büro vermietet wurde (Bl. 126 ff. d. BA).
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Im Verwaltungsvorgang finden sich weiter Auszüge aus dem Einwohnermelderegister, wonach wenigstens drei Familienmitglieder der Familie … von 1961 bis 1984 in der Einheit mit Hauptwohnsitz gemeldet waren (Bl. 93, 94 und 97 d. BA). Zudem enthält er die Dokumentation eines im Jahr 1986 angestrengten Zweckentfremdungsverfahrens, wonach Ortsermittlungen den Leerstand u. a. der streitgegenständlichen Einheit Nr. 47 ergeben hätten; explizit wurde die Einheit dabei stets als Wohnung bzw. Wohnraum bezeichnet und geführt (Bl. 81 ff. d. BA).
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Gegenüber der Eigentümerin der streitgegenständlichen Einheit erließ die Beklagte unter dem 24. Mai 2018 einen zweckentfremdungsrechtlichen Bescheid in dem diese verpflichtet wurde, die Überlassung des Wohnraums zu anderen als Wohnzwecken zu unterlassen. Nach Erhebung einer Klage gegen diesen Bescheid (Verfahren M 8 K 18.3120) nahm die Beklagte diesen Bescheid mit Bescheid vom 4. September 2018 zurück. Die zwischenzeitlich auf eine Feststellungsklage geänderte Klage wurde am 21. November 2022 zurückgenommen.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 24. Mai 2018, der Bevollmächtigten der Klägerin gegen Postzustellungsurkunde am 30. Mai 2018 zugestellt (Bl. 270 f. d. BA), gab die Beklagte der Klägerin auf, die Nutzung der im beiliegenden Grundrissplan dargestellten Einheit zu anderen als Wohnzwecken unverzüglich zu beenden (Ziff. 1 und 2). Der Bescheid enthält weiter eine Zwangsgeldandrohung für den Fall der Nichterfüllung von Ziff. 1 binnen vier Monaten ab Zustellung des Bescheids in Höhe von 10.000,- EUR (Ziff. 3). Zur Begründung wird in dem Bescheid ausgeführt: Die genannten Räumlichkeiten seien laut den vorliegenden Bau- bzw. Aufteilungsplänen als Wohnraum ausgewiesen. Eine bau- oder zweckentfremdungsrechtliche Nutzungsänderung sei zu keinem Zeitpunkt beantragt oder genehmigt worden. Die Einheit sei ab dem 1. Februar 1988 erstmals als Büro vermietet worden und werde seit 1. Januar 2000 von der Klägerin genutzt. Nach ihren Ermittlungen gehe die Beklagte davon aus, dass die Räumlichkeiten in ihrer ursprünglichen Form von Beginn an auch von der Eigentümerfamilie … zu Wohnzwecken genutzt wurden; dies ergebe sich aus der dortigen Meldung der Familienmitglieder mit Hauptwohnsitz. Das Schreiben vom 15. März 1991 belege nur eine untergeordnete Nutzung zu beruflichen Zwecken in der damals bestehenden 11-Zimmer-Wohnung. Eine solche Mitbenutzung sei zweckentfremdungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die ungenehmigte Zweckentfremdung des genannten Wohnraums stelle einen Verstoß gegen Art. 2 und 3 ZwEWG i.V. m. §§ 4 und 5 ZeS dar. Rechtsgrundlage zum Erlass der Anordnung bilde Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 und 2 LStVG i.V. m. Art. 5 ZwEWG und § 14 Abs. 1 ZeS. Im Übrigen wird auf die Bescheidbegründung Bezug genommen, § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO.
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Die Bevollmächtigte der Klägerin hat gegen diesen Bescheid mit Schriftsatz vom 2. Juli 2018, bei Gericht eingegangen am selben Tag, Klage erhoben. Sie beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 24. Mai 2018 aufzuheben.
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Unter Verweis auch auf Vortrag im Parallelverfahren der Vermieterin (M 8 K 18.3120) wird ausgeführt: Die Einheit habe jedenfalls in den für die Anwendbarkeit des Gesetzes über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum maßgeblichen Zeiträumen keinen Wohnraum dargestellt. Bereits der Voreigentümer habe die Räumlichkeiten von 1960 bis 1984 ausschließlich gewerblich genutzt, was das Schreiben vom 15. März 1991 bestätige und was nach dem Tekturplan plausibel sei (Anm.: beigegeben war ein selbst blau, gelb und grün markierter Grundriss). Die Mitarbeiterräume hätten sich wohl in den beiden als Kinder- bzw. Elternschlafzimmer bezeichneten Räumen befunden, das Besprechungszimmer werde das Speise-/Wohnzimmer gewesen sein. Die im Bescheid angesprochenen Baugenehmigungen seien nachweislich nie umgesetzt worden. Auch habe sich der Rechtsvorgänger im Rahmen der Aufteilung des Anwesens nach WEG durch einen Nachtrag zur Gemeinschaftsordnung im Jahr 1986 ausdrücklich vorbehalten, die Einheit 47 weiterhin gewerblich zu nutzen. Diese habe zwischen 1984 und 1988 leer gestanden und sei dann wieder gewerblich vermietet worden. Die Meldung der Familienmitglieder … beweise nichts, seien im 6. Stock doch seit jeher zwei weitere, in sich abgeschlossene Wohnungen vorhanden gewesen. Das ergebe sich auch aus den Ermittlungen der Beklagten.
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Die Beklagte beantragt,
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Der Genehmigungsplan aus 1963 sei maßgeblich und auch tatsächlich umgesetzt worden. Dies ergebe, neben dem bisherigen Vortrag, auch der Bauantrag des Rechtsvorgängers der jetzigen Eigentümerin auf nachträgliche Genehmigung des Dachausbaus vom 5. September 1983 (Baugenehmigung vom 16. September 1983). Im Zuge dessen habe die Genehmigungsbehörde festgestellt, dass der Dachausbau bereits seit 1967 bestehe und die dort befindliche Maisonette-Wohnung eine Gesamtwohnfläche von 312 m² umfasse. Bereits diese Antragsfassung - auf nachträgliche Genehmigung - mache keinen Sinn, sollte eine tatsächliche Umsetzung nie stattgefunden haben. Ein unter dem 26. September 1983 genehmigter Aufteilungsplan sehe im Übrigen vor, dass sich die streitgegenständliche Einheit 47 nicht nur über zwei Stockwerke, sondern auch über größere Flächen im 6. Obergeschoss erstreckt habe, was auch die Aussagen im Ermittlungsbericht vom 4. Oktober 1984 erkläre. Im Übrigen wird auf den Vortrag Bezug genommen.
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Ein Antrag der Klägerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wurde erstinstanzlich mit Beschluss vom 22. August 2019 abgelehnt (Verfahren M 9 S 18.3233). Mit Beschluss vom 10. Dezember 2019 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof unter Abänderung des Beschlusses vom 22. August 2019 die aufschiebende Wirkung der vorliegenden Klage angeordnet (Verfahren 12 CS 19.1810).
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Nachdem das Gericht die Bevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 17. Februar 2020 um die Nennung der ladungsfähigen Anschriften in Betracht kommender Zeugen und die Vorlage weiterer Unterlagen gebeten hatte, nannte diese die ladungsfähigen Anschriften der Zeugen … … und … …
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einvernahme des Zeugen … … Zum Inhalt der Zeugenaussage wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14. November 2022 Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren, den Verfahren M 8 K 18.3120, M 9 S 18.3230 und M 9 S 18.3233 sowie die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Bescheid der Beklagten vom 24. Mai 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Die Untersagung einer von Wohnnutzung abweichenden Nutzung in Ziff. 1 des Bescheids - näher konkretisiert durch Ziff. 2 des Bescheids - kann sich in rechtmäßiger Weise auf Art. 3 Abs. 2 des Gesetzes über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZwEWG) vom 10. Dezember 2007 (GVBl. S. 864, BayRS 2330-11-I), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. Juni 2017 (GVBl. S. 182) i.V.m. § 13 Abs. 2 der Satzung über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum i. d. F. d. Bek. vom 11. Dezember 2017, MüABl. S. 494 (ZeS) stützen, da die gewerbliche Nutzung der Einheit eine Zweckentfremdung von Wohnraum darstellt (Art. 1 Satz 2 Nr. 1 ZwEWG i.V. m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZeS)
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1.1 Die Nennung von Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 und 2 LStVG i.V. m. Art. 2, 3 ZwEWG als Rechtsgrundlage in den Bescheidsgründen, anstelle des im Zeitpunkt des Bescheidserlasses bereits neu geschaffenen Art. 3 Abs. 2 ZwEWG ist unschädlich, da die Ermächtigungsgrundlage ausgewechselt werden kann, wenn sich damit die rechtlichen Voraussetzungen nicht ändern (vgl. VG München, B.v. 19.7.2018 - M 9 S 17.4322 - juris; U.v. 17.1.2018 - M 9 K 17.4360 - juris m. w. N.). Ein solcher Fall liegt hier vor, insbesondere eröffnen beide Regelungen der Behörde ein Ermessen innerhalb des gleichen Ermessensspielraums und sind auf das gleiche Ziel gerichtet. Die Wahl der Rechtsgrundlage ist daher ohne Einfluss auf die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der streitgegenständlichen Anordnung. Es obliegt dem Gericht, die die Anordnung tragende Rechtsgrundlage zu prüfen (BVerwG, B.v. 29.7.2019 - 2 B 18.18 - BeckRS 2019, 21806 Rn. 17).
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1.2 Die Einheit stellt Wohnraum im Sinne von Art. 1 Satz 1 ZwEWG, § 3 Abs. 1, Abs. 2 ZeS dar.
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Bei der streitgegenständlichen Einheit handelt(e) es sich seit Fertigstellung um Wohnraum im Sinne von Art. 1 Satz 1 ZwEWG, § 3 Abs. 1, Abs. 2 ZeS, der nach Aktenlage durch die Vermietung ab 1988 erstmals und perpetuiert durch die Vermietung an die Klägerin (seit 2000) zweckfremd genutzt wurde.
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Nach § 3 Abs. 1, Abs. 2 ZeS sind Wohnraum sämtliche Räume, die zu Wohnzwecken objektiv geeignet und subjektiv bestimmt sind. Objektiv geeignet sind Räume dann, wenn sie die Führung eines selbstständigen Haushalts ermöglichen; die subjektive Bestimmung (erstmalige Widmung oder spätere Umwidmung) trifft der/die Verfügungsberechtigte ausdrücklich oder durch nach außen erkennbares schlüssiges Verhalten.
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Der objektiven Eignung steht nicht zuletzt nach der Fotodokumentation auf Bl. 16 ff. d. BA nichts entgegen. Gegenteiliges hat die Klägerin nicht vorgetragen.
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Die subjektive (Zweck-) Bestimmung trifft der/die Verfügungsberechtigte ausdrücklich oder durch nach außen erkennbares schlüssiges Verhalten. Die ausdrückliche Zweckbestimmung durch den Bauherrn liegt dabei zumeist im Antrag auf Baugenehmigung (vgl. BayVGH, U.v. 1.12.1997 - 24 B 95.3612 - juris; VG München, B.v. 19.7.2018 - M 9 S 17.4322 - juris; U.v. 29. März 2017 - M 9 K 15.3795 - juris; VG Berlin, B.v. 2.8.2017 - 6 L 510.17 - juris). Durch einfachen Sinneswandel, der nicht durch einen nach außen erkennbaren und auf Dauer angelegten Umwidmungsakt umgesetzt wird, ändert sich die subjektive Zweckbestimmung nicht; als derartige Umsetzungs- bzw. Umwidmungsakte kommen beispielsweise die Einreichung eines baurechtlichen Änderungsantrags (Tektur) oder aber auch tiefgreifende Umbaumaßnahmen in Betracht, die eine Wohnnutzung nicht mehr zulassen.
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Ein entsprechendes Verhalten haben weder die Klägerin noch ihre Vermieterin oder deren Rechtsvorgänger vorliegend an den Tag gelegt.
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Tiefgreifende Umbaumaßnahmen, die eine Wohnnutzung nicht mehr zuließen, wurden weder behauptet noch sind sie aus dem Verwaltungsvorgang ersichtlich. Das (Bau-) Antragsverhalten und die Genehmigungslage sind ebenso eindeutig: Ausgehend von der Tektur aus 1963, die als Nutzung (Dauer-) Wohnen ausweist, wurden die Räumlichkeiten auch auf dem Aufteilungsplan vom 26. November 1985 und auf dem unter dem 30. September 1988 gestempelten Tekturplan als Wohnraum dargestellt. Die Bleistifteintragungen im letztgenannten Tekturplan sind unbeachtlich, relevant wären nur im Wege der Rotrevision erfolgte Änderungen. Auch der zwischenzeitlich - im Jahr 1983 - eingereichte Bauantrag auf nachträgliche Genehmigung des Dachausbaus stellt Einheit 47 unmissverständlich als Maisonette dar und weist eine Wohnfläche von > 312 m² aus (vgl. die Bauzeichnung als Bestandteil der Baugenehmigung vom 16. September 1983, Bl. 79 ff. d. Gerichtsakts). Bau- oder zweckentfremdungsrechtliche Anträge auf Nutzungsänderung in Gewerbe wurden weder vor noch nach 1972 gestellt.
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1.3 Der Ausnahmetatbestand des § 3 Abs. 3 Nr. 2 ZeS greift nicht ein.
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Nach § 3 Abs. 3 Nr. 2 ZeS liegt Wohnraum nicht vor, wenn der Raum bereits seit vor dem Inkrafttreten des Verbots am 1. Januar 1972 und seitdem ohne Unterbrechung anderen als Wohnzwecken diente. Eine solche, schon vor dem 1. Januar 1972 und seitdem ohne Unterbrechung stattfindende gewerbliche Nutzung der Einheit Nr. 47 liegt nach dem Ergebnis der gerichtlichen Beweisaufnahme indes nicht vor.
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1.3.1 Eine durchgehende Wohnnutzung der gesamten Einheit Nr. 47 bis ins Jahr 1972 und darüber hinaus wurde insbesondere durch die Zeugenaussage von Herrn … … … … (im Folgenden: „Zeuge“) in der mündlichen Verhandlung des Gerichts bestätigt.
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Bei dem 1953 geborenen Zeugen handelt es sich um den Sohn des früheren Eigentümers der Einheit Nr. 47, Herrn … … … … (geboren 1932). Er hat die Wohnung mit seinem Bruder und seinem Vater ab 1961 bewohnt. Dies ergibt sich sowohl aus seiner Zeugenaussage als auch aus den Meldedaten der Beklagten (Bl. 97 BA; 12.04.1961 bis 01.05.1984). Der Zeuge hat angegeben, dass er die Einheit Nr. 47 bis 1972 durchgehend und bis 1979 mit Unterbrechungen infolge Wehrdienst und Studium als Hauptwohnsitz genutzt habe. Es handelte sich um die Familienwohnung, in der der Zeuge zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder aufgewachsen sei. Der Zeuge hat bei seiner Vernehmung im Rahmen der mündlichen Verhandlung nach Vorlage des dem streitgegenständlichen Bescheid beigegebenen Plans aus der Baugenehmigung von 1963 bestätigt, dass die dort dargestellte Raumaufteilung derjenigen entspreche, die während seiner Wohndauer tatsächlich vorhanden gewesen sei. Zudem hat er für alle im Plan dargestellten Räume die Nutzung benannt und klargestellt, dass eine Wohnnutzung stattgefunden habe. Die Wohnung sei von seinem Vater nur sporadisch für einzelne Besprechungen genutzt worden. Es seien dort keine Mitarbeiter der Firma „Möbel …“ dauerhaft tätig gewesen, nachdem sich die Verwaltung dieser Firma im 1. Obergeschoss des Anwesens befunden habe. Er hat auch eine gewerbliche Nutzung anderer Bereiche des 6. und 7. Obergeschosses des Anwesens verneint. Vielmehr hat er klargestellt, dass die benachbarte Wohnung durch seine Großmutter (Frau …), genutzt worden sei und die Räume im 7. Obergeschoss, die über die Treppe in der Wohnung zugänglich gewesen seien, zum Teil von Hausangestellten zum Teil als Gästezimmer oder zusätzliche Wohnräume seines Bruders genutzt worden seien. Allenfalls Anfang der achtziger Jahre könne es dazu gekommen sein, dass der Vater des Zeugen in der Wohnung auch in größeren Umfang geschäftlich tätig gewesen sei.
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Angesichts dieser Zeugenaussage ist das Gericht überzeugt, dass die Einheit Nr. 47 vor dem 1. Januar 1972 nicht gewerblich genutzt wurde, die Raumaufteilung der Darstellung in dem dem Bescheid beigegebenen Plan aus dem Jahr 1963 entsprach und auch bis 1979 keine überwiegende gewerbliche Nutzung der Einheit stattgefunden hat.
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Es besteht kein Grund an der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu zweifeln. Insbesondere ist dieser frei von Interessen an dem Ausgang des Rechtsstreits. Es bestehen weder zivilrechtliche Verpflichtungen noch persönliche Verbindungen zu den Parteien.
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Die von ihm geschilderten Tatsachen sind in besonderer Weise glaubhaft. Dies ergibt sich zunächst daraus, dass die Schilderung der Nutzung der Wohnung Ergebnis eines zentralen täglichen Erlebens des Zeugen ist. Bei der Nutzungsart der Wohnung in der der Zeuge aufgewachsen ist, handelt es sich - anders als bei einem Einzelereignis - nicht um einen Sachverhalt, von dem er nur beiläufig Kenntnis erlangt hat. Vielmehr ist die geschilderte Nutzung eine sich ständig wiederholende Erfahrung mit zentraler Bedeutung für die Lebensführung. Obwohl der Zeitraum lange Zeit zurückliegt, bestehen deshalb keinerlei Bedenken, dass die Erinnerung des Zeugen nicht zutreffen könnte. Der Zeuge hat die Glaubhaftigkeit seiner Angaben auch dadurch bestätigt, dass er die jeweiligen Fragen ohne Zögern oder größeres Überlegen eindeutig beantworten konnte und die Antworten auch auf Nachfragen mit größter Überzeugung vertreten hat.
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An der Richtigkeit der Angaben des Zeugen ist auch nicht aufgrund des Schreibens seines Vaters Herrn … … vom 15. März 1991 zu zweifeln (Bl. 76 BA). In diesem Schreiben wird ausgeführt, die Einheit Nr. 47 sei von 1960 bis 1984 gewerblich genutzt worden und es hätten sich dort zwei Büros und ein Besprechungsraum befunden. Der Zeuge hat zu dem Schreiben erklärt, dass die Aussage, es seien von 1960 bis 1984 zwei Büros mit Mitarbeitern und ein Besprechungsraum installiert gewesen, falsch sei. Nachdem der Urheber des Schreibens vom 15. März 1991 nicht mehr dazu befragt werden kann, spricht bei einer Würdigung der Beweiskraft der widersprüchlichen Angaben alles dafür, dass die Angaben des Zeugen zutreffen. Für den Zeugen gab es keine Veranlassung unrichtige Aussagen zur Nutzung der Einheit Nr. 47 zu machen. Demgegenüber hatte die Einholung der Auskunft bei seinem Vater im Jahr 1991 das Ziel, eine gewerbliche Nutzung der Einheit zu bestätigen (vergleiche Schreiben des Maklers … … vom 8.12.2015; Behördenakte Bl. 71). Es liegt daher nahe, dass die Aussage im Schreiben vom 15. März 1991 eine Gefälligkeit darstellt, um die Fortführung einer bereits aufgenommenen gewerblichen Nutzung zu ermöglichen. Im Vergleich zur gerichtlichen, mit Strafandrohung für den Fall der Falschaussage belegten Zeugenaussage, kann der Beweiswert dieses Schriftstücks die klare Erklärung des Zeugen nicht infrage stellen. Dass der Zeuge trotz der damit verbundenen Bezichtigung des Vaters, dieser habe eine unrichtige Angabe gemacht, bei Vorhalt ohne Zögern bei seiner Aussage geblieben ist, spricht zudem für deren Richtigkeit.
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1.3.2 Die Aussage des Zeugen wird darüber hinaus durch die Aktenlage bestätigt. Auch diese dokumentiert die durchgehende Nutzung als Wohnraum seit Errichtung bis 1972 und darüber hinaus bis zur Aufgabe der Nutzung durch die Familie … im Jahr 1984.
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Sämtliche der Beklagten vorliegenden Baugenehmigungen, insbesondere die Tekturgenehmigung vom 17. Juli 1963, sehen als Nutzungsart eine reine Wohnnutzung vor. Entgegen der Behauptung der Klägerseite wurde die Baugenehmigung vom 17. Juli 1963 nach der glaubhaften Angabe des Zeugen sowohl hinsichtlich der Raumaufteilung umgesetzt als auch von Beginn an nicht etwa eine gewerbliche, sondern ausschließliche Wohnnutzung aufgenommen. Erst nach dem Auszug der Familie … kam es unstrittig zu einem Leerstand von 1984 bis 1990 und anschließend zur bis heute ausgeübten gewerbliche Nutzung. Sowohl die Baugenehmigung vom 16. September 1983, als auch die Baukontrolle vom 21. Oktober 1983 und der Aufteilungsplan vom 26. November 1985 bestätigen die vorhandene Wohnnutzung.
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Bei dem Vortrag der Klägerseite, die Wohnung sei in dem Umfang, wie in dem Tekturplan … aus dem Jahr 1960 durch farbliche Markierung dargestellt, durchgehend überwiegend gewerblich genutzt worden, handelt es ich demgegenüber um eine reine Mutmaßung. Eine Raumaufteilung wie sie von der Klägerin in dem Tekturplan … aus dem Jahr 1960 dargestellt ist, hat nach der glaubhaften Aussage des Zeugen nicht bestanden. Vielmehr hat dieser unter Benennung der einzelnen Raumnutzung erläutert, dass die Räume entsprechend der Tekturgenehmigung von 1963 eingeteilt waren und insbesondere der im Tekturplan … als Küche der Wohnung der Großmutter (Frau …) zugeschlagene Raum als Arbeitszimmer und Teil der streitgegenständlichen Wohnung genutzt wurde.
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Im Einverständnis mit den Parteien hat das Gericht auf eine Einvernahme des zunächst geladenen Zeugen … … verzichtet und den diesbezüglichen Beweisbeschluss aufgehoben. Nachdem der Zeuge … … über keine eigene Kenntnis der Wohnungsnutzung in der Zeit vor dem Auszug der Familie … verfügt und bereits für den Zeitraum vor 1984 keine gewerbliche Nutzung bestätigt werden konnte, waren die bereits in den Akten dokumentierten Aussagen über die Vorgänge nach dem Auszug der Familie … nicht mehr entscheidungserheblich.
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Nachdem eine gewerbliche Nutzung der Einheit Nr. 47 nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme weder durch eine nach außen erkennbare subjektive Zweckbestimmung noch vor 1972 und danach durchgehend feststellbar ist, stellt sich die von den Parteien diskutierte Frage, ob eine gewerbliche Nutzung gegebenenfalls untergeordnet war, nicht mehr.
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1.4 Die Einheit wurde - was Tatbestandsvoraussetzung von Art. 1 Satz 2 Nr. 1 ZwEWG i.V. m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZeS ist - zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses und wird auch gegenwärtig noch überwiegend bzw. vollständig gewerblich genutzt, was durch die Ermittlungen der Beklagte belegt und im Übrigen zwischen den Beteiligten unstreitig ist.
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1.5. Ein Tatbestand für eine Ausnahmegenehmigung ist nicht ersichtlich.
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1.6 Der Bescheid wurde zu Recht an die Klägerin als Handlungsstörerin gerichtet, Art. 9 Abs. 1 Satz 1 LStVG.
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2. Die Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des Bescheids ist nicht zu beanstanden. Angesichts der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist die dort genannte Frist nach Rechtskraft dieses Urteils neu zu bestimmen.
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3. Die Klägerin hat als unterlegene Partei gem. § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO