Titel:
Ausweisung wegen schwerer Straftat
Normenkette:
AufenthG § 11 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1, § 53 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, Abs. 3a, Abs. 4, § 54 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 1b
Leitsatz:
Bei der Bezugnahme des § 53 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 AufenthG auf Abs. 3 der Vorschrift handelt es sich um ein Redaktionsversehen. Der Sache nach gemeint ist die Bezugnahme auf Abs. 3a. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausweisung, Hellipischer Staatsangehöriger, Erhebliche Straffälligkeit, Betäubungsmittelkriminalität, Asylfolgeantrag, Einreise- und Aufenthaltsverbot, Befristung, erhebliche Straffälligkeit, Wiederholungsgefahr
Fundstelle:
BeckRS 2022, 38058
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen seine Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland.
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Er ist pakistanischer Staatsangehöriger, wurde 1991 in …, …, geboren und reiste eigenen Angaben zufolge erstmals am 21. August 2015 in das Bundesgebiet ein, nachdem er zuvor bereits in Griechenland erfolglos ein Asylverfahren betrieben hatte. Sein beim Bundesamt für Migration (Bundesamt) gestellter Asylantrag wurde mit Bescheid vom 11. August 2017 als unzulässig abgelehnt. Klage- und Eilverfahren blieben erfolglos (M 23 K 17.47473 und M 23 S 17.47474). Seit dem 21. April 2017 ist der Kläger im Besitz einer fortlaufend verlängerten Duldung. Eine Aufenthaltsbeendigung erfolgte mangels Vorliegens von Reisedokumenten bislang nicht. Der Kläger wurde in der Folge mehrfach auf seine Passpflicht hingewiesen und zur Passbeschaffung aufgefordert.
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In den Jahren 2016 bis 2022 trat der Kläger im Bundesgebiet strafrechtlich wie folgt in Erscheinung:
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- Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Freising vom 21. Dezember 2016 wurde der Kläger wegen Hausfriedensbruchs zu einer Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen zu je 10,00 Euro verurteilt, da er sich trotz Hausverbots in einer Asylbewerberunterkunft aufgehalten hatte (5 Cs 311 Js 38051/16).
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- Mit Urteil des Amtsgerichts Freising vom 30. Mai 2017 wurde der Kläger wegen Hausfriedensbruchs zu einer Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen zu je 10,00 Euro verurteilt, da er sich trotz Hausverbots in einer Asylbewerberunterkunft aufgehalten hatte (4 Ds 311 Js 12432/17).
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- Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Erding vom 31. Oktober 2019 wurde der Kläger wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe in Höhe von 150 Tagessätzen zu je 20,00 Euro verurteilt (Cs 311 Js 24018/19).
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- Mit weiterem Strafbefehl des Amtsgerichts Erding vom 5. Dezember 2019 wurde der Kläger wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe in Höhe von 15 Tagessätzen zu je 10,00 Euro verurteilt (Cs 503 Js 39885/19).
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- Mit staatsanwaltschaftlicher Verfügung vom 17. März 2020 wurde in einem Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen fahrlässiger Brandstiftung nach § 154 Abs. 1 StPO von einer Verfolgung der Tat abgesehen.
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- Mit Urteil des Amtsgerichts Landshut vom 11. November 2020 (Az. 01 Ls 503 Js 4296/20) wurde der Kläger wegen gewerbsmäßiger unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige in einem minder schweren Fall, des gewerbsmäßigen unerlaubten Handelstreibens mit Betäubungsmitteln in 18 tatmehrheitlichen Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln, des vorsätzlichen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln und des unerlaubten Aufenthalts ohne Pass zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Der Kläger hatte zwischen dem 7. Februar 2020 und dem 10. März 2020 in 18 Fällen Marihuana an Dritte verkauft und übergeben. In einem Fall erfolgten Verkauf und Übergabe an eine minderjährige Person. Ferner hatte der Kläger mit einem anderweitig Verfolgten am 6. April 2020 147,8 Gramm Marihuana von einer dritten Person erworben. Zudem hielt er sich im Bundesgebiet auf, ohne seine Passpflicht zu erfüllen.
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Der Kläger war in diesem Zusammenhang am 6. April 2020 vorläufig festgenommen worden und befand sich vom 7. April 2020 bis zum 24. Mai 2020 in Untersuchungshaft. Nach Außervollzugsetzung des Untersuchungshaftbefehls mit Beschluss des Amtsgerichts Landshut vom 9. Juni 2020 verbüßte der Kläger vom 25. Mai 2020 bis zum 25. Oktober 2020 Ersatzfreiheitsstrafen aus den Verurteilungen durch das Amtsgericht Erding vom 31. Oktober 2019 und vom 5. Dezember 2019. Am 25. Oktober 2020 wurde der Kläger zunächst aus der Haft entlassen.
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Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Landshut vom 11. November 2020 wurde mit Urteil des Landgerichts Landshut vom 15. April 2021 (Az. 2 Ns 503 Js 4296/20) mit der Maßgabe verworfen, dass die Verurteilung wegen vorsätzlichen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln entfiel und der Kläger zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt wurde. Das Urteil enthält die Feststellung, dass die Sozialprognose des Klägers besonders negativ sei.
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Die Haftstrafe aus dieser Verurteilung trat der Kläger zunächst nicht an. Am 1. Juli 2021 wurde er polizeilich festgenommen und zum Zwecke der Verbüßung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Landshut in die JVA Landsberg verbracht. Das Haftende ist für den 12. Mai 2023 vorgesehen.
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Mit Schreiben vom 4. Oktober 2021 wurde der Kläger vom Landratsamt E. zu seiner beabsichtigten Ausweisung angehört. Er äußerte sich hierzu mit Schreiben vom 16. Oktober 2021 und brachte vor, dass in … eine mächtige Familie hinter ihm her sei und nach seinem Leben trachte. Eine Abschiebung dorthin sei daher ausgeschlossen, da Lebensgefahr bestehe. Kurz nach seiner Entlassung werde er die Bundesrepublik Deutschland freiwillig in Richtung Portugal verlassen.
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Mit Bußgeldbescheid des Hauptzollamts L. vom 17. Januar 2022 wurde gegen den Kläger wegen Ausübung einer Beschäftigung ohne eines hierzu berechtigenden Aufenthaltstitels eine Geldbuße in Höhe von 100,00 Euro festgesetzt.
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Mit weiterem Schreiben vom 18. Januar 2022 teilte der Kläger mit, auf jeden Fall in Europa bleiben zu wollen. Wenn er seinen Reisepass bei den Behörden vorlege, müsse er in seine Heimat zurückkehren, was er nicht wolle. Er habe seine Taten eingesehen und wolle nie wieder eine Straftat begehen. Er habe Verwandte in Portugal und wolle daher dorthin gehen.
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Mit Schreiben vom 26. Januar 2022 forderte das Landratsamt E. den Kläger auf, bis spätestens 1. Februar 2022 mitzuteilen, wo sich sein Reisepass befinde und dessen Vorlage zu veranlassen. Hierauf erklärte der Kläger mit Schreiben vom 27. Januar 2022, dass die Gültigkeitsdauer seines Reisepasses abgelaufen sei und er diesen auch nicht mehr im Besitz habe.
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Mit Bescheid vom 29. März 2022, dem Kläger übergeben am 31. März 2022, wurde der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Nr. 1) und „das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 6 Jahre ab dem Tag der Ausreise befristet“ (Nr. 2). Zur Begründung führte das Landratsamt E. im Wesentlichen aus, dass die Ausweisung auf § 53 Abs. 1 AufenthG beruhe. Bei dem Kläger liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vor, da er zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden sei und der Verurteilung zudem eine Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz zugrunde gelegen habe. Ein normiertes Bleibeinteresse bestehe nicht. Die Abwägung ergebe, dass das Ausweisungsinteresse deutlich überwiege. Der Kläger habe keine Familie im Bundesgebiet und sei in … geboren. Eine Rückkehr nach … und dortige Eingliederung sei dem Kläger zumutbar. Der illegale Drogenhandel gehöre zum Bereich der besonders schweren Kriminalität. Der Schutz der Bevölkerung vor Betäubungsmitteln stelle ein Grundinteresse der Gesellschaft dar. Hinsichtlich der weiteren Begründung wird auf den Bescheid verwiesen.
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Gegen diesen Bescheid hat der Kläger beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am 26. April 2022 Klage erheben lassen mit dem Antrag,
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den Bescheid vom 29. März 2022 aufzuheben.
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Gleichzeitig beantragt er, die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen (M 27 S 22.2309). Eine Klage- und Antragsbegründung erfolgten nicht.
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Das Landratsamt E. hat am 17. Mai 2022 die Behördenakten vorgelegt und beantragt für den Beklagten,
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Zur Begründung wird auf den streitgegenständlichen Bescheid verwiesen.
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Am 5. September 2022 legte das Landratsamt E. die Restakte vor. Hieraus geht hervor, dass der Kläger beim Bundesamt am 19. Juli 2022 einen Asylfolgeantrag gestellt hat, welcher mit Bescheid des Bundesamts vom 2. September 2022, dem Kläger ausgehändigt am 8. September 2022, als unzulässig abgelehnt wurde (Nr. 1). Ferner wurden der Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 11. August 2017 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG abgelehnt (Nr. 2) sowie ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG angeordnet und auf 12 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet (Nr. 3). Gegen diesen Bescheid hat der Kläger beim Verwaltungsgericht München am 22. September 2022 Klage erhoben (M 23 K 22.31890) und einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt (M 23 S 22.31891), über welche noch nicht entschieden ist. Im Asylfolgeverfahren hat der Kläger angegeben, bereits in Griechenland begonnen zu haben, Cannabis zu konsumieren. In Deutschland seien noch Kräutermischungen hinzugekommen. Er habe bereits einen Therapieplatz und eine Kostenzusage der Krankenkasse. Er habe Angst, noch weiter in die Drogensucht abzurutschen, wenn er nach … zurückkehre. Seit einem Jahr nehme er keine Drogen mehr. Wenn er keinen Therapieplatz erhalte, werde er weiter Drogen nehmen.
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Ferner findet sich in der Restakte eine Beurteilung des Haftverhaltens des Klägers durch die Justizvollzugsanstalt … vom 28. Juli 2022, welche u.a. die Feststellung enthält, dass der Kläger am 22. März 2022 unerlaubte Substanzen konsumiert habe.
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Der Klägerbevollmächtigte teilte mit Schriftsatz vom 8. November 2022 mit, dass er an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde.
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Die mündliche Verhandlung fand am 17. November 2022 statt. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf das Protokoll vom selben Tag verwiesen.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte, die beigezogenen Akten im Asylfolgeverfahren des Klägers (M 23 K 22.31890, M 23 S 22.31891) sowie die beigezogene Strafakte (Az. 01 Ls 503 Js 4296/20) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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I. Das Gericht konnte den Rechtsstreit trotz Ausbleibens der Klägerseite verhandeln und entscheiden, da der Kläger ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen wurde, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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II. Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Bescheid des Beklagten vom 29. März 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO).
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1. Die in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides verfügte Ausweisung des Klägers ist zum für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. insoweit BVerwG v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12) rechtmäßig.
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a) Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Bei der vorzunehmenden Abwägung sind gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsland oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.
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Die von § 53 Abs. 1 AufenthG vorausgesetzte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch den Kläger ist nach Auffassung des Gerichts gegeben. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei einer spezialpräventiven Ausweisungsentscheidung und ihrer gerichtlichen Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (Vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob die Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U.v. 28.6.2016 - 10 B 13.1982 - juris Rn. 32 m.w.N.; B.v. 2.11.2016 - 10 ZB 15.2656 - juris Rn. 10 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris Rn. 18; BayVGH, U.v. 8.3.2016 - 10 B 15.180 - juris Rn. 31).
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Es muss mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden, dass der Kläger erneut Straftaten begehen wird und er damit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt. Anlass für die von dem Beklagten verfügte Ausweisungsentscheidung war die Verurteilung des Klägers durch das Landgerichts Landshut wegen erheblicher Betäubungsmitteldelikte. Gerade der illegale Handel mit Betäubungsmitteln ist regelmäßig mit hoher krimineller Energie verbunden und birgt schwerwiegende Gefahren für Leben und Gesundheit anderer Menschen in sich. Er stellt ein großes Übel für den Einzelnen und eine soziale und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit dar (EuGH, U.v. 23.11.2010 - C 1145/09 Tsakouridis - juris Rn. 47; BVerwG, U. v. 13.10.2012 - 1 C 20/11 - juris Rn. 19). Da der Schutz vor derartigen Delikten eine wichtige Aufgabe des Staates ist und ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. EGMR, U.v. 19.3.2013 - 45971/08 - juris Rn. 47), sind an die Wahrscheinlichkeit eines künftigen Schadenseintritts im vorliegenden Fall geringere Anforderungen zu stellen.
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Zwar hat der Kläger die zuletzt abgeurteilten Taten im Verfahren vor dem Amtsgericht Landshut zum Teil, im Berufungsverfahren vor dem Landgericht Landshut dann vollständig gestanden. Der Kläger ist vor dieser Verurteilung jedoch bereits vielfach, auch einschlägig, straffällig geworden. Die strafgerichtlichen Verurteilungen konnten ihn nicht davon abhalten, weitere Straftaten zu begehen. Das Landgericht Landshut hat in seinem Urteil vom 15. April 2021 zudem festgestellt, dass die Sozialprognose des Klägers besonders negativ ist.
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Nach den Feststellungen des Landgerichts Landshut konsumiert der Kläger ferner auch selbst Marihuana. Das Amtsgericht Landshut ging in seinem Urteil vom 11. November 2020 davon aus, dass der Kläger die Betäubungsmitteldelikte auch beging, um sich für den Eigenkonsum Drogen zu beschaffen. Zudem hat der Kläger in seiner Anhörung durch das Bundesamt im Asylfolgeverfahren erklärt, unter anderem eine Suchttherapie zu benötigen und im Falle einer Rückkehr nach … zu befürchten, noch weiter in die Drogensucht abzurutschen. Die weitere Aussage des Klägers gegenüber dem Bundesamt, seit einem Jahr drogenfrei zu leben, lässt die konkrete Wiederholungsgefahr angesichts dieser Gesamtumstände nicht entfallen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt … vom 28. Juli 2022, wonach der Kläger während seiner Inhaftierung unerlaubte Substanzen konsumiert hat. In einer derartigen Konstellation kann von einem Wegfall der konkreten Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Kläger nicht eine Therapie erfolgreich abgeschlossen und darüber hinaus die damit verbundene Erwartung künftigen drogen- und straffreien Verhaltens auch nach dem Therapieende glaubhaft gemacht hat (vgl. BayVGH, B.v. 3.11.2022 - 19 ZB 22.1681; B.v. 10.4.2014 - 10 ZB 13.71 - juris Rn. 6 m.w.N.).
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b) Im vorliegenden Fall findet ergänzend § 53 Abs. 4 AufenthG Anwendung. Nach dieser Vorschrift kann ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes abgeschlossen wird. Dies trifft auf den Kläger zu; er hat am 19. Juli 2022 beim Bundesamt einen Folgeantrag gestellt. Auch der Folgeantrag ist als Asylantrag im Sinne von § 54 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu betrachten (VGH BW, U.v. 15.4.2021 - 12 S 2505/20 - juris Rn. 81 ff. m.w.N.).
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Die streitgegenständliche Ausweisung des Klägers wurde zwar nicht bedingt verfügt. Von der Bedingung konnte vorliegend jedoch nach § 53 Abs. 4 Satz 2 AufenthG abgesehen werden. § 53 Abs. 4 Satz 2 AufenthG regelt zwei Fallgestaltungen, in welchen trotz Vorliegens eines Asylantrags die in § 53 Abs. 4 Satz 1 AufenthG für diesen Fall vorgeschriebene Bedingung entbehrlich ist. Dies ist zum einen der Fall, wenn eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist (§ 53 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 AufenthG), zum anderen, wenn ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3 eine Ausweisung rechtfertigt (§ 54 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1).
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Die Voraussetzungen des § 53 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AufenthG sind vorliegend erfüllt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Bezugnahme dieser Bestimmung auf Absatz 3 um ein Redaktionsversehen handelt. Der Sache nach gemeint ist die Bezugnahme auf Abs. 3a (VGH BW U.v. 15.4.2021 - 12 S 2505/20 - juris Rn. 102 -108 m.w.N.).
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Die Ausweisung des Klägers ist auch unter Berücksichtigung des erhöhten Maßstabs des § 53 Abs. 3a AufenthG rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 53 Abs. 3a AufenthG sind vorliegend erfüllt. Nach dieser Vorschrift darf eine Ausweisung nur erfolgen, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eine terroristische Gefahr anzusehen ist oder er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt, weil er wegen einer schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde.
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aa) Der Kläger wurde wegen einer schweren Straftat rechtskräftig verurteilt. Eine Verurteilung wegen einer schweren Straftat im Sinne von § 53 Abs. 3a Var. 3 AufenthG ist nicht immer schon dann anzunehmen, wenn eine Bestrafung vorliegt, die ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 AufenthG begründet. Typischerweise sind beachtliche schwere Straftaten etwa Vergewaltigung, Drogenhandel, versuchter Mord, schwerer Raub und schwere Körperverletzung (OVG Magdeburg, B.v. 27.1.2021, a.a.O., juris Rn. 30). Allerdings entbindet die Begehung einer solchen Straftat nicht von der Prüfung, ob die kriminelle Handlung im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend zu betrachten ist (OVG Magdeburg, B.v 27.1.2021, a.a.O., juris Rn. 30; vgl. VGH BW, U.v. 15.4.2021, a.a.O., juris Rn. 121).
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Der Kläger ist in der Vergangenheit in erheblichem Umfang strafrechtlich in Erscheinung getreten. Bei der von dem Kläger zuletzt begangenen Straftat handelt es sich um eine schwere Straftat im Sinne von § 53 Abs. 3a Var. 3 AufenthG. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang nicht nur, dass der Verurteilung eine Vielzahl von Geschäften mit Betäubungsmitteln zugrunde lag, weshalb das Strafgericht ein gewerbsmäßiges Handeln angenommen hat, sondern auch, dass die Abgabe in einem Fall an einen Minderjährigen, mithin eine Person, die einem besonders schützenswerten Personenkreis zuzurechnen ist, erfolgt ist.
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bb) Der Kläger ist auch eine Gefahr für die Allgemeinheit im Sinne von § 53 Abs. 3a Var. 3 AufenthG. Es muss nach dem Gesamtbild des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden, dass er erneut vergleichbare Straftaten begehen wird und damit gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist - den völker- und unionsrechtlichen Vorgaben entsprechend - klargestellt, dass die Gefahr von dem Ausländer selbst ausgehen muss („er“), eine Ausweisung nach § 53 Abs. 3a AufenthG mithin nur aus spezialpräventiven, nicht aber aus generalpräventiven Gründen möglich ist (OVG Magdeburg, B.v. 27.1.2021 - 2 M 101/20 - juris Rn. 30 m.w.N).
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Gemessen an diesen rechtlichen Vorgaben besteht zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt zur Überzeugung der Kammer eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger die öffentliche Sicherheit und Ordnung erneut durch vergleichbare Straftaten beeinträchtigen wird. Die in spezialpräventiver Hinsicht erforderliche Wiederholungsgefahr ist zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung unter Bezugnahme auf obige Ausführungen gegeben.
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c) Die vorzunehmende Abwägung des Ausreiseinteresses mit dem Bleibeinteresse des Klägers ergibt ein Überwiegen des Ausreiseinteresses. Das Ausweisungsinteresse gegenüber dem Kläger wiegt besonders schwer gemäß 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, da dieser zuletzt durch das Landgericht Landshut rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden war. Zudem ist § 54 Abs. 1 Nr. 1b AufenthG erfüllt, da dieser Verurteilung unter anderem eine Straftat nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln zugrunde lag. Ein vertyptes Bleibeinteresse nach § 55 AufenthG ist nicht ersichtlich, insbesondere verfügt der Kläger über keine familiären Bindungen im Bundesgebiet. Tiefgreifende, durch den Ausweisungsanlass nicht zu rechtfertigende Eingriffe auf soziale, insbesondere familiäre sowie wirtschaftliche Bindungen des Klägers im Bundesgebiet liegen nicht vor. Es ist auch davon auszugehen, dass dem Kläger eine Reintegration in … gelingen wird. Er kam erst im Alter von 24 Jahren nach Deutschland. Seine Eltern und seine Geschwister leben nach wie vor in seinem Heimatland. Das allgemeine Interesse des Klägers an einem Verbleib im Bundesgebiet hat vorliegend daher unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer Ausreise des Klägers zurückzustehen.
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Im Übrigen verweist die Kammer nach § 117 Abs. 5 VwGO auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids.
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2. Die in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids erfolgte Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf sechs Jahre ab der Ausreise ist ebenfalls rechtmäßig. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die seit 21. August 2019 gültige Neufassung des § 11 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG (Gesetz vom 15.8.2019, BGBl I S. 1294), wonach ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gesondert angeordnet werden muss, nichts daran ändert, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur früheren Rechtslage in einer behördlichen Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG a.F. regelmäßig auch die Verhängung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots von bestimmter Dauer zu sehen ist (vgl. BVerwG, U.v. 21.8.2018 - 1 C 21.17 - juris Rn. 25; BayVGH, B.v. 11.9.2019 - 10 C 18.1821 - juris Rn. 13 m.w.N.; BayVGH, B.v. 17.12.2019 - 9 ZB 19.34094 - juris Rn. 8).
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Ermessensfehler im Sinne von § 114 VwGO sind nicht ersichtlich. Die behördliche Entscheidung hält sich in dem von § 11 Abs. 3 AufenthG festgelegten Rahmen. Auch insoweit sieht das Gericht im Übrigen entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
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III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).