Titel:
erfolgreiche Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Pakistan - Einzelfall)
Normenketten:
AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3a Abs. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2, § 3c Nr. 3, § 3e Abs. 1
Qualifikations-RL Art. 4 Abs. 4
Leitsatz:
Es spricht - vor dem Hintergrund staatlicher oder gesellschaftlicher Machtausübung und Herrschaftskontrolle - einiges dafür, dass sich Angehörige der organisierten Kriminalität als Verfolger im Sinne von § 3c Nr. 3 AsylG in genereller politischer Gegnerschaft mit der pakistanischen Polizei bzw. dem pakistanischen Staat sehen und die pakistanische Polizei nicht in der Lage ist, Schutz vor Verfolgung durch die organisierte Kriminalität zu gewähren. (Rn. 35 – 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylrecht (Pakistan), Vorverfolgung vor Ausreise (bejaht), Schusswaffenangriff auf Kläger durch vermummte Angreifer, Angriffe belegt durch Anzeigen bei der Polizei (Authentizität bejaht), Entführung des Bruders des Klägers durch organisierte Kriminalität, Vater des Klägers, Polizeibeamter, Interne Fluchtalternative in Großstadt (abgesenkter Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugunsten des Klägers infolge Vorverfolgung, im Ergebnis verneint), Flüchtlingseigenschaft, Vorverfolgung, Angriffe mit Schusswaffen, organisierte Kriminalität, interner Schutz, RL 2011/95/EU
Fundstelle:
BeckRS 2022, 38051
Tenor
I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 19. Mai 2017 wird in den Nrn. 1, 5 und 6 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger, ein pakistanischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrags vom 11. Juli 2016.
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Bei der persönlichen Anhörung zu seinem Asylantrag gem. § 25 Asylgesetz (AsylG) am 15. Dezember 2016 gab der Kläger an, dass er bzw. seine Familie von Kriminellen verfolgt werde, die nach seinem Leben trachteten. Sein Vater sei bei der Polizei tätig gewesen und habe im Rahmen seiner Arbeit viele Leute eingesperrt, die auch mit der Unterwelt zu tun hatten. Diese Leute würden sich nun an ihm rächen wollen. Sein Bruder sei bereits entführt worden. Er wisse bis heute nicht, ob er tot sei oder noch lebe. Er sei mehrmals angerufen und bedroht worden. Daraufhin habe er sein Dorf verlassen und sei nach Islamabad gegangen in der Hoffnung, dort in Ruhe leben zu können. Das sei jedoch nicht der Fall gewesen. Eines Tages habe er, als er auf dem Weg nach Hause zu seiner Mutter gewesen sei, einen Anruf bekommen, bei der eine Stimme gesagt habe: „Wir sind hinter Dir her. Wir wissen, dass du gerade auf dem Weg nach Hause bist.“ Zuvor sei bereits zweimal auf ihn geschossen worden, einmal in Garikapoora und einmal in Islamabad. In Garikapoora sei er mit einem Ingenieur auf der Straße gewesen und habe Proben vom Straßenmaterial genommen, als in ca. 40-50 Meter Entfernung ein Auto angehalten habe, vier Personen ausgestiegen und auf ihn geschossen hätten. Der Ingenieur und er seien unverletzt geblieben. In Islamabad sei er mit drei Arbeitskollegen auf der Straße gewesen. Zwei vermummte Personen seien auf Motorrädern angefahren gekommen und hätten das Feuer auf ihn eröffnet. Ein hochrangiger Arbeitskollege habe ihn gesagt, sie würden ihn früher oder später erwischen, wenn er sich weiter auf der Straße aufhalte. Der Kläger hat unter Vorlage entsprechender Unterlagen der örtlichen Polizei angegeben, die Bedrohungen und Angriffe angezeigt zu haben. Er vermute, dass Cousins die Leute, die ihn bedrohten und angriffen, unterstützen, damit diese im Falle seines Todes an das Grundstück seines Großvaters kämen.
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Mit Bescheid vom 19. Mai 2017, dem Kläger zugestellt am 23. Mai 2017, lehnte die Beklagte die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der Asylanerkennung ab (Nrn. 1 und 2) sowie des subsidiären Schutzstatus (Nr. 3) ab. Das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG wurde verneint (Nr. 4). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen; im Falle einer Klageerhebung ende die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Pakistan angedroht, wobei die Abschiebung auch in einen anderen Staat erfolgen könne, in den der Kläger einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei (Nr. 5). Das „gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot“ wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung wird ausgeführt, dass die vom Kläger geschilderten Vorfälle keiner Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a AsylG entsprächen, die gem. § 3a Abs. 3 i.V.m. § 3b AsylG an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal anknüpften. Im Übrigen wäre der Kläger, selbst bei Annahme einer Verfolgung, gem. § 3e AsylG auf internen Schutz zu verweisen. Im Übrigen wird auf die Begründung des Bescheids Bezug genommen.
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Der Kläger hat am 1. Juni 2017 gegen den Bescheid vom 19. Mai 2017 Klage erhoben und beantragt (sinngemäß),
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1. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen des subsidiären Schutzes vorliegen, weiter hilfsweise, festzustellen, dass für den Kläger Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegen, weiter hilfsweise, das Einreise- und Aufenthaltsverbot aufzuheben bzw. kürzer zu befristen.
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2. Der angefochtene Bescheid vom 19. Mai 2017 wird aufgehoben, soweit er der o.g. Verpflichtung entgegensteht.
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Zur Begründung wird mit Schriftsatz vom 27. Juni 2017 unter anderem ausgeführt, dass die Sicherheitslage nach Angaben des Auswärtigen Amts kritisch sei. Das österreichische Außenministerium habe eine partielle Reisewarnung herausgegeben. Es hätten sich brutale Anschläge ereignet, die Sicherheitslage sei insgesamt schlecht. Nach Angaben der UNO würden Polizei, Geheimdienst und Armee Menschenrechtsverletzungen begehen. Der Kläger sei Opfer des kriminellen Untergrunds. Er sei bereits Opfer von Schüssen und Drohanrufen geworden. Schwerkriminelle, die über das entsprechende Netzwerk verfügten, könnten den Kläger im ganzen Land angreifen. Da sich der Kläger nicht dauerhaft niederlassen könne, könne er seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten.
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Mit Schriftsatz vom 29. August 2017 ergänzte der Kläger sein Vorbringen dahingehend, dass er belegen könne, dass sein Neffe von der Untergrundorganisation, die auch ihn verfolgt habe, umgebracht worden sei. Auch sein großer Bruder sei inzwischen verschleppt worden. Diese Umstände habe der Kläger im Rahmen seiner Anhörung bei der Beklagten nicht vortragen können, da sie erst nach der Anhörung stattgefunden hätten. Die kriminellen Banden agierten unter dem Radar der pakistanischen Regierung und der Sicherheitskräfte, die gegen derartige Elemente schlichtweg machtlos seien. Die dargebrachten Beweise könne der Kläger in die mündliche Verhandlung einbringen und vorweisen.
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Mit Beschluss vom 7. Februar 2019 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Mit Schreiben vom 13. Februar 2019, der Klagepartei zugestellt am 19. Februar 2019, wurde der Kläger zum Erlass eines Gerichtsbescheids angehört.
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Mit Gerichtsbescheid vom 8. April 2019 wurde die Klage abgewiesen. Zur Begründung wird insbesondere ausgeführt, dass ein herausgehobenes Verfolgungsinteresse der Gegner am Kläger nicht vorgetragen worden sei. Ein landesweites Verfolgungsinteresse der organisierten Kriminalität bestehe nicht. Der Kläger selbst sei nicht mit der organisierten Kriminalität in Konflikt geraten, sondern sein Vater, der mittlerweile verstorben sei. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Kläger von den sehr unklar bezeichneten Feinden seines Vaters in jeder Stadt Pakistans aufgespürt werden könne. Der Kläger habe nicht vorgetragen, welche Gruppierung ihn genau bedrohe und welchen Organisationsgrad sie aufweise. Zudem würden die vorgetragenen Bedrohungen mehrere Jahre zurückliegen, sodass unklar sei, ob der Konflikt überhaupt noch in der Bedrohungsintensität bestehe. Der Kläger könne in einer Großstadt nach der Auskunftslage unbehelligt leben und auch dort sein Existenzminimum bestreiten; die Beklagte haben den Kläger insofern zurecht auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme internen Schutzes verwiesen (§§ 3e, 4 Abs. 3 AsylG). Im Übrigen wird auf die Gründe des Gerichtsbescheids Bezug genommen.
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Ausweislich des Geschäftsstellenvermerks wurde der Gerichtsbescheid vom 8. April 2019 den Beteiligten am 12. April 2019 übersandt. Das Datum der Zustellung des Gerichtsbescheids an den Kläger ist nicht bekannt. Am 25. April 2019 beantragte der Kläger mündliche Verhandlung.
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Der Kläger wurde in der mündlichen Verhandlung am 8. Dezember 2022 ergänzend zu seinen Fluchtgründen angehört.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hat Erfolg, sie ist zulässig und begründet.
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1. Über die Klage konnte trotz Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten in der Ladung zum Termin auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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2. Der Gerichtsbescheid vom 8. April 2019 gilt infolge fristgerecht gestellten Antrags auf mündliche Verhandlung als nicht ergangen (§ 78 Abs. 7 AsylG, § 84 Abs. 3 Halbs. 2 VwGO).
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1. Die zulässige Klage ist im Hauptantrag begründet. Der streitgegenständliche Bescheid vom 19. Mai 2017 ist, soweit er den Antrag des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ablehnt, rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat im nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 1 AsylG, sodass die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des angefochtenen Bescheids antragsgemäß zu verpflichten war (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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a) Die Voraussetzungen für das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG sind vorliegend gegeben. Das Gericht ist davon überzeugt, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Pakistan flüchtlingsrelevante Verfolgung droht.
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aa) Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
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(1) Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG sind solche Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2).
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(2) Akteure, von denen die Verfolgung ausgehen kann, sind der Staat (§ 3c Nr. 1 AsylG) oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) sowie nichtstaatliche Akteure, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten (§ 3c Nr. 3 AsylG). Der Maßstab „erwiesenermaßen“ ist Art. 6 Buchst. c RL 2011/95/EU entnommen und sollte unter Berücksichtigung des englischen Wortlauts „if it can be demonstrated“ ausgelegt werden. Daraus ergibt sich, dass kein strenger Beweismaßstab im Hinblick auf die (fehlende) Schutzfähigkeit oder Schutzwilligkeit der verantwortlichen Akteure anzulegen ist, sondern dass der jeweilige Antragsteller Tatsachen darlegen muss, aus denen sich die mangelnde Schutzbereitschaft ableiten lässt; insofern ist also der sonst im Asylrecht geltend Wahrscheinlichkeitsmaßstab anzuwenden (VG Bayreuth, U.v. 22.6.2021 - B 1 K 21.30369 - juris Rn. 54; VG Hamburg, U.v. 13.4.2018 - 8 A 8150/16 - juris Rn. 38; VGH BW, U.v. 21.3.2006 - A 6 S 698/05 - BeckRS 2006, 15940; zusammenfassend Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 3c AsylG Rn. 3; Kluth in BeckOK AuslR, Stand 1.10.2022, § 3c AsylG Rn. 7).
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(3) Zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3b Abs. 1 AsylG) und den Verfolgungshandlungen muss nach § 3a Abs. 3 AsylG eine Verknüpfung bestehen. Dabei ist unerheblich, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale, etwa politischer oder religiöser Art, aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger nur zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).
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(4) Die Furcht vor Verfolgung ist im Rechtssinne begründet, wenn dem Ausländer die genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 31.18 - juris Rn. 16 f.; BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - juris Rn. 19). Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei zusammenfassender Würdigung des zur Prüfung stehenden Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und die dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 31.18 - juris Rn. 16; BVerwG, U.v. 1.6.2011 - 10 C 25.10 - juris Rn. 24; B.v. 7.2.2008 - 10 C 33.07 - juris Rn. 23; U.v. 5.11.1991 - 9 C 118.90 - juris Rn. 17).
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Ist ein Ausländer bereits verfolgt worden oder von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht gewesen, stellt dies einen ernsthaften Hinweis darauf dar, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung bedroht wird (Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU). Dabei handelt es sich um eine Beweiserleichterung in Form einer widerlegbaren Vermutung dafür, dass der Betroffene erneut von einer solchen Verfolgung bedroht ist. Dadurch wird der Vorverfolgte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Ob die Vermutung durch stichhaltige Gründe widerlegt ist, obliegt der tatrichterlichen Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 5.09 - juris Rn. 23).
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(5) Es ist Sache des Schutzsuchenden, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, sodass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
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(6) Gemäß § 3e Abs. 1 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Der interne Schutz setzt - zusätzlich zur tatsächlichen und sicheren Erreichbarkeit des Schutzortes - voraus, dass der Einzelne dort wirksamen und dauerhaften Schutz vor Verfolgung erlangen und deshalb vernünftigerweise von ihm erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Bei der Beurteilung der Sicherheitslage am alternativen Aufenthaltsort sind sowohl die allgemeinen Gegebenheiten als auch die persönlichen Umstände des Asylsuchenden zu berücksichtigen. Bei der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme des internen Schutzes sind in einer umfassenden wertenden Gesamtbetrachtung die allgemeinen sowie individuellen Verhältnisse am Ort der Niederlassung in den Blick zu nehmen (BVerwG, U. v. 18.2.2021 - 1 C 4.20 - juris Rn. 31 f.). Dies betrifft insbesondere die Gewährleistung des wirtschaftlichen Existenzminimums. Maßstab für die Zumutbarkeit ist, dass eine Verletzung des Art. 3 EMRK nicht zu besorgen ist (vgl. BVerwG, U. v. 18.2.2021 - 1 C 4.20 - juris Rn. 33 ff.).
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In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist ferner geklärt, dass ein vorverfolgter Ausländer im Rahmen der Prüfung des internen Schutzes nach § 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG von der Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU profitiert. Hintergrund ist, dass sowohl Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU als auch Art. 8 Abs. 1 RL 2011/95/EU (auf dem § 3e Abs. 1 AsylG basiert) von „begründeter Furcht vor Verfolgung“ sprechen (vgl. zudem die Verweisung auf Art. 4 RL 2011/95/EU in Art. 8 Abs. 2 Satz 1 RL 2011/95/EU). Die in Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU enthaltene Beweiserleichterung in Form einer widerleglichen Vermutung soll erkennbar beweisrechtlich diejenigen privilegieren, die in ihrem Heimatland tatsächlich bereits persönlich Verfolgung erfahren haben oder von ihr unmittelbar bedroht waren. Mit Blick auf den Normzweck der Beweiserleichterung erscheint es demnach nicht vereinbar, der Prüfung des internen Schutzes als Ausdruck der Subsidiarität des Flüchtlingsschutzes einen strengeren Maßstab zugrunde zu legen als der systematisch vorgelagerten Stellung der Verfolgungsprognose (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 5.5.2009 - 10 C 21.08 - juris Rn. 22-25, zur insoweit inhaltsgleichen Vorgängerregelungen des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG, Art. 8 RL 2004/83/EG; zusammenfassend Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 3e AsylG Rn. 3).
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bb) Unter Anwendung dieser rechtlichen Grundsätze ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
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(1) Der Kläger ist zur Überzeugung des Gerichts bereits in Pakistan verfolgt worden, sodass für ihn die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU streitet. Der Vortrag des Klägers im Anhörungsgespräch wie auch in der mündlichen Verhandlung stellt sich als uneingeschränkt glaubhaft und vollständig überzeugend dar. Er hat dem Gericht schon durch die im Verwaltungsverfahren vorgelegten Dokumente (Anzeigen bei der Polizei, Zeitungsbericht über die Entführung seines Bruders, Vorlage eines Fotos mit seinem Vater in Polizeiuniform) sowie durch seinen freien Sachvortrag in der Anhörung ein umfassendes, detailliertes, schlüssiges und damit insgesamt überzeugendes Bild der gegen ihn ausgesprochenen Drohungen sowie der gegen ihn ausgeführten zweifachen Angriffe mit Schusswaffen durch vermummte Angreifer gegeben. In der mündlichen Verhandlung gestellte Nachfragen des Gerichts hat er spontan, nachvollziehbar und zielbezogen sowie ohne übertriebenen Eifer beantwortet. Das Gericht ist aufgrund der Angaben des Klägers, die insgesamt von einem hinreichenden Detailgrad, Plausibilität sowie interner und externer Kohärenz geprägt sind (s. näher dazu unten) geprägt sind, davon überzeugt, dass diese auf einem realen Erlebnishintergrund basieren. Die vom Kläger vorgelegten Unterlagen der Polizei im Hinblick auf die von ihm angezeigten Attacken durch die vermummten Angreifer mit Schusswaffen sowie die Entführung seines Bruders (BA S. 51-53) hält das Gericht ohne Zweifel für authentisch, zumal auch die Beklagte im Verwaltungsverfahren die Authentizität dieser Unterlagen nicht infrage gestellt hat bzw. insgesamt die Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers nicht in Abrede gestellt hat.
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Das Gericht geht nach freier Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO) auch nicht vom Vorliegen „stichhaltiger Gründe“ gegen eine erneute Verfolgung des Klägers nach einer Rückkehr nach Pakistan und damit nicht von einer Widerlegung der Vermutung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU aus. Dies wäre nur beim Vorliegen einer fundamentalen Änderung der Situation im Herkunftsland des Klägers der Fall (vgl. Dörig in Thym/Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 3. Aufl. 2022, Art. 4 RL 2011/95/EU Rn. 33: „radical and relevant change of conditions which took place since then in the applicant’s country of origin“). Für die Annahme einer solchen Änderung der Situation im Herkunftsland des Klägers hat das Gericht - insbesondere auch im Hinblick auf die fehlende Schutzwilligkeit und Fähigkeit des pakistanischen Staates vor Verfolgungshandlungen durch private Akteure i.S.d. § 3c Nr. 3 AsylG - keine Anhaltspunkte.
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(2) Der streitgegenständliche Bescheid hat sich in keiner Weise mit der Vorschrift des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU befasst, sondern sich mit einem Satz auf die Rechtsbehauptung beschränkt, dass der vom Kläger geschilderte Sachverhalt keiner Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a AsylG entspreche, die gem. § 3a Abs. 3 i.V.m. § 3b Abs. 1 AsylG an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal anknüpfe. Diese stark verkürzte Subsumtion, die die wesentlichen vom Kläger geschilderten Umstände ausblendet, ist rechtsfehlerhaft.
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(aa) Zunächst ist anzumerken, dass entgegen der rechtlichen Bewertung im streitgegenständlichen Bescheid die mit Schusswaffen auf den Kläger ausgeführten Angriffe durch vermummte Angehörige der organisierten Kriminalität ohne Weiteres flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylG bzw. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 Buchst. a RL 2011/95/EU darstellen.
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(bb) Diese Verfolgungshandlungen knüpfen vorliegend gem. § 3a Abs. 3 AsylG auch an einen Verfolgungsgrund i.S.v. § 3b AsylG bzw. Art. 10 RL 2011/95/EU an. Der streitgegenständliche Bescheid hat sich dabei schon nicht näher mit der Vorschrift des § 3b Abs. 2 AsylG befasst, der sich vorliegend aufdrängte. Danach ist bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden. Entscheidend ist in diesem Sinne die Kausalität im Sinne der erkennbaren Gerichtetheit der Verfolgung, wonach Anspruch auf Flüchtlingsschutz auch derjenige Ausländer hat, der die verfolgungsbegründenden Merkmale tatsächlich nicht aufweist, wenn sie ihm von den in § 3c AsylG aufgeführten Verfolgungsakteuren zugeschrieben werden (BVerwG, B.v. 30.5.2018 - 1 B 13.18 - juris Rn. 5).
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Das Gericht ist nach den glaubhaften Angaben des Klägers davon überzeugt, dass dieser von der organisierten Kriminalität, dessen Angehörige ihn bedroht und schließlich zweifach mit Schusswaffen auf offener Straße angegriffen haben, eine politische Überzeugung i.S.v. § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG bzw. Art. 10 Abs. 1 Buchst. e RL 2011/95/EU zugeschrieben wurde. Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken und Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist (NdsOVG, U.v. 6.9.2022 - 11 LB 198/20 - juris Rn. 39). Die Verfolgung wegen vermeintlicher oder tatsächlicher politischer Überzeugungen wird sicher daher - ungeachtet der Einbeziehung auch privater Verfolgungsakteure - regelmäßig auf Fragen staatlicher oder gesellschaftlicher Machtausübung beziehen (Wittmann in BeckOK MigR, Stand 15.10.2022, § 3b AsylG Rn. 40 m.w.N.).
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Danach ist davon auszugehen, dass der Kläger - wie auch weitere Familienmitglieder von ihm - aufgrund der damaligen polizeilichen Ermittlungsarbeit seines Vaters in den Verfolgungsfokus der organisierten Kriminalität (dessen Angehörige hier als Verfolgungsakteure i.S.v. § 3c Nr. 3 AsylG aufgetreten sind) geraten ist. Aufgrund der erkennbaren Gerichtetheit der Verfolgungshandlungen gegen den Kläger und weitere Familienmitglieder ist davon auszugehen, dass ihm unter weiterer Berücksichtigung der damaligen Polizeitätigkeit seines Vaters eine politische Grundhaltung im Sinne von § 3b Abs. 2, Abs. 1 Nr. 5 AsylG zugeschrieben wurde, bei der es im weitesten Sinne um staatliche Machtausübung und Herrschaftskontrolle geht. Demnach spricht einiges dafür, dass sich Angehörige der organisierten Kriminalität als Verfolger im Sinne von § 3c Nr. 3 AsylG in genereller politischer Gegnerschaft mit der pakistanischen Polizei bzw. dem pakistanischen Staat sehen (vgl. dazu auch im Ansatz: Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Pakistan, S. 7 und 17) und dementsprechend der Kläger aufgrund der beruflichen Tätigkeit seines Vaters in deren Verfolgungsfokus miteinbezogen wurde (vgl. auch ähnlich VG Freiburg, U.v. 7.9.2021 - A 14 K 9499/17 - juris Rn. 32, 46, 52).
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cc) Die Verfolgungshandlungen gingen vorliegend von einem nichtstaatlichen Akteur i.S.v. § 3c Nr. 3 AsylG aus. Der Kläger hat dem Gericht auch hinreichend plausibel dargelegt (Art. 6 Buchst. c RL 2011/95/EU: „if it can be demonstrated“), dass die pakistanische Polizei nicht in der Lage ist, Schutz vor Verfolgung i.S.v. § 3d Abs. 1 Nr. 1 AsylG durch die organisierte Kriminalität zu gewähren und in seinem Fall sogar Geld gewollt hat. Diese Behauptung des Klägers bedarf gem. Art. 4 Abs. 5 Buchst. c RL 2011/95/EU keines näheren Beleges, weil nach der Erkenntnismittellage die hohe Korruptionsanfälligkeit innerhalb der pakistanischen Polizei sowie die geringen Fähigkeiten bzw. der geringe Wille der Polizei im Bereich der Ermittlung und Beweiserhebung bestätigt sind (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Pakistan, S. 7).
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dd) Entgegen der Auffassung im streitgegenständlichen Bescheid kann der Kläger vorliegend auch nicht auf die Inanspruchnahme internen Schutzes gem. § 3e Abs. 1 AsylG verwiesen werden. Der streitgegenständliche Bescheid geht zwar im Ausgangspunkt mit der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zutreffend davon aus, dass es in einem flächen- und bevölkerungsmäßig großen Land wie Pakistan grundsätzlich möglich ist, bei Aufenthalt in einer der größeren Städte dauerhaft der Aufmerksamkeit z.B. der lokalen Behörden entgehen zu können und demnach dort grundsätzlich unbehelligt leben zu können (vgl. beispielsweise VG München, U.v. 24.11.2021 - M 5 K 17.37785 - juris Rn. 22; VG Augsburg, U.v. 28.10.2021 - Au 3 K 21.30677 - juris Rn. 32). Allerdings ist nach der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 5.5.2009 - 10 C 21.08 - juris Rn. 22-25; s. zusammenfassend auch Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 3e AsylG Rn. 3; anders wohl aber noch BVerwG, U.v. 19.1.2009 - 10 C 52.07 - juris Rn. 29 a.E.) im Falle des vorverfolgten Klägers die in Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU enthaltene Beweiserleichterung auch im rechtlichen Kontext des § 3e Abs. 1 AsylG bzw. Art. 8 Abs. 2 Satz 1 RL 2011/95/EU zu berücksichtigen. Das Gericht schließt sich dabei der zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Mai 2009 ausdrücklich an.
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Im konkreten Fall erscheint die Berücksichtigung der Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU im rechtlichen Kontext des § 3e Abs. 1 AsylG jedenfalls deshalb überzeugend, weil eine asylrechtlich erhebliche Vorverfolgungshandlung gegenüber dem Kläger gerade auch an einem nach der Erkenntnismittellage angenommenen potenziell sicheren Ausweichort stattgefunden hat. Mit dem diesbezüglichen Vortrag des Klägers, dass er versucht habe, Verfolgungshandlungen durch die organisierte Kriminalität dadurch zu entgehen, indem er zunächst von seinem Heimatdorf nach Islamabad ausgewichen ist, setzt sich der streitgegenständliche Bescheid - wie auch der Gerichtsbescheid vom 8. April 2019 - nicht ansatzweise auseinander. Die glaubhaften Angaben des Klägers, dass etwa 1 bis 1,5 Monate nach seiner Ankunft in Islamabad dort auf offener Straße nach dem ersten Angriff auf ihn in seinem Heimatdorf auf ihn erneut geschossen worden ist, zeigt, dass Angehörige der organisierten Kriminalität in Einzelfällen offenbar durchaus in der Lage sind, potenzielle Opfer auch in Großstädten nach etwas Vorlaufzeit aufzuspüren. Wenn aber eine asylrechtlich relevante Vorverfolgungshandlung an einem nach der Erkenntnismittellage angenommenen ansonsten sicheren Ausweichort stattgefunden hat, liegt es nahe, dass dem vorverfolgten Kläger die in Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU enthaltene Beweiserleichterung insoweit zugutekommt, dass es für ihn nach widerlegbarer Vermutung anderweitige sichere Ausweichorte in Pakistan nicht gibt.
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Unabhängig davon geht das Gericht selbstständig tragend davon aus, dass nach den konkreten Umständen des Falles jedenfalls beachtliche Gründe gegen das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG sprechen. So setzt der Begriff der Niederlassung voraus, dass - in zeitlicher Hinsicht - am Ort des internen Schutzes ein perspektivisch dauerhafter Aufenthalt begründet werden können muss und die Möglichkeit eines nur vorübergehenden Verweilens unter kurzzeitiger Unterbrechung einer fortdauernden Flucht nicht ausreicht (BVerwG, U.v. 18.2.2021 - 1 C 4.20 - juris Rn. 37). Der Angriff auf den Kläger etwa 1 bis 1,5 Monate nach seiner Ankunft in Islamabad durch Angehörige der organisierten Kriminalität zeigt, dass dem Kläger ein perspektivisch dauerhafter und sicherer Aufenthalt selbst in der Hauptstadt Pakistans nicht gelungen ist. Allein dieser Umstand spricht dafür, dass der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch in einer anderen Großstadt Pakistans in einem absehbaren Zeitraum von seinen Verfolgern aufgespürt werden kann und es ihm insofern nicht zugemutet werden kann, sich dort für einen längeren Zeitraum niederzulassen (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 26 ff.). Bei prognostischer Würdigung geht das Gericht daher davon aus, dass sich der Kläger weiteren Verfolgungshandlungen seiner Verfolger nur durch eine fortdauernde Flucht innerhalb Pakistans, also einem permanenten Umherziehen, entziehen könnte. Dies reicht aber nach der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für den Verweis auf eine interne Schutzmöglichkeit i.S.v. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht aus. Klarzustellen ist abschließend auch noch, dass entgegen der Annahme im Gerichtsbescheid vom 8. April 2019 der Kläger nicht eine landesweit wirkende Verfolgung in sämtlichen Großstädten glaubhaft machen muss, da dieser Maßstab die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Klägers bei der Frage des internen Schutzes überspannen würde (vgl. Kluth in BeckOK AuslR, Stand 1.10.2022, § 3e AsylG Rn. 9).
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b) Da der Kläger mit seiner Klage bereits im Hauptantrag Erfolg hatte, bedurfte es keiner Entscheidung mehr über die erkennbar hilfsweise gestellten Anträge zum subsidiären Schutz und zum Vorliegen von Abschiebungsverboten.
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c) Da der Kläger im Ergebnis einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG hat, sind den weiteren Bestimmungen des Bescheids zur Abschiebungsandrohung in Nummer 5 (§ 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) und zum Einreise- und Aufenthaltsverbot in Nummer 6 (§ 75 Nr. 12 i.V.m. § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) die rechtliche Grundlage entzogen. Sie sind deshalb aufzuheben.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht gem. § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.