Inhalt

VG München, Beschluss v. 21.12.2022 – M 1 S 22.32237
Titel:

Erfolgloser Eilantrag nach Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet.

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 36 Abs. 3 S. 1, Abs. 4, § 75, § 77 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
VwVfG § 41 Abs. 5
VwZG § 3
ZPO § 178 Abs. 1 Nr. 3, § 189
Leitsätze:
1. Gem. § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kann ein Schriftstück in Gemeinschaftseinrichtungen in den Fällen, in denen die Person, der zugestellt werden soll, nicht angetroffen wird, nur dem Leiter der Einrichtung oder einem dazu ermächtigten Vertreter zugestellt werden. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Ersatzzustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kann erst dann erfolgen, wenn die unmittelbare Zustellung an den Adressaten nicht möglich ist, wobei es hierfür genügt, wenn der Zusteller den Adressaten nicht im allgemein zugänglichen Teil der Einrichtung, dh im Bereich des Haupteingangs oder im Büro eines Leiters, antrifft. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ernstliche Zweifel iSv Art. 16a Abs. 4 GG und § 36 Abs. 4 AsylG sind dann anzunehmen, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung, die sich auf die als offensichtlich unbegründet abgelehnten Anträge nach Art. 16a Abs. 1 GG und § 3 AsylG sowie § 4 AsylG bezieht und auch die weiteren Anträge nach § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 AufenthG einschließt, einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ablehnung als offensichtlich unbegründet, Einstweiliger Rechtsschutz, Herkunftsland: Nigeria, Asylantrag, Nigeria, offensichtlich unbegründet, Zustellung in Gemeinschaftsunterkunft, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Aussetzung der Abschiebung, Abschiebungshindernis, ernstliche Zweifel, Depression, Substantiierungspflicht
Fundstelle:
BeckRS 2022, 38032

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Ablehnung seines Asylantrags als offensichtlich unbegründet.
2
Der am 7. März 1994 in …, Nigeria geborene Antragsteller ist nigerianischer Staatsangehöriger, dem Volk der Ibo und dem christlichen Glauben zugehörig. Er reiste im Oktober 2021 aus Nigeria über die Türkei in die Ukraine ein. Dort studierte er für vier Monate in D* … und schrieb sich anschließend in K* … ein. Im Februar 2022 fuhr er über D* … mit dem Zug an die ungarische Grenze und floh von dort weiter durch Ungarn und Österreich nach Freilassing/Deutschland, wo er im März 2022 ankam. Er stellte am 20. April 2022 einen Asylantrag.
3
Im Rahmen seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 11. Oktober 2022 gab der Antragsteller an, dass er keine Angehörigen in Deutschland habe. Er leide unter Magengeschwüren. Er habe noch Medikamente aus Nigeria und esse nicht scharf, um keine Schmerzen zu haben. Der Antragsteller habe aufgrund seines Studiums ein dreimonatiges Visum für die Ukraine gehabt, das im Januar 2022 abgelaufen sei. Seine Familie und er hätten alles in Nigeria verkauft, damit der Antragsteller in der Ukraine studieren könne. Der Antragsteller habe als selbständiger Ingenieur gearbeitet. Er sei in Nigeria nie persönlich verfolgt oder bedroht worden, sondern habe lediglich Angst vor Depressionen. Er beantrage in Deutschland Asyl, damit er in Nigeria keine Depressionen bekomme. Wenn er deprimiert sei, seien auch seine Eltern deprimiert. Mit Depressionen könne man nicht leben.
4
Mit Bescheid vom 9. November 2022, ausweislich der Postzustellungsurkunde einem Beschäftigten der Gemeinschaftsunterkunft, in der der Antragsteller wohnt, am 15. November 2022 zugestellt, lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), der Asylanerkennung (Nr. 2) und der Zuerkennung subsidiären Schutzes (Nr. 3) jeweils als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Sollte der Antragsteller die Ausreisefrist nicht einhalten, werde er in die Türkei oder einen anderen Staat abgeschoben, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist wurde bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist und, im Fall einer fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Bezüglich der Begründung wird auf den Inhalt des Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
5
Der Antragsteller hat am … November 2022 bei der Rechtsantragstelle des Bayerischen Verwaltungsgerichts München Klage (M 1 K 22.32236) erhoben und beantragt zugleich,
6
hinsichtlich der Abschiebungsandrohung die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
7
Ferner beantragt er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
8
Zur Begründung hat der Antragsteller Bezug auf die Angaben gegenüber dem Bundesamt genommen.
9
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten Behördenakte, auch im Verfahren M 1 K 22.32236, Bezug genommen.
II.
10
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO bleibt in der Sache ohne Erfolg.
11
1. Der Antrag ist nach der im Rahmen des Eilverfahrens notwendigen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung zulässig.
12
a) Der Antrag ist statthaft, weil damit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die kraft Gesetzes (§ 75 AsylG) sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des streitgegenständlichen Bescheids erreicht werden soll (§ 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG).
13
b) Der Antragsteller hat auch die maßgebliche Frist von einer Woche zur Stellung des Antrags eingehalten.
14
Gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO innerhalb einer Woche zu stellen, weil die Antragsgegnerin den Asylantrag des Antragstellers als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat. Die Frist beginnt mit der Bekanntgabe der Entscheidung; die Antragsgegnerin hat die Bekanntgabe mittels Postzustellungsurkunde, § 41 Abs. 5 VwVfG i.V.m. § 3 VwZG, bewirkt. Ausweislich der vorgelegten Postzustellungsurkunde wurde der Bescheid am 15. November 2022 einem Beschäftigten der Gemeinschaftsunterkunft, in welcher der Antragsteller wohnt, übergeben. Gemäß § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kann das Schriftstück in Gemeinschaftseinrichtungen in den Fällen, in denen die Person, der zugestellt werden soll, nicht angetroffen wird, indes nur dem Leiter der Einrichtung oder einem dazu ermächtigten Vertreter zugestellt werden. Mangels näherer Angaben dazu, ob der Beschäftigte, dem das Schriftstück ausgehändigt wurde, Leiter der Einrichtung oder ein zur Zustellung ermächtigter Vertreter ist, kann im Rahmen der summarischen Prüfung des Eilverfahrens nicht davon ausgegangen werden, dass der streitgegenständliche Bescheid bereits am 15. November 2022 zugestellt wurde. Ferner kann die Ersatzzustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ohnehin erst dann erfolgen, wenn die unmittelbare Zustellung an den Adressaten nicht möglich ist (vgl. BT-Drs. 14/4554, 21), wobei es hierfür genügt, wenn der Zusteller den Adressaten nicht im allgemein zugänglichen Teil der Einrichtung, d.h. im Bereich des Haupteingangs oder im Büro eines Leiters, antrifft (Preisner in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusche, 35. Edition 2022, § 10 Rn. 31). Ob der Antragsteller nicht angetroffen werden konnte, ist ebenfalls fraglich. Die formgerechte Zustellung des Bescheids vom 9. November 2022 kann deshalb nicht nachgewiesen werden, sodass der tatsächliche Zugang an den Antragsteller entscheidend ist, § 189 ZPO, wozu nähere Angaben fehlen.
15
Im Rahmen der summarischen Prüfung im Eilverfahren kann nach alledem nicht davon ausgegangen werden, dass dem Antragsteller der streitgegenständliche Bescheid bereits am 15. November 2022 zugestellt wurde. Der Antrag ist demnach zulässig.
16
Auf den vom Antragsteller gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt es damit nicht an.
17
2. Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, weil an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids des Bundesamts vom 9. November 2022 keine ernstlichen Zweifel im Sinne von § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG bestehen.
18
Nach Art. 16a Abs. 4 GG und § 36 Abs. 4 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens ist die unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche ausgesprochene Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG und § 36 Abs. 1 i.V.m. § 30 AsylG. Ernstliche Zweifel sind dann anzunehmen, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält, die sich auf die als offensichtlich unbegründet abgelehnten Anträge nach Art. 16a Abs. 1 GG und § 3 AsylG sowie § 4 AsylG bezieht und auch die weiteren Anträge nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG einschließt (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1516/93 - BVerfGE 94, 166; B.v. 2.54.1984 - 2 BvR 1413/83 - BVerfGE 67, 43). Die Abweisung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet setzt voraus, dass nach vollständiger Erforschung des Sachverhalts an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt die Abweisung geradezu aufdrängt.
19
Gemessen an diesen Grundsätzen begegnet die Entscheidung der Antragsgegnerin, die Anträge abzulehnen, insgesamt keinen ernstlichen Zweifeln. Das Gericht folgt den Gründen des angefochtenen Bescheids und nimmt auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG). Lediglich ergänzend wird Folgendes ausgeführt:
20
Die vom Antragsteller vorgetragenen Magengeschwüre und die Angst, bei einer Rückkehr nach Nigeria Depressionen zu bekommen, führen ebenfalls nicht zu einem (nationalen) Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
21
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG liegt aus gesundheitlichen Gründen eine erhebliche konkrete Gefahr nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Zur Substantiierung seines Vortrags muss ein Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG). Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten (§ 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG).
22
Eine derart erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Er hat weder im Verwaltungs- noch im Gerichtsverfahren ärztliche Bescheinigungen im Hinblick auf etwaige Magengeschwüre vorgelegt, welche diese gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen. Der Antragsteller hat lediglich pauschal behauptet, dass er an Magengeschwüren leide. Zudem befindet er sich nach eigenen Angaben ohnehin nicht in ärztlicher Behandlung. Gleiches gilt für etwaige Depressionen. Insoweit hat der Antragsteller schon selbst erklärt, dass er noch nicht an einer Depression leide, sondern allenfalls Angst vor Depressionen bei einer Rückkehr nach Nigeria habe. Eine bereits bestehende lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, ist damit nicht vorgetragen.
23
3. Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
24
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.