Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 15.11.2022 – Au 8 S 22.2013
Titel:

Rassezuordnung eines Hundes

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 1, Art. 37 Abs. 1, Abs. 4
KampfhundeV § 1 Abs. 1
VwGO § 166
ZPO § 114
Leitsatz:
Eine Rassezuordnung kann grundsätzlich aufgrund des Phänotyps vorgenommen werden. Bei verbleibenden Zweifeln sind die Betrachtung von Wesensart und Bewegungsablauf des Tieres durch einen Sachverständigen und eine molekulargenetische Untersuchung heranzuziehen. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, Untersagung der weiteren Haltung eines Kampfhundes, Rassebestimmung bei unbekannten Elterntieren, Sachverständigengutachten und gleichzeitige Durchführung eines DNA-Tests, Nachvollziehbarkeit des Gutachtens, Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe, Rasse, Listenhund, Haltungsuntersagung, Negativzeugnis, Ordnungswidrigkeit, American Staffordshire Terrier, Rassezuordnung, phänotypische Merkmale, DNA-Gutachten, Hybridhund, molekulargenetische Untersuchung, Wesensart, Federation Cynologique Internationale
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 08.03.2023 – 10 CS 22.2549, 10 C 22.2548
Fundstelle:
BeckRS 2022, 37813

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung für das Antragsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt einstweiligen Rechtschutz gegen die von der Antragsgegnerin verfügte Verpflichtung zur Abgabe des von ihr gehaltenen Hundes.
2
1. Die Antragstellerin ist Eigentümerin und Halterin eines Rüden, Rufname “T.“, Wurfdatum …. Die Rassezuordnung des Hundes ist zwischen den Beteiligten umstritten.
3
Bei der Anmeldung des streitgegenständlichen Tieres zur Hundesteuer beim Steueramt der Antragsgegnerin gab die Antragstellerin an, dass es sich um einen Hund der Rasse “American Buldog“ (Fehler aus dem Original übernommen; Bl. 3 der Behördenakte) handle.
4
Da diese Rasse nach § 1 Abs. 2 der Verordnung über die Hunde mit gesteigerter Aggressivität und Gefährlichkeit als sogenannter Listenhund geführt wird, forderte das Ordnungsamt der Antragsgegnerin die Antragstellerin mit Schreiben vom 4. April 2022 auf, eine vorläufige Negativbescheinigung zu beantragen und dabei unter anderem einen Nachweis zur Herkunft des Hundes vorzulegen.
5
Die Antragstellerin teilte dazu telefonisch am 25. April 2022 beim Ordnungsamt der Antragsgegnerin mit, dass der Rasseneintrag bei der Steueranmeldung irrtümlich aus dem Impfpass übertragen worden und fehlerhaft sei. Es handle sich um einen Hund der Rasse „American Bully“, der keiner Kampfhunderasse zugehöre. Einen Nachweis über die Herkunft des Tieres könne sie nicht vorlegen.
6
Die Antragsgegnerin forderte die Antragstellerin wegen fehlender nachvollziehbarer Nachweise zur Rassezugehörigkeit des Hundes mit Schreiben vom 26. April 2022 auf, ein Rassegutachten eines allgemein beeidigten Sachverständigen für das Hundewesen vorzulegen.
7
Da die Antragstellerin dieses geforderte Gutachten nicht fristgerecht vorgelegt hat, hörte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 12. Mai 2022 zur beabsichtigten Haltungsuntersagung an und verwies auf das fehlende Negativzeugnis. In der Folge legte die Antragstellerin unter dem 23. Mai 2022 ein Rassegutachten einer Tierärztin vom 20. Mai 2022 vor. In diesem kommt die Tierärztin zum Ergebnis, dass es sich bei dem Hund um ein Tier der Rasse „American Bully XL“ handle. Ein Verdacht auf einen Mischling mit einer der in § 1 Abs. 1 oder Abs. 2 der Verordnung über die Hunde mit gesteigerter Aggressivität und Gefährlichkeit genannten Rassen liege nicht vor.
8
Wegen dieser unterschiedlichen Angaben führte die Antragsgegnerin unter Zuziehung des Veterinäramts und eines Polizeihundeführers am 10. Juni 2022 einen unangekündigten Termin am Wohnanwesen der Antragstellerin zur Inaugenscheinnahme des Hundes durch. Dabei zeigte sich das Tier bei Annäherung erheblich aggressiv. Das Veterinäramt und der Polizeihundeführer bezweifelten im Nachgang die Rassezuordnung, eine Einkreuzung eines „American Bulldog“ wurde als wahrscheinlich angesehen. Bei diesem Termin teilte die Antragstellerin auf Nachfrage auch mit, dass ihr ein Abstammungsnachweis für das Tier nicht vorliege. Kontakt zu dem Züchter habe sie nicht. Sie sei über eine Internetseite der Verkäuferin auf das Tier aufmerksam geworden.
9
Mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 15. Juni 2022 forderte diese die Antragstellerin unter Fristsetzung auf, ein Gutachten eines öffentlich bestellten und beeidigten Sachverständigen für das Hundewesen vorzulegen, das sich mit der Frage der Gefährlichkeit des Hundes und insbesondere mit der Klärung der Rassezugehörigkeit des Tieres nach den anerkannten Zuordnungskriterien Phänotyp, Wesen und Bewegungsablauf befasst.
10
Die Bevollmächtigte der Antragstellerin legte das unter dem 12. August 2022 erstellte Gutachten mit Schriftsatz vom 14. September 2022 bei der Antragsgegnerin vor. Dabei wurden ausgeführt, dass die Antragstellerin den Gutachter auf die offensichtliche Fehlerhaftigkeit seiner Angaben zu Augenfarbe, Lidpigmentierung und Nasenfarbe des Hundes hingewiesen habe und dieser das Gutachten – in einer zweiten Version – daraufhin korrigiert habe. Soweit das Gutachten in dieser korrigierten Fassung nochmals zum Ergebnis komme, dass es sich bei dem Hund um einen American Staffordshire Terrier handle, sei dies kein hinreichender Nachweis. Für den Hund der Antragstellerin existiere kein Abstammungsnachweis. Deshalb könne eine Rassezuordnung nur nach den Zuordnungskriterien Phänotyp, Wesen und Bewegungsablauf erfolgen. Das Tier der Antragstellerin erfülle diese Rassezuordnungskriterien nicht. Handle es sich um einen Mischlingshund, könne die Zuordnung aufgrund der phänotypischen Ähnlichkeit mit einem Kampfhund nicht erfolgen. Nötig seien mangels Abstammungsnachweis ein aussagekräftiges Sachverständigengutachten und ein gleichzeitig vorliegender hinreichend valider DNA-Test, die zu einem übereinstimmenden Ergebnis kommen müssten. Dies sei beim Tier der Antragstellerin hinsichtlich des Phänotyps und des Verhaltens nach den allgemeinen Rassestandards für einen American Staffordshire Terrier nicht der Fall.
11
In dem vorgelegten Rassegutachten vom 12. August 2022 kommt der von der Antragstellerin beauftragte Sachverständige zu dem aufgrund des Alters des Tieres vorläufigen Ergebnis, dass es sich bei dem Hund der Antragstellerin um einen reinrassigen American Staffordshire Terrier handelt. Dieses Ergebnis ergibt sich nach den Ausführungen im Gutachten aufgrund folgender Feststellungen: Elterntiere des Hundes sind unbekannt; eindeutig phänotypisch ein Terrier Typ; Größe am Widerrist 56 cm (Rassestandard: 46 – 48 cm); Verhalten/Wesen: neutral, schüchtern, interessiert; Bewegung: federnd, nicht rollend und ohne Passgang. Diese rasseprägenden Merkmale stimmen mit dem im DNA-Gutachten getroffenen Feststellungen überein. Danach sind beide Elterntiere reinrassige American Staffordshire Terrier, das DNA-Gutachten geht dabei von einem 100%igen Rasseanteil aus.
12
Mit Bescheid vom 22. September 2022 untersagte die Antragsgegnerin der Antragstellerin die Haltung des Hundes der Rasse American Staffordshire Terrier, Rufname „T.“, forderte die Antragstellerin zur Abgabe des Tieres bis spätestens dem 24. Oktober 2022 auf und forderte die Vorlage eines Nachweises über die Abgabe (Ziffer 1). Die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 wurde angeordnet (Ziffer 2). Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Ziffer 1 des Bescheids und der Tierhaltung über den 24. Oktober 2022 hinaus wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 3.000,- EUR für fällig erklärt (Ziffer 3).
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Die Untersagung der weiteren Hundehaltung werde auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Art. 37 Abs. 4 LStVG gestützt. Die weitere Haltung des Tieres, das nach dem vorgelegten Gutachten der Rasse American Staffordshire Terrier angehöre, verwirkliche den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit. Insbesondere sei aus den von der Antragstellerseite im Verfahren vorgetragenen Abweichungen vom Rassestandard nicht ableitbar, dass eine Einordnung als American Staffordshire Terrier widerlegt sei. Damit handle es sich bei dem Hund um einen Kampfhund nach § 1 Abs. 1 der Verordnung über Hunde mit gesteigerter Aggressivität und Gefährlichkeit, für dessen Haltung keine nach Art. 37 Abs. 1 LStVG notwendige Erlaubnis vorliege. Diese Erlaubnis könne auch nicht erteilt werden, da die Erteilungsvoraussetzungen des Art. 37 Abs. 2 LStVG nicht vorlägen. Ein berechtigtes Interesse der Antragstellerin für die Haltung sei nicht vorgetragen und auch nicht erkennbar. Die Haltungsuntersagung sei nötig, sie werde in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens getroffen. In Abwägung zwischen dem hochrangigen Interesse am Schutz vor Gefahren durch die Haltung des Tieres und dem privaten Interesse der Antragstellerin an der Hundehaltung müsse letzteres zurücktreten. Ein milderes Mittel sei nicht erkennbar. Innerhalb der gesetzten Frist könne der Hund an einen berechtigten Halter oder an ein Tierheim abgegeben werden. Die sofortige Vollziehung werde zum Schutz elementarer Rechtsgüter verfügt. Die von der Haltung eines gefährlichen Tieres ausgehenden erheblichen Gefahren könnten nicht bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Klageverfahrens hingenommen werden. Hinzu komme, dass die weitere Haltung des Hundes ohne die erforderliche Erlaubnis fortlaufend den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erfülle. Die Anordnung des Zwangsgeldes beruhe auf Art. 29, 30, 31 und 36 VwZVG.
14
Auf die Begründung des Bescheids wird im Einzelnen verwiesen.
15
2. Die Antragstellerin ließ dagegen am 14. Oktober 2022 Klage erheben mit dem Ziel der Aufhebung des Bescheids (Au 8 K 22.2012).
16
Über die Klage ist noch nicht entschieden.
17
Gleichzeitig wird im vorliegenden Verfahren die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes verfolgt.
18
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei bereits aus formellen Gründen aufzuheben. Die Anordnung genüge nicht den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, die Begründung des Sofortvollzugs erfolge nur formelhaft ohne Einzelfallbezug.
19
Die Klage werde im Hauptsacheverfahren erfolgreich sein, der Bescheid sei rechtswidrig. An dessen Vollziehung könne deshalb kein öffentliches Interesse bestehen. Die Kampfhundeeigenschaft des Tieres lasse sich nicht feststellen. Die Züchtung eines „American Bully“ sei keine eigenständige Rasse. Die Rassezuordnung des von der Antragstellerin gehaltenen Tieres müsse deshalb phänotypisch erfolgen, die Zuordnung zur Rasse American Staffordshire Terrier müsse auf dieser Grundlage nachvollziehbar sein. Die insoweit im Sachverständigengutachten vom 12. August 2022 getroffenen Aussagen würden der Zuordnung zur Rasse American Staffordshire Terrier nicht tragen. Die Hunderasse „American Bully“ sei nicht als eigenständige Rasse anerkannt, es handle sich nach den Angaben verschiedener Quellen um eine ursprüngliche Züchtung aus American Staffordshire Terrier und American Pitbull Terrier mit späteren Kreuzungen verschiedener Bulldog-Rassen. Diese „typische Bulldoggen-Optik“ müsse phänotypisch von der Rasse des American Staffordshire Terriers nachvollziehbar abgegrenzt werden. Dies leiste das Gutachten nicht, da darin nur die Merkmale des Hundes der Antragstellerin aufgezählt würden, ohne dass sie zur Rasse der American Bully phänotypisch abgegrenzt würden. Hinzu komme das junge Alter des Hundes und die daraus erwachsenden Unsicherheiten bei der phänotypischen Beurteilung des Tieres. Im Hauptsacheverfahren werde eine genauere Klärung der Rassezuordnung nötig sein, der Ausgang des Klageverfahrens sei deshalb als offen anzusehen. In der Interessenabwägung sei bei dieser Situation dem Halterinteresse der Antragstellerin der Vorrang einzuräumen, da bis zur endgültigen Klärung eine Trennung zwischen Tier und Halterin eine spätere Wiederaufnahme der Tierhaltung ausschließen würde. Hinzu kämen die bei einer zu Unrecht erfolgten Unterbringung im Tierheim angefallenen Kosten.
20
Die Antragstellerin lässt beantragen,
21
die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
22
Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
24
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei formell rechtmäßig erfolgt, die Begründung setzte sich insoweit mit dem konkreten Einzelfall auseinander. Die Klage werde in der Hauptsache auch aus den im Bescheid im Einzelnen dargelegten Gründen erfolglos bleiben. Aufgrund des DNA-Gutachtens und der sachverständigen Äußerungen sei nachvollziehbar davon auszugehen, dass der Hund der Antragstellerin der Rasse American Staffordshire Terrier angehöre, für diese Rasse sei nach § 1 Abs. 1 der Verordnung über Hunde mit gesteigerter Aggressivität und Gefährlichkeit die Kampfhundeeigenschaft unwiderleglich vermutet. Ein besonderes Interesse der Antragstellerin an der Haltung eines Tiers dieser Rasse bestehe nicht. Ein weiteres, von der Antragstellerin beauftragtes DNA-Gutachten komme ebenfalls zur Rassezuordnung American Staffordshire Terrier. Dass die von der Antragstellerin ursprünglich vorgelegte Äußerung der Tierärztin vom Mai 2022 den Hund der Rasse „American Bully“ zuordne, verkenne die fehlende Anerkennung dieser Rasse. Die DNA des Hundes sei unveränderlich, das junge Alter des Tiers deshalb nicht entscheidend. Die gleichzeitige gutachterliche Äußerung unterstreiche dieses Ergebnis. Die Haltungsuntersagung des gefährlichen Hundes sei zum Schutz höchstrangiger Rechtsgüter geboten. Die Untersagung der Hundehaltung sei, unter Berücksichtigung des aggressiven Verhaltens bei der Inaugenscheinnahme am 10. Juni 2022, notwendig.
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Für das Antragsverfahren ist unter Vorlage der notwendigen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auch die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt.
26
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auch im Verfahren Au 8 K 22.2012, und der beigezogenen Behördenakten der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
27
Der zulässig nach § 80 Abs. 5 VwGO erhobene Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 22. September 2022 wiederherzustellen, bleibt erfolglos.
28
Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 VwGO durch das Verwaltungsgericht vorzunehmende eigenständige Abwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin und dem öffentlichen Vollzugsinteresse fällt zu Lasten der Antragstellerin aus. Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung dürften sich die Ziffern 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids als rechtmäßig erweisen und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Gründe, gleichwohl im Interesse der Antragstellerin die aufschiebende Wirkung ihrer Klage wiederherzustellen, sind nicht ersichtlich.
29
Nicht Gegenstand des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes ist die Ziffer 3 des Bescheids vom 22. September 2022. Die Antragstellerin begehrt nicht eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen Ziffer 3, die bereits kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21a Satz 1 VwZVG). Eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung des Antrags ist nicht geboten, die anwaltschaftlich vertretene Antragstellerin hat ausdrücklich nur die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung beantragt, auch die Antragsbegründung wendet sich nur gegen die Haltungsuntersagung bzw. Abgabeverpflichtung und deren insoweit in Ziffer 2 des Bescheids angeordnete sofortige Vollziehung.
30
In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 VwGO niedergelegten Kriterien zu treffen. Es hat zu prüfen, ob das Vollzugsinteresse so gewichtig ist, dass der Verwaltungsakt sofort vollzogen werden darf, oder ob das gegenläufige Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage überwiegt. Wesentliches Element im Rahmen der insoweit gebotenen Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Suspensivinteressen ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann. Erweist sich der Rechtsbehelf als offensichtlich Erfolg versprechend, so wird das Interesse der Antragstellerin an einer Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage stärker zu gewichten sein, als das gegenläufige Interesse der Antragsgegnerin. Umgekehrt wird eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage grundsätzlich nicht in Frage kommen, wenn sich der Rechtsbehelf als offensichtlich aussichtslos darstellt. Sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs nicht eindeutig zu beurteilen, sondern nur tendenziell abschätzbar, so darf dies bei der Gewichtung der widerstreitenden Interessen – dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin einerseits und dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin andererseits – nicht außer Acht gelassen werden. Lassen sich nach summarischer Überprüfung noch keine Aussagen über die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs machen, ist also der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. zum Vorstehenden BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581; BVerwG, B.v. 11.11.2020 – 7 VR 5.20 u.a. – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – BayVBl. 1988, 369).
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1. Soweit die Behörde die sofortige Vollziehung ausdrücklich gemäß der Regelung in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat, d.h. die aufschiebende Wirkung der Klage nicht bereits kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, hat das Gericht zunächst zu prüfen, ob sich bereits die Anordnung der sofortigen Vollziehung als formell rechtswidrig erweist, insbesondere ob sich die behördliche Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung im Sinne des § 80 Abs. 3 VwGO als ausreichend erweist. Ist dies nicht der Fall, hat das Gericht ohne weitere Sachprüfung die Vollziehungsanordnung aufzuheben (Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 98).
32
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist die in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids getroffene Anordnung der sofortigen Vollziehung in Bezug auf die in Ziffer 1 verfügte Haltungsuntersagung und Abgabeverpflichtung formell rechtmäßig, insbesondere sind die sich aus der Regelung in § 80 Abs. 3 VwGO ergebenden Begründungserfordernisse gewahrt.
33
An die im Bescheid gegebene Begründung für die sofortige Vollziehung sind keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen, soweit darin der Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung für die Behörde erkennbar wird (Eyermann/Hoppe, VwGO, § 80 Rn. 54 ff.). Vorliegend genügt die Begründung den Anforderungen nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die Antragsgegnerin setzt sich in ihrer Begründung hinreichend mit den Besonderheiten des Einzelfalls unter Berücksichtigung der typischen Interessen bei einer sicherheitsrechtlichen Untersagung der Haltung eines Kampfhundes auseinander (vgl. BayVGH, B.v. 30.6.2014 – 10 CS 14.1245 u.a. – juris Rn. 14). Eine bloß formelhafte Begründung liegt entgegen der Auffassung der Antragstellerseite nicht vor.
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2. Die im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotene, aber auch ausreichende summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass die Klage gegen die in dem angefochtenen Bescheid geregelte Haltungsuntersagung und die daraus resultierende Abgabeverpflichtung voraussichtlich keinen Erfolg haben wird und diese Regelungen im angefochtenen Bescheid die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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a) Ihre Rechtsgrundlage finden die Anordnungen in Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG. Nach dieser Vorschrift können die Sicherheitsbehörden zur Erfüllung ihrer Aufgaben im Einzelfall Anordnungen treffen, um rechtswidrige Taten, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen, zu verhüten oder zu unterbinden.
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Vorliegend verhält sich die Antragstellerin ordnungswidrig, denn die Haltung von Kampfhunden ohne die nach Art. 37 Abs. 1 LStVG erforderliche Erlaubnis stellt eine Ordnungswidrigkeit nach Art. 37 Abs. 4 Nr. 1 LStVG dar. Eine vorrangige Spezialermächtigung, die nach Art. 7 Abs. 2 LStVG eine Anwendbarkeit der Norm ausschließen würde, liegt nicht vor. Insbesondere ist Art. 18 Abs. 2 LStVG nicht einschlägig, da dieser nur Anordnungen rechtfertigt, die die Art und Weise (das „Wie“) der Hundehaltung regeln. Die Haltungsuntersagung betrifft dagegen die Hundehaltung als solche, d.h. das „Ob“ der Hundehaltung, so dass eine Anwendung des Art. 18 Abs. 2 LStVG ausscheidet (vgl. Schenk in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand Oktober 2019, Art. 18 Rn. 76 f.).
37
Die Antragstellerin hält einen Kampfhund im Sinne des Art. 37 Abs. 1 LStVG i.V.m. § 1 Abs. 1 der Verordnung über Hunde mit gesteigerter Aggressivität und Gefährlichkeit (KampfhundeV) i.d.F. d. Bek. vom 10. Juli 1992 (GVBl S. 268), zuletzt geändert mit Verordnung vom 4. September 2002 (GVBl S. 513, 583). Bei dem von der Antragstellerin gehaltenen Tier handelt es sich um einen American Staffordshire Terrier, also um einen Hund einer Hunderasse, die in § 1 Abs. 1 KampfhundeV als Kampfhund gelistet ist und aufgrund dieser Rassezuordnung einer Erlaubnispflicht nach Art. 37 Abs. 1 LStVG unterliegt.
38
b) Entgegen der Auffassung der Antragstellerseite ist auch die Rassezuordnung des von der Antragstellerin gehaltenen Hundes nicht zweifelhaft.
39
aa) Sind die Elterntiere des streitgegenständlichen Hundes nicht bekannt, kann die Rassezuordnung grundsätzlich aufgrund des Phänotyps, insbesondere der Größe, des Körperbaus und der Kopfform eines Tieres vorgenommen werden. Auch über die Merkmale Gewicht, Schulterhöhe, Haarkleid oder Farben lässt sich eine Rassezuordnung in schlüssiger Weise nachvollziehbar vornehmen (Schwabenbauer in BeckOK, Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Stand 1.7.2022, Art. 37 LStVG Rn. 28). Lässt der Phänotyp Zweifel an der Rassezuordnung bestehen, so sind zusätzlich dazu die Betrachtung von Wesensart und Bewegungsablauf des Tieres durch einen Sachverständigen bei seiner Bewertung heranzuziehen (Schwabenbauer a.a.O. Rn. 29; vgl. auch BayVGH, B.v. 3.2.2004 – 24 CS 03.3406 – juris Rn. 19; Ziffer 37.3.1 der Vollzugsbekanntmachung zu Art. 37 LStVG, IMS vom 5.6.2021 – BayMBl Nr. 456). Zusätzlich zu diesen Kriterien und diese – im Einzelfall bestätigend oder in Zweifel ziehend – kann eine molekulargenetische Untersuchung zur Bestimmung der Hunderasse herangezogen werden (Schwabenbauer a.a.O. Rn. 30; ebenso VG Ansbach, U.v. 18.9.2020 – AN 15 K 18.658 – BeckRS 2020, 46963).
40
Nach diesen Kriterien kommt der mit der Begutachtung beauftragte öffentlich bestellte und beeidigte Sachverständige für das Hundewesen S. vorliegend in seinem Gutachten vom 12. August 2022 (Bl. 157 – 175 der Behördenakte) nachvollziehbar zum Ergebnis, dass es sich bei dem Hund der Antragstellerin um einen American Staffordshire Terrier handelt, dessen beide Elterntiere ebenfalls dieser Rasse angehören. Hinzu kommt, dass in dem vom Sachverständigen zur Rassebestimmung beauftragten DNA-Gutachten die Rassezuordnung des streitgegenständlichen Tieres und seiner Elterntiere eine Zuordnungswahrscheinlichkeit von 100% zur Rasse American Staffordshire Terrier ergeben hat. Gleichzeitig hat auch das von der Antragstellerin selbst beauftragte DNA-Gutachten, das im gerichtlichen Verfahren vorgelegt worden ist, diese Zuordnungswahrscheinlichkeit bestätigt.
41
bb) Die Rassezuordnung des Hundes der Antragstellerin durch die beiden DNA-Gutachten ist eindeutig. Damit sind die von der Antragstellerseite vorgebrachten Bedenken gegen die Nachvollziehbarkeit dieser beiden Gutachten und die in diesen Gutachten enthaltenen einschränkenden rechtlichen Hinweise zur Bestimmung einer Reinrassigkeit des getesteten Tieres hinfällig. Der von beiden Laboren durchgeführte DNA-Test führt zu einer eindeutigen Zuordnung (100%) der Elterntiere des streitgegenständlichen Hundes zur Rasse American Staffordshire Terrier, so dass der Hund der Antragstellerin als Abkömmling ebenfalls dieser Rasse zugehört.
42
Auch die weiteren Ausführungen der Antragstellerseite zur Abstammung eines Tieres der Rasse „American Bully“ als Hybridhund, d.h. als Mischung als Pitbull Terrier und American Staffordshire Terrier, führen zu keiner anderen Beurteilung. Denn unabhängig von der Frage der Anerkennung der Rasse „American Bully“ als eigenständig und der Frage der Vermischung der Rassemerkmale durch die Züchtung stellen beide aufgrund der molekulargenetischen Untersuchung erstellten Gutachten eine Übereinstimmung des streitgegenständlichen Tieres zu 100% mit der Rasse American Staffordshire Terrier fest. Damit ist eine eindeutige Rassezuordnung erfolgt.
43
Über diese Rassezuordnung aufgrund der molekulargenetischen Untersuchung hinaus liegt eine durch einen öffentlich bestellten und beeidigten Sachverständigen für das Hundewesen durchgeführte Begutachtung des streitgegenständlichen Tiers anhand der oben genannten Kriterien (Phänotyp, Wesensart und Bewegungsablauf; S. 5 ff des Gutachtens vom 12.8.2022 zu den Ziffern 2.2 ff., Bl. 162 ff. der Behördenakte) vor. Dieses Sachverständigengutachten vom 12. August 2022 bestätigt die Zuordnung zur Rasse American Staffordshire Terrier.
44
Dabei hat der Gutachter auch die im Rassestandard unter der Nr. 286 bei der FCI (Federation Cynologique Internationale; von der Antragstellerseite als Anlage K 13 vorgelegt) festgelegten Rassekriterien berücksichtigt und, soweit aus der Sicht des Gutachters für die Eindeutigkeit der Rassezuordnung geboten, die entsprechenden Abweichungen zwischen dem Rassestandard und dem streitgegenständlichen Tier benannt. Aufgrund dieser Kriterien kommt der Gutachter nachvollziehbar zum Ergebnis, dass es sich beim streitgegenständlichen Tier „unzweifelhaft um einen Hund mit der dominierenden Rassezugehörigkeit American Staffordshire Terrier“ (S. 6 f. des Gutachtens vom 12.8.2022; Bl. 161 der Behördenakte) handelt.
45
cc) Dass die von der Antragstellerin zunächst mit einer Begutachtung beauftragte Tierärztin den streitgegenständlichen Hund der Rasse „American Bully“ zuordnet, lässt diese sachverständigen Bewertungen nicht zweifelhaft erscheinen. Zum einen fehlt es der Tierärztin an der Qualifikation eines öffentlich bestellten und allgemein beeidigten Sachverständigen für das Hundewesen. Vor allem aber setzt sich diese Äußerung nicht mit der Frage der Rassezuordnung unter Berücksichtigung des Rassestandards bei der FCI auseinander. Die Rasse „American Bully“ ist danach keine selbständige, anerkannte Hunderasse, ein Rassestandard bei der FCI existiert insoweit nicht.
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c) Nachdem sowohl der öffentlich bestellte und beeidigte Sachverständige für das Hundewesen in seinem Gutachten vom 12. August 2022 als auch die von den beiden Laboren durchgeführten molekulargenetischen Untersuchungen übereinstimmend und nachvollziehbar zum Ergebnis der Zuordnung des streitgegenständlichen Hundes zur Rasse American Staffordshire Terrier gelangen, bestehen keine durchgreifenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Untersagung der Haltung des streitgegenständlichen Tieres. Für Hunde der Rasse American Staffordshire Terrier wird nach § 1 Abs. 1 KampfhundeV unwiderleglich vermutet, dass es sich um Kampfhunde handelt. Die Haltung dieser Hunde bedarf nach Art. 37 Abs. 1 Satz 1 LStVG der Erlaubnis. Diese Erlaubnis wurde der Antragstellerin nicht erteilt, Gründe für eine Erteilung der Erlaubnis nach Art. 37 Abs. 2 LStVG sind nicht vorgetragen oder erkennbar. Die Unterbindung der weiteren unerlaubten Haltung des streitgegenständlichen Tiers hat die Antragsgegnerin damit nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Art. 37 Abs. 4 Nr. 1 LStVG rechtmäßig angeordnet. Daraus resultiert in rechtmäßiger Weise auch die Verpflichtung der Antragstellerin zur Abgabe des Hundes.
47
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
48
Die Streitwertfestsetzung unter Ziffer III. des Beschlusses war nach §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG vorzunehmen. Das Gericht orientiert sich dabei an den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (dort Nrn. 1.5, 35.2).
III.
49
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung ist abzulehnen, weil es an den hinreichenden Erfolgsaussichten für die beabsichtigte Rechtsverfolgung fehlt (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO).
50
Gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist etwa dann gegeben, wenn schwierige Rechtsfragen zu entscheiden sind, die im Hauptsacheverfahren geklärt werden müssen. Auch wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Mittellosen ausgehen wird, ist vorab Prozesskostenhilfe zu gewähren (vgl. etwa BVerfG, B.v. 14.4.2003 – 1 BvR 1998/02 – NJW 2003, 2976). Insgesamt dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Verfahrens nicht überspannt werden, eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolges genügt (vgl. etwa Eyermann/Happ, VwGO, § 166 Rn. 26). Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist im Verfahren ohne Vertretungszwang immer geboten, wenn es in einem Rechtsstreit um nicht einfach zu überschauende Tat- und Rechtsfragen geht (vgl. Eyermann/Happ, a.a.O., Rn. 38).
51
Nach diesen Grundsätzen kommt die Gewährung von Prozesskostenhilfe im Eilverfahren nicht in Betracht, da nach den obigen Ausführungen (unter II.), auf die Bezug genommen wird, der Eilantrag nicht erfolgreich ist.