Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 22.11.2022 – Au 8 K 22.50315
Titel:

keine systemischen Mängel im Asylverfahren in Italien

Normenketten:
AsylG § 27a, § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 1 S. 1
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 12, Art. 22, Art. 29
Leitsatz:
Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass einem Dublin-Rückkehrer bei einer Überstellung nach Italien wegen dort bestehender systemischer Schwachstellen im Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung iSv Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh drohen könnte. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asyl, Afghanistan, Unzulässiger Antrag, Zuständigkeit von Italien, Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, Bezugnahme auf Bescheid des Bundesamts, keine systemischen Mängel in Italien, Ablehnung PKH-Antrag, Italien, Dublin-Verfahren, Abschiebung, systemische Mängel
Fundstelle:
BeckRS 2022, 37811

Tenor

I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragsteller wird abgelehnt (Au 8 S 22.50316).
II. Die Kosten des Verfahrens Au 8 S 22.50316 haben die Antragsteller zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Anträge auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung für das Klagesowie das Antragsverfahren werden abgelehnt.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller wenden sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine Abschiebungsanordnung nach Italien.
2
Der am ... 1986 geborene Antragsteller zu 1 ist verheiratet mit der am ... 2001 geborenen Antragstellerin zu 2. Die Antragsteller sind afghanische Staatsangehörige vom Volk der Tadschiken und sunnitischen Glaubens. Sie reisten eigenen Angaben nach am 26. Juni 2022 in die Bundesrepublik Deutschland ein und äußerten Asylgesuche, von denen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 1. Juli 2022 Kenntnis erlangte. Am 10. August 2022 stellten die Antragsteller förmliche Asylanträge.
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Nach den Erkenntnissen des Bundesamts lagen aufgrund der VIS-Auskunft Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Staates nach der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) vor. Am 12. August 2022 stellte das Bundesamt ein Aufnahmegesuch an Italien auf Grundlage der Dublin III-VO, das unbeantwortet blieb. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt gab der Antragsteller zu 1 im Wesentlichen an, dass er sich 17 Tage lang in Italien aufgehalten habe. Er habe über den Iran von der dortigen italienischen Botschaft ein Visum erhalten. In Italien würden die Menschenrechte nicht respektiert. Die Unterkunft, in der er mit der Antragstellerin zu 2 untergebracht worden sei, sei in einem sehr schlechten Zustand gewesen. Die Unterkunft sei 40 Minuten Fußweg entfernt vom Zentrum der Stadt P. gelegen gewesen. In der Stadt habe es kein Krankenhaus, keine Universität und nur eine Schule bis zur neunten Klasse gegeben. Er habe sich dort unsicher gefühlt. Es habe keine richtige ärztliche Versorgung gegeben. Auch seelisch hätten sie sich dort unterdrückt gefühlt. Als seine Frau krank geworden sei, hätte er nach einem Arzt gefragt, aber keine Antwort bekommen. Die Unterkunft sei ein staatlich unterstütztes Projekt gewesen. Der Antragsteller zu 1 habe sich bei dem Leiter des Projektes beschwert. Dieser habe ihm zwei Lösungsvorschläge gemacht. Entweder bleibe er in der Wohnung und unterschreibe den Mietvertrag oder trete aus dem Projekt aus. Der Antragsteller zu 1 gab ferner an, eine Erkrankung der Gefäße (Morbus Behcet) zu haben. Wenn er keine Medikamente einnehme, mache sich die Krankheit besonders an seinen Augen bemerkbar. Wenn er seine Medikamente nicht nehme, könne es sein, dass er auf dem linken Auge nichts sehe. Er nehme die Medikamente Prednisolon AL 5 mg, Colchicin Ysat 0,5 mg ein. Auch bekomme er Geschwüre im Mund, wenn er die Medikamente nicht einnehme. Ergänzend gab die Antragstellerin zu 2 bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt u.a. an, dass sie in Italien sehr schlecht behandelt worden seien. Die Unterkunft sei unhygienisch gewesen, es habe Schimmel an den Wänden gegeben, die Ortschaft sei sehr unsicher gewesen und es habe keine ärztliche Versorgung gegeben. Sie habe einen Hautausschlag, blaue Flecken und starken Juckreiz bekommen. Sie habe in Italien 5 Tage lang an starken Kopfschmerzen gelitten. Da keine Schmerzmittel geholfen hätten, habe sie Beruhigungsmittel einnehmen müssen. Es seien für sie die Medikamente MirtaLich 15 mg, Prednitop Salbe und Antiscabiosum erforderlich. Die Antragsteller zu 1 und 2 trugen ferner vor, dass sich ihre Brüder im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland aufhalten würden.
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Mit Bescheid vom 7. November 2022 lehnte das Bundesamt die Asylanträge der Antragsteller als unzulässig ab (Ziffer 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2). Die Abschiebung der Antragsteller nach Italien wurde angeordnet (Ziffer 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 15 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4). Auf die Begründung des Bescheids wird verwiesen.
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Hiergegen ließen die Antragsteller am 14. November 2022 Klage (Au 8 K 22.50315) erheben, über welche noch nicht entschieden worden ist. Gleichzeitig begehren sie einstweiligen Rechtsschutz und ließen beantragen,
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die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass das Aussetzungsinteresse der Antragsteller das Vollzugsinteresse der Gegenseite überwiege, weil der angefochtene Bescheid nach summarischer Prüfung rechtswidrig sei. Die Voraussetzungen für eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG lägen nicht vor. Es werde bestritten, dass Italien für die Durchführung der Asylverfahren der Antragsteller zuständig sei. Es würde jedenfalls wesentliche Gründe für Annahme geben, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in Italien systemische Schwachstellen aufweise, was die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i.S.d. Art. 4 GRCh mit sich bringe. Diesbezüglich werde auf das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 20. Juli 2021 (OVG NRW, U.v. 20.7.2021 - 11 A 1689/20.A - juris) verwiesen (bzw. unter entsprechender Wiedergabe Bezug genommen). Bei dieser (im angeführten Urteil dargelegten) Sachlage sei nicht davon auszugehen, dass es den Antragstellern bei einer Rückkehr nach Italien gelingen werde, ihre elementaren Bedürfnisse zu befriedigen. Es sei schon nicht davon auszugehen, dass es ihnen gelingen werde, eine Unterkunft zu finden. Es sei bereits beachtlich wahrscheinlich, dass die Antragsteller im Fall ihrer Rückkehr keine Arbeit finden werden. Auf die Antragsbegründung wird Bezug genommen.
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Weiter wurde (sinngemäß) beantragt,
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den Antragstellern für das Klagesowie das Eilverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten zu bewilligen.
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Das Bundesamt hat (bisweilen) keinen Antrag gestellt; es hat die Behördenakte des Asylverfahrens auf elektronischem Weg vorgelegt.
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Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auch im Verfahren Au 8 K 22.50315, sowie der beigezogenen Behördenakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
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Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bleibt ohne Erfolg.
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1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere statthaft. Die bei verständiger Würdigung des Begehrens (§§ 122 Abs. 2, 88 VwGO) sachgerecht ausgelegte (vgl. Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 29 AsylG Rn. 44 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, U.v. 20.5.2020 - 1 C 34/19 - juris Leitsatz 1; U.v. 14.12.2016 - 1 C 4/16 - juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 8.3.2019 - 10 B 18.50031 - juris Rn. 20) Klage der Antragsteller hat keine aufschiebende Wirkung (§ 75 AsylG). Nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG können Anträge ausweislich § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsanordnung innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe gestellt werden.
14
2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragsteller ist jedoch unbegründet.
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Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des vorliegend aus § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG folgenden gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn das Interesse der Antragsteller, von der Vollziehung des Bescheides vorläufig verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Bescheides überwiegt. Nach dieser Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin mit dem Aussetzungsinteresse der Antragsteller, die sich maßgeblich an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientiert, fällt die Interessenabwägung zu Lasten der Antragsteller aus. Die Abschiebungsanordnung nach Italien erweist sich bei der im einstweiligen Rechtsschutz allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig. Es wird in vollem Umfang Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) sowie lediglich ergänzend ausgeführt:
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a) Die Abschiebung der Antragsteller nach Italien ist rechtlich zulässig und tatsächlich möglich.
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aa) Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG ist ein Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt in einem solchen Fall die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Solche Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft im Sinne von § 27a AsylG finden sich aktuell in der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. Nr. L 180 S. 31 - Dublin III-VO).
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Vorliegend ist für die Durchführung des Asylverfahrens der Antragsteller nach Maßgabe der Dublin III-VO nicht die Antragsgegnerin, sondern Italien zuständig (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG). Es ist davon auszugehen, dass Italien gemäß Art. 12 Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 Dublin III-VO für die Behandlung der Asylanträge der Antragsteller zuständig ist. Nach Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO sind die in Art. 12 Abs. 1 bis 3 Dublin III-VO enthaltenen Regelungen auch auf solche Personen anzuwenden, welche sich im Besitz eines weniger als sechs Monate abgelaufenen Visums befinden, aufgrund dessen sie in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnten, und seither das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen haben. Aus Art. 12 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO wiederum folgt für die Prüfung von Asylanträgen von Personen, die im Besitz eines gültigen Visums sind, eine Zuständigkeit desjenigen Mitgliedstaats, der dieses Visum erteilt hat. Vorliegend ergab die seitens der Antragsgegnerin eingeholte VIS-Auskunft, dass den Antragstellern italienische Einreise-/ Kurzaufenthaltsvisa für Italien mit einer Gültigkeitsdauer vom 29. April 2022 bis zum 11. August 2022 bzw. 14. Mai 2022 bis 26. August 2022 erteilt worden war (vgl. Bl. 34 ff. der Behördenakte). Zu dem nach Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO maßgeblichen Zeitpunkt der erstmaligen Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz i.S.d. Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO, wofür nach der Rechtsprechung des EuGH (U.v. 26.7.2017 - C-670/16 - juris) die hier am 1. Juli 2022 erfolgte erstmalige schriftliche Kenntniserlangung der Antragsgegnerin von den Asylgesuchen maßgeblich ist, befanden sich die Antragsteller im Besitz gültiger Visa. Italien hat das Aufnahmegesuch des Bundesamts vom 12. August 2022 nicht innerhalb der Frist des Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO beantwortet. Damit ist ausweislich Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird. Die Zuständigkeit Italiens ist nicht durch den Ablauf der Überstellungsfrist wieder entfallen. Die Überstellungsfrist nach Art. 29 Dublin III-VO von sechs Monaten ab der nach Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO anzunehmenden Annahme des Aufnahmegesuchs durch den anderen Mitgliedstaat ist noch nicht abgelaufen. Ob die italienischen Visa im Zeitpunkt des § 77 Abs. 1 AsylG noch gültig sind, ist (auch vor dem Hintergrund des Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO) unerheblich.
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bb) Gründe, von einer Überstellung nach Italien gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO abzusehen, sind nicht ersichtlich.
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Dies würde voraussetzen, dass es sich als unmöglich erweist, die Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedsstaat zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedsstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) mit sich bringen. Den nationalen Gerichten obliegt die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedsstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedsstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH vom 21.12.2011 - C 493/10 - juris). An die Feststellung solcher systemischen Schwachstellen sind hohe Anforderungen zu stellen. Von derartigen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im betreffenden Mitgliedsstaat regelhaft so defizitär sind, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 - 10 B 6/14 - NVwZ 2014, 1039).
21
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v.14.05.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 - juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den jeweiligen Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. hierzu BVerwG, B.v.19.03.2014 - 10 B 6.14 - juris).
22
Ausgehend von den vorstehend dargestellten Grundsätzen sind für das Gericht unter Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnislage keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass den Antragstellern bei einer Überstellung nach Italien wegen dort bestehender systemischer Schwachstellen im Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh drohen würde (vgl. etwa VGH BW, B.v. 8.11.2021 - A 4 S 2850/21 - juris; SaarlOVG, U.v. 15.2.2022 - 2 A 46/21 - juris). Unter Auswertung der aktuellen Auskunftslage verneint die überwiegende Rechtsprechung jedenfalls für Personen ohne besondere Verletzlichkeit eine Situation extremer materieller Not (vgl. BayVGH, B.v. 8.6.2021 - 6 ZB 21.50037 - juris; B.v. 9.1.2019 - 10 CE 19.67 - juris; VGH BW, B.v. 8.11.2021 - A 4 S 2850/21 - juris; VG Augsburg, GB v. 16.8.2021 - Au 3 K 21.50069 - juris; VG München, B.v. 21.9.2021 - M 19 S 21.50527 - juris; VG Chemnitz, U.v. 22.10.2021 - 5 L 449/21.A - juris; VG Berlin, U.v. 16.8.2021 - 31 K 575.17 A - juris; aA OVG NRW, U.v. 20.7.2021 - 11 A 1689/20.A - juris; vgl. im Übrigen für vulnerable Personen auch Sächs. OVG, U.v. 22.3.2022 - 4 A 389/20.A - juris; VG Würzburg, U.v. 10.6.2022 - W 8 K 22.50113 - juris m.w.N.). Diese Auffassung teilt das erkennende Gericht, insbesondere schließt es sich nicht der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen in dem Urteil vom 20. Juli 2021 (OVG NRW, U.v. 20.7.2021 - 11 A 1689/20.A) an und nimmt auf die in der überwiegenden Rechtsprechung im Einzelnen dargelegte (ablehnende) Begründung Bezug, die u.a. sehr überzeugend herausarbeitet, dass sich das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen nicht von den „harten“ EuGH-Maßstäben im Lichte des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens (EuGH, U.v. 19.3.2019 - C-163/17 - juris Rn. 80 ff.) leiten lässt (vgl. etwa VGH BW, B.v. 8.11.2021 - A 4 S 2850/21 - juris m.w.N.; SaarlOVG, U.v. 15.2.2022 - 2 A 46/21 - juris u.a. auch mit dem Hinweis, dass das BVerwG, B.v. 17.1.2022 - 1 B 66.21 - juris, selbst keine Prüfung in der Sache vorgenommen habe; OVG MV, U.v. 19.1.2022 - 4 LB 68/17 und 4 LB 135/17 - juris; VG Augsburg, Gb.v. 16.8.2021 - Au 3 K 21.50069 - juris; VG Chemnitz, U.v. 22.10.2021 - 5 L 449/21.A - juris; VG Würzburg, U.v. 10.6.2022 - W 8 K 22.50113 - juris). Zur Vermeidung von Wiederholungen wird im Übrigen erneut gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffenden Gründe des Bescheids vom 7. November 2022 Bezug genommen. Aus dem Klage- und Antragsvorbringen ergeben sich (auch ansonsten) keine Umstände, die eine hiervon abweichende Bewertung rechtfertigen können. Das Vorbringen bleibt unabhängig hiervon (im Ganzen) nicht hinreichend substantiiert. Ferner konnten die Antragsteller belastbare Erkenntnisse über die Lage der Menschenrechte in Italien und die Gewährung im Asylverfahren angesichts ihrer kurzen Aufenthaltsdauer nicht gewinnen. Auch die von den Antragstellern vorgetragenen Beziehungen zu hier lebenden Verwandten ändern - auch vor dem Hintergrund von Art. 6 GG - an der vorstehenden (in Bezug genommenen) Beurteilung nichts.
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cc) Individuelle Umstände, die im Falle der Antragsteller dennoch gegen eine Überstellung sprächen und die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO notwendig machen, sind - wie im verfahrensgegenständlichen Bescheid zutreffend dargelegt, worauf entsprechend Bezug genommen wird - nicht ersichtlich.
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Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsteller bei einer Rückführung nach Italien erhebliche Gefahren für Leib und Leben befürchten müssten, welche einen Verstoß gegen Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK begründen ließen, sind nach den obigen Ausführungen und unter Bezugnahme auf den streitgegenständlichen Bescheid nicht ersichtlich. Eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben aus gesundheitlichen Gründen läge nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung nach Italien wesentlich verschlechtern würden. Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist dabei nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Erheblich ist eine Gefahr, wenn der Umfang der Gefahrenrealisierung von bedeutendem Gewicht ist. Das ist der Fall, wenn sich durch die Abschiebung der unter dem Gesichtspunkt der Leibes- und Lebensgefahr hier allein in Betracht kommende Gesundheitszustand des Betroffenen wegen geltend gemachter unzureichender medizinischer Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat der Abschiebung (vorliegend Italien) in einem angemessenen Prognosezeitraum wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde.
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Dabei muss der Betroffene eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen und muss diese ärztliche Bescheinigung insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten.
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Soweit der Antragsteller zu 1 insbesondere vorbringt, eine Erkrankung der Gefäße (Morbus Behcet) zu haben, sich die Krankheit v.a. an seinen Augen bemerkbar mache bzw. er Geschwüre im Mund bekomme, wenn er seine Medikamente (Prednisolon AL, Colchicin Ysat) nicht einnehme respektive die Antragstellerin zu 2 v.a. vorbringt, einen Hautausschlag, blaue Flecken und starken Juckreiz bzw. starke Kopfschmerzen bekommen zu haben und für sie (noch) Medikamente (MirtaLich, Prednitop Salbe sowie Antiscabiosum) erforderlich seien, fehlt es insoweit bereits am Vorliegen (hinreichend) qualifizierter ärztlicher Bescheinigungen (vgl. auch § 60a Abs. 2c AufenthG). Die teils schemenhaft vorgetragenen Beschwerden sind hiervon unabhängig nicht als lebensbedrohlich bzw. schwerwiegend im o.g. Sinne einzustufen. Dessen ungeachtet ist - unabhängig von der Frage des Schweregrades der vorgetragenen Beeinträchtigungen - nicht ersichtlich, dass bei den Antragstellern durch eine Abschiebung nach Italien eine wesentliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes eintreten wird. Es steht ferner zu erwarten, dass es für die Antragsteller in Italien möglich sein wird, eine u.U. notwendige medizinische Behandlung zu erhalten; in Italien bestehen eine umfassende und hinreichende medizinische Versorgung bzw. hinreichende medizinische Behandlungsmöglichkeiten (vgl. näher nur VG Greifswald, U.v. 9.9.2022 - 4 A 1962/18 HGW - juris; VG Würzburg, U.v. 10.6.2022 - W 8 K 22.50113 - juris je m.w.N.). Es sind schließlich auch keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Antragsteller von einer u.U. notwendigen medizinischen (Not-)Versorgung in Italien ausgeschlossen wären. Im Übrigen wird auf die detaillierten Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen.
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b) Die Abschiebung nach Italien kann auch durchgeführt werden. Die Feststellung im angefochtenen Bescheid, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, ist voraussichtlich ebenfalls rechtmäßig.
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Die Antragsteller können sich auf zielstaatsbezogene - bezogen auf Italien - oder inlandsbezogene Abschiebungsverbote, die in Bezug auf die Abschiebungsanordnung gegenüber der Antragsgegnerin geltend gemacht werden können (vgl. BayVGH, B.v. 12.10.2015 - 11 ZB 15.50050 - juris Rn. 4), nicht berufen.
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Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Italien sind - nach obigen Maßgaben und unter Bezugnahme auf den streitgegenständlichen Bescheid - nicht ersichtlich. Insbesondere ein Abschiebungsverbot aus gesundheitlichen Gründen nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist hinsichtlich Italien zu verneinen. Ein solches käme nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen in Betracht, welche sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Dies ist jedoch vorliegend - wie bereits dargelegt - nicht der Fall. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Reisefähigkeit der Antragsteller (aus gesundheitlichen Gründen) eingeschränkt wäre. Abschiebungsverbote bezogen auf Afghanistan sind im Dublin-Verfahren nicht zu prüfen. Eine Einreise nach Italien ist - auch im Hinblick auf die Corona-Pandemie - zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) tatsächlich möglich, § 34a Abs. 1 AsylG. Es bestehen keine pandemiebedingten Beschränkungen für die Einreise nach Italien (vgl. hierzu etwa www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/italiensicherheit/211322; Stand: 22. November 2022).
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c) Auch die Anordnung sowie Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 bis 3 AufenthG erweist sich als voraussichtlich rechtmäßig. Nach Ansicht des Gerichts ist die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 15 Monate angemessen (§ 11 Abs. 2 AufenthG). Die Befristung hält sich innerhalb des von § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eröffneten gesetzlichen Rahmens von bis zu fünf Jahren. Das nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eröffnete Ermessen wurde erkannt und ermessensfehlerfrei ausgeübt.
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3. Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalls war daher der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vor allem im Hinblick auf die voraussichtliche Erfolglosigkeit der Klage abzulehnen. Besondere Umstände, die die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage entgegen der voraussichtlichen Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides im Wege der Interessenabwägung erforderlich erscheinen ließen, liegen nicht vor.
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4. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage war demzufolge mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
III.
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1. Das Gericht geht bei sachgerechter Auslegung (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO) davon aus, dass die Antragsteller auch für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung beantragen wollten.
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2. Da es nach den obigen Ausführungen an hinreichenden Erfolgsaussichten für das Antragsverfahren fehlt und auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen nicht zumindest als offen anzusehen sind (vgl. dazu Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 166 Rn. 26 ff.), waren die Anträge auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung für das Klagesowie das Antragsverfahren abzulehnen (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.