Titel:
Erforderlicher Inhalt eines Haftantrages bei notwendiger Passersatzbeschaffung
Normenketten:
AufenthG § 14 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2
Dublin III-VO Art. 13 Abs. 1
FamFG § 417 Abs. 2 S. 2
Leitsätze:
1. Im Haftantrag muss die Durchführbarkeit der Abschiebung mit konkretem Bezug auf das Land, in das der Betroffene abgeschoben werden soll, dargelegt werden. Anzugeben ist dazu, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind, von welchen Voraussetzungen dies abhängt und ob diese Voraussetzungen im konkreten Fall vorliegen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Angabe eines Zeitraums von 8 Wochen für die Passbeschaffung ist im Haftantrag unter Darlegung der rechtlichen Grundlage, der konkreten Schritte die für die Passbeschaffung erforderlich sind, der Dauer, die diese Maßnahme erfahrungsgemäß in Anspruch nehmen und welche Dauer im konkreten Fall zu erwarten ist, darzulegen. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Dublin-Verfahren, Haftantrag, Passersatzbeschaffung, VO (EU) 604/2013
Vorinstanz:
AG Hof, Beschluss vom 25.11.2021 – 25 XIV 95/21 (B)
Fundstelle:
BeckRS 2022, 37694
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass ihn der Beschluss des Amtsgerichts Hof vom 25.11.2021, Az. 25 XIV 95/21 (B), in seinen Rechten verletzt hat.
2. Von der Erhebung von Gerichtskosten wird abgesehen. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen sowohl in der 1. als auch in der 2. Instanz werden der Bundespolizeidirektion M. auferlegt.
3. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
4. Dem Betroffenen wird für das Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt …, bewilligt.
Gründe
1
Der Betroffene ist russischer Staatsangehöriger. Er reiste am 24.11.2021 von Polen kommend unerlaubt nach Deutschland ein, ohne den für die Einreise erforderlichen Pass oder Passersatz (§§ 3 Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) oder den erforderlichen Aufenthaltstitel (§§ 4 Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) zu besitzen. Er wurde am 24.11.2021 gegen 15:40 Uhr mit fünf weiteren Personen als Mitfahrer eines Pkw mit bulgarischer Zulassung auf der BAB 9 festgestellt und anschließend durch die Bundespolizei grenzpolizeilich kontrolliert. Er händigte einen gefälschten moldawischen Reisepass mit Aliaspersonalien aus, in dem sich ein polnischer Einreisestempel vom 23.11.2021 befand.
2
Mit Antrag vom 25.11.2021, auf den Bezug genommen wird, beantragte die Bundespolizeidirektion M., vertreten durch die Bundespolizeiinspektion S., beim Amtsgericht Hof, gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der beabsichtigten Abschiebung nach Russland bis zum 17.02.2022 anzuordnen.
3
Mit Beschluss vom 25.11.2021 (Az. 25 XIV 95/21 (B)) ordnete das Amtsgericht Hof gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung nach Russland bis längstens 17.02.2022 an. Auf das Protokoll der Anhörung vom 25.11.2021 sowie auf den Beschluss wird Bezug genommen. Der Betroffene wurde am 25.11.2021 in die Abschiebehafteinrichtung Hof aufgenommen.
4
Gegen diesen Beschluss legte der Betroffenen noch am 25.11.2021 Beschwerde zu Protokoll des Amtsgerichts Hof ein, ohne diese näher zu begründen.
5
Mit weiterem Beschluss vom 25.11.2021 half das Amtsgericht Hof der Beschwerde nicht ab und legte die Akten dem Landgericht Hof zur Entscheidung vor.
6
Mit Schreiben vom 02.12.2021 begründete der Betroffene seine Beschwerde und führte aus, dass er in Deutschland bleiben wolle, weil seine Familie in Österreich lebe und er dieser so am nächsten sei. Auf das Schreiben wird wegen des weiteren Inhalts Bezug genommen.
7
Mit Schriftsatz vom 17.12.2021 legte der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen Beschwerde gegen den Beschluss vom 25.11.2021 ein und beantragte Akteneinsicht sowie Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe.
8
Mit Schriftsatz vom 27.12.2021 kündigte der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen eine Begründung der Beschwerde an, sobald ihm die von der Beschwerdekammer angeforderte Stellungnahme der Bundespolizeiinspektion S. zum Beschwerdevorbringen des Betroffenen übersandt worden sei und bat ausdrücklich, zuvor nicht in der Sache zu entscheiden.
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Am 27.12.2021 stellte der Betroffene aus der Haft heraus einen Asylantrag, der am 29.12.2021 beim BAMF einging (Az. …).
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Die Bundespolizeiinspektion S. nahm mit Schreiben vom 04.01.2022 zur Beschwerdebegründung des Betroffenen vom 02.12.2021 Stellung.
11
Der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen begründete die Beschwerde mit Schriftsatz vom 14.01.2022, auf den wegen des Inhalts Bezug genommen wird.
12
Am 14.01.2022 stellte das BAMF gemäß Art. 13 Abs. 1 VO (EU) 604/2013 (Dublin-III-VO) ein Wiederaufnahmegesuch an Polen.
13
Mit Antrag vom 20.01.2022, eingegangen beim Amtsgericht Hof am 21.01.2022, beantragte die Regierung von O. - Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) - gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Überstellung nach Polen bis längstens 11.03.2022 anzuordnen, hilfsweise eine einstweilige Anordnung zu erlassen.
14
Mit Schreiben vom 21.01.2022 an das Amtsgericht Hof nahm die Bundespolizeiinspektion S. ihren Haftantrag zurück und beantragte die Aufhebung des Beschlusses vom 25.11.2021.
15
Das Amtsgericht Hof hob im Verfahren 25 XIV 95/21 (B) mit Beschluss vom 21.01.2022 den Beschluss vom 25.11.2021 (Az. 25 XIV 95/21 (B)) auf.
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Anschließend hörte es den Betroffenen zum Haftantrag der ZAB O. vom 20.01.2022 an und ordnete sodann mit weiterem Beschluss vom 21.01.2022 (Az. 25 XIV 29/22 (B)) im Wege der einstweiligen Anordnung Haft zur Sicherung der Rücküberstellung bis zum Ablauf des 26.01.2022 an.
17
Das Landgericht Hof wies den Betroffenen mit Verfügung vom 28.01.2022 darauf hin, dass sich die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hof vom 25.11.2021 durch dessen Aufhebung am 21.01.2022 in der Hauptsache erledigt hat.
18
Der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen beantragte daraufhin mit Schriftsatz vom 05.02.2022 festzustellen, dass der angefochtene Beschluss den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.
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Hinsichtlich der inhaltlichen Einzelheiten wird auf die dargestellten Aktenbestandteile ausdrücklich Bezug genommen.
20
Die Akte der antragstellenden Behörde lag der Beschwerdekammer vor.
21
1. Die Beschwerde ist zulässig, weil sie als Rechtsmittel gegen eine Haftanordnung statthaft ist und form- und fristgerecht eingelegt wurde, §§ 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, 58 Abs. 1, 63, 64 FamFG. Der Antrag richtet sich gemäß § 62 Abs. 1 FamFG in zulässiger Weise auf Feststellung, dass der Betroffene durch die angefochtene Haftanordnung in seinen Rechten verletzt worden ist. Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung ist nach § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG gegeben.
22
2. Die Beschwerde ist auch begründet, weil die Rechte des Betroffenen durch den Erlass und den Vollzug des angefochtenen Beschlusses des Amtsgerichts Hof vom 25.11.2021 verletzt wurden.
23
a) Es fehlte bereits an einem zulässigen Haftantrag.
24
aa) Ein Haftantrag ist nur zulässig, wenn er die in § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG bezeichneten Punkte behandelt. Die Darlegungen müssen - wenn auch in knapper Form - die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falles ansprechen. Sie müssen auf den konkreten Fall zugeschnitten sein und dürfen sich nicht in Leerformeln und Textbausteinen erschöpfen. Das Vorliegen eines solchen Antrags ist Verfahrensvoraussetzung und daher in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebevoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer, siehe § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG.
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Die Durchführbarkeit der Abschiebung muss mit konkretem Bezug auf das Land, in das der Betroffene abgeschoben werden soll, dargelegt werden. Anzugeben ist dazu, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind, von welchen Voraussetzungen dies abhängt und ob diese Voraussetzungen im konkreten Fall vorliegen (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 04.07.2019 - V ZB 173/18; Beschluss vom 12.11.2019 - XIII ZB 5/19).
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Soweit ein Teil der Haftdauer benötigt wird, um Pass- oder sonstige Reisedokumente zu beschaffen, bedarf es der Darlegung, wann und aufgrund welcher Verfahrensschritte mit einer Ausstellung durch wen zu rechnen ist und auch, ob über die Ausstellung hinaus noch weitere Formalitaten erforderlich sind (BGH, Beschluss vom 25.01.2018 - V ZB 201/17; Beschluss vom 19.01.2012 - V ZB 70/11).
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bb) Diesen Anforderungen genügten die Ausführungen zur erforderlichen Dauer der Haft in dem Antrag der Bundespolizeiinspektion S. vom 25.11.2021 nicht.
28
Der Haftantrag enthält nur lückenhafte Ausführungen zu den für die Abschiebung des Betroffenen nach Russland erforderlichen Schritten und deren Zeitdauer Angaben dazu, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen nach Russland üblicherweise möglich sind, fehlen gänzlich.
29
Soweit ein Zeitraum von 8 Wochen für die Passbeschaffung angesetzt wird, fehlt es an jeglichen weiteren Ausführungen zur Begründung dieser Zeitdauer. Es wird weder die rechtliche Grundlage genannt, noch welche konkreten Schritte für die Passbeschaffung erforderlich sind und welche Dauer diese erfahrungsgemäß in Anspruch nehmen und welche Dauer im konkreten Fall zu erwarten ist.
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Auch die weiteren, nach der Passbeschaffung erforderlichen Schritte, für die insgesamt weitere vier Wochen angesetzt werden, werden nur schlagwortartig und pauschal beschrieben, ohne Bezug zum konkreten Fall. Zur - bei einer Abschiebung nach Russland wohl erforderlichen - Flugbuchung enthält der Haftantrag keine Angaben. Darüber hinaus wird nicht erläutert, ob die Organisation des Fluges und die Beschaffung des Passersatzpapiers zeitlich parallel laufen oder hintereinandergeschaltet werden müssen.
31
Insgesamt waren die Ausführungen im Haftantrag vom 25.11.2021 daher nicht geeignet, die beantragte Haftdauer von 12 Wochen plausibel zu begründen.
32
b) Aufgrund des unzulässigen Haftantrags hätte das Amtsgericht keine Haft anordnen dürfen. Der angefochtene Beschluss vom 25.11.2021 hat den Betroffenen deshalb in seinen Rechten verletzt.
33
Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 EMRK.
34
Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 36 Abs. 3 GNotKG.
35
Die Entscheidung über die Verfahrenskostenhilfe und Beiordnung folgt aus §§ 76 ff. FamFG und §§ 114 ff. ZPO.