Titel:
Keine Präklusion auf nicht in der Deckungsablehnung angeführte Gründe bei fehlender Wahrnehmung des Stichentscheidsverfahrens
Normenkette:
ARB 2010 § 3a
Leitsätze:
Nimmt der VN einer Rechtsschutzversicherung trotz zutreffenden Hinweises des VR die Möglichkeit eines Stichentscheids nicht wahr, ist es dem VR aus Rechtsgründen nicht verwehrt, sich zur Begründung fehlender hinreichender Erfolgsaussichten auf weitere Ablehnungsgründe, als die bereits in der Deckungsablehnung angeführten zu berufen. (Rn. 41)
Die Beweislast dafür, dass dem Versicherer ein Stichentscheid vorgelegt wurde bzw. dieser dem Versicherer zugegangen ist, liegt beim Versicherungsnehmer. (Rn. 80) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rechtsschutzversicherung, Stichentscheid, Präklusion, Ablehnungsgründe
Fundstellen:
LSK 2022, 37662
BeckRS 2022, 37662
ZfS 2024, 39
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 8.232,39 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klagepartei nimmt die Beklagte auf Rechtsschutzdeckung für eine beabsichtigte Rechtsverfolgung im Zusammenhang mit dem sogenannten Diesel-Skandal in Anspruch.
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Die Klagepartei hält bei der Beklagten eine Rechtsschutzversicherung. Dem Vertrag liegen die Verkehrs-Rechtsschutz-Versicherungsbedingungen VRB 2006 zugrunde.
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Am 13.04.2015 kam es zum Kauf eines dieselbetriebenen Bx. 220d (Hersteller: Bx. AG) mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … als Neuwagen zu einem Kaufpreis in Höhe von 43.117.89 € (Anlagen K 04, 05). Bei dem erworbenen Fahrzeug handelte es sich um einen Wagen mit Erstzulassung am 16.04.2015. Das Fahrzeug besitzt die Abgasnorm Euro 6.
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Einen Rückruf des Kraftfahrzeugbundesamtes für Fahrzeuge mit dem streitgegenständlichen Motor gibt es nicht.
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Mit Anwaltsschreiben vom 23.03.2021 wandten sich die Klägervertreter für die Klagepartei an die Beklagte wegen behaupteter Manipulation der Abgassteuerung (Anlage K01).
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Mit Schreiben vom 19.04.2021 lehnte die Beklagte eine Deckungszusage wegen mangelnder Erfolgsaussichten ab; gleichzeitig wies sie auf die Möglichkeit der Abgabe eines Stichentscheids nach § 17 Abs. 2 VRB 2006 hin (Anlage K02).
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Die Klagepartei behauptet, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug ein Motor mit der Kennung B47 verbaut sei. Dieser sei durch die Bx. AG mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung (Software) versehen worden, die den Schadstoffausstoß auf dem Prüfstand unerlaubt verringert und unter Realbedingungen erheblich mehr Schadstoffe emittiere. Es bestünden wegen der darin liegenden Täuschung über wesentliche Eigenschaften des Fahrzeugs Schadensersatzansprüche gegen die Bx. AG.
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Darüber hinaus verfüge das Fahrzeug über ein sogenanntes „Thermofenster“, bei dem es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der europarechtlichen Vorschriften handele.
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Außerdem sei der Motor mit einer Funktion „Kaltstartheizen“ versehen, was sich aus einer Überprüfung vergleichbarer Motoren schließen lasse. Hierbei handele es ebenfalls sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung.
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Messungen des Umweltbundesamtes bei anderen Fahrzeugen mit dem Motor B47 zeigten, dass der Abgasausstoß außerhalb des normierten Messzyklus um mehr als das Dreifache erhöht sei. Diese Messwerte seien auf das streitgegenständliche Fahrzeug übertragbar. Hierzu bietet die Klagepartei die Erholung eines Sachverständigengutachtens an. Hinweise auf eine Abgasmanipulation ergäben sich zudem aus den Messungen der Deutschen Umwelthilfe, die für 16 Fahrzeuge von Bx. mit der Abgasnorm Euro 6 Messungen vorgenommen worden seien. Auch diese Ergebnisse seien auf das streitgegenständliche Fahrzeug zu übertragen. Ebenso lasse sich aus zuvor unveröffentlichten Messungen des Kraftfahrtbundesamtes zu Fahrzeugen der Beklagten mit der Euro 6 Norm eine relevante Überschreitung des Grenzwertes ersehen. Gleiches gelte für Messungen des britischen Department for Transport, des TÜV und des International Council on Clean Transportation.
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Es obliege damit der Bx. AG eine sekundäre Darlegungslast zum erhöhten Schadstoffausstoß. In diesem Fall komme es auf eine entsprechende Beweisaufnahme im Hauptsacheverfahren an.
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Im Hauptsacheverfahren werde sich die Klagepartei nicht nur auf das Vorhandensein einer unzulässigen temperaturgesteuerten Abschalteinrichtung berufen, sondern noch weitere Abschalteinrichtung darlegen und unter Beweis stellen. Das Vorliegen eines Rückrufs des Kraftfahrtbundesamtes sei dabei keine Anspruchsvoraussetzung.
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Wegen des Verschweigens der gesetzeswidrigen Softwareprogrammierung bestehe ein Schadensersatzanspruch nach § 826, § 31 BGB.
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Dieser sei auf die Erstattung des gesamten Kaufpreises, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs gerichtet, wobei entsprechende Nutzungen abzuziehen seien. Der Kaufpreis abzüglich Nutzungen belaufe sich auf mindestens 36.650,21 €.
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Auf angeblich mangelnde Erfolgsaussichten der Hauptsache könne die Beklagte sich nicht berufen. Die Anforderungen hieran dürften im Deckungsverfahren nicht überspannt werden. Es reiche aus, dass der Standpunkt der Klagepartei vertretbar sei; es gehe nicht darum, die Entscheidung im Hauptsacheverfahren im hiesigen Deckungsprozess vorwegzunehmen. Eine genauere Darlegung zum Motor bzw. der Funktionsweise dessen Steuerung könne von der Klagepartei nicht verlangt werden. Hinreichende Erfolgsaussichten ergäben sich bereits aus einer Vielzahl zugunsten der Klagepartei ergangener Beweisbeschlüsse und Urteile in vergleichbaren Verfahren.
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Jedenfalls aber sei die Beklagte auf der Grundlage des wirksamen Stichentscheids der Klägervertreter zur Erteilung einer Deckungszusage gehalten.
17
Nach alledem sei die Beklagte zur Tragung der Kosten des Rechtsstreits gegen die Bx. AG und zur Tragung der Kosten zur Fertigung des Stichentscheides durch die Klägervertreter verpflichtet.
18
Die Klagepartei beantragt,
- 1.
-
Es wird festgestellt, dass die Beklagte aus dem Versicherungsvertrag Nr. ...37 im Zusammenhang mit der Schadennummer 1...7/004 verpflichtet ist, die Kosten der außergerichtlichen und erstinstanzlichen Wahrnehmung der rechtlichen Interessen der Klagepartei gegen die Bx. AG aus dem Kauf eines Bx. 220d (FIN …) und der unterstellten Manipulation der Abgassteuerung dieses Fahrzeugs zu tragen.
- 2.
-
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den Kosten des in Zusammenhang mit der Schadennummer xx/xx gefertigten Stichentscheids der XX Rechtsanwaltsgesellschaft mbH vom 23.04.2021 in Höhe von Euro 800,39 freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
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Die Beklagte stellt die Aktivlegitimation des Klägers in Abrede, da die Fahrzeugrechnung (Anlage K4) auf den Kläger und eine Frau ausgestellt sei.
21
Die Beklagte bestreitet, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug ein Motor mit der Kennung B47 verbaut sei.
22
Die Beklagte bestreitet zudem das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Hierzu fehle es an schlüssigen Vortrag der Klagepartei, auch zu Sittenwidrigkeit und Schädigungsvorsatz des Herstellers. Im streitgegenständlichen Motor sei kein Thermofenster verbaut. Die Beklagte ist der Ansicht, dass ein (etwaig unzulässiges) Thermofenster ohnehin nicht ohne weiteres auf ein sittenwidriges Handeln des Herstellers und entsprechenden Schädigungsvorsatz schließen lasse.
23
Die Beklagte bestreitet des weiteren, dass die vorgelegten Messungen irgendeinen Bezug zum streitgegenständlichen Fahrzeug hätten bzw. auf dieses übertragbar seien. Die Behauptung der Klagepartei, dass neben einem Thermofenster weitere unzulässige Abschalteinrichtungen vorhanden sein, sei unsubstantiiert, da solche nicht näher bezeichnet würden. Tatsächlich sei durch staatsanwaltschaftliche Ermittlungen belegt, dass sich Betrugsvorwürfe gegen die Bx. AG nicht bestätigt hätten.
24
Die Beklagte ist der Ansicht, dass nach dem Vorstehenden die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe.
25
Die Beklagte bestreitet den Zugang des als Anlage K3 vorgelegten Stichentscheides vom 23.04.2021. Unabhängig davon könne der Kläger aus diesem Stichentscheid nichts für ihn Günstiges herleiten. Dieser erfülle nicht die an einen Stichentscheid zu stellenden Mindestanforderungen, da er die maßgebliche Rechtsprechung nicht berücksichtige. Demnach schulde die Beklagte auch nicht die Kosten für die Erstellung dieses Stichentscheides.
26
Im Übrigen könne die Klagepartei allenfalls Deckung lediglich (zunächst) für ein außergerichtliches Vorgehen gegen den Fahrzeughersteller begehren, nicht auch bereits für eine erste gerichtliche Instanz. Für ein vorgerichtliches Tätigwerden sei eine über 1,3 hinausgehende Geschäftsgebühr nicht berechtigt.
27
Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden. Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2022, sowie auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
28
A. Die zulässige Klage ist unbegründet.
29
Der Klagepartei steht weder Anspruch auf Deckung aus dem Rechtsschutzversicherungsvertrag zu (§ 1 S. 1 VVG), noch ein Anspruch auf Freistellung von den Kosten des Stichentscheids.
30
I. Die Feststellungsklage ist zulässig (§ 265 Abs. 1 ZPO).
31
1. Ist - wie im Streitfall - ein versicherter Kostenbefreiungsanspruch noch nicht fällig, kann nur auf Feststellung geklagt werden, dass der Versicherer verpflichtet sei, Kostendeckung oder Rechtsschutz in bestimmten Angelegenheiten zu gewähren. Das erforderliche Feststellungsinteresse ist regelmäßig nach Leistungsablehnung gegeben (BGH, Urteil vom 14. April 1999 - IV ZR 197/98, r+s 1999, 285).
32
2. Der Deckungsklage fehlt nicht deswegen das Rechtsschutzbedürfnis, weil der Kläger keinen Stichentscheid hat vorlegen lassen (dazu sogleich):
33
Der Versicherungsnehmer ist nicht verpflichtet, vor Erhebung der Deckungsklage das Schiedsgutachterverfahren bzw. das Stichentscheids-Verfahren durchzuführen. Er kann auch sofort Klage erheben (Harbauer/Schmitt, Rechtsschutzversicherung 9. Aufl. 2018, ARB 2010 § 3a Rn. 4 m.w.N.).
34
3. Der Kläger ist auch klagebefugt, da er ausschließlich einen eigenen (Deckungs-)Anspruch aus dem Versicherungsvertrag geltend macht, dessen alleiniger Versicherungsnehmer er ist. Ob er auch alleiniger Berechtigter eines Schadensersatzanspruchs ist, ist erst bei der Frage der hinreichenden Erfolgssausicht des behaupteten Schadensersatzanspruchs relevant.
35
II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
36
1. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat in der Sache keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
37
Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, dass etwaige Ansprüche im Hinblick auf den Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeuges durch die Klagepartei vom versicherten Rechtsschutz umfasst wären. Ebenso wenig besteht Streit darüber, dass die (nicht zu den Akten gereichten, aber im Internet frei zugänglichen; vgl. OLG Düsseldorf Hinweisbeschluss v. 21.9.2017 - I-4 U 87/17, BeckRS 2017, 125981 Rn. 2) dem streitgegenständlichen Rechtsschutzversicherungsvertrag zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen der Beklagten (VRB 2006) als Voraussetzung für die Gewährung von Rechtsschutzdeckung erfordern, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 17 Abs. 1 VRB 2006); schließlich besteht zwischen den Parteien auch kein Streit darüber, dass die Versicherungsbedingungen die Möglichkeit eines Stichentscheides vorsehen (§ 17 Abs. 2 VRB 2006). Dass das vorgesehene Schlichtungsverfahren dort als ‚Schiedsgutachterverfahren“ bezeichnet wird, steht dem nicht entgegen. Dieses „Schiedsgutachterverfahren“ sieht vor, dass der Versicherte seinen eigenen Rechtsanwalt dazu veranlasst, eine begründete Stellungnahme über die hinreichenden Erfolgsaussichten der Interessenswahrnehmung abzugeben; es handelt es sich in der Sache also um ein „klassisches“ Stichentscheidverfahren.
38
Bei den fehlenden hinreichenden Erfolgsaussichten handelt es sich um einen Einwand (BGH, Urteil vom 19. November 2008 - IV ZR 305/07 -, BGHZ 178, 346-355, juris Rn. 23) des Versicherers. Mit der in den Versicherungsbedingungen gewählten Definition bringt dieser zum Ausdruck, dass Versicherungsschutz unter denselben sachlichen Voraussetzungen gewährt wird, unter denen eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten einer Prozessführung nicht aufzubringen vermag, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO beanspruchen kann (BGH, Urteil vom 16. September 1987 - IVa ZR 76/86, VersR 1988, 174; BGH, Urteil vom 19. Februar 2003 - IV ZR 318/02 -, juris Rn. 16; OLG Schleswig, Beschluss vom 12. Mai 2022 - 16 U 53/22 -, juris). Versicherungsschutz ist damit (nur) für Fälle zugesagt, in denen der Versicherungsnehmer einen Rechtsstandpunkt einnimmt, der aufgrund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen zutreffend oder zumindest vertretbar erscheint und in denen in tatsächlicher Hinsicht zumindest die Möglichkeit einer Beweisführung besteht (BGH, Urteil vom 16. September 1987 - IVa ZR 76/86 -, juris Rn. 10).
39
2. Bei der Prüfung eines schlüssigen Anspruchs der Klagepartei mit hinreichenden Erfolgsaussichten ist es der Beklagten aus Rechtsgründen nicht verwehrt, sich auf andere Ablehnungsgründe, als die in der Deckungsablehnung vom 19.04.2021 (Anlage K2) angeführten zu berufen. Gleichzeitig ist die Kammer damit gehalten, den behaupteten Schadensersatzanspruch umfassend hinsichtlich seiner Erfolgsaussichten zu prüfen. Dies folgt aus der Auslegung der anwendbaren Versicherungsbedingungen aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers (zu diesem Auslegungsmaßstab zuletzt BGH, Urteil vom 9. November 2022 - IV ZR 62/22 -, juris Rn. 11).
40
Zwar ist anerkannt, dass im Falle eines durchgeführten Stichentscheid-Verfahrens der Versicherer in seiner Deckungsablehnung alle Gründe anführen muss, auf die er seine Ablehnung stützt: Nach durchgeführtem Stichentscheid kann er andere Gründe, die möglicherweise (auch) eine Deckungsablehnung tragen würden, nicht mehr nachschieben. Der Versicherer ist also gehalten, sämtliche Ablehnungsgründe bereits in seiner Ablehnungsentscheidung anzuführen (OLG Hamm 14.10.2011 - 20 U 92/10 - r+s 2012,117; OLG Düsseldorf Hinweisbeschluss v. 21.9.2017 - I-4 U 87/17, BeckRS 2017, 125981 Rn. 19). Ansonsten stünde es dem Versicherer unzulässigerweise offen, eine Klärung seiner Einstandspflicht auf eine spätere Deckungsklage zu verlagern. Hierdurch würde der Stichentscheid jedoch seiner vorgesehenen Bedeutung beraubt, nämlich eine schnelle und eindeutige Klärung des umstrittenen Deckungsschutzes herbeizuführen (OLG Naumburg Urt. v. 7.7.2016 - 41 U 7/16, BeckRS 2016, 120854; BGH, Urteil vom 19.03.2003 - IV ZR 139/01, r+s 2003, 363: „rasche Klärung“; vgl. auch zu § 128 VVG in Umsetzung der RL 87/334/EWG vom 22.6.1987 und der nachfolgenden RL 2009/138/EG vom 25.11.2009 (Solvabilität-II-RL) aaO in Erwägungsgrund 83 Satz 1 zu Art. 203 f. Solvabilität-II-RL: „Streitigkeiten zwischen Versicherten und Versicherungsunternehmen in Bezug auf die Rechtsschutzversicherung sollten so fair und rasch wie möglich beigelegt werden“). Diese Fokussierung bzw. Kanalisierung der Deckungsprüfung auf vom Versicherer bereits erhobene Einwände lässt sich dem Zusammenspiel der einschlägigen Regelungen des § 17 V ARB 2006 und § 128 VVG unschwer erkennbar entnehmen.
41
Macht der Versicherungsnehmer allerdings - wie im Streitfall (dazu sogleich nachfolgend unter 4.) - von der Möglichkeit eines Stichentscheids gar keinen Gebrauch, bringt er damit zum Ausdruck, dass eine rasche Klärung des Deckungsanspruchs für ihn nicht oberste Priorität hat. Gleichzeitig verlässt er hierdurch bewusst den „Schutzschirm“ des Stichentscheid-Verfahrens. Dann wiederum besteht kein Anlass, dem Versicherungsnehmer gleichwohl eine ihm vorteilhafte Präklusionswirkung gleichsam aufzudrängen, obwohl er sich gegen ein Stichentscheid-Verfahren entschieden hat. Vielmehr ist es dann angezeigt, die Erfolgsaussichten des geltend gemachten Rechtsschutzfalls umfassend zu prüfen, um zu einer „objektiv richtigen“ Würdigung zu gelangen. Jedenfalls für die Prüfung nachgeschobener Gründe zur Rechtfertigung einer mangelnden Erfolgsaussicht wird der Versicherungsnehmer hierdurch auch nicht unbillig benachteiligt, da der Prüfungspunkt „hinreichende Erfolgsaussicht“ nicht verlassen wird. So entspricht es auch der BGH-Rechtsprechung, dass sich einer Leistungsablehnung im Allgemeinen nicht entnehmen lässt, dass der Versicherer den geltend gemachten Anspruch allein aus den dort angegebenen Gründen für nicht gegeben hält (BGH, Urteil vom 30. November 2005 - IV ZR 154/04 -, BGHZ 165, 167-172 juris Rn. 10).
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Die Situation ist dann keine andere, als in jedem anderen Rechtsstreit, wo es einer Partei grundsätzlich unbenommen bleibt, ihren vorgerichtlichen Tatsachenvortrag - beispielsweise nach Erholung weiterführender Auskünfte - zu ergänzen oder sogar umzustellen. Dass es sich im Einzelfall bei Abgabe eines rechtsverbindlichen Leistungsanerkenntnisses verbieten kann, von diesem wieder abzurücken (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 16. März 2021 - VI ZR 140/20 -, juris Rn. 14), steht hierzu schon deshalb nicht in Widerspruch, da im Streitfall der Versicherer seine (ablehnende) Rechtserklärung durch das Nachschieben weiterer Gründe im Ergebnis aufrecht erhält.
43
Dass nach der Rechtsprechung des BGH im Rahmen der Anfechtung einer Willenserklärung neue Anfechtungsgründe nur innerhalb der Anfechtungsfrist nachgeschoben werden können (BGH, Urteil vom 11. Oktober 1965 - II ZR 45/63 -, juris), findet wiederum seine Rechtfertigung im berechtigten Vertrauen des Vertragspartners auf den Bestand der Erklärungen seines Gegenüber, der nur in dem formalisierten Anfechtungsverfahren infrage gestellt werden kann. Nimmt der Vertragspartner (hier: Versicherungsnehmer) ein angebotenes formalisiertes Verfahren in Gestalt eines Stichentscheides jedoch nicht in Anspruch, ist ein vergleichbarer Vertrauensschutz dahingehend, dass die zur Leistungsablehnung vorgebrachten Gründe abschließend sind, nicht berechtigt. Schließlich fügt sich in diese Bewertung, die maßgeblich auf das Vorhandensein eines formalisierten Rahmens abstellt ein, dass das Gericht etwa auch im Falle einer fehlenden Bindungswirkung eines Stichentscheids den Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers umfassend zu prüfen hat (vgl. Harbauer/Schmitt ARB 2010 § 3a Rn. 54).
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Soweit das OLG Düsseldorf (Hinweisbeschluss v. 21.9.2017 - I-4 U 87/17, BeckRS 2017, 125981 Rn. 19) argumentiert, dass aus den Präklusionsregeln folge, dass ein Nachschieben von Gründen, die eine fehlenden Erfolgsaussicht zur Folge haben sollen, nicht zulässig sei, betrifft dies eine andere Fallkonstellation. Anders als im dortigen Sachverhalt, hat die Beklagte im Streitfall ihre Deckungsablehnung ausdrücklich und ausschließlich mit mangelnden Erfolgsaussichten begründet, sodass es hier ausschließlich um das Nachschieben weiterer - ebenfalls die fehlenden Erfolgsaussichten untermauernde - Gründe geht. Zudem hatte der Versicherer im Fall des OLG Düsseldorf - soweit ersichtlich - den Einwand fehlender Erfolgsaussicht erst nach einem der Klage des Versicherungsnehmers in erster Instanz stattgebenden Urteil erhoben.
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3. Gemessen am Vorstehenden sind die Voraussetzungen eines Leistungsanspruchs nicht gegeben, denn die Klagepartei hat einen Anspruch gegen den Fahrzeughersteller schon nicht schlüssig dargetan.
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a) Die Klagepartei hat bereits nicht schlüssig dargelegt, dass sie berechtigt wäre, einen ausschließlich ihr zustehenden Schadensersatzanspruch gegen die Bx. AG geltend zu machen.
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(1) Die Beklagte hat eingewendet, dass dem Kläger deliktische Ansprüche als Käufer (auch) deshalb nicht zustünden, da - unstreitig und zutreffend - die Fahrzeugrechnung (Anlage K4) auf den Kläger und (s) eine Frau ausgestellt ist (Klageerwiderung S. 15). Dies impliziert natürlich zum einen die Behauptung, dass der Kläger das Fahrzeug nicht zu Alleineigentum erworben hat, sondern zusammen mit (s) einer Frau - wohl zu Miteigentum in unbekanntem Umfang; zum anderen liegt hierin ein Bestreiten der (konkludenten) Behauptung des Klägers, das streitgegenständliche Fahrzeug zu Alleineigentum erworben zu haben.
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Diesen Einwand hat die Klagepartei weder mit ihrer Replik noch sonst aufgegriffen, geschweige denn hierzu substantiiert und mit (gebotenem) Beweisangebot vorgetragen. Das fehlende Alleineigentum des Klägers ist damit als zugestanden anzusehen (§ 138 Abs. 3 ZPO).
49
(2) Ausgehend von fehlendem Alleineigentum des Klägers am streitgegenständlichen Fahrzeug kann dieser keinen Deckungsanspruch für eine Klage gegen den Fahrzeughersteller erheben, mit der er alleine bzw. auf alleinige Zahlung an sich selbst gerichtete Schadensersatzansprüche geltend macht.
50
Insoweit kann der Kläger auch aus § 1011 BGB nichts Günstiges für sich herleiten. Demnach kann zwar jeder Miteigentümer Ansprüche aus dem Eigentum Dritten gegenüber in Ansehung der ganzen Sache geltend machen. Er bedarf für die Geltendmachung nicht der Mitwirkung aller Rechtsinhaber. Bei einer danach grundsätzlich zulässigen Einzelklage handelt der klagende Miteigentümer für die übrigen Rechtsträger in gesetzlicher Prozessstandschaft (BGH Urt. v. 23.1.1981 - V ZR 146/79, BeckRS 1981, 143).
51
Schadensersatzansprüche, die aus einer Verletzung gemeinschaftlichen Eigentums hergeleitet werden, unterfallen im Grundsatz der Vorschrift des § 1011 BGB (BGH, Urteil vom 11.12.1992 - V ZR 118/91, NJW 1993, 727) - was dann entsprechend für die hier streitgegenständlichen Schadensersatzansprüche nach § 826 BGB gelten muss, die auf eine sittenwidrige Schädigung im Zuge des Eigentumserwerbs gestützt werden (vgl. zum Schaden: BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, BGHZ 225, 316-352 Rn. 44 ff.).
52
Die aus dem Miteigentum folgende Berechtigung zum Geltendmachen der Ansprüche gegenüber Dritten beinhaltet hinsichtlich des Einzugs einer Forderung wegen der Verletzung des Eigentums nach § 1011 Halbs. 2 BGB allerdings nur die Befugnis, die Leistung an die Miteigentümer, nicht jedoch an sich allein zu verlangen. Hierzu bedürfte es wiederum einer Ermächtigung der übrigen Miteigentümer - hier der (Ehe-)Frau -, die offen zu legen ist (BGH Urt. v. 5.5.2011 - III ZR 305/09, BeckRS 2011, 13566; BGH, Urteil vom 11.12.1992 - V ZR 118/91, NJW 1993, 727).
53
Tatsächlich trägt die Klage hingegen vor: „Namens und im Auftrag des Klägers ist geplant, die aus dem Kauf resultierenden Schadensersatzansprüche geltend zu machen“ (Klageschrift S. 6 o.). Dies lässt nur den Schluss zu auf ein beabsichtigtes Vorgehen durch den Kläger alleine mit Zahlungsantrag an sich selbst. Für eine nach alledem erforderliche Zustimmung der Miteigentümerin zur Einforderung der behaupteten Schadensersatzansprüche gegen den Fahrzeughersteller alleine an sich selbst hat der Kläger hingegen nichts vorgetragen.
54
Bereits aus diesem Grund hat die vom Kläger beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, sodass kein Deckungsanspruch gegen die Beklagte besteht.
55
b) Auch die Voraussetzungen einer seine Schadensersatzansprüche tragenden Anspruchsgrundlage hat die Klagepartei nicht schlüssig dargelegt.
56
(1) Der streitgegenständliche PKW wurde gemäß Anlage K4 als Neuwagen von einem Autohaus („Vertragshändler“; vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2011 - I ZR 170/08 -, juris) erworben; damit scheiden eigene vertragliche Ansprüche gegen die Bx. AG aus.
57
Auch kann die Klagepartei einen Anspruch nicht auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB stützen, da es jedenfalls an der „Stoffgleichheit“ des von ihr behaupteten Schadens und einer etwaigen Bereicherung der Bx. AG fehlt (BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20 -, juris). Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheitert daran, dass die genannten Vorschriften der EG-FGV ebenso wie Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG nicht dem Vermögensschutz eines Kraftfahrzeugerwerbers dienen (BGH, aaO).
58
Eine unmittelbare und eigene Haftung des Fahrzeugherstellers kommt also - auch nach eigenem Vortrag der Klagepartei und ständiger Rechtsprechung des BGH - alleine aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB in Betracht (hierzu und zum folgenden insbesondere BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, BGHZ 225, 316-352).
59
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht. Dabei steht es wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugkäufer gleich, wenn ein Fahrzeughersteller im Rahmen einer von ihm bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung, die Typgenehmigungen der Fahrzeuge durch arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts zu erschleichen und die derart bemakelten Fahrzeuge alsdann in Verkehr zu bringen, die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt ausnutzt.
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Dabei trägt derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen (hierzu und zum folgenden BGH, Urteil vom 4. Mai 2021 - VI ZR 81/20 -, juris, sowie BGH, Beschluss vom 12. Januar 2022 - VII ZR 491/21 -, juris Rn. 25 ff.).
61
Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat der Anspruchsteller dementsprechend auch darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat. Dieser Grundsatz erfährt aber eine Einschränkung, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis von den maßgeblichen Umständen und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. In diesem Fall trifft den Prozessgegner eine sekundäre Darlegungslast, im Rahmen derer es ihm auch obliegt, zumutbare Nachforschungen zu unternehmen. Nach diesen Grundsätzen setzt eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zu Vorgängen innerhalb ihres Unternehmens, die auf eine Kenntnis ihrer verfassungsmäßigen Vertreter von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung schließen lassen sollen, jedenfalls voraus, dass das Vorbringen der Klagepartei hinreichende Anhaltspunkte enthält, die einen solchen Schluss nahelegen (dazu insbes. BGH, Urteil vom 4. August 2022 - III ZR 230/20 -, juris Rn. 16 ff.).
62
(2) Gemessen daran scheitert ein Schadensersatzanspruch bereits daran, dass die Klagepartei ihren Vortrag zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug schon insoweit nicht schlüssig dargetan hat, als sie nicht klarstellt, welcher Motortyp dort verbaut ist.
63
Die Klage weist selbst darauf hin (S. 20 u.), dass der Rückschluss auf das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung auch im streitgegenständlichen Fahrzeug jedenfalls bzw. allenfalls dann berechtigt sein könnte, wenn zu einem Motortyp „auffällige“ Messwerte vorliegen, der mit dem im streitgegenständlichen Fahrzeug identisch ist.
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Hierzu behauptet die Klage, dass im Fahrzeug des Klägers der Motortyp B 47 verbaut sei. Dies jedoch wird mit der Klageerwiderung ausdrücklich bestritten (aaO S. 7 oben und S. 9 Mitte).
65
Beweis für diesen ihm günstigen Umstand hat die Klagepartei jedoch nicht angeboten.
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(3) Auch genügt der im hiesigen Rechtsstreit - allein maßgebliche - schriftsätzlich eingebrachte Tatsachenvortrag nicht den Schlüssigkeitsanforderungen an eine Haftung des Herstellers über § 31 BGB.
67
(a) Der schriftsätzliche Vortrag der Klagepartei erschöpft sich praktisch ausschließlich in der Darlegung objektiver Umstände, die den Rückschluss auf das Vorliegen einer - sittenwidrigen - Abgasmanipulation im streitgegenständlichen Fahrzeug zulassen sollen. Dass allerdings eine als Organ des Fahrzeugherstellers i.S.d. § 31 BGB anzusehende Person überhaupt Kenntnis von diesen objektiven Umständen gehabt haben soll, wird im Rechtsstreit nicht vorgetragen.
68
Beispielhaft sei hierzu auf die Replik S. 10 - 12 (Gerichtsakte S. 80 - 82) verwiesen, wo es heißt:
- „Das Verhalten von Bx. ist als objektiv sittenwidrig zu qualifizieren, weil …“.
- „Auch Bx. hat das an sich erlaubte Ziel der Gewinnerhöhung ausschließlich dadurch erreicht, dass …“.
- „Hätte Bx. nicht die Entscheidung getroffen, dass …“.
69
Dass diese Ausführungen bzw. Textbausteine auf den Seiten 33 ff. der Replik nochmals wortlautgleich wiederholt werden, macht den Vortrag inhaltlich nicht substantiierter.
70
Der Hinweis in der Replik (aaO S. 16) - „Auch ist es der Klagepartei möglich zahlreiche Mitarbeiter des Herstellers aus dem Bereich der Motorentwicklung als Zeugen zu nennen.“ ändert daran nichts. Es ist nämlich nichts dafür vorgetragen, dass es sich bei diesen zu benennenden Zeugen um Repräsentanten des Fahrzeugherstellers i.S.d. § 31 BGB handelt. Es wird weder dargelegt, dass es sich dabei um den Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder einen anderen verfassungsmäßig berufenen Vertreter des Fahrzeugherstellers handelt. Auch Ausführungen dazu, dass es sich bei den Zeugen um Personen handelt, „denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind“ (dazu BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, BGHZ 225, 316-352, juris Rn. 33 unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 14. März 2013 - III ZR 296/11 -, BGHZ 196, 340-355, juris Rn. 12) finden sich nicht.
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(b) In diesem Zusammenhang kann sich die Klagepartei auch nicht auf eine sekundäre Darlegungslast des Fahrzeugherstellers berufen. Die Auslösung einer sekundären Darlegungslast im vorgenannten Sinn setzt zumindest die einfache Behauptung voraus, dass (irgend) eine i.S.d. § 31 BGB verantwortliche Person Kenntnis von der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung gehabt haben soll (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, BGHZ 225, 316-352, juris Rn. 39). Vereinfacht formuliert: Bevor eine sekundäre Darlegungslast des Anspruchsgegners in Betracht kann, muss der Anspruchsteller zunächst seiner primären Darlegungslast - und sei es auch ohne jegliche Substantiierung - nachkommen.
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Soweit die Klagepartei sich in diesem Zusammenhang als ihr günstig auf ein Urteil des OLG Schleswig (Urteil vom 09.04.2021 - 9 U 94/20; Anlage K11) beruft (Replik aaO S. 82) verkennt sie, dass die dortige Klagepartei eine entsprechende Behauptung, „der Vorstand habe Kenntnis von dem Einsatz einer unerlaubten Abschalteinrichtung gehabt“, erhoben hat (Urteilsumdruck S. 12 unten).
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(c) Eines entsprechenden Hinweises der Kammer nach § 139 ZPO auf das vorgenannte Schlüssigkeitsdefizit bedurfte es nicht.
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Es ist anerkannt, dass ein gerichtlicher Hinweis nicht geboten ist, wenn die Beklagten einen entsprechenden Einwand mehrfach und nachdrücklich vorgebracht haben (vgl. Musielak/Stadler ZPO 12. Aufl. § 139 Rn 7). Sonst gebotene Hinweise des Gerichts können also entfallen, wenn die betroffene Partei von der Gegenseite die nötige Unterrichtung erhalten hat (BGH NJW-RR 2010, 70 m.w.N.). Das Gericht ist dann zu einem Hinweis nicht verpflichtet (BGH, Urteil vom 14.5.2013 - VI ZR 320/12) - jedenfalls dann nicht, wenn der maßgebliche Punkt - wie hier - einen zentralen Gegenstand des Rechtsstreits bildet (BGH 13.09.2016 - VI ZR 377/14; BGH, Beschluss vom 21.11.2007 - IV ZR 321/05, VersR 2008, 381 TZ. 5).
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Tatsächlich hat die Beklagte den auch für den hiesigen Rechtsstreit erkennbar entscheidungserheblichen Aspekt der Kenntnis bzw. organschaftlichen Zurechnung hervorgehoben, der i.ü. auch vor dem Hintergrund einer etwaigen abweichenden Rspr. (des EuGH) seine eigenständige Bedeutung behielte:
- So heißt es auf S. 2 der Klageerwiderung: „…fehlt es hier an schlüssigem Vortrag … in Bezug auf eine Sittenwidrigkeit und einen Schädigungsvorsatz des Herstellers.“
- Auf S. 3 wird aus einem BGH-Urteil zitiert: „Nach diesen Grundsätzen setzt eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zu Vorgängen innerhalb ihres Unternehmens, die auf eine Kenntnis ihrer verfassungsmäßigen Vertreter von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung schließen lassen sollen, jedenfalls voraus, dass ..“
- Weiter auf S. 12: „Soweit der Kläger auf Seiten des Herstellers eine bewusste Kenntnis aller angeblich verbauten Abschalteinrichtungen bzw. deren bewusste Verheimlichung im Typgenehmigungsverfahren behauptet, so fehlt es dazu an jeglichen Anhaltspunkten und ist zu bestreiten. Eine sekundäre Darlegungslast des Hauptsachebeklagten ist daher nicht entstanden.“
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Für die in „Diesel-Verfahren“ gerichtsbekannt erfahrenen Klägervertreter wäre dies bei (mit gebotener Sorgfalt erfolgter) Lektüre der Klageerwiderung - insbesondere mit dem Schlagwort „sekundäre Darlegungslast“ - als deutlicher Hinweis auf ein eigenes Vortragsdefizit zu verstehen gewesen.
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4. Die Klagepartei kann auch aus dem als Anlage K3 vorgelegten Stichentscheid vom 23.04.2021 nichts Anspruchbegründendes herleiten.
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a) Auf die Möglichkeit eines Stichentscheides hat die Beklagte in ihrer Deckungsablehnung vom 19.04.2021 hingewiesen (s. § 128 VVG).
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b) Einen Stichentscheid hat die Klagepartei der Beklagten aber schon nicht zukommen lassen.
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Zwar liegt die Beweislast dafür, dass aus einem Stichentscheid keine Bindungswirkung nach § 17 Abs. 3 VRB folgt, weil diese offenbar von der wirklichen Sach- oder Rechtslage erheblich abweiche, beim Versicherer (BGH Urt. v. 17.1.1990 - IV ZR 214/88, BeckRS 1990, 1084 unter 2a). Hingegen liegt nach allgemeinen Grundsätzen die Beweislast dafür, dass dem Versicherer überhaupt ein Stichentscheid vorgelegt wurde bzw. dieser dem Versicherer zugegangen ist, beim Versicherungsnehmer, der sich insoweit auf die ihm günstige Bindungswirkung eines Stichentscheides beruft (grundsätzlich zur Beweislast beim Zugang BeckOGK/Gomille, 1.9.2022, BGB § 130 Rn. 129 m.w.N. zur BGH-Rspr.).
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Im Streitfall hat die Beklagte hat auf S. 16 der Klageerwiderung substantiiert und schlüssig bestritten, dass der als Anlage K3 vorgelegten Stichentscheid vom 23.04.2021 nicht bei ihr eingegangen sei.
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Diesen Einwand hat die Klagepartei weder mit ihrer Replik noch sonst aufgegriffen, geschweige denn hierzu substantiiert und mit (gebotenem) Beweisangebot vorgetragen.
83
Die Tatsache des fehlenden Zugangs ist damit als zugestanden anzusehen (§ 138 Abs. 3 ZPO).
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5. Ungeachtet des Vorstehenden wäre die Klage jedenfalls auch insoweit unbegründet, als sie auf eine Deckungszusage bzw. Kostentragungslast der Beklagten sowohl für die Kosten der außergerichtlichen als auch bereits der erstinstanzlichen Wahrnehmung der rechtlichen Interessen der Klagepartei abzielt.
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Es ist anerkannt, dass die Versicherungsbedingungen in der Rechtsschutzversicherung eine Prüfung der Erfolgsaussichten der vom Versicherungsnehmer beabsichtigten Wahrnehmung rechtlicher Interessen durch den Rechtsschutzversicherer für jede Instanz gesondert vorsehen (BGH, Beschluss vom 2. Mai 1990 - IV ZR 294/89 -, juris; Obarowski in MüKo-VVG 2. Aufl. 600. Rn. 250; Prölss/Martin/Piontek, 31. Aufl. 2021, ARB 2010 § 17 Rn. 12 m.w.N. zur obergerichtlichen Rspr.).
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Nichts anderes kann für eine gesonderte Prüfung hinsichtlich eines vorgerichtlichen und gegebenenfalls anschließenden gerichtlichen Vorgehens gegen den potentiellen Anspruchsgegner gelten. Dies ergibt wiederum die Auslegung der anwendbaren Versicherungsbedingungen aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers (zu diesem Auslegungsmaßstab zuletzt BGH, Urteil vom 9. November 2022 - IV ZR 62/22 -, juris Rn. 11). Es leuchtet jedem (durchschnittlichen) Versicherungsnehmer ohne weiteres ein, dass der Versicherer eine Deckungszusage nicht im Sinne eines „Blankoschecks“ bereits für ein gerichtliches Vorgehen erteilen wird, wenn noch nicht feststeht, wie sich die Sach- und Rechtslage - und damit die weiteren Erfolgsaussichten - nach einer vorgerichtlichen Inanspruchnahme des potentiellen Anspruchsgegners darstellt. Entsprechend ist in § 16 Abs. 3 S. 2 Buchst. a) VRB 2006 dem Versicherungsnehmer aufgegeben, die Zustimmung des Versicherers einzuholen, „bevor Klage erhoben … wird“. Auch der Umstand, dass in § 16 Abs. 5 VRB 2006 die Bestätigung des für den Rechtsschutzfall bestehenden Versicherungsschutzes durch den Versicherer seinem Umfang nach bestätigt wird, drängt dem verständigen Versicherungsnehmer den Rückschluss auf, dass eine Zusage in ihrer Reichweite (vorgerichtlich bzw. einzelne Instanz) beschränkt werden kann. Auf diesen Aspekt hat die Beklagte in ihrer Deckungsablehnung vom 19.04.2021 (Anlage K2) zudem ausdrücklich hingewiesen. Schließlich weisen auch die Klägervertreter selbst darauf hin, dass ein gerichtliches Vorgehen erst dann erforderlich ist, „wenn der Hersteller außergerichtlich zu keiner Einigung bereit ist“ (Klageschrift S. 25 unten).
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Der zu dieser Frage - allerdings bei vorausgegangenem Stichentscheid - abweichenden Entscheidung des LG Krefeld (Urt. v. 23.3.2022 - 2 O 221/21, BeckRS 2022, 14493 Rn. 23, wohl zu den identischen Versicherungsbedingungen VRB 2006) vermag sich die Kammer deswegen nicht anzuschließen.
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6. Ersatz der Kosten für die Erstellung des Stichentscheides durch die Klägervertreter nach § 17 Abs. 2 S. 1 VRB 2006 kann die Klagepartei natürlich schon mangels der Beklagten zugegangenen Stichentscheides und der damit einhergehenden fehlenden (rechtlichen) Existenz eines Stichentscheides (vorstehend II.4.) nicht verlangen.
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B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 709 S. 1, 2 ZPO.
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Die Streitwertfestsetzung folgt im Grundsatz der Berechnung der Klageschrift S. 25 ff., der die Beklagte auch nicht entgegengetreten ist. Unter Berücksichtigung des Feststellungsabschlags von 20% (BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 - IV ZR 141/10 -, juris; Lensing in Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht, 5. Aufl. § 27 Rn. 195) errechnen sich unter Einschluss der Kosten für die außergerichtliche Rechtsverfolgung (gerundet) 7.432,00 €.
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Der Freistellungsantrag Ziff. 2. wirkt mit 800,39 € Streitwert erhöhend, da es sich insoweit nicht um eine unselbständige Nebenforderung i.S.d. § 4 Abs. 1 ZPO handelt.
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Der Streitwert beläuft sich damit insgesamt auf 8.232,39 €.