Inhalt

OLG Nürnberg, Beschluss v. 29.09.2022 – 11 UF 625/22
Titel:

Kindesunterhalt – Verfahrensverbindung mit  Vaterschaftsanfechtungsverfahren, maßgeblicher Zeitpunkt für die Berechnung des Verfahrenswertes im Beschwerdeverfahren

Normenketten:
BGB § 1592 Nr. 1, § 1593, § 1600d Abs. 4
FamFG § 68 Abs. 3, § 70, § 117 Abs. 1, § 179 Abs. 1, § 237, § 243, § 248
FamGKG § 40 Abs. 1 S. 1, § 51 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
Leitsätze:
Ein Unterhaltsverfahren kann nach § 237 FamFG auch dann mit einem Vaterschaftsfeststellungsverfahren verbunden werden, wenn dieses wiederum mit einer Vaterschaftsanfechtung verbunden ist, derzeit also eine rechtliche Vaterschaft für das Kind besteht. (Rn. 8)
Auch im Beschwerdeverfahren ist für die Berechnung des Verfahrenswerts eines Antrages auf wiederkehrende Unterhaltszahlungen nach §§ 40, 51 FamGKG grundsätzlich der Zeitpunkt des Antragseingangs im erstinstanzlichen Verfahren maßgeblich. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Feststellung der Vaterschaft, Mindestunterhalt, Vaterschaftsanfechtungsverfahren, Vaterschaftsfeststellungsverfahren, Scheinvater, Scheinvaterregressverfahren, Verfahrenswert, Zeitpunkt des Antragseingangs
Vorinstanz:
AG Cham, Beschluss vom 01.06.2022 – 001 F 396/21
Fundstellen:
FamRZ 2023, 790
MDR 2023, 304
FF 2023, 168
NJW 2023, 531
LSK 2022, 37660
BeckRS 2022, 37660

Tenor

I. Die Beschwerde des Antragsgegners und Beschwerdeführers gegen den Tenor zu 3 des Beschlusses des Amtsgerichts - Familiengericht - Cham vom 01.06.2022, Az. 001 F 396/21, wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner und Beschwerdeführer.
III. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 8.852,70 € festgesetzt.
IV. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
1
Der Antragsgegner und Beschwerdeführer wendet sich gegen die Unterhaltsfestsetzung bei Feststellung seiner Vaterschaft.
2
Auf den Antrag des minderjährigen Antragstellers auf Anfechtung der Vaterschaft des Beteiligten J.. A… B…, welcher gemäß § 1592 Nr. 1 BGB bislang als sein Vater galt, und auf Feststellung der Vaterschaft des Antragsgegners hin hat das Gericht förmlich Beweis erhoben durch Einholung eines Abstammungsgutachtens. Nach dem Ergebnis des Gutachtens vom 07.03.2022 (Bl. 45 ff. d.A.) ist seine Vaterschaft „praktisch erwiesen“. Zugleich hat der Antragsteller die Festsetzung von Mindestunterhalt beantragt, welchen ihm das Amtsgericht mit Ziffer 3 des Beschlusses vom 01.06.2022 für den Zeitraum ab seiner Geburt abzüglich hälftigen Kindergeldes für ein erstes Kind und abzüglich übergegangener UVG-Leistungen zugesprochen hat.
3
Gegen die genannte Ziffer 3 dieses ihm am 07.06.2022 zugestellten Beschlusses wendet sich der Antragsgegner mit seiner am 07.07.2022 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde, die er mit am 08.08.2022 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz begründet. Er meint, dass ein Unterhaltsverfahren nach § 237 FamFG nicht zulässig gewesen sei, weil im Zeitpunkt der Antragstellung eine rechtliche Vaterschaft für den Antragsteller bestanden habe, und beantragt, insoweit den Beschluss des Amtsgerichts aufzuheben und das Verfahren an das Amtsgericht zurückzuverweisen, da es in der Unterhaltssache noch nicht entschieden habe.
4
Gegen die Absicht des Senats, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, sind von den Beteiligten keine Einwände erhoben worden.
II.
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Die Beschwerde ist gemäß § 117 Abs. 1, §§ 58 ff. FamFG statthaft und zulässig.
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Der Senat hat von einer mündlichen Erörterung abgesehen, da die Beteiligten rechtliches Gehör hatten, der Sachverhalt hinreichend geklärt und über eine Rechtsfrage zu entscheiden ist (§ 117 Abs. 3, § 68 Abs. 3 FamFG).
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In der Sache verbleibt die Beschwerde jedoch ohne Erfolg.
8
Ein Unterhaltsverfahren nach § 237 FamFG kann mit einem Vaterschaftsfeststellungsverfahren verbunden werden, auch wenn dieses wiederum mit einer Vaterschaftsanfechtung verbunden ist.
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1. § 179 Abs. 1 FamFG erlaubt die Verbindung von Abstammungssachen, die dasselbe Kind betreffen. Daher können auch ein Vaterschaftsanfechtungs- und ein Vaterschaftsfeststellungsverfahren, die dasselbe Kind betreffen, verbunden werden. Möglich ist damit eine Verbindung eines Antrags des Kindes oder der Mutter auf Anfechtung der Vaterschaft des rechtlichen Vaters mit dem Antrag auf Feststellung der Vaterschaft eines anderen Mannes.
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Dieser Antrag kann wiederum verbunden werden mit dem Unterhaltsantrag nach § 237 FamFG (Hammermann, in: Johannsen/Henrich/Althammer Familienrecht 7. Aufl. § 237 FamFG Rn. 11). Dennoch handelt es sich bei § 237 FamFG um ein gegenüber dem Abstammungsverfahren selbständiges Verfahren (vgl. Fuchs, in: Handbuch Familienrecht 12. Aufl. Kap. 6 Rn. 437).
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2. Wie der Beschwerdeführer zutreffend ausführt, wird zwar vertreten, dass ein Unterhaltsverfahren nach § 237 FamFG nur zulässig sei, wenn keine rechtliche Vaterschaft für das Kind bestehe (etwa: Lorenz, in: Zöller ZPO 34. Aufl. § 237 FamFG Rn. 2, Schwonberg, in: Weinreich/Klein 7. Aufl. § 237 FamFG Rn. 2, Schmitz, in: Wendl/Dose Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 10. Aufl. § 10 Rn. 116, Schlünder, in BeckOK FamFG 43. Ed. § 237 FamFG Rn. 3, Pasche, in: MünchKomm FamFG 3. Aufl. § 237 FamFG Rn. 5; Keidel/Weber, 20. Aufl. § 237 FamFG Rn. 3). Soweit diese Ansicht vertreten wird, fehlt hierzu aber eine den Senat überzeugende Begründung.
12
3. a) Der Wortlaut des § 237 Abs. 1 FamFG gibt für die Ansicht, dass keinerlei Vaterschaft feststehen darf, nichts her. § 237 Abs. 1 FamFG bezieht sich nur auf die Vaterschaft des Mannes, der auf Zahlung von Unterhalt für ein Kind in Anspruch genommen wird. Es darf demnach keine Vaterschaft des Antragsgegners nach § 1592 Nr. 1, 2 BGB oder nach § 1593 BGB bestehen (vgl. Eickelmann, in: Haußleiter FamFG 2. Aufl. § 237 FamFG Rn. 6; OLG Nürnberg FamRZ 2017, 542).
13
b) Den Gesetzesmaterialien lässt sich hierzu ebenfalls nichts entnehmen. Im Regierungsentwurf zum FamFG (BT-Drs. 16/6308 S. 257) heißt es ausdrücklich, dass § 237 Abs. 1 FamFG die Zulässigkeit eines auf Unterhaltszahlung gerichteten Hauptsacheantrags regelt „für den Fall, dass die Vaterschaft des in Anspruch genommenen Mannes nicht festgestellt ist. Der Antrag ist in diesem Fall nur zulässig, wenn zugleich ein Verfahren auf Feststellung der Vaterschaft anhängig ist.“
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c) Der Zweck der Vorschrift spricht eher gegen die genannte Auffassung. Durch die Regelung des § 237 FamFG soll das Kind den Mindestunterhalt in einem einfachen und schnellen Verfahren durchsetzen können (vgl. Schwonberg, in: Weinreich/Klein 7. Aufl. § 237 FamFG Rn. 2); diesem Zweck dient auch die Vorschrift des § 248 FamFG. Bei beiden Vorschriften handelt es sich um eine Durchbrechung des Grundsatzes des § 1600d Abs. 4 BGB, wonach die Rechtswirkungen der Vaterschaft grundsätzlich erst von dem Zeitpunkt an geltend gemacht werden können, an dem diese rechtskräftig festgestellt sind (Bömelburg, in: Prütting/Helms FamFG 4. Aufl. § 237 FamFG Rn. 3; BT-Drs. 16/6308 S. 257). Mit dem genannten Anliegen wäre es kaum vereinbar, ein solches Verfahren nur dann zuzulassen, wenn ausschließlich ein Vaterschaftsfeststellungsverfahren nach § 1600d BGB, nicht aber, wenn zugleich auch ein Vaterschaftsanfechtungsverfahren nach § 1600 BGB anhängig ist. Zwar könnte das Kind, solange dessen Vaterschaft besteht, noch den Scheinvater in Anspruch nehmen, wenn dieser leistungsfähig ist. Dies führt für das Kind aber zu unzumutbaren Verfahren und verschiebt die Probleme zudem in das Scheinvaterregressverfahren. Das Kind wäre zur Sicherung seines Lebensunterhalts gezwungen, gegen den Scheinvater - von dem häufig längst bekannt ist, dass er nicht der biologische Vater sein kann - den Unterhalt geltend zu machen, obwohl das Vaterschaftsanfechtungsverfahren schon anhängig ist.
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d) Dass zwei konsekutive Verfahren vermieden werden (vgl. Fuchs, in: Handbuch Familienrecht 12. Aufl. Kap. 6 Rn. 437) und der Unterhalt beschleunigt geregelt wird, ist für das auf den Unterhalt angewiesene Kind unabhängig davon, ob eine bislang bestehende Scheinvaterschaft in einem Vorverfahren oder in einem hinzu verbundenen Verfahren angefochten wird, von Vorteil. Es erscheint demgegenüber nicht gerechtfertigt, ein minderjähriges Kind zu veranlassen, ein Vaterschaftsanfechtungs- und ein Vaterschaftsfeststellungsverfahren getrennt zu führen, möglicherweise sogar verbunden mit der Erholung von zwei Sachverständigengutachten, um sich nicht der Vorteile des Unterhaltsverfahrens nach § 237 FamFG zu begeben.
III.
16
Die Kostenentscheidung beruht auf § 243 FamFG.
17
Die Festsetzung des Verfahrenswertes folgt aus § 40 Abs. 1 S. 1, § 51 Abs. 1 S. 1 und 2 FamGKG (Rückstand November 2019 bis Juli 2021: 5.450,70 €; laufender Unterhalt: 12 x 283,50 = 3.402 €). Auch im Beschwerdeverfahren ist für die Berechnung des Verfahrenswerts nach §§ 40, 51 FamGKG grundsätzlich der Zeitpunkt des Antragseingangs im erstinstanzlichen Verfahren maßgeblich.
IV.
18
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 FamFG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. In Rechtsprechung und Literatur ist - wie ausgeführt - bislang nicht abschließend geklärt, ob ein Unterhaltsverfahren nach § 237 FamFG auch dann mit einem Vaterschaftsfeststellungsverfahren verbunden werden kann, wenn dieses wiederum mit einer Vaterschaftsanfechtung verbunden ist.