Inhalt

OLG Nürnberg, Beschluss v. 23.05.2022 – 9 WF 419/22
Titel:

Befangenheit, Ablehnungsgesuch, Willkür, Verfahrenshandlung, Rechtsschutzbedürfnis

Normenkette:
ZPO § 42 Abs. 2, § 43, § 44 Abs. 4
Leitsatz:
Eine willkürliche Benachteiligung eines Beteiligten oder eine Behinderung in der Ausübung der Parteirechte, die eine Ablehnung rechtfertigen könnte, wäre nur dann zu bejahen, wenn durch die Verfahrensweise des Richters die Mitwirkung der Partei an der Verfahrensgestaltung und ihre Einflussnahme auf die Entscheidungsgrundlagen sachwidrig beschnitten würde. (Rn. 13) (red. LS Axel Burghart)
Schlagworte:
Befangenheit, Ablehnungsgesuch, Willkür, Verfahrenshandlung, Rechtsschutzbedürfnis
Rechtsmittelinstanz:
BVerfG Karlsruhe, Beschluss vom 05.12.2022 – 1 BvR 1865/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 37570

Tenor

1. Die Beschwerde des Antragsgegners zu 2 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Amberg betreffend Richterin am Amtsgericht N. vom 03.01.2022 wird zurückgewiesen.
2. Der Antragsgegner zu 2 hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
3. Der Verfahrenswert wird auf 2.000,-- € festgesetzt.

Gründe

1
Der Antragsgegner zu 2 wendet sich mit seinem Rechtsmittel gegen den Beschluss des Ausgangsgerichts, mit dem sein Ablehnungsgesuch gegen die verfahrensführende Richterin N. für unbegründet erklärt wurde.
I.
2
Der Beschwerdeführer ist der Vater des Kindes L. W., geboren am …2017 und der Ehemann von Frau T. W., die ihrerseits Mutter der Kinder L. G., geboren am …2007 und S. G., geboren am …2006 ist. Gegen den Beschwerdeführer ist ein Ermittlungsverfahren wegen Sexualstraftaten zu Lasten der beiden Mädchen bei der Staatsanwaltschaft A. anhängig.
3
Unter dem Aktenzeichen 3 F 248/21 wurde bei dem Amtsgericht Amberg ein eiliges Sorgerechtsverfahren bezüglich des Kindes L. geführt. Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 04.06.2021 wurde den Kindeseltern auferlegt, sich für das Kind um einen Platz in der schulvorbereitenden Einrichtung in Amberg zu bemühen und weiterhin die vom Kreisjugendamt eingesetzte sozialpädagogische Familienhilfe anzunehmen. Aufgrund der von den Kindeseltern gegen diese Entscheidung eingelegte Beschwerde hat das Oberlandesgericht Nürnberg diese mit Beschluss vom 23.08.2021 (Az.: 9 UF 680/21) dahingehend abgeändert, dass die Weisung hinsichtlich der schulvorbereitenden Einrichtung in Wegfall geraten ist. Unter dem Aktenzeichen 3 F 413/21 ist ein weiteres Sorgerechtsverfahren betreffend L. anhängig, in dem zur Klärung der Regelung der elterlichen Sorge ein Sachverständigengutachten eingeholt worden ist.
4
Hinsichtlich der Kinder L. und S. G. war bei dem Amtsgericht Amberg unter dem Aktenzeichen 3 F 232/21 ein Eilverfahren zur Regelung der elterlichen Sorge bezüglich der beiden Mädchen anhängig, in dem der Beschwerdeführer als weiterer Beteiligter geführt wurde, nachdem ihm mit gerichtlichen Beschluss vom 30.04.2021 verboten wurde, mit den Kindern Kontakt aufzunehmen. Die von dem Beschwerdeführer und der Kindsmutter hiergegen eingelegte Beschwerde wurde im Termin vor dem Oberlandesgericht am 15.07.2021 (Az.: 9 UF 515/21) zurückgenommen. Im Hauptsacheverfahren 3 F 340/21 zur Klärung der zukünftigen Regelung der elterlichen Sorge für die beiden Mädchen ist ebenfalls Begutachtung angeordnet worden; der Beschwerdeführer ist in diesem Verfahren nicht Beteiligter.
5
Der Beschwerdeführer hat mit Schreiben vom 21.06.2021, eingegangen bei dem Amtsgericht am 22.06.2022 in allen vier Verfahren Befangenheitsantrag gegen die Amtsrichterin N.gestellt und hierzu vorgetragen, die Richterin habe in den Verfahren 3 F 323/21 und 3 F 248/21 gegen den Datenschutz und Grundrechte verstoßen. Der Antrag des Jugendamtes A.-S. sei ungeschwärzt an alle Verfahrensbeteiligten verschickt worden. Sie habe im Termin zum Verfahren 3 F 232/21 die Bundeszentralregisterauskunft des Beschwerdeführers vorgelesen und mit der Verfahrensbeiständin diskutiert. Im Beschluss der Richterin vom 30.04.2021 (Az.: 232/21) sehe man, dass sie ihn bereits vorverurteilt habe. Das Strafverfahren gegen ihn sei noch nicht abgeschlossen. Sie habe ihm in der Sitzung am 01.06.2021 im Verfahren 3 F 248/21 das Wort verboten, als er auf Datenschutzverstöße bezüglich der betroffenen Mädchen habe hinweisen wollen. Trotz mehrfacher Einwände von seiner Seite habe sie zugelassen, dass die Vertreterin des Jugendamtes ihre Stellungnahme auf das Diktiergerät der Richterin gesprochen hat. Es sei Begutachtung durch Sachverständige angeordnet worden, obwohl niemand dies beantragt habe. Jedenfalls im Verfahren 3 F 413/21 sei ein Sachverständigengutachten nicht erforderlich gewesen. Neutralität werde es mit dieser Richterin in keinem Verfahren geben. Zur weiteren Begründung hat er auf eine von ihm vorgelegte Verfassungsbeschwerde mit dem Az.: 1 BvR 1386/21 verwiesen, die mit Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 16.06.2021 nicht zur Entscheidung angenommen wurde.
6
Die abgelehnte Richterin am Amtsgericht N.hat sich in ihrer dienstlichen Stellungnahme vom 01.07.2021 zum Vorbringen des Beschwerdeführers geäußert. Sie hat vorgetragen, dass sie nicht gegen Vorschriften des Datenschutzes verstoßen habe. Die sich aus den Akten ergebenden Vorermittlungen gegen den Beschwerdeführer hinsichtlich Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung seien nicht in die Sitzung eingeführt worden. Es sei nicht öffentlich verhandelt worden. Sie habe in einem Termin im Verfahren 3 F 248/21 tatsächlich der Vertreterin des Jugendamtes gestattet, ihre Stellungnahme in das Gerät des Gerichts zu diktieren. Dies sei erfolgt, um eine möglichst umfassende Dokumentation der Stellungnahme zu gewährleisten und den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zu geben, zu dem umfangreichen Vortrag des Jugendamtes in allen Punkten Stellung nehmen zu können. Es sei Begutachtung angeordnet worden. Aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes sei das Gericht verpflichtet, von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen, auch wenn die Beteiligten nicht an einer Begutachtung mitwirken wollen.
7
Mit Beschluss vom 03.01.2022 hat das Amtsgericht die Befangenheitsanträge des Beschwerdeführers als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung führt es im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer keine Gründe vorgetragen habe, aus denen eine Befangenheit der Richterinnen abgeleitet werden könne. Auf etwaige Verfahrensverstöße oder fehlerhafte Entscheidungen komme es grundsätzlich nicht an. Konkrete Gründe, die auf eine etwaige Unparteilichkeit der abgelehnten Richterinnen schließen ließen, habe der Antragsteller nicht genannt.
8
Gegen diese ihm am 11.01.2022 zugestellten Beschlüsse wendet sich der Beschwerdeführer mit dem am 24.01.2022 bei dem Amtsgericht eingegangenen Rechtsmittel. Er rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG. Er habe die richterliche Stellungnahme der abgelehnten Richterin N.erst am 08.01.2022 erhalten. Es sei nicht rechtens, dass die abgelehnte Richterin ihn im Verfahren 3 F 340/21 nicht als Verfahrensbeteiligten sehe. Die Richterin habe auch bereits gegen den Befangenheitsantrag verstoßen, weil sie am 28.06.2021 über die Bestellung von Frau RechtsanwältinZ. zur Verfahrensbeiständin entschieden habe (Az.: 3 F 340/21), jedoch gem. § 47 Abs. 1 ZPO nur Handlungen vornehmen hätte dürfen, die nicht aufschiebbar gewesen seien. Im Übrigen wiederholt der Beschwerdeführer seine bereits in der Antragstellung vorgetragenen Vorwürfe gegen die abgelehnte Richterin.
9
Mit Beschluss vom 13.04.2022 hat das Amtsgericht der sofortigen Beschwerde des Beschwerdeführers betreffend Richterin am Amtsgericht N.nicht abgeholfen. Es sei zwar richtig, dass die dienstliche Stellungnahme der abgelehnten Richterin ihm erst nach der Entscheidung über den Befangenheitsantrag zugänglich gemacht worden sei. Rechtliches Gehör sei jedoch mittlerweile ausreichend gewährt, weil sich der Antragsteller in seiner Rechtsmittelschrift ausführlich zur Stellungnahme der Richterin geäußert habe. Nachdem die Verfahren 3 F 248/21 und 3 F 232/21 bereits erledigt seien, gehe der Befangenheitsantrag bezüglich dieser Verfahren ins Leere.
II.
10
Das Rechtsmittel des Antragsgegners zu 2 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Amberg ist gemäß § 6 Abs. 2 FamFG, §§ 567 ff. ZPO als sofortige Beschwerde zulässig; es ist jedoch nicht begründet.
11
Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit eines Richters findet gemäß § 6 Abs. 1 FamFG, § 42 Abs. 2 ZPO nur statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen dessen Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dabei muss es sich um einen objektiven Grund handeln, der vom Standpunkt des Ablehnenden aus die Befürchtung erwecken kann, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen und Gedankengänge des Ablehnenden scheiden als Ablehnungsgrund aus. Entscheidend ist, ob ein Verfahrensbeteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. BGH NJW-RR 2003, 1220; NJW-RR 1986, 738).
12
Eine Ablehnung nach § 42 Abs. 2 ZPO kann grundsätzlich nicht erfolgreich auf eine Verfahrenshandlung gestützt werden, weil es im Ablehnungsverfahren allein um eine mögliche Parteilichkeit des Richters und nicht um die Richtigkeit seiner Handlungen und Entscheidungen geht, deren Überprüfung ausschließlich mit den hierfür vorgesehenen Rechtsmitteln zu erfolgen hat. Lediglich im Ausnahmefall sind Verfahrensweisen und Rechtsauffassungen Grund für die Ablehnung, wenn die richterliche Handlung ausreichender gesetzlicher Grundlage völlig entbehrt und so grob rechtswidrig ist, dass sie als Willkür erscheint, oder wenn die fehlerhafte Begründung eindeutig zu erkennen gibt, dass sie aus einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem Beteiligten beruht (OLG Frankfurt, NJW 2009, 1007 ff:). Das prozessuale Vorgehen des Richters muss sich so sehr von dem normalerweise geübten Verfahren entfernen, dass sich für die dadurch betroffene Partei der Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung aufdrängt (Zöller/G. Vollkommer ZPO, § 42 Rdnr. 24 mit weiteren Nennungen).
13
Eine willkürliche Benachteiligung eines Beteiligten oder eine Behinderung in der Ausübung der Parteirechte, die eine Ablehnung nach § 42 Abs. 2 ZPO rechtfertigen könnte, wäre nur dann zu bejahen, wenn durch die Verfahrensweise des Richters die Mitwirkung der Partei an der Verfahrensgestaltung und ihre Einflussnahme auf die Entscheidungsgrundlagen sachwidrig beschnitten würde.
14
Ein Beteiligter kann dabei gemäß § 43 ZPO einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn er sich bei ihm ohne den ihm bekannten Ablehnungsgrund geltend gemacht zu haben, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Wird ein Richter, bei dem die Partei sich in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat, wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, so ist glaubhaft zu machen, dass der Ablehnungsgrund erst später entstanden oder der Partei bekannt geworden sei. Das Ablehnungsgesuch ist unverzüglich anzubringen (§ 44 Abs. IV ZPO). Unverzüglich heißt dabei, ohne prozessordnungswidrige Verzögerung nach Kenntniserlangung. Der ablehnenden Partei steht daher nur eine kurze Überlegungsfrist zur Verfügung.
15
Bei einem Ablehnungsgesuch außerhalb des zulässigen Zeitraumes fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag (Zöller/G. Vollkommer § 44 ZPO Rn. 16).
16
Im Verfahren 3 F 248/21 wurde am 01.06.2021 mit dem Beschwerdeführer verhandelt. Die erstinstanzliche Entscheidung ist am 04.06.2021 ergangen. Erst am 21.06.2021, also zu einem Zeitpunkt als die erstinstanzliche Entscheidung bereits ergangen war und drei Wochen nach dem Termin hat der Beschwerdeführer die Ablehnungsgründe geltend gemacht. Ein unverzügliches Anbringen des Ablehnungsgesuches liegt damit nicht mehr vor. Das erstinstanzliche Verfahren war zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen. Dem Antrag des Beschwerdeführers auf Ablehnung der verfahrensführenden Amtsrichterin fehlt daher das Rechtsschutzbedürfnis. Er war bereits unzulässig.
17
Das Amtsgericht hat dem Antrag des Beschwerdeführers zu Recht nicht stattgegeben. Seine Beschwerde war deswegen zurückzuweisen.
III.
18
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.
19
Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren richtet sich nach dem Verfahrenswert der Hauptsache und ergibt sich aus §§ 41, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.
IV.
20
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 1, Abs. 2 FamFG liegen nicht vor. Der Beschluss ist deswegen mit Rechtsmitteln nicht anfechtbar.