Inhalt

ArbG München, Endurteil v. 18.03.2022 – 23 Ca 9984/21
Titel:

Unbegründeter Anspruch auf Zahlung eines "13. Monatsgehalts"

Normenketten:
BGB § 305 Abs. 1, § 305c Abs. 2, § 611a Abs. 2
MTV § 26 Abs. 1, § 30 Abs. 4 Nr. 13, Nr. 14
Leitsätze:
1. Ist der Wortlaut in einem Vertrag nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise und „verständiger“ und „redlicher“ Vertragspartner zu verstehen ist. Soweit der mit dem Vertrag verfolgte Zweck einzubeziehen ist, gilt das (nur) in Bezug auf mit dem Geschäfts- bzw. Vertragsschluss typischerweise verfolgte Ziele.  (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Soweit im Rahmen der Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch der mit dem Vertrag verfolgte Zweck einzubeziehen ist, ist entscheidend, wie der Vertragstext aus Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der Vertragswille verständiger und redlicher Vertragspartner beachtet werden muss.  (Rn. 33 – 35) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die ausdrückliche Benennung von gewollten Rechtsfolgen in einem privatautonomen Vertrag ist grundsätzlich als konstitutive Vereinbarung über die bezeichneten Rechtsfolgen anzusehen. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB kommt (erst) dann zur Anwendung, wenn die Auslegung einer einzelnen Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach Ausschöpfung aller Auslegungsmethoden mindestens zwei Ergebnisse als vertretbar erscheinen lässt und keines den klaren Vorzug verdient. Es müssen „erhebliche Zweifel“ an der richtigen Auslegung bestehen.  (Rn. 55) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
13. Monatsgehalt, Arbeitsvertrag, Vertragspartner, Grundgehalt, Allgemeine Geschäftsbedingungen, Auslegungsgrundsätze, Urlaubs- und Weihnachtsgeld
Rechtsmittelinstanzen:
LArbG München, Urteil vom 27.10.2022 – 5 Sa 221/22
BAG Erfurt, Urteil vom 28.06.2023 – 5 AZR 9/23
Fundstelle:
BeckRS 2022, 37404

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 6.532,26 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um die Zahlung eines vom Kläger begehrten „13. Monatsgehalts“.
2
Der Kläger ist seit dem 01.01.1989 bei der Beklagten auf Basis des schriftlichen Arbeitsvertrags vom 10.11.1988 beschäftigt. Der Arbeitsvertrag regelt u.a. Folgendes:
„3. Die Rechte und Pflichten des Mitarbeiters ergeben sich aus den jeweils gültigen Tarifverträgen, den Betriebsvereinbarungen und Dienstvorschriften der D. Im Hinblick auf die vorgesehene Tätigkeit erfolgt eine Eingruppierung in die Vergütungsgruppe 03…
4. Entsprechend der in Ziffer 3 vorgenommenen Eingruppierung belaufen sich die monatlichen Bezüge auf:
… Gesamtvergütung 2.253,- DM
EDV-Tarifgruppenschlüssel …
Eine zu den derzeitigen Tarifbezügen gezahlte Ausgleichszulage kann widerrufen oder gegen Vergütungserhöhungen jeder Art aufgerechnet werden.
5. Die Bezüge werden 13mal jährlich bargeldlos gezahlt.
6. Die D. hat für ihre Betriebsangehörigen eine Zusatzversicherung … geschaffen …“
3
Hinsichtlich der Einzelheiten des Arbeitsvertrags vom 10.11.1988 wird auf die Anlage K2 (Bl. 46 d.A.) Bezug genommen.
4
Bei der Beklagten findet grundsätzlich der Manteltarifvertrag Nr. 14 für das Bodenpersonal (in der Fassung vom 1. Januar 2007 - einschließlich des Änderungstarifvertrages Nr. 13 (im Folgenden: MTV Nr. 14 Boden, Anlage B2, Bl. 112 ff d.A.) Anwendung. Zum Zeitpunkt des Arbeitsvertragsschlusses der Parteien am 10.11.1988 galt bei der Beklagten u.a. der Vorgängertarifvertrag, der Manteltarifvertrag Nr. 13 für das Bodenpersonal vom 14. Juni 1988 (gültig ab 1. Januar 1988; im Folgenden: MTV Nr. 13 Boden, Anlage B4, Bl. 201 ff. d. A.). Beide Regelungswerke enthalten nahezu wortgleich unter Ziffer V und der Bezeichnung „Vergütung“ folgende Bestimmungen:
„§ 13 Anspruch auf Vergütung
(1) Der Mitarbeiter hat für die von ihm geleistete Arbeit Anspruch auf die tarifvertraglich vereinbarte Vergütung.
(2) Als Vergütung werden eine Grundvergütung und, sofern die Voraussetzungen vorliegen, folgende Aufschläge gezahlt:
§ 14 Grundvergütung
(1) Die Grundvergütung wird, soweit dieser Tarifvertrag nichts anderes bestimmt, nach dem Wert der Leistung bemessen. Zu diesem Zweck ist jeder vom Tarifvertrag erfasste Mitarbeiter in eine Vergütungsgruppe einzuordnen.
§ 26 Auszahlung der Vergütung
(1) Die feststehenden monatlichen Vergütungsbestandteile (Grundvergütung und Zulagen, ausgenommen Schicht- und Nachtzulagen) werden für den laufenden Monat in der Weise bargeldlos gezahlt, dass sie am 27. eines jeden Monats dem Bank-, Sparkassen- oder Postgirokonto des Mitarbeiters gutgeschrieben werden können…“
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Außerdem enthalten die Manteltarifverträge, ebenfalls nahezu wortgleich, unter Ziffer VI und der Bezeichnung „Sozialbezüge“ folgende Regelungen:
„§ 30 Urlaubs- und Weihnachtsgeld
(1) Alle Mitarbeiter erhalten jährlich Urlaubs- und Weihnachtsgeld in Höhe von je einer halben Grundvergütung zuzüglich des halben Betrages eventuell zustehender Lehr-, Fremdsprachen- und Schleppzulagen. Die Berechnung des Urlaubsgeldes richtet sich nach der für Monat Mai, des Weihnachtsgeldes nach der für Monat November des betreffenden Jahres zugrunde liegenden vollen Vergütung (Grundvergütung zuzüglich eventueller Lehr-, Fremdsprachen-, …-Zulagen).
(4) Das Urlaubsgeld wird mit der Maivergütung, das Weihnachtsgeld mit der Novembervergütung gezahlt.“
§ 30 Absatz 2 des aktuell gültigen MTV Nr. 14 Boden regelt außerdem für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis im jeweiligen Kalenderjahr beginnt oder endet, dass der Mitarbeiter für jeden Kalendertag der Beschäftigung einen Anspruch auf 1/360 des Urlaubs- bzw. Weihnachtsgeldes erwirbt.
6
Bestimmungen, die ein „13. Monatsgehalt“ nennen, enthalten die Tarifverträge nicht.
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Hinsichtlich der Einzelheiten der tarifvertraglichen Regelungen wird auf die Anlagen B2 (Bl. 112 ff. d.A.) und B4 (Bl. 201 ff. d.A.) Bezug genommen.
8
Der Kläger erhielt unstreitig in der Vergangenheit ab Beginn des Beschäftigungsverhältnisses bis Mai 2020 jeweils mit dem Gehaltslauf für Mai und mit dem Gehaltslauf für November zusätzlich jeweils eine Leistung, deren Höhe den Vorgaben nach § 30 Abs. 1 MTV Nr. 14 Boden bzw. Nr. 13 Boden entsprach. Das Bruttomonatsgehalt des Klägers betrug zuletzt insgesamt 4.933,55 €.
9
Die Beklagte ist Mitglied des Arbeitgeberverbandes L. e.V. (AGVL), der sich vor dem Hintergrund der Auswirkungen der „Corona-Krise“ seit April 2020 in Verhandlungen u.a. mit der Gewerkschaft V. über Maßnahmen zur Reduktion der Personalkosten befand. In diesem Zusammenhang veröffentlichte die Konzernmutter der Beklagten im Intranet „eBase“, auf das alle Beschäftigten des Konzerns Zugriff hatten, am 12.05.2020 einen Artikel und informierte über einen gemeinsamen Tarifgipfel am 30.04.2020 mit den beteiligten Gewerkschaften und die dort gefundene Einigung, rasch an konkreten Lösungen zur Bewältigung der Krise zu arbeiten. Der Artikel war unter der Überschrift „‘Trotz Kurzarbeit trägt das Unternehmen weiterhin hohe Personalkosten‘ Verhandlungen mit den Gewerkschaften sind mit dem Ziel gestartet, Personalkosten deutlich im zweistelligen Prozentbereich einzusparen“ veröffentlicht worden (Anlagenkonvolut B7, Bl. 270 ff. d.A.). Am 25.05.2020 führte die Konzernmutter der Beklagten auf „eBase“ in einem Artikel unter der Überschrift
„Darum geht es in den Gesprächen mit Gewerkschaft V.“ (Anlagenkonvolut B7, Bl. 275 ff. d.A.) u.a. Folgendes aus:
„… Daher muss D. jetzt Lösungen mit den Sozialpartnern vereinbaren, um mit dieser Situation umzugehen… Die nötige erhebliche Einsparung von Personalkosten erfordert es, unvoreingenommen auch schwierige Themen anzusprechen. Folgende Maßnahmen hat D.
im Rahmen der Verhandlungen gefordert:
… Verzicht auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld inkl. Zuschlägen …“
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Hinsichtlich der Einzelheiten der Veröffentlichungen auf „eBase“ wird auf das Anlagenkonvolut B7, insbesondere Bl. 270 ff. und Bl. 275 ff. d.A., Bezug genommen.
11
Im Mai 2020 zahlte die Beklagte dem Kläger eine Leistung in Höhe von einer halben monatlichen Grundvergütung des Klägers (1.986,02 € brutto), seiner hälftigen monatlichen Schichtleiterzulage (110,33 € brutto) und seiner hälftigen monatlichen Überleitungszulage (81,07 € brutto), insgesamt in Höhe von 2.177,42 brutto. Eine Auszahlung einer entsprechenden weiteren Leistung als „Weihnachtsgeld“ oder als (hälftiges) „13. Monatsgehalt“ erhielt der Kläger im November 2020 nicht.
12
Am 10.11.2020 einigten sich der AGLV und die Gewerkschaft V. auf ein Eckpunktepapier für eine Krisenvereinbarung („Kurzläufer“). Unter Ziffer 2 und dem Betreff „Einsparmaßnahmen“ waren die Punkte „Streichung Weihnachtsgeld [mit Ausnahme Mitarbeiter in ATZ] gültig in 2020 und 2021“ und „Streichung Urlaubsgeld [mit Ausnahme Mitarbeiter in ATZ] gültig in 2021 angeführt (Anlage B5, Bl. 244 d.A.). Unter Ziffer 7 und dem Betreff „Wirksamkeit“ war ein Inkrafttreten des Eckpunktepapiers erst nach positiver Erklärung binnen einer Erklärungsfrist zum 08.12.2020, 12.00 Uhr geregelt. Am 16.12.2020 schlossen der AGLV und die Gewerkschaft V. den Tarifvertrag zur Bewältigung des Corona-Krisenfalls (TV Corona-Krise) für das Bodenpersonal (im Folgenden: TV Corona-Krise, Anlage K5, Bl. 55 ff. d.A.). In § 4 Abs. 1 TV Corona-Krise wurde Folgendes geregelt:
„Das Urlaubs- und Weihnachtsgeld gem. § 30 MTV Nr. 14 […] werden für die Laufzeit dieses Tarifvertrags nicht ausgezahlt. Der Anspruch besteht für die Dauer der Aussetzung nicht und die Auszahlung wird […] nicht zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt.“
13
Der Tarifvertrag trat gemäß § 9 TV Corona-Krise am 10.11.2020 in Kraft und endete am 31.12.2021.
14
Der Kläger erhielt weder im Mai 2021 noch im November 2021 eine Auszahlung weiterer Leistungen als „Weihnachts- und Urlaubsgeld“ oder als (jeweils hälftiges) „13. Monatsgehalt“.
15
Mit seiner am 11.11.2021 beim Arbeitsgericht München eingegangenen und mit Schriftsatz vom 21.01.2022 erweiterten Klage begehrt der Kläger Zahlung dreier Leistungen entsprechend der Höhe der zuletzt im Mai 2020 zusätzlich erfolgten Zahlung von 2.177,42 € brutto (nebst Zinsen). Der Kläger ist der Auffassung, dass ihm ein tarifunabhängiger bzw. von MTV Nr. 14 Boden losgelöster Anspruch auf Zahlung einer 13. Monatsvergütung auf Basis von § 611a Abs. 2 BGB i.V.m. Ziffern 4, 5 des Arbeitsvertrags vom 10.11.1988 zustehe. Dies folge aus einer Auslegung der arbeitsvertraglichen Regelungen. Der Wortlaut von Ziffer 5, insbesondere die Formulierung „werden … gezahlt“, spreche für eine eigene Anspruchsgrundlage. Im MTV sei ein Anspruch auf Zahlung eines 13. Gehalts nicht erwähnt, vielmehr ein „Urlaubs- und Weihnachtsgeld“. Genau diese Formulierung habe der Arbeitsvertrag jedoch nicht aufgegriffen, sondern verwende eine davon abweichende Formulierung. Das Auslegungsergebnis der Beklagten, Ziffer 5 sei lediglich deklaratorisch, sei abwegig und konstruiert. Von einem Verbraucher zu erwarten, das Auslegungsverständnis und dessen Herleitung durch die Beklagte zu teilen, sei überzogen. Auch Wortlaut und Systematik des Gesamtvertrags sprächen nicht gegen einen konstitutiven Charakter von Ziffer 5: So enthalte Ziffer 2 des Arbeitsvertrags mit den Regelungen zur Probezeit beispielsweise konstitutive Regelungen. Die Bezugnahmeklausel unter Ziffer 3 sei nicht dem gesamten Vertrag „prominent“ vorangestellt. Hätte die Formulierung unter Ziffer 5 des Arbeitsvertrags lediglich deklaratorische Wirkung, wäre sie überflüssig. Denn dann wäre die Bezugnahmeklausel unter Ziffer 3 ausreichend gewesen. Eine Ziffer 5 des Arbeitsvertrags des Klägers entsprechende Formulierung sei von der Beklagten in ihren Formulararbeitsverträgen später im Übrigen nicht mehr verwendet worden, auch nicht in einer klareren Fassung hinsichtlich des - von der Beklagten angenommenen - deklaratorischen Charakters. Dies spreche dagegen, dass die Aufnahme im Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrags mit dem Kläger lediglich im Sinne eines deklaratorischen Informations- und Klarstellungsinteresses der Mitarbeitenden geboten gewesen sei. Allein aus der bisherigen Auszahlungspraxis der Beklagten lasse sich nicht schließen, dass die Parteien auch von einem gemeinsamen Verständnis im Hinblick auf die Anspruchsgrundlage der im Mai und November jeweils zusätzlich erfolgten Zahlungen ausgegangen seien. Zumindest der Kläger habe kein - mit der Beklagten geteiltes gemeinsames - Verständnis gehabt, dass mit der Formulierung der 13-maligen Zahlung der Bezüge jährlich das tarifliche Urlaubs- und Weihnachtsgeld hätte gemeint sein sollen. Auch dem beteiligten Verkehrskreis könne ein solches (gemeinsames) Verständnis nicht unterstellt werden.
16
Zumindest lasse sich Ziffer 5 nicht eindeutig als deklaratorische Auszahlungsformulierung verstehen; sie sei mehrdeutig i.S.v. § 305c Abs. 2 BGB. Allein eine dynamische Bezugnahmeklausel stehe nicht automatisch der Wertung einer anderen Klausel als mehrdeutig i.S.v. § 305c Abs. 2 BGB entgegen. Die Beklagte habe eine unpräzise und ungenaue Formulierung gewählt und könne damit nicht den zu beachtenden Verbraucherschutz konterkarieren. Der TV Corona-Krise habe den individualrechtlichen Vergütungsanspruch des Klägers aus dem günstigeren Arbeitsvertrag nicht abbedingen können; im Übrigen erfasse § 4 Abs. 1 TV Corona-Krise auch seinem Wortlaut nach lediglich Ansprüche auf Weihnachtsund Urlaubsgeld gemäß § 30 MTV Nr. 14 Boden. Soweit ein Anspruch nicht auf Basis von § 611a Abs. 2 BGB i.V.m. Ziffer 5 des Arbeitsvertrags begründet sei, folge ein entsprechender Zahlungsanspruch zumindest aus § 30 MTV Nr. 14 Boden i.V.m. § 611a Abs. 2 BGB i.V.m. Ziffer 3 des Arbeitsvertrags. Das schutzwürdige Vertrauen des Klägers stehe der rückwirkenden Streichung des Weihnachtsgeldes 2020 durch den zum 10.11.2020 (rückwirkend) in Kraft getretenen TV Corona-Krise entgegen.
17
Der Kläger beantragt,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger brutto € 2.177,42 nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.11.2020 zu zahlen.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger brutto € 2.177,42 nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.05.2021 zu zahlen.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger brutto € 2.177,42 nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.11.2021 zu zahlen.
18
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
19
Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass Ziffer 5 des Arbeitsvertrags vom 10.11.1988 lediglich eine deklaratorische Regelung ohne anspruchsbegründenden Charakter darstelle.
20
Sie gewähre dem Kläger keinen einzelvertraglichen Anspruch auf ein „Weihnachts- und Urlaubsgeld“ bzw. ein „13. (Grund-)Gehalt“ unabhängig von den tariflichen Regelungen. Ziffer 5 sei insbesondere nicht überflüssig, da Arbeitnehmer - auch im Fall einer Tarifbindung ihres Arbeitgebers - ein Informationsbedürfnis hinsichtlich der wesentlichen Vertragsbedingungen hätten. Dem stehe nicht entgegen, dass die Beklagte in späteren Formulararbeitsverträgen die Klausel gestrichen habe; es sei eine Wertungsentscheidung, welches Informationsbedürfnis bei den Mitarbeitern bzw. Bewerbern bestehe und wie es sinnvoll erfüllt werden könne; dies sei im Laufe der Jahre lediglich unterschiedlich beurteilt worden. Die Bezugnahmeregelung unter Ziffer 3 Satz 1 des Arbeitsvertrags sei eindeutig; es mache keinen Sinn, an einer Stelle des Arbeitsvertrags die Anwendung der tarifvertraglichen Regelungen ausnahmslos zu vereinbaren, um sie (fast) unmittelbar nachfolgend wieder abzubedingen. Ohne besondere Anhaltspunkte gebe es keinen Anlass, von einer Besser- oder Schlechterstellung im Vergleich zur Tariflage auszugehen. Soweit ein Arbeitsvertrag eine uneingeschränkte Tarifbezugnahmeklausel enthalte, müssten Klauseln, die dennoch, ausnahmsweise, tarifunabhängige Ansprüche begründen sollten, dies auch sprachlich eindeutig zum Ausdruck bringen. Das sei bei Ziffer 5 des Arbeitsvertrags gerade nicht der Fall. Die Klausel solle erkennbar die Auszahlungsmodalität einer bargeldlosen Zahlung regeln, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Jahr 1988 alles andere als selbstverständlich gewesen sei. Gegen einen konstitutiven Anspruchscharakter sprächen die Kürze der Formulierung sowie die Verwendung der Passivform. Aus systematischer Sicht knüpften auch die Regelungen unter Ziffer 3 Satz 2 des Arbeitsvertrags zur Eingruppierung sowie unter Ziffer 4 zur Höhe der monatlichen Bezüge „entsprechend der in Ziffer 3 vorgenommenen Eingruppierung“ an die umfassende Bezugnahmeregelung an. Die Begriffe „13. Gehalt“ und „Weihnachts- und Urlaubsgeld“ würden bei der Beklagten wie auch im gesamten Konzern synonym verwendet. Es sei bei der Beklagten jahrzehntelange Praxis gewesen, neben den 12 Monatsgrundgehältern lediglich das (tarifliche) Urlaubsgeld im Mai und das (tarifliche) Weihnachtsgeld im November auszuzahlen; zu keinem Zeitpunkt sei ein 13. Grundgehalt als ganzer Betrag gezahlt worden. Es sei lebensfremd, dass der Kläger die Handhabung bei der Beklagten „hingenommen“ habe und trotzdem von einer eigenständigen Anspruchsgrundlage eines „echten 13. Gehalts“ in seinem Arbeitsvertrag ausgegangen sei. Ziffer 5 des Arbeitsvertrags sei auch nicht mehrdeutig i.S.v. § 305c Abs. 2 BGB: In über 30 Jahren habe keiner der Mitarbeiter des Konzerns neben dem „Urlaubs- und Weihnachtsgeld“ ein zusätzliches „13. Gehalt“ bzw. eine vierzehnte Grundgehaltszahlung geltend gemacht. Dem Entfall des tarifvertraglichen Anspruchs auf das Weihnachtsgeld 2020 sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeldes 2021 aufgrund des TV Corona-Krise stehe kein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers entgegen. Spätestens in der zweiten Jahreshälfte 2020, für die das Weihnachtsgeld gezahlt werde, sei den Mitarbeitern aufgrund entsprechender Kommunikation der Beklagten an ihre Belegschaft hinreichend bekannt gewesen, dass auch über die Streichung des Urlaubs- und Weihnachtsgelds verhandelt werde.
21
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, auf die Sitzungsprotokolle vom 20.12.2021 und vom 18.03.2022 sowie den gesamten weiteren Akteninhalt Bezug genommen (§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, §§ 495, 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO).

Entscheidungsgründe

22
Die zulässige Klage ist unbegründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Zahlungsansprüche nicht zu. Aus dem Arbeitsvertrag vom 10.11.1988 folgt kein tarifunabhängiger, selbständiger Anspruch auf Zahlung eines vom Kläger als „13. Gehalt“ bezeichneten Betrags. Der tarifvertragliche Anspruch nach § 30 MTV Nr. 14 Boden, dem auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrag, auf Zahlung eines „Urlaubs- und Weihnachtsgeldes“ ist für das „Weihnachtsgeld“ 2020 wie auch das „Urlaubs- und Weihnachtsgeld“ 2021 aufgrund von § 4 Abs. 1 TV Corona-Krise ausgeschlossen.
23
Die Kammer schließt sich im Ergebnis ganz überwiegend den Rechtsausführungen der Kammern 11 und 14 des Arbeitsgerichts Hamburg in den Entscheidungen vom 19.10.2021 (11 Ca 210/21, Anlage B1, Bl. 100 ff. d.A.) und 25.01.2022 (14 Ca 65/21, Anlage K9, Bl. 391 ff. d.A.) an, die zu vergleichbaren Konstellationen und Vertragsgestaltungen ergangenen sind.
A.
24
Aus dem Arbeitsvertrag vom 10.11.1988 selbst folgt kein Anspruch auf Zahlung eines hälftigen „13. Gehalts“ für das Jahr 2020 bzw. in voller Höhe eines Grundgehalts für 2021 entsprechend den vom Kläger eingeklagten Beträgen. Ziffer 5 des Arbeitsvertrags enthält keine konstitutive Regelung. Dies ergibt eine Auslegung des Arbeitsvertrags.
I.
25
Der von der Beklagten formularmäßig verwendete, vorformulierte und mit dem Kläger geschlossene Arbeitsvertrag beinhaltet Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.v. § 305 Abs. 1 BGB.
26
Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von (regelmäßig) rechtsunkundigen, verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners zugrunde zu legen sind. Ansatzpunkt für die nicht am Willen der jeweiligen, einzelnen Vertragspartner zu orientierende Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist dieser nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise und „verständiger“ und „redlicher“ Vertragspartner zu verstehen ist. Soweit der mit dem Vertrag verfolgte Zweck einzubeziehen ist, gilt das (nur) in Bezug auf mit dem Geschäfts- bzw. Vertragsschluss typischerweise verfolgte Ziele (vgl. BAG, Urteil vom 23.03.2021 - 3 AZR 99/20, NZA 2021, 783 mwN).
27
Diese Auslegungsgrundsätze sind auch für die Frage anzuwenden, ob der Verwender nur eine beschreibende Aussage gemacht oder eine Willenserklärung mit Rechtsbindungswillen abgegeben hat (BAG, Urteil vom 02.06.2021 - 4 AZR 387/20, NZA 2021, 1346 mwN).
II.
28
Weder aus dem Wortlaut von Ziffer 5 des Arbeitsvertrags noch aus den Formulierungen der übrigen Bestimmungen des Arbeitsvertrags vom 10.11.1988 lässt sich ein anspruchsbegründender Charakter von Ziffer 5 auf Zahlung eines „13. Gehalts“ ableiten.
29
1. Aus dem Wortlaut von Ziffer 5 folgt nicht, dass die Klausel - im Sinne der Auslegung des Klägers - konstitutive Wirkung hat und einen eigenständigen, auf Dauer tarifunabhängigen Anspruch des Klägers auf Zahlung eines „13. Gehalts“ begründet.
30
Formulierungen, die den Begriff eines „Anspruchs“ des Klägers oder korrespondierend einer „Verpflichtung“ der Beklagten direkt oder in ähnlicher Form aufgreifen, enthält Ziffer 5 gerade nicht. Sie nimmt ihrem Wortlaut nach auch nicht Bezug auf eine spezifische Leistung, auf ein „13. Gehalt“, sondern abstrakt auf „die Bezüge“ und beschreibt insoweit - diese voraussetzend - unmittelbar lediglich deren Zahlungsmodalitäten („bargeldlos“ und 13mal jährlich; vgl. zu diesem Ergebnis im Hinblick auf eine Wortlautauslegung auch in einer vergleichbaren Konstellation und Vertragsgestaltung: Arbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 25.01.2022 - 14 Ca 65/21, Anlage K9, Bl. 391 ff. d. A.; a.A. Arbeitsgericht B-Stadt, Urteil vom 08.12.2021 - 14 Ca 4835/21, Anlage K10, Bl. 404 ff. d.A.).
31
2. Auch aus einer über die isolierte Betrachtung von Ziffer 5 hinausgehenden Auslegung der vertraglichen Bestimmungen mit Blick auf die Gesamtheit des Wortlauts des Arbeitsvertrags lässt sich der vom Kläger angenommene konstitutive Charakter von Ziffer 5 nicht ableiten: Vielmehr sprechen die an anderer Stelle im Vertrag verwendeten Formulierungen gegen einen konstitutiven Charakter von Ziffer 5. So enthalten die Formulierungen unter Ziffer 4 und Ziffer 6 Hinweise auf zusätzliche, tarifunabhängige Leistungen wie z.B. „eine zu den derzeitigen Tarifbezügen gezahlte Ausgleichszulage“ und „Zusatzversicherung“. Ziffer 5 verwendet in ihrer Formulierung - im Gegensatz zu den Ziffern 4 und 6 - keinen Hinweis auf eine „zusätzliche“ Leistung oder auf eine Leistung auf Basis einer „zusätzlichen“, doppelten Anspruchsgrundlage.
32
3. Nach Auffassung der Kammer ist damit bereits nach dem Wortlaut des Vertrags eindeutig ein konstitutiver Charakter von Ziffer 5 abzulehnen. Nur weil Ziffer 5 selbst nicht ausdrücklich „negative“ den Ausschluss eines konstitutiven Charakters quasi vorbeugend formuliert, wird der Wortlaut im Ergebnis nicht weniger eindeutig.
III.
33
Selbst wenn man zugunsten des Klägers davon ausgehen sollte, dass der Wortlaut des (Gesamt-)Vertrags nicht ohne Zweifel ist, lässt sich unter Berücksichtigung des Vertragszwecks ein anspruchsbegründender Charakter von Ziffer 5 nicht erkennen.
34
Soweit im Rahmen der Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch der mit dem Vertrag verfolgte Zweck einzubeziehen ist, ist entscheidend, wie der Vertragstext aus Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der Vertragswille verständiger und redlicher Vertragspartner beachtet werden muss (BAG, Urteil vom 23.03.2021 - 3 AZR 99/20, NZA 2021, 783 mwN).
35
Unter Berücksichtigung der typischen Interessen der Beklagten als tarifgebundene Arbeitgeberin bei Abschluss des Arbeitsvertrags und des Klägers als eines (damaligen) Bewerbers bei einer tarifgebundenen Arbeitgeberin mit einer großen Belegschaft kann bei einer verständigen zweckbezogenen Betrachtung nicht von einem konstitutiven Charakter der Klausel ausgegangen werden.
36
1. Zwar ist im Hinblick auf diese Tarifbindung zunächst - im Sinne der Auslegung des Klägers - zu berücksichtigen, dass sich die in Ziffer 5 genannte Erfüllungsart der bargeldlosen Zahlung auch bereits aus den in Bezug genommenen tariflichen Regelungen (§§ 26 Abs. 1, 30 Abs. 4 MTV Nr. 13 bzw. Nr. 14 Boden) ergibt bzw. im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ergeben hat. Dies gilt auch für den Gesamtbetrag von 13 Grundbezügen pro Jahr als Ergebnis der Summe der monatlichen in Ziffer 4 genannten Bezüge und des tariflich geregelten „Urlaubs- und Weihnachtsgeldes“ (§ 30 MTV Nr. 13 bzw. Nr. 14 Boden). Nach der hierauf bezogenen Argumentation des Klägers wäre - aufgrund der arbeitsvertraglichen und tarifvertraglichen „Doppelung“ der Bestimmungen - Ziffer 5 möglicherweise „überflüssig“, wenn ihr keine besondere, konstitutive Bedeutung beigemessen wird.
37
2. Insoweit ist zwar dem Kläger im Ansatz Recht zu geben, dass eine Auslegung, die im Ergebnis eine Klausel „überflüssig“ macht, problematisch erscheint. Die Aufnahme eines „Nullum“ in ein Vertragswerk kann nach Wertung der Kammer grundsätzlich nicht ohne weiteres als Vertragswille „verständiger“ Vertragspartner unterstellt werden.
38
a) Wenn Parteien eines Rechtsverhältnisses in einer mit „Vertrag“ bezeichneten Urkunde gemeinsam aufschreiben, dass für das Rechtsverhältnis dieses und jenes gelten soll, handelt es sich nicht um einen Akt der bloßen Erkenntnis, sondern um einen Akt der Betätigung rechtsgeschäftlichen Willens (BAG, Urteil vom 14.12.2011 - 4 AZR 27/10, BeckRS 2012, 70484). Eines Hinweises auf eine ohnehin bestehende Rechtslage, die unabhängig vom Vertrag begründet worden ist und auch nach Vertragsabschluss weiterhin unabhängig vom Vertrag bestehen soll, bedarf es nicht. Wenn einer ausdrücklichen Vereinbarung ausnahmsweise nur eine solche Wirkung beigemessen, sie also in der Sache als überflüssig und letztlich unsinnig angesehen werden soll, bedarf es hierfür eindeutiger Anhaltspunkte. Die ausdrückliche Benennung von gewollten Rechtsfolgen in einem privatautonomen Vertrag ist grundsätzlich als konstitutive Vereinbarung über die bezeichneten Rechtsfolgen anzusehen (BAG, Urteil vom 14.12.2011 - 4 AZR 27/10, BeckRS 2012, 70484).
39
Ausdrücklich in einen Arbeitsvertrag aufgenommene Klauseln haben daher grundsätzlich Vorrang gegenüber einer nur durch die pauschale Bezugnahme auf einen Tarifvertrag anwendbaren Regelung. Belassen es die Arbeitsvertragsparteien nicht dabei, ihr Arbeitsverhältnis individualvertraglich pauschal einem bestimmten Tarifregime zu unterwerfen, sondern vereinbaren sie zu einzelnen Gegenständen darüber hinaus im Arbeitsvertrag ausformulierte Regelungen, bringen sie damit typischerweise zum Ausdruck, dass unabhängig von dem vertraglich in Bezug genommenen Tarifwerk jedenfalls diese Bestimmungen für das Arbeitsverhältnis maßgebend sein sollen und die Bezugnahmeklausel in ihrer Reichweite beschränkt worden ist. Nichtsdestotrotz können die Arbeitsvertragsparteien von diesem Grundsatz abweichen, indem sie etwa einer ausdrücklich in den Arbeitsvertrag aufgenommenen Regelung eine nur „deklaratorische“, den Wortlaut des in Bezug genommenen Tarifwerks lediglich wiedergebende Bedeutung beimessen und damit gleichsam die Bezugnahme „ausformulieren“ (BAG, Urteil vom 16.10.2019 - 4 AZR 66/18, NZA 2020, 260). Im Übrigen ist eine Klausel in einem Vertrag auch dann nicht „überflüssig“, wenn sie zumindest (nur) der Klarstellung dient (vgl. BAG, Urteil vom 10.07.2013 - 10 AZR 898/11, BeckRS 2013, 72096).
40
b) Nach Auffassung der Kammer führen diese allgemeinen Auslegungsgrundsätze zur (möglichen) „Überflüssigkeit“ einer Klausel bei der Auslegung der konkreten streitigen Ziffer 5 des Arbeitsvertrags jedoch nicht weiter. Zum einen ist bereits problematisch, nach wessen Interesse und Verständnishorizont und nach welchen Kriterien sich die „Überflüssigkeit“ vom Zweck der (reinen) Klarstellung sicher abgrenzen lässt. Zum anderen benennt die streitige Klausel hier gerade nicht ausdrücklich „Rechtsfolgen“ im Sinne der o.g. Auslegungsgrundsätze. Zumindest benennt Ziffer 5 nicht die vom Kläger begehrte Rechtsfolge eines finanziellen Anspruchs auf Zahlung eines „13. Gehalts“. Beschrieben wird vielmehr ein Zahlungsvorgang (13mal im Jahr, bargeldlos), der auf „die Bezüge“ nach der Eingruppierung in der vorangehenden Ziffer 4 abstellt und damit die Existenz von Ansprüchen bereits voraussetzt.
41
3. Hier spricht vielmehr nach Auffassung der Kammer eine zweckorientierte Auslegung des Vertrags in seiner Gesamtheit unter Berücksichtigung der redlichen Interessen der typischerweise beteiligten und „verständigen“ Vertragsparteien gegen einen konstitutiven Charakter von Ziffer 5 und damit für ihren deklaratorischen Charakter. Die Kammer folgt im Ergebnis ganz überwiegend den Rechtsausführungen des Arbeitsgerichts Hamburg im Urteil vom 21.05.2022 (14 Ca 65/21, Anlage K9, Bl. 391 ff. d.A.).
42
a) Ziffer 3 des Arbeitsvertrags enthält eine zeitdynamische Bezugnahme auf die jeweils gültigen Tarifverträge bei der Beklagten. Sie ist - nach der Angabe der persönlichen Daten des Klägers, dem Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses und der Probezeit - den weiteren arbeitsvertraglichen Bestimmungen vorangestellt. Sie stellt damit nach der Vertragssystematik keine ergänzende, nachrangige „Auffangregelung“ für von den Vertragsparteien nicht schon individuell und konstitutiv geregelte Arbeitsbedingungen dar, sondern grundsätzlich die Basis für die Vertragsbeziehung.
43
Die Bezugnahmeklausel selbst enthält auch keinerlei Einschränkung. Dies hätte allerdings bei einem entsprechenden Vertragsaufbau mit vorangestellter Bezugnahmeklausel nahe gelegen, wenn vom in Bezug genommenen Tarifwerk abweichende Einzelregelungen im Arbeitsvertrag aufgenommen werden sollen (so für eine dem vorliegenden Fall entsprechende vertragliche Regelung: Arbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 21.01.2022 (14 Ca 65/21, Anlage K9, Bl. 391 ff. d.A. unter Bezugnahme auf eine ähnliche Fallkonstellation in: BAG, Urteil vom 10.07.2013 - 10 AZR 898/11 - juris). Ist für die beteiligten Verkehrskreise erkennbar, dass das Arbeitsverhältnis umfassend nach den entsprechenden tariflichen Regelungen gestaltet werden soll, gibt es ohne besondere Anhaltspunkte keinen Anlass, von einer Besser- oder Schlechterstellung gegenüber den in Bezug genommenen tariflichen Regelungen durch den Arbeitsvertrag auszugehen (vgl. BAG, Urteil vom 10.07.2013 - 10 AZR 898/11 - juris).
44
Vielmehr muss ein durchschnittlicher Arbeitnehmer davon ausgehen, ein tarifgebundener Arbeitgeber wolle, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, eine vollständige Einbeziehung der in Bezug genommenen Tarifverträge vereinbaren. Die Tarifbindung des Klauselverwenders kann als Begleitumstand zur Auslegung einer Bezugnahmeklausel herangezogen werden. Denn dabei handelt es sich nicht um einen die konkrete Situation betreffenden Umstand, sondern um einen solchen, der jede vergleichbare rechtsgeschäftliche Abrede begleitet (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.09.2020 - 17 Sa 6/20, BeckRS 2020, 37658).
45
b) Aus Sicht „redlicher“ und „verständiger“ Vertragspartner macht es zudem grundsätzlich keinen Sinn, zunächst umfassend - mittels einer uneingeschränkt formulierten Bezugnahmeklausel - die Anwendung tariflicher Regelungen zu vereinbaren, um dann sogleich die umfassende Bezugnahme stillschweigend wieder abzubedingen (vgl. BAG, Urteil vom 01.08.2001 - 4 AZR 7/01, NJOZ 2002, 599).
46
c) Anhaltspunkte dafür, dass die Parteien durch die Fassung von Ziffer 5 des Arbeitsvertrags die Zahlung eines „13. Bezugs“ oder „Urlaubs- und Weihnachtsgeldes“ bewusst von den tarifvertraglichen Regelungen entkoppeln und mittels einer individualvertraglichen Absicherung den Kläger bewusst besser stellen bzw. „doppelt“ absichern wollten, lassen sich dem Arbeitsvertrag nicht entnehmen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Parteien die tarifvertraglichen Regelungen - ausschließlich - zum Thema „Urlaubs- und Weihnachtsgeld“ im Zeitpunkt des Vertragsschlusses als nicht ausreichend oder ihren zukünftigen Fortbestand als nicht sicher erachteten.
47
d) Vielmehr folgen aus dem Arbeitsvertrag Anhaltspunkte, die gegen die bewusste Einräumung einer Sonderstellung bzw. -regelung im Hinblick auf den „13. Bezug“ sprechen: Ziffer 3 des Arbeitsvertrags nimmt nicht nur allgemein die jeweils gültigen Tarifverträge in Bezug, sondern nennt auch weitere kollektivrechtliche bzw. allgemein im Unternehmen der Beklagten geltende Betriebsvereinbarungen und Dienstvorschriften. Damit haben die Vertragsparteien erkennbar das Interesse zum Ausdruck gebracht und festgehalten, dass möglichst allgemeine und unabhängig vom einzelnen Arbeitsvertrag geltende Arbeitsbedingungen Anwendung finden sollen.
48
e) Auch die unstreitige Vertragspraxis der Parteien seit Vertragsschluss im Jahr 1988 spricht gerade nicht dafür, dass Ziffer 5 eine besondere, zusätzlich zum Tarifvertrag geltende Anspruchsgrundlage zukommen sollte.
49
Die tatsächliche Praxis des Vollzugs einer vertraglichen Regelung durch die vertragsschließenden Parteien kann Anhaltspunkte für den bei Vertragsschluss bestehenden, tatsächlichen Vertragswillen enthalten und für die Auslegung von Bedeutung sein (BAG, Urteil vom 21.10.2015 - 4 AZR 649/14, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 134 mwN).
50
Eine Praxis der Beklagten, ein „13. Gehalt“ anstelle des „Urlaubs- und Weihnachtsgelds“ i.S.v. § 30 MTV Boden zu zahlen oder eine Leistung ausdrücklich auf Basis des Arbeitsvertrags und nicht aufgrund tariflicher Bestimmungen zu erbringen, hat der Kläger hier nicht dargelegt. Vielmehr ist unstreitig, dass die Beklagte jeweils im Mai und November eines Jahres zusätzliche Leistungen in Höhe eines halben monatlichen Grundbezugs gezahlt hat. Dies entspricht gerade der tariflichen Regelung in § 30 MTV Nr. 13 bzw. Nr. 14 Boden. Eine jährlich einmalige Zahlung in Höhe eines weiteren vollen monatlichen Grundbezugs als 13. Zahlung hat es nicht gegeben.
51
f) Die Kammer teilt insoweit nicht die abweichende Auffassung des Arbeitsgerichts B-Stadt (Urteil vom 08.12.2021 - 14 Ca 4835/21, Anlage K10, Bl. 404 ff. d.A.), wonach vom „verständigen und redlichen Vertragspartner“ nicht zu erwarten sei zu erkennen, ob bzw. welche Regelungen im Arbeitsvertrag tarifvertragliche Regelungen (nur) nachzeichneten und damit deklaratorisch seien und welche nicht. Soweit ein Abgleich von ausdrücklich in Bezug genommenen tariflichen Regelungen und arbeitsvertraglichen Inhalten durch den Vertragspartner nicht erfolgt, mag das möglicherweise „verständlich“ sein, „verständig“ i.S.d. Berücksichtigung der wohlverstandenen eigenen Interessen und der wohlverstandenen Interessen des Vertragspartners ist dies jedoch nicht. Vergewissert sich einer der Vertragspartner nicht über den Inhalt des in Bezug genommenen Tarifwerks, vermag allein dieser Umstand am Auslegungsergebnis selbst nichts zu ändern: Eine umfassende Bezugnahmeklausel bleibt - auch bei unterlassenem Abgleich - weiterhin umfassend und wird nicht durch das fehlende Einholen von Informationen inhaltlich auf einmal in ihr Gegenteil verkehrt und in ihrer Reichweite eingeschränkt. Allein mit einem - möglicherweise - hohen Informationsaufwand lässt sich nicht ein bestimmter - sogar in Widerspruch zu Wortlaut, Systematik und Vertragszweck stehender - Vertragsinhalt begründen. Ein tatsächliches „Verstehen“ einer arbeitsvertraglichen Klausel ist nicht Voraussetzung für deren Auslegung anhand eines „verständigen“ Empfängerhorizontes, sondern es kommt auf die im Hinblick auf den Vertragszweck verständlicherweise bestehenden, nachvollziehbaren Interessen beider Vertragspartner an. Selbst wenn ein „Nachzeichnen“ durch einen Vertragspartner nicht erwartet werden könnte - und damit auch nicht der Schluss auf einen (nur) deklaratorischen Charakter einer Vertragsbestimmung, rechtfertigt diese Annahme dann aber genauso wenig, den gegenteiligen Schluss auf einen konstitutiven Charakter der Bestimmung als erwartbar und maßgeblich anzusehen.
52
g) Dem vom Kläger vorgebrachten Einwand, es sei eine überzogene Erwartung an einen Verbraucher, die (von der Beklagten vertretene Auslegung) vorzunehmen, ist nach Wertung der Kammer im Ergebnis nicht bei der Auslegung von Ziffer 5 des Arbeitsvertrags Rechnung zu tragen, sondern im Rahmen einer Prüfung der Klausel anhand der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB.
B.
53
Die vom Kläger geltend gemachten Zahlungsansprüche lassen sich auch nicht auf § 611a Abs. 2 BGB i.V.m. Ziffer 5 des Arbeitsvertrags i.V.m. der Unklarheitenregel des § 305c
54
Abs. 2 BGB stützen. Hier erscheint nach Auffassung der Kammer nur eine Auslegung von Ziffer 5 des Arbeitsvertrags im Sinne einer nicht konstitutiven Bestimmung vertretbar, zumindest jedoch als absolut vorzugswürdig.
I.
55
Die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB kommt (erst) dann zur Anwendung, wenn die Auslegung einer einzelnen Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach Ausschöpfung aller Auslegungsmethoden mindestens zwei Ergebnisse als vertretbar erscheinen lässt und keines den klaren Vorzug verdient (BAG, Urteil vom 23.03.3021 - 3 AZR 99/20, NZA 2021, 783 mwN). Es müssen „erhebliche Zweifel“ an der richtigen Auslegung bestehen. Die entfernte Möglichkeit, zu einem anderen Ergebnis zu kommen, genügt für die Anwendung von § 305c Abs. 2 BGB nicht (BAG, Urteil vom 10.07.2013 - 10 AZR 898/11, BeckRS 2013, 72096; BAG, Urt. v. 16.6.2021 - 10 AZR 31/20, NZA 1478).
II.
56
Nach Ausschöpfung der Auslegungsmethoden bleibt hier kein (unbehebbarer) Zweifel daran, dass Ziffer 5 keine anspruchsbegründende konstitutive Wirkung für ein „13. Gehalt“ zukommt. Dies folgt eindeutig aus der Auslegung von Wortlaut und Sinn und Zweck sowie Systematik des Arbeitsvertrags. Als Kehrseite ergibt sich daraus - ebenso eindeutig - der rein deklaratorische, informative Charakter von Ziffer 5.
57
Eine Klausel ist in einem Vertrag auch nicht „überflüssig“, wenn sie zumindest (nur) der Klarstellung dient (vgl. BAG, Urteil vom 10.07.2013 - 10 AZR 898/11, BeckRS 2013, 72096) . (Vermeintlich) „überflüssige“ oder „sinnfreie“ Inhalte in eine Vertragsurkunde aufzunehmen, gehört nach Wertung der Kammer genauso zur Privatautonomie der Parteien.
58
Auch für den Fall, dass hier das von der Beklagten als Hintergrund für die Aufnahme von Ziffer 5 in den Arbeitsvertrag vorgetragene (informatorische) Klarstellungsinteresse hinsichtlich Zahlungsart (bargeldlos) und dem Gesamtjahresgrundgehalt (Monatsgrundbezüge 13mal) nicht hinreichend zum Ausdruck gekommen wäre oder auch nur einer Selbstverständlichkeit entsprochen hätte, kann das nach Einschätzung der Kammer nicht zu einem anspruchsbegründenden Charakter der Klausel führen. Selbst wenn Ziffer 5 des Arbeitsvertrags nicht als notwendig oder gar zwingend, sondern vielmehr - aufgrund der entsprechenden Regelungen des in Bezug genommenen Tarifvertrags - als sinnfrei und ggf. „überflüssig“ einzustufen wäre, bleibt sie damit nach wie vor - erst recht - deklaratorisch. Der vom Kläger aus der Existenz einer ggf. sinnfreien Bestimmung gezogene Schluss, dass die Klausel dann zwangsläufig eine Rechtsfolge habe bzw. auslösen müsse, wird von der Kammer im Hinblick auf die dargelegten Erwägungen gerade nicht geteilt. Erhebliche Zweifel i.S.v. § 305c Abs. 2 BGB an der richtigen Auslegung von Ziffer 5 des Arbeitsvertrags der Parteien bestehen nicht.
C.
59
Der allein auf tariflicher Grundlage bestehende Anspruch auf Zahlung von „Urlaubs- und Weihnachtsgeld“ ist anteilig für das Jahr 2020 zumindest in Höhe der vom Kläger begehrten Zahlung sowie insgesamt für das „Urlaubs- und Weihnachtsgeld“ 2021 wirksam durch § 4 Abs. 1 TV Corona-Krise ausgeschlossen worden.
60
Gemäß §§ 4 Abs. 1, 9 TV Corona-Krise war das „Urlaubs- und Weihnachtsgeld“ gemäß § 30 MTV Nr. 14 Boden für die Laufzeit des Tarifvertrags ab dem 10.11.2020 und damit für den mit dem Bezug für November 2020 fälligen Teilbetrag („Weihnachtsgeld“) nicht mehr auszuzahlen. Die Anspruchsbegrenzung nach § 4 Abs. 1 TV Corona-Krise („die Auszahlung wird … nicht zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt“) verstößt insoweit nicht gegen das Rückwirkungsverbot.
I.
61
Tarifparteien können die Regelungen des von ihnen abgeschlossenen Tarifvertrags während dessen Laufzeit rückwirkend ändern. Tarifvertragliche Regelungen tragen den immanenten Vorbehalt ihrer rückwirkenden Abänderbarkeit durch Tarifvertrag in sich. Dies gilt selbst für bereits entstandene und fällig gewordene, noch nicht abgewickelte Ansprüche.
62
1. Die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien für einen rückwirkenden Eingriff in ihr Regelungswerk ist allerdings durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes für die Normunterworfenen begrenzt. Insoweit gelten dieselben Regeln wie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Rückwirkung von Gesetzen. Für die Frage der Rückwirkung ist maßgeblich auf den Zeitpunkt der Anspruchsentstehung abzustellen, nicht auf den Zeitpunkt der Fälligkeit eines Anspruchs. Bereits von diesem Zeitpunkt an hat der Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch erworben, auf dessen Bestand er grundsätzlich vertrauen kann. Ob und wann die Tarifunterworfenen mit einer tariflichen Neuregelung rechnen müssen, ist eine Frage des Einzelfalls (BAG, Urteil vom 22.10.2003 - 10 AZR 152/03, NZA 2004, 444 mwN).
63
2. In der Regel müssen Arbeitnehmer nicht damit rechnen, dass in bereits entstandene Ansprüche eingegriffen wird, auch wenn sie noch nicht erfüllt oder noch nicht fällig sind. Das einmal zu Recht entstandene und deshalb schützenswerte Vertrauen, dass entstandene Ansprüche erhalten bleiben, kann nicht nachträglich wieder entfallen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn bereits vor der Entstehung des Anspruchs hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Tarifvertragsparteien diesen Anspruch zu Ungunsten der Arbeitnehmer ändern werden. Die Grundlage für schützenswertes Vertrauen besteht nicht mehr, wenn und sobald die Normunterworfenen mit einer Änderung rechnen müssen (BAG, Urteil vom 11.10.2006 - 4 AZR 486/05, NZA 2007, 634).
64
a) Um das Vertrauen der Tarifunterworfenen in die Fortgeltung einer ungekündigten Tarifnorm zu erschüttern, bedarf es nicht notwendig der Ankündigung einer Tarifvertragsänderung mit Rückwirkung durch eine gemeinsame Erklärung der Tarifvertragsparteien. Auch andere Umstände können eine rückwirkende Änderung ungekündigter kollektiver Normen ankündigen und damit das schutzwürdige Vertrauen in den unveränderten Bestand der Tarifregelung beseitigen (BAG, Urteil vom 17. 5. 2000 - 4 AZR 216/99, NZA 2000, 1297). Es ist insoweit weder erforderlich, dass über eine bereits von den Tarifpartnern getroffene Entscheidung zu den beabsichtigten Eingriffen informiert wird, noch,3. dass konkrete Angaben über das Ausmaß der beabsichtigten Eingriffe gemacht werden. Denn dann könnte der Vertrauensschutz nur beseitigt werden, wenn zwischen den Tarifvertragsparteien schon eine Einigung über den Eingriff in bereits entstandene Rechte erzielt worden ist, dies den Beschäftigten mitgeteilt wird und es lediglich an dem formellen Abschluss des Tarifvertrags fehlt. Damit würden jedoch die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifvertragsparteien unangemessen eingeschränkt (vgl. BAG, Urteil vom 11.10.2006 - 4 AZR 486/05, NZA 2007, 634).
65
b) Der Wegfall des Vertrauensschutzes hat nicht zur Voraussetzung, dass der einzelne Tarifunterworfene positive Kenntnis von den maßgeblichen Umständen hat.
66
Entscheidend und ausreichend ist vielmehr die Kenntnis der betroffenen Kreise (BAG, Urteil vom 11.10.2006 - 4 AZR 486/05, NZA 2007, 634 mwN).
67
3. Nach diesen Grundsätzen war eine Veröffentlichung des Eckpunktepapiers vom 10.11.2020 oder gar des TV Corona-Krise vom 16.12.2020 oder einer anderweitigen gemeinsamen Erklärung der Tarifvertragsparteien - entgegen der Auffassung des Klägers - gerade nicht erforderlich, um den Vertrauensschutz der Beschäftigten der Beklagten in das (volle) Entstehen des „Urlaubs- und Weihnachtsgeldes“ 2020 zu beenden. Die Veröffentlichungen der Konzernmutter der Beklagten in „eBase“ am 25.05.2020 waren nach Auffassung der Kammer ausreichend, um ein schützenswertes Vertrauen des Klägers in den Fortbestand des „Weihnachtsgeldes“ 2020 zu beseitigen. Der Kläger gehörte unstreitig zum Kreis der Beschäftigten der Beklagten, die Zugriff auf die Informationen im Intranet hatten. Mit Erscheinen des Artikels unter der Überschrift „Darum geht es in den Gesprächen mit ver.di“ und dem ausdrücklichen Hinweis, dass der Konzern in den Tarifverhandlungen u.a. den Verzicht auf „Urlaubs- und Weihnachtsgeld“ fordere, bestanden hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Tarifvertragsparteien den Anspruch auf das „Urlaubs- und Weihnachtsgeld“ zu Ungunsten der Arbeitnehmer ändern könnten (so auch Arbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 25.01.2022 - 14 Ca 65/21, vgl. Anlage K9, Bl. 391 ff. d.A.). Eine hinreichende oder überwiegende Wahrscheinlichkeit oder gar Gewissheit ist im Rahmen der Prüfung eines berechtigten „Weitervertrauens“ nicht maßgeblich.
II.
68
Gemäß §§ 4 Abs. 1, 9 TV Corona-Krise war das Urlaubs- und Weihnachtsgeld gemäß § 30 MTV Nr. 14 Boden für die Laufzeit des Tarifvertrags ab dem 10.11.2020 und damit für den mit dem Bezug für November 2020 fälligen Teilbetrag („Weihnachtsgeld“) nicht mehr auszuzahlen. Der Anspruch auf Zahlung eines „Urlaubs- und Weihnachtsgeldes“ ist durch den TV Corona-Krise entsprechend anteilig begrenzt worden; mangels schutzwürdigen Vertrauens ab dem 26.05.2020 konnte „rückwirkend“ das weitere (pro rata temporis) Entstehen des Anspruchs ausgeschlossen werden.
69
1. Der (Gesamt-)Anspruch des Klägers auf Zahlung eines „Urlaubs- und Weihnachtsgeldes“ für das Jahr 2020 entstand - wie jedes Jahr - pro rata temporis. Dies folgt aus § 30 Abs. 2 MTV Nr. 14 Boden, der für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis im jeweiligen Kalenderjahr beginnt oder endet, vorsieht, dass der Mitarbeiter für jeden Kalendertag der Beschäftigung einen Anspruch auf 1/360 des Urlaubs- bzw. Weihnachtsgeldes erwirbt. Es handelt sich - ausweislich der Bezeichnung „Urlaubs- und Weihnachtsgeld“ und der auf 360 Tage bzw. das Gesamtjahr bezogenen zeitanteiligen Entstehung des Anspruchs - um einen einheitlichen Gesamtanspruch, nicht um zwei getrennte Zahlungsansprüche. Insbesondere im Hinblick auf die Zahlung „des Urlaubsgeldes“ bereits in der ersten Jahreshälfte mit der Maivergütung wäre es sinnwidrig, von einem selbständigen Anspruch (nur) auf das Urlaubsgeld auszugehen, der pro rata temporis jeden Tag bis zum Jahresende anwächst.
70
2. Der Anspruch auf Zahlung einer Grundvergütung (unter der Bezeichnung „Urlaubs- und Weihnachtsgeld“ nach § 30 MTV Nr. 14 Boden) war pro rata temporis bis zum 25.05.2020 mit aus Sicht der Kammer noch schutzwürdigem Vertrauen der Belegschaft der Beklagten entstanden. Die Veröffentlichungen vor dem 25.05.2020 zur Kurzarbeit, zu (geplanten) Verhandlungen mit den Gewerkschaften und zum Ziel, Personalkosten deutlich und weiter einzusparen enthielten keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine nachteilige Veränderung gerade des Anspruchs auf „Urlaubs- und Weihnachtsgeld“. Die Veröffentlichungen erfolgten pauschal und nannten nicht explizit das tarifliche „Urlaubs- und Weihnachtsgeld“. Allein ein Hinweis auf wirtschaftliche Schwierigkeiten vermag das Vertrauen der Tarifunterworfenen in das Fortbestehen ihrer tariflichen Ansprüche jedoch noch nicht entscheidend zu erschüttern (vgl. BAG, Urteil vom 22.10.2003 - 10 AZR 152/03, NZA 2004, 444).
71
3. Die Beklagte hat mit der unstreitigen Zahlung des „Urlaubsgeldes 2020“, einer hälftigen Grundvergütung, den (nur) bis zum 25.05.2020 entstandenen Anspruch nach § 30 MTV Nr. 14 Boden (über-)erfüllt, ein weitergehender Anspruch des Klägers für das Jahr 2020 besteht nicht mehr.
III.
72
Der Anspruch auf Zahlung des „Urlaubs- und Weihnachtsgeldes“ für das Jahr 2021 war insgesamt wirksam nach § 4 Abs. 1 TV Corona-Krise ausgeschlossen, da von vornherein, vor Anspruchsentstehung, keine Vertrauensgrundlage mehr vorhanden war.
D.
I.
73
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i.V.m. §§ 495, 91 Abs. 1 ZPO. Der Kläger als unterlegene Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
II.
74
Die Streitwertfestsetzung im Urteil erfolgte auf Grundlage von §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, §§ 3 ff. ZPO, und entspricht der Summe der Nennwerte der eingeklagten Forderungen.
III.
75
Für den Kläger ist das Rechtsmittel der Berufung nach Maßgabe der nachfolgenden Rechtsmittelbelehrungstatthaft.