Inhalt

ArbG München, Endurteil v. 28.04.2022 – 22 Ca 8239/21
Titel:

Kein Entschädigungsanspruch eines schwerbehinderten Bewerbers mangels Verstoß gegen AGG

Normenkette:
AGG § 15 Abs. 2, § 22
Leitsatz:
Der Kläger, der sich eines Entschädigungsanspruchs gem. § 15 Abs. 2 AGG iVm § 22 AGG berühmt, muss zunächst in einem ersten Schritt konkret darlegen (und ggf. beweisen), dass er benachteiligt wurde, also eine weniger günstige Behandlung erfahren hat als eine Vergleichsperson („Benachteiligung“). In einem zweiten Schritt muss der Kläger konkrete Umstände (Indizien/Hilfstatsachen) darlegen, die eine Benachteiligung wegen eines unzulässigen Merkmals (§ 1 AGG) aus objektiver Sicht als überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen, § 22 AGG. Ist die dargelegte Benachteiligung nach Überzeugung des Gerichts überwiegend wahrscheinlich, muss der Beklagte den vollen Beweis führen, dass die Benachteiligung aus rechtlichen Gründen zulässig ist oder der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt ist. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diskriminierung, Schwerbehinderter Mensch, Darlegungslast, Sachvortrag, Entschädigungsanspruch, Generalverdacht, Benachteiligung, Indizien
Rechtsmittelinstanz:
LArbG München, Urteil vom 10.10.2022 – 4 Sa 290/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 37397

Tenor

1. Das Versäumnisurteil vom 17.11.2021 bleibt aufrechterhalten.
2. Der Kläger trägt auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Streitwert wird auf Euro 8.000,00 festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über einen Entschädigungsanspruch.
2
Der Kläger bewarb sich bei der Beklagten für eine ausgeschriebene Position Stellenleitung für die Beratungsstelle E-Stadt der Telefonseelsorge im Ressort C. und Beratung (vgl. Stellenausschreibung Anlage B 6, Bl. 70 d.A.). Dabei wies der Kläger auch auf eine bestehende Schwerbehinderung hin. Die Beklagte lud den Kläger mit E-Mail vom 23. Juni 2021 zu einem Online-Vorstellungsgespräch am 5. Juli 2021 ein. Der Kläger erschien zu diesem Online-Vorstellungsgespräch nicht, obwohl er zuvor den Termin bestätigt hatte. Auf Nachfrage der Beklagten gab er an, er habe technische Probleme beim Zugang gehabt. Für den 6. Juli 2021 wurde sodann erneut ein Online-Vorstellungsgespräch mit dem Kläger vereinbart, welches er auch wahrnahm. An diesem Vorstellungsgespräch nahm auch die Schwerbehindertenvertretung bei der Beklagten teil. Mit E-Mail vom 12. August 2021 wurde dem Kläger seitens der Beklagten mitgeteilt, dass die Stelle anderweitig besetzt werde. Die Bewerbung des Klägers wurde nicht berücksichtigt, weil diesem, obgleich er über einen universitären Abschluss als Theologe verfügt, die in der Stellenausschreibung geforderte therapeutische Zusatzqualifikation fehlte und weil er den ersten Vorstellungstermin unentschuldigt verstreichen ließ und sich dann auch in dem am Folgetag statt gefundenen Vorstellungsgespräch dafür nicht entschuldigte, was bei der Beklagten massive Zweifel an der von einer Führungskraft geforderten Verbindlichkeit hinterließ.
3
Der Kläger ist der Auffassung, es liege eine entschädigungspflichtige Diskriminierung vor.
4
Er sei nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden, dessen Verlauf auf eine Einstellung habe schließen lassen. Die Beklagte habe nachzuweisen, dass sie die Vorgaben des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes AGG eingehalten habe und alle in das Bewerbungsverfahren einbezogenen Personen eine Schulung nach den Vorgaben des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes durchlaufen hätten. Die Beklagte habe auch nachzuweisen, dass ein ordnungsgemäßes Beschwerdeverfahren durch die von ihr einzurichtende AGG Beschwerdestelle durchgeführt worden sei. Diese Nachweise sei die Beklagte teilweise bzw. vollumfänglich schuldig geblieben. Daraus resultiere nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte eine Beweislastumkehr für die Beklagte, nachzuweisen, dass eine Benachteiligung aus Gründen der Schwerbehinderung nicht stattgefunden habe.
5
Die Entschädigungsklage des Klägers vom 29. August 2021 ging am 16. September 2021 beim Arbeitsgericht München ein. Im Gütetermin vom 17. November 2021 erschien der Kläger nicht. Es erging ein klageabweisendes Versäumnisurteil, das dem Kläger am 19. November 2021 zugestellt wurde. Hiergegen legte der Kläger mit Schriftsatz seines nunmehrigen Prozessbevollmächtigten vom 26. November 2021, bei Gericht eingegangen am selben Tage, Einspruch ein.
6
Der Kläger beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, an mich als Kläger 8000 € brutto/netto zu zahlen.
7
Die Beklagte beantragt,
Das Versäumnisurteil vom 17. November 2021 bleibt aufrechterhalten.
8
Die Beklagte ist der Auffassung, dem Kläger stehe keine Entschädigung zu. Es fehle bereits an einem schlüssigen Klagevortrag.
9
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
10
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
11
1. Aufgrund des Einspruchs des Klägers vom 26. November 2021 gegen das am 19. November 2021 zugestellte Versäumnisurteil vom 17. November 2021 ist der Prozess in der Lage vor deren Säumnis zurückversetzt worden. Der Einspruch ist zulässig; er ist statthaft sowie form- und fristgemäß nach §§ 46 Abs. 2, 59 ArbGG i. V. m. 338 ff. ZPO eingelegt worden.
12
2. In der Sache hat er indessen keinen Erfolg; das Versäumnisurteil vom 17. November 2021 war deshalb aufrecht zu erhalten.
13
Der Antrag auf Zahlung einer Entschädigung ist unbegründet.
14
a) Es fehlt schlüssiger Sachvortrag zu den Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruchs gem. § 15 Abs. 2 AGG i.V.m. § 22 AGG. Der Kläger hat zu den Voraussetzungen eines Anspruchs - trotz gewährter und verlängerter Schriftsatzfristen zur Einspruchsbegründung - nicht schlüssig vorgetragen.
15
Dabei gilt Folgendes: Der Kläger muss zunächst in einem ersten Schritt konkret darlegen (und ggf. beweisen), dass er benachteiligt wurde, also eine weniger günstige Behandlung erfahren hat als eine Vergleichsperson („Benachteiligung“). In einem zweiten Schritt („Kausalität“, hier greift § 22 AGG ein) muss der Kläger konkrete Umstände (Indizien/Hilfstatsachen) darlegen, die eine Benachteiligung wegen eines unzulässigen Merkmals (§ 1 AGG) aus objektiver Sicht als überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Ist die Benachteiligung aus den dargelegten Gründen nach Überzeugung des Gerichts überwiegend wahrscheinlich, muss der Beklagte den vollen Beweis führen, dass die Benachteiligung aus rechtlichen Gründen zulässig ist oder der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt ist (vgl. zu alledem zusammenfassend BeckOK-Arbeitsrecht-Roloff, Stand 01.03.2022, § 22 AGG, Rn. 3 ff., mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung).
16
Vorliegend mangelt es bereits an Sachvortrag des Klägers hinsichtlich einer Benachteiligung. Der Kläger hat nach wie vor nicht im Einzelnen vorgetragen, durch welches Verhalten des Beklagten er eine weniger günstige Behandlung erfahren hat als eine (welche?) Vergleichsperson.
17
Der Kläger trägt aber auch nicht hinreichend zum Vorliegen etwaiger Hilfstatsachen vor. Erforderlich aber auch ausreichend ist diesbezüglich, dass das Gericht die Überzeugung gewinnt, dass die Kausalität zwischen dem Diskriminierungsmerkmal und dem Nachteil überwiegend wahrscheinlich ist. Es fehlt hier aber bereits jeglicher - auf den vorliegenden Sachverhalt bezogener - konkreter Sachvortrag. Die Ausführungen aus der Klageschrift sind zu allgemein gehalten. Die Darlegungen der Beklagten zur Durchführung des Bewerbungsgesprächs und zu den relevanten Auswahlkriterien hat der Kläger nicht bestritten.
18
b) Ob die Geltendmachungsfrist des § 15 Abs. 4 S. 1 AGG eingehalten wurde, kann nach dem Obenstehenden offenbleiben.
II.
19
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S.1 ZPO. Als unterliegende Partei hat der Kläger die (weiteren) Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
20
Der Streitwert bleibt nach § 61 Abs. 1 ArbGG i. V. m. § ZPO § 3 ZPO festgesetzt.
III.
21
Gegen dieses Endurteil kann der Kläger nach näherer Maßgabe der folgenden RechtsmittelbelehrungBerufung einlegen.