Inhalt

OLG München, Beschluss v. 14.12.2022 – 11 WF 1216/22
Titel:

Einigungsgebühr in Kindschaftssachen

Normenkette:
RVG § 15 Abs. 2, VV Nr. 1000 Abs. 5 S. 3
Leitsätze:
1. Eine Einigungsgebühr entsteht in einer Kindschaftssache auch dann, wenn die getroffene Vereinbarung einen Gegenstand betrifft, über den nicht vertraglich verfügt werden kann. (Rn. 11) (red. LS Axel Burghart)
2. Eine Einigungsgebühr kommt auch dann in Betracht, wenn ein Streit wenigstens für eine gewisse Zeit beseitigt wird. Letztlich muss es bei einer Einzelfallentscheidung verbleiben. (Rn. 14) (red. LS Axel Burghart)
Schlagworte:
Rechtsanwalt, Einigungsgebühr, Kindschaftssache, Zwischeneinigung
Vorinstanz:
AG München, Beschluss vom 04.11.2022 – 538 F 1383/21
Fundstellen:
JurBüro 2023, 75
AnwBl 2023, 304
FamRZ 2023, 1230
LSK 2022, 37392
BeckRS 2022, 37392

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Antragsgegnervertreterin wird der Beschluss vom 04.11.2022 aufgehoben.
II. Die Vergütung der Antragsgegnervertreterin wird über den in dem Festsetzungsbeschluss vom 24.03.2022 enthaltenen Betrag hinaus auf weitere € 330,82 festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit Schreiben vom 17.07.2021 hat der Vater des gemeinsamen Kindes der Parteien das geteilte Sorge- und Umgangsrecht in der Form zu regeln beantragt, dass jedes zweite Wochenende ein Umgang mit Übernachtung, ferner einmal jährlich ein gemeinsamer Urlaub ermöglicht wird und generell ein Mitspracherecht hinsichtlich der elterlichen Sorge bestehen soll.
2
Das Amtsgericht legte hierauf ein Umgangs - sowie ein Verfahren betreffend die elterliche Sorge an. Der Antragsgegnerin wurde antragsgemäß Verfahrenskostenhilfe bewilligt.
3
In dem gemeinsamen Termin (Sorge und Umgang) vom 14.10.2021 schlossen die Parteien nach Einführung der Angaben des Kindes sowie Erörterung der Sach- und Rechtslage eine aus sechs Punkten bestehende Vereinbarung: Dem Vater wurde darin u.a. das Recht und die Pflicht zu einem begleiteten Umgang eingeräumt und als Voraussetzung hierfür ein negativer Drogentest festgelegt, ferner verpflichteten sich die Parteien, eine Elternberatung mit dem Ziel einer Abstimmung der Einzelheiten des Umgangs wahrzunehmen.
4
In Ziffer 4. der Vereinbarung nimmt der Kindsvater den Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge auf beide Elternteile „vorerst“ zurück. Weitere Regelungen betreffen die Kosten des Verfahrens bzw. die Information des Jugendamts.
5
Dem Antrag der Mutter auf Erstreckung der Vkh auf diese Vereinbarung gab das Gericht mit Beschluss vom 27.10.2021 statt. Auf Bitte der Antragsgegnerin um Billigung des Vergleichs vom 14.10.2021 teilte das Gericht mit, eine solche sei nicht möglich, da dieser einen vollstreckbaren Inhalt nicht aufweise.
6
Die Urkundsbeamtin setzte die Vkh-Vergütung für die Antragsgegnervertreterin, ausgehend von dem gerichtlich festgesetzten Verfahrenswert von € 4.000,-, zunächst auf € 1.181,67 fest, wobei sie auch die beantragte 1,0-Einigungsgebühr für den Vergleich in Höhe von € 278,00 netto berücksichtigte. Hiergegen erhob die Bezirksrevisorin Erinnerung mit der Begründung, die Einigungsgebühr sei nicht angefallen, da das streitige Rechtsverhältnis nicht endgültig geregelt worden sei; der Antragsteller habe seinen Antrag nur „vorerst“ zurückgenommen, weshalb ein erneuter Sorgerechtsantrag jederzeit möglich sei. Es fehle daher an einer Erledigung, da auch keine Vereinbarung dahin getroffen worden sei, dass es etwa beim bisherigen Sorgerecht verbleibt. Dies gelte auch für die Frage des Umgangsrechts. Mit Beschluss vom 24.03.2022 setzte die Urkundsbeamtin hierauf die Einigungsgebühr mit der Begründung ab, in der Vereinbarung einer „vorläufigen Rücknahme“ liege keine Einigung im Sinne von Nr. 1000 VV-RVG.
7
Dagegen erhob die Antragsgegnervertreterin „Beschwerde“, mit der sie geltend macht, auch wenn der Antrag des Vaters nur „vorerst“ zurückgenommen worden sei, sei hierdurch eine richterliche Entscheidung entbehrlich geworden. Es komme auf diesen Zusatz nicht an, da auch im Falle der vorläufigen Rücknahme für eine Neuregelung der elterlichen Sorge ein erneuter Antrag zu stellen sei. Umgekehrt könne auch bei einer Rücknahme, die nicht nur „vorläufig“ erfolge, jederzeit ein neuer Antrag gestellt werden. Der Einigungsgebühr stehe auch nicht entgegen, dass der vor Verfahrensbeginn bestehende Zustand fortgelte. Die Familienrichterin legte diese Beschwerde als Erinnerung aus und wies sie mit Beschluss vom 04.11.2022 zurück: Durch die Rücknahme des Antrags auf Übertragung des Sorgerechts sei diesbezüglich keine Regelung getroffen worden, es fehle an einer „Erledigung“. Die Einigungsgebühr werde grundsätzlich nur dann ausgelöst, wenn eine endgültige Regelung des Rechtsverhältnisses erreicht werde, was hier nicht der Fall sei.
8
Dagegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnervertreterin, zu deren Begründung sie die bereits wiedergegebenen Argumente anführt. Es spiele keine Rolle, ob der Antrag „vorläufig“ zurückgenommen worden sei oder nicht, da in jedem Falle stets ein erneuter Antrag gestellt werden könne.
II.
9
Die Beschwerde ist gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3, 4 RVG zulässig und hat auch in der Sache Erfolg; zumal mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck lässt sich die Entstehung einer Einigungsgebühr für die vorliegende Vereinbarung unter Verweis auf den Begriff „vorläufig“ nicht verneinen.
10
1. Die gesetzlichen Vorgaben für die Entstehung einer Einigungsgebühr sind zum Teil unklar bzw. unvollständig:
11
Nr. 1000 Abs. 5 Satz 3 VV-RVG sieht die Entstehung einer solchen Gebühr in Kindschaftssachen auch dann vor, wenn die getroffene Vereinbarung einen Gegenstand betrifft, über den nicht vertraglich verfügt werden kann (vorliegend gilt noch die Fassung bis zum 30.09.2021, wobei allerdings ein Unterschied zur neuen nicht besteht). Im Unterschied zu Nr. 1000 VV-RVG, die nicht anhängige Verfahren betrifft, soll - in Kindschaftssachen - bei anhängigen Verfahren gemäß Nr. 1003 Abs. 2 VV-RVG eine Einigung über disponible Gegenständen zur Voraussetzung haben, dass hierdurch „eine gerichtliche Entscheidung entbehrlich wird oder diese einer getroffenen Vereinbarung folgt“. Bereits diese Unterscheidung ist fragwürdig (vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 09.07.2020 - 7 WF 61/20 Tz 5; Gerold/Schmidt-Müller-Rabe, RVG, 25. Aufl., VV Nr. 1000 Rn. 168 b).
12
Inwieweit eine gerichtliche Entscheidung „entbehrlich“ wird, ist für den Urkundsbeamten auch nicht einfach einzuschätzen, insbesondere ließe sich erwägen, ob es einer Partei möglich wäre, ein Verfahren der einstweiligen Anordnung anzustrengen; hier wird zum Teil eine gewisse Wahrscheinlichkeit verlangt bzw. darauf abgestellt, ob mit einem derartigen Verfahren zu rechnen war (ausführliche Darstellung bei Müller-Rabe, a.a.O., VV Nr. 1000 Rn. 168 a; OLG Hamburg, a.a.O., Tz 5).
13
Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit einer „Zwischeneinigung“ - auch dies ein unklarer Begriff - bzw. eine Teileinigung, etwa für einen bestimmten Zeitraum, nicht gesehen hat (Müller-Rabe, a.a.O., Rn. 168 b). Gerade bei heranwachsenden Kindern können sich die Umstände jedoch rasch ändern, so dass eine „Zwischeneinigung“ von einer endgültigen Regelung häufig nicht leicht abgrenzbar sein wird. Der Begriff „endgültig“ ist hier unscharf und kostenrechtlich kaum praktikabel. Der Begründung der Beschwerde, so kurz sie ist, kann insoweit eine Berechtigung nicht abgesprochen werden.
14
2. Nach dem Gesagten kommt nach Auffassung des Senats eine Einigungsgebühr auch dann in Betracht, wenn ein Streit wenigstens für eine gewisse Zeit beseitigt wird (so auch etwa OLG Dresden, Beschl. v. 21.12.2015 - 18 WF 86/15 Tz 37; OLG Celle, Beschl. v. 26.01.2015 - 10 WF 205/14 Tz 12 ff.; OLG Koblenz, Beschl. v. 19.09.2016 - 11 WF 718/16). Eine zu kleinliche Sichtweise ist hier nicht veranlasst, denn das gesetzgeberische Ziel, Rechtsfrieden zu schaffen und entsprechende Vereinbarungen zu fördern, wird auch bei einer „Zwischeneinigung“ erreicht, weshalb die neuere Rechtsprechung in dieser Hinsicht eher zur Annahme einer Einigungsgebühr neigt (s.a. Hansens, RVGreport 2020, 382, 383). Letztlich muss es demnach bei einer Einzelfallentscheidung verbleiben.
15
Im Rahmen der hier getroffenen Vereinbarung wurde eine ganze Reihe von Punkten geregelt, wobei ein Verfahren der einstweiligen Anordnung bezüglich des Sorgerechts ohne weiteres denkbar gewesen wäre. So ist die Rücknahme des Antrags, und sei es, dass sie nur „vorläufig“ erfolgt ist, eingebettet in bestimmte Zusagen beider Seiten, die man als „Gegenleistungen“ begreifen mag (vgl. Müller-Rabe, a.a.O., VV Nr. 1000 Rn. 168 b). Zumindest eine Erleichterung ist damit auch für das Gericht verbunden.
16
Richtig ist, dass wohl der Großteil der zu dieser Frage vorliegenden Entscheidungen das Umgangsrecht betrifft - allerdings benötigt das Kostenrecht möglichst klare und praktikable Vorgaben, weshalb in dieser Hinsicht innerhalb der „Kindschaftssachen“ eine weitere Differenzierung nicht veranlasst ist.
17
Kein maßgebliches Argument gegen diese Auffassung ist die Gefahr, dass ein Rechtsanwalt durch Abschluss immer neuer Zwischenvergleiche mehrere Einigungsgebühren zu verdienen versucht, denn gemäß § 15 Abs. 2 RVG entstehen die Gebühren in derselben Angelegenheit (im Sinne von § 16 ff. RVG) nur einmal (siehe OLG Dresden, a.a.O., Tz 39); überdies erscheint das Kostenrisiko für die Staatskasse bei den hier in der Regel maßgeblichen Streitwerten überschaubaren Umgangs nicht ausschlaggebend.
18
Im vorliegenden Einzelfall - und mangels der unklaren Vorgaben (siehe oben unter 1.) - ist jedenfalls vom Anfall einer Einigungsgebühr auszugehen.
19
3. Gerichtskosten fallen nicht an, eventuelle außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet, § 56 Abs. 2 Satz 2, 3 RVG.