Titel:
Haftung von Audi für den entwickelten, hergestellten und gelieferten 3,0-Liter-Motors (hier: Porsche Macan S 3.0 D)
Normenketten:
BGB § 826
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
FZV § 3 Abs. 1 S. 2, § 5 Abs. 1
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2021, 41003; BeckRS 2022, 21374; OLG Bamberg BeckRS 2022, 33515; OLG Karlsruhe BeckRS 2021, 43408; OLG München BeckRS 2022, 18804; BeckRS 2022, 18875; BeckRS 2022, 28198; BeckRS 2022, 34469; BeckRS 2021, 52024; BeckRS 2022, 21228; OLG Nürnberg BeckRS 2022, 21211; LG Bamberg BeckRS 2022, 29502; LG Kempten BeckRS 2022, 28679; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2022, 30355; OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Inverkehrbringen eines Motors mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form einer „schnellen Motoraufwärmfunktion“ unter bewusstem Verschweigen der (gesetzwidrigen) Softwareprogrammierung stellt, ebenso wie das Inverkehrbringen des hiermit ausgestatteten Fahrzeugs, eine konkludente Täuschung dar, da der Hersteller mit dem Inverkehrbringen durch schlüssiges Verhalten erklärt, der Einsatz des Fahrzeugs sei im Straßenverkehr uneingeschränkt zulässig. (Rn. 22 und 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Angesichts der Tragweite der Entscheidung über die riskante Gestaltung der Motorsteuerungssoftware, die für eine Diesel-Motorengeneration konzipiert war, welche flächendeckend konzernweit in einer Vielzahl von Fahrzeugen eingesetzt werden sollte, erscheint es mehr als fernliegend, dass die Entscheidung für eine greifbar rechtswidrige Software ohne Einbindung des Vorstands erfolgt und lediglich einem Verhaltensexzess untergeordneter Konstrukteure zuzuschreiben sein könnte. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, 3,0-Liter-Motor, Porsche, Audi, sittenwidrig, unzulässige Abschalteinrichtung, Schadensersatz, Vorteilsausgleichung, schnelle Motoraufwärmfunktion, Verhaltensexzess untergeordneter Konstrukteure
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 17.10.2022 – 17 U 3821/22
OLG München, Beschluss vom 13.12.2022 – 17 U 3821/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 37307
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 40.754,66 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 07.02.2022 zu zahlen. Die Verurteilung erfolgt Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs … mit der FIN … nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der og. Zug-um-Zug Leistung im Annahmeverzug befindet.
3. Es wird feststellt, dass der unter Ziff. 1 bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
7. Der Streitwert wird auf 40.754,66 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Rückabwicklung eines am 02.07.2015 mit dem … geschlossenen Kaufvertrages über einen PKW … und die Zahlung von vorgerichtlichen Anwaltskosten.
2
Die Beklagte ist Automobilherstellerin. Die verstorbene Ehefrau des Klägers erwarb am 2.7.2015 das Fahrzeug … mit der FIN … (Anlage K 1). Der Bruttokaufpreis betrug … €. Am zum Tag der letzten mündlichen Verhandlung am 27.04.2022 wies das Fahrzeug einen Kilometerstand von 117.055 km auf.
3
In dem klägerischen Fahrzeug ist ein … mit einer Leistung von … verbaut, der von der Beklagten entwickelt und gebaut wurde. Das Fahrzeug verfügt über eine EG-Typengenehmigung für die Emissionsklasse EU 6. Zur Erlangung dieser Typengenehmigung müssen die Fahrzeuge bestimmte Emissionsgrenzwerte einhalten, die unter Laborbedingungen gemessen werden. Das Kraftfahrt-Bundesamt (in Folge: „KBA“) hat mit Bescheid die Beklagte verpflichtet, bei allen betroffenen Fahrzeugen mit diesem Motor „die unzulässige Abschalteinrichtung“ zu entfernen. Dies sollte durch Akutalisierung der Motorsteuerrungssoftware erfolgen. Der Kläger forderte die Beklagte über seinen Bevollmächtigten mit Schreiben vom 25.04.2020 schriftlich auf, Schadensersatz zu leisten (Anlage K 7).
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Die Klagepartei trägt vor, sie habe ein umweltfreundliches Fahrzeug kaufen wollen. Sie behauptet weiter, die Beklagte habe in der Motorsteuerung des Motors eine illegale Abschalteinrichtung verwendet, um die geltenden Abgasnormen zu umgehen. Das Fahrzeug sei daher durch die Beklagte bezüglich der Schadstoffwerte manipuliert worden. Die Manipulation führe dazu, dass das Fahrzeug auf dem Prüfstand im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) geringere Abgaswerte aufweise, während bei Fahrten unter normalen Fahrbedingungen auf der Straße die Abgaswerte dadurch erhöht seien, dass im Emissionskontrollsystem verwendete Strategien zur Reduzierung der Abgaswerte nicht zur Anwendung kommen. Die Motorsteuerung des Fahrzeugs erkenne z.B. ob das Fahrzeug einer Abgasprüfung auf dem Prüfstand unterzogen wird und reduziert in diesem Fall den Abgasausstoß (sog. Aufheizstrategie), so dass im Prüfstandbetrieb, anders als im realen Straßenverkehr, die Euro 6 Grenzwerte eingehalten werden. Daneben sei in dem gegenständlichen Motor ein sogenanntes Thermofenster programmiert worden.
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Damit liegen unzulässige Abschalteinrichtungen vor. Bei Kenntnis der Motormanipulation hätte der Kläger das Fahrzeug nicht erworben, da aufgrund der Manipulation damit zu rechnen gewesen wäre, dass das Fahrzeug wegen Verstoßes gegen die geltenden Abgasvorschriften im Straßenverkehr nicht regulär betrieben werden hätte dürfen. Er ist der Ansicht, die Beklagte habe vorsätzlich sittenwidrig gehandelt und ihm dadurch einen Vermögensschaden zugefügt.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 40.754,66 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 23.5.2020 zu zahlen. Die Verurteilung erfolgt Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs … mit der FIN … nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft.
Hilfsweise: Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 durch die Beklagte in das oben genannte Fahrzeug resultieren.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der og. Zug-um-Zug Leistung im Annahmeverzug befindet.
Es wird feststellt, dass der unter Ziff. 1 bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 3.196,94 € freizustellen.
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Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, das Fahrzeug verfüge über eine wirksame EG-Typengenehmigung und über eine wirksame Betriebserlaubnis. Es sei keine unzulässige Abschalteinrichtung, vergleichbar mit dem von der … entwickelten und verbauten Motor … bei dem hier gegenständlichen Motor vorhanden, so dass die hierzu ergangene Rechtsprechung nicht vergleichbar sei. Auch sei der Motor und das Fahrzeug nach Durchführen des Softwareupdates vom KBA wieder freigegeben worden.
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Die Beklagtenseite ist der Rechtsansicht, dass es bei § 826 BGB bereits an der die Klagepartei betreffenden Handlung der Beklagten fehle. Es läge auch kein sittenwidriges Verhalten vor. Dafür sei nicht ausreichend, dass das Verhalten gegen ein Gesetz verstößt, sondern es müsse eine besondere Verwerflichkeit des Handelns gegenüber der Klagepartei hinzu kommen. Etwaige bestrittene Verstöße gegen die VO (EG) Nr. 715/2007 oder falsche Angaben nach der Pkw-EnVKV würden kein sittenwidriges Verhalten gegenüber der Klagepartei begründen. Der Klageseite sei auch kein Schaden entstanden. Es fehle auch am Schädigungsvorsatz und an der Kausalität. Auch für einen Betrugstatbestand (§ 263 StGB) fehle es an der Täuschung. Darüber hinaus liege kein täuschungsbedingter Irrtum vor. Ebenso wenig sei von einer irrtumsbedingten Vermögensverfügung auszugehen. Auch ein Vermögensschaden sei nicht gegeben. Hinsichtlich des subjektiven Tatbestands fehle es an einer konkreten Darlegung durch die Klagepartei, dass die Beklagte in der Absicht gehandelt hat, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Auch ein innerbetriebliches Organisationsverschulden läge nicht vor. Die EG-Übereinstimmungsbescheinigung sei nicht fehlerhaft. Sie bescheinige, dass das individuelle Fahrzeug mit dem genehmigten Fahrzeugtyp übereinstimme. Dies sei der Fall, da die Software auch im genehmigten Fahrzeug verbaut gewesen sei. Die Feststellungen des KBA über die unzulässige Abschalteinrichtung würden keine Bindungswirkung entfalten.
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In Hinblick auf den weiteren Sach- und Streitstand wird auf den gesamten Akteninhalt insbesondere auf die gewechselten Schriftsätze jeweils nebst Anlagen ausdrücklich und vollumfänglich Bezug genommen. Das Gericht hat am 27.04.2022 mündlich verhandelt und den Kläger angehört. Auf das Sitzungsprotokoll wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist im tenorierten Umfang begründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises als Schadenersatz abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeuges gemäß §§ 826, 249, 291, 288 BGB zu.
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Die übrigen Klageanträge sind unbegründet und waren ebenso abzuweisen wie ein Teil des im Hauptantrag geltend gemachten Zahlungsanspruches.
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Unstreitig ist das gegenständliche Fahrzeug von einer verpflichtenden Rückrufaktion des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) aus dem Jahr … betroffen (Anlage 3a). Dieser Rückruf sieht das Aufspielen eines Software-Updates vor, welches die unzulässigen Abschalteinrichtungen beseitigen soll. Die Beklagte räumt selbst ein, dass das KBA die Auffassung vertritt, in dem streitgegenständlichen Fahrzeug komme eine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz, die eine Aktualisierung der Motorsoftware erfordere
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1. Hierzu führt das Oberlandesgericht Koblenz in seiner Entscheidung vom 05.06.2020, Az: 8 U 1803/19, der das Gericht insoweit folgt, zur rechtlichen Bewertung folgendes aus:
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(a) Bei der im Fahrzeug der Klägerin installierten, von der Beklagten zu 1. so genannten „schnellen Motoraufwärmfunktion“ handelt es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. L 171 vom 29. Juni 2007; nachfolgend: VO 715/2007/EG).
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Nach Art. 5 Abs. 1 VO 715/2007/EG hat der Hersteller von ihm gefertigte Fahrzeuge dergestalt auszurüsten, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen den Vorgaben der Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Damit soll sichergestellt werden, dass sich die vorgegebenen Emissionsgrenzwerte auf das tatsächliche Verhalten der Fahrzeuge bei ihrer Verwendung beziehen (vgl. Erwägungsgrund 12 der VO 715/2007/EG) und dass die zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte erforderliche erhebliche Minderung der Stickoxidemissionen bei Dieselfahrzeugen erreicht wird (vgl. Erwägungsgrund 6 der VO 715/2007/EG). Folgerichtig sieht die Verordnung die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollen verringern, strikt als unzulässig an, sofern nicht die ausdrücklich normierten Ausnahmetatbestände (Art. 5 Abs. 2 Satz 2 VO 715/2007/EG) greifen. Eine „Abschalteinrichtung“ ist nach Art. 3 Nr. 10 VO 715/2007/EG jedes Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl, den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu ändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
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Ausweislich des Rückrufs durch das KBA vom 23.01.2018 (Anlage K 4), der auch das streitgegenständliche Fahrzeug … betrifft, ist das Auto der Klägerin - auch wenn sich die technischen Strategien von Fahrzeugtyp zu Fahrzeugtyp leicht unterscheiden - im Ergebnis mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet, weil die schadstoffmindernde „schnelle Motoraufwärmfunktion“ bei diesem Fahrzeug nahezu nur im Prüfzyklus anspringt, während diese NOx-Schadstoffminderung im realen Verkehr unterbleibt. Auch in dem Schreiben des KBA an die Klägerin vom 22.04.2020 (Anlage BB 6) wird als Grund für die Rückrufaktion angegeben, dass in der Motorsteuergerät-Software des streitgegenständlichen Fahrzeugs eine unzulässige Abschalteinrichtung installiert sei, die zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit des Fahrzeugs entfernt werden müsse. Gleichzeitig wird auf die Möglichkeit der Untersagung des weiteren Betriebs des Fahrzeugs auf öffentlichen Straßen gemäß § 5 Abs. 1 FZV hingewiesen.
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Vor diesem Hintergrund ist Behauptung der Beklagten zu 1., es handele sich nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung widerlegt. Insoweit sieht der Senat es als unerheblich an, ob der Anwendungsbereich einer bereits im Fahrzeug vorhandenen Funktion ausgeweitet oder eine neue Funktion geschaffen wird, da diese Differenzierung nach den vorzitierten Vorschriften der VO 715/2007/EG nicht relevant ist, sondern es nur auf das Ergebnis einer Funktion (Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems bei normalem Fahrzeugbetrieb) ankommt.
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Wenn ein Pkw mit einer Software ausgerüstet ist, die einen speziellen Modus für den Prüfstandlauf sowie einen hiervon abweichenden Modus für den Realbetrieb vorsieht und hierdurch im Prüfzyklus verbesserte Stickoxidwerte generiert, und sich hierdurch das Fahrzeug als nicht vorschriftsmäßig nach der Fahrzeug-Zulassungsverordnung erweist, kann die zuständige Zulassungsbehörde dem Eigentümer oder Halter nach § 5 Abs. 1 FZV eine angemessene Frist zur Beseitigung der Mängel setzen oder den Betrieb des Fahrzeugs auf öffentlichen Straßen beschränken oder untersagen. Nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung sind Fahrzeuge, die mit einer nach Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung versehen sind, auch dann „nicht vorschriftsmäßig“ im Sinne von § 5 Abs. 1 FZV, wenn der Halter einer Aufforderung zur Entfernung der Abschalteinrichtung mittels eines von der zuständigen Typgenehmigungsbehörde zugelassenen Software-Updates nicht Folge leistet, da ein solches Fahrzeug entgegen den in § 3 Abs. 1 Satz 2 FZV normierten Zulassungsvoraussetzungen keinem genehmigten Typ (mehr) entspricht (vgl. BGH, Beschluss vom 08.01.2019 - VIII ZR 225/17 - juris). Diese Gefahr besteht für die Klägerin auch ganz konkret, wie der Bescheid des KBA vom 23.01.2018 und das Schreiben des KBA an die Klägerin vom 22.04.2020 belegen.
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Soweit Art. 5 Abs. 2 Satz 2 VO 715/2007/EG in bestimmten Fällen die Verwendung von Abschalteinrichtungen gestattet, liegen die hierfür erforderlichen (engen) Voraussetzungen nicht vor. Die vorgesehenen Ausnahmen kommen - nicht zuletzt aufgrund des in Art. 5 Abs. 1 VO 715/2007/EG ausdrücklich benannten Regelungszwecks dieser Vorschrift - von vornherein nicht in Betracht, wenn die betreffende Abschalteinrichtung wie hier gerade dazu dient, bei erkanntem Prüfbetrieb ein vom Echtbetrieb abweichendes Emissionsverhalten des Fahrzeugs herbeizuführen, um auf diese Weise die Einhaltung der (anderenfalls nicht erreichten) Emissionsgrenzwerte sicherzustellen. Aufgrund der beschriebenen Wirkungsweise der Software handelt es sich weder um eine Abschalteinrichtung, die notwendig ist, um den Motor vor einer Beschädigung oder einem Unfall zu schützen und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten (Art. 5 Abs. 2 Satz 2 a VO 715/2007/EG), noch um eine Abschalteinrichtung, die nicht länger arbeitet, als dies zum Anlassen des Motors erforderlich ist (Art. 5 Abs. 2 Satz 2 b VO 715/2007/EG).
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Das Inverkehrbringen eines Motors mit der streitgegenständlichen „schnellen Motoraufwärmfunktion“ unter bewusstem Verschweigen der (gesetzwidrigen) Softwareprogrammierung stellt, ebenso wie das Inverkehrbringen des hiermit ausgestatteten Fahrzeugs, eine konkludente Täuschung dar, da der Hersteller mit dem Inverkehrbringen durch schlüssiges Verhalten erklärt, der Einsatz des Fahrzeugs sei im Straßenverkehr uneingeschränkt zulässig. Dies war vorliegend jedoch nicht der Fall, weil die „schnelle Motoraufwärmfunktion“ als verbotene Abschalteinrichtung zu qualifizieren ist mit der Folge, dass der Widerruf der Typgenehmigung droht.
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Ein Hersteller, der ein Kraftfahrzeug in Verkehr bringt, bringt jedenfalls konkludent zum Ausdruck, dass das Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck nicht nur im Straßenverkehr eingesetzt werden kann, sondern auch eingesetzt werden darf, das heißt über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt, deren Fortbestand nicht aufgrund bereits bei der Auslieferung des Fahrzeugs dem Hersteller bekannter konstruktiver Eigenschaften gefährdet ist. Das setzt voraus, dass nicht nur die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren formal erfolgreich durchlaufen wurden, sondern auch, dass die für den Fahrzeugtyp erforderliche EG-Typgenehmigung nicht durch eine Täuschung des zuständigen Kraftfahrtbundesamts erschlichen worden ist und das Fahrzeug den für deren Erhalt und Fortdauer einzuhaltenden Vorschriften tatsächlich entspricht. (OLG Koblenz Urt. v. 5.6.2020 - 8 U 1803/19, BeckRS 2020, 17355 Rn. 24-31, beck-online).
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2. Das Landgericht Ingolstadt führt in seiner Entscheidung vom 28.02.2020, Az: 51 O 926/19, folgendes aus:
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Aufgrund des unstreitigen Sachvortrages steht fest, dass das Fahrzeug der Klägerin von der Anordnung des Rückrufes durch das Kraftfahrtbundesamt vom 23.01.2018 mit der Bezeichnung „Entfernung unzulässiger Abschalteinrich - tungen bzw. der unzulässigen Reduzierung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems“ betroffen ist.
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Der Bescheid über die Anordnung nachträglicher Nebenbestimmungen beschreibt die von der Beklagten im Emissionskontrollsystem verwendete Strategie A der sogenannten „Aufheizstrategie“ so, dass zum Starten dieser Strategie eine Vielzahl von Initialisierungsparametern verwendet wird, die über eine UND-Verknüpfung miteinander verknüpft sind. Alle Bedingungen müssen gleichzeitig vorliegen, damit die Aufheizstrategie genutzt wird. Die zu den Parametern gehörenden Werte (Schaltbedingungen) sind so eng bedatet, dass die Aufheizstrategie nahezu ausschließlich im neuen europäischen Fahrzyklus (NEFZ) und den dort definierten Prüfbedingungen wirkt. Schon kleine Abweichungen im Fahrprofil und in den Umgebungsbedingungen führen zur Abschaltung der Aufheizstrategie. Das Kraftfahrtbundesamt führt weiter aus, dass sie sich bei der Strategie A um eine Abschalteinrichtung handelt. Wird die Aufheizstrategie abgeschaltet, verschlechtert sich das Stickoxidemissionsverhalten. Diese Strategie ist damit als Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der VO (EG) Nr. 715/2007 unzulässig. Das Kraftfahrtbundesamt hat im Bescheid über die Anordnung von Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung festgestellt, dass Ausnahmegründe des Artikels 5 Abs. 2 Satz 2, a) bis c) der VO (EG) Nr. 715/2007 nicht vorliegen. So lassen sich aus den Schaltkriterien keine stichhaltigen Gründe für einen Motorschutz ableiten. Gründe gemäß b) liegen funktionsbedingt nicht vor. Für das Vorliegen einer Ausnahme gemäß c) wäre der Vortrag der Beklagten nötig gewesen, dass die Emissionsgrenzwerte der Prüfung Typ 1 auch mit abgeschalteter Aufheizstrategie eingehalten werden. Hierzu ist anzumerken, dass die Einhaltung der Grenzwerte der limitierten Schadstoffe unter allen zulässigen Prüfbedingungen der genannten Verordnung und nicht nur unter idealisierten Bedingungen gegeben sein muss. Damit steht für das Gericht fest, wie das Kraftfahrtbundesamt ebenfalls festgehalten hat, dass die Wirkung des Emissionskontrollsystems durch die Verwendung einer mit Prüfzykluserkennung einhergehenden Aufheizstrategie außerhalb der Prüfbedingungen der VO (EG) Nr. 715/2007 in Verbindung mit der VO (EU) 692/2008 im unzulässigen Umfang verringert wird.
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b) Die Herstellung und das Inverkehrbringen von … wie im streitgegenständlichen Fahrzeug unter Verwendung einer Motorsteuerungssoftware, durch welche Stickoxidwerte im Vergleich zwischen Prüfstand und realem Fahrbetrieb verschlechtert werden und damit das Emissionsverhalten des Motors auf dem Prüfstand im NEFZ anders gesteuert wird als im regulären Fahrbetrieb, erfüllt die Voraussetzungen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung der jeweiligen Käufer derartiger Fahrzeuge gemäß § 826 BGB. Die Täuschung durch die Beklagte diente - andere Motive sind weder von der Beklagten dargelegt noch sonst ersichtlich - dem Zweck, zur Kostensenkung (und möglicherweise zur Umgehung technischer Probleme) rechtlich und technisch einwandfreie, aber teurere Lösungen der Abgasreinigung zu vermeiden und mithilfe der scheinbar umweltfreundlichen Prüfstandwerte Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Schon dieses Gewinnstreben um den Preis der bewussten Täuschung und Benachteiligung von Kunden gibt dem Handeln der Beklagten das Gepräge der Sittenwidrigkeit.
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3. Der Kläger wurde durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs von der Beklagten vorsätzlich sittenwidrig geschädigt.
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3.1. Auch insoweit schließt sich das Gericht zunächst den Ausführungen des Oberlandesgerichts Koblenz an, denen insoweit nichts hinzuzufügen ist.
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Das Inverkehrbringen eines Motors mit der streitgegenständlichen „schnellen Motoraufwärmfunktion“ unter bewusstem Verschweigen der (gesetzwidrigen) Softwareprogrammierung stellt, ebenso wie das Inverkehrbringen des hiermit ausgestatteten Fahrzeugs, eine konkludente Täuschung dar, da der Hersteller mit dem Inverkehrbringen durch schlüssiges Verhalten erklärt, der Einsatz des Fahrzeugs sei im Straßenverkehr uneingeschränkt zulässig. Dies war vorliegend jedoch nicht der Fall, weil die „schnelle Motoraufwärmfunktion“ als verbotene Abschalteinrichtung zu qualifizieren ist mit der Folge, dass der Widerruf der Typgenehmigung droht.
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Ein Hersteller, der ein Kraftfahrzeug in Verkehr bringt, bringt jedenfalls konkludent zum Ausdruck, dass das Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck nicht nur im Straßenverkehr eingesetzt werden kann, sondern auch eingesetzt werden darf, das heißt über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt, deren Fortbestand nicht aufgrund bereits bei der Auslieferung des Fahrzeugs dem Hersteller bekannter konstruktiver Eigenschaften gefährdet ist. Das setzt voraus, dass nicht nur die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren formal erfolgreich durchlaufen wurden, sondern auch, dass die für den Fahrzeugtyp erforderliche EG-Typgenehmigung nicht durch eine Täuschung des zuständigen Kraftfahrtbundesamts erschlichen worden ist und das Fahrzeug den für deren Erhalt und Fortdauer einzuhaltenden Vorschriften tatsächlich entspricht.
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(b) Das täuschende Vorgehen der Beklagten zu 1. zielte in verschiedene Richtungen: Zum einen richtete sich die Täuschung gegen die Genehmigungsbehörde. Dieser wurde vorgespiegelt, das mit dem von ihr hergestellten Motor ausgestattete Fahrzeug werde auf dem Prüfstand unter den Motorbedingungen betrieben, die auch im normalen Fahrbetrieb zum Einsatz kommen. Deren Interessen vermag die Klägerin aber nicht wahrzunehmen.
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Zum anderen resultiert aus den Täuschungen ein Eingriff in den freien Wettbewerb. Die Beklagte zu 1. verschaffte sich eine Stellung am Markt, die sie ohne das planmäßige Vorgehen nicht oder nur mit einem erheblichen Aufwand und nur zu anderen Preisen hätte erreichen können. Auch wenn die Klägerin kein Wettbewerber ist, so ist aber doch zu sehen, dass die Beklagte zu 1. damit nicht nur auf die Position von Wettbewerbern am Markt Einfluss genommen hat, sondern durch Einflussnahme auf den Wettbewerb, nämlich das Angebot eines Fahrzeugs, das sonst nicht oder nur zu einem erheblich höheren Preis zur Verfügung gestanden hätte, auch auf die Kaufentscheidung des Endverbrauchers.
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Letztlich wurden also zwangsläufig auch die Endkunden getäuscht, die keinerlei Möglichkeit hatten, die Täuschung zu erkennen. Nach Auffassung des Senats ist es nicht erforderlich, dass sich der Kunde bewusst mit der Frage auseinandersetzt hat, welche genauen Kriterien für die Erteilung der Typgenehmigung erfüllt sein müssen. Wer ein Fahrzeug erwirbt, um dieses im Straßenverkehr zu verwenden, vertraut darauf, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden, wovon die erteilte Typgenehmigung zeugt. Der Fahrzeugkäufer weiß, dass der Konstrukteur bzw. Hersteller eines Fahrzeugs bzw. des darin verbauten Motors kraft seiner Fachkenntnis ihm gegenüber zwangsläufig über einen Wissensvorsprung verfügt. Da der Endkunde einen Einblick in die technischen Vorgänge nicht haben kann, bringt er denjenigen, die für die Entwicklung und Zulassung der Fahrzeuge verantwortlich sind, ein besonderes Vertrauen entgegen, das sich auch in der Markenauswahl beim Erwerb eines Fahrzeugs niederschlägt. Dies hat die Beklagte zu 1. zu ihrem wirtschaftlichen Vorteil ausgenutzt. (OLG Koblenz Urt. v. 5.6.2020 - 8 U 1803/19, BeckRS 2020, 17355 Rn. 30-35, beck-online)
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3.2. Der Kläger führt in der informatorischen Anhörung folgendes aus:
„Ich habe einen Rückruf erhalten. Ein erstes Update wurde im Jahr … aufgespielt, genau kann ich das jetzt ohne nachzuschauen nicht mehr sagen. Vor ca. 3 Wochen war mein Fahrzeug erneut in der … Es wurde ein weiteres Software-Update aufgespielt. Das wurde mir mitgeteilt, aber auch Nachfrage wurde mir nicht gesagt, was da genau gemacht wurde. Es handelte sich aber um keinen weiteren offiziellen Rückruf, sondern es wurde im Rahmen des Serviceaufenthaltes gemacht.“…
„Bei der dort aufgeführten Firma handelt es sich um die Einzelfirma meiner Frau. Meine Frau ist am 02.02.2019 verstorben, ich bin Alleinerbe.
Auf Frage des Gerichts: Warum hat Ihre Frau dieses Fahrzeug gekauft?
Das Fahrzeug hat ihr gefallen, sie hatte ausreichend Platz für die Waren. Sie wollte ein großes Auto fahren.“
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Das Gericht folgt den nachvollziehbaren Ausführungen und geht davon aus, dass dieser jedenfalls zu denselben Konditionen das Fahrzeug bei Offenlegung der Problematik der programmierten unzulässigen Abschaltautomatik nicht erworben hätte.
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4. Die Beklagte handelte verwerflich. Sie verwendete die unzulässige Abgassteuerung zur Überzeugung des Gerichts lediglich aus Gewinnstreben, wobei sie die berechtigten Kundeninteressen und die Belange der Allgemeinheit (Umweltschutz) bedenkenlos hintanstellte. Es handelte sich um eine planmäßig lang angelegte Strategie, die jegliche Rücksicht auf firmenexterne Belange vermissen lässt. Dies kann nicht mehr nachvollzogen werden und stellt sich für das Gericht als Handeln auf niedrigster sittlicher Stufe dar. Das Gericht schließt sich den Ausführungen des OLG Karlsruhe (Hinweisbeschluss v. 5.3.2019 - 13 U 142/18) an:
„Als Beweggrund für das Inverkehrbringen des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs kommt vorliegend allein eine angestrebte Kostensenkung und Gewinnmaximierung durch hohe Absatzzahlen in Betracht. Zusammenfassend ergibt sich die Sittenwidrigkeit des Handelns aus dem nach Ausmaß und Vorgehen besonders verwerflichen Charakter der Täuschung von Kunden, unter Ausnutzung des Vertrauens der Käufer in eine öffentliche Institution, nämlich das Kraftfahrt-Bundesamt, und unter Inkaufnahme nicht nur der Schädigung der Käufer, sondern auch der Umwelt allein im Profitinteresse. Überdies liegt im vorliegenden Fall eine vorsätzliche Täuschung vor mit dem Ziel, unter Ausnutzung der Fehlvorstellung der Kunden hohe Absatzzahlen zu erreichen. Allein dieser Umstand rechtfertigte es schon, Sittenwidrigkeit im Sinn des § 826 BGB zu bejahen (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2016 - VI ZR 536/15, juris Rn. 17).
Dieses Ergebnis ist auch nicht unter Schutzzweckgesichtspunkten zu korrigieren. Das Sittenwidrigkeitsurteil über ein bestimmtes Verhalten des Schädigers ist allerdings nicht abstrakt, sondern stets in Bezug auf die Person des Geschädigten zu fällen. Die Haftung beschränkt sich auf die Schäden, die dem in sittlich anstößiger Weise geschaffenen Gefahrenbereich entstammen, das heißt in den Schutzbereich des verletzten Ge- oder Verbots fallen (vgl. BGH, Urteil vom 11.11.1985 - II ZR 109/84, juris Rn. 15; Wagner, in: MüKo-BGB, 7. Auflage 2017, § 826 Rn. 22). Doch besteht hier keine Veranlassung für eine solche Beschränkung: Denn die Haftung aus § 826 BGB knüpft - anders als etwa ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit bestimmten europarechtlichen Normen - nicht unmittelbar an den Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007 an, sondern folgt aus der mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs verbundenen Täuschung über die Erfüllung der materiellen Typgenehmigungsvoraussetzungen. Diese Pflichtverletzung ist für den Rechtskreis des Käufers ersichtlich von Bedeutung, weil über einen die Kaufentscheidung wesentlich beeinflussenden Umstand getäuscht wird.“
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5. Auch der für § 826 BGB erforderliche Schädigungsvorsatz sowie die Kenntnis der Tatumstände, die das Verhalten sittenwidrig erscheinen lassen bei verantwortlichen Personen auf Beklagtenseite, liegen nach der Überzeugung des Gerichts vor. Auch dies folgert das Gericht aus dem planmäßigen perfiden Vorgehen der Beklagten, welches nur die eigenen Firmenbelange in den Vordergrund stellte und Belange anderer hintanstellte. Auch insoweit schließt sich das Gericht der Sicht des OLG Karlsruhe (Hinweisbeschluss v. 5.3.2019 - 13 U 142/18; zustimmend: OLG München, Verfügung vom 04.07.2019, Az.: 18 U 4761/18 unter zutreffenden Hinweis auf die sekundäre Darlegungslast der Beklagten) an.
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So führt das OLG Karlsruhe (OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss v. 5.3.2019 - 13 U 142/18) zutreffend aus:
„Angesichts der Tragweite der Entscheidung über die riskante Gestaltung der Motorsteuerungssoftware, die für eine Diesel-Motorengeneration konzipiert war, welche flächendeckend konzernweit in vielen Millionen Fahrzeugen eingesetzt werden sollte, erscheint es mehr als fernliegend, dass die Entscheidung für eine greifbar rechtswidrige Software ohne Einbindung des Vorstands erfolgt und lediglich einem Verhaltensexzess untergeordneter Konstrukteure zuzuschreiben sein könnte (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 16.07.2018 - 27 U 10/18, juris Rn. 26; Heese, NJW 2019, S. 257 <260 re.Sp. 2. Abs.>). Es handelt sich der Sache nach um eine Strategieentscheidung mit außergewöhnlichen Risiken für den gesamten Konzern und auch massiven persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen, dem bei den untergeordneten Konstrukteuren kein in Anbetracht der arbeits- und strafrechtlichen Risiken annähernd adäquater wirtschaftlicher Vorteil gegenübersteht. Diese Vermutung wird noch verstärkt durch den Umstand, dass die Software durch einen Zulieferer programmiert und geliefert wurde. Insoweit ist in einem ordnungsgemäß geführten Unternehmen zu erwarten, dass die Anforderungen an die Software mit der Bestellung in Form einer Leistungsbeschreibung niedergelegt sind. Weil es sich bei der Motorsteuerung um ein Kernstück des Motors handelt, widerspricht es jeder Lebenswahrscheinlichkeit, dass insoweit die Führungsebene des Unternehmens nicht eingebunden wurde. Wer die Zustimmung zur Entwicklung und zum Einsatz einer Software in der Motorsteuerung für Millionen von Neufahrzeugen erteilt, muss eine wichtige Funktion in einem Unternehmen haben und mit erheblichen Kompetenzen ausgestattet sein. Soweit es sich dabei nicht um einen Vorstand handelt, spricht im Hinblick auf das Gewicht der Entscheidung zumindest eine starke tatsächliche Vermutung dafür, dass es sich um einen Repräsentanten im Sinn der höchstrichterlichen Rechtsprechung handelt, weil er Entscheidungen trifft, die üblicherweise der Unternehmensführung vorbehalten sind. Da ein Verhaltensexzess eines untergeordneten Mitarbeiters, der den die Zustimmung zum Einsatz der Motorsteuerungssoftware erteilenden Vorstand bzw. Repräsentanten überdies getäuscht haben müsste, zwar höchst unwahrscheinlich ist, aber im Hinblick auf die Unberechenbarkeit von willensgesteuerten Entscheidungsprozessen nicht von einer Typizität im Sinn eines Anscheinsbeweises ausgegangen werden kann, besteht lediglich eine tatsächliche Vermutung für Kenntnis und Billigung eines Vorstands oder Repräsentanten, welche die Beklagte im Rahmen der sie treffenden sekundären Darlegungslast zu entkräften hat.“
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6. Die Klagepartei hat durch den Abschluss des Kaufvertrags einen Schaden erlitten.
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6.1. Das Gericht schließt sich zum Schadensbegriff den Ausführungen des BGH in seinem Urteil vom 26.09.1997 - V ZR 29/96 an: „Ist - was zwischen den Parteien streitig ist - der Kaufgegenstand den Kaufpreis wert, so kann ein Vermögensschaden schon darin liegen, dass der von dem schuldhaften Pflichtverstoß Betroffene in seinen konkreten Vermögensdispositionen beeinträchtigt ist. Der Schadensersatzanspruch dient dazu, den konkreten Nachteil des Geschädigten auszugleichen; der Schadensbegriff ist mithin im Ansatz subjektbezogen (vgl. Lange, a.a.O., § 1 III 2; Soergel/Mertens, BGB, 12. Aufl., vor § 249 Rdn. 20 ff.). Wird jemand durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluß eines Vertrages gebracht, den er sonst nicht geschlossen hätte, kann er auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist (vgl. Hagen, Die Drittschadensliquidation im Wandel der Rechtsdogmatik, S. 165; Lange, a.a.O., § 1 III 2; Staudinger/Medicus, BGB, 12. Aufl., § 249 Rdn. 9; in dieser Richtung z.B. BGH, Urt. v. 12.10.1993 - X ZR 65/92, NJW 1994, 663/664). Insoweit besteht eine Vergleichbarkeit zur strafrechtlichen Bewertung solcher Konstellationen im Rahmen des Betrugstatbestandes (vgl. nur BGHSt 16, 321/325 ff.). Die Bejahung eines Vermögensschadens unter diesem Aspekt setzt allerdings voraus, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern dass auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluß als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht.“
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Für die Argumentation der Beklagten - es sei für den Autokäufer nicht entscheidend, ob ein Fahrzeug speziell für den NEFZ mit einer Software ausgerüstet ist, um die nur in diesem Rahmen vorgegeben Bedingungen zu erfüllen - spricht kein allgemeiner Erfahrungsgrundsatz. Darüber hinaus ist nicht lediglich dieser eine Umstand, sondern es sind sämtliche Umstände, die daraus folgen, zu berücksichtigen. Damit ist auch miteinzubeziehen, dass das KBA eine Nachbesserung verlangt, um die Zulassung nicht zu entziehen und der Umstand, dass die erforderliche Nachbesserung in der breiten Öffentlichkeit sehr umstritten ist. In einer solchen Konstellation ist es selbst bei einer Bestätigung der Beklagten, dass das Fahrzeug nach der Nachrüstung den geltenden gesetzlichen Vorschriften entspricht, gerade nicht lediglich subjektiv willkürlich i.S.d. zitierten Rechtsprechung, den geschlossenen Vertrag - auch nach Aufspielen des Softwareupdates - als Schaden und hinsichtlich der konkreten Vermögensinteressen als nachteilig anzusehen. Daher besteht auch keine Pflicht, nach dem Aufspielen des Updates das Fahrzeug zu behalten.
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6.2. Im Hinblick auf den sich aus den §§ 249 Abs. 2 S. 1, 251 Abs. 1 BGB ergebenden haftungsausfüllenden Tatbestand ist unter Berücksichtigung der Schätzungsbefugnis nach § 287 Abs. 1 ZPO folgendes auszuführen:
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Die Klagepartei hat im Rahmen des negativen Interesses den Anspruch, so gestellt zu werden, als wäre nach einer entsprechenden Aufklärung durch die Beklagte der Kaufvertrag nicht geschlossen worden (Palandt, BGB, 76. Auflage 2017, § 311 Rn. 55). Auch im Rahmen des § 826 BGB steht dem Geschädigten im Rahmen der Naturalrestitution ein Anspruch auf Rückgängigmachung der Folgen dieses Vertrags zu, das heißt, Ausgleich der für den Vertrag getätigten Aufwendungen durch den Schädiger gegen Herausgabe des aus dem Vertrag Erlangten (vgl. BGH, Urteil vom 19.07.2004 - II ZR 402/02; Urteil vom 28.10.2014 - VI ZR 15/14). Dies führt zur Rückzahlung des von ihr gezahlten Kaufpreises Zug-um-Zug (§§ 320 Abs. 1, 273 Abs. 1 BGB) gegen Übertragung des Eigentums am streitgegenständlichen Pkw (§ 255 BGB analog).
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Im Rahmen des Vorteilsausgleichs muss sich die Klageseite die von ihr gezogenen Nutzungen anrechnen lassen, da es sich nicht um eine Rückabwicklung des Kaufvertrags handelt (vgl. LG Traunstein, Urteil vom 27.06.2018 - 5 O 2425/17; OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss v. 5.3.2019 - 13 U 142/18).
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Der Bruttokaufpreis für das Neufahrzeug betrug … € (Anlage K1). Im Zeitpunkt der hierfür maßgeblichen letzten mündlichen Verhandlung hatte es einen Kilometerstand von 117.055 km. Unter Berücksichtigung des Kaufpreises, den gefahrenen Kilometern und einer bei diesem Fahrzeug zu erwartenden Gesamtlaufleistung von 300.000 km ergibt sich eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 26.532 €. Dies von Kaufpreis von … € abgezogen ergibt einen zu erstattenden Betrag von 41.468 €. Da der Kläger aber lediglich die Zahlung von 40.754,66 € beantragt hat, war auch nicht mehr zuzusprechen.
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7. Der Zinsausspruch folgt den §§ 288 Abs. 1, 291 S. 1 BGB. Zinsbeginn ist die Rechtshängigkeit. Ein früherer Zinsbeginn ist nicht nachzuvollziehen.
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8. Der Feststellungsantrag zum Annahmeverzug ist zulässig. Das Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO ergibt sich aus dem schutzwürdigen Interesse in Hinblick auf die §§ 756, 765 ZPO (Saenger, ZPO, 7. Auflage 2017, § 256 Rn. 8). Die Beklagte befindet sich aufgrund des vorgerichtlichen Schreibens des Klägervertreters (Anlage K 7) in Annahmeverzug (§ 293 BGB).
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9. Die Kosten der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung waren nicht erforderlich, da sie sich allein auf ein Anschreiben beschränkten, bei dem aufgrund vieler vergleichbarer Fälle vorhersehbar nicht zu erwarten war, dass außergerichtliche Versuche, bestehende Ansprüche durchzusetzen, Erfolg versprechen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Der Kläger unterliegt nur geringfügig im Hinblick auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1, 2 ZPO.