Inhalt

VG München, Urteil v. 19.09.2022 – M 8 K 22.1805
Titel:

Versäumnis der Klagefrist nach öffentlicher Bekanntmachung eines Vorbescheids

Normenketten:
VwGO § 60, § 74
BayBO Art. 66
Leitsätze:
1. Bei der Ermittlung der Zahl der betroffenen Nachbarn sind - zum maßgeblichen Zeitpunkt der öffentlichen Bekanntmachung - Nachbarn, die dem Vorhaben zugestimmt haben, nicht mitzuzählen. Eigentümer mehrerer benachbarter Grundstücke sind nur einmal und Grundstücke, die im Eigentum mehrerer Personen stehen, sind mit der entsprechenden Zahl an (Mit-)Eigentümern zu berücksichtigen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Zulässigkeit der öffentlichen Bekanntmachung der Baugenehmigung bzw. des Vorbescheids ist es unerheblich, ob die potentiell betroffenen Nachbarn tatsächlich am Baugenehmigungs- bzw. Vorbescheidsverfahren beteiligt worden sind, dh, ob ihnen die Bauunterlagen nach Art. 66 Abs. 1 S. 1 BayBO vorgelegt wurden, ihnen diese tatsächlich bekannt waren oder sie Einwendungen erhoben haben. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Individualzustellung wird vollständig und vollumfänglich durch die öffentliche Bekanntmachung ersetzt. Die weitere individuelle Zustellung steht im Ermessen der Behörde. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, Klagefrist nicht eingehalten, Öffentliche Bekanntmachung, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Anstoßfunktion, Vertrauenstatbestand, Individualzustellung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 37216

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks … Straße, FlNr. 9966, Gemarkung … … Sie begehrt die Aufhebung eines der Beigeladenen erteilten Vorbescheids für das westlich unmittelbar an ihr Grundstück angrenzende Grundstück …straße, FlNr. 9967, Gemarkung … … (im Folgenden: Vorhabengrundstück).
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Mit Bescheid vom 15. September 2020 erteilte die Beklagte der Beigeladenen einen Vorbescheid für die Aufstockung des Seiten- und Rückgebäudes [jeweils viergeschossig] und die Nutzungsänderung einer Schule in Wohnungen und einen Laden auf dem Vorhabengrundstück. Hiergegen erhob die Klagepartei am 29. September 2020 Klage (M 8 K 20.4939).
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Am 22. Oktober 2021 beantragte die Beigeladene einen Vorbescheid für das im vorliegendem Verfahren streitgegenständliche Vorhaben (Neubau eines sechsgeschossigen Vordergebäudes mit ausgebautem Dachgeschoss und eines fünfgeschossigen Seiten- und Rückgebäudes für Wohnnutzung) auf dem Vorhabengrundstück. Die Klagepartei hatte von dem laufenden Vorbescheidsverfahren Kenntnis. Auf Nachfrage des Bevollmächtigten der Klägerin teilte die Beklagte am 9. Dezember 2021 mit, dass noch kein Vorbescheid ergangen sei.
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Mit Bescheid vom 27. Dezember 2021 erteilte die Beklagte der Beigeladenen den beantragten Vorbescheid.
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Der Vorbescheid wurde im Amtsblatt der Beklagten Nr. 1/2022 vom 10. Januar 2022 öffentlich bekanntgemacht. Die öffentliche Bekanntmachung enthielt neben Angabe der Adresse, der Flurnummer des Vorhabengrundstücks und des Zeitpunkts des Bescheidserlasses die inhaltliche Bezeichnung „Neubau eines Vorder-, Seiten- und Rückgebäudes für Wohnnutzung - Vorbescheid“. In der Bekanntmachung wurde darauf hingewiesen, dass die Nachbarn FlNr. 9968, 9986, 9987 und 9966 dem Vorhaben nicht zugestimmt haben, sodass eine Ausfertigung des Bescheids zuzustellen sei. Nachdem sich die genannten Grundstücke im Eigentum von mehr als 20 Miteigentümern befänden, werde die erforderliche Zustellung durch die öffentliche Bekanntmachung des Vorbescheids ersetzt. Die Bekanntmachung verwies darauf, dass die Akten des Genehmigungsverfahrens bei der Beklagten, Referat für Stadtplanung und Bauordnung [unter Angabe der Adresse/Zimmernummer] eingesehen werden könnten. Die Bekanntmachung enthielt eine Rechtsbehelfsbelehrung.
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Im Rahmen des Schriftverkehrs im Verfahren M 8 K 20.4739 teilte die Beklagte mit Schriftsatz vom 4. März 2022, bei der Klagepartei ausweislich deren Eingangsstempels am 10. März 2022 eingegangen, mit, dass die Beklagte der Beigeladenen einen weiteren - hier streitgegenständlichen - Vorbescheid am 27. Dezember 2021 erteilt habe, der in ihrem Amtsblatt vom 10. Januar 2022 bekannt gemacht worden sei. Das Gericht hat am 14. März 2022 im Verfahren M 8 K 20.4739 Beweis durch Inaugenscheinnahme des Vorhaben- und des klägerischen Grundstücks erhoben und eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Die Klage gegen den Vorbescheid vom 15. September 2020 wurde nach Übergang ins schriftliche Verfahren mit Urteil der Kammer vom 25. April 2022 abgewiesen (M 8 K 20.4739).
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Die Klägerin erhob durch ihren Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 24. März 2022, eingegangen am selben Tag, Klage gegen den Vorbescheid vom 27. Dezember 2021 zum Bayerischen Verwaltungsgericht München. Sie beantragt,
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den Vorbescheid der Beklagten vom 27.12.2021 (PlanNr. …) aufzuheben.
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Zur Stellungnahme hinsichtlich der Zulässigkeit der Klage, insbesondere der Einhaltung der Klagefrist aufgefordert, erklärte die Klagepartei, die Klage sei nicht verfristet, da die öffentliche Bekanntmachung des Vorbescheids unwirksam sei. Aus den vorgelegten Behördenakten sei nicht ersichtlich, ob und wenn ja welche Nachbarn dem Vorbescheidsantrag zugestimmt hätten. Die öffentliche Bekanntmachung liege im Ermessen der Behörde. Es könne eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegen, wenn im bisherigen Verwaltungsverfahren in einer bestimmten Weise zugestellt worden sei. Die Kombination einer öffentlichen Bekanntgabe mit einer Individualbekanntgabe sei unter gewissen Umständen verfassungsrechtlich geboten. Vorliegend sei im vorausgegangenen Vorbescheidsverfahren [streitgegenständlich im Verfahren M 8 K 20.4739] bei identischer Nachbarbetroffenheit förmlich an die einzelnen Eigentümer zugestellt worden. In dem streitgegenständlichen Vorbescheidsverfahren sei trotz expliziter Nachfrage des Bevollmächtigten am 7. Dezember 2021 zum Verfahrensstand mit keinem Wort erwähnt worden, dass avisiert sei, den Vorbescheid öffentlich bekanntzumachen. Welche Ermessenserwägungen die Beklagte bewogen hätten, den Vorbescheid ausschließlich öffentlich bekannt zu machen, sei aus den handschriftlichen Vermerken auf dem Vorbescheidsentwurf nicht erkennbar. Es werde davon ausgegangen, dass gar keine Ermessenserwägungen angestellt worden seien. Ermessensfehlerfrei sei es im vorliegenden Fall allenfalls gewesen, die öffentliche Bekanntgabe mit einer individuellen Bekanntgabe an die Klägerin zu kombinieren. Die Vorgehensweise der Beklagten sei zudem unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks der Regelung in Art. 8 Abs. 1 Satz 2 VwZVG rechtswidrig.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Vertreterin der Beklagten führte zur Begründung aus, die Klage sei unzulässig, da die Klagefrist nicht gewahrt sei. Die öffentliche Bekanntmachung sei rechtmäßig. Aus dem Auszug aus dem Liegenschaftskataster in Verbindung mit den Angaben im Vorbescheid unter Nachbarbeteiligung ergebe sich, dass mehr als 20 Nachbarn nicht zugestimmt hätten. Aus dem Entwurf des Vorbescheids sei ersichtlich, dass die Möglichkeit der öffentlichen Bekanntmachung bewusst gewählt worden sei. Für diese Art der Bekanntmachung spreche der Entlastungszweck. Bei Vorliegen der Voraussetzungen für die öffentliche Bekanntmachung genüge der Entlastungszweck für die Wahl dieser Variante der Individualzustellung. Gründe, aus denen im Einzelfall die Möglichkeit der öffentlichen Bekanntmachung ausgeschlossen sein sollte, seien nicht ersichtlich. Der Vorbescheid im Verfahren M 8 K 20.4739 habe keine Auswirkungen auf das hier eigenständige Verfahren, insbesondere die Entscheidung, ob der Vorbescheid öffentlich bekannt gemacht werde. Die Klägerin stehe hier tendenziell sogar besser als andere Nachbarn, da sie vom laufenden Vorbescheidsverfahren und einer bevorstehenden Entscheidung Kenntnis gehabt hätte.
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Die Beigeladene äußerte sich nicht zum Verfahren und stellte keinen Antrag.
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Das Gericht hat am 19. September 2022 eine mündliche Verhandlung durchgeführt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten im vorliegenden Verfahren und im Verfahren M 8 K 20.4739 sowie die vorgelegten Behördenakten und die Niederschrift der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat keinen Erfolg, da sie unzulässig ist.
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Die Klägerin hat die einmonatige Klagefrist nicht eingehalten. Die Anfechtungsklage muss nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO, wenn ein Widerspruchsbescheid nach § 68 VwGO nicht erforderlich ist, innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden.
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1. Die Beklagte hat den streitgegenständlichen Vorbescheid am 10. Januar 2022 ordnungsgemäß ortsüblich bekanntgemacht.
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Dem Nachbar ist gem. Art. 71 Satz 4 BayBO in entsprechender Anwendung von Art. 66 Abs. 1 Satz 4 BayBO grundsätzlich, soweit er dem Vorhaben nicht zugestimmt oder seinen Einwendungen nicht entsprochen wird, eine Ausfertigung des Vorbescheids zuzustellen. Bei mehr als 20 Nachbarn kann die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden (Art. 66 Abs. 2 Satz 4 Halbs. 1 BayBO). Die Zustellung gilt unter diesen Voraussetzungen nach Art. 66 Abs. 2 Satz 6 BayBO mit dem Tag der Bekanntmachung als bewirkt.
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a) Vorliegend waren mehr als 20 Nachbarn im gleichen Interesse beteiligt.
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Nachbar i.S.d. Art. 66 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 2 BayBO sind nicht nur unmittelbar an das Baugrundstück angrenzende Grundstücke, sondern alle Grundstücke, die in nachbarrechtlich relevanter Weise im Einwirkungsbereich des Bauvorhabens liegen (BayVGH, U.v. 22.11.2021 - 9 B 18.986 - juris Rn. 25 m.w.N.). Bei der Ermittlung der Zahl der betroffenen Nachbarn sind - zum maßgeblichen Zeitpunkt der öffentlichen Bekanntmachung - Nachbarn, die dem Vorhaben zugestimmt haben, nicht mitzuzählen. Eigentümer mehrerer benachbarter Grundstücke sind nur einmal zu berücksichtigen und Grundstücke, die im Eigentum mehrerer Personen stehen, sind mit der entsprechenden Zahl an (Mit-)Eigentümern zu berücksichtigen (vgl. BayVGH, B.v. 16.10.2018 - 9 CS 18.1463 - juris Rn. 27; BayVGH, B.v. 22.2.2021 - 15 ZB 20.2126 - juris Rn. 12).
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Unerheblich ist es für die Zulässigkeit der öffentlichen Bekanntmachung der Baugenehmigung bzw. des Vorbescheids, ob die potentiell betroffenen Nachbarn tatsächlich am Baugenehmigungs- bzw. Vorbescheidsverfahren beteiligt worden sind, d.h., ob ihnen die Bauunterlagen nach Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BayBO vorgelegt wurden, ihnen diese tatsächlich bekannt waren oder sie Einwendungen erhoben haben, denn eine Zustellung der Baugenehmigung bzw. des Vorbescheids an die potentiell betroffenen Nachbarn ist in allen Fällen erforderlich, in denen eine Nachbarunterschrift - gleichgültig aus welchen Gründen - fehlt (vgl. BayVGH, B.v. 22.2.2021 - 15 ZB 20.2126 - juris Rn. 11; B.v. 16.10.2018 - 9 CS 18.1463 - juris Rn. 32 ff. m.w.N.). Nicht erforderlich ist, dass alle Beteiligten im selben Umfang interessiert oder im selben Ausmaß betroffen sind (vgl. BayVGH, B.v. 3.2.1997 - 2 CS 96.3536 - NVwZ-RR 1998, 487, 488).
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Bei den Eigentümern der unmittelbar angrenzenden Nachbargrundstücke handelt es sich - ausweislich des Auszugs aus dem Liegenschaftskatasters in den Behördenakten - um mehr als 20 Nachbarn [FlNr. 9987: 47 Nachbarn, FlNr. 9968: 10 Nachbarn, FlNr. 9986: 2 Nachbarn, FlNr. 9966: 1 Nachbar]. Diese haben - ersichtlich aus dem Antrag auf Erteilung eines Vorbescheids (Ziffer 4) - und aufgrund fehlender Unterschriften auf den Planunterlagen oder sonstiger Erklärungen in den Behördenakten dem Vorhaben nicht zugestimmt. Die Beklagte stellt diesen Umstand zusätzlich in der öffentlichen Bekanntmachung fest.
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b) Die öffentliche Bekanntmachung erfüllt auch die Voraussetzungen des Art. 66 Abs. 2 Satz 4 Halbs. 2 und Satz 5 BayBO. Danach hat die Bekanntmachung den verfügenden Teil der Baugenehmigung, die Rechtsbehelfsbelehrung sowie einen Hinweis darauf zu enthalten, wo die Akten des Baugenehmigungsverfahrens eingesehen werden können. Sie ist im amtlichen Veröffentlichungsblatt - hier dem Amtsblatt der Landeshauptstadt M. - der zuständigen Bauaufsichtsbehörde bekannt zu machen. Einen „verfügenden Teil“, d.h. die Freigabe des Baus, enthält ein Vorbescheid grundsätzlich nicht. Die öffentliche Bekanntmachung muss jedoch generell eine sog. Anstoßfunktion gewährleisten, d.h. den Betroffenen bewusst machen, dass sie von dessen Inhalt betroffen sind (vgl. SächsOVG, B.v. 9.6.2020 - 1 B 135/20 - juris Rn. 20). Vorliegend wird diese Funktion durch die Bezeichnung des dem Vorbescheid zugrundeliegenden Vorhabens unter Angabe der Adresse und Flurnummer erfüllt. Die öffentliche Bekanntmachung enthält zudem eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrungund den Hinweis darauf, dass die Akten des Vorbescheidsverfahrens bei der Lokalbaukommission eingesehen werden können.
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c) Die Entscheidung der Beklagten den erteilten Vorbescheid öffentlich bekannt zu machen, ist nicht ermessensfehlerhaft.
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Die gesetzliche Regelung bezweckt die Verringerung des Verwaltungs- und Kostenaufwands sowie der Verfahrensentlastung und -vereinfachung (vgl. BayVGH, U.v. 22.11.2021 - 9 B 18.986 - juris Rn. 29 m.w.N). Der mit der öffentlichen Bekanntmachung statt der Individualzustellung bezweckte Entlastungseffekt genügt grundsätzlich - bei Vorliegen der Voraussetzungen für die öffentliche Bekanntmachung - für die Wahl dieser Verfahrensvariante aus (vgl. BayVGH, B.v. 3.2.1997 - 2 CS 96.3563 - NVwZ-RR 1998, 487, 488 m.w.N.; B.v. 28.9.2021 - 9 ZB 21.901 - juris Rn. 11). Ein Ermessenausfall liegt nicht vor. Die Beklagte hat sich ausweislich des Entwurfs zum streitgegenständlichen Vorbescheid für die öffentliche Zustellung entschieden und war sich ihres Ermessens damit bewusst. Ermessensfehler sind auch im Übrigen nicht ersichtlich.
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Der Umstand, dass die Beklagte den zuvor ergangenen Vorbescheid vom 15. September 2020 förmlich zugestellt hat, führt nicht dazu, dass die öffentliche Bekanntmachung des streitgegenständlichen Vorbescheids ermessensfehlerhaft ist. Weder aus dem Vortrag der Klägerin noch den Behördenakten ergibt sich, dass die Beklagte gegenüber der Klägerin einen Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen hätte, dass ihr ein weiterer Vorbescheid persönlich zugestellt würde (bspw. durch Zusage der postalischen Übersendung bei Antwort auf die Frage, ob der Vorbescheid bereits ergangen ist, was zu diesem Zeitpunkt wahrheitsgemäß verneint wurde). Auch aus dem Umstand, dass die Klägerin gegen den zuvor erteilten Vorbescheid Klage eingereicht hat und über diese Klage zum Zeitpunkt der öffentlichen Bekanntmachung noch nicht entschieden war, lässt sich nicht die Verpflichtung der Beklagten folgern, dass der danach erteilte Vorbescheid der Klägerin zuzustellen wäre (so auch BayVGH, B.v. 3.2.1997 - 2 CS 96.3563 - NVwZ-RR 1998, 487, 488). Mit einer baldigen Entscheidung über den Vorbescheid musste die Klagepartei, die von dem weiteren Vorbescheidsverfahren wusste, rechnen. Die Klagepartei stand - anders als die Nachbarn, die keine Kenntnis von dem laufenden Vorbescheidsverfahren hatten und denen die gesetzliche Regelung des Art. 66 Abs. 2 Satz 4 BayBO dennoch zumutet, sich eine öffentliche Zustellung als Bekanntmachung zurechnen zu lassen - besser. Gegen die öffentliche Bekanntmachung bestehen grundsätzlich auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BayVGH, B.v. 3.2.1997 - 2 CS 96.3563 - NVwZ-RR 1998, 487, 488 m.w.N.).
28
Auch eine weitere Individualzustellung war nicht erforderlich. Die Individualzustellung wird vollständig und vollumfänglich durch die öffentliche Bekanntmachung ersetzt (vgl. BayVGH, U.v. 22.11.2021 - 9 B 18.986 - juris Rn. 31). Die Frage möglicher, jedoch nicht verpflichtender, weiterer individueller Zustellung steht im Ermessen der Behörde. Mehrfachzustellungen sind fehleranfällig und daher regelmäßig nicht angezeigt (vgl. VG Augsburg, U.v. 18.4.2013 - Au 5 K 11.668 - juris Rn. 34). Hierdurch würde auch der Zweck der öffentlichen Bekanntmachung, das Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen, konterkariert werden.
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Der Vorbescheid gilt damit am 10. Januar 2022 als zugestellt, Art. 66 Abs. 2 Satz 6 BayBO. Die Frist begann damit gem. am 11. Januar 2022 und endete mit Ablauf eines Monats am 10. Februar 2022, § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 ZPO, §§ 187 f. BGB. In der öffentlichen Bekanntmachung wurde zudem ordnungsgemäß über den Rechtsbehelf belehrt, sodass auch nicht die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO greift. Die Klageerhebung am 24. März 2022 war damit verfristet.
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2. Eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand kommt nicht in Betracht.
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Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag oder von Amts wegen (vgl. § 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 60 Abs. 1 VwGO), wenn er die versäumte Rechtshandlung innerhalb der Antragsfrist von zwei Wochen nachholt (§ 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
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Verschulden ist anzunehmen, wenn der Betroffenen hinsichtlich der Wahrung der Frist diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falls zuzumuten war (Kopp/Schenke/W.- R. Schenke, VwGO, 25. Auflage 2019, § 60 Rn. 9 m.w.N.). An einen Rechtsanwalt sind grundsätzlich höhere Anforderungen zu stellen als bei einem juristischen Laien. Die bloße Unkenntnis von der öffentlichen Bekanntmachung reicht für die Annahme einer unverschuldeten Versäumnis der Klagefrist nicht aus (BayVGH, U.v. 22.11.2021 - 9 B 18.986 - juris Rn. 39). Die Unkenntnis ist bei öffentlicher Bekanntgabe jedenfalls dann nicht unverschuldet, wenn der Betroffene vom Erlass eines Verwaltungsakts Kenntnis haben musste oder (Kopp/ Schenke/W.-RSchenke, § 60 Rn. 10). Maßgeblich sind immer die Umstände des Einzelfalls. Die Klagepartei wusste vorliegend von dem laufenden Vorbescheidsverfahren. Die Klagepartei musste aufgrund Größe und Lage des Vorhabens mit der öffentlichen Bekanntmachung rechnen (vgl. auch BayVGH, U.v. 22.11.2021 - 9 B 18.986 - juris Rn. 39). Dass der Klagepartei aufgrund außergewöhnlicher Umstände die Kenntnisnahme der öffentlichen Bekanntmachung erschwert war, ist nicht ersichtlich. Gründe für ein Wiedereinsetzen sind im Übrigen nicht dargetan.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten gem. § 162 Abs. 3 VwGO aus Billigkeitserwägungen selbst, da sie sich nicht durch Stellung eines Antrags in ein Kostenrisiko (§ 154 Abs. 3 VwGO) begeben hat.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.