Titel:
Erfolgloser Eilantrag der Nachbarin gegen Anbau eines Wintergartens
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3
BauGB § 30 Abs. 3, § 34
BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 3
Leitsätze:
1. Die Festsetzung straßenseitiger Baulinien und rückwärtiger Baugrenzen dient regelmäßig städtebaulichen Zwecken - vornehmlich der Gestaltung des Orts- und Straßenbildes, der Gewährleistung einer bestimmten Anordnung der Baukörper zur Straße hin und in das Geviertsinnere sowie der Sicherung von Vorgartenzonen. Solchen Festsetzungen kommt daher ganz regelmäßig keine nachbarschützende Wirkung zu. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der wechselseitige Verzicht auf seitliche Grenzabstände an den jeweiligen gemeinsamen Grundstücksgrenzen bindet die benachbarten Grundeigentümer bauplanungsrechtlich in ein Verhältnis des gegenseitigen Interessenausgleichs ein. Dies rechtfertigt es, dem Bauherrn eine Rücksichtnahmeverpflichtung aufzuerlegen, die eine grenzständige Bebauung ausschließt, wenn sie den bisher durch zulässigen Grenzanbau gezogenen Rahmen überschreitet. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
3. In welchem Umfang ein Versatz möglich ist, ohne dass das nachbarliche Austauschverhältnis aus dem Gleichgewicht kommt oder die „harmonische Beziehung“, in der die einzelnen Gebäude zueinander stehen müssen, infrage gestellt wird, beurteilt sich nach einer Gesamtwürdigung der Umstände des konkreten Einzelfalls. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
4. Das Bauplanungsrecht vermittelt keinen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken; die Möglichkeit der Einsichtnahme ist grundsätzlich nicht städtebaulich relevant. Insbesondere im dicht bebauten (innerstädtischen) Bereich sind gegenseitige Einsichtnahmemöglichkeiten gerade im Fall sich aneinanderreihender Wohnnutzung grundsätzlich als unvermeidlich hinzunehmen. (Rn. 48 – 49) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag eines Nachbarn auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80a Abs. 3 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO, Baugenehmigung für den Anbau eines eingeschossigen, grenzständigen Wintergartens an ein Reihenhaus, Verstoß gegen Gebot der Rücksichtnahme (Doppelhausrechtsprechung) (verneint), Drittschützenden Wirkung der Festsetzung einer rückwärtigen Baugrenze eines übergeleiteten Baulinienplans (verneint), Abstandsflächen
Fundstelle:
BeckRS 2022, 37215
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf EUR 3.750,00 festgesetzt.
Gründe
1
Mit ihrem Antrag begehrt die Antragstellerin als Nachbarin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen eine Baugenehmigung für den Anbau eines Wintergartens, die die Antragsgegnerin den Beigeladenen erteilt hat.
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Die Beigeladenen sind Eigentümer des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung … (im Folgenden: Baugrundstück). Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung …, …straße 6 (im Folgenden: Nachbargrundstück), welches unmittelbar südlich an das Baugrundstück angrenzt. Das Anwesen der Antragstellerin und das Anwesen der Beigeladenen bilden zusammen mit den Anwesen auf den Grundstücken FlNrn. …, …, … und …, jeweils Gemarkung … (…straße 2a, 8, 10 und 12) eine sechsteilige Reihenhauszeile mit einer Länge von insgesamt ca. 30 m (abgegriffen aus dem amtlichen Lageplan). Die Gebäude der Beigeladenen und der Antragstellerin sind profilgleich aneinandergebaut.
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Ein qualifizierter Bebauungsplan existiert nicht. Durch einfachen Baulinienplan sind für die in seinem Umgriff gelegenen Grundstücke Baufenster mittels vorderer, seitlicher und rückwärtiger Baugrenzen festgesetzt. Vordere und rückwärtige Baugrenze verlaufen am Bau- und Nachbargrundstück jeweils unmittelbar entlang der Bestandsbebauung.
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Vgl. zur Lage der Grundstücke und ihrer Bebauung anliegenden Lageplan im Maßstab 1 : 1.000, welcher eine Darstellung des Vorhabens enthält:
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(Lageplan aufgrund Einscannens möglicherweise nicht mehr maßstabsgetreu)
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Unter dem 9. Juni 2022 (Eingang) beantragten die Beigeladenen zunächst eine Baugenehmigung für den für den Anbau eines Wintergartens, eines Windfangs (Eingangsbereich) sowie für zwei Dachgauben (Plan-Nr. …). Mit Bescheid vom 5. September 2022 genehmigte die Antragsgegnerin den Bauantrag der Beigeladenen hinsichtlich der beiden Dachgauben, lehnte jedoch den Windfang auf der Ost- und den beantragten 3,20 m tiefen, erdgeschossigen Wintergarten auf der Westseite des Bestandsgebäudes ab. Die Teilablehnung wurde damit begründet, dass der Windfang die festgesetzte vordere Baugrenze, der Wintergarten die rückwärtige Baugrenze überschreite und Gründe für eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB für einen Windfang und einen Wintergarten in der beantragten Art und Größe nicht vorlägen. Innerhalb des maßgeblichen Umgriffs seien keine vergleichbaren Bauraumüberschreitungen vorhanden. Hinsichtlich des Wintergartens gebe es zwar kürzlich genehmigte Beispiele, die aber eine geringere Tiefe aufwiesen. Mit „Hinweis“ überschrieben, wird in dem Bescheid ferner ausgeführt, wie in der näheren Umgebung bereits vorhanden, könne eine Befreiung eines 3 m tiefen Wintergartens in Aussicht gestellt werden.
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Gegen den ihr ausweislich der in den Behördenakten enthaltenen Postzustellungsurkunde am 9. September 2022 zugestellten Bescheid ließ die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 30. September 2022, eingegangen am gleichen Tag, Klage erheben (M 8 K 22.4882), die noch rechtshängig ist. In der Klageschrift wird ausgeführt, die Klage wende sich „insbesondere gegen die Inaussichtstellung einer Genehmigung eines bereits konkret bezeichneten „Wintergartens““.
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Auf entsprechenden Antrag der Beigeladenen vom 15. September 2022 (Eingang bei der Antragsgegnerin) hin erteilte die Antragsgegnerin diesen sodann mit Bescheid vom 18. Oktober 2022 im vereinfachten Verfahren eine Baugenehmigung für den Anbau eines Wintergartens auf dem Baugrundstück nach PlanNr. … Den genehmigten Bauvorlagen zufolge ist beabsichtigt, einen nach Westen hin ausgerichteten eingeschossigen Wintergarten mit nach Westen geneigtem Pultdach (Dachneigung 11 Grad) an das 9,485 m lange Bestandsgebäude anzubauen, der von dort zugänglich ist. Dieser soll sich - nach der genehmigten Planung - über die gesamte Breite des Baugrundstücks erstrecken. Die Länge der grenzständigen, jeweils 0,175 m starken, gemauerten Außenwände (vgl. Angaben im Schnitt A-A) des Wintergartens beträgt zum nördlichen Nachbar sowie zum Grundstück der Antragstellerin hin 3 m und überschreitet in dieser Tiefe die rückwärtige Baugrenze. An der (westlichen) Außenwand des Bestandsgebäudes soll das Pultdach des Wintergartens in einer Höhe von ca. 3,40 m (abgegriffen aus dem Schnitt A-A vom vorhandenen und zukünftigen Gelände (- 0,13) aus) ansetzen. Zum Garten hin soll der Wintergarten eine Höhe von 2,82 m (gerechnet vom vorhandenen Gelände) aufweisen. Als Nutzung ist „Essen“ mit einer Fläche von 15,70 m² angegeben.
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Der Genehmigungsbescheid enthält folgende, mit einer Begründung versehene Befreiung:
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„Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB wegen Überschreitung der westlichen rückwärtigen Baugrenze mit dem geplanten Wintergarten.
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Begründung: Der geplante Wintergarten stellt eine Verbesserung des Wohnwertes des bestehenden Gebäudes dar. Auf dem Grundstück …-Weg 12 befindet sich bereits ein genehmigter Anbau mit etwas größeren Abmessungen. Die Abweichung ist daher städtebaulich vertretbar und unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Somit kann die Befreiung antragsgemäß erteilt werden.“
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Eine Nachbarausfertigung der Baugenehmigung wurde der Antragstellerin am 28. Oktober 2022 per Postzustellungsurkunde zugestellt.
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Mit Schriftsatz vom 4. November 2022, bei Gericht eingegangen am selben Tag, ließ die Antragstellerin Klage gegen die Baugenehmigung vom 18. Oktober 2022 (M 8 K 22.5486) erheben. Über die Klage wurde bislang nicht entschieden.
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Mit Schriftsatz vom 29. November 2022, überschrieben mit „Antrag auf Regelung der Vollziehung“, ließ die Antragstellerin beantragen,
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Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 4. November 2022 (M 8 K 22.5486) gegen die von der Antragsgegnerin erteilte Baugenehmigung vom 18. Oktober 2022 wird angeordnet.
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Die Beigeladenen hätten am 28. November 2022 mit dem Bau des Wintergartens begonnen. Bei dem Bauvorhaben handle es sich begrifflich nicht um einen Wintergarten, sondern um eine Erweiterung des Wohnraums im Erdgeschoss über die gesamte Grundstücksbreite von 5,32 m und einer Tiefe von 3 m. Die bestehende, westliche Außenwand solle entfernt werden und der hinzukommende Wohnraum eine Fläche von 15,70 m² haben. Als Nutzung sei „Essen“ angegeben. Das Vorhaben sei rücksichtslos. Eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB könne daher nicht erteilt werden. Von einer neben die städtebauliche Ordnungsfunktion tretenden nachbarschützenden Wirkung der festgesetzten Baugrenzen sei dann auszugehen, wenn konkrete Anhaltspunkte für einen dahingehenden planerischen Willen erkennbar seien. Insbesondere sei von Bedeutung, ob die Nachbarn durch die Festsetzung im Sinne eines „Austauschverhältnisses“ rechtlich derart verbunden seien, dass sie zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichtet seien oder eine „Schicksalsgemeinschaft“ bildeten, aus der keiner der Beteiligten ausbrechen dürfe. Dies könne beispielsweise der Fall sein bei einer für alle Grundstücke einer Reihenhausgruppe einheitlich festgesetzten hinteren Baugrenze, die das Planungsziel habe, den Bewohnern der schmal geschnittenen Reihenhausgrundstücke, die keine trennenden seitlichen Grenzabstände aufwiesen, einen optimalen Licht- und Sonneneinfall sowie ausreichend Freiflächen (auch zur Wahrung des Wohnfriedens) zu sichern. In diesem Sinne liege hier ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme nach der „Doppelhausrechtsprechung“ vor. Eine grenzständige Bebauung sei hiernach ausgeschlossen, wenn der Bauherr den bisher durch das Doppelhaus gezogenen Rahmen überschreite. Durch die beabsichtigte Erweiterung des Nachbargebäudes um einen Wintergarten würde die Antragstellerin in unzumutbarer Weise beeinträchtigt. Insbesondere sei zu befürchten, dass die genehmigte Erweiterung Vorbildfunktion in der Nachbarschaft haben würde. Würden sämtliche Gebäude in ähnlicher Weise erweitert wie das Baugrundstück, befände sich rund ein Drittel des Gartens der Antragstellerin durch unmittelbar angrenzende Außenwände „eingemauert“.
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Die Antragsgegnerin legte die Behördenakten vor und beantragt
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Festsetzungen zu den überbaubaren Grundstücksflächen seien generell nicht nachbarschützend. Aussagekräftige Indizien für eine ausnahmsweise drittschützende Funktion lägen nicht vor. Der gegenständliche Baulinienplan setze das Instrument der Baugrenze nicht nur dort ein, wo nachbarliche Interessengegensätze zumindest ansatzweise erkennbar seien. Vielmehr würden flächendeckend, unabhängig vom Vorhandensein potentiell schutzbedürftiger Nachbarbebauung, relativ enge Baufenster festgesetzt. Das lasse, da eine differenzierte Planbegründung nicht vorliege und wohl auch nicht existiere, eher auf das Ziel, ein bestimmtes Ortsbild zu gestalten, als auf die Absicht, Nachbarinteressen zu wahren, schließen. Nach dieser Auslegung diene die Festsetzung nur dem Interesse der Allgemeinheit an einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung und nicht (auch) dem Nachbarschutz. Das Bauvorhaben wirke für die Antragstellerin nicht rücksichtslos. Das oberirdisch an der gemeinsamen Grenze 3 m lange Bauvorhaben wirke weder erdrückend noch abriegelnd auf das Grundstück der Antragstellerin. Die von der Antragstellerin befürchtete Situation gleiche derjenigen des Reihenmittelhauses …straße 10. Die dort realisierten Wintergärten hätten aufgrund ihrer geringen Höhe und Tiefe kaum Auswirkung auf die Belichtung und Besonnung der hiervon betroffenen Grundstücksteile der Nachbarn. Daher überwiege das Interesse der Beigeladenen an der geplanten maßvollen Erweiterung ihres Wohnraumes. Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme sei auch nach den Grundsätzen der Doppelhausrechtsprechung nicht gegeben. Der Charakter der Hausgruppe werde durch den geplanten Wintergarten nicht infrage gestellt. Die einzelnen Reihenhäuser bildeten nach der Realisierung des Vorhabens nach wie vor quantitativ und qualitativ eine bauliche Einheit im Sinne eines Gesamtbaukörpers. Sie würden trotz des geplanten 3 m tiefen Anbaus zum weitaus größten Teil - nämlich auf einer Tiefe von etwa 10,5 m - miteinander verbunden sein. Eine vollständige Deckungsgleichheit sei - wie bei Doppelhäusern - nicht zu fordern. In gleicher Weise ändere sich an der Einheitlichkeit des Gesamtbaukörpers nichts, wenn wie hier die rückwärtige Außenwand des einen Reihenmittelhauses durch einen 3 m tiefen eingeschossigen Wintergarten aufgelockert werde.
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Die Beigeladenen äußerten sich nicht.
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Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt und zum Vorbringen der Beteiligten wird im Übrigen auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakte in diesem und im Hauptsacheverfahren (M 8 K 22.5486) sowie im Verfahren M 8 K 22.4852 Bezug genommen.
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Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (§ 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO) hat in der Sache keinen Erfolg.
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1. Die angefochtene Baugenehmigung verletzt bei summarischer Prüfung voraussichtlich keine nachbarschützenden Vorschriften, die im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Art. 59 Satz 1 Bayerische Bauordnung - BayBO), so dass die von der Antragstellerin in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage (M 8 K 22.5486) nach der im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Damit überwiegt das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin nicht gegenüber den entgegenstehenden Vollzugsinteressen der Beigeladenen.
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Nach § 212a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Legt ein Dritter gegen die einem anderen erteilte und diesen begünstigende Baugenehmigung eine Anfechtungsklage ein, so kann das Gericht auf Antrag gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die bundesgesetzlich gemäß § 212a Abs. 1 BauGB ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen. Hierbei trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung darüber, welche Interessen höher zu bewerten sind - die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts oder die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streitenden. Dabei stehen sich das Suspensivinteresse des Nachbarn und das Interesse des Bauherrn, von der Baugenehmigung sofort Gebrauch zu machen, grundsätzlich gleichwertig gegenüber. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches Indiz zu berücksichtigen.
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Bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten ist hier zu berücksichtigen, dass sich Dritte gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen können, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B.v. 21.7.2020 - 2 ZB 17.1309 - juris Rn. 4; B.v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris Rn. 20). Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht - auch nicht teilweise - dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Hinzu kommt, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten kann, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und die Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (BayVGH, B.v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris Rn. 20). Verstößt ein Vorhaben gegen eine drittschützende Vorschrift, die im Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen war, trifft die Baugenehmigung insoweit keine Regelung und ist der Nachbar darauf zu verweisen, Rechtsschutz gegen das Vorhaben über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Ausführung des Vorhabens zu suchen (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.1997 - 4 B 244/96 - juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 14.10.2008 - 2 CS 08.2132 - juris Rn. 3).
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1.1. Das Vorhaben, dessen bauplanungsrechtliche Zulässigkeit sich im Hinblick auf das vorhandene Bauliniengefüge nach § 30 Abs. 3 Baugesetzbuch (BauGB) und im Übrigen nach § 34 BauGB richtet, verletzt keine (auch) die Antragstellerin schützenden Vorschriften des Bauplanungsrechts.
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1.1.1. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist die Festsetzung der rückwärtigen Baugrenze nicht nachbarschützend. Daher kommt es nicht darauf an, ob die den Beigeladenen erteilte Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB objektiv rechtmäßig erteilt wurde. Maßstab für einen etwaigen bauplanungsrechtlichen Nachbarrechtsverstoß ist insoweit nur das Gebot der Rücksichtnahme, gegen das das streitgegenständliche Vorhaben jedoch nicht verstößt (siehe dazu unter 1.1.2.).
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Soweit eine Befreiung gem. § 31 Abs. 2 BauGB erteilt wird, hängt der Umfang des Rechtsschutzes eines Nachbarn davon ab, ob die Festsetzungen, von deren Einhaltung dispensiert wird, dem Nachbarschutz dienen oder nicht. Bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung ist der Nachbar schon dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, weil eine, d.h. irgendeine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht erfüllt ist (vgl. BVerwG, B.v. 27.8.2013 - 4 B 39.13 - juris Rn. 3). Bei einer Befreiung von einer Festsetzung, die nicht (auch) den Zweck hat, die Rechte der Nachbarn zu schützen, richtet sich der Nachbarschutz dagegen nach den Grundsätzen des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme, das aufgrund der gemäß § 31 Abs. 2 BauGB gebotenen „Würdigung nachbarlicher Interessen“ Eingang in die bauplanungsrechtliche Prüfung findet. Demnach werden Nachbarrechte nur verletzt, wenn der Nachbar durch das Vorhaben infolge der zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird (vgl. BVerwG, B.v. 8.7.1998 - 4 B 64.98 - juris Rn. 5 f.; U.v. 9.8.2018 - 4 C 7.17 - juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 5.9.2016 - 15 CS 16.1536 - juris Rn. 25 m.w.N.; B.v. 18.12.2017 - 9 CS 17.345 - juris Rn. 15).
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Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche (Baulinien, Baugrenzen, Bebauungstiefen) sind grundsätzlich nach einhelliger Rechtsprechung nicht nachbarschützend (vgl. BVerwG, B.v. 23.6.1995 - 4 B 52/95 - juris Rn. 3 f.; B.v.19.10.1995 - 4 B 215/95 - juris Rn. 3; B.v. 19.10.1995 - 4 B 215/95 - juris Rn. 3; BayVGH, U.v. 27.1.1976 - 258 I 75 - juris Leitsatz 1; B.v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris Rn. 34; B.v. 12.7.2016 - 15 ZB 14.1108 - juris Rn. 11; B.v. 18.12.2017 - 9 CS 17.345 - juris Rn. 16 m.w.N). Eine andere Beurteilung gilt nur, wenn im Bebauungsplan ein besonderer Anhalt zugunsten des (ausnahmsweise) auch nachbarschützenden Zwecks der Festsetzung gegeben ist (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 28.5.2014 - 9 CS 14.84 - juris Rn. 17; B.v. 29.7.2014 - 9 CS 14.1171 - juris Rn. 15; B.v. 12.7.2016 - 15 ZB 14.1108 - juris Rn. 11; B.v. 8.11.2016 - 1 CS 16.1864 - juris Rn. 4; B.v. 18.12.2017 - 9 CS 17.345 - juris Rn. 16; Dirnberger in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 147. EL August 2022, Art. 66 Rn. 368 ff.). Ob Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche auch darauf gerichtet sind, dem Schutz des Nachbarn zu dienen, hängt vom Willen der Gemeinde als Plangeberin ab (BVerwG, U.v. 9.8.2018 - 4 C 7.17 - juris Rn. 14; B.v. 23.6.1995 - 4 B 52.95 - juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 29.8.2014 - 15 CS 14.615 - juris Rn. 24, m.w.N). Es ist im Einzelfall zu ermitteln, ob sie ausschließlich aus städtebaulichen Gründen oder ausnahmsweise (zumindest auch) einem nachbarlichen Interessenausgleich im Sinn eines Austauschverhältnisses dienen sollen (BayVGH, B.v. 26.2.2014 - 2 ZB 14.101 - juris Rn. 4). Ein solcher Wille des Plangebers kann sich aus dem Bebauungsplan, seiner Begründung oder sonstigen mit der Planaufstellung in Zusammenhang stehenden Umständen ergeben (BayVGH, B.v. 29.7.2014 - 9 CS 14.1171 - juris Rn. 15). Günstige Auswirkungen einer Festsetzung auf die Nachbargrundstücke reichen zur Annahme eines Nachbarschutzes nicht aus (vgl. BayVGH, B.v. 18.12.2017 - 9 CS 17.345 - juris Rn. 16 m.w.N.). Entscheidend ist eine wertende Beurteilung des Festsetzungszusammenhangs (vgl. BayVGH, B.v. 18.12.2017 a.a.O. Rn. 16 m.w.N.).
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Dies zugrunde gelegt fehlen vorliegend Anhaltspunkte dafür, dass die Festsetzungen des einfachen Baulinienplanes, insbesondere der rückwärtigen Baugrenze, nicht allein aus städtebaulichen Gründen erfolgt sind, sondern darüber hinaus (auch) einem wechselseitigen nachbarlichen Austauschverhältnis dienen sollen.
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Die Festsetzung straßenseitiger Baulinien und rückwärtiger Baugrenzen dient regelmäßig städtebaulichen Zwecken - vornehmlich der Gestaltung des Orts- und Straßenbildes, der Gewährleistung einer bestimmten Anordnung der Baukörper zur Straße hin und in das Geviertsinnere sowie der Sicherung von Vorgartenzonen (vgl. BayVGH, B.v. 26.3.2002 - 15 CS 02.423 - juris Rn. 16). Solchen Festsetzungen kommt daher ganz regelmäßig keine nachbarschützende Wirkung zu (vgl. z.B. BayVGH, B. v. 26.3.2002 - 15 CS 02.423 - juris Rn 16; VGH BW, B. v. 1.10.1999 - 5 S 2014/99 - juris Rn. 5). Besondere Umstände, dass die hintere Baugrenze hier neben ihrer städtebaulichen Ordnungsfunktion - ausnahmsweise - dem nachbarlichen Interessenausgleich im Sinne eines Austauschverhältnisses dienen soll, sind nicht ersichtlich. Der maßgebliche Baulinienplan enthält über die bloße Festsetzung der vorderen, seitlichen und hinteren Baugrenze hinaus keinen Hinweis, dass diesen Festsetzungen hier ausnahmsweise Drittschutz zukommen sollte.
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Auch aus dem in der Antragsschrift enthaltenen Verweis des Bevollmächtigten der Antragstellerin auf verschiedene Fundstellen zu ober- und verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung und Kommentarliteratur, in denen ein Austauschverhältnis bejaht worden sei bei einer für alle Grundstücke einer Reihenhausgruppe einheitlich festgesetzten hinteren Baugrenze, die das Planungsziel habe, den Bewohnern der schmal geschnittenen Reihenhausgrundstücke, die keine trennenden seitlichen Grenzabstände aufwiesen, einen optimalen Licht- und Sonneneinfall sowie ausreichend Freiflächen (auch zur Wahrung des Wohnfriedens) zu sichern, ergibt sich keine andere Beurteilung.
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Es ist zwar zutreffend, dass der Wille der Plangeberin, Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche drittschützende Wirkung beizugeben, auch aus dem im Bebauungsplan zum Ausdruck kommenden Planungskonzept hervorgehen kann (vgl. BVerwG, B.v. 11.6.2019 - 4 B 5.19 - juris Rn. 4; U.v. 9.8.2018 - 4 C 7.17 - juris Rn. 14; BayVGH, B. v. 22.6.2020 - 2 CS 20.1085 - n.v. Rn. 4).
34
Maßgeblich ist jedoch stets eine Prüfung und Bewertung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles (vgl. BVerwG, B.v. 19.10.1995 - 4 B 215.95 - juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 12.7.2016 - 15 ZB 14.1108 - juris Rn. 11; Hornmann in BeckOK, BauNOV, 31. Edition 15.10.2022, § 23 Rn. 83a; Petz in: König/Roeser/Stock, Baunutzungsverordnung, 5. Auflage 2022, § 23 Rn. 36).
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Nach Auffassung der Kammer kann dem vorliegenden Baulinienplan nicht entnommen werden, dass mit der rückwärtigen Baugrenze ein Versatz der Bebauung zwischen den Nachbargrundstücken zum Schutz der jeweiligen Nachbarn verhindert werden soll. Dies zeigt sich schon darin, dass die durch die Baugrenzen des Baulinienplans an anderer Stelle gebildeten Bauräume zum Teil einen Versatz aufweisen (vgl. nur die Baufenster südlich des …-Wegs und v.a. auch westlich der …straße). Nachdem der Plangeber selbst einen Versatz zwischen anderen Nachbargrundstücken der Doppelund Reihenhausbebauung in demselben Plangebiet geplant hat, ist bei einer - wie hier - durchgehenden rückwärtigen Baugrenze nicht anzunehmen, dass dem Nachbarn an dieser Stelle der Reihenhausbebauung ein besonderer Schutz vor einem Versatz der Bebauung im rückwärtigen Bereich gewährt werden sollte. Vielmehr hat es der Plangeber unter Nachbarschutzgesichtspunkten offenbar für unproblematisch gehalten, dass grenzständige Doppelhaus- oder Reihenhausbebauung an der Grenze versetzt zueinander errichtet wird.
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1.1.2. Die angefochtene Baugenehmigung verletzt darüber hinaus weder unter Berücksichtigung der Grundsätze der Doppelhausrechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts noch aus anderen Gründen das nachbarschützende planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme.
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Das Rücksichtnahmegebot ist hinsichtlich der erteilten Befreiung im Tatbestandsmerkmal „unter Würdigung nachbarlicher Interessen“ enthalten, § 31 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung über die bauliche Nutzung der Grundstücke (Baunutzungsverordnung - BauNVO). Es kann dahinstehen, ob sich das Gebot der Rücksichtnahme im Übrigen aus dem Begriff des „Einfügens“ des § 34 Abs. 1 BauGB oder aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO ableitet, da im Ergebnis dieselbe Prüfung stattzufinden hat (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2013 - 2 CS 13.1351 - juris Rn. 4).
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Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen können, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er eine Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalls kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist, an (vgl. BVerwG, U.v. 25.2.1977 - 4 C 22.75 - juris Rn. 22; U.v. 28.10.1993 - 4 C 5.93 - juris Rn. 17; U.v. 23.9.1999 - 4 C 6.98 - juris Rn. 20; U.v. 18.11.2004 - 4 C 1/04 - juris Rn. 22; U.v. 29.11.2012 - 4 C 8/11 - juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 12.9.2013 - 2 CS 13.1351 - juris Rn. 4). Bei der Interessengewichtung spielt es eine maßgebliche Rolle, ob es um ein Vorhaben geht, das grundsätzlich zulässig und nur ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen nicht zuzulassen ist, oder ob es sich - umgekehrt - um ein solches handelt, das an sich unzulässig ist und nur ausnahmsweise zugelassen werden kann. Bedeutsam ist ferner, inwieweit derjenige, der sich gegen das Vorhaben wendet, eine rechtlich geschützte wehrfähige Position inne hat (vgl. BVerwG, B.v. 6.12.1996 - 4 B 215/96 - juris Rn. 9 m.w.N.). Das Rücksichtnahmegebot ist dann verletzt, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit des Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen, was billigerweise noch zumutbar ist, überschritten wird (vgl. BVerwG, U.v. 25.2.1977 - IV C 22.75 - juris Rn. 22).
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Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass auch aus dem Rücksichtnahmegebot kein Recht des Nachbarn abzuleiten ist, dass in seiner Nachbarschaft nur objektiv rechtmäßige Bauvorhaben entstehen (vgl. BayVGH, B.v. 13.3.2014 - 15 ZB 13.1017 - juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 13.3.2014 - 15 ZB 13.1017 - juris Rn. 11; B.v. 20.3.2018 - 15 CS 17.2523 - juris Rn. 26). Das Rücksichtnahmegebot legt dem Bauherrn zudem auch keine Pflicht auf, generell die für den Nachbarn am wenigsten beeinträchtigende Alternative für seine Bauabsicht zu wählen (BVerwG, B.v. 26.6.1997 - 4 B 97/97 - juris Rn. 6). Das Gebot der Rücksichtnahme gibt den Nachbarn schließlich auch nicht das Recht, von jeglicher Beeinträchtigung der Licht- und Luftverhältnisse oder der Verschlechterung der Sichtachsen von seinem Grundstück aus verschont zu bleiben. Denn eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (vgl. BayVGH, B.v. 22.6.2011 - 15 CS 11.1101 - juris Rn. 17; B.v. 23.4.2014 - 9 CS 14.222 - juris Rn. 12; B.v. 7.2.2012 - 15 CE 11.2865 - juris Rn. 14; B.v. 30.9.2015 - 9 CS 15.1115 - juris Rn. 14; B.v. 3.6.2016 - 1 CS 16.747 - juris Rn. 7).
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1.1.2.1. Vorliegend ist das Gebot der Rücksichtnahme in seiner besonderen Ausprägung der Grundsätze der sog. Doppelhausrechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu beachten, die auch in dem in offener Bauweise bebauten unbeplanten Innenbereich über das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens in § 34 Abs. 1 BauGB grundsätzlich zur Anwendung kommen können (vgl. BVerwG, U.v. 5.12.2013 - 4 C 5.12 - juris Rn. 12). Die Grundsätze der Doppelhausrechtsprechung sind auch auf die hier anzutreffende ca. 30 m lange Reihenhausbebauung, die eine Hausgruppe i. S. d. § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO darstellt (vgl. hierzu: BVerwG, B.v. 31.1.1995 - 4 NB 48.93 - juris Rn. 22; NdsOVG, B.v. 1.6.2021 - 1 ME 137/20 - juris Rn. 13; vgl. zum Begriff der Hausgruppe: BayVGH, U.v. 11.12.2014 - 2 BV 13.789 - juris Rn. 25), anzuwenden, da die Häuserzeile, zu der sowohl das Anwesen der Antragstellerin als auch dasjenige der Beigeladenen gehören, im Bestand als bauliche Einheit wirkt und die Einzelhäuser quantitativ sowie qualitativ in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinandergebaut sind (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2000 - 4 C 12.98 - juris Ls. 2, juris Rn. 20; B.v. 19.3.2015 - 4 B 65.14 - juris Rn. 6; BayVGH, U.v. 11.12.2014 - 2 BV 13.789 - juris Rn. 22 ff; VG München, U.v. 12.10.2020 - M 8 K 18.3817 - juris Rn. 56).
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Der wechselseitige Verzicht auf seitliche Grenzabstände an den jeweiligen gemeinsamen Grundstücksgrenzen bindet die benachbarten Grundeigentümer bauplanungsrechtlich in ein Verhältnis des gegenseitigen Interessenausgleichs ein. Durch die Möglichkeit des Grenzanbaus wird die bauliche Nutzbarkeit der Grundstücke erhöht; das wird durch den Verlust seitlicher Grenzabstände an der gemeinsamen Grenze, die Freiflächen schaffen und dem Wohnfrieden dienen, erkauft. Diese Interessenlage rechtfertigt es, dem Bauherrn eine Rücksichtnahmeverpflichtung aufzuerlegen, die eine grenzständige Bebauung ausschließt, wenn sie den bisher durch zulässigen Grenzanbau gezogenen Rahmen überschreitet. Das nachbarliche Austauschverhältnis darf nicht einseitig aufgehoben oder aus dem Gleichgewicht gebracht werden (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2000 - 4 C 12.98 - juris Rn. 21; U.v. 5.12.2013 - 4 C 5.12 - juris Rn. 22). Das besondere Nachbarschaftsverhältnis mit dem Erfordernis eines gegenseitigen Interessensausgleichs gilt auch für die benachbarten Häuser einer Hausgruppe i.S.v. § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2015 - 4 B 65.14 - juris Rn. 6).
42
Durch die geplante Errichtung des Wintergartens auf der Westseite des Reihenmittelhauses …straße 4 wird das innerhalb der Hausgruppe …straße 2a bis 12 (zur Maßgeblichkeit allein der Situation innerhalb der Hausgruppe vgl. BVerwG, U.v. 19.3.2015 - 4 B 65.14 - juris Rn. 6, 9; U.v. 19.3.2015 - 4 C 12.14 - juris Rn. 19; BayVGH - B.v. 10.1.2018 - 1 ZB 15.1039 - juris Rn. 7) bestehende nachbarliche Austauschverhältnis nicht einseitig aufgehoben oder nur aus dem Gleichgewicht gebracht.
43
In welchem Umfang ein Versatz möglich ist, ohne dass das nachbarliche Austauschverhältnis aus dem Gleichgewicht kommt oder die „harmonische Beziehung“, in der die einzelnen Gebäude zueinander stehen müssen, infrage gestellt wird, beurteilt sich nach einer Gesamtwürdigung der Umstände des konkreten Einzelfalls (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2000 - 4 C 12.98 - juris Rn. 22; U.v. 19.3.2015 - 4 C 12.14 - juris Rn. 20.; BayVGH, U.v. 5.12.2014 - 2 BV 13.789 - juris Rn. 27; B.v. 15.9.2015 - 2 CS 15.1792 - juris Rn. 13). Eine bauliche Einheit liegt vor, wenn die einzelnen Gebäude einen harmonischen Gesamtkörper bilden, der nicht den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus vermittelt. Voraussetzung ist insoweit zwar nicht, dass die einzelnen Häuser gleichzeitig und deckungsgleich errichtet werden müssen. Ein einheitlicher Gesamtbaukörper kann auch noch vorliegen, wenn z.B. aus gestalterischen Gründen die gemeinsame vordere und/oder rückwärtige Außenwand des einheitlichen Baukörpers durch kleine Vor- und Rücksprünge aufgelockert wird (BayVGH, U.v. 11.12.2014 - 2 BV 13.789 - juris Rn. 27 m.w.N.). Zu fordern ist jedoch, dass die einzelnen Gebäude zu einem wesentlichen Teil (quantitativ) und in wechselseitig verträglicher und harmonischer Weise (qualitativ) aneinandergebaut sind (BayVGH, U.v. 11.12.2014 - 2 BV 13.789 - juris Rn. 27 m.w.N.). In quantitativer Hinsicht sind bei der Beurteilung der Verträglichkeit des Aneinanderbauens insbesondere die Geschosszahl, die Gebäudehöhe, die Bebauungstiefe sowie das durch diese Maße im Wesentlichen bestimmte oberirdische Brutto-Raumvolumen zu berücksichtigen. In qualitativer Hinsicht kommt es unter anderem auch auf die Dachgestaltung und die sonstige Kubatur des Gebäudes an (vgl. BayVGH, U.v. 5.12.2014 - 2 BV 13.789 - juris Rn. 27; B.v. 15.9.2015 - 2 CS 15.1792 - juris Rn. 13). Die beiden „Haushälften“ können auch zueinander versetzt oder gestaffelt an der Grenze errichtet werden, sie müssen jedoch zu einem wesentlichen Teil aneinandergebaut sein. Kein Doppelhaus entsteht danach, wenn ein Gebäude gegen das andere an der gemeinsamen Grundstücksgrenze so stark versetzt wird, dass sein vorderer oder rückwärtiger Versprung den Rahmen einer wechselseitigen Grenzbebauung überschreitet, den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus vermittelt und dadurch einen neuen Bodennutzungskonflikt auslöst.
44
Vorliegend geht der Charakter des Gesamtbaukörpers auch nach Umsetzung des streitgegenständlichen Bauvorhabens nicht verloren. Es ist davon auszugehen, dass die Hausgruppe auch nach Verwirklichung der beantragten Baumaßnahme in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinandergebaut bleibt, da sie sowohl nach quantitativen als auch nach qualitativen Kriterien eine bauliche Einheit bildet. Durch den erdgeschossigen Wintergarten, der auch nach Auffassung der Kammer eine Erweiterung des Wohngebäudes darstellt, ändert sich weder die Geschossigkeit noch die Gebäudehöhe des Anwesens. Mit einer Grundfläche von 15,99 m² und einer Höhe zwischen 2,82 m (zum Garten hin) und 3,4 m (Ansatz des Pultdachs am Bestandsgebäude) ist der 3 m tiefe Wintergarten nicht geeignet, die bauliche Einheit der zweigeschossigen, ca. 30 m langen Reihenhauszeile maßgeblich zu beeinflussen. Zwar tritt das Vorhaben 3 m vor die (bisherige) westliche Außenwand des Bestandsgebäudes der Beigeladenen und entspricht damit nicht der Bebauungstiefe des Anwesens der Antragstellerin. Das für Hausgruppen gleichermaßen wie für Doppelhäuser geltende Erfordernis, dass die Gebäude zu einem wesentlichen Teil aneinandergebaut sind (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2000 - 4 C 12.98 - juris Rn. 22) bleibt aber erfüllt, da die Reihenhausscheiben der Beigeladenen und der Antragstellerin auch nach Realisierung des Vorhabens zu einem wesentlichen Teil - nämlich auf einer Länge von 9,485 m (berechnet nach der Vermaßung im Grundriss KG) - aneinandergebaut sind. Die Einheitlichkeit der Gesamtkubatur wird durch das Vorhaben nicht aus dem Gleichgewicht gebracht (vgl. auch für Vorhaben ähnlicher Tiefe: BayVGH, 11.12.2014 - 2 BV 13.789 - juris Rn. 28; OVG RhPf, U.v. 14.8.2014 - 1 A 10252/14 - juris Rn. 22; OVG Lüneburg, B.v. 1.6.2021 - 1 ME 137/20 - juris Rn. 21).
45
1.1.2.2. Auch im Übrigen erweist sich das streitgegenständliche Vorhaben nicht als rücksichtslos.
46
Angesichts seiner Dimensionen ist insbesondere eine erdrückende, einmauernde Wirkung des Vorhabens auf das Nachbargrundstück nicht erkennbar (vgl. auch BayVGH, U.v. 11.12.2014 - 2 BV 13.789 - juris Rn. 29). Insbesondere ist wegen der begrenzten Höhe des Anbaus nicht ersichtlich, dass ein objektiv begründetes Gefühl des „Eingemauertseins“ in einem „Gefängnishof“ hervorgerufen werden könnte. Da das Nachbargrundstück noch genügend Freiflächen aufweist und in seinem rückwärtigen Bereich auch nach Umsetzung des Bauvorhabens ca. 9 m an der nördlichen Grundstücksgrenze von Bebauung frei bleiben sowie das Baugrundstück darüber hinaus nördlich zum Grundstück der Antragstellerin gelegen ist, ist auch nach Errichtung des Wintergartens eine ausreichende Belichtung, Belüftung und Besonnung des Nachbargrundstücks gewährleistet.
47
Auch mit Blick auf etwaige Einblickmöglichkeiten ergibt sich keine Rücksichtslosigkeit zu Lasten der angrenzenden Nachbarbebauung.
48
Das Bauplanungsrecht vermittelt keinen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken; die Möglichkeit der Einsichtnahme ist grundsätzlich nicht städtebaulich relevant (vgl. BVerwG, B.v. 24.4.1989 - 4 B 72.89 - juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 18.10.2010 - 2 ZB 10.1800 - juris Rn. 11; B.v. 15.2.2017 - 1 CS 16.2396 - juris Rn. 9; B.v. 13.4.2018 - 15 ZB 17.342 - juris Rn. 15 m.w.N.; B.v. 5.4.2019 - 15 ZB 18.1525 - BeckRS 2019, 7160 Rn. 12; B.v. 8.5.2019 - 15 NE 19.551 u.a. - juris Rn. 38; B.v. 15.12.2019 - 15 ZB 19.1221 - juris Rn. 19).
49
Auch unter Berücksichtigung des innerhalb einer Hausgruppe bestehenden besonderen Nähe- und Austauschverhältnisses ergibt sich nicht (vgl. BayVGH, B.v. 10.11.2000 - 26 CS 99.2102 - juris Rn. 19; VG München, U.v. 12.10.2020 - M 8 K 18.3817 - juris Rn. 61), dass vorliegend das Gebot der Rücksichtnahme verletzt wäre. Auch insoweit verpflichtet das Rücksichtnahmegebot nicht dazu, den bzw. die Nachbarn von jeglicher Beeinträchtigung, speziell vor jeglichen Einblicken zu verschonen. Hinzu kommt, dass bei aufeinanderstoßender Wohnnutzung unter dem Gesichtspunkt der Nutzungsart ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen in Betracht kommt (vgl. BayVGH, B.v. 15.11.2010 - 2 ZB 09.2191 - juris Rn. 7 unter Bezugnahme auf BayVGH, U.v. 7.10.2010 - 2 B 09.328 - juris Rn. 30; B.v. 12.9.2005 - 1 ZB 05.42 - juris Rn. 19). Insbesondere im dicht bebauten (innerstädtischen) Bereich sind gegenseitige Einsichtnahmemöglichkeiten daher gerade im Fall sich aneinanderreihender Wohnnutzung grundsätzlich als unvermeidlich hinzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 15.11.2010 - 2 ZB 09.2191 - juris Rn. 7; B.v. 15.10.2019 - 15 ZB 19.1221 - juris Rn. 19; VG München, U.v. 15.4.2013 - M 8 K 12.1542 - juris Rn. 34).
50
Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall mit besonders schwerwiegenden Auswirkungen sind vorliegend nicht ersichtlich. Bereits bislang bestehen - wie für eine Reihenhausbebauung typisch -(gegenseitige) Einsichtnahmemöglichkeiten, die innerhalb einer Reihenhauszeile regelmäßig als selbstverständlich hinzunehmen sind (vgl. OVG Münster, U.v. 22.8.2005 - 10 A 3611.03 - juris Rn. 57; VG Gelsenkirchen, U.v. 13.1.2015 - 9 K 6091.13 - juris Rn. 68; dies gilt auch außerhalb von Doppel- oder Reihenhäusern vgl. BayVGH, B.v. 8.5.2019 - 15 NE 19.551, 15 NE 19.579 - juris Rn. 38; B.v. 15.10.2019 - 15 ZB 19.1221 - juris Rn. 19). Der Wintergarten weist darüber hinaus nach den genehmigten Bauvorlagen an den Seitenwänden keine Verglasung oder Fenster, sondern gemauerte Außenwände auf, so dass hier keine zusätzlichen Einblickmöglichkeiten geschaffen werden.
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1.2. Das streitgegenständliche Vorhaben ist auch im Hinblick auf die Vorschriften des Abstandsflächenrechts, die Teil des Prüfungsumfangs im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren sind (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) BayBO), nachbarrechtlich unbedenklich. Für das Vorhaben greift hier die Regelung des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO, wonach eine Abstandsfläche nicht erforderlich ist vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf. Dies ist hier - wie oben dargestellt - innerhalb der hier vorliegenden Reihenhausanlage, die in ihrem Charakter durch den geplanten Wintergarten auch nicht verändert wird - der Fall.
52
2. Die Antragstellerin trägt gem. § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Es entspricht billigem Ermessen im Sinne von § 162 Abs. 3 VwGO, dass die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen, da sie keinen Sachantrag gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben.
53
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.