Inhalt

VG München, Urteil v. 14.11.2022 – M 8 K 21.2246
Titel:

Vorbescheid für Neubau eines Mehrfamilienhauses

Normenketten:
BayBO Art. 71
BauGB § 34
Leitsätze:
1. Eine Baugenehmigung stellt keine Zusammenfassung von Einzelbaugenehmigungen für die verschiedenen Bauteile eines Bauvorhabens dar, sondern enthält die grundsätzlich unteilbare Feststellung, dass das zur Genehmigung gestellte Vorhaben in seiner Gesamtheit nicht gegen die im Genehmigungsverfahren zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften verstößt. Gleiches gilt für den Vorbescheid als vorweggenommenen, feststellenden Teil der Baugenehmigung. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Vorhaben fügt sich nach dem Maß der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung ein, wenn es dort Referenzobjekte gibt, die bei einer wertenden Gesamtbetrachtung von Grundfläche, Geschosszahl und Höhe, bei offener Bebauung auch nach dem Verhältnis zur Freifläche, vergleichbar sind. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Verschattungseffekt als typische Folge der Bebauung ist insbesondere in innergemeindlichen bzw. innerstädtischen Lagen bis zu einer im Einzelfall zu bestimmenden Unzumutbarkeitsgrenze in der Regel nicht rücksichtslos und hinzunehmen. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
4. Es ist Sache eines jeden Bauherrn, seine Gebäude grundsätzlich so anzuordnen, dass die für die Belichtung und Belüftung notwendige freie Fläche auf seinem eigenen Grundstück vorgehalten wird. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Teilweise Einstellung, Vorbescheid, Rückwärtige Bebauung (hier: Zulässigkeit bejaht), Maßgebliche Umgebung, Städtebauliche Zäsur (hier: verneint), Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme (hier: verneint), Lichteinfallswinkel, Verschattungseffekt, Belichtung und Belüftung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 37214

Tenor

I. Soweit die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, wird das Verfahren eingestellt.
II. Der Bescheid vom 25. März 2021 nach PlanNr. ... wird in der Antwort zu Frage 1b) aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, den Vorbescheidsantrag vom 13. November 2020 nach PlanNr. ... in Frage 1b) positiv zu verbescheiden.
III. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
IV. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.  

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Erteilung eines positiven Vorbescheids für den Neubau eines Mehrfamilienhauses mit Seitengebäude für das Anwesen …str. ...
2
Das Anwesen (Fl.Nrn. …, …, Gem. Sektion … im Folgenden: Vorhabengrundstück) ist gegenwärtig mit einem straßenseitigen sechsgeschossigen Vordergebäude mit Satteldach und rückwärtigen Nebengebäuden bebaut.
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Das Vorhabengrundstück liegt im nicht überplanten Geviert …straße, …straße, …straße und … Straße.
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Vgl. zur Lage des Vorhabengrundstücks und der umgebenden Bebauung anliegenden Lageplan im Maßstab 1 : 1.500, der eine Darstellung des Vorhabens enthält. Die angegebenen Geschossigkeiten stimmen teilweise nicht mit den Feststellungen der Kammer beim Augenschein überein:
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(nach dem Einscannen möglicherweise nicht mehr maßstabsgerecht)
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Mit Antrag vom 13. November 2020 (Eingangsdatum) nach PlanNr. … legte die Klägerin Bauzeichnungen vor, wonach das Vordergebäude im rückwärtigen Bereich verbreitert und unter Abbruch des Satteldachs ein Mansarddach (Firsthöhe +22,63 m, Mansardknick +21,40 m, Wandhöhe/Traufe +18,40 m, E+V+DG) errichtet werden soll. Vorgesehen ist zudem die Anbringung von rückwärtigen Balkonanlagen und Dachgauben sowie der Einbau von straßenseitigen Dachgauben (2,30 m, x 2,50 m bzw. 2,65 m) und einem Zwerchgiebel mit einer Breite von 6,00 m. Überdies ist an der östlichen Grundstücksgrenze ein in nord-südlicher Richtung verlaufender Seitentrakt geplant, der direkt an das Vordergebäude anschließen soll. Das Rückgebäude soll im Anbaubereich zunächst dreigeschossig ausgeführt werden (Oberkante Attika +10,40 m), hieran soll sich ein fünfgeschossiger Gebäudeteil anschließen (Oberkante Attika +16,40 m) und an diesen wiederum ein dreigeschossiger Gebäudeteil (Oberkante Attika +11,00 m). Auf der Westseite des Seitengebäudes (zum Innenhof hin) ist ein um jeweils ein Geschoss abgestufter etwa 2 m bzw. 3 m (abgegriffen) breiter Gebäudeteil (zweigeschossig, viergeschossig und wiederum zweigeschossig, Oberkante Brüstung +8,00 m und +13,80 m) geplant.
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Der Vorbescheidsantrag enthielt unter anderem folgende Frage:
Frage 1:
Ist die Änderung und Vergrößerung der Tiefgarage um 28 Stellplätze sowie die Errichtung einer Mehrfamilienwohnanlage mit 34 Wohneinheiten, wie in den beiliegenden Plänen dargestellt hinsichtlich (…)
b) dem Maß der baulichen Nutzung (…)
bauplanungsrechtlich zulässig?
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Mit Vorbescheid vom 25. März 2021 (laut Behördenakten an die Klägerin versendet am 26. März 2021, ein Zustellungsnachweis findet sich nicht) beantwortete die Beklagte die Frage 1b) im Wesentlichen dahingehend, dass das Vordergebäude sich hinsichtlich der Wand- und Firsthöhe und des Zwerchgiebels in die Umgebungsbebauung einfüge. Die Gauben seien planungsrechtlich jedoch nicht zulässig, da sie in Fortführung der Außenwand die in der Umgebung vorhandene maximale Wandhöhe überschritten. Das Rückgebäude füge sich nach dem Nutzungsmaß grundsätzlich ebenfalls in die nähere Umgebung ein, verstoße jedoch in dem Bereich, in dem es einseitig an die östliche Grundstücksgrenze angebaut sei, gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Der dreigeschossige Grenzanbau sei dazu geeignet, den östlichen Nachbarn erheblich zu beeinträchtigen. Das fünfgeschossige Rückgebäude sei dagegen planungsrechtlich zulässig. Die Frage, ob die Erweiterung der Tiefgarage nach dem Maß der Nutzung zulässig sei, könne nicht beantwortet werden, da nicht erkennbar sei, ob bzw. welche Baumaßnahmen an der Tiefgarage vorgenommen würden.
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Mit Schriftsatz vom 26. April 2021, bei Gericht per Telefax eingegangen am selben Tag, erhob die Klägerin Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München. Sie beantragt zunächst: „Der Bescheid der Beklagten vom 25.3.2021, Az.: …, wird hinsichtlich der Fragen 1b, 2) und 3b) aufgehoben, soweit diese negativ verbeschieden wurden. Die Beklagte wird verpflichtet, den Vorbescheid, auch soweit er abgelehnt wurde, gemäß Antrag, eingegangen bei der Beklagten am 13.11.2020, zu erteilen.“ Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich das Vorhaben auch hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung in die maßgebliche Umgebung einfüge. Das Vorhabengrundstück befinde sich in einer Umgebung, die sowohl straßenseitig als auch im rückwärtigen Bereich von geschlossener Bauweise geprägt sei. Straßenseitig fänden sich bis zu siebengeschossige Gebäude; die mindestens einseitig grenzständig errichteten Rückgebäude hätten bis zu fünf Geschosse. Das Rücksichtnahmegebot sei nicht verletzt, insbesondere werde die Belichtungssituation durch den dreigeschossigen Grenzanbau nicht verschlechtert. Wie sich aus den Plänen ergebe, sei „der 45°-Winkel“ zur Bebauung …straße 46 eingehalten. Dies stelle grundsätzlich eine ausreichende Belichtung dar. Das Gebot der Rücksichtnahme vermittle zudem keinen Schutz vor unerwünschten Einsichtsmöglichkeiten. Vorliegend sei eine Einsichtnahme in das Gebäudeinnere ferner nahezu ausgeschlossen.
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Mit Schriftsatz vom 2. November 2022 trat die Beklagte dem entgegen. Sie beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Für die dargestellten Gauben finde sich kein Vorbild hinsichtlich der Wandhöhe und der Geschossigkeit. Die Bauvorlagen seien zudem hinsichtlich der Tiefgarage unbestimmt. Eine mehrgeschossige Bebauung an der gesamten seitlichen Grundstücksgrenze finde kein Vorbild in der maßgeblichen Umgebung. Im Gegensatz zu den weiter westlich im Geviert gelegenen Grundstücken sei im prägenden östlichen Bereich des Gevierts keine durchgehende, mehrgeschossige Bebauung an der seitlichen Grenze vorhanden. Dort gebe es lediglich jeweils grenzständige Vorder- und Rückgebäude, nicht jedoch dazwischenliegende Seitengebäude. Durch die Massivität der Aufstockung werde das Gebot der Rücksichtnahme verletzt.
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Das Gericht hat am 14. November 2022 einen Augenschein durchgeführt. Auf das zu diesem Augenschein gefertigte Protokoll wird verwiesen. Ebenso verwiesen wird auf die Sitzungsniederschrift zur am selben Tag durchgeführten mündlichen Verhandlung, in der die Beteiligten das Verfahren in Bezug auf die Fragen 2) und 3b) übereinstimmend für erledigt erklärten. Die Klägerin beantragt zuletzt,
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Der Bescheid der Beklagten vom 25.3.2021 wird hinsichtlich der Frage 1b) aufgehoben.
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Die Beklagte wird verpflichtet, den Vorbescheid auch hinsichtlich der Frage 1b) zu erteilen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des schriftsätzlichen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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I. Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, war das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Zwar sieht § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO grundsätzlich eine Entscheidung durch Beschluss vor, bei einer Teilerledigung können deren Folgen jedoch auch in der Entscheidung über den rechtshängig bleibenden Rest ausgesprochen werden (vgl. Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Auflage 2022, § 92 Rn. 24f., § 161 Rn. 14).
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II. Im Übrigen hat die zulässige Klage auch in der Sache Erfolg. Die Klägerin hat einen Anspruch auf positive Beantwortung der Vorbescheidsfrage 1b) ihres Antrags vom 13. November 2020 nach PlanNr. …, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der streitgegenständliche Vorbescheid war daher insoweit aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den begehrten Vorbescheid auch in dieser Frage positiv zu beantworten.
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Dem abgefragten Vorhaben stehen keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Vorbescheidsverfahren zu prüfen sind, Art. 71 Satz 1 und 4 BayBO iVm Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO, Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BayBO, Art. 59 Satz 1 Nr. 1 a) BayBO iVm §§ 29 bis 38 BauGB. Das Vorhaben wahrt hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung den durch die Eigenart der näheren Umgebung bestimmten Rahmen im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB (2.1. / 2.2.) und lässt es insoweit auch nicht an der gebotenen Rücksichtnahme gegenüber der sonstigen vorhandenen Bebauung fehlen (2.3.).
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1. Die Antwort zur Frage 1b) war in Gänze aufzuheben und die Beklagte entsprechend antragsgemäß zu verpflichten.
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Die Beklagte hat die Frage 1b) zur planungsrechtlichen Zulässigkeit (Maß der baulichen Nutzung) bei verständiger Auslegung der im Vorbescheid gegebenen Antwort - bei der Auslegung von Verwaltungsakten kommt es in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB auf den objektiven Erklärungsgehalt des Bescheides an (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 23.1.2018 - 8 B 30.17 - BeckRS 2018, 1933, Rn. 7) - hinsichtlich des Gesamtvorhabens (Vorder- und Rückgebäude) insgesamt negativ beantwortet. Die Ausführungen in Bezug auf die Zulässigkeit einzelner Gebäudeteile des Vorhabens (etwa des fünfgeschossigen Teils des Rückgebäudes) sind als bauberatende Hinweise zu deuten.
22
Eine Baugenehmigung stellt keine Zusammenfassung von Einzelbaugenehmigungen für die verschiedenen Bauteile eines Bauvorhabens dar, sondern enthält die grundsätzlich unteilbare Feststellung, dass das zur Genehmigung gestellte Vorhaben in seiner Gesamtheit nicht gegen die im Genehmigungsverfahren zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften verstößt (Decker in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: 147. EL August 2022, Art. 68 Rn. 50 m.w.N.). Gleiches gilt für den Vorbescheid als vorweggenommenen, feststellenden Teil der Baugenehmigung (vgl. zur Rechtsnatur des Vorbescheids: BVerwG, U.v. 17.3.1989 - 4 C 14/85 - NVwZ 1989, 863). Auch insoweit kann das Vorhaben regelmäßig hinsichtlich der abgefragten Übereinstimmung mit den zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften nur einheitlich - so wie es von dem Bauherrn abgefragt wurde - beurteilt werden. Etwas Anderes ist grundsätzlich nur dann anzunehmen, wenn der Vorbescheidsantrag bzw. das Vorhaben zum einen teilbar ist und zum anderen ein Interesse des Antragstellers an der Feststellung nur bestimmter Teile erkennbar ist (vgl. Decker in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: 147. EL August 2022, Art. 71 Rn. 89 m.w.N.). Eine solche Ausnahme ist vorliegend jedoch nicht ersichtlich.
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2. Gemäß Art. 71 Satz 1 BayBO ist vor Einreichung eines Bauantrags auf Antrag zu einzelnen Fragen des Bauvorhabens vorweg ein Vorbescheid zu erteilen. Als feststellender Verwaltungsakt stellt der Vorbescheid im Rahmen der vom Bauherrn gestellten Fragen die Vereinbarkeit des Vorhabens mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die Gegenstand der Prüfung im Rahmen des einschlägigen Genehmigungsverfahrens sind, fest. Er entfaltet insoweit während seiner Geltungsdauer - in der Regel drei Jahre (Art. 71 Satz 2 BayBO) - Bindungswirkung für das nachfolgende Baugenehmigungsverfahren.
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Nach Art. 71 Satz 4 Halbsatz 1 i.V.m. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO ist eine zulässige Vorbescheidsfrage positiv zu beantworten und der begehrte Vorbescheid zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben, soweit seine Zulässigkeit mit dem Vorbescheid abgefragt wird, keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Vorbescheidsverfahren zu prüfen sind.
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2.1. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens richtet sich nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB, da es im nicht überplanten Innenbereich liegt. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung bauplanungsrechtlich zulässig, wenn es sich nach diesem Kriterium in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt.
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2.1.1. Der die nähere Umgebung bildende Bereich reicht so weit, wie sich die Ausführung des zur bauaufsichtlichen Prüfung gestellten Vorhabens auswirken kann und wie die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst (vgl. BVerwG, U.v. 26.5.1978 - 4 C 9.77 - juris Rn. 33; U.v. 5.12.2013 - 4 C 5.12 - juris Rn. 10). Welcher Bereich als „nähere Umgebung“ anzusehen ist, hängt davon ab, inwieweit sich einerseits das geplante Vorhaben auf die benachbarte Bebauung und sich andererseits diese Bebauung auf das Baugrundstück prägend auswirken (vgl. BayVGH, U.v. 18.7.2013 - 14 B 11.1238 - juris Rn. 19 m.w.N.). Wie weit diese wechselseitige Prägung reicht, ist eine Frage des Einzelfalls. Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.2003 - 4 B 74.03 - juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 16.12.2009 - 1 CS 09.1774 - juris Rn. 21).
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Die maßgebliche nähere Umgebung ist für jedes der in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB aufgeführten Zulässigkeitsmerkmale gesondert zu ermitteln, weil die prägende Wirkung der jeweils maßgeblichen Umstände unterschiedlich weit reichen kann (vgl. BVerwG, B.v. 6.11.1997 - 4 B 172.97 - juris Rn. 5; B.v. 13.5.2014 - 4 B 38.13 - juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 14.2.2018 - 1 CS 17.2496 - juris Rn. 13). Bei den Kriterien Nutzungsmaß und überbaubare Grundstücksfläche ist der maßgebliche Bereich in der Regel enger zu begrenzen als bei der Nutzungsart (vgl. BVerwG, B.v. 13.5.2014 - 4 B 38.13 - juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 16.12.2009 - 1 CS 09.1774 - juris Rn. 21 m.w.N.).
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2.1.2. Zwar gilt in der Regel bei einem inmitten eines Wohngebiets gelegenen Vorhaben als Bereich gegenseitiger Prägung das Straßengeviert und die gegenüberliegende Straßenseite (vgl. BayVGH, U.v. 24.7.2014 - 2 B 14.1099 - juris Rn. 20; B.v. 14.2.2018 - 1 CS 17.2496 - juris Rn. 16 f.). Aufgrund der enormen Größe des streitgegenständlichen Straßengevierts (ca. 62.000 m2) ist der maßgebliche Umgriff vorliegend jedoch enger zu ziehen.
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Der für die Beurteilung der planungsrechtlichen Zulässigkeit - Maß der baulichen Nutzung - des Vorhabens relevante Bereich wechselseitiger Prägung wird gebildet durch die Straßenrandbebauung entlang der Nordseite der …straße zwischen der … Straße und der …straße. Im rückwärtigen Bereich ist der Umgriff wechselseitiger Prägung auf die der Straßenrandbebauung zugeordneten „Innenhöfe“ begrenzt, im Osten in etwa bis auf Höhe …straße 59/63 und im Westen etwa auf Höhe … Straße 34/36. In diesem Bereich findet sich eine zwar nicht eindimensionale, aber gleichwohl städtebaulich homogene Struktur mit bis zu sechsgeschossigen Gebäuden mit teilweise (massiv) ausgebauten Dachgeschossen in der Blockrandbebauung und bis zu fünfgeschossigen Rückgebäuden in den teils geschlossenen, teils an den seitlichen Grundstücksgrenzen offen ausgebildeten Innenhöfen. Im Geviertsinnern bildet die lockerere und in etwa U-förmige ausgebildete Bebauung …str. 48a-48f nach Norden eine deutliche Zäsur.
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Ob auch die Südseite der …straße zur maßgeblichen Umgebung zu zählen ist, kann offenbleiben, da bereits der durch die Bebauung auf der Nordseite gezogene Rahmen für die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des beantragten Maßes der baulichen Nutzung ausreicht.
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2.1.3. Die so bestimmte maßgebliche Umgebung wird - nach den Ergebnissen des Augenscheins und unter Auswertung der dem Gericht vorliegenden Lagepläne und Bauzeichnungen sowie der öffentlich im Internet zugänglichen Luftbilder - von Bebauung mit unterschiedlichen Maß der baulichen Nutzung und im rückwärtigen Bereich differenzierter Struktur geprägt. Hierbei setzt sich die blockartige Straßenrandbebauung von der rückwärtigen Bebauung bzw. den Innenhöfen ab, die das dort vorgefundenen Maß weitestgehend nicht erreichen. Eine städtebaulich relevante Zäsur hinsichtlich der beidseitig des Vorhabengrundstück liegenden Bebauung (westlich und östlich) ist jedoch - entgegen der Ansicht der Beklagten - nicht erkennbar.
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Westlich des Baugrundstücks liegen mehrere rückwärtige Innenhöfe, die jeweils an den seitlichen Grundstücksgrenzen be- und umbaut wurden. Die die Innenhöfe Richtung Norden abschließenden Rückgebäude sind teilweise an den seitlichen Grundstücksgrenzen weiter nördlich liegender Grundstücke, innerhalb der Grundstücke oder an den rückwärtigen Grundstücksgrenzen errichtet. Eine durchgängige Bebauung bzw. ein vollständig umschlossener Innenhof findet sich auf der Fl.Nr. … Die aneinandergebauten Rückgebäude sind drei- bis viergeschossig (Terrassengeschosse). Der von den Fl.Nrn. …, … und … gebildete Innenhof, der sich direkt westlich an das Vorhabengrundstück anschließt, ist auf der Ostseite zum Vorhabengrundstück hin zwischen Vorder- und Rückgebäude offen (ca. 15 m). Auf der Westseite befindet sich zwischen Vorder- und Rückgebäude auf der Fl.Nr. … eine unbebaute Lücke von wenigen Metern. Aufgrund der Massivität der diese schmale Lücke auf drei Seiten umgebenden Bebauung wirkt der Innenhof jedoch auch auf dieser Seite durchgängig umbaut. Die dort vorgefundenen, aneinander gebauten Rückgebäude sind ebenfalls drei- bis viergeschossig, wobei das Rückgebäude …straße 54a (Fl.Nrn. …*) über eine Dachterrasse auf dem vierten Obergeschoss sowie einen sich daran anschließenden turmartigen Aufbau verfügt.
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Östlich des Vorhabengrundstücks befindet sich ein weiterer Innenhof auf den Fl.Nrn. … und … Allerdings ist der Verbindungsbau zwischen dem sechsgeschossigen Vorder- und dem viergeschossigen Rückgebäude (zuzüglich ausgebautem Dachgeschoss) auf der Fl.Nr. … nur eingeschossig (Nebengebäude) und städtebaulich völlig untergeordnet. Die rückwärtige Bebauung auf den Fl.Nrn. … und … wirkt deswegen nicht als umschlossener Innenhof, sondern wie eine zweite, parallel zur Straßenrandbebauung verlaufende Gebäudezeile („zweite Reihe“). An der seitlichen Grundstücksgrenze der Fl.Nr. … steht in der „dritten Reihe“ ein viergeschossiges Hauptgebäude in Nord-Süd-Ausrichtung an der Grenze zur östlich direkt an das Baugrundstück anschließenden Fl.Nr. … Dort wird diese Bebauung jedoch nicht aufgegriffen, vielmehr schließt sich ein lediglich eingeschossiges, in Ost-West-Richtung errichtetes Hauptgebäude an. Auf der Fl.Nr. … steht ein weiteres, fünfgeschossiges Rückgebäude mit Firstrichtung Ost-West, welches - allerdings deutlich nach Norden versetzt - die städtebauliche Struktur der „zweiten Reihe“ aufgreift. Ferner schließt sich auf den Fl.Nrn. … und … an die (in Ost-West-Richtung verlaufende) Straßenrandbebauung ein fünfgeschossiger, ca. 10 m tiefer und ca. 15 m breiter Querbau in Nord-Süd-Ausrichtung an.
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Die vorgefundenen Unterschiede in der rückwärtigen Baustruktur östlich und westlich des Vorhabengrundstücks begründen jedoch keine städtebaulich relevante Zäsur. Bei Vorhaben im unbeplanten Innenbereich kommt es in Bezug auf das Maß der baulichen Nutzung auf den Verlauf der Grundstücksgrenzen nicht an (vgl. BVerwG, U.v. 26.6.1970 - IV C 73.68 - juris Leitsatz; B.v. 21.11.1980 - 4 B 142.80 - juris Rn. 3), also mithin grundsätzlich auch nicht darauf, ob ein Rückgebäude als Grenzbau oder freistehend errichtet wird. Hinsichtlich der im Wesentlichen maßstabsbildenden Faktoren Grundfläche, Geschosszahl und Höhe (vgl. BVerwG, U.v. 8.12.2016 - 4 C 7.15 - juris Rn. 20) sind bei der rückwärtigen Bebauung beidseitig des Vorhabengrundstücks keine siedlungsstrukturell relevanten Unterschiede auszumachen. Das Vorhabengrundstück selbst stellt das „Bindeglied“ zwischen den in der maßgeblichen Umgebung wechselseitiger Prägung vorherrschenden Baustrukturen im rückwärtigen Bereich - (teilweise) umbaute Innenhöfe bzw. „zweite Reihe“ - dar. Zu der Bebauung besteht jeweils und wechselseitig Sichtbeziehung. Sowohl die Bebauung östlich als auch die Bebauung westlich des Vorhabengrundstücks wirkt auf dieses ein und umgekehrt. Insbesondere ist keine Prägung des Vorhabengrundstücks allein durch die sich östlich anschließende Nachbarbebauung - wie die Beklagte meint - auszumachen.
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2.2. Ein Vorhaben fügt sich nach dem Maß der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung ein, wenn es in der näheren Umgebung Referenzobjekte gibt, die bei einer wertenden Gesamtbetrachtung von Grundfläche, Geschosszahl und Höhe, bei offener Bebauung auch nach dem Verhältnis zur Freifläche, vergleichbar sind (vgl. BVerwG, U.v. 8.12.2016 - 4 C 7.15 - juris Leitsatz 2, Rn. 20; BayVGH, B.v. 14.2.2018 - 1 CS 17.2496 - juris Rn. 13). Die vorhandenen Gebäude in der näheren Umgebung sind in ihren Maßen zueinander in Beziehung zu setzen (vgl. BVerwG, U.v. 23.3.1994 - 4 C 18.92 - juris Rn. 7; U.v. 8.12.2016 - 4 C 7.15 - juris Rn. 20), wobei der aus der vorhandenen Bebauung zu entnehmende Maßstab notwendig grob und ungenau ist (vgl. BVerwG, U.v. 23.3.1994 - 4 C 18.92 - juris Rn. 7).
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2.2.1. Das Vorhaben wahrt den Rahmen der maßgeblichen Umgebung wechselseitiger Prägung und fügt sich hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung ohne Weiteres ein.
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Das Vordergebäude findet - auch bei Berücksichtigung der vorgesehenen Dachgauben (und Balkonanlagen) - ein Vorbild etwa in der Straßenrandbebauung …str. 62 (Fl.Nr. …*). Dieses sechsgeschossige Gebäude verfügt - wie die Kammer beim Augenschein feststellen konnte - über ein zusätzliches ausgebautes Dachgeschoss (Mansarddach) sowie große Dachgauben, welche nahezu die gesamte Gebäudebreite einnehmen. Die geplanten abgestuften zwei- bis fünfgeschossigen Seitengebäude fügen sich hinsichtlich der maßgeblichen Faktoren (unstreitig) ebenfalls ohne Weiteres in die im rückwärtigen Bereich vorhandene bis zu fünfgeschossige Bebauung ein. In Bezug auf die Kubatur bleibt das Vorhaben etwa hinter den Rückgebäuden auf der Fl.Nr. …, die den dortigen Innenhof vollständig umschließen, zurück.
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2.2.2. Die geplante Tiefgarage hat vorliegend auf die Zulässigkeit nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB keinen Einfluss. Laut den dem Vorbescheidsantrag beigefügten Bauzeichnungen wird sie komplett unterirdisch errichtet, die Zufahrt verläuft durch bzw. innerhalb des Gebäudes. Der Baukörperteil „Tiefgarage“ ist mithin von außen nicht erkennbar. Bei der Beurteilung des Einfügens nach dem Maß der Nutzung gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist jedoch grundsätzlich nur das nach außen wahrnehmbar in Erscheinung tretende relevant (vgl. BVerwG, U.v. 23.3.1994 - 4 C 18.92 - juris Rn. 7 zur Wahrnehmbarkeit nach außen und den Maßbestimmungsfaktoren). Auf die von der Beklagten gerügten Mängel hinsichtlich der Darstellung der Tiefgarage in den Bauzeichnungen kommt es mithin nicht an.
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2.3. Angesichts der besonderen Umstände des Einzelfalls und der im rückwärtigen Bereich vorherrschenden Enge und dichten Bebauung ist das Vorhaben gegenüber der Nachbarbebauung auch nicht rücksichtslos, wie die Beklagte meint, insbesondere auch nicht gegenüber der Bebauung auf den Fl.Nrn. … und …
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2.3.1. Das Rücksichtnahmegebot geht im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB im Begriff des Einfügens auf (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 - 4 C 1.78 - juris Rn. 32; B.v. 27.3.2018 - 4 B 50.17 - juris Rn. 4), sodass die Frage nach dem Einfügen hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung nicht unabhängig von der Wahrung des Rücksichtnahmegebots beantwortet werden kann. Daraus folgt, dass ein Vorhaben, das sich zwar innerhalb des aus der Umgebung ableitbaren Rahmens hält, sich trotzdem nicht einfügt, wenn es die gebotene Rücksichtnahme auf die in der unmittelbaren Nachbarschaft vorhandene Bebauung vermissen lässt (BVerwG, U.v. 27.8.1998 - 4 C 5/98, NVwZ 1999, 523).
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Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalles kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist, an (BVerwG, U.v. 18.11.2004 - 4 C 1.04 - juris, Rn. 22; U.v. 29.11.2012 - 4 C 8.11 - juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 12.9.2013 - 2 CS 13.1351 - juris Rn. 4). Dazu sind die nähere Umgebung als (städte-)baulicher Rahmen, in den das Vorhaben- und Nachbargrundstück eingebettet sind, sowie die jeweilige besondere bauliche Situation der betroffenen Grundstücke in den Blick zu nehmen (VG München, U.v. 14.6.2021 - M 8 K 19.2266 - juris Rn. 41). Eine Veränderung der Verhältnisse durch ein Vorhaben, das den Rahmen der Umgebungsbebauung wahrt und städtebaulich vorgegeben ist, ist regelmäßig als zumutbar hinzunehmen (BayVGH, B.v. 12.9.2013 - 2 CS 13.1351 - juris Rn. 6).
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2.3.2. Von dem Vorhaben geht keine erdrückende Wirkung zulasten der Bebauung auf der Fl.Nr. … und … aus.
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Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots kann zwar in Ausnahmefällen dann in Betracht kommen, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens aufgrund seiner Höhe bzw. seines Volumens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ würde (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 - 4 C 1/78 - juris Rn. 38; BayVGH, B.v. 5.9.2016 - 15 CS 16.1536 - juris Rn. 28). Für die Annahme einer „erdrückenden“ Wirkung eines Nachbargebäudes besteht jedoch grundsätzlich schon dann kein Raum, wenn dessen Baukörper - wie hier - nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes (vgl. BayVGH, B.v. 5.9.2016 - 15 CS 16.1536 - juris Rn. 30).
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Das Vorhaben greift die Bebauung auf dem Nachbargrundstück auf und orientiert sich an der Geschossigkeit des grenzständigen Rückgebäudes (fünf Geschosse). Soweit die Grenze zum Nachbargebäude (gegenwärtig noch) unbebaut ist, sind endsprechend abgestufte dreigeschossige Gebäudeteile geplant. Ein nicht mehr hinzunehmender Einmauerungseffekt („Gefängnishofsituation“, vgl. BayVGH, U.v. 11.4.2011 - 9 N 10.1373 - juris Rn. 56) im Sinne einer „unzumutbaren Abriegelung“ des fünfgeschossigen Rückgebäudes wird auch nicht durch das erstmalige Umschließen des nördlich des Rückgebäudes gelegenen „zweiten Innenhofs“ verursacht. Der Innenhof wird durch das fünfgeschossige Rückgebäude und die beiden eingeschossigen Gebäude auf der Fl.Nr. … sowie den dreigeschossigen Teil des Seitentrakts auf dem Vorhabengrundstück gebildet. Aufgrund der Größe des Innenhofs von ca. 80 m2 und des Umstands, dass die den Innenhof umschließende Bebauung sowohl im Norden als auch im Osten lediglich eingeschossig ist, wird keine für das betroffene fünfgeschossige Rückgebäude unzumutbare Situation geschaffen, zumal im Osten und Süden keine weitere Bebauung an dieses Gebäude anschließt. Bei dem eingeschossigen Rückgebäude nördlich des fünfgeschossigen Rückgebäudes handelt es sich um ein Nebengebäude, das keiner gesonderten Rücksichtnahme bedarf.
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2.3.3. Von dem Vorhaben geht auch keine unzumutbare Verschattungswirkung zulasten der Bebauung auf den Fl.Nrn. … und … aus.
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Ein Verschattungseffekt als typische Folge der Bebauung ist insbesondere in innergemeindlichen bzw. innerstädtischen Lagen, bis zu einer im Einzelfall zu bestimmenden Unzumutbarkeitsgrenze in der Regel nicht rücksichtslos und hinzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2008 - 1 CS 08.2770 - juris Rn. 24; B.v. 20.3.2018 - 15 CS 17.2523 - juris Rn. 28 m.w.N.; OVG Bremen, B.v. 19.3.2015 - 1 B 19/15 - juris Rn. 19; SächsOVG, B.v. 4.8.2014 - 1 B 56/14 - juris Rn. 19). So liegt es auch hier. Aufgrund der Umstände des Einzelfalls kann die Umgebungsbebauung keine über das geplante Maß hinausgehende Rücksichtnahme vom Vorhaben einfordern.
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In der Rechtsprechung ist im Hinblick auf die Lichtverhältnisse anerkannt, dass die Einhaltung eines Lichteinfallswinkels von 45° in Höhe der Fensterbrüstung von Fenstern von Aufenthaltsräumen grundsätzlich eine ausreichende Belichtung sicherstellt (vgl. BayVGH, B.v. 17.7.2013 - 14 ZB 12.1153 - juris Rn. 14 unter Bezugnahme auf BayVGH, B.v. 9.6.2011 - 2 ZB 10.2289 - juris Rn. 5; U.v. 20.9.2011 - 2 B 11.761 - juris Rn. 26). Daraus kann allerdings im Umkehrschluss nicht gefolgert werden, dass es für den Nachbarn grundsätzlich unzumutbar ist, wenn ein dahingehender Lichteinfallswinkel nicht eingehalten wird. Der 45°- Lichteinfallswinkel stellt keine absolute, in jedem Fall einzuhaltende Mindestgrenze dar, sondern soll (nur) „möglichst“ eingehalten werden (VG München, U.v. 30.6.2014 - M 8 K 13.1102 - juris Rn. 49; U.v. 19.5.2014 - M 8 K 13.1110 - juris Rn. 58, m.w.N; U.v. 14.6.2021 - M 8 K 19.2266 - juris Rn. 38). Das Rücksichtnahmegebot gewährleistet nämlich keine bestimmte Dauer oder „Qualität‘ der natürlichen Belichtung oder die unveränderte Beibehaltung einer insoweit zuvor gegebenen Situation (OVG Hamburg, B.v. 26.9.2007 - 2 Bs 188/07 - juris). Maßgeblich bleiben stets die Umstände des Einzelfalls.
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Das Vorhaben wahrt gegenüber dem Vordergebäude auf der Fl.Nr. … und … - insbesondere auch gegenüber dem fünfgeschossigen, in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Querbau - das Gebot der Rücksichtnahme. Anhand der zur Genehmigung gestellten Pläne ist erkennbar, dass bei der geplanten Gebäudehöhe des dreigeschossigen Teils von +10,40 m (Oberkante Attika) und einem Abstand zu dem fünfgeschossigen Nachbargebäude (Querbau des Vordergebäudes) von ca. 9 m (an der engsten Stelle) ein Lichteinfallswinkel von 45° ab einer Höhe von ca. 1,20 m eingehalten wird. Eine für den Nachbarn unzumutbare Situation kann angesichts dessen nicht ausgemacht werden.
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Vorhabengrundstück und Nachbargrundstück sind ferner eingebettet in eine Umgebung, welche geprägt ist durch massive, mehrgeschossige Blockrandbebauung, welche sich (wenn auch teilweise in der Geschossigkeit abgestuft) auch im rückwärtigen Bereich fortsetzt. Diese Art der verdichteten innerstädtischen Bebauung bedingt zwangsläufig die wechselseitige Verschattung von Vorder-, Rück- und Seitengebäuden, insbesondere der unteren Geschosse (vergleiche etwa die beengte Situation zwischen Vorder- und Rückgebäude auf der Fl.Nr. …*). In dieser dicht gedrängten städtebaulichen Situation kann die Nachbarbebauung auf den Fl.Nrn. … ein Mehr an Rücksichtnahme nicht für sich in Anspruch nehmen.
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Überdies ist zu berücksichtigen, dass die querriegelartige Fortsetzung des Vordergebäudes auf den Fl.Nrn. … und … über die Blockrandbebauung hinaus ins Geviertinnere hinein in der maßgeblichen Umgebung singulär ist. Auf dem Nachbargrundstück wurde diese Art der Bebauung ohne städtebauliche Zwänge gewählt und neben der Belichtung von Nord-Osten auch eine Belichtung von Westen über das Nachbargrundstück beansprucht. Das Gebot der Rücksichtnahme besteht jedoch gegenseitig. Der Nachbar, der sich seine Bauwünsche erfüllt hat, hat es grundsätzlich nicht in der Hand, durch die Art und Weise seiner Bauausführung unmittelbaren Einfluss auf die Bebaubarkeit anderer Grundstücke zu nehmen (vgl. BayVGH, U.v. 22.9.2011 - 2 B 11.761 - juris Rn. 29 u. 30). Das Gebot der Rücksichtnahme dient nicht dazu, dass eine bestehende städtebauliche (Belichtungs-)Situation zugunsten eines und zulasten eines anderen Nachbarn beibehalten wird. Es ist vielmehr Sache eines jeden Bauherrn, seine Gebäude grundsätzlich so anzuordnen, dass die für die Belichtung und Belüftung notwendige freie Fläche auf seinem eigenen Grundstück vorgehalten wird (OVG SH, B.v. 26.3.2021 - 1 MB 7/21 - juris Rn. 16).
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Ein unzumutbarer Verschattungseffekt ist auch hinsichtlich des fünfgeschossigen Rückgebäudes nicht auszumachen. Dessen Befensterung befindet sich sowohl auf der Süd- als auch auf der Nordseite. Die Belichtung erfolgt also bereits gegenwärtig hauptsächlich von Nord-Osten und Süden her. Das im Westen liegende dreigeschossige Vorhaben hat hierauf keinen merklichen Einfluss.
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2.3.4. Das Verschließen der für die Belichtung des Gebäudes offensichtlich nicht maßgeblichen drei kleinen Fenster in der Brandwand (Westseite) des grenzständigen fünfgeschossigen Rückgebäudes verstößt ebenso nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme (vgl. zu Fenstern in grenzständigen Wänden: OVG SH, B.v. 26.3.2021 - 1 MB 7/21 - juris; VG München, B.v. 17.12.2003 - M 8 SN 03.6196 - juris). Eine besonders schützenswerte Position des Nachbarn bzw. ein besonderer Vertrauenstatbestand ist nicht erkennbar.
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2.3.5. Etwaige gegenseitige Einsichtnahmemöglichkeiten sind im dicht bebauten innerstädtischen Bereich unvermeidlich (vgl. BayVGH, B.v. 7.10.2010 - 2 B 09.328 - juris Rn. 30) und daher grundsätzlich hinzunehmen. Eine Sondersituation ist vorliegend nicht erkennbar. Insbesondere weist das Vorhaben im rückwärtigen Bereich zum Nachbargrundstück hin keine Fenster auf.
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III. Die Kostenentscheidung folgt, soweit das Verfahren streitig entschieden wurde, aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Soweit der Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes über die Kosten, § 161 Abs. 2 VwGO. Es entspricht billigem Ermessen, die Kosten des für erledigt erklärten Teils, der hier gegenüber dem Interesse des streitig entschiedenen Teils nicht weiter ins Gewicht fällt (die dort gegenständlichen Fragen behandelten im Wesentlichen Abstandsflächen und Baumschutz und standen in Abhängigkeit zur bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit), ebenfalls der Beklagten aufzuerlegen, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergeht gemäß § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.