Titel:
Fehlende Mitwirkung bei Prüfung einer Reaktivierung aus dem Ruhestand, hier: Kürzung des Ruhegehalts
Normenketten:
BayDG Art. 12, Art. 13, Art. 14, Art. 19, Art. 32, Art. 53 Abs. 1
BayBeamtVG Art. 81
BeamtStG § 26 Abs. 1, § 29, § 30 Abs. 3 S. 1, § 47
BayBG Art. 77
Leitsätze:
1. Durch die andauernde Nichtmitwirkung iRd Prüfung einer etwaigen Reaktivierung aus dem Ruhestand, indem sie trotz mehrfacher Aufforderung ihres Dienstherrn weder eine Schweigepflichtentbindung, aktuelle Befundberichte oder auch nur eine eigene Einschätzung ihrer Gesundheit abgibt, verstößt eine Beamtin gegen ihre insoweit bestehenden beamtenrechtlichen Mitwirkungspflichten. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist nicht die disziplinarische Höchstmaßnahme der Aberkennung des Ruhegehalts, sondern die Kürzung des Ruhegehalts geboten und angemessen, wenn der Dienstherr noch nicht alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel ausgeschöpft hat (hier: noch keine polizei- oder amtsärztliche Untersuchung zum Zwecke der Überprüfung der Dienst(un)fähigkeit der Beamtin angeordnet). (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
(Landes) Disziplinarrecht, Verstoß gegen Mitwirkungspflichten im Vorfeld einer Reaktivierungsuntersuchung, Fehlende Verhältnismäßigkeit für die Höchstmaßnahme, Disziplinarrecht, fehlende Verhältnismäßigkeit für die Höchstmaßnahme, Gesundheitszeugnis, Fernbleiben vom Dienst, wechselseitige Treuepflicht, Aberkennung des Ruhegehalts, Kürzung des Ruhegehalts
Fundstelle:
BeckRS 2022, 37209
Tenor
I. Gegen die Beklagte wird auf die Disziplinarmaßnahme der Kürzung des Ruhegehalts um 1/20 auf die Dauer von fünf Jahren erkannt.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt im Wege der Disziplinarklage die Aberkennung des Ruhegehalts der Beklagten, da sich diese seit vier Jahren der Mitwirkung an einer Reaktivierungsuntersuchung entziehe.
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1. Die im Jahre 1969 geborene Beklagte ist seit ... 2017 Beamtin des Freistaats Bayern im Ruhestand. Zuvor war sie nach Ernennung zur Beamtin auf Lebenszeit im Jahre 1997 zunächst im Polizeivollzugsdienst und nach Laufbahnwechsel zum 1. Januar 2010 im mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienst bei der bayerischen Polizei, zuletzt als Polizeiinspektorin tätig. Die verheiratete Beklagte ist Mutter zweier Söhne. Aufgrund einer Verlustfeststellung i.S.v. Art. 81 Bayerischen Beamtenversorgungsgesetz (BayBeamtVG) erhält die Beklagte seit Dezember 2020 keine Versorgungsbezüge mehr. Sie ist weder disziplinarisch noch strafrechtlich vorbelastet. Hinsichtlich der Einzelheiten zum Werdegang und zu den persönlichen Verhältnissen wird auf die Ausführungen in der Disziplinarklage sowie die beigezogene Personalakte Bezug genommen.
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2. Nach Einleitung eines Disziplinarverfahrens am 12. Januar 2021 gemäß Art. 19 Bayerisches Disziplinargesetz (BayDG), über die die Beklagten ausweislich Postzustellungsurkunde am 15. Januar 2021 informiert und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde, vermerkte das Polizeipräsidium M. unter dem 26. April 2021 das wesentlich Ergebnis der Ermittlungen gemäß Art. 32 BayDG und hörte die Beklagte abschließend an. Von der Gelegenheit zur Stellungnahme im Disziplinarverfahren machte die Beklagten keinen Gebrauch.
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3. Darauf hat das Polizeipräsidium M. als Disziplinarbehörde für den Freistaat Bayern am 28. Juni 2022 Klage erhoben. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Disziplinarklage Bezug genommen. In der mündlichen Verhandlung am 20. Dezember 2022 wurde zum klägerischen Begehren der Höchstmaßnahme näher ausgeführt. Auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung wird insoweit verwiesen.
der Beklagten das Ruhegehalt abzuerkennen.
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Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt und sich im Verfahren nicht geäußert. Sowohl die Zustellung der Disziplinarklage als auch der Ladung zur mündlichen Verhandlung mussten jeweils im Wege der öffentlichen Zustellung erfolgen, nachdem die Beklagte postalisch nicht zu erreichen war.
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Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf die Gerichtsakte, insbesondere die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 20. Dezember 2022, sowie die Akten der Disziplinarbehörde und die beigezogene Personalakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Auf die Disziplinarklage des Klägers hin wird auf die Disziplinarmaßnahme der Kürzung des Ruhegehalts gemäß Art. 12 BayDG erkannt. Eine Aberkennung des Ruhegehalts, wie klägerseitig beantragt, wäre unverhältnismäßig.
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Über die Disziplinarklage konnte trotz Nichterscheinen der Beklagten entschieden werden, da diese im Wege öffentlicher Zustellung wirksam geladen und in der Ladung auf die Folgen des Ausbleibens hingewiesen wurde, § 102 VwGO.
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I. Formelle Mängel des Disziplinarverfahrens sind weder i.S.v. Art. 53 Abs. 1 BayDG geltend gemacht noch sind solche ersichtlich. Insbesondere ist der Beklagten jeweils Gelegenheit zur Äußerung eingeräumt worden.
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II. Der Beklagten wird in der Disziplinarklage folgendes zur Last gelegt:
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„Mit Gesundheitszeugnis des Ärztlichen Dienstes der Polizei vom 17.02.2017 wurde bei der Beklagten die dauernde Dienstunfähigkeit gemäß § 26 Abs. 1 BeamtStG festgestellt. Infolgedessen wurde sie mit Ablauf des 31.05.2017 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt.
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Da im vorzeitigen Ruhestand die Möglichkeit einer Reaktivierung (§ 29 BeamtStG) in regelmäßigen Abständen durch den Dienstherrn zu prüfen ist, wurde die Beklagte mit Schreiben P2/3 - … vom 23.01.2019 an die Adresse … … … … gebeten, aktuelle Befundberichte bzw. eine Schweigepflichtentbindung sowie eine Selbstauskunft über ihren derzeitigen Krankheitszustand zu übersenden. Es erfolgte keinerlei Rückmeldung.
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Im Folgenden wurde mehrfach versucht, Schreiben mit Zustellnachweis an die immer wieder wechselnden Aufenthaltsorte der Beklagten zuzustellen, welche jeweils mit dem Vermerk „Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln“ oder „Empfänger unbekannt“ zurückgeschickt wurden:
- Schreiben P 2/3 - … vom 03.04.2019 an die Adresse … … … … …
- Schreiben P 2/3 - … vom 21.05.2019 an die Adresse … … … …
- Schreiben P 2/3 - … vom 24.10.2019 an die Adresse … … … …
- Schreiben P 2/3 - … vom 21.11.2019 an die Adresse … … … …, c/o …
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Ein erneutes Schreiben P 2/3 vom 11.02.2020 an die Adresse … … … … mit Bitte um Vorlage von Behandlungsberichten bzw. einer Schweigepflichtentbindung und einer Selbstauskunft wurde laut Postzustellungsurkunde am 19.02.2020 zugestellt. Wiederum erfolgte seitens der Beklagten keinerlei Rückmeldung, auch wurden keine Hinderungsgründe vorgebracht.
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Mit Schreiben P2/3- … vom 01.07.2020, zugestellt am 09.07.2020, wurde die Beklagte letztmalig dazu aufgefordert bis 24.07.2020 Befundberichte ihrer behandelnden Ärzte bzw. Schweigepflichtentbindungserklärungen bzw. eine Selbsteinschätzung zu übermitteln, um eine Prüfung ihrer Reaktivierung zu ermöglichen. Auch auf dieses Schreiben erfolgte keine Reaktion ihrerseits.
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Mit Schreiben vom 13.10.2020, zugestellt am 15.10.2020, wurde festgestellt, dass die Beklagte schuldhaft ihre Mitwirkungspflichten gemäß § 29 Abs. 2, 4, 5 und § 30 Abs. 3 S. 1 BeamtStG verletzt hat. Die Konsequenz daraus ist der Verlust ihrer Versorgungsbezüge gemäß Art. 81 S. 1, 2 BayBeamtVG, den ihre Pensionsbehörde zwischenzeitlich festgestellt hat.“
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III. Der der Beklagten zur Last gelegte Sachverhalt steht aufgrund der vorgelegten Akten zur Überzeugung des Gerichts fest. Insbesondere ist die Beklagte dem nicht entgegengetreten.
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IV. Durch die andauernde Nichtmitwirkung der Beklagten im Rahmen der Prüfung einer etwaigen Reaktivierung, indem sie trotz mehrfacher Aufforderung ihres Dienstherrn weder eine Schweigepflichtentbindung, aktuelle Befundberichte oder auch nur eine eigene Einschätzung ihrer Gesundheit abgibt, verstößt die Beklagte gegen ihre beamtenrechtlichen Pflichten gemäß § 47 Abs. 2 Satz 3 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) i.V.m. Art. 77 Nr. 2 Bayerisches Beamtengesetz i.V.m. § 29 Abs. 4, 5
BeamtStG, Abschnitt 8 Zif. 1.6.1. der Verwaltungsvorschriften zum Beamtenrecht 2030-F (VV-BeamtR)
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Soweit infolge der Mitwirkungspflichtverletzung bereits eine Verlustfeststellung der Versorgungsbezüge nach Art. 81 Satz 1 und Satz 2 BayBeamtVG erfolgt ist, steht eine disziplinarische Ahndung dem gemäß Art. 81 Satz 3 BayBeamtVG ausdrücklich nicht entgegen.
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Die Beklagte handelt schuldhaft. Nachdem zumindest einzelne Zustellungen der Schreiben des Dienstherrn ausweislich Postzustellungsurkunden erfolgreich waren, ist mangels anderweitiger Erkenntnisse davon auszugehen, dass die Beklagte auch Kenntnis von der von ihr eingeforderter Mitwirkung sowie des gegen sie eingeleiteten Disziplinarverfahrens hat. Dennoch kam sie bislang ihrer Mitwirkungspflicht nicht nach.
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V. Das andauernde Dienstvergehen der Beklagten wiegt zwar schwer i.S.v. Art. 14 BayDG, so dass die mögliche Kürzungsdauer des Art. 12 BayDG auszuschöpfen ist. Eine Aberkennung des Ruhegehalts i.S.v. Art. 13 BayDG wäre jedoch noch unverhältnismäßig.
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Die Mitwirkung an der Feststellung einer fortdauernden Dienstunfähigkeit stellt sich in Übereinstimmung mit den Ausführungen der Disziplinarbehörde durchaus als eine Kernpflicht eines Beamten im vorzeitigen Ruhestand dar. Schließlich wird (erst) durch eine Mitwirkung die Reaktivierung ermöglicht, wenn der Ruhestandsbeamte nicht mehr dienstunfähig sein sollte. Das pflichtwidrige Verhalten der Beklagten wiegt insoweit durchaus schwer.
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Schließlich erschwert die Beklagte durch ihr pflichtwidriges Verhalten in erheblicher Weise die anstehende Überprüfung der Dienst(un) fähigkeit der Beklagten. Diese erfolgt schließlich nichts ins Blaue hinein, nachdem in dem der Ruhestandsversetzung zugrundeliegenden Gesundheitszeugnis auf eine solche Überprüfung nach Angaben der Disziplinarbehörde hingewiesen wurde. Eine Veranlassung, die aus Gründen des besonderen Personaldatenschutzes verschlossenen Gesundheitsakten der Beklagten zu öffnen, hat das Gericht dabei nicht gesehen. Hierbei ist Zurückhaltung geboten, wenn eine Einsichtnahme in die Gesundheitsakten nicht im Disziplinarverfahren erforderlich ist.
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Allerdings hat der Dienstherr vorliegend noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, indem er bislang keine polizei- oder amtsärztliche Untersuchung zum Zwecke der Überprüfung der Dienst(un) fähigkeit der Beklagten auf der Grundlage des der Ruhestandsversetzung zugrundeliegenden Gesundheitszeugnisses angeordnet hat.
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Entgegen der klägerischen Auffassung ist die Unterlassung der Mitwirkung der Beklagten im Wege der Abgabe einer Schweigepflichtentbindung, aktueller Befundberichte oder einer Eigeneinschätzung auch (noch) nicht mit einem Fernblieben vom Dienst vergleichbar.
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Soweit die Disziplinarbehörde auf die wechselseitige Treuepflicht verwiesen und dargelegt hat, dass die Beklagte seit vier Jahren bereits für den Dienstherrn nicht erreichbar ist und sie augenscheinlich „mit dem Beamtenverhältnis abgeschlossen habe“, folgt dem das Gericht durchaus. Dennoch besteht dienstherrnseitig eine Fürsorgepflicht mit der Folge, dass eine Aberkennung des Ruhegehalts die ultima ratio darzustellen hat.
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Dabei verkennt das Gericht nicht, dass die im Übrigen (nur) mögliche Kürzung des Ruhegehalts faktisch keine finanziellen Auswirkungen bei der Beklagten hat, nachdem sie bereits ihrer Versorgungsbezüge gemäß Art. 81 BayBeamtVG verlustig ist.
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Dennoch sieht das Gericht vorliegend unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls die Disziplinarmaßnahme der Kürzung des Ruhegehalts im höchstzulässigem Umfang als vor der Verhängung der Höchstmaßnahme noch gebotene deutliche und letztmalige Pflichtenmahnung an - zumal der Dienstherr auch noch nicht alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel ausgeschöpft hat (siehe zuvor). Zudem ist bei fortdauernden Dienstpflichtverletzungen im Bereich von Weisungs- oder Mitwirkungspflichtverstößen - insbesondere bei disziplinarisch und strafrechtlich nicht vorbelasteten - Beamten in besonderem Maße zu prüfen, ob nicht frühzeitig zur Pflichtenmahnung eine niedrigere Disziplinarmaßnahme im Wege einer Disziplinarverfügung zu verhängen ist, bevor auf die Höchstmaßnahme erkannt wird.
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Eine Kürzung des Ruhegehalts erweist sich daher als derzeit (noch) verhältnismäßige Disziplinarmaßnahme.
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VI. Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG.