Titel:
unstatthafter Eilantrag
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 5, § 88, § 122 Abs. 1
AufenthG § 11 Abs. 1 S. 2, § 50 Abs. 1, § 59 Abs. 1 S. 1, § 84 Abs. 1 S. 1 Nr. 7
Leitsatz:
Hat die Ausländerbehörde keine Abschiebungsandrohung erlassen, geht ein gegen „die Abschiebungsandrohung“ gerichteter Eilantrag ins Leere und ist unstatthaft. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausweisung, Rechtsschutzbedürfnis für Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, Türkischer Staatsangehöriger, Wiederholte unerlaubte Einreise, Ausweisungsverfügung, Abschiebungsandrohung, Statthaftigkeit des Antrags, Auslegung, Umdeutung, Titelerteilungssperre
Fundstelle:
BeckRS 2022, 37208
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500, - € festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen seine Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland.
2
Der Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger und war im Besitz eines österreichischen Aufenthaltstitels, welcher zum 19. Oktober 2019 ablief. Der Antrag auf Verlängerung dieses Aufenthaltstitels wurde nach Erkenntnissen des Antragsgegners von der Landespolizeidirektion Salzburg abgelehnt. Zuletzt ging der Antragsteller einer Beschäftigung als Berufskraftfahrer nach.
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Der Antragsteller ist strafrechtlich wie folgt in Erscheinung getreten:
4
Am 25. März 2020 reiste der Antragsteller, ohne im Besitz des erforderlichen Aufenthaltstitels zu sein, bei Freilassing in das Bundesgebiet ein. Nach seinen Angaben habe er seine Freundin in Freilassing abholen wollen. Das diesbezügliche Strafverfahren nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) wurde von der Staatsanwaltschaft Traunstein nach § 153 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt.
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Am 9. April 2020 reiste der Antragsteller erneut unerlaubt bei Freilassing in das Bundesgebiet ein. Auch das diesbezügliche Strafverfahren nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG wurde gem. § 153 Abs. 1 StPO eingestellt.
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Am 17. Juli 2020 wurde der Antragsteller, ohne im Besitz eines Aufenthaltstitels für das Bundesgebiet zu sein, am Bahnhof Freilassing in einem Zug aus Österreich kommend von Beamten der Bundespolizei angetroffen und kontrolliert. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Laufen vom 19. Oktober 2020 wurde der Antragsteller wegen unerlaubter Einreise zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 25 Euro verurteilt.
7
Am 19. Dezember 2020 wurde der Antragsteller erneut von Bundespolizisten in einem Zug von Freilassing nach Salzburg angetroffen und kontrolliert. Hierbei gab er an, am Vortag gegen 19:00 Uhr nach Freilassing zu seiner Freundin gereist zu sein. Das diesbezügliche Verfahren wegen unerlaubter Einreise wurde mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Traunstein am 29. März 2021 gem. § 154f StPO vorläufig eingestellt.
8
Am 27. April 2021 versuchte der Antragsteller erneut, über die Bundesstraße B21 unerlaubt in das Bundesgebiet einzureisen. Nachdem er durch Beamte der Bundespolizei kontrolliert wurde, wurde ihm die Einreise in das Bundesgebiet verweigert und er wurde nach Österreich zurückgeschoben.
9
Mit Schreiben vom 31. Mai 2021 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zu seiner beabsichtigten Ausweisung an. Nachdem das Anhörungsschreiben von der damaligen letzten bekannten Adresse des Antragstellers in Österreich als unzustellbar zurückkam, wurde dieses Schreiben gem. Art. 15 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) am 14. Juli 2021 öffentlich zugestellt.
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Mit Bescheid vom 11. August 2021, dem Antragsteller zugestellt am 23. August 2021, wies der Antragsgegner den Antragsteller aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 1) und erließ ein dreijähriges Einreise- und Aufenthaltsverbot (Nr. 2).
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Der Antragsteller hat am 23. September 2021 beim Verwaltungsgericht München Klage gegen die Ausweisungsverfügung erhoben und begehrt deren Aufhebung.
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Des Weiteren wird beantragt,
13
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen.
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Eine nähere Begründung der Klage erfolgte trotz Ankündigung nicht.
15
Der Antragsgegner beantragt mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2021,
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den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen.
17
Zur Begründung wird ausgeführt, dass der streitgegenständliche Bescheid keine Abschiebungsandrohung enthalte, sodass der Antrag insofern gegenstandslos sei. Für den Fall, dass das Gericht davon ausgehe, dass sich der Antrag gegen die Ausweisung richte, sei anzumerken, dass diese kraft Gesetzes nicht sofort vollziehbar sei. Es sei auch keine sofortige Vollziehung gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) angeordnet worden. Im Übrigen sei der Antrag auch unbegründet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren M 10 K 21.5056, sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
19
Der Antrag bleibt ohne Erfolg, da er bereits unzulässig ist. Der Antrag ist in seiner konkreten Fassung unstatthaft. Auch nach Auslegung oder Umdeutung dieses Antrags gerichtet gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot in Nummer 2 des Bescheids wäre er unzulässig, weil dann das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
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1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung „gegen die Abschiebungsandrohung“ ist nicht statthaft.
21
a) Die Statthaftigkeit eines gerichtlichen Rechtsbehelfs bestimmt sich gem. § 122 Abs. 1, § 88 VwGO nach dem Rechtsschutzziel des Antragstellers. Das vom Antragsteller zum Ausdruck gebrachte Rechtsschutzziel, sich gegen „die Abschiebungsandrohung“ gerichtlich zur Wehr setzen zu wollen, geht ins Leere, da der Antragsgegner im verfahrensgegenständlichen Bescheid keine Abschiebungsandrohung gem. § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erlassen hat. Da insofern kein Verwaltungsakt i.S.v. Art. 35 Satz 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG), der einer gerichtlichen Prüfung auf seine Rechtmäßigkeit unterzogen werden könnte, vorliegt, läuft der insoweit vom Antragsteller formulierte Antrag ins Leere und ist unstatthaft.
22
b) Eine Umdeutung des Antrags (vgl. insbesondere bei anwaltlich nicht vertretenen Rechtsschutzsuchenden: Wöckel in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Aufl. 2022, § 88 Rn. 9 f.) insoweit, dass dieser sich gegen die Ausweisungsverfügung in Nummer 1 richte (so im Ansatz der Schriftsatz des Antragsgegners vom 13.10.2021), würde ebenfalls nicht zu dessen Zulässigkeit führen. Ein so verstandener Antrag wäre unstatthaft, weil die Klage des Antragstellers gegen die Ausweisungsverfügung bereits kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 1 VwGO) aufschiebende Wirkung hat (vgl. VGH BW, B.v. 21.1.2020 - 11 S 3477/19 - juris Rn. 13).
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c) Eine Umdeutung des Antrags ist im Ansatz nur insoweit zielführend, wenn sich dieser gegen das in Nummer 2 verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot richten würde. Insoweit wäre der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, da die Klage diesbezüglich nach § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG keine aufschiebende Wirkung hat. In der Rechtsprechung ist auch anerkannt, dass es verfassungsrechtlich geboten sein kann, im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO die Rechtmäßigkeit des Einreise- und Aufenthaltsverbots gerichtlich zu kontrollieren. Insbesondere wenn das die Titelerteilungssperre (§ 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) auslösende Einreise- und Aufenthaltsverbot voraussichtlich deshalb rechtswidrig ist, weil auch die Ausweisung voraussichtlich rechtswidrig ist, und von der Ablehnung des Titelantrags die Ausreisepflicht abhängt, ist im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen die Ablehnung eines Antrags auf Verlängerung oder Erteilung eines Aufenthaltstitels regelmäßig anzuordnen (VGH BW, B.v. 21.1.2020 - 11 S 3477/19 - juris Rn. 27 ff.).
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Eine solche Konstellation wie in der zitierten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg ist vorliegend aber nicht gegeben. Vorliegend würde einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen Nummer 2 des Bescheids das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, weil der Antragsteller selbst im Falle der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot derzeit keine Verbesserung seiner Rechtsposition erzielen kann. Denn der Antragsteller, der weder im Besitz eines (deutschen) Aufenthaltstitels ist oder war (seine österreichische Aufenthaltserlaubnis ist nach Erkenntnissen des Antragsgegners abgelaufen), hätte selbst im Fall der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen Nummer 2 des Bescheids kein Recht auf Einreise in das Bundesgebiet (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG); eine Einreise wäre insoweit unerlaubt (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Nach Aktenlage wäre er mangels Innehabens eines Aufenthaltstitels bei Aufenthalt im Bundesgebiet auch unabhängig von einem Einreise- und Aufenthaltsverbot zur Ausreise verpflichtet und abzuschieben (vgl. § 50 Abs. 1, § 58 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG); eine Einreise bzw. ein Aufenthalt wäre vorliegend zudem nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG strafbar.
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2. Die Kostenscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit von 2013.