Inhalt

VGH München, Beschluss v. 22.06.2022 – 12 ZB 21.2463
Titel:

Rückforderung von Ausbildungsförderung wegen nicht regelmäßiger Teilnahme

Normenketten:
AFBG § 7 Abs. 4, Abs. 4a, § 9a Abs. 1 S. 4, S. 5, § 16 Abs. 2, Abs. 5
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
Leitsätze:
1. Das Interesse einer nach dem AFBG geförderten Unterrichtsteilnehmerin, die Rückforderung von Förderungsleistungen, die sie nach einer nicht regelmäßigen Teilnahme (unter 70%) zu gewärtigen hat, durch nachträgliche Erklärungen und Vorlage von Krankheitsbescheinigungen zu verhindern oder abzumildern, ist grundsätzlich nicht schutzwürdig. (Rn. 15)
2. Nachgeschobene Unterbrechungserklärungen nach § 7 Abs. 4a AFBG ohne substantiierte Darlegung, inwiefern ein schuldhaftes Zögern im Sinne von § 7 Abs. 4a Satz 2 AFBG nicht vorliegt, rechtfertigen nicht das Absehen von einer Rückforderung. (Rn. 17)
1. Die Geltendmachung der Rückforderung steht nicht im Ermessen der Behörde. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine formgerechte Unterbrechungserklärung nach § 7 Abs. 4a AFBG kann auch bei kürzeren und in ihrer Dauer nicht absehbaren Unterbrechungen eine Anrechnung auf die pauschaliert zulässige Fehlzeit abwenden. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unterbrechung einer Fortbildungsmaßnahme, Geltendmachung ohne schuldhaftes Zögern, Aufstiegsfortbildungsförderungsleistungen, Rückforderung, schuldhaftes Zögern, Aufstiegsfortbildung, regelmäßige Teilnahme, Auflage, Fehlzeit, Krankheit, Unterbrechung, Abbruch, Erklärung, Zweifel an der Richtigkeit, Berufungszulassung
Vorinstanz:
VG München, Gerichtsbescheid vom 19.08.2021 – M 15 K 20.3381
Fundstelle:
BeckRS 2022, 37171

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1
Die Klägerin verfolgt mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung ihr Klageziel gegen die Rückforderung von Aufstiegsfortbildungsförderungsleistungen durch die Beklagte weiter.
I.
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1. Die Klägerin beantragte bei der Beklagten am 22. August 2017 und am 10. Juli 2018 jeweils Förderung nach dem AFBG (Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz) mit dem Ziel des Besuchs einer Maßnahme zur staatlich anerkannten Erzieherin an der Fachakademie für Sozialpädagogik München von September 2017 bis August 2020.
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Mit Bescheiden vom 22. September 2017, 1. August 2018 und vom 9. Mai 2019 wurden der Klägerin Leistungen nach dem AFBG von monatlich 682,- Euro gewährt sowie zusätzlich mit Bescheid vom 17. Juni 2019 ein Maßnahmebeitrag in Höhe von 250,- Euro, jeweils mit dem Hinweis, dass die Förderung hinsichtlich der regelmäßigen Teilnahme an der Maßnahme unter dem Vorbehalt der Einstellung und Rückforderung geleistet werde. Eine Unterbrechung der Maßnahme aus wichtigem Grund (z.B. Schwangerschaft oder Krankheit) sei umgehend mitzuteilen und nachzuweisen.
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2. Mit Bescheid vom 17. Dezember 2019 hob die Beklagte die Bewilligung der Leis tungen für das zweite Maßnahmejahr 8/2018 bis 7/2019 auf und forderte den entsprechenden Betrag in Höhe von 3.480,- Euro zurück. Im ersten Studienjahr habe die Klägerin nach den vorgelegten Nachweisen der Bildungsstätte zwar eine Teilnahmequote von 71,14% erreicht, im zweiten Studienjahr jedoch nur von 57,91%
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3. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 30. Dezember 2019 Widerspruch ein,
in dem sie für verschiedene Zeiträume zwischen dem 27. September 2018 und dem 24. Mai 2019 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorlegte. Somit sei die erforderliche Teilnahmequote von 70% auch im 2. Studienjahr erbracht.
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4. Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 2. Juli 2020 zurückgewiesen. Unter Rückforderung auch des Zuschussbeitrags zum Maßnahmebeitrag wurde die Rückforderung auf einen Betrag von insgesamt 3.580,- Euro festgesetzt. Der Bewilligungsbescheid habe unter dem Vorbehalt gestanden, dass die Teilnahme regelmäßig erfolge. Bei länger andauernder Erkrankung hätte eine Unterbrechung angezeigt werden müssen. Nach § 7 Abs. 3a AFBG hätte dann jeweils nach Beendigung der Krankheitszeiten die Maßnahme wiederaufgenommen werden können. Eine ausdrückliche Erklärung, wie vom Gesetz verlangt, sei nicht rechtzeitig erfolgt. Fördergegenstand sei schließlich die Teilnahme und nicht der erfolgreiche Abschlusss. Die Teilnahmequote von 57,91% statt 70% im 2. Studienjahr begründe die Rückforderung der Beklagten.
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5. Dagegen erhob die Klägerin am 28. Juli 2020 Klage zum Bayerischen Verwaltungs gericht München und beantragte, den Bescheid der Beklagten vom 17. Dezember 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Juli 2020 aufzuheben. Sie habe sich in der fraglichen Zeit in einer aufwändigen Zahnbehandlung befunden. Die prothetische Versorgung hätte bei ihr einen schwerwiegenden Verlauf genommen, weshalb sie sogar Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche gegen die Zahnärztin geltend gemacht habe. Die von ihr errechnete Teilnahmequote ohne die Zahnbehandlung ergebe im zweiten Studienjahr 75,61%. Es habe sich um jeweils unvorhersehbare Kurzerkrankungen gehandelt. Eine Unterbrechung komme, so die Klägerin, nur in Frage, wenn längerfristig keine Möglichkeit bestehe, am Unterricht teilzunehmen.
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Die Beklagte erwiderte, dass § 9 Abs. 1 Satz 4 AFBG nicht danach unterscheide, ob die Fehlzeiten unentschuldigt oder entschuldigt seien. Die gesetzliche Pauschalierung von 70% berücksichtige Krankheiten und sonstige (z.B. familiär bedingte) Verhinderungen ausreichend. Besondere Härten gleiche dann § 7 Abs. 4, Abs. 4a AFBG aus, der aber eine ausdrückliche Erklärung der Unterbrechung fordere.
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Mit Gerichtsbescheid vom 19. August 2021 wurde die Klage abgewiesen. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, so das Verwaltungsgericht, seien keine Unterbrechungserklärungen im Sinne von § 7 Abs. 4a AFBG, zudem wären sie zu spät vorgelegt worden.
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6. Gegen die verwaltungsgerichtliche Entscheidung wendet sich die Klägerin nunmehr mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung vom 21. September 2021. Mit Zulassungsbegründung vom 2. November 2021 macht sie ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Gerichtsbescheides im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend. Eine Unterbrechung im Sinne des AFBG wäre erst in Frage gekommen, wenn es der Klägerin absehbar und auf längere Sicht unmöglich geworden wäre, zum Unterricht zu erscheinen. Beides träfe nicht zu. Im Übrigen sei eine Entscheidung nach § 16 AFBG womöglich eine Ermessensentscheidung.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die dem Senat vorliegenden Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da die von der Klägerin geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Gerichtsbescheides im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht bestehen.
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1. Die Klägerin hat, wie vom Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, die Ausbildung zur Erzieherin zwar absolviert und die Prüfung bestanden, aber die erforderliche Teilnahmequote am Unterricht von 70%, s. § 9a Abs. 1 Satz 4 AFBG, im zweiten Studienjahr weit verfehlt. Ihre Krankheitszeiten, die zur Verhinderung der regelmäßigen Teilnahme am Unterricht führten, hat sie weder rechtzeitig noch ausdrücklich geltend gemacht.
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Die Rückforderung nach § 16 Abs. 2 i.V.m. Abs. 5 AFBG ist zurecht erfolgt, da mit der Leistungsbewilligung der Vorbehalt der regelmäßigen Teilnahme verbunden worden ist (§ 9a Abs. 1 Satz 5 AFBG). Bei der Rückforderung handelt es sich zudem laut dem Gesetzestext des § 16 Abs. 2 AFBG um eine gebundene Entscheidung. Vorliegend bestand die Maßnahme aus zwei Unterrichtsjahren, also zwei Maßnahmeabschnitten, was unbestritten ist, so dass im zweiten Unterrichtsjahr die erforderliche Teilnahmequote von 70% nicht erreicht wurde und insoweit die Rückforderung erfolgen musste, § 16 Abs. 5 AFBG.
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2. Die Klägerin versuchte sodann vergeblich, die Rechtsfolgen des § 16 Abs. 2 AFBG durch die (verspätete) Vorlage der Krankheitsbescheinigungen abzumildern. Ein solches Vorgehen ist jedoch nicht schutzwürdig (vgl. BayVGH, B.v. 05.11.2019 - 12 ZB 19.32 - juris Rn. 18), denn die Klägerin hat im vorliegenden Fall die Voraussetzungen des § 7 Abs. 4a AFBG nicht erfüllt.
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§ 7 Abs. 4a AFBG sieht vor, dass eine Unterbrechung einer Fortbildungsmaßnahme der ausdrücklichen Erklärung bedarf (Satz 1), ferner dass die Erklärung nur insoweit auf einen vor dem Eingang bei der zuständigen Behörde liegenden Zeitpunkt zurückwirkt, wie sie ohne schuldhaftes Zögern erfolgt ist (Satz 2). Ausweislich der Gesetzesbegründung zur Einfügung von § 7 Abs. 4a AFBG durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes (BT-Drucks. 18/7055, S. 34) geht der Gesetzgeber davon aus, dass die damit verbundenen begünstigenden Rechtsfolgen grundsätzlich erst zum Zeitpunkt der Erklärung des Teilnehmers gegenüber der Behörde eintreten. Unterbleibt eine derartige Erklärung gegenüber der Behörde durch schuldhaftes Zögern, ergeben sich die Rechtsfolgen der nicht angezeigten Unterbrechungen aus den entsprechenden Bestimmungen, mithin aus § 16 Abs. 2 AFBG. Die Erklärung nach § 7 Abs. 4a AFBG wirkt nach dem Gesetzeswortlaut nur insoweit auf einen vor dem Eingang bei der zuständigen Behörde liegenden Zeitpunkt zurück, wie sie ohne schuldhaftes Zögern erfolgt ist. Die Vorlage der Krankheitsbescheinigungen erst mit Erhebung des Widerspruchs und damit nach Beendigung der Fortbildungsmaßnahme stellt indes ein schuldhaftes Zögern dar (vgl. BayVGH, B.v. 05.11.2019 - 12 ZB 19.32 -, juris Rn. 19). Die Klägerin war durch die Hinweise in den Förderbescheiden auch hinreichend belehrt und hätte im Zweifel bei der Beklagten rückfragen können und müssen. Eine entsprechende Unterbrechungserklärung wäre deshalb - selbst wenn sie ausdrücklich erklärt worden wäre (s. sub 3.) - im vorliegenden Fall weitaus verspätet erfolgt.
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Die gesetzlich pauschal zugebilligte Fehlzeitquote von 30% (vgl. § 9a Abs. 1 Satz 4 AFBG) ist vom Gesetzgeber angesichts der möglichen Verhinderungen auch großzügig bemessen, umgekehrt aber auch als zu beachtende Grenze explizit und strikt festgelegt (vgl. BT-Drs. 18/7055, S. 38 ff.), wodurch es bei einer Fehlzeit von über 30% nicht auf Entschuldbarkeit ankommt. Hierfür gilt dann allenfalls § 7 Abs. 4 AFBG i.V.m. § 7 Abs. 4a AFBG, der besonderen Härten Rechnung trägt. Die Klägerin hat jedoch nicht dargelegt, inwiefern hier kein schuldhaftes Zögern im Sinne von § 7 Abs. 4a Satz 2 AFBG vorliegt und ist daher hinsichtlich der Rechtsfolgen der Ausbildungsunterbrechungen nach § 16 Abs. 2 AFBG zu behandeln.
18
Die Rückforderung nach § 16 Abs. 2 i.V.m. Abs. 5 AFBG - deren Höhe mit der Zulassungsbegründung nicht angegriffen wird - ist deshalb zurecht erfolgt, da mit der Leistungsbewilligung der Vorbehalt der regelmäßigen Teilnahme verbunden wurde (§ 9a Abs. 1 Satz 5 AFBG). § 7 Abs. 4 AFBG regelt explizit den Fall einer längeren Abwesenheit vom Unterricht wegen Krankheit oder Schwangerschaft im Sinne einer Unterbrechung, ohne dass aus diesem Grund die Maßnahme abgebrochen wird. Dabei gilt die Vorschrift entgegen der Auffassung der Klägerin auch für kürzere Unterbrechungen, die zunächst nicht absehbar sind, da eine Unterbrechungserklärung erfolgen kann, sobald die Fehlzeit eintritt und diese spätere Erklärung nach § 7a Abs. 4a Satz 2 AFBG Rückwirkung entfaltet, sofern sie ohne schuldhaftes Zögern abgegeben wird. Hätte die Klägerin mithin die krankheitsbedingten Fehlzeiten durch ausdrückliche Erklärungen rechtzeitig angezeigt, so wären die entsprechenden Zeiten nicht auf die pauschaliert zulässige Fehlzeit (100 minus 70%, also 30%) nach § 9a Abs. 1 Satz 4 AFBG anzurechnen gewesen. Gerade dies hat sie jedoch unterlassen.
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3. Die Klägerin hat darüber hinaus die notwendigen Erklärungen auch nicht ausdrück lich abgegeben (§ 7 Abs. 4a AFBG). Die alleinige Zusendung von Krankheitsbescheinigungen im Widerspruchsverfahren enthält nicht die für die Anwendung des § 7 Abs. 4a Satz 2 AFBG notwendige Unterbrechungserklärung, die laut dem Gesetz ausdrücklich zu erfolgen hat. Dies gilt auch dann, wenn es sich um viele kleine Unterbrechungen handelt. Damit sind die krankheitsbedingten Fehlzeiten (bei der Klägerin 42,09% insgesamt im zweiten Studienjahr) den gesetzlich mit 30% pauschalierten - höchstens zulässigen - Fehlzeiten zuzuordnen.
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Die Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Richtigkeitszweifel an der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung kommt demzufolge nicht in Betracht.
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4. Die Klägerin trägt nach § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden in Angelegenheiten des Ausbildungsförderungsrechts nach § 188 Satz 2 i.V.m. Satz 1 VwGO nicht erhoben. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das verwaltungsgerichtliche Urteil nach § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig.
22
Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 2 VwGO unanfechtbar.