Titel:
Anspruchseinschränkung bei angeordneter Abschiebung
Normenketten:
AsylbLG § 1a Abs. 7, § 11 Abs. 4 Nr. 2
SGG § 86a Abs. 2 Nr. 4, § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 86b Abs. 2
Leitsätze:
1. § 1a Abs. 7 AsylbLG erfordert kein pflichtwidriges Verhalten. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 1a Abs. 7 AsylbLG ist nicht verfassungswidrig; eine Absenkung im Hinblick auf das soziokulturelle Existenzminimum ist möglich. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylbewerber, bereits laufendes Asylverfahren außerhalb Deutschlands, Abschiebung, Anspruchseinschränkung, Eilrechtsschutz, verfassungsgemäß, soziokulturelles Existenzminimum
Rechtsmittelinstanz:
LSG München, Beschluss vom 20.12.2022 – L 8 AY 131/22 B ER
Fundstelle:
BeckRS 2022, 37106
Tenor
I. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin B, B-Stadt, wird abgewiesen.
Gründe
1
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner Anspruch auf vorläufig höhere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für den Zeitraum vom 01.08.2022 bis 31.01.2023 haben. Umstritten ist eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG.
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Der am ... 1986 geborene Antragsteller zu 1. lebt mit dem am ... 2012 geborenen Antragsteller zu 2., seinem Sohn, in der ihnen zugewiesenen dezentralen Unterkunft in A-Stadt. Die Antragsteller sind nach eigenen Angaben afghanische Staatsangehörige. Sie reisten am 22.01.2022 in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein. Am 09.03.2022 haben sie Antrag auf Asyl gestellt. Die Anträge der Antragsteller wurden mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 24.05.2022 als unzulässig abgelehnt, weil Italien für die Behandlung der Asylanträge zuständig sei. Die Abschiebung der Antragsteller nach Italien wurde angeordnet. Dagegen haben die Antragsteller am 02.06.2022 vor dem Verwaltungsgericht Würzburg Klage erhoben (W 1 K 22.50211); ein Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) wurde nicht gestellt.
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Nach der Verwaltungsakte des Antragsgegners ist die dem Antragsteller zu 1. am 25.01.2022 erteilte Aufenthaltsgestattung erloschen; der Antragsteller zu 1. ist seit 08.06.2022 vollziehbar ausreisepflichtig.
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Die Antragsteller sind seit dem 13.07.2022 durch Bescheid der Regierung von Unterfranken vom 07.07.2022 dem Antragsgegner zugewiesen. Die Antragsteller beantragten am 18.07.2022 die Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG.
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Nach Aktenlage und Auskunft des Antragsgegners mit Schriftsatz vom 10.11.2022 wurden den Antragstellern für den Monat Juli 2022 Leistungen nach dem AsylbLG durch das Sozialamt des Landratsamtes B-Stadt gewährt.
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Für die Monate August und September 2022 gewährte der Antragsgegner den Antragstellern – ohne förmlichen Bescheid – für Lebensmittel, Gesundheits- und Körperpflege Warengutscheine. Leistungen im Hinblick auf den notwendigen persönlichen Bedarf der Antragsteller wurden durch den Antragsgegner nicht gewährt. Der Bedarf für Unterkunft und Heizung wurde durch Sachleistungen gedeckt.
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Dem Antragsgegner wurde durch das Landratsamt B-Stadt am 14.07.2022 der Bescheid des BAMF vom 24.05.2022 übersandt.
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Nach der Anhörung mit Schreiben vom 15.07.2022 nahm der Antragsteller zu 1. mit bei dem Antragsgegner am 03.08.2022 eingegangenem Schreiben Stellung und erklärte, die Polizei habe ihn und seinen Sohn in Italien aufgegriffen und gesagt, er dürfe nicht bleiben. Sein Sohn habe Angst gehabt und deshalb seien sie nach Deutschland weitergereist.
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Der Antragsgegner bewilligte den Antragstellern mit Bescheid vom 02.09.2022 für den Zeitraum vom 01.08.2022 bis 31.01.2023 Leistungen nach § 1a Abs. 7 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 AsylbLG für Unterkunft einschließlich Heizung als Sachleistung sowie für Ernährung, Körper- und Gesundheitspflege in Form von Warengutscheinen in Höhe von 164,00 Euro für den Antragsteller zu 1. und in Höhe von 136,00 Euro für den Antragsteller zu 2. sowie Leistungen der Krankenhilfe nach § 4 AsylbLG.
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Hiergegen erhob die Prozessbevollmächtige der Antragsteller am 16.09.2022 Widerspruch, über den noch nicht entschieden wurde.
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Am 20.10.2022 stellte die Prozessbevollmächtigte der Antragsteller beim Sozialgericht Würzburg einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 16.09.2022 gegen den Bescheid vom 02.09.2022.
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Die Prozessbevollmächtigte der Antragsteller trägt vor, die Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG sei rechtswidrig, weil keine vorwerfbare Pflichtverletzung der Antragsteller vorliege. Voraussetzungen einer Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG sei – unter Verweis auf den Beschluss des Bay. LSG vom 11.04.2022, L 8 AY 34/22 B ER), dass der Leistungsberechtigte über seine Ausreisepflicht belehrt und auf mögliche leistungsrechtlichen Folgen beim Verbleib in Deutschland hingewiesen wurde. Eine Anhörung in diesem Sinne habe nicht stattgefunden.
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Die Prozessbevollmächtigte der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 16.09.2022 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 02.09.2022 anzuordnen und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller zu 1. für den Zeitraum vom 01.08.2022 bis zum 31.01.2023 vorläufig Leistungen gemäß den §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 2 lit. b), Abs. 2 Nr. 2 lit. b) AsylbLG (Regelbedarfsstufe 2) sowie dem Antragsteller zu 2. für den Zeitraum vom 01.08.2022 bis zum 31.01.2023 vorläufig Leistungen gemäß den §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 Nr. 5 AsylbLG (Regelbedarfsstufe 5) in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
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Der Antragsgegner beantragt,
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Der Antragsgegner meint, es sei weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden. Es liege ein Fehlverhalten der Antragsteller vor. Dieses manifestiere sich in der nicht erfolgten Ausreise innerhalb einer Woche, welche mit Bescheid des BAMF vom 24.05.2022 bekanntgegeben wurde. Eine Ausreise nach Italien sei auch möglich gewesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des ergänzenden Vortrages der Beteiligten wird auf die Akte des Gerichts und die beigezogene Akte des Antragsgegners verwiesen.
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Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist zulässig, aber nicht begründet.
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Zunächst ist festzuhalten, dass die Antragsteller im vorliegenden Verfahren – trotz des anderslautenden expliziten, von der Prozessbevollmächtigten der Antragsteller gestellten Antrages – zwei Rechtsschutzbegehren verfolgen. Zum einen begehren die Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 16.09.2022 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 02.09.2022. Dieser Antrag ist zulässig, aber unbegründet (im Folgenden unter Ziffer 1). Zum anderen begehren die Antragsteller unter Zugrundelegung des Meistbegünstigungsprinzips auch den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der der Antragsgegner zur vorläufigen Gewährung von Leistungen der Regelbedarfsstufe 2 und 5 nach den §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 2 lit. b), Abs. 2 Nr. 2 lit. b) AsylbLG und den §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 Nr. 5 AsylbLG für den Zeitraum vom 01.08.2022 bis zum 31.01.2023 verpflichtet werden soll. Denn allein mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 16.09.2022 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 02.09.2022 erhalten die Antragsteller noch nicht die begehrten Leistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG. Denn ein entsprechender vorausgegangener Bescheid des Antragsgegners fehlt. Den Antragstellern wurden durch den Antragsgegner bislang lediglich – ohne förmlichen Bescheid – Warengutscheine für Lebensmittel, Gesundheits- und Körperpflege, aber keine Leistungen im Hinblick auf den notwendigen persönlichen Bedarf gewährt. Der Bedarf für Unterkunft und Heizung wurde durch Sachleistungen gedeckt. Auch dieser Antrag ist zulässig, aber unbegründet (im Folgenden unter Ziffer 2).
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Als kombinierter Antrag ist der Antrag der Antragsteller statthaft, da in der Hauptsache eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zu erheben ist.
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1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 16.09.2022 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 02.09.2022 ist zulässig, aber unbegründet.
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Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist in der vorliegenden Fallgestaltung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise in den Fällen anordnen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben. Vorliegend hat der Widerspruch der Prozessbevollmächtigten der Antragsteller vom 16.09.2022 nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 11 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG keine aufschiebende Wirkung. Denn gemäß § 11 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, mit dem eine Einschränkung des Leistungsanspruchs nach § 1a AsylbLG festgestellt wird, keine aufschiebende Wirkung.
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Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 16.09.2022 gegen den Bescheid vom 02.09.2022 ist nicht nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG anzuordnen.
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Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung anordnen, wenn ein überwiegendes Interesse des Antragstellers als durch den Verwaltungsakt Belasteten am Nichtvollzug gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit feststellbar ist. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss dabei eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme bleiben (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 12c m.w.N.), da in den Fällen des § 86a Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGG, und damit auch im Falle des hier einschlägigen § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 11 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG dem Gesetz ein Regel-Ausnahmeverhältnis zu Ungunsten des Suspensiveffektes zu entnehmen ist, weil der Gesetzgeber zunächst einmal die sofortige Vollziehbarkeit angeordnet hat.
24
Den Erfolgsaussichten der Hauptsache kommt dabei entscheidende Bedeutung zu. Ist der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig und der Betroffene dadurch in seinen subjektiven Rechten verletzt, wird die aufschiebende Wirkung angeordnet. Ist die Hauptsache aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Sind die Erfolgsaussichten offen, ist eine allgemeine Interessenabwägung vorzunehmen, wobei die Aussichten des Hauptsacheverfahrens mit mitberücksichtigt werden können (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 12f). In die Abwägung sind insbesondere die Folgen einzubeziehen, die eintreten würden, wenn die Eilentscheidung nicht erginge, die Klage aber später Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte Eilentscheidung erlassen würde, der Klage aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 12f); Krodel: Der sozialgerichtliche einstweilige Rechtsschutz in Anfechtungssachen, NZS 2001, 449, 456).
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Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist die aufschiebende Wirkung nicht anzuordnen, denn die Aussichten für das Hauptsacheverfahren gegen den angefochtenen Bescheid des Antragsgegners vom 02.09.2022 sind wenig erfolgversprechend.
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Nach summarischer Prüfung bestehen für das Gericht keine durchgreifenden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 02.09.2022.
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Der Bescheid ist formell rechtmäßig, insbesondere ist von einer ordnungsgemäßen Anhörung (§ 28 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz – BayVwVfG) der Antragsteller auszugehen. Vor Erlass des Bescheides vom 02.09.2022 wurde den Antragstellern mit Schreiben des Antragsgegners vom 15.07.2022 die Möglichkeit gegeben, bis zum 28.07.2022 von ihren Anhörungsrecht Gebrauch zu machen. Die Antragsteller haben von ihrem Recht Gebrauch gemacht und mit bei dem Antragsgegner am 03.08.2022 eingegangenem Schreiben Stellung genommen.
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Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass das Gesetz für die – wie hier – Fälle des § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG, ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zulasten des Suspensiveffektes vorsieht. Der Gesetzgeber hat die sofortige Wirkung zunächst einmal angeordnet und damit dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug prinzipiell den Vorrang gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Betroffenen eingeräumt. Davon abzuweichen besteht nur Anlass, wenn ein überwiegendes Interesse des durch den Verwaltungsakt Belasteten feststellbar ist. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme bleiben (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 12c) und ist in der Regel nur dann gerechtfertigt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen (Bay. LSG, Beschluss vom 20.12.2012, L 7 AS 862/12 B ER).
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Das Gericht hat keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 02.09.2022. Denn die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine nur eingeschränkte Leistungsgewährung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG sind erfüllt.
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Gemäß § 1a Abs. 7 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder 5, deren Asylantrag durch eine Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 31 Abs. 6 des Asylgesetzes als unzulässig abgelehnt wurde und für die eine Abschiebung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 zweite Alternative des Asylgesetzes angeordnet wurde, nur Leistungen entsprechend Absatz 1 der Norm, auch wenn die Entscheidung noch nicht unanfechtbar ist. Dies gilt nicht, sofern ein Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung angeordnet hat. Nach § 1a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG werden diesen Personen bis zu ihrer Ausreise oder der Durchführung ihrer Abschiebung nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege gewährt. Nur soweit im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, können ihnen auch andere Leistungen im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG gewährt werden. Die Leistungen sollen als Sachleistungen erbracht werden.
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Die Antragsteller sind leistungsberechtigt nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG, da ihre Asylanträge mit Bescheid des BAMF vom 24.05.2022 nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung nach Italien angeordnet wurde.
32
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1a Abs. 7 AsylbLG sind für das Gericht damit erfüllt. Dem Wortlaut der Norm ist, anders als die Prozessbevollmächtigte der Antragsteller vorträgt, nicht zu entnehmen, dass § 1a Abs. 7 AsylbLG ein pflichtwidriges Verhalten voraussetzt.
33
Den Antragstellern stehen damit nur Leistungen entsprechend § 1a Abs. 7 i.V.m. Abs. 1 AsylbLG zu. Nachdem der notwendige persönliche Bedarf in § 1a Abs. 7 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 AsylbLG nicht genannt wird, ist er von der entsprechenden Leistungseinschränkung vollumfänglich umfasst. Was den notwendigen Bedarf angeht, wird dieser durch § 1a Abs. 7 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 AsylbLG regelhaft auf Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege beschränkt. Der vom Antragsgegner gewährte Leistungsumfang entspricht dem im Gesetz geregelten Umfang (§ 1a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG).
34
Die Leistungen umfassen den Bedarf an physischem Existenzminimum. Weitergehende Leistungen sind nicht vorgesehen. Das Gericht hat auch keine Bedenken im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift (so auch SG Osnabrück, Beschluss vom 27.01.2020, S 44 AY 76/19). Auch verfassungsrechtliche Bedenken in Bezug auf die Absenkung des Leistungsniveaus hat das Gericht keine. Eine Absenkung im Hinblick auf das soziokulturelle Existenzminimum ist möglich (vgl. Hohm, Kommentar AsylbLG, § 1a Rn. 189). Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, uneingeschränkt Leistungen zu gewähren. Ein voraussetzungsloser Anspruch auf Sozialleistungen existiert nicht (vgl. Cantzler, AsylbLG, § 1a Rn. 33). Es ist dem Gesetzgeber vielmehr erlaubt, die Leistungsgewährung an Voraussetzungen zu knüpfen. Die Gewährung eingeschränkter Leistungen nach dem AsylbLG ist in den von der Vorschrift erfassten Fällen durch die gesetzgeberische Zielsetzung gedeckt, einem Verhalten entgegen zu wirken, bei dem im Widerspruch zum europäischen Asylsystem trotz eines bereits anderweitig laufenden Asylverfahrens in Deutschland Sozialleistungen zur Bestreitung des Lebensunterhalts in Anspruch genommen werden (so auch Bay. LSG, Beschluss vom 08.07.2019, L 18 AY 21/19 B ER). Dem Antragsteller droht im vorliegenden Fall keine Obdachlosigkeit; die Nahrungs- und Gesundheitsversorgung ist in ausreichendem Maße sichergestellt. Auch vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 05.11.2019 (1 BvL 7/16) sieht das Gericht daher im Rahmen einer summarischen Prüfung vorliegend keinen grundrechtsrelevanten Verstoß durch die Leistungseinschränkung (vgl. auch Cantzler, AsylbLG, § 1a Rn. 56).
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Der Antragsgegner hat die Einschränkung der Leistungen auf die Zeit vom 01.08.2022 bis zum 31.01.2023 begrenzt und damit die 6-Monats-Vorgabe des § 14 Abs. 1 AsylbLG eingehalten.
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Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung kommt das erkennende Gericht zu dem Ergebnis, dass das Interesse des Leistungsträgers an der Vermeidung ungerechtfertigter Leistungen dasjenige der Antragsteller an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs überwiegt. Denn das erkennende Gericht hat auf Grundlage des aktuellen Sach- und Streitstandes keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vom Antragsgegner gewährten einschränkenden Leistungen nach § 1a Abs. 7 AsylbLG. Die Antragsteller werden bei einem Zuwarten in der Hauptsache auch nicht vor vollendete Tatsachen gestellt, sondern erhalten im Falle des Obsiegens eine Nachzahlung. Der Umfang der Einschränkung, denen sie aufgrund der Leistungseinschränkung unterliegen und die damit für sie einhergehende drohende Rechtsverletzung ist nicht so gravierend, dass für sie ein Abwarten der Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zuzumuten ist. Die Unterbringung der Antragsteller und ihre Nahrungs- und Gesundheitsversorgung ist in ausreichendem Maße sichergestellt.
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Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 16.09.2022 gegen den Bescheid vom 02.09.2022 ist daher als unbegründet abzulehnen.
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2. Darüber hinaus ist auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der der Antragsgegner zur vorläufigen Gewährung von Leistungen der Regelbedarfsstufe 2 bzw. 5 nach den §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 2 lit. b), Abs. 2 Nr. 2 lit. b) AsylbLG und den §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 Nr. 5 AsylbLG für den Zeitraum vom 01.08.2022 bis zum 31.01.2023 verpflichtet werden soll, zulässig, aber unbegründet.
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Statthafter Rechtsbehelf ist insoweit der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in Form einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG, weil die Antragsteller nicht die Sicherung einer bestehenden Rechtsposition, sondern die Erweiterung ihrer Rechtsposition in Form der Geltendmachung eines Leistungsanspruchs begehren.
40
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das vom Antragsteller geltend gemachte Recht (sog. Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit, d. h. die Dringlichkeit, die Angelegenheit sofort vor einer Entscheidung in der Hauptsache vorläufig zu regeln (sog. Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
41
Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu ermitteln. Können ohne die Gewährung von Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (Bundesverfassungsgericht – BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005,1 BvR 569/05). Liegt ein Anordnungsanspruch nicht vor, ist ein schützenswertes Recht zu verneinen und der Eilantrag abzulehnen. Hat die Hauptsache hingegen offensichtlich Aussicht auf Erfolg, ist dem Eilantrag stattzugeben, wenn die Angelegenheit eine gewisse Eilbedürftigkeit aufweist. Bei offenem Ausgang muss eine umfassende Interessenabwägung erfolgen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, § 86b, Rn. 29a). Die besondere Eilbedürftigkeit, die den Anordnungsgrund kennzeichnet, ist zu bejahen, wenn dem Antragsteller unter Berücksichtigung auch der widerstreitenden öffentlichen Belange ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, § 86b, Rn. 28).
42
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist der vorliegende Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unbegründet, weil es den Antragstellern nicht gelungen ist, einen Anordnungsanspruch auf Gewährung von Leistungen der Regelbedarfsstufe 2 und 5 nach den §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 2 lit. b), Abs. 2 Nr. 2 lit. b) AsylbLG und den §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 Nr. 5 AsylbLG für den Zeitraum vom 01.08.2022 bis zum 31.01.2023 glaubhaft zu machen. Dem geltend gemachten Anspruch steht im vorliegenden Fall bereits der Umstand entgegen, dass der Antragsgegner – wie oben ausgeführt – in sofort vollziehbarer Weise eine Einschränkung des Leistungsanspruchs der Antragsteller nach § 1a Abs. 7 AsylbLG vorgenommen hat. Als Rechtsfolge sieht § 1a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG ausdrücklich vor, dass die betreffenden Leistungsberechtigten keinen Anspruch auf Leistungen unter anderem nach § 3 AsylbLG haben.
43
Im Übrigen ist für das Gericht auch kein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden. Eine Eilbedürftigkeit für die Antragsteller kann das Gericht unter Berücksichtigung dessen, dass der Bescheid am 02.09.2022 ergangen ist, der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz aber erst am 20.10.2022 gestellt wurde, nicht erkennen.
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Aus den vorgenannten Gründen konnte der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz keinen Erfolg haben.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens.
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4. Das Gericht geht von einem Streitwert über 750 Euro aus.
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Die Antragsteller begehren für den Zeitraum vom 01.08.2022 bis zum 31.01.2023 Leistungen der Regelbedarfsstufe 2 bzw. 5 nach den §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 2 lit. b), Abs. 2 Nr. 2 lit. b) AsylbLG und den §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 Nr. 5 AsylbLG, also den vollen monatlichen Bedarf in Höhe von 330 Euro bzw. 283 Euro. Aktuell erhalten die Antragsteller lediglich den notwendigen Bedarf der genannten Regelbedarfsstufe – teils als Sachleistung sowie teils als Geldleistung – der rechnerisch seit 01.01.2022 183 Euro bzw. 174 Euro beträgt. Ausgehend von der Differenz zu den begehrten Leistungen und dem streitgegenständlichen Zeitraum übersteigt der Streitwert die maßgebliche Beschwerdesumme (vgl. §§ 172, 173 Abs. 2 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).
48
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die Angelegenheit aufgrund der obigen Ausführungen auch unter Zugrundelegung einer weiten Auslegung des § 114 ZPO keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO). Da die Entscheidungsreife von Eilantrag und Prozesskostenhilfeantrag zum selben Zeitpunkt vorlag, ist die Entscheidung gleichzeitig ergangen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 16).