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BayObLG, Urteil v. 08.12.2022 – 206 StRR 220/22
Titel:

Parole "Serok Öcalan" als "Kennzeichen" der PKK iSd § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 VereinsG – Erforderliche Feststellungen

Normenketten:
VereinsG § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, Nr. 5
StPO § 267 Abs. 1
GVG § 74 Abs. 3, § 74a Abs. 1 Nr. 4
EMRK Art. 10
Leitsätze:
1. Zu den erforderlichen Feststellungen hinsichtlich eines Verstoßes gegen das Verbot der öffentlichen Verwendung der Kennzeichen eines verbotenen Vereins gem. § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG ("Serok Öcalan"). (Rn. 5 – 10)
2. Zur (erstinstanzlichen) Zuständigkeit der Staatsschutzkammer bei Verstoßen gegen das vereinsrechtliche Betätigungsverbot gem. § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG. (Rn. 12 und 17)
3. § 20 Abs. I Nr. 5 VereinsG 1st lex specialis im Verhältnis zu § 20 Abs. I Nr. 4 VereinsG. (Rn. 19)
1. In Literatur und Rechtsprechung werden als Kennzeichen iSd § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 VereinsG – wie für § 86a Abs. 1 StGB – optisch oder akustisch wahrnehmbare Symbole und Sinnesäußerungen begriffen, durch die der Verein auf sich und seine Zwecke hinweist, intern sollen Kennzeichen den Zusammenhalt der Vereinsmitglieder stärken. Ausreichend ist, dass sich ein Verein ein bestimmtes Symbol – etwa durch formale Widmung oder durch schlichte Übung – derart zu eigen gemacht hat, dass dieses zumindest auch als sein Kennzeichen erscheint. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Prüfung, ob überhaupt ein Kennzeichen vorliegt, sind die außerhalb desselben liegenden Umstände seiner Verwendung außer acht zu lassen, ein Kennzeichen muss vielmehr in seinem auf den verbotenen Verein hinweisenden Symbolgehalt aus sich heraus verständlich sein. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Führer Öcalan, PKK, Kennzeichen eines verbotenen Vereins, Feststellungen, vereinsrechtliches Betätigungsverbot, Zuständigkeit, Meinungsfreiheit
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 15.12.2021 – 25 Ns 111 Js 139455/18
Fundstelle:
BeckRS 2022, 36844

Tenor

I. Auf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München I vom 15. Dezember 2021 mitsamt den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurückverwiesen.

Entscheidungsgründe

I.
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Mit Strafbefehlsantrag vom 29. Juni 2020 wurde dem Angeklagten zur Last gelegt, am 26. Oktober 2019 als Teilnehmer einer sich fortbewegenden Versammlung „Stoppt die türkische Invasion in Nordsyrien - Wir verteidigen Rojava“ in München die Parole „Serok Öcalan“ (zu deutsch: „Führer Öcalan“) gerufen zu haben. Das Amtsgericht München hat den Angeklagten am 27. April 2021 wegen der Zuwiderhandlung gegen Verbote des Vereinsgesetzes zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 15 EUR verurteilt. Wegen zweier weiterer Verstöße gegen das Vereinsgesetz wurde er rechtskräftig freigesprochen. Das Verfahren betreffend weitere sieben Verstößen gegen das Vereinsgesetz hat das Amtsgericht am 9. Februar bzw. 27. April 2021 nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.
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Auf die gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 27. April 2021 gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht München I mit Urteil vom 15. Dezember 2021 den Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass von Strafe abgesehen wird und die weitergehende Berufung als unbegründet verworfen. Dagegen richten sich die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft.
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Die Staatsanwaltschaft meint, dass das Landgericht zutreffend von § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 VereinsG ausgegangen sei. Es habe allerdings verkannt, dass daneben auch § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 VereinsG erfüllt sei. Widersprüchlich sei es, wenn das Landgericht einerseits davon ausgehe, dass der Angeklagte ein führender Versammlungsteilnehmer gewesen sei, ihm andererseits aber bei der Strafzumessung zugutehalte, sein Tatbeitrag sei überschaubar gewesen. Die politische Überzeugung des Angeklagten hätte nicht strafmildernd berücksichtigt werden dürfen. Die „Mitläuferklausel“ des § 20 Abs. 2 VereinsG hätte nicht zur Anwendung gelangen dürfen. Die Revision des Angeklagten sei schon deshalb unbegründet, weil die freie Meinungsäußerung, auf die sich der Angeklagte berufe, nur im Rahmen der für alle geltenden, allgemeinen Gesetze ausgeübt werden könne. Eine gleiche Einschränkung gelte für die Ausübung der Rechte aus Art. 10 EMRK. Die Revision wird von der Generalstaatsanwaltschaft München vertreten. Sie beantragt, auf die Revision der Staatsanwaltschaft das Urteil des Landgerichts München I vom 15. Dezember 2021 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurückzuverweisen und die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 15. Dezember 2021 durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO kostenpflichtig als unbegründet zu verwerfen.
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Der Angeklagte rügt die Verletzung materiellen Rechts und hat nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist darauf verwiesen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenechte in mindestens zwei Entscheidungen deutlich gemacht habe, dass die Ausrufe: „Lang lebe Präsident Öcalan“ und „Es lebe der Führer Öcalan“ von der Meinungsfreiheit gedeckt und nicht strafbar seien. Der Angeklagte beantragt, ihn unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts München I vom 15. Dezember 2021 sowie des Urteils des Amtsgerichts München vom 27. April 2021 freizusprechen, hilfsweise das Urteil des Landgerichts München I aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen.
II.
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Das Urteil des Landgerichts ist bereits deswegen aufzuheben, weil es Beweisgründe und Beweiswürdigung vermissen lässt und damit den Anforderungen des § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht entspricht. Das ist auf die Sachrüge hin zu beachten (BGH, Beschluss vom 7. Mai 1998, 4 StR 88-98, NStZ-RR 1999, 45; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Auflage 2022, § 267 Rn. 42a).
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1. Das Landgericht hat lediglich ausgeführt, dass der Angeklagte das Ausrufen der Parole „Serok Öcalan“ eingeräumt habe. Die Polizeibeamtin habe den Ausruf gehört und die Stimme des Angeklagten eindeutig identifiziert. Die von den Vorgängen gefertigte Videoaufnahme sei in Augenschein genommen worden ebenso wie Blatt 141 d.A. aus dem Verfahren 111 JS 1094553/20, hierbei habe es sich um die beglaubigte Übersetzung des von den Versammlungsteilnehmern gesungenen Liedes gehandelt.
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2. Der vom Landgericht angewendete § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG stellt u.a. den Verstoß gegen das Verbot unter Strafe, Kennzeichen eines vollziehbar verbotenen Vereins öffentlich oder in einer Versammlung zu verwenden.
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a) Vorliegend hat das Landgericht keine Feststellungen dazu getroffen, dass der dem Angeklagten zur Last liegende Ausruf „Serok Öcalan“ das Kennzeichen eines verbotenen Vereins ist. Der Begriff des Kennzeichens ist nicht legal definiert. Zwar nimmt die Strafvorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG auf § 9 Abs. 2 VereinsG Bezug. Dort findet sich allerdings keine allgemein gültige Umschreibung dieses Tatbestandsmerkmals. Vielmehr werden lediglich beispielhaft insbesondere Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformeln als Kennzeichen genannt. In Literatur und Rechtsprechung werden als Kennzeichen im Sinne von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG - wie für § 86a Abs. 1 StGB - optisch oder akustisch wahrnehmbare Symbole und Sinnesäußerungen begriffen, durch die der Verein auf sich und seine Zwecke hinweist, intern sollen Kennzeichen den Zusammenhalt der Vereinsmitglieder stärken. Ausreichend ist, dass sich ein Verein ein bestimmtes Symbol - etwa durch formale Widmung oder durch schlichte Übung - derart zu eigen gemacht hat, dass dieses zumindest auch als sein Kennzeichen erscheint. Bei der Prüfung, ob überhaupt ein Kennzeichen vorliegt, sind die außerhalb desselben liegenden Umstände seiner Verwendung außer acht zu lassen, ein Kennzeichen muss vielmehr in seinem auf den verbotenen Verein hinweisenden Symbolgehalt aus sich heraus verständlich sein (BGH NJW 2015, 3590 Rn. 13 m.w.N.).
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b) Dazu hat das Landgericht festgestellt, dass Abdullah Öcalan als politischer Anführer der in Deutschland verbotenen Organisation PKK bzw. deren Nachfolge- und Teilorganisationen gelte und als solcher auftrete. In dieser Eigenschaft genieße er bei den Anhängern der Organisation teilweise personenkultartigen Status. Darstellungen oder Parolen betreffend seine Person dienten in gleicher Weise wie das klassische Symbol der PKK (fünfzackiger Stern mit Hammer und Sichel, umrandet mit dem Schriftzug der PKK) der Verkörperung der Organisation selbst und seien aufgrund ihres Emotionalisierungseffekts in besonderer Weise geeignet, den in Deutschland verbotenen Zusammenhalt der PKK zu fördern und nach außen hin unübersehbar zu demonstrieren. Der Ausruf „Serok Öcalan“ bringe unter den Anhängern der PKK bzw. deren Nachfolge- und Teilorganisationen eine Verherrlichung der Führerfigur Abdullah Öcalan allein in ihrer Rolle als Anführer der verbotenen Vereinigung PKK zum Ausdruck (UA S.5/6). Wie das Landgericht zu den vorstehend wiedergegebenen Schlüssen gekommen ist, lässt sich seinem Urteil allerdings nicht entnehmen. Das Landgericht hat insbesondere nicht festgestellt, dass sich die PKK die Parole „Serok Öcalan“ etwa durch formale Widmung oder durch schlichte Übung derart zu eigen gemacht hätte, dass dieser Ausruf zumindest auch als ihr Kennzeichen erscheint (vgl. BGH a.a.O.).
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c) Zudem sind die Feststellungen des Landgerichts zum subjektiven Tatbestand lückenhaft. Es führt aus, dass dem Angeklagten das vereinsrechtliche Verbot der PKK und ihrer Symbole bekannt gewesen sei, ohne die für seine Überzeugung sprechenden Indizien zu nennen. Dazu heißt es im Urteil, dass der Angeklagte den ihm zur Last gelegten Sachverhalt, das Ausrufen der Parole „Serok Öcalan“, eingeräumt habe. Allein daraus, dass der Angeklagte zugegeben hat, den inkriminierten Ausruf getätigt zu haben, ergibt sich nicht, dass dem Angeklagten das Verbot der PKK und - soweit es sich um ein Kennzeichen im Sinne von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr.5 VereinsG handelt - des Ausrufs der Parole „Serok Öcalan“ in einer öffentlichen Versammlung bekannt gewesen ist.
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3. Aufgrund der festgestellten Mängel war das Urteil des Landgerichts mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO) und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen (354 Abs. 2 StPO).
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a) Die Rückverweisung erfolgt trotz des Umstandes, dass hier auch eine Verurteilung nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Vereinsgesetz im Raum steht, an eine andere Strafkammer des LG München I, auch wenn hier - worauf die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 7. Juli 2022, Seite 4 zutreffend hingewiesen hat - eine Zuständigkeit der Staatsschutzkammer nach § 74a Abs. 1 Nr. 4 GVG in Betracht kommen könnte. Allerdings bezieht sich diese Zuständigkeit nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 74a Abs. 1 GVG nur auf erstinstanzliche Verfahren. Für die Zuständigkeit im Berufungsverfahren ist nach § 74 Abs. 3 GVG ausschließlich ausschlaggebend, welches Gericht in erster Instanz entschieden hat (BayObLG, Beschluss vom 1. Februar 1971, RReg. 7 St 11/71, NJW 1971, 953 unter Verweis auf Beschluss des BGH vom 30. Januar 1968, 1 StR 319/67, BGHSt 22, 48, 49 f.).
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b) Die Voraussetzungen für einen Freispruch durch das Revisionsgericht (§ 354 Abs. 1 StPO) liegen nicht vor. Soweit der Angeklagte sich darauf beruft, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in den beiden von ihm vorgelegten Urteilen vom 8. Oktober 2011 bzw. 22. Oktober 2019 (Fall 43807/07; Fall 9662/10; Übersetzung Bl. 665 und 689 ff d.A.) erkannt habe, dass die Parole „Serok Öcalan“ bzw. sinnentsprechende Parolen von der Meinungsfreiheit gedeckt seien, trifft dies zwar zu, verkennt allerdings, dass diese Entscheidungen jeweils im Zusammenhang mit Verurteilungen gemäß Art. 215 des türkischen Strafgesetzbuchs wegen der Billigung bzw. des Lobes von Straftaten und Straftätern erfolgt sind. Insoweit hatte die türkische Regierung nach Bewertung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte keine Tatsachen oder Argumente vorgebracht, die gegen einen Verstoß gegen Art. 10 EMRK sprachen.
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aa) Zutreffend verweist die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 7. Juli 2022, Seite 11 darauf, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte schon mit Urteil vom 27. Januar 2011 entschieden habe, Art. 10 EMRK stehe einer Verurteilung nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und 5 VereinsG nicht entgegen. Denn eine Verurteilung nach Maßgabe der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs diene dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und verfolge damit berechtigte Ziele im Sinne von Art. 10 Abs. 2 EMRK. Die insoweit auferlegten Strafen sollen der Einhaltung des gegen die PKK verhängten Betätigungsverbots dienen. Allerdings wird im vorliegenden Fall bei der Strafzumessung gegebenenfalls zu berücksichtigen sein, dass sich der Beschwerdeführer auf sein Recht zur politischen Betätigung bzw. Meinungsäußerung berufen hat (EGMR, NVwZ 2001, 1185 Rn. 57 bis 62).
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bb) Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann die Meinungsfreiheit mit dem Ziel der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung eingeschränkt werden. Das Kennzeichenverbot des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Vereinsgesetz ist in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, weil es einem nach dem Gewicht der Verbotsgründe dringenden sozialen Bedürfnis begegnet. Tatsächlich dient das gesetzliche Verbot der Verwendung von Kennzeichen von Organisationen, die unter der Berücksichtigung hoher verfassungsrechtlicher Anforderungen verboten worden sind, nicht als Mittel zur Bekämpfung anderer Meinungen oder Ideologien, sondern der Abwehr spezifischer, aus der organisierten Kraft einer Vereinigung entstehenden Gefahren für bestimmte überragende Rechtsgüter (BVerfG, Beschluss vom 9. Juli 2020, Az.: 1 BvR 2067/17,1 BvR 4 23/18,1 BvR 4 24/18, NVwZ 2020,1424 Rn. 44 bis 46).
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4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:
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a) In der erneuten Hauptverhandlung wird - falls sich eine Strafbarkeit nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr.5 VereinsG nicht feststellen lässt - entsprechend der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 7. Juli 2022, Seite 2 ff - ggf. zu prüfen sein, ob auch der Tatbestand des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG erfüllt sein könnte. An einem entsprechenden Schuldspruch nach vorherigem Hinweis gemäß § 265 Abs. 1 StPO hindert § 331 Abs. 1 StPO nicht, weil es sich um eine Schuldspruchänderung zulasten des Angeklagten handeln würde, die allerdings nur eine Strafe bis zur Höhe der vom Amtsgericht erkannten Rechtsfolge nach sich ziehen kann (MeyerGoßner/Schmitt, a.a.O., § 331 Rn. 8 m.w.N.). Demzufolge wäre ggf. eine Verweisung an die erstinstanzlich gem. § 74a Abs. 1 Nr. 4 GVG zuständige Staatsschutzkammer zu erwägen (Meyer/Goßner/Schmitt, a.a.O., § 328 Rn.9 f.; BayObLG, Beschluss vom 10. März 2000, 4 StRR 25/00, juris Rn. 5).
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b) Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 27. Juni 2013 (3 StR 109/13, NStZ 2013, 733) darauf hingewiesen, dass in dem Verwenden oder Verbreiten der Kennzeichen verbotener Vereine auch ein Verstoß gegen das Betätigungsverbot liegen kann, allerdings nur, wenn die weiteren Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG gegeben seien. Im entschiedenen Fall hatte der Angeklagten zur Last gelegen, nach Beendigung einer Demonstration einen kurzen Augenblick lang eine Fahne mit dem Porträt Öcalans über ihrem Kopf in die Höhe gehalten zu haben. Das führte zur Aufhebung des Freispruchs und Zurückverweisung an das Landgericht, weil dieses davon ausgegangen war, dass die bloße Verwendung eines Kennzeichens eines von einem vollziehbar Betätigungsverbot betroffenen Vereins nicht nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Vereins AG strafbar sei, obwohl der Gesetzgeber das Verwenden von Kennzeichen der von einem vollziehbaren Betätigungsverbot belegten Vereine ab 1. April 1998 durch Art. 4 Abs. 1 des Sechsten Gesetzes zur Reform des Strafrechts vom 26.1.1998 (BGBl. I, 164) unter Strafe gestellt hatte. Der Bundesgerichtshof sah sich zu dem ausdrücklichen Hinweis veranlasst, dass die zur Verurteilung führende Tätigkeit der Angeklagten eine „gewisse Erheblichkeitsschwelle“ habe überschreiten müssen. Das ist allerdings schon dann der Fall, wenn sich der Täter bei einer öffentlichen Demonstration durch den Ausruf einer Parole in Bezug auf die verbotene Vereinstätigkeit der PKK propagandistisch betätigt. Denn das Merkmal der gewissen Erheblichkeit der Zuwiderhandlung führt nicht dazu, dass nur schwerwiegende Verstöße von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG erfasst werden. Es dient nur dazu, tatbestandsmäßige von neutralen Handlungen abzugrenzen und stellt sicher, dass nur solches Verhalten bestraft wird, das gerade unter dem Gesichtspunkt der Verbotsgründe von Belang ist (BGH, Urteil vom 13. Juni 2019, 3 StR 133/19, NStZ 2020,362 Rn. 19).
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Erfüllt allerdings das Ausrufen der Parole „Serok Öcalan“ wegen der Verwendung eines Kennzeichens der PKK den Tatbestand des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG, kommt eine Verurteilung nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG nicht in Betracht, weil in diesem Fall § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG die Anwendung von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG als lex specialis ausschließen würde. Insoweit hat der Gesetzgeber durch Art. 4 Abs. 1 des Sechsten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (BGBl. I, 164) die Vorschrift für Kennzeichenstraftaten nach dem VereinsG generell erweitert und die verbotene Verwendung von Kennzeichen einer mit einem Betätigungsverbot belegten Vereinigung der Vorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG als der spezielleren Norm unterstellt (BT-Drs. 13/8587 Seite 76).
20
c) Sollte die erneut durchzuführende Hauptverhandlung zu einer Verurteilung des Angeklagten führen, wird zu beachten sein, das bisher nicht ersichtlich ist, aus welchen Umständen das Landgericht den Schluss gezogen hat, dass der Angeklagte „ein führender Versammlungsteilnehmer“ (UA S. 5) war und welche Relevanz diese Einordnung im Hinblick auf die Verurteilung des Angeklagten bzw. die Strafzumessung haben soll. Auch die Dauer des Tatvorgangs sowie der mittlerweile eingetretene Zeitablauf werden ggf. zu beachten sei (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 2019, 3 StR 133/19, BeckRS 2019, 16105 Rn. 27).