Titel:
Keine Ersatzpflicht für Unterhaltsvorschussleistungen bei Fremdunterbringung im laufenden Monat
Normenketten:
UVG § 1 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 S. 2, § 5 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, § 6 Abs. 4, § 9 Abs. 3 S. 1
SGB VIII § 27, § 34, § 39
Leitsätze:
1. Es fehlt an der notwendigen Kausalität zwischen der unterlassenen Anzeige nach § 6 UVG über eine Fremdunterbringung des Kindes im laufenden Monat und der Auszahlung der Unterhaltsleistung für diesen Monat, weil diese im Voraus spätestens am 1. eines Monats erfolgt. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Ersatzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 UVG setzt voraus, dass das positive Wissen bzw. das Wissen-Müssen auf Seiten des Empfängers in dem Zeitpunkt vorgelegen haben muss, in dem die Leistung in seinen Verfügungsbereich gelangt ist. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unterhaltsvorschuss, Ersatzpflicht, unterlassene Anzeige, Fremdunterbringung, Kausalität, Wissen
Fundstelle:
BeckRS 2022, 36826
Tenor
I. Nr. 2 des Bescheids der Beklagten vom 6.11.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von N. vom 31.7.2020 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Rückforderung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG).
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Am 18.9.2017 beantragte die Klägerin für ihren am ....2007 geborenen Sohn … Leistungen nach dem UVG. Der Kindsvater sei Gerüchten zufolge bereits verstorben.
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Mit Bewilligunasbescheid vom 7.2.2018 wurden die Unterhaltsvorschussleistungen in Höhe von monatlich 201,00 Euro ab 1.7.2017 bis 31.12.2017 bewilligt. Ab 1.1.2018 wurden Leistungen nach dem UVG in Höhe von 205,00 Euro monatlich bewilligt.
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Unter dem 31.8.2018 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Anspruchsvoraussetzungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz einmal jährlich zu überprüfen seien. Die Klägerin wurde daher aufgefordert, das an sie übersandte Formblatt ausgefüllt an die Beklagte zurück zu senden.
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Mit Änderungsbescheid vom 4.12.2018 wurde ab 1.1.2019 eine monatliche Unterhaltsleistung in Höhe von 212,00 Euro gewährt. Mit Änderungsbescheid vom 20.5.2019 wurde ab 1.7.2019 eine monatliche Unterhaltsleistung in Höhe von 202,00 Euro gewährt.
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Mit Beschluss des Amtsgerichts Landshut - Familiengericht - vom 1.10.2019 wurde der Klägerin als allein Sorgeberechtigter das Recht zur Aufenthaltsbestimmung, das Recht zur Regelung der ärztlichen Versorgung, das Recht zur Zuführung zu medizinischen Behandlungen, das Recht zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen nach §§ 27 ff. Achtes Sozialgesetzbuch (SGB VIII), das Recht zur Regelung des Umgangs, das Recht zur Regelung behördlicher und gerichtlicher Angelegenheiten und das Recht zur Regelung schulischer Angelegenheiten für das Kind M. E. vorläufig entzogen und auf das als Ergänzungspfleger bestellte Stadtjugendamt der Beklagten übertragen. Außerdem wurde die Herausgabe des Kindes an den Ergänzungspfleger angeordnet.
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Das Kind der Klägerin befand sich von 4.10.2019 bis 23.12.2021 im Kinder- und Jugendhaus.
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Am 11.10.2019 wurde der Unterhaltsvorschussstelle der Beklagten bekannt, dass das Kind seit 4.10.2019 nicht mehr bei der Klägerin lebt. Der Klägerin wurde mit Schreiben vom 11.10.2019 mitgeteilt, dass die Bewilligungsvoraussetzungen ab diesem Zeitpunkt nicht mehr vorlägen, sodass sie zu Unrecht Leistungen vom Stadtjugendamt L. erhalten habe. Vorsorglich seien die laufenden Unterhaltsvorschussleistungen mit Ablauf des 31.10.2019 eingestellt worden, da kein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss mehr bestehe. Die Klägerin wurde aufgefordert, sich bei der Unterhaltsvorschussstelle zur Klärung des Sachverhalts zu melden.
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Mit Bescheid vom 21.10.2019 wurde dem Ergänzungspfleger für das Kind ab dem 4.10.2019 Jugendhilfe in Form vollstationärer Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 34, 39 SGB VIII Im Kinder- und Jugendhaus in H. bewilligt.
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Am 25.10.2019 sprach die Klägerin beim Stadtjugendamt der Beklagten vor und teilte mit, dass sie verstehe, dass Leistungen nach dem UVG nicht mehr erbracht werden könnten, wenn das Kind nicht mehr bei ihr lebe und der Lebensunterhalt durch Leistungen nach dem SGB VIII sichergestellt werde. Mit einer Leistungseinstellung sei sie einverstanden. Bezüglich einer Rückforderung für die Zeit ab 4.10.2019 erklärte sie, dass sie die Leistungen im Voraus erhalten und Anfang des Monats das ganze Geld verbraucht habe, um für das Kind einzukaufen.
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Mit Bescheid vom 6.11.2019 hob die Beklagte den Bescheid vom 7.8.2018 [Anm. des Gerichts: gemeint ist wohl 7.2.2018], zuletzt geändert mit Bescheid vom 20.5.2019, mit Wirkung vom 1.11.2019 auf (§ 48 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X)) und stellte die für das Kind …, geb. ....2007, bewilligte Leistung in Höhe von monatlich 202,00 Euro mit Ablauf des 31.10.2019 ein (Nr. 1). Außerdem wurden die für die Zeit vom 5.10.2019 bis 31.10.2019 vom Stadtjugendamt L. erbrachten Leistungen in Höhe von Insgesamt 175,00 Euro zurückgefordert (Nr. 2).
12
Zur Begründung wurde ausgeführt, der Unterhaltsvorschussstelle sei am 11.10.2019 bekannt geworden, dass seit 4.10.2019 keine häusliche Gemeinschaft mehr zwischen der Klägerin und dem Kind bestehe. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG für die Bewilligung der Unterhaltsvorschussleistungen lägen ab diesem Zeitpunkt nicht mehr vor. Darauf sei die Klägerin bei der Antragstellung durch das bei der Antragstellung ausgehändigte Merkblatt und im Bewilligungsbescheid hingewiesen worden.
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Unter dem 21.11.2019 legte die Klägerin gegen den Bescheid vom 6.11.2019 Widerspruch ein. Vorgetragen wurde, die Voraussetzungen für die Rückforderung des Unterhaltsvorschusses nach § 5 Abs. 1 UVG lägen nicht vor. Auch § 5 Abs. 1 Nr. 2 UVG scheide aus. § 5 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 UVG komme nicht in Betracht, da die Klägerin nicht gewusst habe, dass aufgrund der Inobhutnahme von M. E. der Unterhaltsvorschuss wegfalle. „Gewusst“ setze Vorsatz voraus, d.h. das Wissen und Wollen des pflichtwidrigen Erfolgs. Auch § 5 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 UVG komme für eine Rückforderung nicht in Betracht. Selbst wenn man hier den Fahrlässigkeitsbegriff des § 276 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zugrunde lege, sei diese nicht gegeben. Es gelte hier kein individueller, sondern ein auf das allgemeine Verkehrsbedürfnis ausgerichteter objektiv-abstrakter Sorgfaltsmaßstab. Im Übrigen sei zweifelhaft, ob ein objektiver Sorgfaltsmaßstab anzulegen sei und nicht, wie es dem Regelungscharakter des Sozialrechts entspreche, ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab. Zudem hätte das Sozialamt zum selben Zeitpunkt wie das Jugendamt wissen können, wann die Unterbringung vorgelegen habe. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG müsse das Kind bei seinem alleinerziehenden Elternteil leben. Dies sei dann der Fall, wenn es seinen Lebensmittelpunkt bei diesem habe und durch diesen seine wesentliche Betreuung und Versorgung erhalte. Kurzfristige Trennung sei unerheblich. Bei der Unterbringung des Kindes sei aufgrund des in kindschaftsrechtlichen Verfahren herrschenden Beschleunigungsgrundsatzes nicht absehbar gewesen, ob es sich um eine kurzfristige oder langfristige Unterbringung handle, zumal die Klägerin vor dem OLG München gegen die Unterbringung Beschwerde eingelegt habe.
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Die Beklagte half dem Widerspruch nicht ab und legte ihn mit Schreiben vom 9.3.2020 der Regierung von N. zur Entscheidung vor.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 31.7.2020, der Klägerin am 5.8.2020 zugestellt, wies die Regierung von N. den Widerspruch zurück (Nr. 1) und erlegte der Klägerin die Kosten des Widerspruchsverfahrens auf (Nr. 2). Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, nach § 1 Abs. 4 Satz 2 UVG bestehe kein Anspruch auf Unterhaltsleistung nach diesem Gesetz, soweit der Bedarf eines Kindes durch Leistungen nach dem SGB VIII gedeckt sei. Als Folge der Bedarfsdeckung sei für den Unterhaltsvorschuss als Ausfallleistung während einer Unterbringung kein Raum. Gemäß § 6 Abs. 4 UVG sei die Klägerin verpflichtet gewesen, der Unterhaltsvorschussstelle die Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich seien, unverzüglich mitzuteilen. Darauf sei die Klägerin bei der Antragstellung durch das ausgehändigte Merkblatt und im Bewilligungsbescheid vom 7.2.2018 hingewiesen worden. Lebe das Kind nicht mehr bei dem Elternteil, so sei dies eine mitzuteilende Veränderung. Dieser Anzeigepflicht sei die Klägerin nicht nachgekommen. Dem könne auch nicht entgegengehalten werden, das Jugendamt selbst bzw. dasselbe Referat der Stadt L. habe die Unterbringung des Kindes veranlasst und daher Kenntnis von ihr gehabt. Die Mitteilungspflicht erfordere grundsätzlich eine gezielte Unterrichtung der zuständigen Stelle, also der Unterhaltsvorschussstelle, durch den verpflichteten Elternteil. Für § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG reiche bereits einfache Fahrlässigkeit im Sinne des § 276 BGB aus. Das außer Acht lassen einer Pflicht, auf die im Merkblatt zum UVG bzw. Im Bewilligungsbescheid hingewiesen worden sei, stelle regelmäßig eine solche Fahrlässigkeit dar. Gegenüber der Ersatzpflicht sei auch der Einwand der Entreicherung nicht durchgreifend. Es handle sich nicht um einen Anspruch im Rahmen einer Rückabwicklung eines Leistungsverhältnisses, sondern um einen Ersatzanspruch. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 UVG lägen vor, was zu einer Ersatzpflicht des Elternteils führe.
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Unter dem 1.9.2020 erhob die Klägerin Klage. Vorgetragen wird, eine Rückzahlungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG komme in Betracht, wenn die Klägerin nach § 6 Abs. 4 UVG keine unverzügliche Meldung der Änderung der Verhältnisse an die zuständige Stelle gemacht hätte. Die Umstände des Einzelfalles könnten sich nach Sinn und Zweck des § 6 Abs. 4 UVG - einen rechtswidrigen Leistungsbezug zu verhindern - nur darauf beziehen, dass die Meldung des Leistungsempfängers zu einem Zeltpunkt erfolge, der rechtzeitig genug sei, damit die Unterhaltsvorschussstelle keine Leistungen zu Unrecht erbringe. Da Unterhaltsvorschusslelstungen gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 UVG Im Voraus bezahlt würden, könne eine Meldung des Leistungsempfängers in den Fällen einer nicht vorhersehbaren Sachverhaltsänderung im Laufe des Monats nur noch künftige Leistungsüberzahlungen verhindern. Daraus folge, dass in diesen Fällen die Meldung des Leistungsempfängers rechtzeitig erfolge, wenn im nachfolgenden Leistungszeltraum Unterhaltsvorschusslelstungen nicht zu Unrecht erbracht würden. Aufgrund Beschlusses des Amtsgerichts Landshut sei am 4.10.2019 die Unterbringung des Kindes erfolgt. Die Entscheidung sei der Klägerin am 5.10.2019 zugestellt worden. Zu diesem Zeitpunkt sei der Unterhaltsvorschuss für Oktober 2019 bereits geleistet worden. Die Klägerin habe aufgrund ihrer Anzeigepflicht eine rechtswidrige Leistungserbringung nur noch für November 2019 verhindern können. Daher habe die Klägerin am 25.10.2019 bei der Beklagten vorgesprochen, um sicherzustellen, dass keine Leistungen zu Unrecht erbracht würden. Dass diese Meldung ohne schuldhaftes Zögern erfolgt sei, werde daraus ersichtlich, dass im November 2019 keine Unterhaltsvorschussleistungen mehr erbracht worden seien. Dass die Meldung der Klägerin vom 25.10.2019 rechtzeitig erfolgt sei, gehe auch aus dem Anhörungsschreiben der Beklagten vom 11.10.2019 hervor. Darin sei die Klägerin aufgefordert worden, dass sie sich bis zum 25.10.2019 bei der Unterhaltsvorschussstelle melden solle. Wenn die Beklagte selbst erkläre, dass eine Frist bis 25.10.2019 angemessen sei, dann stelle sich die Frage, warum die Klägerin sich eher hätte erklären sollen, zumal die Leistungsüberzahlung bereits erfolgt sei, von der Klägerin nicht zu vertreten gewesen sei und auch durch eine Meldung vor dem 25.10.2019 nicht hätte verhindert werden können. Im Rahmen von § 5 Abs. 1 Nr. 2 UVG müsse Verschulden gegeben sein, um eine Regresspflicht auszulösen. Die Kenntnis bzw. fahrlässige Unkenntnis vom Wegfall der Bezugsberechtigung müsse in dem Zeitpunkt bestanden haben, in dem der Empfänger Kenntnis von der Auszahlung erhalten habe. Demnach lägen die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 UVG bereits deshalb nicht vor, weil die Klägerin im Zeitpunkt des Leistungsbezugs noch keine Kenntnis vom Wegfall der Bezugsberechtigung gehabt haben könne.
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Die Klägerin beantragt,
Nr. 2 des Bescheids der Beklagten vom 6.11.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von N. vom 31.7.2020 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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Vorgetragen wird, die Klägerin sei Ihrer Mitwirkungspflicht erst nach Aufforderung im Rahmen der Anhörung nachgekommen. Eine Verletzung der Anzeigepflicht liege dann vor, wenn keine rechtzeitige Mitteilung an die Unterhaltsvorschussstelle erfolge. Es reiche bereits einfache Fahrlässigkeit i.S.d. § 276 BGB, welche in dem außer Acht lassen einer Pflicht, auf die im Merkblatt zum UVG, Im Bewilligungsbescheid sowie weiteren Anschreiben mehrfach hingewiesen worden sei, zu sehen sei. Sofern der Ersatzanspruch auf § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG gestützt würde, sei tatsächlich fraglich, ob das Verhalten der Klägerin tatsächlich ursächlich für die monatlich im Voraus geleistete Zahlung für Oktober 2019 gewesen sei. Jedoch fange § 5 Abs. 1 Nr. 2 UVG bestehende Unsicherheiten insoweit auf, indem es letztlich nicht auf das Verhalten der Klägerin ankomme, sondern darauf, dass sie gewusst oder Infolge von Fahrlässigkeit nicht gewusst habe, dass die Voraussetzungen für die Zahlung nicht weiter vorlägen. Eine einschränkende Auslegung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 UVG Im Lichte der Nr. 1 finde nicht statt. Ein Ersatzanspruch sei auch für Teilmonate gegeben. Ab dem Zeitpunkt des fehlenden Leistungsanspruchs müssten die Leistungen ersetzt werden, auch anteilig für den Monat der Unterbringung.
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Mit Bescheid vom 26.1.2021 legte die Beklagte fest, dass für das Kind ab dem 22.1.2021 In Abänderung des Bescheids vom 21.10.2019 Jugendhilfe nunmehr in Form vollstationärer Eingliederungshllfe nach § 35a Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII i.V.m. SGB IX im Kinder- und Jugendhaus … geleistet wird.
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Mit Endbeschluss des Amtsgerichts Landshut - Familiengericht - vom 10.11.2021 (Az. 11 F 1170/19) wurde der Beschluss des Amtsgerichts Landshut - Familiengericht - vom 1.10.2019 aufgehoben und von sorgerechtsbeschränkenden Maßnahmen abgesehen. Diese Entscheidung ist rechtskräftig.
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Mit Schreiben vom 22.12.2021 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die mit Bescheid vom 21.10.2019 In der Fassung des Änderungsbescheids vom 26.1.2021 bewilligte Eingliederungshilfe mit Ablauf des 23.12.2021 eingestellt werde, da M. am 23.12.2021 aus dem Kinder- und Jugendhaus H. ausscheiden werde.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorgelegte Behördenakte sowie die Gerichtsakte mit den eingereichten Schriftsätzen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 15.11.2022 Bezug genommen. Die Gerichtsakte des Verfahrens RN 4 K 21.470 und die in diesem Verfahren vorgelegte Behördenakte wurden beigezogen.
Entscheidungsgründe
24
I. Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg.
25
Nr. 2 des Bescheids der Beklagten vom 6.11.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von N. vom 31.7.2020 Ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in eigenen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Der Beklagten steht gegenüber der Klägerin ein Anspruch auf Ersatz der im Zeitraum von 5.10.2019 bis 31.10.2019 für ihr Kind geleisteten Unterhaltsvorschussbeträge weder aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG (dazu 1.) noch aus § 5 Abs. 1 Nr. 2 UVG (dazu 2.) zu.
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1. Ein Anspruch auf teilweise Rückzahlung der für den Monat Oktober 2019 ab 5.10.2019 erbrachten Leistungen ergibt sich nicht aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG.
27
Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG hat der Elternteil, bei dem der Berechtigte lebt, den geleisteten Beitrag, wenn die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung in dem Kalendermonat, für den sie gezahlt worden ist, nicht oder nicht durchgehend vorgelegen haben, insoweit zu ersetzen, als er die Zahlung der Unterhaltsleistung dadurch herbeigeführt hat, dass er vorsätzlich oder fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben gemacht oder eine Anzeige nach § 6 UVG unterlassen hat.
28
a) Zwar lagen die Voraussetzungen für die Zahlung von Unterhaltsleistungen während des gesamten streitgegenständlichen Zeitraums von 5.10.2019 bis 31.10.2019 nicht vor. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG setzt ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss oder -ausfallleistung nach diesem Gesetz (Unterhaltsleistung) unter anderem voraus, dass der Betreffende im Geltungsbereich dieses Gesetzes bei einem seiner Elternteile lebt, der ledig, verwitwet oder geschieden ist oder von seinem Ehegatten oder Lebenspartner dauernd getrennt lebt. Ein Kind lebt im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG bei einem seiner Elternteile, wenn es mit ihm eine auf Dauer angelegte häusliche Gemeinschaft unterhält, in der es auch betreut wird. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass das Kind der Klägerin ab dem 4.10.2019 im Kinder- und Jugendhaus … untergebracht wurde und damit im fraglichen Zeitraum nicht bei der Klägerin lebte. Ist das Kind auf Grundlage von Leistungen nach dem SGB VIII „fremduntergebracht“, sind zudem auch die Vorgaben des § 1 Abs. 4 Satz 2 UVG zu beachten. Demnach besteht kein Anspruch auf Unterhaltsleistung nach diesem Gesetz soweit der Bedarf eines Kindes durch Leistungen nach dem SGB VIII gedeckt ist. Vorliegend erbrachte die Beklagte ab 4.10.2019 Jugendhilfe in Form vollstationärer Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 34, 39 SGB VIII im Kinder- und Jugendhaus …. Insoweit waren die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistungen von 5.10.2019 bis 31.10.2019 sowohl aufgrund der Tatsache, dass die Klägerin ab 4.10.2019 mit dem Kind keine häusliche Gemeinschaft mehr bildete, als auch wegen § 1 Abs. 4 Satz 2 UVG nicht gegeben.
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b) W. ist davon auszugehen, dass die Klägerin es infolge Fahrlässigkeit unterlassen hat, bei der Unterhaltsvorschussstelle der Beklagten nach § 6 Abs. 4 UVG anzuzeigen, dass das Kind seit dem 4.10.2019 nicht mehr in ihrem Haushalt lebt, sondern im Kinder- und Jugendhaus H. untergebracht ist. Die Klägerin wurde durch den Bewilligungsbescheid vom 7.2.2018 auf Ihre Mitteilungspflichten nach § 6 Abs. 4 UVG hingewiesen. Bereits die Nichtbeachtung dieses Hinweises rechtfertigt regelmäßig grundsätzlich einen Fahrlässigkeitsvorwurf (OVG Bautzen, U. v. 17.11.2005 - 5 B 553/04 VG, LSK 2006, 240711; VG Aachen, U. v. 15.12.2006 - 2 K 3950/04, BeckRS 2007, 21396). Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin aufgrund ihrer persönlichen Voraussetzungen nicht in der Lage gewesen wäre, die gegenüber der Beklagten bestehenden Mitteilungspflichten zu erfassen, bestehen nicht und wurden auch nicht vorgetragen.
30
c) Allerdings fehlt es aus Sicht der entscheidenden Kammer vorliegend an der notwendigen Kausalität zwischen der unterlassenen Anzeige nach § 6 UVG - die erst am 4.10.2019 möglich gewesen wäre - und der Auszahlung der Unterhaltsleistung. Nach dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG tritt die Rückzahlungspflicht nämlich dann ein, wenn der Elternteil, bei dem der Berechtigte lebt, die Zahlung der Unterhaltsleistung dadurch herbeigeführt hat, dass er vorsätzlich oder fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben gemacht oder eine Anzeige nach § 6 UVG unterlassen hat. Die Anzeige der Unterbringung des Kindes nach § 6 Abs. 4 UVG hätte mangels vorheriger Kenntnis der Klägerin frühestens am 4.10.2019 erfolgen können. Berücksichtigt man, dass Unterhaltsleistungen nach § 9 Abs. 3 Satz 1 UVG monatlich im Voraus zu zahlen sind und somit der vollständige Unterhaltsvorschuss für den Monat Oktober 2019 spätestens am 1.10.2019 ausbezahlt wurde, hätte eine Anzeige der Klägerin am 4.10.2019, dass das Kind nicht mehr bei der Klägerin lebt, die Auszahlung für Oktober aber nicht mehr verhindern können. Die Leistungserbringung konnte zu diesem Zeltpunkt nur noch für November 2019 verhindert werden. Somit hat das Unterlassen der Anzeige die Auszahlung der Unterhaltsleistung für den Monat Oktober auch nicht kausal herbeigeführt.
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2. Auch kann die Beklagte die Rückforderung der Unterhaltsvorschussleistungen für die Zeit ab 5.10.2019 bis 31.10.2019 nicht auf § 5 Abs. 1 Nr. 2 UVG stützen.
32
Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 UVG hat der Elternteil, bei dem der Berechtigte lebt, den geleisteten Betrag, wenn die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung in dem Kalendermonat, für den sie gezahlt worden Ist, nicht oder nicht durchgehend vorgelegen haben, Insoweit zu ersetzen, als er gewusst oder infolge Fahrlässigkeit nicht gewusst hat, dass die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung nicht erfüllt waren.
33
a) Zwar lagen aufgrund der Unterbringung des Kindes am 4.10.2019 die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Unterhaltsvorschussleistungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG nicht mehr vor (s.o. unter I.1.a.)).
34
b) Vorliegend fehlt es allerdings am Tatbestandsmerkmal des fahrlässigen Wissen-Müssens des Nichtbestehens des Anspruchs im Zeitpunkt des Erhalts der Leistung. Der Klägerin kann insoweit kein Schuldvorwurf gemacht werden.
35
Eine Ersatzpflicht nach § 5 Abs. 1 UVG setzt - aufgrund ihres Charakters als eigenständiger Schadensersatzanspruch des öffentlichen Rechts (vgl. hierzu Richtlinien zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes, Themengutachten TG-1272, des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. Nr. 5.3.2.) voraus, dass der Ersatzpflichtige schuldhaft gehandelt hat. Während die Pflichtverletzung i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG in der schuldhaften Verursachung der unrechtmäßigen Zahlungen liegt, besteht sie im Falle des § 5 Abs. 1 Nr. 2 UVG in deren Entgegennehmen bzw. Behalten trotz Kenntnis bzw. fahrlässiger Unkenntnis von dem Nichtbestehen des Anspruchs (Conradis, Unterhaltsvorschussgesetz, 2. Aufl. 2013, § 5 Rn. 4).
36
Zwar geht das Gericht grundsätzlich davon aus, dass die Verpflichtungen, die sich aus einem ausgehändigten Merkblatt ergeben, eingehalten werden, sodass deren Nichterfüllung dazu führt, dass jedenfalls Fahrlässigkeit angenommen werden kann (s.o. unter I.1.b)). Allerdings fehlt es vorliegend im maßgeblichen Zeitpunkt an der Bösgläubigkeit der Klägerin.
37
Der Wortlaut des § 5 Abs. 1 Nr. 2 UVG selbst nennt keinen Zeitpunkt, in dem der Berechtigte gewusst oder Infolge Fahrlässigkeit nicht gewusst haben muss, dass die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung nicht erfüllt waren. Das Gericht geht jedoch davon aus, dass die Ersatzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 UVG voraussetzt, dass das positive Wissen bzw. das Wissen-Müssen auf Seiten des Empfängers in dem Zeitpunkt vorgelegen haben muss, in dem die Leistung in seinen Verfügungsbereich gelangt ist (so auch Richtlinien zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes, Themengutachten TG-1272, des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. Nr. 5.3.1.2.; a.A. VG Köln, U. v. 17.6.2019 - 26 K 1156/17, BeckRS 2019, 17024, das hinsichtlich des Wissens bzw. Wissen-Müssens auf den Zeitpunkt des Wegfalls der Unterhaltsvoraussetzungen abstellt).
38
Etwas anderes ergibt sich hinsichtlich des maßgeblichen Zeitpunkts auch nicht aus der von der Beklagtenvertreterin in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argumentation, § 5 Abs. 1 Nr. 2 UVG müsse dahingehend ausgelegt werden, dass die Voraussetzungen für die Unterhaltsleistung täglich vorliegen müssten, da der Anwendungsbereich im Vergleich zu § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG andernfalls gerade leerlaufen würde. Das Gericht teilt die Argumentation zwar insoweit, als die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 1 UVG für jeden Tag des Bezugszeitraums der Unterhaltsleistung vorliegen müssen. Das Nicht- bzw. nicht durchgehende Vorliegen der Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung in dem Kalendermonat, für den sie gezahlt worden ist, stellt gerade auch ein Tatbestandsmerkmal für die Rückzahlungsverpflichtung aus § 5 Abs. 1 UVG dar. Um die Rückzahlungsverpflichtung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 UVG auszulösen, bedarf es darüber hinaus allerdings eines Verschuldens des Elternteils, bei dem der Berechtigte lebt. Somit ist vom Umstand des Nichtvorliegens der Voraussetzungen der Unterhaltsleistung die Frage, ab wann die Klägerin wusste oder hätte wissen müssen, dass diese Voraussetzungen nicht mehr vorliegen - und ihr somit ein Schuldvorwurf gemacht werden kann - als zweites Tatbestandsmerkmal zu trennen.
39
Daneben Ist auch der von der Beklagtenvertreterin befürchtete Leerlauf von § 5 Abs. 1 Nr. 2 UVG nicht ersichtlich. Vielmehr findet diese Alternative eigene Anwendung in Fällen, in denen die Auszahlung der Unterhaltslelstung zwar nicht durch vorsätzliche bzw. fahrlässige Angaben oder dem Unterlassen einer Anzeige nach § 6 UVG verursacht wurde, der Empfänger aber im Zeitpunkt des Erhalts der Leistung bereits wusste bzw. fahrlässig nicht wusste, dass eine Leistungsvoraussetzung erst zukünftig aber noch im Zahlungszeltraum wegfallen wird (z.B. weiß der Empfänger zum Zeitpunkt der Auszahlung der Unterhaltsleistung am 1.10. bereits, dass er am 15.10. heiraten wird und damit ein Anspruch auf Unterhaltsleistung ab diesem Zeitpunkt nicht mehr besteht). Eine Ersatzpflicht besteht dann nach Ablauf des Tages der Änderung der Umstände (Richtlinien zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes, Themengutachten TG-1272, des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. Nr. 5.3.1.2.). In diesen Fällen besteht der Verschuldensvorwurf darin, dass die Unterhaltsleistung im Wissen oder fahrlässigen Nichtwissen des Nichtvorliegens der Voraussetzungen derselben angenommen wurde.
40
Ferner liefe es dem Charakter des § 5 Abs. 1 UVG als Schadensersatzanspruch zuwider, wenn der Berechtigte, ohne dass Ihm ein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann, Leistungen zurückbezahlen müsste, die er eventuell vor Kenntnis des Wegfalls des Hindernisses schon verbraucht hat, zumal dem Rückzahlungsanspruch aus § 5 Abs. 1 UVG auch nicht die Einrede des Wegfalls der Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) entgegenhalten werden kann (ebenso BayVGH, U. v. 15.1.2008 - 12 BV 06.80, JAmt 2008, 227; VG Aachen, U. v. 15.12.2006 - 2 K 3950/04, BeckRS 2007, 21396).
41
Die Klägerin wusste im Zeitpunkt der Auszahlung der Unterhaltsvorschussleistung, die nach § 9 Abs. 3 Satz 1 UVG im Voraus zu erbringen ist und damit spätestens am 1.10.2019 erfolgte, jedoch noch nicht, dass ihr Kind … ab dem 4.10.2019 nicht mehr in ihrem Haushalt leben würde. Zwar erfolgte die Anhörung im Rahmen der einstweiligen Anordnung des Amtsgerichts Landshut - Familiengericht - am 1.10.2019. An diesem Tag ging die Klägerin nach Insoweit glaubhafter Aussage ihres in der mündlichen Verhandlung hinzugezogenen Beistands aber noch davon aus, dass das Kind bei ihr wohnen bleiben würde, da eine Erzieherin im Hort von Verbesserungen gesprochen und auch ihr Sohn selbst ausgesagt hat, dass er bei seiner Mutter bleiben möchte. So wusste die Klägerin frühestens am 4.10.2019, dass ihr Kind nicht weiterhin in Ihrem Haushalt leben würde, weil dieses nicht von der Schule nach Hause zurückkehrte, wobei fraglich ist, ob sie an diesem Tag bereits von der Unterbringung ihres Kindes im Kinder- und Jugendhaus H. wusste, da nach Mitteilung des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung keine telefonische Information der Klägerin durch die Beklagte erfolgte und die Klägerseite erklärte, dass M… Schwester en diesem Freitag ganz L. nach ihm abgesucht habe. Den Beschluss selbst erhielt die Klägerin jedenfalls erst am 5.10.2019, sodass sie von den darin konkret getroffenen Maßnahmen erst an diesem Tag Kenntnis erlangte. Daher war sie im Zeitpunkt der Auszahlung der Unterhaltslelstung nicht bösgläubig, sodass ihr kein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann.
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Nach alledem war der Klage stattzugeben.
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II. Die gerichtliche Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, 188 Satz 2 VwGO.
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III. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).