Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 08.12.2022 – AN 3 S 22.01791
Titel:

zur Frage, ob Art. 5a Abs. 7 S. 2 BayKAG ein absolutes Beitragserhebungsverbot postuliert

Normenketten:
BayKAG Art. 5a Abs. 7 S. 2, Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 lit. b lit. dd
AO § 171 Abs. 3a
Leitsätze:
1. Die Errichtung einer durch die damaligen Anlieger - mit Zustimmung der Gemeinde - selbst finanzierten Straße kann objektiv nicht als auf die erstmalige und endgültige Errichtung einer Erschließungsanlage i.S.d. Erschließungsbeitragsrechts gerichtet angesehen werden. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ob es sich bei der 25-Jahre-Frist in Art. 5a Abs. 7 S. 2 BayKAG um eine Festsetzungsfrist iSv § 169 AO oder um ein absolutes Beitragserhebungsverbot handelt, bleibt der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten.  (Rn. 59) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erschließungsbeitragsrecht, Festsetzungsfrist, Beitragserhebungsverbot, Ablaufhemmung, Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen, Beginn der technischen Herstellung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 36790

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 14. April 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Juli 2022 wird angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 1.683,20 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich im einstweiligen Rechtsschutz gegen die Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen in Höhe von 6.732,77 EUR für die Erschließungsanlage „…“.
2
Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. … (…) der Gemarkung … Das Grundstück des Antragstellers ist in zwei hälftige Eigentumsanteile aufgeteilt, welche jeweils eigenen Grundbuchblättern zugeordnet sind. Der Antragsteller ist Eigentümer beider Miteigentumsanteile. Das Grundstück weist eine Fläche von 1.048 qm auf und ist mit einem Zweifamilienwohnhaus bebaut, in welchem der Antragsteller auch ein Bestattungsunternehmen betreibt.
3
Das Grundstück des Antragstellers grenzt unmittelbar an den Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. … für das Gebiet „…“ der Antragsgegnerin, welcher seit 15. Februar 1992 rechtsverbindlich ist, an. Für das überplante Gebiet setzt der Bebauungsplan die heutigen Straßen „…“, „…“ und „…“ als öffentliche Verkehrsflächen fest. Mit dem Deckblatt Nr. … zum Bebauungsplan Nr. …, welches seit 28. Juli 1994 rechtsverbindlich ist, wurde der nordwestliche Planbereich ergänzt und geändert.
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Die Antragsgegnerin rechnete den Erschließungsaufwand im Baugebiet „…“ anhand der drei Erschließungsanlagen „…“, „…“ und „…“ ab.
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Die streitgegenständliche Erschließungsanlage „…“ verläuft jeweils in Teilen auf den Straßengrundstücken FlNrn. …, … und … der Gemarkung … Sie beginnt in nordwestlicher Richtung auf Höhe der südlichen Fassade der Bebauung auf dem Grundstück FlNr. … der Gemarkung … und endet in östlicher Richtung an der Straßenkreuzung „…“ sowie auf Höhe der nordwestlichen Ecke des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung … nachdem sich die Erschließungsanlage zuvor um das Grundstück FlNr. … der Gemarkung … verzweigt.
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Im Jahr 1993 fand die öffentliche Ausschreibung für die Errichtung der Erschließungsanlage „…“ statt. Die Erschließungsanlage wurde dann durch die Antragsgegnerin in den Jahren 1994 bis 2005 errichtet. Dabei wurde 1994 mit der Straßenbeleuchtung begonnen. Im Jahr 1995 erfolgte der Teilausbau der Straße und die Errichtung des Gehwegs. Im Jahr 1996 wurde der Deckenbau der Straße fertiggestellt und 1997 der Parkplatz im Wendehammer errichtet. 1998 folgte der Deckenbau des Gehwegs. Im Jahr 2005 wurde die Baumaßnahme mit dem Deckenanschluss in nördlicher Richtung abgeschlossen. Die letzte Unternehmerrechnung datierte vom 22. September 2005.
7
Laut dem Aktenvermerk der Stadtverwaltung der Antragsgegnerin vom 10. September 2018 sei die Erschließungsanlage „…“ endgültig hergestellt und solle beitragsrechtlich abgerechnet werden.
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Mit Wirkung vom 18. Oktober 2018 wurde die Straße „…“ durch die Antragsgegnerin zur Ortsstraße gewidmet.
9
Ausweislich einer Kostenaufstellung vom 3. Februar 2020 ermittelte die Antragsgegnerin zunächst einen Gesamtaufwand für die Herstellung der Erschließungsanlage „…“ in Höhe von 189.948,53 EUR. Hierbei entfielen 84.768,12 EUR auf die Herstellung des Straßenkörpers, 35.115,74 EUR auf die Straßenbeleuchtung, 499,88 EUR auf die Bepflanzung, 29.113,92 EUR auf den Grunderwerb samt Nebenkosten, 40.339,81 EUR auf die Entwässerungseinrichtungen und 111,06 EUR auf Sonstiges.
10
Mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 18. Januar 2022 an die Regierung von M. teilte die Antragsgegnerin im Rahmen eines späteren Widerspruchsverfahren mit, dass bei zwei Rechnungen ein falscher Betrag angesetzt worden sei. So seien irrtümlicherweise Kosten für die Errichtung und die Beseitigung eines Provisoriums mit abgerechnet worden. Die Kosten des Straßenbaus würden sich daher um einen Betrag in Höhe von 1.934,39 EUR reduzieren. Außerdem könne eine Rechnung der Antragsgegnerin keine Berücksichtigung finden, da Kosten für das gemeindeeigene Personal abgerechnet worden seien, obwohl das Personal nicht speziell hierfür eingestellt worden sei. Die Kosten der Straßenbeleuchtung seien daher um einen Betrag in Höhe von 1.940,74 EUR zu reduzieren.
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Mit Bescheid der Beklagten vom 29. Juni 2020 wurde für das Grundstück des Antragstellers ein zu entrichtender Erschließungsbeitrag für die Erschließungsanlage „…“ in Höhe von 6.872,98 EUR festgesetzt. Dabei wurde der gesamte Erschließungsaufwand mit Kosten in Höhe von 189.948,53 EUR angegeben.
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Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller Widerspruch bei der Antragsgegnerin erheben. Es wurde mit dem Widerspruch auch ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Bescheids gestellt. Nachdem die Antragsgegnerin die Aussetzung der Vollziehung ablehnte, stellte der Antragsgegner einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht Ansbach. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 2. November 2020 (AN 3 S 20.01843 u. AN 3 S 20.01844) wurden die Verfahren nach Abgabe übereinstimmender Erledigungserklärungen eingestellt, da die Antragsgegnerin dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nachträglich stattgab.
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Die Antragsgegnerin half dem Widerspruch zunächst nicht ab und legte diesen mit Schreiben vom 12. November 2020 der Regierung von M. als zuständiger Widerspruchsbehörde vor.
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Mit Bescheid vom 14. April 2022 hob die Antragsgegnerin den Bescheid vom 29. Juni 2020 auf. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass das Grundstück des Antragstellers in zwei Eigentumsanteile aufgeteilt sei. Der Antragsteller sei zwar Eigentümer beider Anteile, jedoch seien im Bescheid vom 29. Juni 2020 beide Eigentumsanteile zusammengefasst worden. Der Bescheid sei daher nicht hinreichend bestimmt genug. Es fehle die eindeutige Zuordnung des Beitrags zu dem jeweiligen Miteigentumsanteil.
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Mit inhalts- und wortlautgleichen Bescheiden vom 14. April 2022 setzte die Antragsgegnerin für das Grundstück des Antragstellers einen zu entrichtenden Erschließungsbeitrag für die Erschließungsanlage „…“ in Höhe von 6.732,77 EUR fest, wobei auf die Miteigentumsanteile jeweils ein Betrag von 3.366,39 EUR entfiel.
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Der gesamte Erschließungsaufwand wurde mit 186.073,40 EUR, der umzulegende Erschließungsaufwand mit 167.466,06 EUR angegeben. Die Gesamtfläche der beitragspflichtigen Grundstücke betrug ausweislich des Bescheids 33.887,37 qm. Durch entsprechende Division des Erschließungsaufwands durch die Gesamtfläche der beitragspflichtigen Grundstücke ergab sich ein Erschließungsbeitrag je qm von 4,941843 EUR. Hinsichtlich der Berechnung wurde bei dem Grundstück des Antragstellers von einer Fläche von 1.048 qm ausgegangen und ein Nutzungsfaktor von 1,3 zugrunde gelegt, wodurch sich eine anzusetzende Grundstücksfläche von 1.362,40 qm ergab. Nach der Multiplikation des Erschließungsbeitrags je qm mit der anzusetzenden Grundstücksfläche errechnete sich der festgesetzte Erschließungsbeitrag.
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Gegen diese Bescheide ließ der Antragsteller am 16. Mai 2022 jeweils Widerspruch erheben und einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Bescheide stellen.
18
Zur Begründung wurde jeweils im Wesentlichen vorgetragen, dass die Antragsgegnerin behaupte, dass die endgültige Herstellung der Erschließungsanlage und der bebauungsplankonforme Ausbau im Jahr 2005 stattgefunden hätten. Würde man dieser Argumentation folgen, so wäre allerdings die Festsetzungfrist von vier Jahren abgelaufen. Diese beginne zwar erst mit Ablauf des Jahres zu laufen, in dem sämtliche Voraussetzungen für das Entstehen der sachlichen Erschließungsbeitragspflicht erfüllt seien. Dies wäre jedoch Ende 2005 gewesen, sodass die Festsetzungsverjährungsfrist am 31. Dezember 2009 abgelaufen sei. Stelle man dagegen auf einen Beginn des Straßenausbaus ab 1992 ab, so sei wiederum Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG zu beachten und die Beiträge hätten ebenfalls nicht mehr erhoben werden dürfen.
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Die Erhebung eines Erschließungsbeitrags setze unter anderem die Kriterien des Aufwandsersatzes und der Vorteilsbezogenheit voraus. An beiden Kriterien mangele es hinsichtlich der abgerechneten Erschließungsanlage „…“ der Antragsgegnerin. Die Erschließung des abgerechneten Grundstücks sei bereits zum Zeitpunkt der Wohnbebauung auf dem Grundstück durch die damaligen Anlieger finanziert worden. Die Zuwegung zum Grundstück des Antragstellers und den entsprechenden Nachbargrundstücken habe bereits seit den 1960er Jahren bestanden. Der Verlauf der Straße sei bereits in Kartenmaterial von 1970 dokumentiert. Der Anschluss eines Teils der anliegenden Grundstücke an das Fernwasser sei bereits 1970 erfolgt. Die Straße sei zu diesem Zeitpunkt lediglich geschottert gewesen und sei 1988 von den Anliegern in Eigenregie unter Genehmigung der Antragsgegnerin asphaltiert und in einen verkehrstechnisch einwandfreien Zustand gebracht worden. Die Wasserversorgung des Grundstücks des Antragstellers sei im Jahr 1973 von den Grundstückseigentümern in Eigenregie finanziert worden. Die Versorgung der betroffenen Grundstücke mit Strom, Gas und Abwasser erfolge seit jeher über den … Es sei außerdem zu beachten, dass gemäß Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG Erschließungsbeiträge 25 Jahre nach dem Beginn der erstmaligen technischen Herstellung einer Erschließungsanlage nicht mehr erhoben werden dürfen. Der Beginn der Bauarbeiten für die streitgegenständliche Straße sei bereits durch die Anwohner in den 1970er Jahren erfolgt. Spätestens sei dieser mit den weiteren Arbeiten nach Ausfertigung der Bebauungspläne in 1992 bzw. 1994 erfolgt.
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Der Antragsteller legte seinem Widerspruch Skizzen, einen Ausdruck einer Karte aus dem BayernAtlas, die das im Jahr 1970 bestehende Straßennetz von … und dem nördlichen Landkreis zeigt, Lichtbilder der streitgegenständlichen Straße aus dem Jahr 1993, eine Rechnung eines Garten- und Landschaftsbauunternehmens hinsichtlich Aufgrabungsarbeiten am Zufahrtsweg für Versorgungsleitungen des Anwesens „…“ in Höhe von 1.356,42 DM aus dem Jahr 1973, ein Schreiben der Anwohner der Straße „…“ vom 31. März 1988 an die Antragsgegnerin, in welchem diese um die Erteilung einer Genehmigung für die Asphaltierung der Straße „…“ bitten, ein Schreiben der Antragsgegnerin vom 28. April 1988, in welchem dem Anlieger „…“ mitgeteilt wurde, dass die Antragsgegnerin der Asphaltierung zustimme, jedoch eine Kostenbeteiligung nicht erfolge, einen Zeitungsartikel aus der … vom 14. September 1988, welcher die Asphaltierung der Straße „…“ thematisiert sowie eine Rechnung eines Pflaster- und Straßenbauunternehmens vom 21. Oktober 1988 in Höhe von 761,33 DM und 2.555,74 DM hinsichtlich Straßenbauarbeiten an der Straße „…“.
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Mit Schreiben vom 31. Mai 2022 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass den Anträgen auf Aussetzung der Vollziehung stattgegeben und die Fälligkeit des Beitrags bis zur Entscheidung der Widerspruchsbehörde ausgesetzt werde. Den Widersprüchen könne jedoch nicht abgeholfen werden und würden der Widerspruchsbehörde vorgelegt.
22
Mit Schreiben vom 31. Mai 2022 legte die Antragsgegnerin die Widersprüche der Regierung von M. zur Entscheidung vor.
23
Zur Begründung der Nichtabhilfe wurde vor allem vorgetragen, dass es nicht richtig sei, dass auf der durch den Antragsteller vorgelegten Karte aus dem Jahr 1970 die Straße „…“ zu sehen sei. In dem Kartenausschnitt sei nur in einem kleinen Bereich der abgerechneten Erschließungsanlage ein Weg eingezeichnet. Es handele sich hierbei um einen Feld- und Waldweg. Dieser umfasse weder den gesamten Bereich der Erschließungsanlage noch stelle er selbst durch seine Eigenschaft als Feld- und Waldweg eine Erschließungsanlage dar. Auch eine sogenannte historische Straße liege nicht vor. Bei der früher vorhandenen Straße habe es sich lediglich um eine geschotterte Straße gehandelt, welche 1988 mit Zustimmung der Antragsgegnerin durch die Anlieger in Eigenregie asphaltiert worden sei. Ein Ausbau der Straße nach den Bauvorschriften habe zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht stattgefunden. Die Antragsgegnerin habe vielmehr das Provisorium im Rahmen des Ausbaus der Erschließungsanlage auf eigene Kosten wieder entfernen müssen. Die Festsetzungsfrist ende am 31. Dezember 2022 bzw. habe aufgrund der Gesetzesänderung mit Ablauf des 31. März 2021 geendet. Gegen den Ausgangsbescheid vom 29. Juni 2020 sei durch den Antragsteller fristgerecht Widerspruch erhoben worden. Die Antragsgegnerin habe dem Widerspruch durch den Bescheid vom 14. April 2022 abgeholfen. Gleichzeitig, also bevor der Abhilfebescheid unanfechtbar geworden sei, habe die Antragsgegnerin mit zwei weiteren Beitragsbescheiden den Erschließungsbeitrag neu festgesetzt. Diese Beitragsbescheide seien daher innerhalb der Festsetzungsfrist ergangen.
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Mit Bescheid vom 13. Juli 2022 - dem Antragsteller am 20. Juli 2022 zugestellt - wurden die Widersprüche durch die Regierung von M. zurückgewiesen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, dass das von den Anliegern Ende der 1960er Jahre errichtete Provisorium schon deshalb keine Erschließungsanlage darstelle, da von der Antragsgegnerin als zuständiger Planungsbehörde dessen Errichtung nicht im Rahmen eines Bebauungsplans geplant gewesen sei. Es habe lediglich eine provisorische Möglichkeit zum Erreichen der Grundstücke dargestellt. Erst nach Abschluss der Planungen habe die Antragsgegnerin mit der erstmaligen Herstellung der Erschließungsanlage „…“ begonnen. Zu einem früheren Zeitpunkt habe es keine geplante und gewidmete Erschließungsanlage gegeben. Das Provisorium sei weder von der Antragsgegnerin geplant noch errichtet worden. Außerdem habe es keinen dafür vorgesehenen Ausbaustandard erreicht. Irgendwelchen Plänen zu entnehmende Straßen komme deshalb auch keine Bedeutung zu. Die Erschließungsanlage sei unzweifelhaft im Zeitraum zwischen 1995 und 2005 erstmalig errichtet worden. Ob die Erreichbarkeit der Grundstücke vorab durch irgendwelche Provisorien gesichert worden sei, sei in diesem Rahmen unerheblich.
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Mit der endgültigen technischen Herstellung der Straße „…“ im Jahr 2005 wäre eigentlich auch die Beitragspflicht entstanden. Die Straße sei zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht gewidmet gewesen und habe dem öffentlichen Verkehr noch nicht zur Verfügung gestanden. Ihre Eigenschaft als Erschließungsanlage könne sie jedoch nur erwerben, wenn eine solche öffentliche Widmung vorliege. Die Widmung sei schließlich am 18. Oktober 2018 erfolgt. Die reguläre Verjährungsfrist laufe somit erst am Jahresende 2022 aus. Die Bescheide seien rechtzeitig ergangen. Auch Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG stehe der Erhebung der Beiträge nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs trete die erforderliche Vorteilslage aus einer Erschließungsstraße mit deren endgültigen technischen Herstellung ein. Diese sei im Jahr 2005 erfolgt, sodass die Frist erst Ende 2025 ablaufe.
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Soweit die Antragsgegnerin den ursprünglichen Beitragsbescheid vom 29. Juni 2020 durch den Abhilfebescheid vom 14. April 2022 aufgehoben habe und zeitgleich durch zwei Bescheide vom 14. April 2022 ersetzt habe, trete das Beitragserhebungsverbot nach Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG nicht ein. Durch die Erhebung eines Widerspruchs sei die 25-Jahre-Frist entsprechend § 171 Abs. 3a AO gehemmt worden und habe erst wieder mit Erlass der ersetzenden Bescheide zu laufen begonnen.
28
Am 5. August 2022 hat der Antragsteller Anfechtungsklage gegen die Bescheide der Antragsgegnerin in Gestalt des Widerspruchsbescheids erhoben und einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt.
29
Zur Begründung des Antrags wird im Wesentlichen vorgetragen, dass bei der Erhebung von Erschließungsbeiträgen ein Fall des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vorliege. Ein Vorverfahren sei bereits durchgeführt worden. Anträge nach § 80 Abs. 6 VwGO seien im Rahmen des Widerspruchsverfahrens gestellt worden. Es überwiege klar das Aussetzungsinteresse des Antragstellers gegenüber dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin.
30
Zur Begründung der Klage wird im Wesentlichen vorgetragen, dass die Straße 1988 von den Anliegern asphaltiert und in einen verkehrstechnisch einwandfreien Zustand gebracht worden sei. Dies stelle gerade keine „provisorische Zuwegung“ dar, wie die Widerspruchsbehörde meine.
31
Die von der Antragsgegnerin angeführte „Widmung zur Ortsstraße“ im Jahr 2018 beruhe lediglich auf der Tatsache, dass die Straßenführung ursprünglich am Anwesen des Antragstellers (als Sackgasse) - wie im Bebauungsplan Nr. … ersichtlich - habe enden sollen und dann mit Deckblatt Nr. … zum Bebauungsplan eine Verlängerung bis zum Anwesen „…“ zur Erhaltung einer Zufahrt für die Stadtwerke … zum sich dort befindlichen Wasserspeicher geregelt worden sei. Diese Maßnahme sei zwar erst 2018 baulich umgesetzt worden, jedoch sei die Straße aber eben nicht nach Norden hin abgeschlossen bzw. abgetrennt worden wie es im Plan vorgesehen sei. Somit wäre die Baumaßnahme wiederum bis dato nicht fertiggestellt.
32
Im Übrigen vertieft der Antragsteller seinen Vortrag im Rahmen der Widerspruchsbegründung.
33
Der Antragsteller beantragt,
Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 14. April 2022, Az. …, wird angeordnet.
34
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
35
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass die ersten Baumaßnahmen durch die Anlieger wohl im Jahr 1973 erfolgt seien. Der Antragsteller sei erst im Jahr 2010 Eigentümer des herangezogenen Grundstücks geworden. Es sei fraglich, ob der Antragsteller überhaupt durch den Bau des Provisoriums in seinen Rechten betroffen sei, da die Leistungen wohl vom Voreigentümer erbracht worden seien. In den Akten der Bauverwaltung der Antragsgegnerin hätten keine Unterlagen bzw. Pläne über das Provisorium gefunden werden können. Ein zeitlicher Ablauf des Baues des Provisoriums könne nicht benannt werden. Die Kosten des Aufbrechens der Asphaltierung habe die Antragsgegnerin übernommen, da diese keinen beitragsfähigen Aufwand darstellen würden. Es sei anzunehmen, dass die Straßenbaumaßnahmen der Anlieger nur bis zur Erschließung der eigenen Grundstücke erfolgt seien und keinesfalls eine Ausdehnung über die gesamte Erschließungsanlage „…“ vorgelegen habe. Damals sei in den einzelnen Baugenehmigungen zur Auflage gemacht worden, dass der jeweilige Bauherr selbst für das Erschließen des Grundstücks zu sorgen gehabt habe.
36
Nehme man an, dass das Provisorium rechtmäßig errichtet worden sei, so hätte die Antragsgegnerin für die Beitragsabrechnung der Erschließungsanlage willkürlich Abschnitte bilden müssen. Eine Abschnittsbildung setze jedoch voraus, dass die Fortführung beabsichtigt sei. Ein wirksamer Bebauungsplan habe zum Zeitpunkt der Errichtung des Provisoriums jedoch nicht vorgelegen und folglich habe eine Absicht der Antragsgegnerin, die Straße fortzuführen, nicht bestanden. Dies hätte zur Folge, dass eine Beitragsabrechnung nicht möglich geworden wäre.
37
Selbst wenn die Straße „…“ allen in der EBS und § 132 Nr. 4 BauGB festgelegten Herstellungsmerkmalen der endgültigen Herstellung einer Erschließungsanlage entsprochen hätte, so habe jedoch das sich aus § 125 BauGB ergebende Planerfordernis bzw. die damals anstelle eines Bebauungsplans nötige Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde, hier der Regierung von M., gefehlt. Dies sei unbestritten nicht gegeben. Diese Zustimmung habe nicht vorgelegen.
38
Im Übrigen vertieft die Antragsgegnerin ihren Vortrag im Rahmen der Vorlage der Widersprüche an die Regierung von M.
39
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Behörden- und Gerichtsakten auch in den Verfahren AN 3 K 22.01792, AN 3 S 22.01808 und AN 3 K 22.01809 Bezug genommen.
II.
40
Der zulässige Antrag ist auch begründet.
41
1. Der zweckentsprechend ausgelegte (§ 88 VwGO i.V.m. § 122 Abs. 1 VwGO) Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der am 5. August 2022 erhobenen Klage des Antragstellers gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 14. April 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Juli 2022 anzuordnen, ist zulässig.
42
Der Antrag ist statthaft, denn gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben. Erschließungsbeiträge fallen unter diese Bestimmung (BVerwG, U.v. 12.01.1983 - 8 C 78 u. 79/81 - NVwZ 1983, 472).
43
Die besondere Zulässigkeitsvoraussetzung des § 80 Abs. 6 VwGO ist erfüllt.
44
2. Der Antrag ist auch begründet.
45
Im Fall der Erhebung öffentlicher Abgaben und Kosten im Sinn des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO, wozu die in Streit stehenden Erschließungsbeiträge zählen, kommt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage gemäß § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO regelmäßig nur in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder die Vollziehung für den Abgabe- und Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel in diesem Sinn liegen vor, wenn aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Erfolg des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg (BayVGH, B.v. 26.11.2018 - 6 CS 18.1569 - juris Rn. 8). Die hiernach erforderliche Prognose über die Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren hat notwendigerweise nur vorläufigen und summarischen Charakter, da sie mit den begrenzten Erkenntnismöglichkeiten des Eilverfahrens zu treffen ist. Daraus folgt, dass im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes weder komplizierte Tatsachenfeststellungen getroffen noch schwierige Rechtsfragen vertieft oder gar abschließend geklärt werden können. Kann ein Erfolg des Hauptsacheverfahrens nicht mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden und ist keine unbillige Härte i. S. d. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO geltend gemacht, bleibt es bei der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO festgelegten gesetzlichen Interessenbewertung, wonach öffentliche Abgaben grundsätzlich vor einer endgültigen Entscheidung über deren Rechtmäßigkeit zu zahlen sind (OVG NRW, B.v. 29.1.2018 - 9 B 1540/17 - juris Rn. 24).
46
Hinsichtlich der in der Hauptsache angegriffenen Erschließungsbeitragsbescheide sind aus Sicht der Kammer im Hauptsacheverfahren schwierige Rechtsfragen zu klären. Nach der gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung dieser Rechtsfragen hat die Kammer ernstliche Zweifel an der Rechtsauffassung der Antragsgegnerin und der Widerspruchsbehörde hinsichtlich der (entsprechenden bzw. analogen) Anwendbarkeit von Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. dd KAG i.V.m. § 171 Abs. 3a AO auf die Frist des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG, sodass ein Erfolg der Klagen im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher als ein Misserfolg erscheint.
47
Es liegt hinsichtlich der in der Hauptsache angegriffenen Erschließungsbeitragsbescheide voraussichtlich ein Verstoß gegen Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG vor.
48
Nach dem am 1. April 2021 in Kraft getretenen (vgl. § 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 8.3.2016, GVBl S. 36) Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG kann kein Erschließungsbeitrag (mehr) erhoben werden, sofern seit dem Beginn der erstmaligen technischen Herstellung einer Erschließungsanlage mindestens 25 Jahre vergangen sind.
49
Die Antragsgegnerin setzte ursprünglich mit Bescheid vom 29. Juni 2020 Erschließungsbeiträge für das Grundstück des Antragstellers fest. Zu diesem Zeitpunkt war die Vorschrift des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG noch nicht in Kraft, sodass es auf die Einhaltung der 25-Jahre-Frist nicht ankam. Dieser Bescheid wurde jedoch durch den Abhilfebescheid der Antragsgegnerin vom 14. April 2022 aufgehoben und durch zwei Bescheide vom gleichen Tag ersetzt. Der Neuerlass der zwei Bescheide unterfiel nunmehr jedoch der in Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG normierten Frist.
50
a) Den „Beginn der erstmaligen technischen Herstellung einer Erschließungsanlage“ gemäß Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG sieht die Kammer dabei spätestens im Jahr 1994 mit der Herstellung der Straßenbeleuchtung der streitgegenständlichen Erschließungsanlage.
51
Unter dem „Beginn der technischen Herstellung“ kann nicht jede Straßenbaumaßnahme verstanden werden. Maßgeblich ist, dass diejenige technische Maßnahme, die dem Fristbeginn zugrunde gelegt werden soll, objektiv auf die erstmalige und endgültige Herstellung gerichtet ist und bei Fortführung der Baumaßnahmen zur endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage führen soll, also Teil der Herstellung ist. Hinweise hierzu gibt das jeweilige - förmliche oder formlose - Bauprogramm. Damit scheiden solche Maßnahmen aus, sie sich als „reines“ Provisorium darstellen, die also gerade nicht der endgültigen Herstellung dienen. In der Praxis handelt es sich zumeist um sog. Staubfreimachungen, die in den 50er und 60er Jahren verbreitet waren. Eine abweichende Rechtsauffassung, wonach die Anlegung eines reinen Provisoriums bereits den Fristbeginn darstellen soll, kann weder aus dem Wortlaut des Gesetzes hergeleitet werden noch aus der Begründung des Gesetzentwurfs, in dem an den „ersten Spatenstich als Startschuss für den Beginn der Bauarbeiten“ angeknüpft wird; der „Startschuss“ muss vielmehr zielgerichtet auf die endgültige Herstellung der Baumaßnahme sein. Zudem zeigt sich mit der Gesetzesbegründung der Wille des Gesetzgebers, den Gemeinden bis zum Jahr 2021 die Möglichkeit zu geben, „unfertige Anlagen baulich fertigzustellen“ (vgl. Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Rn. 1101a; VG München, U.v. 1.9.2021 - M 28 K 21.1559 - juris Rn. 35 und 39).
52
Aus Sicht der Kammer spricht nach summarischer Prüfung viel dafür, dass hinsichtlich des Beginns der Frist des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG auf die Herstellungsmaßnahmen der Antragsgegnerin ab dem Jahr 1994 abzustellen ist. Es kann dagegen nach vorläufiger Einschätzung nicht auf die Baumaßnahmen ab den Jahren 1970 im Rahmen der Errichtung der durch die damaligen Anlieger selbst finanzierten Straße ankommen. Die damals errichtete Straße war objektiv nicht auf die erstmalige und endgültige Errichtung einer Erschließungsanlage i.S.d. Erschließungsbeitragsrechts gerichtet. Die damalige Straße ist anhand der vorliegenden Informationen als Provisorium einzuschätzen, das den damaligen Anliegern zwar eine ausreichende Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz vermittelt haben mag, jedoch keine „öffentliche zum Anbau bestimmte Straße“ gemäß Art. 5a Abs. 2 KAG i.V.m. § 127 Abs. 2 BauGB darstellte. Die Funktion als Anbaustraße i.S.d Erschließungsbeitragsrechts hat die - ursprünglich teilweise im Außenbereich gelegene - frühere Straße erst durch den Bebauungsplan Nr. … für das Gebiet „…“ und das zugehörige Deckblatt Nr. … erhalten. Im Übrigen fehlte eine Widmung als Ortsstraße und - ausweislich der dem Gericht vorliegenden Lichtbilder - die Herstellungsmerkmale einer Erschließungsanlage i.S.d. § 8 EBS, wie etwa eine Straßenentwässerung und eine Beleuchtung (vgl. BayVGH, B.v. 14.12.2020 - 6 B 20.1619 - juris Rn. 29 f.). Hinzu kommt, dass von der beabsichtigten Herstellung einer örtlichen Erschließungsanlage, nur dann gesprochen werden könnte, wenn die Gemeinde wenigstens teilweise Trägerin der Straßenbaulast gewesen wäre (BayVGH, B.v. 3.2.2004 - 6 CS 03.2254 - juris Rn. 20).
53
b) Der Erlass der in der Hauptsache streitgegenständlichen Bescheide am 14. April 2022 erfolgte bei Zugrundelegung des Jahres 1994 als Fristbeginn nach Ablauf der Frist des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG. Eine Ablaufhemmung der Frist nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. dd KAG i.V.m. § 171 Abs. 3a AO durch die Erhebung eines Widerspruchs durch den Antragsteller kommt nach vorläufiger Meinung der Kammer nicht in Betracht. Die Festsetzung der Erschließungsbeiträge durch die streitgegenständlichen Bescheide erfolgte daher unter Verstoß gegen Art. 5 Abs. 7a Satz 2 KAG.
54
Nach dem Ablauf der 25-Jahre-Frist kann gemäß Art. 5a Abs. 7 Satz 2 i.V.m. Satz 1 KAG kein Beitrag mehr erhoben werden. Unter Beitragserhebung ist dabei die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Abgabenschuldverhältnis zu verstehen. Dies bedeutet, dass mit dem Beitragserhebungsverbot zumindest untersagt wird, Beiträge festzusetzen (vgl. Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Rn. 1101a m. W. n.; weitergehend ThürVerfGH, U.v. 23.4.2009 - 32/05 - juris Rn. 146; a. A. Bayerischer Städtetag, Rundschreiben Nr. 066/2016 v. 8.4.2016; siehe zum Streitstand auch BayStMIBV, IMS v. 12.7.2016 - IB4-1521-1-25, S. 20 f.).
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Die Voraussetzungen für eine Ablaufhemmung gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. dd KAG i.V.m. § 171 Abs. 3a AO durch die Erhebung eines Widerspruchs gegen den ursprünglichen Bescheid vom 29. Juni 2020 lägen zwar wohl vor (vgl. BFH, U.v. 5.10.2004 - VII R 18/03 - juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 22.8.2006 - 23 CS 06.1903 - juris Rn. 21; VGH BW, U.v. 5.5.2011 - 2 S 2591/10 - juris Rn. 23 ff.), jedoch hat die Kammer erhebliche Bedenken hinsichtlich der (direkten und analogen) Anwendbarkeit dieser Vorschrift auf die Frist des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG.
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Die Kammer stützt sich dabei vor allem auf folgende Erwägungen.
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Gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG werden - soweit gesetzlich nicht anders bestimmt - die dort aufgezählten Bestimmungen über das Festsetzungs- und Feststellungsverfahren der Abgabenordnung (AO) für entsprechend anwendbar erklärt. Unter anderem wird auf die Bestimmungen über die Festsetzungsverjährung (§§ 169 bis 171 AO) - unter teilweisen Modifikationen - verwiesen. In Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG wurde zusätzlich zur generellen Festsetzungsfrist von 4 Jahren (Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 3 KAG) und den in der AO enthaltenen Fristen, eine Frist von 20 Jahren nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, geschaffen, welche für die Erhebung sämtlicher Beiträge nach dem KAG gilt.
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Durch die neu geschaffene 25-Jahre-Frist in Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG wollte der Gesetzgeber den Regelungsgehalt des § 242 Abs. 1 BauGB, welcher in Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG übernommen wurde, um die von dieser Vorschrift nicht erfassten Erschließungsanlagen ergänzen. Durch diese Bestimmung sollten die unter deren Anwendungsbereich fallenden Erschließungsanlagen einschließlich ihrer Teileinrichtungen der Anwendung des Erschließungsbeitragsrechts vollständig entzogen werden. Durch diese Regelung zur zeitlichen Begrenzung der Erhebung von Erschließungsbeiträgen sollte die bestehende, für alle Arten von Beiträgen geltende Ausschlussfrist des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG ergänzt werden, die ihrerseits an den Eintritt der Vorteilslage und damit die (vollständige) technische Herstellung der beitragsfähigen Anlagen anknüpft. Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG war es, Rechtssicherheit für Gemeinden wie Anlieger zu schaffen. Im Zweifel sollten deshalb möglichst viele bisher nicht von § 242 Abs. 1 BauGB, dem neuen Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG, erfasste „Altanlagen“ der Anwendung des Erschließungsbeitragsrechts entzogen werden (vgl. LT-Drs. 17/8225, S. 16).
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Es spricht aus Sicht der Kammer viel dafür, dass es sich bei der 25-Jahre-Frist in Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG nicht um eine Festsetzungsfrist i.S.v. § 169 AO handelt, sondern um ein absolutes Beitragserhebungsverbot. Eine Hemmung der dem Erhebungsverbot zugrundeliegenden Frist scheidet folglich aus. Diese Interpretation stützt sich vor allem auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift, deren Sinn und Zweck sowie die systematische Stellung im Gesetz.
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Wie der Gesetzesbegründung zu entnehmen ist, ist Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG an § 242 Abs. 1 BauGB angelehnt, was sich auch im Wortlaut der Vorschriften Art. 5a Abs. 7 Satz 1 und 2 KAG widerspiegelt. Hinsichtlich § 242 Abs. 1 BauGB, welcher § 180 Abs. 2 BBauG ersetzte, ist jedoch geklärt, dass dieser eine „Erschließungsbeitragsfreiheit“ (vgl. beispielsweise BVerwG, U.v. 10.10.1995 - 8 C 12.94 - juris Rn. 11) garantiert und damit bereits die Entstehung einer sachlichen Erschließungsbeitragspflicht verhindert, während eine Festsetzungsfrist erst mit der Entstehung der sachlichen Erschließungsbeitragspflicht zu laufen beginnen kann (vgl. BVerwG, B.v. 5.3.1997 - 8 B 37.97 - juris Rn. 8).
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Auch der Sinn und Zweck der Vorschrift spricht gegen eine der Ablaufhemmung unterliegende Festsetzungsfrist. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollte mit der Vorschrift Rechtssicherheit garantiert werden und dabei möglichst viele „Altanlagen“ erfasst werden. Eine Hemmung des Ablaufs dieser Frist würde diesem Sinn und Zweck zuwiderlaufen. So könnte es passieren, dass der bewusst gewählte Zeitraum von 25 Jahren unterlaufen wird und weit nach hinten verschoben wird.
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Letztlich ist auch die Systematik des Gesetzes zu berücksichtigen. Während die 20-Jahre-Frist des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG im Abschnitt hinsichtlich der Anwendbarkeit der Festsetzungsfrist des § 169 AO geregelt wurde und damit durch den Gesetzgeber klargestellt wurde, dass es sich hierbei um eine Festsetzungsfrist handeln sollte, wurde die 25-Jahre-Frist in Art. 5a KAG geregelt und damit nur hinsichtlich des Erschließungsbeitragsrechts für anwendbar erklärt. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass die 25-Jahre-Frist auch eine Festsetzungsfrist darstellt und demnach der Ablaufhemmung unterfallen soll, wäre es nahegelegen, dass die Frist ebenfalls unter Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst b Doppelbuchst. bb KAG - mit der Klarstellung, dass sich die Frist nur auf Beiträge nach Art. 5a KAG bezieht - geregelt wird.
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Geht man also davon aus, dass Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG keine Festfestsetzungsfrist darstellt, so steht der Anwendung von § 171 Abs. 3a AO entgegen, dass Art. 13 Abs. 1 KAG die dort aufgezählten Vorschriften nur für anwendbar erklärt „soweit gesetzlich nicht anders bestimmt“. Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG stellt nämlich in diesem Fall eine andere gesetzliche Bestimmung dar. Die verbleibende Möglichkeit der analogen Anwendung scheidet jedoch aus Sicht der Kammer aus, da Art. 13 Abs. 1 KAG eine Vorschrift darstellt, bei welcher - ähnlich einer Gesetzesänderung - sehr kleinteilig und detailliert festgeschrieben wurde, welche Vorschriften und mit welchen Änderungen entsprechend anzuwenden sind. Vielmehr ist anzunehmen, dass eine planwidrige Regelungslücke hier nicht angenommen werden kann und der Gesetzgeber bewusst auf eine Regelung zu Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG verzichtet hat (siehe hierzu BayVGH, B.v. 20.9.2019 - 4 ZB 19.572 - juris Rn. 14).
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Es mögen gute Gründe für irgendeine Art von Hemmung dieser Frist sprechen, jedoch obliegt es dem Gesetzgeber, eine solche Lösung zu schaffen.
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Die Kammer weist auch darauf hin, dass es sich vorliegend um eine Sonderkonstellation handelt. Die Antragsgegnerin setzte mit den streitgegenständlichen Bescheiden vom 14. April 2022 die Beiträge erstmals für die jeweiligen Eigentumshälften des Grundstücks Antragsstellers fest. Es dürfte sich daher nicht nur um eine bloße Korrektur eines Beitragsbescheids handeln, sondern vielmehr um die erstmalige Festsetzung eines Erschließungsbeitrags.
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Nach alldem war dem Antrag stattzugeben und die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Eine endgültige Klärung bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziff. 1.5 Satz 1 Var. 2 des Streitwertkatalogs.