Titel:
Baumschutzverordnung, Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme, nicht beabsichtigte Härte, Grenzbaum, Gefahren für Personen oder Sachen von bedeutendem Wert, Beseitigung auf andere zumutbare Weise
Normenketten:
BNatSchG § 29 Abs. 1 S. 2
BayNatSchG Art. 51 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a, Abs. 2 S. 1
Schlagworte:
Baumschutzverordnung, Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme, nicht beabsichtigte Härte, Grenzbaum, Gefahren für Personen oder Sachen von bedeutendem Wert, Beseitigung auf andere zumutbare Weise
Fundstelle:
BeckRS 2022, 36787
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
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Gegenstand des Verfahrens ist eine Klage gegen einen Bescheid der Beklagten vom 25. Januar 2021, mit dem der Antrag der Klägerin auf Genehmigung der Entfernung eines Astes einer Esche abgelehnt wurde.
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Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks …, Fl.-Nr. ... der Gemarkung … Dieses ist im nördlichen Grundstücksbereich grenzständig mit einem Wohnhaus bebaut. Südwestlich an das klägerische Grundstück grenzt auf einer Länge von etwa 34 m das Grundstück …, Fl.-Nr. ... der Gemarkung … an, welches im Eigentum der Beigeladenen steht. Dieses ist im südlichen Grundstücksbereich mit einem Wohnhaus bebaut. Im nördlichen Bereich der gemeinsamen Grundstücksgrenze befindet sich eine Esche, deren Stamm ausweislich eines vom Stadtbauamt der Beklagten angefertigten Lageplans (Bl. 43 der Gerichtsakte) von der genannten Grundstücksgrenze durchschnitten wird. Der Baum weist in einer Höhe von 130 cm einen Stammumfang von 171 cm auf. Mit Schreiben vom 1. Januar 2021 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zum Eingriff an geschützten Bäumen. Eine schriftliche Begründung ist der vorgelegten Behördenakte nicht zu entnehmen. Der geplante Eingriff wurde jedoch anhand eines Lichtbildes dargestellt (Bl. 8 bis 10 der Behördenakte). Mit Bescheid vom 25. Januar 2021, der Klägerin mit Postzustellungsurkunde zugestellt am 28. Januar 2021, lehnte die Beklagte den Antrag zur Entfernung eines Astes einer Esche ab. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass sich die Esche bei einer Besichtigung durch einen Mitarbeiter der unteren Naturschutzbehörde am 18. Januar 2021 gesund, vital und verkehrssicher gezeigt habe. Der Baum stehe gemäß § 2 Abs. 1 der Verordnung zum Schutz des Bestandes an Bäumen in der Stadt … vom 21. Juli 2016 (BaumschutzVO) unter besonderem Schutz, da er einen Stammumfang von 80 cm oder mehr aufweise. Im vorliegenden Fall werde keine Ausnahme nach § 4 Abs. 1 Buchst. a BaumschutzVO erteilt, denn die Esche zeige sich gesund, vital und verkehrssicher. Schäden am Baum oder an dem vom Antrag betroffenen Ast, die auf eine Einschränkung der Stand- oder Bruchsicherheit hindeuteten, seien nicht erkennbar. Der Eintrag von Laub sei kein Grund zur Entfernung eines Astes.
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Mit Schriftsatz vom 25. Februar 2021, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangen am selben Tag, hat die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Klage gegen den Bescheid vom 25. Januar 2021 erheben lassen. Zur Begründung wird in tatsächlicher Hinsicht vorgetragen, dass durch das Laub der Esche regelmäßig die Dachrinnen am Haus der Klägerin verstopft seien, das Dachfenster im Wohnzimmer nicht mehr geöffnet werden könne, da dauernd Blätter und Dreck vom Baum durch das Fenster fielen und sich auf den Dachziegeln am Haus der Klägerin in dem Bereich, in welchem der Baum über das Haus rage, bereits Moos bilde. Zudem sei aufgrund der Höhe des Wuchses der einzelnen Äste - der Stamm habe sich in drei Hauptäste geteilt - zu befürchten, dass einzelne Teile des Stammes bzw. Äste bei Wind oder Sturm oder aus sonstigen Gründen abbrechen, was eine Gefahr für Leib und Leben aber auch Eigentum der Klägerin darstelle. Die Klägerin ist der Ansicht, dass das Verbot der Beseitigung des überhängenden Astes zu einer nicht beabsichtigten Härte führen würde. Bei ordnungsgemäßer Ermessensausübung hätte die Beklagte im Rahmen der Prüfung des § 4 Abs. 1 Buchst. a BaumschutzVO zu einer Genehmigung der Entfernung des Astes gelangen müssen. Daneben sei gemäß § 4 Abs. 2 Buchst. a BaumschutzVO eine Ausnahme zu erteilen, wenn der Eigentümer aufgrund anderer gesetzlicher Vorschriften verpflichtet sei, die Maßnahme vorzunehmen. Aufgrund § 910 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sei die Beigeladene als Eigentümerin verpflichtet, auf das Grundstück der Klägerin hängende Äste zu entfernen.
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Die Klägerin beantragt,
1. Der Bescheid der Stadt … vom 25. Januar 2021, Az. …, wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verpflichtet, die von der Klägerin mit Antrag vom 4. Januar 2021 beantragte Entfernung von einem Ast der Esche zu genehmigen.
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Die Beklagte beantragt,
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Zur Begründung trägt die Beklagte vor, dass bereits am 3. September 2020 - im Zuge eines Antrags der Beigeladenen auf Genehmigung eines Eingriffs an der Esche - eine Beurteilung des Baumes stattgefunden habe. Die Esche habe sich gesund, vital und verkehrssicher gezeigt. Anzeichen für Einschränkungen der Stand- oder Bruchsicherheit seien nicht festzustellen gewesen. Der Abstand zwischen Baumkrone und Gebäude sei ausreichend, es gebe keinen Kontakt oder Kontaktspuren. Die Nutzbarkeit des Grundstücks sei nicht eingeschränkt und der Überhang somit hinzunehmen. Am 18. Januar 2021 habe auf den Antrag der Klägerin hin eine weitere Beurteilung stattgefunden, die zu demselben Ergebnis gekommen sei. Insbesondere habe auch der Ast, für den die Entfernung beantragt worden sei, keine erkennbaren Einschränkungen gezeigt, die eine Entfernung oder einen Rückschnitt erforderten. Alte Schnittwunden seien aufgrund ihrer Größe nicht überwallt und damit nicht geschlossen. Sie böten Eintrittsmöglichkeiten für Pilze. Bei weiteren Eingriffen in der geforderten Stärke könne das zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Vitalität und damit der Lebensdauer der Esche führen.
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Die mit Beschluss vom 20. Oktober 2021 beigeladene Nachbarin der Klägerin stellt keinen eigenen Antrag, äußert sich im Verfahren aber wie folgt: Der betreffende Baum stehe in einem urbanen Quartier, welches einerseits durch das Vorkommen natürlich gewachsenen Großgrüns und zum anderen durch eine sehr hohe Belastung durch motorisierten Verkehr, bedingt durch zwei Gymnasien, geprägt sei. Die Esche bilde in Zusammenhang mit den übrigen Bäumen einen innerstädtischen Grüngürtel, welcher einen hohen Beitrag für die Luftreinhaltung, für den Schallschutz sowie Schutz vor Überhitzung durch natürliche Schattenwirkung biete. Die Qualität, welche von dem Grüngürtel ausgehe, beschränke sich dabei nicht auf einzelne Grundstücke, sondern auf das gesamte südöstliche Stadtgebiet. Die Esche stelle durch das sich seit 1991 in Europa ausbreitende sog. Eschensterben eine bedrohte Art dar, von der der streitgegenständliche Baum eines der seltenen gesund und vital vorhandenen Exemplare in der Gegend sei. Der von der Klägerin geplante Eingriff hätte einen Substanzverlust in Höhe von ca. 40% der Gesamtmasse des Baumes zur Folge. Einhergehend mit der nicht mehr funktionsfähigen Statik durch die entstehende Asymmetrie sowie einem Pilzbefall an der entstehenden Wunde hätte die Entfernung des Astes schlussendlich eine Fällung zur Folge.
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Aufgrund eines Beschlusses vom 2. September 2022 hat das Gericht durch Einnahme eines Augenscheins am 29. September 2022 Beweis erhoben über die örtlichen Verhältnisse im Bereich des Grundstücks Fl.-Nr. ... der Gemarkung … Mit Schreiben vom 6. Oktober hat das Gericht die Beteiligten gebeten zu prüfen, ob mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung Einverständnis besteht. Die Klägerin und die Beklagte haben jeweils mit Schreiben vom 25. Oktober 2022, die Beigeladene mit Schreiben vom 7. November ihr Einverständnis mit dieser Form der Entscheidung erklärt.
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Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte mit dem Protokoll zum Augenscheinstermin am 29. September 2022 sowie der vorgelegten Behördenakte.
Entscheidungsgründe
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Das Gericht kann gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten auf eine mündliche Verhandlung verzichtet haben.
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I. Die zulässige Klage ist unbegründet, da die Klägerin keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Ausnahme von der BaumschutzVO hat, deren Versagung durch Bescheid vom 25. Januar 2021 demnach rechtmäßig und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1. Rechtsgrundlage für den Bescheid der Beklagten vom 25. Januar 2021 ist die BaumschutzVO der Stadt …, welche von der Beklagten aufgrund von § 29 Abs. 1 Satz 2 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) i.V.m. Art. 51 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a, Abs. 2 Satz 1 des Bayerischen Naturschutzgesetzes (BayNatSchG) erlassen werden durfte.
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2. Die streitgegenständliche Esche ist von der BaumschutzVO geschützt. Der Baum befindet sich unstreitig sowohl im Stadtgebiet von …, als auch innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles nach § 34 des Baugesetzbuchs (BauGB) und damit im Schutzgebiet der BaumschutzVO (§ 1 Abs. 1 und Abs. 2 BaumschutzVO). Zudem weist die Esche einen Stammumfang von 171 cm (gemessen in einer Höhe von 130 cm über dem Erdboden) und damit von mehr als 80 cm auf, erfüllt somit also auch die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 BaumschutzVO. Eine Ausnahme von der Unterschutzstellung nach § 2 Abs. 3 BaumschutzVO liegt nicht vor, da es sich bei der Esche weder um einen Obstbaum noch um einen Baum in einer Baumschule oder Gärtnerei handelt.
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3. Die von der Klägerin beantragte Entfernung eines Astes der Esche verstößt gegen § 3 Abs. 1 Satz 1 BaumschutzVO. Danach ist es verboten, die nach § 2 BaumschutzVO geschützten Bäume zu entfernen oder zu beschädigen, nachhaltig zu verändern oder sonst in ihrer Funktion zur Belebung, Gliederung oder Pflege des Orts- oder Landschaftsbildes zu beeinträchtigen. Eine Entfernung des Astes, wie sie die Klägerin plant, würde ohne weiteres eine nachhaltige Veränderung des Baumes zur Folge haben. Durch den Eingriff würde der Baum einen erheblichen Teil seiner Krone einbüßen und damit, nach den aufgrund der Eindrücke beim Augenschein plausibel erscheinenden Angaben der Beklagtenvertreter, etwa ein Drittel seiner Photosynthesefläche verlieren. Vor diesem Hintergrund erscheint es nachvollziehbar, dass der Baum, wie vom Vertreter des Grünflächenamtes der Beklagten vorgetragen, unter dem geplanten Eingriff zumindest stark leiden würde oder deswegen sogar absterben könnte.
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Die geplante Maßnahme ist auch nicht gemäß § 3 Abs. 2 BaumschutzVO von dem Verbot nach Abs. 1 ausgenommen, da danach lediglich notwendige Pflege- und Erhaltungsmaßnahmen der Grundeigentümer oder sonstiger Berechtigter nicht unter dieses Verbot fallen. Über derlei Eingriffe ginge die Entfernung eines der drei Hauptäste der Esche weit hinaus. Schließlich kommt auch § 3 Abs. 3 BaumschutzVO nicht in Betracht, wonach dringend notwendige Maßnahmen zur Abwehr einer akuten Gefahr für die Allgemeinheit oder einzelner Personen nicht unter dieses Verbot fallen, wobei jedoch nur die die Gefahr verursachenden Pflanzenteile entfernt werden dürfen. Es ist weder ersichtlich noch seitens der Klägerin vorgetragen, dass von dem streitgegenständlichen Ast aktuell eine Gefahr in o.g. Sinne, v.a. durch Astbruch, ausgehen würde. Vielmehr zeigte sich die Esche beim Augenscheinstermin frei von offensichtlichen Krankheiten oder Schäden, gut belaubt und dementsprechend in einem gesunden Gesamtzustand.
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4. Die Klägerin hat weder gemäß § 4 Abs. 1 BaumschutzVO, noch gemäß § 4 Abs. 2 BaumschutzVO einen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme von dem Verbot nach § 3 Abs. 1 Satz 1 BaumschutzVO.
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a. Gemäß § 4 Abs. 1 Buchst. a BaumschutzVO kann die Stadt … auf Antrag des Eigentümers oder Nutzungsberechtigten Ausnahmen von den Verboten nach § 3 erteilen, wenn das Verbot zu einer nicht beabsichtigten Härte führen würde und die Ausnahme mit den öffentlichen Interessen, insbesondere dem Schutzzweck, vereinbar ist.
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b. Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an einer nicht beabsichtigten Härte. Die in Baumschutzsatzungen oder -verordnungen geregelten Befreiungstatbestände erfassen regelmäßig ausschließlich atypische Fallgestaltungen. Deshalb kommt eine Befreiung regelmäßig nicht in Betracht bei typischerweise von Bäumen ausgehenden Belastungen. Eine unbeabsichtigte Härte liegt danach allenfalls dann vor, wenn die Beeinträchtigungen ein Ausmaß erreichen, mit dem bei einem innerörtlichen Baumbestand nicht zu rechnen ist und dadurch die jeweilige Grundstücksnutzung unzumutbar eingeschränkt wird (vgl. OVG NW, B.v. 13.2.2003 - 8 A 5373/99 - juris; VG Gelsenkirchen, U.v. 4.2.2015 - 6 K 2442/12 - BeckRS 2015, 47812; VG München, U.v. 14.5.2012 - 8 K 11.2134 - BeckRS 2012, 58767). Die Beeinträchtigungen müssen jedenfalls deutlich über das Maß bloßer Belästigungen hinausgehen. Beachtlich sind weiter nur solche Beeinträchtigungen, deren potentiell die Wesentlichkeitsschwelle überschreitenden Folgewirkungen nicht mit Schutzmaßnahmen begegnet werden kann; dabei können dem Betroffenen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aber keine unverhältnismäßig hohen finanziellen Opfer abverlangt werden (VG München, U.v. 14.5.2012 - 8 K 11.2134 - BeckRS 2012, 58767).
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Die hier im Raum stehenden Belastungen, die von der streitgegenständlichen Esche ausgehen, im Wesentlichen das Herabfallen von Laub und kleineren abgestorbenen Ästen und Zweigen, stellen eine typische Erscheinung dar, mit der bei jeglichem und damit auch innerörtlichem Baumbestand grundsätzlich stets zu rechnen ist. Die dadurch hervorgerufenen Beeinträchtigungen erreichen vorliegend auch nicht ein Ausmaß, durch das die Nutzung des klägerischen Grundstücks unzumutbar eingeschränkt würde. Jedenfalls kann ihnen mit Schutzmaßnahmen in zumutbarer Weise begegnet werden.
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Keinerlei Einfluss auf die Nutzung des Grundstücks hat die Bemoosung der Dachfläche im südwestlichen Bereich des klägerischen Wohnhauses. Diese war beim Augenscheinstermin zwar deutlich wahrnehmbar und kann wohl auch auf den streitgegenständlichen Ast zurückgeführt werden, da dieser den von Moosbildung betroffenen Bereich der Dachfläche überragt. Es ist jedoch weder erkennbar noch durch die Klägerin vorgetragen, dass die Bemoosung bisher zu einer Schädigung des Daches geführt hat. Letzteres ist aufgrund der fehlenden Wurzelbildung von Moosen auch für die Zukunft nicht zu erwarten. Im Übrigen wäre eine Reinigung des Daches aus optischen Gründen in regelmäßigen Abständen durchaus zumutbar. Gleiches gilt auch für eine notwendige Säuberung der Dachrinne. Aufgrund der beim Augenscheinstermin gewonnenen Eindrücke ist zwar nicht von der Hand zu weisen, dass sich von der streitgegenständlichen Esche herabfallende Pflanzenteile, im Wesentlichen Laub und kleinere Zweige, in der westlichen Dachrinne des klägerischen Wohnhauses sammeln und diese, ebenso wie das angeschlossene Fallrohr, mit der Zeit auch verstopfen. Auch eine regelmäßige Reinigung der Dachrinne ist jedoch grundsätzlich jedem Immobilieneigentümer und so auch der Klägerin durchaus zuzumuten. Zwar dürfte dies aufgrund der nicht unerheblichen Traufhöhe mit einem gewissen technischen und finanziellen Aufwand verbunden sein. Dieser dürfte jedoch zum einen nur in relativ großen Abständen anfallen und zum anderen bietet sich grundsätzlich auch die Möglichkeit, von einem Dachflächenfenster aus zu agieren. Darüber hinaus sind durchaus auch technische Vorrichtungen bzw. Hilfsmittel denkbar, die die Ansammlung von Pflanzenteilen in der Dachrinne bereits von vorneherein effektiv zu vermeiden helfen. In Frage kommen hier v.a. Laubschutzgitter, wie sie im Übrigen auch an der Garage auf dem angrenzenden Grundstück der Beigeladenen angebracht sind. Beim Augenscheinstermin konnte sich die Kammer davon überzeugen, dass auf diese Weise ein Verstopfen der Dachrinne verhindert wird, obwohl sich die genannte Garage ebenfalls im Kronenbereich der Esche befindet und demnach genauso von Laubfall betroffen ist. Somit kann den Folgewirkungen des Laubfalls also durchaus mit Schutzmaßnahmen begegnet werden (s.o., VG München, U.v. 14.5.2012 - 8 K 11.2134 - BeckRS 2012, 58767), die sich zudem in einem finanziell überschaubaren Rahmen halten. Vor diesem Hintergrund ist die Kammer der Überzeugung, dass die Grundstücksnutzung letztlich keinen über das Maß bloßer Belästigungen hinausgehenden Beeinträchtigungen unterliegt, wie sie jeden Eigentümer eines Grundstücks mit Baumbestand treffen.
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c. Im Übrigen handelt es sich bei § 4 Abs. 1 BaumschutzVO um eine Regelung, die der Behörde bei ihrem Handeln Ermessen einräumt, welches sie entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und dabei die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten hat (vgl. Art. 40 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes - BayVwVfG). Das Gericht ist gemäß § 114 Satz 1 VwGO nur zur Ermessenskontrolle, nicht aber zur eigenen Ermessensausübung ermächtigt; es ist auf die Nachprüfung beschränkt, ob das Ermessen rechtmäßig, nicht auch, ob es zweckmäßig ausgeübt wurde (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 114 Rn. 1). Ein Anspruch dahingehend, dass die Beklagte von ihrem Ermessen genau in der Art und Weise Gebrauch macht, wie die Klägerin dies wünscht, käme vor diesem Hintergrund nur in Betracht, wenn trotz der rechtlich gegebenen Ermessensfreiheit der Behörde im Einzelfall praktisch nur eine einzige ermessensfehlerfreie Entschließung in Betracht kommen kann. Das ist der Fall, wenn nach Lage der Dinge alle denkbaren Alternativen nur unter pflichtwidriger Vernachlässigung eines eindeutig vorrangigen Sachgesichtspunktes gewählt werden könnten (BVerwG, U.v. 15.7.1987 - 4 C 56/83 - NJW 1988, 434; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 114 Rn. 32). Selbst wenn man aber entgegen den Ausführungen unter b. vom Vorliegen des Tatbestandsmerkmals der nicht beabsichtigten Härte i.S.d. § 4 Abs. 1 Buchst. a BaumschutzVO ausginge, ist nicht ersichtlich, dass ausschließlich mit der von der Klägerin beantragten Entfernung des streitgegenständlichen Astes und nicht auch mit milderen Mitteln - wie etwa z.B. den unter b. soeben dargestellten - das Entstehen dieser Härte zu verhindern und damit nur diese Entscheidung der Beklagten ermessensfehlerfrei wäre. d.
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Auch gemäß § 4 Abs. 2 Buchst. a BaumschutzVO ist keine Ausnahme von den Verboten des § 3 BaumschutzVO zu erteilen. Dies wäre nur der Fall, wenn der Eigentümer - hier die Klägerin - oder sonst ein Berechtigter aufgrund anderer gesetzlicher Vorschriften verpflichtet ist, die Maßnahme vorzunehmen und er sich nicht in zumutbarer Weise von dieser Verpflichtung befreien kann.
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Entgegen der Ansicht der Klägerin begründet § 910 Abs. 1 BGB jedoch keine Verpflichtung in o.g. Sinne zur Entfernung des streitgegenständlichen Astes. Nach dieser Vorschrift kann zwar der Eigentümer eines Grundstücks Wurzeln eines Baumes oder eines Strauches, die von einem Nachbargrundstück eingedrungen sind, abschneiden und behalten (Satz 1). Das Gleiche gilt für herüberragende Zweige, wenn der Eigentümer dem Besitzer des Nachbargrundstücks eine angemessene Frist zur Beseitigung bestimmt hat und die Beseitigung nicht innerhalb der Frist erfolgt (Satz 2). Die Regelung könnte damit die Klägerin als Eigentümerin grundsätzlich zur Durchführung der aufgeführten Maßnahmen berechtigen, spricht jedoch keinesfalls eine Verpflichtung zum Tätigwerden i.S.d. § 4 Abs. 2 Buchst. a BaumschutzVO aus. Darüber hinaus adressiert die Vorschrift auch nur den Eigentümer, der von etwaigem, vom Nachbargrundstück ausgehenden Überwuchs betroffen ist. Im vorliegenden Fall plant die Klägerin jedoch die Entfernung eines Astes, der der Hälfte des von der Grundstücksgrenze durchzogenen Baumes entwächst, die sich auf ihrem eigenen Grundstück befindet und daher in ihrem Eigentum steht (vgl. zum Eigentum an einem Grenzbaum BGH, U.v. 2.7.2004 - V ZR 33/04 - juris Rn. 12).
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e. Schließlich scheidet auch eine Ausnahme gemäß § 4 Abs. 2 Buchst. b BaumschutzVO aus. Danach ist eine Ausnahme von den Verboten des § 3 BaumschutzVO zu erteilen, wenn von den geschützten Bäumen Gefahren für Personen oder Sachen von bedeutendem Wert ausgehen und die Gefahren nicht auf andere Weise mit zumutbarem Aufwand beseitigt werden können. Diese Voraussetzungen liegen hier aber ebenfalls nicht vor, da von dem streitgegenständlichen Ast schon keine Gefahren für Personen oder Sachen von bedeutendem Wert im o.g. Sinne ausgehen.
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Die Annahme einer Gefahr setzt voraus, dass der Eintritt eines Schadens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Dabei sind an die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts im Rahmen der baumschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigungen nur geringe Anforderungen zu stellen. Auch reicht es für den nachweispflichtigen Antragsteller aus, wenn er zur Begründung seines Begehrens einen Sachverhalt darlegt, der nach allgemeiner Lebenserfahrung auf den künftigen Eintritt eines Schadens hinweist, wobei der Antragsteller nur solche Tatsachen aufzuzeigen hat, die in seine Sphäre bzw. seinen Erkenntnisbereich fallen. Weitergehende Anforderungen an den Nachweis einer Gefahr sind nicht geboten, weil sie die betroffenen Eigentümer in unzumutbarer Weise belasten und dazu führen würden, dass die Regelungen der BaumschutzVO keinen gerechten Ausgleich zwischen den öffentlichen und privaten Belangen mehr gewährleisten (vgl. OVG NW, U.v. 8.10.1993 - 7 A 2021/92 - juris Rn. 107; VG Düsseldorf, U.v. 10.11.2011 - 11 K 1775/10 - BeckRS 2012, 60123).
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Vorliegend ist weder eine Schädigung von Personen noch von Sachen von bedeutendem Wert mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Eine Gefährdung von Personen durch den streitgegenständlichen Ast der Esche wäre lediglich dann denkbar, wenn dieser ganz oder zum Teil abbrechen und zu Boden stürzen würde. Mit einem solchen Ereignis ist jedoch, jedenfalls derzeit, nicht zu rechnen, da sich die Esche in ihrer Gesamtheit nach den nachvollziehbaren Angaben des Grünflächenamtes der Beklagten, denen sich die Kammer aufgrund der Eindrücke beim Augenscheinstermin anschließt, gut belaubt, gesund und vital zeigt und dementsprechend eine ausreichende Stand- und Bruchsicherheit aufweist. Dass Astbruch dennoch nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden kann, versteht sich dabei von selbst. Bei der Gefahr, dass Bäume z.B. bei starken Stürmen umstürzen oder, dass sie vom Blitz getroffen werden können, handelt es sich jedoch um allgemeine, grundsätzlich auch jeden gesunden Baum bei derartigen extremen Wetterbedingungen möglicherweise treffende - katastrophale - Folgen, die als solche eine Ausnahmegenehmigung nicht zu rechtfertigen vermögen. Das Gleiche gilt für bei starken Unwettern abbrechende gesunde Äste. Derartige Unglücksfälle gehören zum allgemeinen Lebensrisiko; sie ließen sich, wenn überhaupt, allenfalls dadurch vermeiden, dass in besiedelten Bereichen sämtliche größeren Bäume beseitigt würden (vgl. VG Gelsenkirchen, U.v. 4.2.2015 - 6 K 2442/12 - BeckRS 2015, 47812; VG München, U.v. 2.7.2012 - 8 K 11.4105 - BeckRS 2012, 58915). Aus den genannten Gründen scheidet auch eine hinreichend wahrscheinliche Gefährdung von Sachen von bedeutendem Wert durch Astbruch aus. Eine Schädigung der Bausubstanz auf dem klägerischen Grundstück durch Laubfall kommt letztlich ebenfalls nicht in Betracht. Zwar erscheint es durchaus nachvollziehbar, dass es aufgrund der mit Pflanzenteilen verstopften Dachrinne zu einem Überlaufen von Regenwasser und schließlich zu Feuchtigkeitsschäden an Putz und Mauerwerk kommen könnte. Derartige Schäden wären jedoch nicht unmittelbar auf den streitgegenständlichen Ast bzw. das von diesem herabfallende Laub zurückzuführen, sondern wären vielmehr Folge der ausbleibenden regelmäßigen Reinigung der Dachrinne und damit nur mittelbar der Esche zuzurechnen (s.o. b.).
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Selbst wenn man trotz allem eine (mittelbare) Gefahr für Sachen von bedeutendem Wert im o.g. Sinne annähme, wäre diese jedenfalls auch auf andere zumutbare Weise, als mit der von der Klägerin beantragten Entfernung des Astes zu beseitigen. Insoweit kann auf die Ausführungen zu möglichen Schutzmaßnahmen unter b. verwiesen werden.
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II. Als unterlegene Beteiligte hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO). Da die Beigeladene keinen eigenen Antrag gestellt und sich somit auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
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III. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 709 Satz 2 und § 711 Satz 1 und 2 der Zivilprozessordnung (ZPO).