Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Beschluss v. 19.12.2022 – 12 Qs 65/22
Titel:

Strafbarkeit eines Apothekers wegen Belieferung von Kunden über Dritte

Normenketten:
StGB § 263 Abs. 1
SGB V § 2 Abs. 1 S. 3
ApoG § 11 Abs. 1
Leitsätze:
Verstößt ein Apotheker gegen § 11 Abs. 1 ApoG, bedeutet das zugleich einen Verstoß gegen das Qualitätsgebot des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V und führt insoweit zum Wegfall seines Vergütungsanspruchs. Daher täuscht ein Apotheker, der bei der Abrechnung gegenüber der Kasse wahrheitswidrig das Nichtvorliegen seines Verstoßes gegen § 11 Abs. 1 ApoG erklärt (Ergänzung zu LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 10. März 2022 - 12 Qs 6/22). (Rn. 30 – 31)
Ein Apotheker macht sich wegen Betrugs strafbar, wenn er die gegenüber den Krankenkassen geltend gemachte Belieferung nicht vornimmt, sondern allein beim Großhändler bestellt, diesen bezahlt und die Rezepte entgegennimmt, stempelt und abrechnet, hingegen die Aushändigung der Arzneimittel von einer dritten Person, die nicht Bote ist, vornehmen lässt (Ergänzung zu BSG BeckRS 2022, 20773). (Rn. 14 – 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Qualitätsgebot
Vorinstanz:
AG Nürnberg, Beschluss vom 18.10.2022 – 57 Gs 11654/22
Fundstellen:
StV 2023, 768
MedR 2023, 997
PharmR 2023, 130
LSK 2022, 36623
BeckRS 2022, 36623

Tenor

I. Die Beschwerde gegen den Arrestbeschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 18. Oktober 2022 wird als unbegründet verworfen.
II. Der Antrag, die Vollziehung des Arrestes auszusetzen, wird abgewiesen.
III. Der Beschuldigte trägt die Kosten der Beschwerde.

Gründe

I.
1
Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg (GenStA) führt gegen den Beschuldigten, einen Apotheker, ein Ermittlungsverfahren wegen Abrechnungsbetrugs. Am 18. Oktober 2022 erließ das Amtsgericht Nürnberg auf Antrag der GenStA gegen ihn einen Beschluss, mit dem es den Vermögensarrest zur Sicherung eines Anspruchs auf Einziehung des Wertersatzes über einen Betrag von 11.000.000 € anordnete.
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Mit Schriftsatz vom 29. Oktober 2022 legte der Verteidiger des Beschuldigten gegen den Beschluss Beschwerde ein. Der Ermittlungsrichter half der Beschwerde nicht ab. Mit weiteren Schriftsätzen vom 20. November und vom 13. Dezember 2022 führte der Verteidiger weiter zur Begründung der Beschwerde aus und beantragte zugleich, die Vollziehung des Arrestes auszusetzen.
3
Die GenStA beantragte,
die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
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Die statthafte Beschwerde (§ 304 Abs. 1 StPO) ist auch im Übrigen zulässig. In der Sache ist sie allerdings unbegründet, weil der Arrest zu Recht angeordnet wurde und derzeit aus Verhältnismäßigkeitsgründen auch nicht aufzuheben ist.
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1. Entgegen der Auffassung der Beschwerde besteht der Anfangsverdacht des Abrechnungsbetrugs gegen den Beschuldigten. Die Anordnung eines Arrestes setzt gem. § 111e Abs. 1 Satz 1 StPO lediglich den Anfangsverdacht i.S.d. § 152 Abs. 2 StPO einer rechtswidrigen Straftat voraus, mit der Folge, dass die Voraussetzungen der Einziehung von Wertersatz bejaht werden können (OLG Nürnberg, Beschluss vom 20. Dezember 2018 - 2 Ws 627/18, juris Rn. 14; OLG Stuttgart, Beschluss vom 25. Oktober 2017 - 1 Ws 163/17, juris Rn. 10; OLG Hamburg, Beschluss vom 26. Oktober 2018 - 2 Ws 183/18, juris Rn. 29 m.w.N.). Es müssen also konkrete Tatsachen vorliegen, die in Verbindung mit kriminalistischer Erfahrung den Schluss zulassen, dass später eine Einziehung erfolgen kann, wobei - hier - der Verfahrensstand in der Beschwerdeinstanz maßgeblich ist (vgl. § 308 Abs. 2 StPO). Diese Voraussetzungen liegen vor.
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a) Die Kammer geht nach gegebenem Ermittlungsstand von diesem tatsächlichen Geschehen aus:
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aa) Der Mitbeschuldigte D ist Alleingesellschafter und Geschäftsführer der X GmbH (fortan: X) mit Geschäftssitz in N. X befasst sich mit der Versorgung mit Medizinprodukten, die Patienten eigenständig anwenden (Hilfsmittel). Zugleich ist sie auch Großhändlerin von Arzneimitteln (§ 52a AMG). Der Beschuldigte ist Inhaber der …-Apotheke in M (fortan: Apotheke), die er in der Rechtsform des eingetragenen Kaufmanns betreibt. Die Apotheke verfügt über eine Versandhandelserlaubnis nach § 11a ApoG.
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Die hier relevanten Arzneimittel V., A. und G. können ohne die von X vertriebenen Hilfsmittel vom Patienten nicht appliziert werden. Die Anwendung des Arzneimittels A. erfordert ein telemedizinfähiges Blutdruckmessgerät, das Medikament V. einen Vernebler für die Inhalation und das Medikament G. eine Spritzenpumpe. Zwischen X und den Arzneimittelherstellern bestanden im Zeitraum 01.01.2017 bis 28.10.2021 Vereinbarungen dahin, dass X Betreuungs- und Unterstützungsleistungen für die Patienten erbrachte, die die von X vertriebenen Hilfsmittel einsetzten. Demgemäß bot X den Patienten ein für sie kostenfreies, optionales Betreuungsprogramm an, in dessen Rahmen Patienten zur Arzneimitteltherapie mit den Hilfsmitteln geschult wurden, um sie sodann zuhause sicher ausführen zu können. Zur Kontaktaufnahme mit den Patienten stellte X Kliniken und behandelnden Ärzten Registrierungsformulare zur Verfügung, damit sie im Bedarfsfall Patienten auf das Betreuungsprogramm hinweisen und sich diese sodann bei X melden konnten. Nahm daraufhin ein Patient Kontakt zu X auf, legte ihm deren Außendienstmitarbeiter ein Formular über eine - jederzeit widerrufliche - Vollmacht und Einwilligung vor, in dem es unter anderem heißt:
„…Ich bin Patient und benötige eine fachärztlich indizierte Arzneimitteltherapie. Zur bestmöglichen Umsetzung der Therapie habe ich mich für eine Unterstützung durch die X GmbH entschieden … Meine behandelnden Ärzte entbinde ich gegenüber den Mitarbeitern der X GmbH … von der Schweigepflicht. Ich erlaube meinen behandelnden Ärzten … Unterlagen und Datenträger an Mitarbeiter der X GmbH auszuhändigen. Ich bevollmächtige die Mitarbeiter der X GmbH, die für mich ärztlich verordneten Arzneimittel aus einer öffentlichen Apotheke zu beschaffen. Insofern verzichte ich ausdrücklich auf mein Auswahlrecht der beliefernden Apotheke…“
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Lehnte ein Patient das Angebot ab, erhielt er die notwendigen Rezepte direkt vom behandelnden Arzt und kümmerte sich dann bei der Apotheke seiner Wahl um die Beschaffung des Arzneimittels. Ließ er sich dagegen darauf ein und unterschrieb das zitierte (und weitere) Formulare, erhielt X von den Kliniken oder Ärzten sodann die Diagnose und weitere Daten der Patienten. Neben der Einweisung der Patienten in die Benutzung der Hilfsmittel durch ihre Außendienstmitarbeiter betrieb X eine Patientenbetreuung und ein Rezeptmanagement. Art und Umfang der Patientenbetreuung variierten je nach verordneter Arznei; in jedem Fall bestand die Betreuung zumindest in gelegentlichen telefonischen Nachfragen, ob die ärztlich verordnete Therapie mit dem jeweiligen Hilfsmittel korrekt ausgeführt wird oder ob Beratungsbedarf besteht und gegebenenfalls in erneuten oder zusätzlichen Erklärungen. Bei dem Medikament A. riefen Mitarbeiter Patienten regelmäßig an und forderten sie auf, mit einem Blutdruckmessgerät nach näherer Weisung Messungen auszuführen, deren Ergebnisse automatisch an X übertragen und dort erfasst wurden. Dies erfolgte so lange, bis die Patienten auf das Medikament richtig eingestellt waren. Die behandelnden Ärzte konnten mit eigenem Login auf die bei X gespeicherten Daten zugreifen. Weiterhin betrieb X im genannten Rahmen ein sog. Nebenwirkungsmanagement, in dem versucht wurde, beim Patienten auftretende Wirkungen und Nebenwirkungen des jeweiligen Medikaments zu erfassen und zu klären.
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Beim Rezeptmanagement wurden die für die teilnehmenden Patienten ausgestellten Rezepte - die von den ausstellenden Ärzten, teils aber auch von den Patienten eingesandt wurden - erfasst und der voraussichtliche Verbrauch der verordneten Arzneimittel berechnet. Ging ein Medikament absehbar zu Neige, nahm X Kontakt zu dem jeweiligen Patienten auf und forderte im Bedarfsfall beim behandelnden Arzt anschließend die Ausstellung eines neuen Rezepts an. Der Arzt übersandte das Originalrezept sodann direkt an X, wo die eingegangenen Rezepte gesammelt wurden.
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Aufgrund einer seit Jahren bestehenden und gelebten Absprache mit X holten der Beschuldigte oder sein Schwiegersohn und Mitarbeiter, der Mitbeschuldigte C, diese Rezepte in regelmäßigen Abständen in N beim Mitbeschuldigten D ab. Die von X bei den jeweiligen Medikamentenherstellern bestellten Arzneimittel wurden dem Beschuldigten - der bei X aufgrund der ihm übergebenen Rezepte entsprechende Bestellungen vorlegte - zwar in Rechnung gestellt, jedoch nicht an ihn physisch weitergeleitet, sondern unmittelbar von X an die Patienten ausgeliefert. Ungeachtet dessen erfassten der Beschuldigte und der Mitbeschuldigte C die von X direkt versandten Arzneimittel im Kassensystem der Apotheke als verkauft und bedruckten dementsprechend die Rezepte für die Abrechnung bei den Kassen. Nur im Ausnahmefall, wenn X selbst nicht lieferfähig war, wurde der Beschuldigte gebeten, das fragliche Arzneimittel anderweit zu beschaffen und es direkt an den Patienten zu verschicken. In beiden Fällen erfolgte die Auslieferung der Arzneimittel an die Patienten - vom jeweils unterschiedlichen Ausgangspunkt aus - über den Transportdienst O. Für die „Sicherstellung der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der an der besonderen Versorgung teilnehmenden Patienten“ stellte X dem Beschuldigten sodann monatliche Rechnungen (2019/2020 z.B. über Beträge zwischen 43.509,38 € und 52.107,13 € pro Monat). Eine Überprüfung oder Beaufsichtigung der Verpackung und Versendung der Arzneimittel am Sitz der X - dort gab es im Lager einen Tisch, auf dem vor ihrer Versendung die Arzneimittel verpackt und gelagert wurden, die als an die Apotheke ausgeliefert zu betrachten waren - fand durch den Beschuldigten bei seinen Besuchen in N nicht statt. Der Beschuldigte hatte auch keinen Zugriff auf die Datenbank des Patientensupports bei X. Das für die Bereitstellung, Verpackung und Versendung der Arzneimittel bei X eingesetzte Personal bestand nicht aus Apothekern oder pharmazeutisch ausgebildeten Fachkräften, vielmehr waren insoweit zahnmedizinische Fachangestellte, Geschäftsführer, Logistikmitarbeiter, Medizininformatiker und Vertriebsmitarbeiter tätig.
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Der Beschuldigte reichte - mit Wissen und Wollen der Mitbeschuldigten - die Rezepte, aufgrund derer X die Arzneimittel unmittelbar an die Patienten auslieferte oder zum auf dem Rezept vermerkten Abgabedaten bereits ausgeliefert hatte, über das Abrechnungsunternehmen T bei den verschiedenen gesetzlichen Krankenkassen ein, ohne diese über die vorstehend geschilderten Geschehensabläufe zu unterrichten. Die jeweils mit der Sachbearbeitung befassten Mitarbeiter der Krankenkassen gingen daraufhin von ordnungsgemäßen Rezeptbelieferungen aus und zahlten die für die verordneten Arzneimittel berechneten Beträge an die Apotheke aus. Nach gegenwärtigem Ermittlungsstand liegt die Summe der Auszahlungen bei 11.061.978,03 €.
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bb) Der Verdacht des Vorliegens der vorstehend umrissenen Strukturen und Abläufe beruht auf der Zusammenschau des in den vorgelegten Akten bislang ermittelten Materials … (wird ausgeführt).
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b) Dieser tatsächliche Befund rechtfertigt den Verdacht des Betrugs (§ 263 Abs. 1, 3 Satz 1, 2 Nr. 1, 2 StGB) des Beschuldigten gegenüber den Krankenkassen.
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aa) Die Voraussetzungen einer Täuschungshandlung sind hinreichend belegt. Der Apotheker erklärt bei einer Abrechnung gegenüber den Kassen konkludent, dass er bestehende sozial-rechtliche Erstattungsansprüche unter Einhaltung der abrechnungsrechtlichen Maßgaben geltend macht (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2014 - 5 StR 405/13, juris Rn. 11; Urteil vom 19. August 2020 - 5 StR 558/19, juris Rn. 60; Kammer, Beschluss vom 10. März 2022 - 12 Qs 6/22, juris Rn. 11). Nach gegebenem Verfahrensstand erscheint die Täuschung wegen dreier Punkte hinreichend wahrscheinlich:
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(1) Der Beschuldigte täuschte mutmaßlich darüber, dass er die Rezepte beliefert hat.
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(a) Der durch Normverträge näher ausgestaltete gesetzliche Vergütungsanspruch des Apothekers entsteht im Gegenzug für die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Leistungspflicht mit Belieferung einer gültigen ordnungsgemäßen vertragsärztlichen Verordnung (§ 3 Abs. 1 Satz 1 des aufgrund § 129 Abs. 2 SGB V zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband geschlossenen Rahmenvertrags über die Arzneimittelversorgung (RahmenV) i.d.F. vom 30. September 2016 = § 6 Abs. 1 Satz 1 RahmenV i.d.F. vom 1. Januar 2019 und redaktionell angepasst i.d.F. vom 1. April 2020). Die Belieferung durch den Beschuldigten als Voraussetzung des Vergütungsanspruchs ist in den Fällen, in denen X die Arzneimittel direkt an die Patienten versandte, nicht erkennbar. Der Beschuldigte hat schlicht gar nichts unternommen hat, was sich als Belieferung, d.h. als Abgabe des Arzneimittels an den Patienten begreifen ließe. Abgabe (vgl. § 4 Abs. 17 AMG) meint die Einräumung der Verfügungsgewalt an einen anderen durch körperliche Überlassung des Arzneimittels (BSG, Urteil vom 17. Februar 2016 - B 6 KA 3/15 R, juris Rn. 33; BayObLG, Beschluss vom 29. April 1998 - 4St RR 12/98, juris Rn. 10 ff.; Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, 138. EL, § 4 AMG Anm. 57). Allein die Aufgabe einer Bestellung beim Großhändler, die Bezahlung seiner Rechnung und die Entgegennahme, Stempelung und Abrechnung von Rezepten - weitere Tätigkeiten des Beschuldigten im Hinblick auf die Abgabe von Medikamenten sind derzeit nicht ersichtlich - stellen noch keine Belieferung dar, für die seitens der Kassen eine Vergütung in Höhe des Abgabepreises des Arzneimittels geschuldet wäre. Nicht ausreichend war, worauf aber die Beschwerde abstellt, dass der Beschuldigte gegenüber den Patienten zivil- und gegenüber den Behörden ordnungsrechtlich die Verantwortung getragen habe. Denn diese Verantwortung war offensichtlich nicht durch ein rechtskonformes und verantwortliches Handeln unterlegt.
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(b) Darüber hinaus hätte der Beschuldigte - unterstellt, die hier praktizierte Versendung der Arzneimittel durch X über den Kurierdienst O würde als Abgabe durch den Beschuldigten verstanden - gegen Abgabevorschriften verstoßen, was ebenfalls die Vergütung ausschlösse. Der gesetzliche Rahmen ermöglicht dem Apotheker nur bestimmte Modalitäten der Abgabe von Arzneimitteln, die aber allesamt nicht eingehalten sind.
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(aa) So dürfen Arzneimittel im Regelfall - offenkundig nicht einschlägige Sonderkonstellationen werden im Folgenden nicht erörtert - nur in den Apothekenbetriebsräumen in den Verkehr gebracht und nur durch pharmazeutisches Personal ausgehändigt werden (§ 17 Abs. 1a Satz 1 ApBetrO). Das war hier nicht der Fall. Folgt man der vom Beschuldigten gelegentlich angeführten Darstellung, bei X habe es sich um einen Boten des Patienten gehandelt, so ist festzuhalten, dass in den Apothekenbetriebsräumen der Apotheke an X jedenfalls keine Medikamente ausgehändigt worden sind.
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(bb) Weiter dürfen Arzneimittel durch Boten der Apotheke ausgehändigt werden (§ 17 Abs. 2 Satz 1 ApBetrO). Insoweit findet sich auch der Vortrag des Beschuldigten, X sei Bote der Apotheke gewesen. Kennzeichnend für den Boten der Apotheke ist, dass er dem Weisungsrecht des Apothekenleiters unterliegt (Pfeil/Pieck/Blume, ApBetrO, 15. EL 2021, § 17 Rn. 190; Sieper in Spickhoff, Medizinrecht, 4. Aufl., ApoG § 11a Rn. 1; Mecking in Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, 3. Aufl., ApoG § 11a Rn. 4), was bei der Zustellung durch betriebsfremde Dritte, namentlich Kurier- und Versanddienstleister - wie hier die Kurierfahrer von O - nicht der Fall ist. Solche Fälle sind daher durch § 17 Abs. 2 ApBetrO nicht gedeckt (Pfeil/Pieck/Blume, aaO., § 17 Rn. 191). Damit scheidet auch diese Abgabemodalität aus.
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Wenn der Verteidiger in der Beschwerde insoweit - reichlich unbestimmt und inkonsistent mit dem übrigen Vortrag - vorträgt, der Beschuldigte habe X und den Kurierdienst O als Transportmittler beauftragt, dann erschließt sich der Kammer nicht, wie das rechtskonform hätte geschehen können. Nachdem die Arzneimittel in den hier streitigen Fällen nie in die Apotheke des Beschuldigten physisch ein- und von dort aus wieder ausgeliefert wurden, wären für die Aushändigung an die Transportmittler allenfalls besitzlose Konstruktionen über die Einräumung eines Herausgabeanspruchs oder eines Besitzkonstituts denkbar (vgl. dazu bei Pfeil/Pieck/Blume, aaO., § 17 Rn. 10). Abgesehen davon, dass es keinen konkreten Vortrag zu solchen Konstruktionen gibt und die Kammer sie daher nicht unterstellen muss (vgl. nur BGH, Urteil vom 10. November 2021 - 5 StR 127/21, juris Rn. 11), würden sie das sicherheitsrechtliche Regime des Apothekenrechts „ad absurdum führen“ (so zutreffend Pfeil/Pieck/Blume, aaO), weil sie ermöglichen würden, dass Arzneimittel an Patienten abgegeben werden, ohne dass ein Apotheker oder sein qualifiziertes Fachpersonal auch nur darauf gesehen hätten. Daher ist dieser Ansatz der Beschwerde abzulehnen und es ist nicht ausreichend, wenn sie (wohl) behauptet, der Versand sei im Namen des Beschuldigten und unter seiner rechtlichen Verantwortung nicht aus seinen Räumen und nicht durch sein Personal geschehen.
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(cc) Schließlich können Arzneimittel von Erlaubnisinhabern nach § 11a ApoG im Wege des Versandhandels abgegeben werden. Der Beschuldigte ist Erlaubnisinhaber. Allerdings erlaubt § 11a ApoG den Versand nur aus der öffentlichen Apotheke (vgl. § 11a Satz 1 Nr. 1 ApoG), d.h. aus Räumen, die von der einheitlichen Betriebserlaubnis der Apotheke erfasst sind (OLG Karlsruhe, Urteil vom 29. Mai 2019 - 6 U 36/18, juris Rn. 78 f.; Pfeil/Pieck/Blume, aaO., § 17 Rn. 241; Tanner/Paschen, Apotheken-Vorschriften, 105. EL 2022, § 11a ApoG Rn. 1; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 13. März 2008 - 3 C 27/07, juris Rn. 25; Urteil vom 23. April 2020 - 3 C 16/18, juris Rn. 13). Auch diese Abgabemodalität scheidet hier aus. Den Bescheiden der Stadt M, mit denen dem Beschuldigten Erlaubnisse zum Apothekenbetrieb erteilt worden sind, sind jeweils Grundrisszeichnungen beigefügt, die die als Betriebsräume genehmigten Räumlichkeiten ausweisen. Demgegenüber unterhielt X an ihrem Betriebssitz in N ein Lager mit einem gesonderten Tisch, auf dem die hier interessierenden Arzneimittel verpackt und zusammengestellt wurden. Bei diesem Lager handelte es sich weder um einen genehmigten Betriebsraum des Beschuldigten, noch suchte er dieses Lager - etwa zu Kontrollzwecken - überhaupt auf. Von dort aus wurden die Arzneimittel direkt an die Kurierfahrer von O übergeben und zu den Patienten transportiert. Bei dem Lagerraum der X handelt es sich auch nicht um einen gem. § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ApBetrO ausgelagerten Raum der Apotheke. Diese Vorschrift dispensiert den ausgelagerten Raum weder von der apothekenrechtlichen Erlaubnis (die es für den Lagerraum nicht gibt), noch liegt der Lagerraum in N in angemessener Nähe zu den übrigen Betriebsräumen in M (§ 4 Abs. 4 Satz 2 ApBetrO); schließlich ist den Aussagen der Mitarbeiter der X nicht ansatzweise zu entnehmen, der Beschuldigte habe in ihren Betriebsräumen einen eigenen Raum unterhalten. Im Gegenteil: Soweit die vernommenen Zeugen von gelegentlichen Besuchen des Beschuldigten bei X berichten, haben sie ihn nie im Lager gesehen; vielmehr scheint er lediglich Besprechungen mit dem Geschäftsführer, dem Mitbeschuldigten D, gehalten zu haben. So wird das Gesetzesziel klar verfehlt: Die Verknüpfung des Arzneimittelversands mit der Apotheke soll gerade sicherstellen, dass die versandten Arzneimittel von pharmazeutischem Personal (vgl. § 1a Abs. 3 Nr. 2 und 3, § 3 Abs. 5 Satz 1 ApBetrO) aus einer vom Apotheker kontrollierten Sphäre (vgl. § 21 Abs. 2 Nr. 1 ApoG, § 4 Abs. 1 Satz 1, § 12 Abs. 1 Satz 1, § 16 Abs. 1 Satz 1 ApBetrO) entsprechend den konkreten Anforderungen (vgl. § 21 Abs. 2 Nr. 1 ApoG, § 17 Abs. 5 Satz 1 ApBetrO) bereitgestellt, verpackt und zum Transport gegeben werden (vgl. § 11a Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a, § 21 Abs. 2 Nr. 1a ApoG, § 17 Abs. 2a Satz 1 Nr. 1 und 2 ApBetrO), so dass die Arzneimittelsicherheit, namentlich die Qualität und Wirksamkeit der Arzneimittel, in gleicher Weise gewährleistet ist wie bei persönlicher Übergabe durch die Apotheke an den Patienten (OLG Karlsruhe, Urteil vom 29. Mai 2019 - 6 U 36/18, juris Rn. 80).
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Das von der Beschwerde angeführte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. März 2008 (3 C 27/07, juris) zur Arzneimittelabgabe über Abholstationen ist unbehelflich, weil es hier nicht darum geht, ob die Medikamente unmittelbar den Patienten ausgehändigt werden, sondern darum, dass kein Versand aus der Apotheke stattgefunden hat.
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(dd) Die Voraussetzungen der zwischen Verteidiger und GenStA streitig verhandelten Norm des § 3 Abs. 5a ApBetrO waren offensichtlich nicht erfüllt, soweit es um die Mitarbeiter bei X ging (dort keine Handlungen „unter Aufsicht eines Apothekers…“), sodass die Kammer hierauf nicht weiter eingeht.
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(2) Der Beschuldigte täuschte mutmaßlich weiter darüber, dass er nicht gegen § 11 Abs. 1 ApoG verstoßen habe.
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(a) Der Verdacht ist allerdings im Tatsächlichen anders strukturiert als ihn die Kammer noch in ihrem Beschluss vom 10. März 2022 (12 Qs 6/22, juris Rn. 13) nach seinerzeitigem Verfahrensstand gesehen hat. Damals hatte sie gemeint, die Zuweisung von Verschreibungen an den Beschuldigten sei von den die Rezepte ausstellenden Ärzten ausgegangen und von X lediglich vermittelt worden. Eine Verbindung einzelner Ärzte zum Beschuldigten, die als Zuweisung i.S.d. § 11 Abs. 1 ApoG verstanden werden könnte, ist jedoch derzeit nicht erkennbar. Vielmehr sprechen die Umstände für eine unmittelbare Zuweisung von X an den Beschuldigten. Auch das erfüllt aber den Verbotstatbestand. Der Beschuldigte war als Erlaubnisinhaber der Apotheke Adressat des Verbots. Er durfte mit Ärzten oder anderen Personen, die sich mit der Behandlung von Krankheiten befassen, keine Absprachen treffen, die Zuweisungen von Verschreibungen zum Gegenstand haben (§ 11 Abs. 1 Satz 1 ApoG). X war eine solche andere behandelnde Person. Das war sie zwar nicht in ihrer Eigenschaft als Arzneimittelgroßhändler (vgl. Rixen in Rixen/Krämer, ApoG, 2014, § 11 Rn. 18), wohl aber, weil sie sich im Rahmen ihrer Patientenbetreuung mit der Behandlung von Krankheiten befasste. Behandlung ist dabei weit zu verstehen. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift sollen davon alle Personen erfasst werden, die sich im weiteren Sinne mit der Untersuchung und Behandlung von Krankheiten befassen (OLG Karlsruhe, Urteil vom 14. Juni 2013 - 4 U 254/12, juris Rn. 21; Wesser in Kieser/Wesser/Saalfrank, ApoG, Stand Mai 2017, § 11 Rn. 124; vgl. auch die Beispielsfälle bei Rixen, aaO, § 11 Rn. 20 ff. und bei Pfeil/Pieck/Blume, ApBetrO, 15. EL 2021, § 17 Rn. 107c je m.w.N.). Die von X angebotene Patientenbetreuung, die telefonisch, telemedizinisch (bei den Blutdruckmessgeräten) oder vor Ort durch die Außendienstmitarbeiter erfolgte, hatte zum Ziel, die Behandlung der Patienten zu unterstützen. Dies geschah durch Einweisung in die Handhabung der Hilfsmittel und durch Erhebung von Daten für eine bessere medikamentöse Einstellung der Patienten. Unschädlich war, dass X eine GmbH ist; das nahm ihr nicht die Eigenschaft einer anderen Person i.S.d. § 11 Abs. 1 Satz 1 ApoG (OLG Karlsruhe, Urteil vom 14. Juni 2013 - 4 U 254/12, juris Rn. 20; Wesser, aaO, § 11 Rn. 131; Rixen, aaO, § 11 Rn. 19).
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Die zwischen dem Beschuldigten und X bestehende Absprache betraf auch Zuweisungen von Verschreibungen. Zwar wurde (bislang) kein schriftliches Vertragswerk vorgelegt, aufgrund dessen X sich verpflichtet hätte, die Apotheke des Beschuldigten dauerhaft mit Rezepten zu versorgen. Eine Absprache kann aber auch stillschweigend getroffen werden oder aus einer eingespielten Übung heraus entstehen (OVG Münster, Urteil vom 2. September 1999 - 13 A 3323/97, juris Rn. 27; OLG Hamm, Urteil vom 29. August 2006 - 19 U 39/06, juris Rn. 25; Sieper in Spickhoff, Medizinrecht, 4. Aufl., § 11 ApoG Rn. 1). So liegen die Dinge hier. Die eingehenden Rezepte der verschiedenen verordnenden Ärzte wurden von X gesammelt und dann in gewissen Abständen vom Beschuldigten oder dem Mitbeschuldigten C abgeholt und in die Apotheke verbracht. Der Beschuldigte leistete ausweislich der Rechnungen für die Sicherstellung der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der an der besonderen Versorgung teilnehmenden Patienten im Gegenzug erhebliche monatliche Zahlungen an X. In seinem Jahresabschluss für 2019 wurden bei den Kosten der Warenabgabe als „Kosten X Arzneimittelversorgung“ 469.938,90 € angegeben. Bereits im Dezember 2012 gab der Beschuldigte gegenüber einer Mitarbeiterin der ihn kreditierenden P-Bank an, der entsprechende Posten - er entgelte die Organisation und Durchführung des Rezeptmanagements sowie die Vereinbarung der Liefertermine - würde in seiner Gewinn- und Verlustrechung unter „Provisionen“ erfasst; Vertragspartner war damals aber nicht X, sondern die R. Auch wenn letzteres nur ein mittelbares Indiz einer übergreifenden Praxis des Beschuldigten abgibt, liegt - im Sinne eines Verdachts - zwischen dem Beschuldigten und X sonach eine (fortgesetzte) gefestigte Praxis vor, die sich als zumindest konkludente Absprache begreifen lässt. Diese war auf Zuweisungen von Verschreibungen an den Beschuldigten gerichtet. Eine Zuweisung im Sinne des § 11 Abs. 1 ApoG liegt vor, wenn der Behandler das Rezept nicht an den Patienten aushändigt, sondern es unmittelbar der begünstigten Apotheke zukommen lässt und der Patient also vom Kontakt mit der Apotheke ausgeschlossen wird (OVG Münster, Urteil vom 2. September 1999 - 13 A 3323/97, juris Rn. 22 ff.; Rixen in Rixen/Krämer, ApoG, 2014, § 11 Rn. 33). So sieht das hier aus.
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Unschädlich ist, dass die Patienten ausweislich der von ihnen ausgefüllten Einverständnis- und Vollmachtformulare die Einreichung der Rezepte bei einer Apotheke in die Hände der X gelegt haben. Das ändert an der Unzulässigkeit der Zuweisung nichts, denn deren Verbot besteht im - indisponiblen - öffentlichen Interesse (OLG Hamm, Urteil vom 29. August 2006 - 19 U 39/06, juris Rn. 26; OVG Münster, Beschluss vom 14. Februar 2013 - 13 A 2521/11, juris Rn. 6; Wesser, jurisPR-MedizinR 1/2016 Anm. 5; Pfeil/Pieck/Blume, ApBetrO, 15. EL 2021, § 17 Rn. 107a je m.w.N.).
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Legt man § 11 Abs. 1 ApoG einschränkend dahin aus, dass er die Zuweisung nur insofern verbietet, als diese ohne hinreichenden Grund erfolgt (Mecking in Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, 3. Aufl., § 11 ApoG Rn. 7 ff.; wohl auch Prütting, Medizinrecht, 6. Aufl., § 11 ApoG Rn. 4), wäre ein Grund hier entgegen der Auffassung der Beschwerde nicht gegeben. Ausweislich der vorgelegten Patientenbefragungen der AOK und der KKH gab es eine ganze Reihe von Patienten mit seltenen Leiden, die die von X vertriebenen Hilfsmittel zur Medikamenteneinnahme brauchten und die ihre Arzneimittel schlicht von ihrer örtlichen Apotheke bezogen. Die Leistung von X gegenüber den Patienten, soweit es um die Abgabe der Arzneimittel ging, bestand im Versand dieser Arzneimittel durch einen Kurierdienst. Es ist entgegen dem Beschwerdevortrag nicht erkennbar, dass dies nicht von jeder beliebigen anderen Apotheke gleicherweise geleistet werden könnte (vgl. § 17 Abs. 2 ApBetrO; § 11a ApoG). Die Patientenbetreuung der X - die Einweisung in die Nutzung der Hilfsmittel und die Kontaktpflege - könnte immer noch betrieben werden, würde man das Rezeptmanagement ausklammern.
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(b) Die konkludente Erklärung, die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 ApoG lägen nicht vor, begründet eine betrugsrelevante Täuschung (Kammer, Beschluss vom 10. März 2022 - 12 Qs 6/22, juris Rn. 12 m.w.N.). § 11 Abs. 1 ApoG wird, um dies zunächst festzuhalten, durch die in Einzelfällen möglicherweise greifenden Regelungen über das Entlassmanagement zugunsten einzelner Patienten nicht derogiert (§ 39 Abs. 1a Satz 4 SGB V; vgl. Noftz in Hauck/Noftz, SGB V, 10. EL 2022, § 39 Rn. 129k). Die Täuschung beruhte darauf, dass ein Verstoß gegen § 11 Abs. 1 ApoG zugleich einen Verstoß gegen das für alle Leistungen nach SGB V geltende Qualitätsgebot des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V bedeutete. Das Qualitätsgebot stellt Anforderungen an die strukturellen und prozeduralen Voraussetzungen der Leistungserbringung (BSG, Urteil vom 26. April 2022 - B 1 KR 26/21 R, juris Rn. 15; Urteil vom 16. August 2021 - B 1 KR 18/20 R, juris Rn. 12; Plagemann in jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 2 Rn. 47; Noftz, aaO, § 2 Rn. 54 f.). Zur Strukturqualität einer Leistung werden auch die Kooperation mit anderen an der Leistungserbringung Beteiligten sowie die Einhaltung der Grenzen der zulässigen Kooperation gezählt (vgl. Noftz, aaO, § 2 Rn. 55). Verstöße gegen das Qualitätsgebot in Gestalt einer Unterschreitung von Mindestanforderungen führen zum Wegfall des Vergütungsanspruchs insgesamt (BSG, Urteil vom 26. April 2022 - B 1 KR 26/21 R, juris Rn. 16 m.w.N.; Wiegand, medstra 2022, 343, 346, 348 f.; Scholz in Becker/Kingreen, SGB V, 8. Aufl., § 2 Rn. 3).
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§ 11 Abs. 1 ApoG stellt - im Sinne einer negativen Abgrenzung - nicht unterschreitbare Mindestanforderungen für die Leistungserbringung des Apothekers auf. Indem sie bestimmte Formen der Kooperation untersagt, soll die Regelung sicherstellen, dass der Erlaubnisinhaber einer Apotheke sich bei seinem Kontakt zu anderen Gesundheitsberufen, die Einfluss auf sein Entscheidungsverhalten haben, nicht von sachfremden und vor allem nicht von finanziellen Erwägungen leiten lässt. Sie soll damit Verhaltensweisen der Apotheker entgegenwirken, die die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln beeinträchtigen können (BGH, Urteil vom 18. Juni 2015 - I ZR 26/14, juris Rn. 20; Urteil vom 26. April 2018 - I ZR 121/17, juris Rn. 58; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. April 2008 - L 1 KR 78/07, juris Rn. 33). Die Sicherung der Integrität des Apothekers sichert so die Qualität seiner Leistung; § 11 Abs. 1 ApoG stellt deshalb keine bloße Ordnungsvorschrift i.S.d. Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dar (vgl. Prütting/Wolk, JZ 2022, 1101, 1105 m.w.N.). Nach gegebenem Verfahrensstand hat der Beschuldigte mit seinem Verstoß gegen § 11 Abs. 1 ApoG diese Mindestanforderungen unterschritten, und zwar nicht nur theoretisch-abstrakt, sondern ganz konkret, wie die auf der Zuweisungspraxis beruhende laxe Handhabung der Abgabe der Arzneimittel belegt. Diese erfolgte, ohne dass je ein Apotheker einen kontrollierenden Blick darauf geworfen hätte (s.o.). Das zieht den Wegfall des Vergütungsanspruchs nach sich (so im Ergebnis auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. April 2008 - L 1 KR 78/07, juris). Über das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen für den Wegfall seines Vergütungsanspruchs hat der Beschuldigte getäuscht.
32
(3) Der Beschuldigte täuschte schließlich mutmaßlich konkludent über das Nichtvorliegen einer unzulässigen Beeinflussung i.S.d. § 7 AVV.
33
(a) Es ist ebenfalls hinreichend belegt, dass er gegen § 7 Abs. 1 des zwischen dem Verband der Ersatzkassen und dem Deutschen Apothekerverband geschlossenen Arzneiversorgungsvertrags (AVV, i.d.F. vom 1. April 2016, nunmehr § 18 AVV i.d.F. vom 1. März 2021) verstoßen hat. Hierzu hat der Bundesgerichtshof ausgesprochen, dass dem Abrechnungsbegehren eines Apothekers, der gegen § 7 Abs. 1 AVV verstoßen hat, Täuschungscharakter im Sinne des Betrugstatbestandes zukommt (BGH, Urteil vom 19. August 2020 - 5 StR 558/19, juris Rn. 63; gebilligt vom BVerfG im Beschluss vom 5. Mai 2021 - 2 BvR 2023/20, juris; zust. Mosbacher, CCZ 2022, 1, 4; krit. Prütting/Wolk, JZ 2022, 1101, 1102 ff.).
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§ 7 Abs. 1 AVV bestimmt - unter der Überschrift „Allgemeine Zusammenarbeit“ -, dass die Versicherten weder von den Apotheken zulasten der Ersatzkassen, noch von den Ersatzkassen zugunsten bestimmter Apotheken beeinflusst werden dürfen. Das gilt auch für die Zuweisung von Verordnungen an einzelne Apotheken.
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Die nach § 7 AVV verbotene Beeinflussung der Versicherten durch die Apotheke zulasten der Kassen war hier keine unmittelbare in dem Sinne, dass der Beschuldigte auf die Patienten kommunikativ eingewirkt und sie in seine Apotheke gelockt hätte. Die Beeinflussung war vielmehr eine mittelbare in dem Sinn, dass die eingespielte Zusammenarbeit des Beschuldigten mit X es X ermöglichte, ein attraktives Gesamtservicepaket anzubieten, in dem den Patienten die fortlaufende Betreuung, die Überlassung von Hilfsmitteln und die Besorgung der Arzneimittel „aus einer Hand“ offeriert wurde. Verordnungen von Patienten, die darauf eingingen, wurden aufgrund der Kooperation zwischen dem Beschuldigten und X - ohne dass die Patienten hierüber gesondert entschieden hätten - in die Apotheke des Beschuldigten gelenkt. Wie die Überschrift „allgemeine Zusammenarbeit“ nahelegt, soll allgemein jede Art von Beeinflussung der in § 7 AVV beschriebenen Art unterbunden werden. Damit sind - nach dem Wortsinn und nach dem Zweck der Vorschrift - auch Beeinflussungen durch Apotheken erfasst, die struktureller Art sind und nur mittelbar auf die Patienten einwirken, indem sie deren Willensbildung gegen die freie Apothekenwahl und für die Inanspruchnahme des Pakets aus einer Hand - und damit zugunsten der Apotheke des Beschuldigten - beeinflussen (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2010 - 1 StR 220/09, juris Rn. 53 ff. zur Beeinflussung i.S.d. § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG).
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(b) Wegen der Betrugsrelevanz der Täuschung ist auf die Ausführungen oben zu § 11 Abs. 1 ApoG zu verweisen. Auch § 7 AVV soll die Integrität des Apothekers und damit die Qualität seiner Leistungen sichern. Demnach führt ein Verstoß gegen diesen Standard zum Wegfall der Vergütung.
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bb) Die mutmaßliche Schadenshöhe beim Betrug ergibt sich aus der Auswertung der Abrechnungen des Beschuldigten. Der Verdacht wegen der weiteren Merkmale des Betrugstatbestandes ist ebenfalls gegeben (vgl. Kammer, Beschluss vom 10. März 2022 - 12 Qs 6/22, juris Rn. 14). Soweit die Beschwerde insistiert, es fehle bei den Krankenkassen an einem Irrtum und an einer irrtumsbedingten Vermögensverfügung, verweist die Kammer zur Meidung von Wiederholungen auf ihren Beschluss vom 7. November 2022 (12 Qs 49/22, juris Rn. 32). Der weitere Einwand der Beschwerde, es gehe nicht an, dass sich das Gericht mit der Möglichkeit eines Verstoßes gegen § 11 Abs. 1 ApoG begnüge, und die verschiedentlichen Monita, bestimmte Umstände müssten feststehen, bevor ein Arrest erlassen werde, verkennen die Anforderungen an den Erlass eines Arrestbeschlusses. Soweit die Beschwerde schließlich darauf abstellt, es bestünden zugunsten des Beschuldigten verschiedentlich sozialrechtliche Vermutungen gesetzeskonformen Verhaltens, kommt es darauf nicht an, weil im Ermittlungs- und Strafverfahren die Beweislast ohnehin bei den Strafverfolgungsbehörden liegt, die bislang durchgeführten Ermittlungen aber gerade Geschehensabläufe nahelegen, die rechtswidrig sind.
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2. Das für die Arrestanordnung notwendige Sicherungsbedürfnis besteht.
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a) Der Vermögensarrest muss zur Sicherung der Vollstreckung erforderlich sein. Die Regelung bedingt, dass der allgemeine Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, das Übermaßverbot und die bisherige Rechtsprechung zum Arrestgrund zu beachten sind. Demnach kommt der Arrest nur in Betracht, wenn zu besorgen ist, dass ohne dessen Verhängung die Vollstreckung des Urteils vereitelt oder wesentlich erschwert werde. Hierbei sind alle Umstände zu würdigen, die geeignet sind, Anhaltspunkte für oder gegen eine drohende Vereitelung oder Erschwerung der Vollstreckung zu ergeben. Dazu können die Art und die Umstände der Verfehlung, die darauf bezogene Hartnäckigkeit und Dauer sowie Maß und Mittel der Tatabsicherung Berücksichtigung finden. Allein das Gewicht der zugrundeliegenden Tat wird nur in besonderen Ausnahmefällen ausreichen (hat aber immer eine gewichtige Indizwirkung, Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 111e Rn. 6 m.w.N.). Um einen Arrestgrund bejahen zu können, sind vielmehr regelmäßig weitere Erkenntnisse, auch aus dem Verhalten nach der Tat, insbesondere unter dem Eindruck des laufenden Verfahrens erforderlich, die auf eine entsprechende Vollstreckungsvereitelungsabsicht hindeuten könnten (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 - StB 46/20, juris Rn. 6; OLG Nürnberg, Beschluss vom 20. Dezember 2018 - 2 Ws 627/18, juris Rn. 101; Köhler, aaO, m.w.N.), wobei auch allgemein kriminalistische Erfahrungen zu berücksichtigen sind (vgl. Johann in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 111e Rn. 18).
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b) Diese Voraussetzungen liegen vor.
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aa) Zunächst ist festzustellen, dass das Amtsgericht die Höhe des zu arrestierenden Betrags mit 11.000.000 € jedenfalls nicht überzogen angesetzt hat. Das ist etwas weniger als der Betrag, den der Beschuldigte - soweit die GenStA den Sachverhalt bislang ermittelt hatte - gegenüber den Krankenkassen wegen der Arzneimittel berechnete, die X unmittelbar an die Patienten ausgeliefert hatte (nämlich 11.061.978,03 €). Diesen Betrag hat er von den Kassen ausgezahlt bekommen, ihn mithin erlangt (§ 73 Abs. 1, § 73c StGB). Die Aufwendungen des Beschuldigten - d.h. die an X gezahlten Arzneimittelpreise und die monatlichen Zahlungen für die „Sicherstellung der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung…“ - waren von dem o.g. Betrag nicht abzuziehen. Zwar sind nach § 73d Abs. 1 Satz 1 StGB die Aufwendungen des Täters abzuziehen. Das gilt jedoch nicht dafür, was für die Begehung der Tat oder ihre Vorbereitung eingesetzt worden ist (§ 73d Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 StGB). Hier sind die Zahlungen an X nur deshalb erfolgt, um anschließend Rechnungen an die Kassen stellen zu können. Die Rückausnahme des § 73d Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 StGB greift hier nicht. Zwar ist der Apotheker zur Belieferung von Verordnungen verpflichtet (vgl. § 17 Abs. 4 ApBetrO) und er erfüllt mit der Belieferung zugleich eine Verpflichtung gegenüber den Kassen (§ 3 Abs. 1 RahmenV a.F. = § 6 RahmenV n.F.). Allerdings hat eine Belieferung nach Lage der Dinge gerade nicht stattgefunden, sodass der Beschuldigte seinen Teil der Verpflichtung nicht ordnungsgemäß erfüllt hat. Darin unterscheidet sich hiesiger Fall von demjenigen im Urteil des Bundesgerichtshofs vom 19. August 2020 (5 StR 558/19, juris Rn. 86 ff.). Ein weiterer Unterschied zum zitierten Urteil liegt darin, dass der Normverstoß hier die Leistungserbringung des Beschuldigten unmittelbar betraf, weshalb sie sozialrechtlich, und damit auch im Strafverfahren mit Null zu bewerten ist, was auch für die hierfür getätigten Aufwendungen gilt (§ 76d Abs. 2 StGB, vgl. BGH, Urteil vom 19. August 2020 - 5 StR 558/19, juris Rn. 87; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 12. November 2019 - 1 OLG 2 Ss 65/19, juris Rn. 20 ff.).
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bb) Das Sicherungsbedürfnis ist gegeben. Die durch die mutmaßlichen Betrugstaten erlangte - und daher an die Kassen zurückzuerstattende - Summe von über 11 Mio. € ist erheblich und, nachdem die Auswertung seitens der GenStA noch nicht abgeschlossen ist, wohl noch nicht das letzte Wort. Dem stehen Jahresüberschüsse aus dem Apothekenbetrieb von lediglich rund 200.000 € gegenüber (2018: 195.675,47 €; 2019: 228.590,72 €). Dabei war der Großteil des Umsatzes der Apotheke und letztlich auch ihr Gewinn auf die Kooperation mit X begründet. So wandte der Beschuldigte allein 2018 440.289,57 € und 2019 469.938,90 € für X und deren Arzneimittelversorgung aus (ohne die Kosten der Arzneimittel selbst, für die er jährlich weit über 20 Mio. € zahlte und die er anschließend mit rund 3%-igem Aufschlag abrechnete). Mit dem Wegfall der Kooperation zwischen dem Beschuldigten und X infolge des hiesigen Ermittlungsverfahrens ist der stärkste Umsatz- und Gewinnbringer der Apotheke entfallen.
43
Insgesamt ist der Beschuldigte somit prognostisch nicht in der Lage, die zu erwartenden Nachforderungen der Kassen in Höhe des Einziehungsbetrags zu erfüllen. Kredite in dieser Höhe dürfte er nicht erhalten. Denn die Stadt M hat mitgeteilt, dass der Beschuldigte den Betrieb seiner Apotheke zum 31. Dezember 2022 abgemeldet hat und die Apotheke schließen wird. Mit seinem Verzicht auf die Apothekenbetriebserlaubnis verzichtete er zum genannten Datum ebenfalls auf seine Versandhandelserlaubnis. Damit fällt die Apotheke als Kreditunterlage weg. Durch die bilanzrechtlich notwendige Passivierung - der Beschuldigte bilanziert - der Verbindlichkeiten gegenüber den Kassen, deren Bestehen vorausgesetzt, würde eine bilanzielle Überschuldung eintreten. Durch den Vermögensarrest entsteht insoweit ein grundsätzlich insolvenzfestes Sicherungsrecht (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 2 InsO; BT-Drs. 18/9525 S. 78; OLG Nürnberg, Beschluss vom 20. Dezember 2018 - 2 Ws 627/18, juris Rn. 104).
44
Aus diesen Gründen ist nach kriminalistischer Erfahrung damit zu rechnen, dass der Beschuldigte versuchen könnte, die Vermögenswerte, über die er noch verfügt, vor seinen Gläubigern in Sicherheit zu bringen. Dem beugt der Arrest vor.
45
3. Der Arrest ist auch im Übrigen verhältnismäßig.
46
Bei der Anordnung eines Arrestes ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen, bei der das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit gegen das Grundrecht des Betroffenen aus Art. 14 Abs. 1 GG abzuwägen ist. Dabei wachsen mit der den Eigentumseingriff intensivierenden Fortdauer der Maßnahme von Verfassungs wegen die Anforderungen an die Rechtfertigung der Anspruchssicherung (OLG Nürnberg, Beschluss vom 20. Dezember 2018 - 2 Ws 627/18, juris Rn. 107 m.w.N.). Derzeit fällt die Abwägung zugunsten des staatlichen Sicherungsbedürfnisses aus.
47
So ist zu berücksichtigen, dass der gegen den Beschuldigten bestehende Verdacht zwischenzeitlich gut belegt ist - die Kammer wertet den Verdacht als dringend i.S.d. § 111e Abs. 1 Satz 2 StPO - und die verursachten Vermögensschäden ein beachtliches Ausmaß haben. In die Verhältnismäßigkeitsprüfung ist weiter einzustellen, dass der Beschuldigte wegen der mutmaßlichen Straftaten bereits aufgrund der allgemeinen für ihn geltenden Regelungen in seiner Existenz bedroht und sein Vermögen dementsprechend wirtschaftlich entwertet ist (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 20. Dezember 2018 - 2 Ws 627/18, juris Rn. 109; Leppich, wistra 2019, 300, 301). Hier konfrontieren die Krankenkassen den Beschuldigten bereits jetzt mit Retaxforderungen in erheblichem Umfang, weil sie davon ausgehen, dass Vergütungsansprüche für die streitigen Rezepte nicht bestanden, so die AOK Bayern - derzeit - mit einem Betrag von 715.806 €.
48
Soweit der Arrest in wirtschaftlicher Hinsicht zur Folge hat, dass dadurch der Großteil des Vermögens des Beschuldigten dessen Verfügungsbefugnis entzogen wurde (dazu vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. April 2015 - 2 BvR 1986/14, juris), hindert das die Anordnung des Arrestes nicht. Denn sind die Voraussetzungen der Einziehung von Taterträgen nach § 73 Abs. 1 StGB oder einer hieran anknüpfenden Wertersatzeinziehung gemäß § 73c StGB erfüllt, sieht die gesetzliche Regelung die Anordnung der entsprechenden Vermögensabschöpfung vor, sofern kein Ausschlusstatbestand des § 73e StGB gegeben ist - wie hier nicht - und sofern das Gericht hiervon nicht nach § 111e Abs. 1, § 421 StPO absieht - wie hier nicht. Eine Abhilfemöglichkeit zugunsten des Beschuldigten ist dann mit der Regelung des § 459g Abs. 5 StPO eröffnet, die eine entsprechende Verhältnismäßigkeitsprüfung im Vollstreckungsverfahren vorsieht (BGH, Urteil vom 27. September 2018 - 4 StR 78/18, juris Rn. 11). Hierzu ist zu bemerken, dass die GenStA in Absprache mit dem Verteidiger dem Beschuldigten einen monatlichen pfändungsfreien Verfügungsrahmen von je 102.000 € für jedes der beiden Geschäftskonten belassen hat, um den Geschäftsbetrieb fortführen zu können, worauf es nun allerdings nicht mehr anzukommen scheint.
III.
49
Nach alldem hat die Kammer davon abgesehen, die Aussetzung der Vollziehung des Arrestes anzuordnen (§ 307 Abs. 2 StPO). In die insoweit anzustellende Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Arrestes und den dem Beschuldigten drohenden Nachteilen waren maßgebend insbesondere die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels einzustellen (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 307 Rn. 2; Neuheuser in MüKo-StPO, § 307 Rn. 7). Nachdem das Rechtsmittel aus den dargelegten Gründen aber erfolglos war, hielt die Kammer eine Vollziehungsaussetzung nicht für geboten.
IV.
50
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.