Inhalt

ArbG München, Endurteil v. 26.01.2022 – 8 Ca 2190/21
Titel:

Coronavirus, SARS-CoV-2, Tarifvertrag, Tarifvertragsparteien, Vereinigung, Leistungen, Arbeitnehmer, Manteltarifvertrag, Protokollnotiz, Feststellung, Cockpitpersonal, Frist, Anlage, Auslegung, Vereinbarung, Boeing, Frankfurt Main, Sinn und Zweck, positive Kenntnis

Schlagworte:
Coronavirus, SARS-CoV-2, Tarifvertrag, Tarifvertragsparteien, Vereinigung, Leistungen, Arbeitnehmer, Manteltarifvertrag, Protokollnotiz, Feststellung, Cockpitpersonal, Frist, Anlage, Auslegung, Vereinbarung, Boeing, Frankfurt Main, Sinn und Zweck, positive Kenntnis
Rechtsmittelinstanz:
LArbG München, Urteil vom 19.10.2022 – 10 Sa 122/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 36621

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 46.128,83 € festgesetzt.
4. Die Berufung wird nicht zugelassen, soweit sie nicht kraft Gesetzes statthaft ist.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über tarifvertragliche Zahlungsansprüche des Klägers auf Vergütung nicht abgerufener Standby-Dienste und auf Umsetzung einer linearen Gehaltserhöhung.
2
Der Kläger ist seit dem 12.03.2001 auf Grundlage des Arbeitsvertrages vom 06.03.2001 (Anlage B10, Bl. 294 ff. d.A.) am Stationierungsort München tätig und zuletzt als Flugkapitän eingesetzt. Sein durchschnittliches Bruttomonatsgehalt beträgt derzeit 13.568,86 €.
3
Der Kläger ist Mitglied der Vereinigung C. e.V. Auf das Arbeitsverhältnis finden die zwischen der Vereinigung C. e. V. und der Beklagten abgeschlossenen Haustarifverträge, d. h. der Manteltarifvertrag Nr. 4 für das Cockpitpersonal (MTV Nr. 4) gültig ab 1. November 2016 (Anlage K2, Bl. 14 ff. d. A.), und der Vergütungstarifvertrag Nr. 6 für das Cockpitpersonal (VTV Nr. 6) gültig ab 1. Januar 2018 (Anlage K13, Bl. 344 ff. d.A.) Anwendung. Gemäß § 15 Abs. 14 MTV Nr. 4 werden nicht abgerufene Standby-Dienste wertmäßig mit jeweils zwei Mehrflugstunden in der ersten Stufe des jeweils gültigen VTV vergütet.
4
Die Beklagte ist ein Luftfahrtunternehmen mit etwa 2.400 Beschäftigten, dabei regelmäßig mehr als 1.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Bereich des fliegenden Personals.
5
Am 23.11.2017 verständigten sich die Beklagte und die Vereinigung C. e.V. auf eine Tarifvereinbarung (im Folgenden: Tarifvereinbarung 2017, Anlage K1, Bl 8 ff. d.A.). Die Vereinigung C. e. V. wollte mit dieser Vereinbarung eine Beschäftigungssicherung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Cockpitpersonals erreichen. In der Tarifvereinbarung 2017 heißt es auszugsweise:
„I. Betrieb von 39 Flugzeugen
1. Ab dem Sommerflugplan 2018 werden mindestens 35 Flugzeuge vom Typ Boeing 737 von der T. betrieben, wobei bis zu maximal 7 der 35 Flugzeuge im Wetlease an Dritte vermarktet werden. Ab dem Sommerflugplan 2019 werden, für die verbleibende Laufzeit dieser Vereinbarung (bis zum 31.12.2020), insgesamt mindestens 39 Flugzeuge vom Typ Boeing 737 von der T. betrieben, wobei bis zu maximal 7 der 39 Flugzeuge im Wetlease an Dritte vermarktet werden.
Zum Ausgleich von saisonalen Schwankungen gilt die Mindestanzahl von 35 Flugzeugen für folgende Zeiträume:
- 01.05.2018 bis 31.10.2018 Zum Ausgleich von saisonalen Schwankungen gilt die Mindestanzahl von 39 Flugzeugen für folgende Zeiträume:
- 01.05.2019 bis 31.10.2019 – 01.05.2020 bis 31.10.2020.
(…)
2. Der unter Ziffer 1 beschriebene Betrieb von mindestens 35 Flugzeugen in dem Jahr 2018 und 39 Flugzeugen ab dem Jahr 2019 samt den dort aufgeführten Regelungen betreffend der saisonalen Schwankungen sowie der Verfahren zum Phase-in/Phase-out stellt bindende Geschäftsgrundlage und somit die Voraussetzung für die nachfolgend aufgeführten Maßnahmen dar.
II. Vergütungstarifvertrag
1. Bei dem zum 01. Januar 2018 in Kraft tretenden Vergütungstarifvertrag Nr. 6 vom 28. September 2016 (nachfolgend: VTV Nr. 6) kommt die vereinbarte Vergütungserhöhung von 2,5% nicht zur Anwendung (…).
III. Manteltarifvertrag (…)
3. Die zum 01. November 2016 im § 15 Abs. 14 MTV Nr. 4 eingeführte Bezahlung für nicht abgerufene Standby Dienste wird zum 31. Dezember 2017 ersatzlos gestrichen (…).
IV. Unterschreitung der Anzahl an Flugzeugen
1. Sobald der unter I. Ziffer 1 geregelte Betrieb der vereinbarten Mindestanzahl (35 Flugzeuge im Jahr 2018 und 39 Flugzeuge ab dem Jahr 2019) während der Laufzeit dieser Vereinbarung (bis zum 31.12.2020) unterschritten wird, leben die Regelungen zum Standby-Konzept und der Dienstplanstabilität, die unter III. Ziffer 2 und 3 dieser Tarifvereinbarung ausgesetzt wurden, mit sofortiger Wirkung wieder auf. Dies gilt unabhängig von anderslautenden Regelungen eines jeweils gültigen Manteltarifvertrages zum Standby-Konzept und der Dienstplanstabilität.
Darüber hinaus wird in diesem Falle rückwirkend zum 01. Januar des jeweiligen Vorjahres eine zusätzlich lineare Gehaltssteigerung von 2,5% vorgenommen. Klarstellend wird darauf hingewiesen, dass die vereinbarten Vergütungserhöhungen hiervon unberührt bleiben. Auf dieser Gehaltssteigerung basierend sind alle Beträge des VTV Nr. 6 (bspw. Gehaltstabellen, Mehrflugstundenvergütung, Trainerzulagen etc.) der Folgejahre nachzuberechnen.
2. Sofern im Falle der Einflottung eines anderen Flugzeugsmusters eine Reduzierung der Flugzeugflotte und damit eine Unterschreitung der unter I. Ziffer 1 festgestellten Mindestanzahl von Flugzeugen erfolgt, verpflichten sich die Parteien hinsichtlich einer Anpassung der Flugzeugflottengröße zu verhandeln. Ausgenommen von der Verhandlungsverpflichtung ist die Einführung einer Langstreckenoperation, sofern die T. sicherstellt, dass keine Personalüberdeckung und keine Verringerung des Personalbedarfs entstehen. Unterschreitet die T. die unter I. Ziffer 1 vereinbarte Mindestanzahl (35 Flugzeuge im Jahr 2018 und 39 Flugzeuge ab dem Jahr 2019) während der Laufzeit dieser Vereinbarung (bis zum 31.12.2020), obwohl die Tarifvertragsparteien keine Einigung erzielten, kommt die Regelung unter IV. Ziffer 1 zur Anwendung.
Die unter I. Ziffer 1 festgelegte Mindestanzahl der Flugzeuge kann bei höherer Gewalt unterschritten werden. Die Feststellung von höherer Gewalt und eine damit etwaige Reduzierung der unter I. geregelten Flottengröße bedürfen jedoch einer einvernehmlichen Feststellung zwischen den Tarifvertragsparteien.
(…)
VII. Inkrafttreten und Vertragsdauer
Diese Tarifvereinbarung tritt mit Unterzeichnung in Kraft und endet automatisch, ohne dass es einer Kündigung bedarf, am 31.Dezember 2020. Diese Tarifvereinbarung entfaltet keine Nachwirkung hinsichtlich der Ziffern I., IV., V. und VI. Gem. II. Ziffer 3 und III. Ziffer 1 entfalten der Vergütungstarifvertrag und der Manteltarifvertrag weiterhin Nachwirkung. Sollte es während der Laufzeit dieser Vereinbarung zur Überschreitung der in I. vereinbarten Mindestanzahl von Flugzeugen kommen, dann entfalten zudem die in IV. Ziffer 1, zweiter Absatz genannten Regelungen zum Vergütungstarifvertrag weiter Nachwirkung.“
6
Bei Anwendung der linearen Gehaltserhöhung von 2,5% für den Zeitraum Januar 2018 bis einschließlich Dezember 2021 hätte der Kläger ein um insgesamt 14.250,00 € brutto höheres Gesamtgehalt bezogen. Bei einer Vergütung der nicht abgerufenen StandbyDienste mit jeweils zwei Mehrflugstunden gemäß § 15 Abs. 14 MTV Nr. 4 für den Zeitraum Januar 2018 bis Dezember 2021 würde der Kläger weitere 22.109,32 € brutto erhalten.
7
Die europäische Luftfahrtbehörde EASA sperrte am 12.03.2019 den europäischen Luftraum für Maschinen des Typs Boeing 737 MAX 8 und MAX 9, später folgte ein „weltweites Flugverbot“. Erst am 21.01.2021 hat die europäische Luftfahrtbehörde EASA den europäischen Luftraum für Maschinen des Typs Boeing 737 MAX 8 und MAX 9 wieder geöffnet. Der Flugzeughersteller Boeing lieferte vier bestellte Flugzeuge des Typs Boeing 737 MAX 8 nicht planmäßig im März, April und Mai 2019 an die Beklagte aus. Drei bis dahin geleaste ältere Maschinen des Typs Boeing 737 wurden im Laufe des Jahres 2019 an den Leasinggeber zurückgegeben. Die Beklagte hatte von April bis Oktober 2019 lediglich 36 Flugzeuge im Einsatz. Zwischen den Tarifvertragsparteien bestand Uneinigkeit, ob insoweit ein Fall höherer Gewalt vorlag.
8
Mit Schreiben vom 25.06.2019 informierte die Vereinigung C. e.V. ihre Mitglieder darüber, dass die zugesagte Flottengröße unterschritten worden war und dass die daraus etwaig resultierenden Ansprüche nicht sicher waren.
9
Am 17.07.2019 / 09.08.2019 unterzeichneten die Tarifvertragsparteien eine Protokollnotiz zur Tarifvereinbarung 2017 (Anlage B6, Bl. 149 d.A.), wonach die Regelung unter IV. Ziffer 1 der Tarifvereinbarung 2017 bis zum 31. August 2019 außer Kraft gesetzt wurde, da kein Einvernehmen hinsichtlich des Vorliegens höherer Gewalt bestand. In dieser Zeit sollte der Versuch unternommen werden, gemeinsam zu einer Lösung zu gelangen.
10
Nachdem bis zum 31.08.2019 kein Einvernehmen über das Vorliegen höherer Gewalt erzielt wurde, informierte die Vereinigung C. e. V. ihre Mitglieder am 16.08.2019 und 04.09.2019 über die bisher nicht erfolgte Einigung (Anlagen B11, Bl. 298 d.A. und B12, Bl. 299 d.A.). Mit Schreiben vom 06.09.2019 (Anlage B7, Bl. 150 ff. d.A.) informierte zunächst die Geschäftsleitung ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darüber, dass die Flottengröße allein wegen höherer Gewalt unterschritten worden sei. Darauf reagierte die Vereinigung C. mit einem „offenen Brief“ vom 10.09.2019 (Anlage B8, Bl. 153 f. d.A.), in dem sie der Auffassung der Beklagten widersprach und darauf hinwies, dass sie ihre Mitglieder bei der Geltendmachung der Forderungen unterstütze.
11
Am 20.11.2019 wurde ein neuer Tarifvertrag (Tarifvertrag 2019) (Anlage B2, Bl. 123 ff. d. A.) geschlossen, in dem die Tarifvertragsparteien unter Abschnitt D. Vereinbarungen zur Tarifvereinbarung vom 23 November 2017 folgendes vereinbarten: „Ziffer IV. „Unterschreitung der Anzahl an Flugzeugen“ wird gestrichen.“. In Abschnitt H. Schlussbestimmungen des Tarifvertrages regelten die Tarifvertragsparteien, das unter anderem die unter Abschnitt D. getroffene Regelung rückwirkend entfällt, sofern ein Beschluss zur Aufnahme der Langstrecke bei der T. nicht bis zum 31.03.2020 gefasst werden sollte. Mit einer Protokollnotiz zum Tarifvertrag 2019 vom 13.03.2020 (Anlage B3, Bl. 142 d.A.) stellten die Parteien fest, dass sie sich vor dem Hintergrund der unter Abschnitt D. des Tarifvertrags 2019 getroffenen Regelung einig sind, dass keine Ansprüche von Cockpitmitarbeitern für die Zeit ab dem 01.01.2018 wegen einer rückwirkenden Erhöhung der Entgelttabellen aus dem Tarifvertrag 2017 wegen Unterschreitung der Flottengröße bestehen. Diese Regelung sollte jedoch rückwirkend entfallen, sofern der Beschluss über die Etablierung einer Langstrecke bei der T. nicht bis zum 31.03.2020 beschlossen sein sollte. Aufgrund der weltweiten Corona Pandemie und der damit einhergehenden Auswirkungen auf den Flugverkehr verständigten sich die Tarifvertragsparteien am 31.03.2020 auf eine Verlängerung der Frist zur Etablierung einer Langstrecke bis zum 31.07.2020 (Anlage B4, Bl. 143 ff. d.A.).
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Im Juni 2020 teilte die Beklagte der Vereinigung C. e. V. mit, dass die Vorbereitungen für eine Langstrecke eingestellt werden.
13
Am 23.12.2020 beantragte die Beklagte beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main die Verurteilung der Vereinigung C. e. V. dahingehend, ihr gegenüber zu erklären, dass spätestens seit dem 11.03.2019 ein Fall von höherer Gewalt im Sinne des Tarifvertrages 2017 vorlag (Anlage B9).
14
Am 05.03.2021 schlossen die Tarifvertragsparteien eine „Protokollnotiz zur Tarifvereinbarung vom 23.11.2017“ mit folgendem Inhalt (Anlage B1, Bl. 88 d.A.):
„Im Rahmen der Mediation zum Abschluss des Gesamtpakets 2021 haben die Parteien Folgendes vereinbart:
Die Parteien vereinbaren, dass keine Ansprüche der Arbeitnehmer für die Zeit ab dem 01.01.2018 wegen der Unterschreitung der Flottengröße aus dem TV 2017 bestehen.“
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Nach dieser Verständigung wurde die beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main eingereichte Klage zurückgenommen.
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Mit seiner Klage vom 04.03.2021 begehrt der Kläger mit dem Antrag zu 1 für den Zeitraum ab Januar 2018 die Nachzahlung der linearen Gehaltserhöhung von 2,5% sowie die Vergütung der nicht abgerufenen Stand-by-Dienste in Höhe von insgesamt einem Betrag von 36.359,38 € brutto sowie mit Antrag zu 2 die Feststellung, dass Vergütungserhöhungen ab 2018 auf Basis der um 2,5% erhöhten Vergütung für 2017 zu berechnen seien.
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Der Kläger ist der Auffassung, dass ihm sowohl Nachzahlungen aufgrund der linearen Gehaltserhöhung von 2,5% sowie die Vergütung der nicht abgerufenen Standby-Dienste zustünden. Diese Ansprüche seien auch entstanden und auch nicht wegen höherer Gewalt entfallen, da die Flottengröße nicht wegen höherer Gewalt unterschritten worden sei. Über das Vorliegen höherer Gewalt sei in der Betriebsöffentlichkeit auch nicht gestritten worden. Die Protokollnotiz vom 05.03.2021 stehe den geltend gemachten Ansprüchen nicht entgegen. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass sie sittenwidrig sei, da sie unter dem Druck zustande gekommen sei, dass weitere 100 Personen entlassen werden sollten, wenn die Vereinigung C. e.V. dem Gesamtpaket nicht zustimme. Zudem stelle die Protokollnotiz ein Fall unzulässiger echter Rückwirkung dar, da sie in bereits entstandene Ansprüche aufgrund eines abgeschlossenen Sachverhalts eingreife. Der Kläger hätte daher darauf vertrauen dürfen, dass seine Ansprüche erfüllt würden. Er sei von der Vereinigung C. e.V. mehrfach aufgefordert worden, seine Ansprüche gegenüber der Beklagten geltend zu machen und habe dies auch erstmals im September 2019 sowie mit Schreiben vom 17.12.2020 getan. Die als Anlage B1 vorgelegte Protokollnotiz vom 05.03.2021 enthalte hinsichtlich der Unterschrift des ehemaligen Geschäftsführers der Beklagten, Herrn L., ein Faksimile. Es handele sich dabei nicht um eine Originalunterschrift und die Protokollnotiz sei insofern nicht formwirksam, da sie nicht von beiden Vertragsparteien im Original unterzeichnet worden sei. Der Personalleiter Herr S., der die Protokollnotiz für die Beklagte ebenfalls unterzeichnet hat, sei nicht allein zeichnungsbefugt.
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Der Kläger beantragt zuletzt nach teilweiser Klagerücknahme:
1. Die Beklagte wird verurteilt, 36.359,38 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die vereinbarten Vergütungserhöhungen für das Kalenderjahr 2018 und der darauffolgenden Kalenderjahre basierend auf der um 2,5% erhöhten Vergütung für das Jahr 2017 gemäß Ziffer 4 IV UA 2 der Tarifvereinbarung vom 23.11.2017 zu berechnen sind.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Zusage einer Mindestflottengröße tariflich nicht regelbar sei und die Tarifvereinbarung 2017 daher insoweit unwirksam. Darüber hinaus läge auch ein Fall höherer Gewalt vor und die Ansprüche des Klägers seien deswegen ausgeschlossen. Die Unterschreitung der ursprünglich zugesagten 39 Flugzeuge sei aufgrund der Sperrung des europäischen Luftraums für Maschinen des Typs Boeing 737 MAX 8 und MAX 9 und der Nichtauslieferung der bestellten Maschinen nicht erreicht worden. Es sei auch nicht möglich gewesen, als Ersatz andere Flugzeuge am Markt kurzfristig zu beschaffen. Darüber hinaus schließe die am 05.03.2021 zwischen den Tarifvertragsparteien geschlossene „Protokollnotiz zur Tarifvereinbarung vom 23.11.2017“ etwaige Ansprüche des Klägers wirksam aus. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers liege nicht vor, da die Beklagte und die Vereinigung C. e. V. bis zum Abschluss dieser Protokollnotiz über das Vorliegen von höherer Gewalt auch unternehmensöffentlich eine Diskussion geführt hätten und der Kläger von der Vereinigung C. e. V. sowie auch durch die Beklagte entsprechend informiert worden sei. Die Protokollnotiz vom 05.03.2021 sei Teil eines Gesamtpakets und könne daher nicht nur isoliert betrachtet werden. Herr S. sei zwar nicht als Prokurist, aber als Personalleiter allein zeichnungsbefugt im Hinblick auf die Protokollerklärung vom 05.03.2021.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens und der Rechtsausführungen wird auf die Schriftsätze des Klägers und der Beklagten jeweils nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift und den übrigen Akteninhalt Bezug genommen, §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 495, 313 Abs. 2 ZPO.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig jedoch unbegründet.
I.
23
Der Kläger hat für den Zeitraum Januar 2018 bis Dezember 2021 gegen die Beklagte weder einen Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten 2,5% Gehaltssteigerung noch auf eine Vergütung für die nicht abgerufenen Standby-Dienste. Zur Begründung verweist die erkennende Kammer auf die überzeugenden Ausführungen des Arbeitsgerichts Hamburg im Urteil vom 18. November 2021 – 2 Ca 90/21 sowie des Arbeitsgerichts München im Urteil vom 22.12.2021 – 36 Ca 3079/21 sowie im Urteil vom 02.02.2022 – 39 Ca 2189/21 und schließt sich diesen an.
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1. Es kann vorliegend dahinstehen, ob die in der Tarifvereinbarung 2017 vorgenommene Verknüpfung der Gewährung von Leistungen an die Angehörigen des Cockpitpersonals der Beklagten mit dem Erreichen bzw. Unterschreiten einer Mindestflottengröße von 39 Flugzeugen des Typs Boeing 737 ab dem 01.05.2019 rechtlich zulässig ist oder einen ungerechtfertigten Eingriff in den Kernbereich der unternehmerischen Betätigungsfreiheit der Beklagten darstellt. Ebenso bedarf es keiner Entscheidung, ob hinsichtlich der Entscheidung der europäischen Luftfahrtbehörde EASA, den europäischen Luftraum für Maschinen des Typs Boeing 737 MAX 8 und MAX 9 zu sperren, ein Fall höherer Gewalt im Sinne der Tarifvereinbarung 2017 vorliegt.
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2. Die Klage hat jedenfalls deshalb keinen Erfolg, weil die Tarifvertragsparteien mit der Protokollnotiz vom 05.03.2021 vereinbart haben, dass keine Ansprüche der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für die Zeit ab dem 01.01.2018 wegen Unterschreitung der Flottengröße aus der Tarifvereinbarung 2017 bestehen.
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2.1 Bei der Protokollnotiz handelt es sich um eine tarifliche Inhaltsnorm im Sinne des § 1 Abs. 1 TVG
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2.1.1 Protokollnotizen oder -erklärungen können eigenständiger Teil eines Tarifvertrags sein. Gegebenenfalls ist durch Auslegung zu ermitteln, ob eine Protokollnotiz oder -erklärung eine tarifliche Inhaltsnorm darstellt oder lediglich bei der Auslegung der tariflichen Regelungen zu berücksichtigen ist. Entscheidend ist, ob der Wille der Tarifvertragsparteien zur Normsetzung deutlich zum Ausdruck gebracht wird, etwa indem die Protokollnotiz inhaltlich und formal einem Tarifvertrag entspricht (vergleiche BAG, Urteil vom 13.11.2014 – 6 AZR 1102/12, NZA-RR 2015, 608, Urteil vom 27.05.2008 – 3 AZR 893/06, NJOZ 2010, 915 jeweils m.w.N.).
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Die Protokollnotiz vom 05.03.2021 hat nach diesen Grundsätzen Rechtsnormqualität. Ihrem Wortlaut nach haben die Tarifvertragsparteien eine „Vereinbarung“ getroffen, es handelt sich daher nicht um eine bloße Auslegungshilfe. Mit Abschluss der Protokollnotiz wurde seitens der Beklagten die Klage vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main zurückgenommen, sodass aus deren Empfängerhorizont es bei dem Abschluss um eine rechtssichere umfassende Klärung der Auswirkungen des Unterschreitens der Flottengröße ab April 2019 und den damit zusammenhängenden Vergütungsansprüchen ging. Aus dieser Auslegung ergibt sich auch, dass die Protokollnotiz alle im vorliegenden Verfahren streitgegenständlichen Ansprüche abbedingt, unabhängig davon, ob diese durch das Unterschreiten der in der Tarifvereinbarung 2017 vereinbarten Mindestflottengröße neu entstanden oder wiederaufgelebt wären. Eine inhaltliche Differenzierung enthält die Protokollnotiz insoweit nicht.
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2.1.2 Die Protokollnotiz ist auch formwirksam geschlossen worden.
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Für die Beurteilung, ob das Schriftformerfordernis nach § 1 Abs. 2 TVG erfüllt ist, gilt § 126 BGB, die Urkunde muss daher von den Tarifvertragsparteien bzw. deren Vertretern eigenhändig unterzeichnet werden.
31
Der Aussteller der Urkunde muss diese eigenhändig unterzeichnen. Aussteller ist dabei derjenige, der die Erklärung in eigener Verantwortung abgibt. Der Vertreter kann mit dem eigenen Namen unterschreiben (wobei sich seine Vertreterstellung aus einem Vermerk bei seiner Unterschrift oder aus dem Text der Urkunde ergeben muss). Allerdings ist – entgegen der Ansicht des BGH – die Schriftform auch dann gewahrt, wenn nur ein gesamtvertretungsberechtigtes Vorstandsmitglied für die vertretene AG unterzeichnet, ohne bei seiner Unterschrift darauf hinzuweisen, dass er zugleich für die anderen Vorstandsmitglieder handelt. Denn das gesamtvertretungsberechtigte Vorstandsmitglied hat als Aussteller der Erklärung für die vertretene AG unterzeichnet; die Frage, ob der unterzeichnende Vertreter dabei auch die anderen Vorstandsmitglieder vertreten wollte oder der Vertrag noch der Genehmigung der anderen Vorstandsmitglieder bedarf, betrifft hingegen die (alleinige) Vertretungsberechtigung des unterzeichnenden Vorstandsmitglieds und ist deshalb kein Problem der Formwirksamkeit, sondern der materiellen Wirksamkeit des Vertrags. Überdies kann ein gesamtvertretungsberechtigtes Vorstandsmitglied mit einer entsprechenden Ermächtigung der anderen Vorstandsmitglieder die AG allein wirksam vertreten und daher allein einen auch materiell wirksamen Vertrag schließen, (MüKoBGB/Einsele, 9. Aufl. 2021, BGB § 126 Rn. 13, 14.)
32
Der Abschluss eines schriftlichen Mietvertrags mit Wirkung für die GbR setzt nicht dessen Unterzeichnung durch sämtliche geschäftsführenden Gesellschafter voraus. Vielmehr kann sich die Gesellschaft gem. § 164 BGB durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Die Erklärung des Bevollmächtigten ist wirksam im Namen der Gesellschaft abgegeben, wenn sie mit einem das Vertretungsverhältnis anzeigenden Zusatz versehen ist. Eine so abgegebene Erklärung genügt auch der Schriftform. Denn sie erweckt – anders als die nur von einem einzelnen Gesellschafter ohne Vertretungszusatz abgegebene Erklärung – nicht den äußeren Anschein, es könnten noch weitere Unterschriften fehlen. Ob die Unterschrift des Vertreters von einer sie tragenden Vertretungsmacht gedeckt ist, ist keine Frage der Schriftform, sondern der Bindungswirkung gegenüber dem Vertretenen nach § 164 BGB (BGH, Urteil vom 23.01.2013 – XII ZR 35/11, NJW 2013, 1082).
33
Nach diesen Grundsätzen ist das Schriftformerfordernis des § 1 Abs. 2 TVG vorliegend allein dadurch gewahrt, dass der Personalleiter Herr S. die Protokollerklärung vom 05.03.2021 eigenhändig unterzeichnet hat. Die Unterschrift von Herrn S. war mit dem Zusatz „Personalleiter“ versehen. Zudem war allen Beteiligten hinreichend bekannt, dass Herr S. der Personalleiter der Beklagten ist. Die Beklagte hat auch vorgetragen, dass er in dieser Funktion allein vertretungsberechtigt bzw. zeichnungsbefugt war. Ein substantiiertes Bestreiten seitens des Klägers liegt diesbezüglich nicht vor, die bloße allgemeine Aussage, Herr S. sei nicht allein zeichnungsbefugt im Schriftsatz vom 31.12.2021 genügt hierfür nicht. Die Vereinigung C. e.V. als Tarifvertragspartei konnte hier aufgrund der Stellung von Herrn S. auch davon ausgehen, dass dieser für die Beklagte befugt war, Tarifverträge abzuschließen. Die Unterzeichnung mit dem Zusatz „ppa.“ ändert daran nichts, da seine Stellung als Personalleiter allen Beteiligten hinreichend bekannt war (vgl. BAG, Urteil vom 25.09.2014 – 2 AZR 567/13, NJW 2014, 3595). Bei Zweifeln hinsichtlich der Vertretungsbefugnis wäre alleinig die Vereinigung C. e.V. als Vertragspartner berechtigt, eine schriftliche Genehmigung bezüglich des Vertragsschlusses von der Beklagten zu verlangen. Eine mögliche fehlende Vertretungsmacht hat keine Auswirkung auf die Wahrung des Schriftformerfordernisses nach § 126 BGB.
34
2.2 Die Protokollnotiz ist nicht wegen Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot unwirksam.
35
2.2.1 Tarifvertragliche Regelungen tragen den immanenten Vorbehalt ihrer nachträglichen Abänderung durch Tarifvertrag in sich. Die grundsätzliche Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien zur rückwirkenden Änderung tariflicher Regelungen ist allerdings durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes der Normunterworfenen begrenzt. Es gelten insoweit die gleichen Regelungen wie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Rückwirkung von Gesetzen (vgl. BAG, Urteil vom 20.06.2018 – 7 AZR 737/16, Urteil vom 22.05.2012 – 1 AZR 103/11).
36
2.2.1.1 Zu unterscheiden ist zwischen einer echten und einer unechten Rückwirkung. Eine Rechtsnorm entfaltet dann eine echte Rückwirkung, wenn sie in einen abgeschlossenen Sachverhalt nachträglich eingreift. Um eine unechte Rückwirkung handelt es sich demgegenüber, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition entwertet. Das ist der Fall, wenn belastende Rechtsfolgen erst nach ihrem Inkrafttreten eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits „ins Werk gesetzten“ Sachverhalt ausgelöst werden („tatbestandliche Rückanknüpfung“, vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.07.2010 – 2 BvL 14/02, BAG, Urteil vom 20.06.2018 – 7 AZR 737/16).
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2.2.1.2 Bei einer echten Rückwirkung darf der Arbeitnehmer grundsätzlich darauf vertrauen, dass die Tarifvertragsparteien einen einmal entstandenen Tarifanspruch nicht rückwirkend beseitigen. Dies gilt auch in den Fällen, in denen die Ansprüche noch nicht erfüllt oder noch nicht fällig. Ob und unter welchen Voraussetzungen das Vertrauen eines Arbeitnehmers ausnahmsweise nicht schutzwürdig ist, ist eine Frage des Einzelfalls (vgl. BAG, Urteil vom 06.12.2017 – 10 AZR 575/16, Urteil vom 11.10.2006 – 4 AZR 486/05). Eine Grundlage für schützenswertes Vertrauen besteht dann nicht mehr, wenn und sobald die Normunterworfenen mit einer Änderung rechnen müssen. Dies setzt voraus, dass bereits vor der Entstehung des Anspruchs hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Tarifvertragsparteien den – zukünftigen – Anspruch zuungunsten der Arbeitnehmer ändern werden. Der Wegfall des Vertrauensschutzes hat aber nicht zur Voraussetzung, dass der einzelne Tarifunterworfene positive Kenntnis von den maßgeblichen Umständen hat, entscheidend und ausreichend ist die Kenntnis der betroffenen Kreise (vgl. BAG, Urteil vom 06.12.2017 – 10 AZR 575/16, Urteil vom 23.03.2011 – 6 AZR 765/09).
38
2.2.2 Mit der Protokollnotiz vom 05.03.2021 haben die Tarifvertragsparteien eine echte Rückwirkung vereinbart. Sie schlossen damit bereits entstandene und fällig gewordene Ansprüche aus den Jahren 2018 und 2019 rückwirkend aus. Der Kläger konnte jedoch nicht darauf vertrauen, dass die streitgegenständlichen Ansprüche gemäß Abschnitt IV. Ziffer 1 der Tarifvereinbarung 2017 wiederaufleben und dauerhaft Bestand haben. Das Wiederaufleben und der Bestand der Ansprüche war von vorneherein – bereits dem Inhalt der Norm nach – vom Nichtvorliegen höherer Gewalt und einer fehlenden entsprechenden einvernehmlichen Feststellung der Tarifvertragsparteien abhängig (Abschnitt IV. Ziffer 2 Abs. 2 Tarifvereinbarung 2017).
39
2.2.2.1 Der Kläger hat zwar durch das Schreiben der Vereinigung C. e.V. vom 25.06.2019 erfahren, dass die Mindestanzahl an Flugzeugen unterschritten wurde und daher Ansprüche gemäß Abschnitt IV. Ziffer 1 der Tarifvereinbarung 2017 bestehen könnten. Bereits diesem Schreiben konnte der Kläger jedoch entnehmen, dass die Ansprüche nicht sicher waren. So teilte die Vereinigung C. e.V. mit, dass sie sich mit der Beklagten noch in Verhandlungen befinde. Dem Kläger wurde damit erläutert, dass seine rückwirkend entstehenden Ansprüche nicht sicher waren, sondern von den weiteren Verhandlungen der Tarifvertragsparteien abhingen.
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2.2.2.2 Ein schützenswertes Interesse des Klägers ist auch im weiteren Verlauf nicht entstanden. Am 17.07.2019 / 09.08.2019 vereinbarten die Tarifvertragsparteien in der Protokollnotiz zur Tarifvereinbarung 2017, dass die Regelungen unter Abschnitt IV. Ziffer 2 bis zum 31.08.2019 außer Kraft bleibe, da kein Einvernehmen hinsichtlich des Vorliegens höherer Gewalt bestehe.
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2.2.2.3 Nachdem die Tarifvertragsparteien bis zum 31.08.2019 kein Einvernehmen über das Vorliegen höherer Gewalt erzielen konnten, unterrichtete die Vereinigung C. e.V. ihre Mitglieder mit Schreiben vom 16.08.2019 und 04.09.2019 über diesen Umstand. Die Beklagte teilte ihrerseits ihren Mitarbeitern mit Schreiben vom 06.09.2019 mit, dass die zugesagte Flottengröße allein aus Gründen höherer Gewalt unterschritten worden sei. In einem „offenen Brief“ vom 10.09.2019 widersprach die Vereinigung C. e.V. dieser Auffassung und wies darauf hin, dass sie ihre Mitglieder bei der Geltendmachung der Forderungen unterstütze. Ferner schlug sie vor, die Thematik in ein Schlichtungsverfahren einzubringen. Damit war für den Kläger und die entsprechenden betroffenen Kreise klar ersichtlich, dass nach wie vor Uneinigkeit, aber auch Verhandlungsbereitschaft über die Thematik bei den Tarifvertragsparteien bestand.
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2.2.2.4 Auch mit der Entscheidung zur Nichtetablierung einer Langstrecke im Juni 2020 i.V.m. dem Tarifvertrag 2019 ist kein Vertrauenstatbestand bezüglich der streitgegenständlichen Forderungen entstanden. Denn die Tarifvertragsparteien haben unter Abschnitt D. und H. Abs. 2 Tarifvertrag 2019 lediglich vereinbart, dass Abschnitt IV. der Tarifvereinbarung 2017 (endgültig) gestrichen werde, sofern bis zum 31.03.2020 bzw. 31.07.2020 ein Beschluss zur Aufnahme einer Langstrecke gefasst werde. Abschnitt H. Abs. 2 Tarifvertrag 2019 beinhaltet eine auflösende Bedingung, die aufgrund der Nichtetablierung einer Langstrecke schlussendlich auch eingetreten ist. Damit ist der Zustand entstanden, der vor Abschluss des Tarifvertrag 2019 bestand, d. h. der Abschnitt
IV. der Tarifvereinbarung 2017 ist wiederaufgelebt und damit auch die Uneinigkeit, ob ein Fall höherer Gewalt vorliegt. Eine Zusage, dass im Falle der Nichtetablierung einer Langstrecke die Gehaltssteigerung und die Vergütung der nicht abgerufenen Standby-Dienste erfolgt oder die Erklärung, dass kein Fall von höherer Gewalt vorliegt, enthält der Tarifvertrag 2019 nicht.
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2.2.2.5 Auch durch das Schreiben der Vereinigung C. e.V. vom 17.12.2020 ist kein Vertrauenstatbestand entstanden. Das Schreiben beinhaltet – ohne Äußerung zu der noch nicht beigelegten Streitfrage des Vorliegens einer höheren Gewalt – lediglich den Hinweis der Vereinigung C. e.V. an ihre Mitglieder, dass diese die gemäß Abschnitt IV. Ziffer 1 der Tarifvereinbarung 2017 bestehenden Ansprüche spätestens zum 31.12.2020 schriftlich geltend gemacht werden müssen.
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2.2.2.6 Auch das Außerkrafttreten der Tarifvereinbarung 2017 zum 31.12.2020 steht der Rückwirkung nicht entgegen. Die Beklagte hat noch im Jahr 2020 eine Klage beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main eingereicht, um eine Erklärung der Vereinigung C. e.V. über das Bestehen höherer Gewalt zu bewirken. Die Tarifvertragsparteien haben in der Tarifvereinbarung 2017 keine Frist festgelegt, innerhalb derer eine Verständigung über die streitige Frage hinsichtlich des Vorliegens höherer Gewalt erfolgen muss. Auch im Wege der (ergänzenden) Auslegung kann der Tarifvereinbarung 2017 mangels entsprechender Anhaltspunkte im Wortlaut nicht entnommen werden, dass diese Verständigung bis zum 31.12.2020 erfolgt sein muss. Hinzu kommt, dass Abschnitt VII. letzter Satz der Tarifvereinbarung 2017 für den Fall des Unterschreitens der Flottengröße während der Laufzeit eine Nachwirkung für die in Abschnitt IV. Ziffer 1 Abs. 2 genannten Regelungen zum VTV regelt. Auch vom Sinn und Zweck her ist eine derartige Begrenzung nicht geboten. Es ist vielmehr naheliegend, dass eine Auseinandersetzung über das Vorliegen höherer Gewalt – sei es gerichtlich oder außergerichtlich – mehrere Monate oder Jahre in Anspruch nehmen kann, zumal die Tarifvertragsparteien kein verbindliches Schlichtungsverfahren vereinbart haben. Dies bringt zwar eine längere Ungewissheit für die Beschäftigten über den Bestand einer Forderung mit sich, was jedoch nicht unzumutbar ist. Da es sich dabei lediglich um eine Gehaltserhöhung von 2,5% und um einen zusätzlichen Vergütungsbestandteil handelt, ist auch nicht der Kernbereich des Verhältnisses von Leistung/Gegenleistung betroffen (25% der Gesamtvergütung, vgl. BAG Urteil vom 12.01.2005 – 5 AZR 364/04).
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2.3 Hinsichtlich einer etwaigen Unwirksamkeit der Protokollerklärung wegen Sittenwidrigkeit ist der Vortrag des Klägers nicht hinreichend substantiiert. Der Kläger hat hier lediglich ausgeführt, dass diese unter dem Druck zustande gekommen sei, dass weitere 100 Personen entlassen würden, wenn die Vereinigung C. e.V. dem Gesamtpaket nicht zustimme. Aus diesem Vorbringen ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine Sittenwidrigkeit. Der Vereinigung C. e.V. stand es frei, die Protokollerklärung zu unterzeichnen und sich mit der Beklagten hinsichtlich der Ansprüche aus der Tarifvereinbarung 2017 und dem Vorliegen höherer Gewalt zu einigen.
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3. Mangels Zahlungsanspruch kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger seine Ansprüche innerhalb der tariflichen Ausschlussfristen gegenüber der Beklagten geltend gemacht hat.
II.
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1. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, 91 ZPO.
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2. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO. Der Wert für Ziffer 1 ergibt sich aus dem Wert des eingeklagten Betrages i.H.v. 36.359,38 €. Für Ziffer 2 wird ausgehend vom Bruttomonatsgehalt des Klägers die 36-fache Differenz aus einer 2,5%-Erhöhung zugrunde gelegt. Von der sich daraus ergebenden Summe i.H.v. 12.211,81 € werden 80% angesetzt, mithin 9.769,45 €. Der Abschlag für die Feststellungklage ergibt sich daraus, dass die Feststellungsentscheidung im Gegensatz zur Leistungsentscheidung nicht vollstreckbar ist (vgl. O/K/S/Künzl, Rn. 381 m.w.N.).
49
3. Gegen diese Entscheidung kann der Kläger Berufung einlegen. Auf anliegende Rechtsmittelbelehrungwird verwiesen.