Inhalt

ArbG München, Endurteil v. 02.02.2022 – 39 Ca 2188/21
Titel:

Auslegung einer Protokollnotiz - (Keine) Ansprüche eines Flugkapitäns auf Vergütung von Standby-Diensten und Tariflohnerhöhung

Normenketten:
TVG § 1 Abs. 1
BGB 126
Leitsätze:
1. Protokollnotizen oder -erklärungen können eigenständiger Teil eines Tarifvertrags sein. Gegebenenfalls ist durch Auslegung zu ermitteln, ob eine Protokollnotiz oder -erklärung eine tarifliche Inhaltsnorm darstellt oder lediglich bei der Auslegung der tariflichen Regelungen zu berücksichtigen ist. Entscheidend ist, ob der Wille der Tarifvertragsparteien zur Normsetzung deutlich zum Ausdruck gebracht wird, etwa indem die Protokollnotiz inhaltlich und formal einem Tarifvertrag entspricht. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist das Schriftformerfordernis des § 1 Abs. 2 TVG gewahrt, haben die Tarifvertragsparteien dem Wortlaut nach eine "Vereinbarung" getroffen und ist unmittelbar das Schicksal von Ansprüchen der Arbeitnehmer betroffen, ist davon auszugehen, dass eine bloße Auslegungshilfe nicht gewollt sein kann und eine solche Protokollnotiz Rechtsnormqualität besitzt. (Rn. 35 – 37) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Schriftform auch dann gewahrt, wenn nur ein gesamtvertretungsberechtigtes Vorstandsmitglied für die vertretene AG unterzeichnet, ohne bei seiner Unterschrift darauf hinzuweisen, dass er zugleich für die anderen Vorstandsmitglieder handelt. Die Frage, ob der unterzeichnende Vertreter dabei auch die anderen Vorstandsmitglieder vertreten wollte oder der Vertrag noch der Genehmigung der anderen Vorstandsmitglieder bedarf, betrifft hingegen die (alleinige) Vertretungsberechtigung des unterzeichnenden Vorstandsmitglieds und ist deshalb kein Problem der Formwirksamkeit, sondern der materiellen Wirksamkeit des Vertrags. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
4. Tarifvertragliche Regelungen tragen den immanenten Vorbehalt ihrer nachträglichen Abänderung durch Tarifvertrag in sich. Die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien zur rückwirkenden Änderung tarifvertraglicher Regelungen ist allerdings durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes der Normunterworfenen begrenzt; es gelten insoweit die gleichen Regelungen wie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Rückwirkung von Gesetzen. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Tarifvertrag, Tarifvertragsparteien, Protokollnotiz, Normsetzung, Rechtsnormqualität, Cockpitpersonal, Vertrauensschutz, Flugzeug Typ Boeing 737, Mindestflottengröße
Rechtsmittelinstanz:
LArbG München, Urteil vom 19.10.2022 – 10 Sa 115/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 36618

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3. Der Streitwert wird auf 42.423,31 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über tarifvertragliche Zahlungsansprüche des Klägers auf Vergütung nicht abgerufener Standby-Dienste und auf Umsetzung einer linearen Gehaltserhöhung.
2
Der Kläger ist seit dem 01.05.2002 auf Grundlage des als Anlage B10 vorgelegten Arbeitsvertrages am Stationierungsort M-Stadt tätig und zuletzt als Flugkapitän auf dem Muster B737-800 eingesetzt. Sein durchschnittliches Bruttomonatsgehalt beträgt derzeit als CP5 12.245,89 €.
3
Der Kläger ist Mitglied der Vereinigung C. e.V. Auf das Arbeitsverhältnis finden die zwischen der Vereinigung C. e. V. und der Beklagten abgeschlossenen Haustarifverträge, d. h. der Manteltarifvertrag Nr. 4 für das Cockpitpersonal (MTV Nr. 4, vorgelegt als Anlage K2), und der Vergütungstarifvertrag Nr. 6 für das Cockpitpersonal (VTV Nr. 6, vorgelegt als Anlage K12) Anwendung. Gemäß § 15 Abs. 14 MTV Nr. 4 werden nicht abgerufene Standby-Dienste wertmäßig mit jeweils zwei Mehrflugstunden in der ersten Stufe des jeweils gültigen VTV vergütet.
4
Die Beklagte ist ein Luftfahrtunternehmen mit etwa 2.400 Beschäftigten, dabei regelmäßig mehr als 1.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Bereich des fliegenden Personals.
5
Am 23.11.2017 verständigten sich die Beklagte und die Vereinigung C. e.V. auf eine Tarifvereinbarung (im Folgenden: Tarifvereinbarung 2017, vorgelegt als Anlage K1). Die Vereinigung C. e. V. wollte mit dieser Vereinbarung eine Beschäftigungssicherung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Cockpitpersonals erreichen. In der Tarifvereinbarung 2017 heißt es auszugsweise:
„I. Betrieb von 39 Flugzeugen
1. Ab dem Sommerflugplan 2018 werden mindestens 35 Flugzeuge vom Typ Boeing 737 von der T. betrieben, wobei bis zu maximal 7 der 35 Flugzeuge im Wetlease an Dritte vermarktet werden. Ab dem Sommerflugplan 2019 werden, für die verbleibende Laufzeit dieser Vereinbarung (bis zum 31.12.2020), insgesamt mindestens 39 Flugzeuge vom Typ Boeing 737 von der T. betrieben, wobei bis zu maximal 7 der 39 Flugzeuge im Wetlease an Dritte vermarktet werden.
Zum Ausgleich von saisonalen Schwankungen gilt die Mindestanzahl von 35 Flugzeugen für folgende Zeiträume:
- 01.05.2018 bis 31.10.2018 Zum Ausgleich von saisonalen Schwankungen gilt die Mindestanzahl von 39 Flugzeugen für folgende Zeiträume:
- 01.05.2019 bis 31.10.2019 - 01.05.2020 bis 31.10.2020.
(…)
2. Der unter Ziffer 1 beschriebene Betrieb von mindestens 35 Flugzeugen in dem Jahr 2018 und 39 Flugzeugen ab dem Jahr 2019 samt den dort aufgeführten Regelungen betreffend der saisonalen Schwankungen sowie der Verfahren zum Phasein/Phaseout stellt bindende Geschäftsgrundlage und somit die Voraussetzung für die nachfolgend aufgeführten Maßnahmen dar.
II. Vergütungstarifvertrag
1. Bei dem zum 01. Januar 2018 in Kraft tretenden Vergütungstarifvertrag Nr. 6 vom 28. September 2016 (nachfolgend: VTV Nr. 6) kommt die vereinbarte Vergütungserhöhung von 2,5% nicht zur Anwendung (…).
III. Manteltarifvertrag (-)
3. Die zum 01. November 2016 im § 15 Abs. 14 MTV Nr. 4 eingeführte Bezahlung für nicht abgerufene Standby Dienste wird zum 31. Dezember 2017 ersatzlos gestrichen (…).
IV. Unterschreitung der Anzahl an Flugzeugen
1. Sobald der unter I. Ziffer 1 geregelte Betrieb der vereinbarten Mindestanzahl (35 Flugzeuge im Jahr 2018 und 39 Flugzeuge ab dem Jahr 2019) während der Laufzeit dieser Vereinbarung (bis zum 31.12.2020) unterschritten wird, leben die Regelungen zum Standby-Konzept und der Dienstplanstabilität, die unter III. Ziffer 2 und 3 dieser Tarifvereinbarung ausgesetzt wurden, mit sofortiger Wirkung wieder auf. Dies gilt unabhängig von anderslautenden Regelungen eines jeweils gültigen Manteltarifvertrages zum Standby-Konzept und der Dienstplanstabilität.
Darüber hinaus wird in diesem Falle rückwirkend zum 01. Januar des jeweiligen Vorjahres eine zusätzlich lineare Gehaltssteigerung von 2,5% vorgenommen. Klarstellend wird darauf hingewiesen, dass die vereinbarten Vergütungserhöhungen hiervon unberührt bleiben. Auf dieser Gehaltssteigerung basierend sind alle Beträge des VTV Nr. 6 (bspw. Gehaltstabellen, Mehrflugstundenvergütung, Trainerzulagen etc.) der Folgejahre nachzuberechnen.
2. Sofern im Falle der Einflottung eines anderen Flugzeugsmusters eine Reduzierung der Flugzeugflotte und damit eine Unterschreitung der unter I. Ziffer 1 festgestellten Mindestanzahl von Flugzeugen erfolgt, verpflichten sich die Parteien hinsichtlich einer Anpassung der Flugzeugflottengröße zu verhandeln. Ausgenommen von der Verhandlungsverpflichtung ist die Einführung einer Langstreckenoperation, sofern die T. sicherstellt, dass keine Personalüberdeckung und keine Verringerung des Personalbedarfs entstehen. Unterschreitet die T. die unter I. Ziffer 1 vereinbarte Mindestanzahl (35 Flugzeuge im Jahr 2018 und 39 Flugzeuge ab dem Jahr 2019) während der Laufzeit dieser Vereinbarung (bis zum 31.12.2020), obwohl die Tarifvertragsparteien keine Einigung erzielten, kommt die Regelung unter IV. Ziffer 1 zur Anwendung.
Die unter I. Ziffer 1 festgelegte Mindestanzahl der Flugzeuge kann bei höherer Gewalt unterschritten werden. Die Feststellung von höherer Gewalt und eine damit etwaige Reduzierung der unter I. geregelten Flottengröße bedürfen jedoch einer einvernehmlichen Feststellung zwischen den Tarifvertragsparteien.
(…)
VII. Inkrafttreten und Vertragsdauer
Diese Tarifvereinbarung tritt mit Unterzeichnung in Kraft und endet automatisch, ohne dass es einer Kündigung bedarf, am 31.Dezember 2020. Diese Tarifvereinbarung entfaltet keine Nachwirkung hinsichtlich der Ziffern I.,IV.,V. und VI. Gem. II. Ziffer 3 und III. Ziffer 1 entfalten der Vergütungstarifvertrag und der Manteltarifvertrag weiterhin Nachwirkung. Sollte es während der Laufzeit dieser Vereinbarung zur Überschreitung der in I. vereinbarten Mindestanzahl von Flugzeugen kommen, dann entfalten zudem die in IV. Ziffer 1, zweiter Absatz genannten Regelungen zum Vergütungstarifvertrag weiter Nachwirkung.“
6
Bei Anwendung der linearen Gehaltserhöhung von 2,5% für den Zeitraum Januar 2018 bis einschließlich Dezember 2021 hätte der Kläger ein um insgesamt 14.838,53 € brutto höheres Gesamtgehalt bezogen. Bei einer Vergütung der nicht abgerufenen StandbyDienste mit jeweils zwei Mehrflugstunden gemäß § 15 Abs. 14 MTV Nr. 4 für den Zeitraum Januar 2018 bis Dezember 2021 würde der Kläger weitere 18.767,74 € brutto erhalten.
7
Die europäische Luftfahrtbehörde EASA sperrte am 12.03.2019 den europäischen Luftraum für Maschinen des Typs Boeing 737 MAX 8 und MAX 9, später folgte ein „weltweites Flugverbot“. Erst am 21.01.2021 hat die europäische Luftfahrtbehörde EASA den europäischen Luftraum für Maschinen des Typs Boeing 737 MAX 8 und MAX 9 wieder geöffnet.
8
Der Flugzeughersteller Boeing lieferte vier bestellte Flugzeuge des Typs Boeing 737 MAX 8 nicht planmäßig im März, April und Mai 2019 an die Beklagte aus. Drei bis dahin geleaste ältere Maschinen des Typs Boeing 737 wurden im Laufe des Jahres 2019 an den Leasinggeber zurückgegeben. Die Beklagte hatte von April bis Oktober 2019 lediglich 36 Flugzeuge im Einsatz. Zwischen den Tarifvertragsparteien bestand Uneinigkeit, ob insoweit ein Fall höherer Gewalt vorlag.
9
Mit Schreiben vom 25.06.2019 informierte die Vereinigung C. e.V. ihre Mitglieder darüber, dass die zugesagte Flottengröße unterschritten worden war und dass die daraus etwaig resultierenden Ansprüche nicht sicher waren.
10
Am 17.07.2019/09.08.2019 unterzeichneten die Tarifvertragsparteien eine Protokollnotiz zur Tarifvereinbarung 2017 (vorgelegt als Anlage B6), wonach die Regelung unter IV. Ziffer 1 der Tarifvereinbarung 2017 bis zum 31. August 2019 außer Kraft gesetzt wurde, da kein Einvernehmen hinsichtlich des Vorliegens höherer Gewalt bestand. In dieser Zeit sollte der Versuch unternommen werden, gemeinsam zu einer Lösung zu gelangen.
11
Nachdem bis zum 31.08.2019 kein Einvernehmen über das Vorliegen höherer Gewalt erzielt wurde, informierte die Vereinigung C. e. V. ihre Mitglieder am 16.08.2019 und 04.09.2019 über die bisher nicht erfolgte Einigung (vorgelegt als Anlagen B11 und B12). Mit Schreiben vom 06.09.2019 (vorgelegt als Anlage B7) informierte zunächst die Geschäftsleitung Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darüber, dass die Flottengröße allein wegen höherer Gewalt unterschritten worden sei. Darauf reagierte die Vereinigung C. mit einem „offenen Brief“ vom 10.09.2019 (vorgelegt als Anlage B8), in dem sie der Auffassung der Beklagten widersprach.
12
Am 20.11.2019 wurde ein neuer Tarifvertrag (im Folgenden Tarifvertrag 2019, vorgelegt als Anlage B2) geschlossen, in dem die Tarifvertragsparteien unter Abschnitt D. Vereinbarungen zur Tarifvereinbarung vom 23 November 2017 folgendes vereinbarten: „Ziffer IV. „Unterschreitung der Anzahl an Flugzeugen“ wird gestrichen.“. In Abschnitt H. Schlussbestimmungen des Tarifvertrages regelten die Tarifvertragsparteien, das unter anderem die unter Abschnitt D. getroffene Regelung rückwirkend entfällt, sofern ein Beschluss zur Aufnahme der Langstrecke bei der T. nicht bis zum 31.03.2020 gefasst werden sollte. Mit einer Protokollnotiz zum Tarifvertrag 2019 vom 13.03.2020 (vorgelegt als Anlage B3) stellten die Parteien fest, dass sie sich vor dem Hintergrund der unter Abschnitt D. des Tarifvertrags 2019 getroffenen Regelung einig sind, dass keine Ansprüche von Cockpitmitarbeitern für die Zeit ab dem 01.01.2018 wegen einer rückwirkenden Erhöhung der Entgelttabellen aus dem Tarifvertrag 2017 wegen Unterschreitung der Flottengröße bestehen. Diese Regelung sollte jedoch rückwirkend entfallen, sofern der Beschluss über die Etablierung einer Langstrecke bei der C. nicht bis zum 31.03.2020 beschlossen sein sollte. Aufgrund der weltweiten Corona Pandemie und der damit einhergehenden Auswirkungen auf den Flugverkehr verständigten sich die Tarifvertragsparteien am 31.03.2020 auf eine Verlängerung der Frist zur Etablierung einer Langstrecke bis zum 31.07.2020 (vergleiche Anlage B4). Im Juni 2020 teilte die Beklagte der Vereinigung C. e. V. mit, dass die Vorbereitungen für eine Langstrecke eingestellt werden.
13
Am 17.12.2020 informierte die Vereinigung C. e. V. ihre Mitglieder darüber, dass die sich aus der Tarifvereinbarung 2017 ergebenden Ansprüche geltend gemacht werden müssten, da der Arbeitgeber es abgelehnt habe, die tarifvertraglich vereinbarten Ausschlussfristen für diese zu verlängern (vergleiche Anlage K10).
14
Am 23.12.2020 beantragte die Beklagte beim Arbeitsgericht Frankfurt die Verurteilung der Vereinigung C. e. V. dahingehend, ihr gegenüber zu erklären, dass spätestens seit dem 11.03.2019 ein Fall von höherer Gewalt im Sinne des Tarifvertrages 2017 vorlag (vgl. Anlage B9).
15
Am 05.03.2021 schlossen die Tarifvertragsparteien eine „Protokollnotiz zur Tarifvereinbarung vom 23.11.2017“ mit folgendem Inhalt (vorgelegt als Anlage B1):
„Im Rahmen der Mediation zum Abschluss des Gesamtpakets 2021 haben die Parteien Folgendes vereinbart:
Die Parteien vereinbaren, dass keine Ansprüche der Arbeitnehmer für die Zeit ab dem 01.01.2018 wegen der Unterschreitung der Flottengröße aus dem TV 2017 bestehen.“
16
Nach dieser Verständigung wurde die beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main eingereichte Klage zurückgenommen.
17
Der Kläger ist der Auffassung, dass ihm sowohl Nachzahlungen aufgrund der linearen Gehaltserhöhung von 2,5% sowie die Vergütung der nicht abgerufenen Standby-Dienste zustünden. Diese Ansprüche seien auch entstanden und auch nicht wegen höherer Gewalt entfallen, da die Flottengröße nicht wegen höherer Gewalt unterschritten worden sei. Die Protokollnotiz vom 05.03.2021 stehe den geltend gemachten Ansprüchen nicht entgegen. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass sie sittenwidrig sei, da sie unter dem Druck zustande gekommen sei, dass weitere 100 Personen entlassen werden sollten, wenn die Vereinigung C. e.V. dem Gesamtpaket nicht zustimme. Zudem stelle die Protokollnotiz ein Fall unzulässiger echter Rückwirkung dar, da sie in bereits entstandene Ansprüche aufgrund eines abgeschlossenen Sachverhalts eingreife. Der Kläger hätte daher darauf vertrauen dürfen, dass seine Ansprüche erfüllt würden. Darüber sei in der Betriebsöffentlichkeit auch nicht gestritten worden. Die als Anlage B1 vorgelegte Protokollnotiz vom 05.03.2021 enthalte hinsichtlich der Unterschrift des ehemaligen Geschäftsführers der Beklagten, Herrn L., ein Faksimile. Es handele sich dabei nicht um eine Originalunterschrift und die Protokollnotiz sei insofern nicht formwirksam, da sie nicht von beiden Vertragsparteien im Original unterzeichnet worden sei. Der Personalleiter Herr S., der die Protokollnotiz für die Beklagte ebenfalls unterzeichnet hat, sei nicht allein zeichnungsbefugt.
18
Der Kläger beantragt zuletzt,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, 33.606,27 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2.
Es wird festgestellt, dass die vereinbarten Vergütungserhöhungen für das Kalenderjahr 2018 und der darauffolgenden Kalenderjahre basierend auf der um 2,5% erhöhten Vergütung für das Jahr 2017 gemäß Ziffer 4 IV UA 2 der Tarifvereinbarung vom 23.11.2017 zu berechnen sind.
19
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
20
Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Zusage einer Mindestflottengröße tariflich nicht regelbar sei und die Tarifvereinbarung 2017 daher insoweit unwirksam. Darüber hinaus läge auch ein Fall höherer Gewalt vor und die Ansprüche des Klägers seien deswegen ausgeschlossen. Die Unterschreitung der ursprünglich zugesagten 39 Flugzeuge sei aufgrund der Sperrung des europäischen Luftraums für Maschinen des Typs Boeing 737 MAX 8 und MAX 9 und der Nichtauslieferung der bestellten Maschinen nicht erreicht worden. Es sei auch nicht möglich gewesen, als Ersatz andere Flugzeuge am Markt kurzfristig zu beschaffen. Darüber hinaus schließe die am 05.03.2021 zwischen den Tarifvertragsparteien geschlossene „Protokollnotiz zur Tarifvereinbarung vom 23.11.2017“ etwaige Ansprüche des Klägers wirksam aus. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers liege nicht vor, da die Beklagte und die Vereinigung C. e. V. bis zum Abschluss dieser Protokollnotiz über das Vorliegen von höherer Gewalt auch unternehmensöffentlich eine Diskussion geführt hätten und der Kläger von der Vereinigung C. e. V. sowie auch durch die Beklagte entsprechend informiert worden sei. Die Protokollnotiz vom 05.03.2021 sei Teil eines Gesamtpakets und könne daher nicht nur isoliert betrachtet werden. Herr S. sei zwar nicht als Prokurist, aber als Personalleiter allein zeichnungsbefugt im Hinblick auf die Protokollerklärung vom 05.03.2021.
21
In der mündlichen Verhandlung am 26.01.2022 teilte der Klägervertreter mit, er habe von der Vereinigung C. e.V. erfahren, dass die Protokollnotiz vom 05.03.2021 mit ortsabwesenden Personen derart geschlossen worden sei, dass für diese eine computergenerierte Unterschrift eingefügt worden sei. Diese Aussage beziehe sich lediglich auf die Unterschrift des ehemaligen Geschäftsführers der Beklagten, Herr L. Die Beklagtenvertreterin erklärte dazu, dass bei der Personalabteilung der Beklagten ein Original der Protokollnotiz vom 05.03.2021 vorläge, das eigenhändig sowohl vom Personalleiter der Beklagten, Herrn S., als auch von dem ehemaligen Geschäftsführer unterzeichnet worden sei.
22
Weiterhin führte der Kläger in der mündlichen Verhandlung aus, dass hinsichtlich der ihm gegenüber ausgesprochenen Kündigung derzeit noch das Kündigungsschutzverfahren laufe und er aufgrund des Weiterbeschäftigungsanspruchs weiterbeschäftigt werde.
23
Der Kläger erklärte hinsichtlich der ursprünglich in Ziffer 1 der Klageschrift vom 04.03.2021 angekündigten Geltendmachung von korrigierten Lohn- und Gehaltsabrechnungen sowie der Entschädigung für Dienstplanänderungen Klagerücknahme.
24
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens und der Rechtsausführungen wird auf die Schriftsätze des Klägers und der Beklagten jeweils nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift und den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

25
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
26
I. Die Klage ist zulässig.
27
1. Die in der Klageschrift vom 04.03.2021 in Ziffer 1 begehrte Erstellung von korrigierten Lohn- und Gehaltsabrechnungen sowie Entschädigung für Dienstplanänderungen hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung wirksam zurückgenommen. Dies konnte gemäß § 54 Abs. 2 S. 1 ArbGG ohne Einwilligung der Beklagten erfolgen.
28
2. Ob es sich hinsichtlich des zuletzt gestellten Feststellungsantrags in Ziffer 2 um eine Klageänderung handelt, kann im Ergebnis dahinstehen, da diese jedenfalls sachdienlich wäre. Das Feststellungsinteresse des Klägers ist durch die ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung auch nicht entfallen, da er derzeit aufgrund eines Weiterbeschäftigungsanspruchs weiterhin bei der Beklagten tätig ist und die Kündigung im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens von ihm als unwirksam angegriffen wurde.
29
II. Die Klage ist aber unbegründet.
30
Der Kläger hat für den Zeitraum Januar 2018 bis Dezember 2021 gegen die Beklagte weder einen Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten 2,5% Gehaltssteigerung noch auf eine Vergütung für die nicht abgerufenen Standby-Dienste. Zur Begründung verweist die erkennende Kammer auf die überzeugenden Ausführungen des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf im Urteil vom 26.08.2021 - 8 Sa 505/20 und schließt sich diesen vollumfänglich an.
31
1. Es kann vorliegend dahinstehen, ob die in der Tarifvereinbarung 2017 vorgenommene Verknüpfung der Gewährung von Leistungen an die Angehörigen des Cockpitpersonals der Beklagten mit dem Erreichen bzw. Unterschreiten einer Mindestflottengröße von 39 Flugzeugen des Typs Boeing 737 ab dem 01.05.2019 rechtlich zulässig ist oder einen ungerechtfertigten Eingriff in den Kernbereich der unternehmerischen Betätigungsfreiheit der Beklagten darstellt. Ebenso bedarf es keiner Entscheidung, ob hinsichtlich der Entscheidung der europäischen Luftfahrtbehörde EASA, den europäischen Luftraum für Maschinen des Typs Boeing 737 MAX 8 und MAX 9 zu sperren, ein Fall höherer Gewalt im Sinne der Tarifvereinbarung 2017 vorliegt.
32
2. Die Klage hat jedenfalls deshalb keinen Erfolg, weil die Tarifvertragsparteien mit der Protokollnotiz vom 05.03.2021 vereinbart haben, dass keine Ansprüche der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für die Zeit ab dem 01.01.2018 wegen Unterschreitung der Flottengröße aus der Tarifvereinbarung 2017 bestehen.
33
a. Bei der Protokollnotiz handelt es sich um eine tarifliche Inhaltsnorm im Sinne des § 1 Abs. 1 TVG
34
i. Protokollnotizen oder -erklärungen können eigenständiger Teil eines Tarifvertrags sein. Gegebenenfalls ist durch Auslegung zu ermitteln, ob eine Protokollnotiz oder -erklärung eine tarifliche Inhaltsnorm darstellt oder lediglich bei der Auslegung der tariflichen Regelungen zu berücksichtigen ist. Entscheidend ist, ob der Wille der Tarifvertragsparteien zur Normsetzung deutlich zum Ausdruck gebracht wird, etwa indem die Protokollnotiz inhaltlich und formal einem Tarifvertrag entspricht (vergleiche BAG, Urteil vom 13.11.2014 - 6 AZR 1102/12, NZA-RR 2015, 608, Urteil vom 27.05.2008 - 3 AZR 893/06, NJOZ 2010, 915 jeweils m.w.N.).
35
Die Protokollnotiz vom 05.03.2021 hat nach diesen Grundsätzen Rechtsnormqualität. Ihrem Wortlaut nach haben die Tarifvertragsparteien eine „Vereinbarung“ getroffen, es handelt sich daher nicht um eine bloße Auslegungshilfe. Mit Abschluss der Protokollnotiz wurde seitens der Beklagten die Klage vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main zurückgenommen, sodass aus deren Empfängerhorizont es bei dem Abschluss um eine rechtssichere umfassende Klärung der Auswirkungen des Unterschreitens der Flottengröße ab April 2019 und den damit zusammenhängenden Vergütungsansprüchen ging. Aus dieser Auslegung ergibt sich auch, dass die Protokollnotiz alle im vorliegenden Verfahren streitgegenständlichen Ansprüche abbedingt, unabhängig davon, ob diese durch das Unterschreiten der in der Tarifvereinbarung 2017 vereinbarten Mindestflottengröße neu entstanden oder wiederaufgelebt wären. Eine inhaltliche Differenzierung enthält die Protokollnotiz insoweit nicht.
36
ii. Die Protokollnotiz ist auch formwirksam geschlossen worden.
37
Für die Beurteilung, ob das Schriftformerfordernis nach § 1 Abs. 2 TVG erfüllt ist, gilt § 126 BGB, die Urkunde muss daher von den Tarifvertragsparteien bzw. deren Vertretern eigenhändig unterzeichnet werden.
38
Der Aussteller der Urkunde muss diese eigenhändig unterzeichnen. Aussteller ist dabei derjenige, der die Erklärung in eigener Verantwortung abgibt. Der Vertreter kann mit dem eigenen Namen unterschreiben (wobei sich seine Vertreterstellung aus einem Vermerk bei seiner Unterschrift oder aus dem Text der Urkunde ergeben muss). Allerdings ist - entgegen der Ansicht des BGH - die Schriftform auch dann gewahrt, wenn nur ein gesamtvertretungsberechtigtes Vorstandsmitglied für die vertretene AG unterzeichnet, ohne bei seiner Unterschrift darauf hinzuweisen, dass er zugleich für die anderen Vorstandsmitglieder handelt. Denn das gesamtvertretungsberechtigte Vorstandsmitglied hat als Aussteller der Erklärung für die vertretene AG unterzeichnet; die Frage, ob der unterzeichnende Vertreter dabei auch die anderen Vorstandsmitglieder vertreten wollte oder der Vertrag noch der Genehmigung der anderen Vorstandsmitglieder bedarf, betrifft hingegen die (alleinige) Vertretungsberechtigung des unterzeichnenden Vorstandsmitglieds und ist deshalb kein Problem der Formwirksamkeit, sondern der materiellen Wirksamkeit des Vertrags. Überdies kann ein gesamtvertretungsberechtigtes Vorstandsmitglied mit einer entsprechenden Ermächtigung der anderen Vorstandsmitglieder die AG allein wirksam vertreten und daher allein einen auch materiell wirksamen Vertrag schließen, MüKoBGB/Einsele, 9. Aufl. 2021, BGB § 126 Rn. 13, 14.
39
Der Abschluss eines schriftlichen Mietvertrags mit Wirkung für die GbR setzt nicht dessen Unterzeichnung durch sämtliche geschäftsführenden Gesellschafter voraus. Vielmehr kann sich die Gesellschaft gem. § 164 BGB durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Die Erklärung des Bevollmächtigten ist wirksam im Namen der Gesellschaft abgegeben, wenn sie mit einem das Vertretungsverhältnis anzeigenden Zusatz versehen ist. Eine so abgegebene Erklärung genügt auch der Schriftform. Denn sie erweckt - anders als die nur von einem einzelnen Gesellschafter ohne Vertretungszusatz abgegebene Erklärung - nicht den äußeren Anschein, es könnten noch weitere Unterschriften fehlen. Ob die Unterschrift des Vertreters von einer sie tragenden Vertretungsmacht gedeckt ist, ist keine Frage der Schriftform, sondern der Bindungswirkung gegenüber dem Vertretenen nach § 164 BGB (BGH, Urteil vom 23.01.2013 - XII ZR 35/11, NJW 2013, 1082).
40
Nach diesen Grundsätzen ist das Schriftformerfordernis des § 1 Abs. 2 TVG vorliegend allein dadurch gewahrt, dass der Personalleiter Herr S. die Protokollerklärung vom 05.03.2021 eigenhändig unterzeichnet hat. Die Unterschrift von Herrn S. war mit dem Zusatz „Personalleiter“ versehen. Zudem war allen Beteiligten hinreichend bekannt, dass Herr S. der Personalleiter der Beklagten ist. Die Beklagte hat auch vorgetragen, dass er in dieser Funktion allein vertretungsberechtigt bzw. zeichnungsbefugt war. Ein substantiiertes Bestreiten seitens des Klägers liegt diesbezüglich nicht vor, die bloße allgemeine Aussage, Herr S. sei nicht allein zeichnungsbefugt im Schriftsatz vom 31.12.2021 genügt hierfür nicht. Die Vereinigung C. e.V. als Tarifvertragspartei konnte hier aufgrund der Stellung von Herrn S. auch davon ausgehen, dass dieser für die Beklagten befugt war, Tarifverträge abzuschließen. Dafür, dass diese Annahme bei der Vereinigung C. e.V. bestand, spricht auch der Vortrag des Klägervertreters in der mündlichen Verhandlung, dass die Vereinigung C. e.V. ihm gegenüber geäußert habe, dass die Protokollerklärung hinsichtlich der Unterschrift des ehemaligen Geschäftsführers, Herrn L., dadurch erfolgt sei, dass diese computergestützt eingefügt worden sei. Dadurch wird deutlich, dass die Vereinigung C. e.V. hinsichtlich der Wirksamkeit der Protokollnotiz nicht davon ausgegangen ist, dass neben der eigenhändigen Unterschrift von Herrn S. noch eine weitere eigenhändige Unterschrift seitens der Beklagten erforderlich ist. Die Unterzeichnung mit dem Zusatz „ppa.“ ändert daran nichts, da seine Stellung als Personalleiter allen Beteiligten hinreichend bekannt war (vgl. BAG, Urteil vom 25.9.2014 - 2 AZR 567/13, NJW 2014, 3595).
41
Einer Aufklärung der zwischen den Beteiligten streitigen Tatsachenbehauptung, ob auch eine Fassung der Protokollnotiz vom 05.03.2021 vorliegt, auf der neben Herrn S. auch Herr L. eigenhändig unterzeichnet hat, bedurfte es daher nicht.
42
b. Die Protokollnotiz ist nicht wegen Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot unwirksam.
43
Tarifvertragliche Regelungen tragen den immanenten Vorbehalt ihrer nachträglichen Abänderung durch Tarifvertrag in sich. Ein jüngerer Tarifvertrag löst grundsätzlich einen älteren ab. Die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien zur rückwirkenden Änderung tarifvertraglicher Regelungen ist allerdings durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes der Normunterworfenen begrenzt; es gelten insoweit die gleichen Regelungen wie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Rückwirkung von Gesetzen (vergleiche BAG, Urteil vom 20.6.2018 - 7 AZR 737/16, AP TVöD § 33 Nr. 4 m.w.N.).
44
Zu unterscheiden ist danach zwischen echter und unechter Rückwirkung. Eine Rechtsnorm entfaltet echte Rückwirkung, wenn sie in einen abgeschlossenen Sachverhalt nachträglich eingreift. Um eine unechte Rückwirkung handelt es sich demgegenüber, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition entwertet. Dies ist der Fall, wenn belastende Rechtsfolgen erst nach ihrem Inkrafttreten eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits „ins Werk gesetzten“ Sachverhalt ausgelöst werden („tatbestandliche Rückanknüpfung“, vergleiche Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 07.07.2010 - 2 BvL 14/02, NJW 2010, 3629; BAG, Urteil vom 20.6.2018 - 7 AZR 737/16).
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Unechte Rückwirkung ist grundsätzlich zulässig. Der zu beachtende Vertrauensschutz geht nicht soweit, den normunterworfenen Personenkreis vor Enttäuschungen zu bewahren. Die bloße allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde künftig unverändert fortbestehen, ist nicht schutzwürdig. Vielmehr müssen besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten. Einer echten Rückwirkung hingegen sind durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes enge Grenzen gesetzt. Die Grundlage für schützenswertes Vertrauen besteht nur dann nicht mehr, wenn und sobald die Normunterworfenen mit einer Änderung des Tarifvertrags rechnen mussten. Dies bedingt, dass bereits vor der Entstehung des Tarifanspruchs hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Tarifvertragsparteien den - zukünftigen - Anspruch zuungunsten der Arbeitnehmer ändern werden. Dabei hat der Wegfall des Vertrauensschutzes nicht zur Voraussetzung, dass der einzelne Tarifunterworfene positive Kenntnis von den maßgeblichen Umständen hat. Entscheidend und ausreichend ist die Kenntnis der betroffenen Kreise (BAG, Urteil vom 20.6.2018 - 7 AZR 737/16; Urteil vom 06.12.2017 - 10 AZR 575/16, NZA 2018, 321. jeweils m.w.N.).
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Die Protokollnotiz vom 05.03.2021 greift bereits nicht im Wege einer echten Rückwirkung in entstandene Tarifansprüche des normunterworfenen Cockpitpersonals der Beklagten ein. Die entsprechenden Ansprüche im Zusammenhang mit der Tarifvereinbarung 2017 waren nicht schon mit der erstmaligen Unterschreitung der Mindestanzahl von 39 Flugzeugen des Typs Boeing 737 am 01.05.2019 entstanden, sondern standen unter dem Vorbehalt, dass die Tarifvertragsparteien keinen Fall der höheren Gewalt als Ursache hierfür feststellen. Dies ergibt sich daraus, dass der Zeitpunkt der übereinstimmenden Feststellung der Tarifvertragsparteien zum Vorliegen höherer Gewalt zwingend später als das Ereignis datiert, das den Feststellungsbedarf erst auslöst. So gesehen war ab dem behördlich verordneten Einsatzverbot der Boeing 737 MAX 8 ein in der Entwicklung befindlicher Sachverhalt gegeben, der erst mit einer endgültigen Entscheidung beider Tarifvertragsparteien wegen des Vorliegens höherer Gewalt seinen Abschluss fand. Eine solche gab es vor dem 05.03.2021 nicht. Die Tarifvertragsparteien haben in der Tarifvereinbarung 2017 auch ausdrücklich vereinbart, dass die Feststellung von höherer Gewalt einer einvernehmlichen Feststellung zwischen den Tarifvertragsparteien bedarf.
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Abgesehen davon konnte der Kläger wie auch das übrige normunterworfene Cockpitpersonal zu keinem Zeitpunkt darauf vertrauen, dass es nicht noch zu einer Feststellung des Vorliegens höherer Gewalt durch die Tarifvertragsparteien kommt oder die Tarifvereinbarung 2017 inhaltlich modifiziert werden würde. Dies ergibt sich daraus, dass die Beklagte und die Vereinigung C. e. V. durchgehend Verhandlungen über die Frage führten, welche Folgen das Unterschreiten der vereinbarten Flottengröße haben sollte. Bereits im Schreiben vom 25.06.2019 wurde den Mitgliedern von der Vereinigung C. e. V. mitgeteilt, dass die zugesagte Flottengröße unterschritten worden sei, die daraus resultierenden Ansprüche jedoch nicht sicher seien. Auch im weiteren Verlauf des A. 2019 fanden zwischen den Tarifvertragsparteien Verhandlungen statt, die schließlich im Tarifvertrag 2019 und der damit zusammenhängenden Protokollnotiz vom 13.03.2020 mündeten. Anschließend waren die Tarifvertragsparteien hinsichtlich der Etablierung einer Langstrecke bei der T. im Gespräch und schließlich erhob die Beklagte am 23.12.2020 vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main Klage hinsichtlich der gemeinsamen Feststellung des Vorliegens höherer Gewalt.
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Darüber wurden die Belegschaft bzw. die Mitglieder der Vereinigung C. e.V. auch durch die Schreiben vom 25.06.2019, 16.08.2019, 04.09.2019, 06.09.2019 sowie 10.09.2019 informiert. Für den Kläger war damit ersichtlich, dass Uneinigkeit über die Thematik der höheren Gewalt bei den Tarifvertragsparteien bestand und diese weiter darüber verhandeln wollten. Auch durch die Mitteilung, dass die Vorbereitungen für eine Etablierung der Langstrecke eingestellt würden, konnte hier kein Vertrauenstatbestand entstehen, denn dem Kläger war bekannt, dass Uneinigkeit hinsichtlich des Vorliegens der höheren Gewalt bestand und er musste davon ausgehen, dass diese Uneinigkeit nach dem Scheitern der Etablierung einer Langstrecke wiederauflebte. Dies auch vor dem Hintergrund, dass sich die wirtschaftliche Situation bei der Beklagten durch die Coronapandemie weiter verschlechtert hatte. Ein Vertrauenstatbestand ergab sich auch nicht durch das Ende der Laufzeit der Tarifvereinbarung 2017 am 31.12.2020, denn in IV. Ziffer 2 Tarifvereinbarung 2017 war keine Frist für die dort geforderte Feststellung beinhaltet.
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c. Für das Vorliegen einer etwaigen Unwirksamkeit der Protokollerklärung wegen Sittenwidrigkeit hat der Kläger nichts Substantiiertes vorgetragen. Der Kläger hat hier lediglich ausgeführt, dass diese unter dem Druck zustande gekommen sei, dass weitere 100 Personen entlassen würden, wenn die Vereinigung C. e.V. dem Gesamtpaket nicht zustimme. Aus diesem Vorbringen ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine Sittenwidrigkeit. Der Vereinigung C. e.V. stand es frei, die Protokollerklärung zu unterzeichnen und sich mit der Beklagten hinsichtlich der Ansprüche aus der Tarifvereinbarung 2017 und dem Vorliegen höherer Gewalt zu einigen.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, § 91 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts auf §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO. Der Wert für Ziffer 1 ergibt sich aus dem Wert des eingeklagten Betrages i.H.v. 33.606,27 €. Für Ziffer 2 wird ausgehend vom Bruttomonatsgehalt des Klägers die 36-fache Differenz aus einer 2,5%-Erhöhung zugrunde gelegt. Von der sich daraus ergebenden Summe i.H.v. 11.021,30 € werden 80% angesetzt, mithin 8.817,04 €. Der Abschlag für die Feststellungklage ergibt sich daraus, dass die Feststellungsentscheidung im Gegensatz zur Leistungsentscheidung nicht vollstreckbar ist (vgl. O/K/S/Künzl, Rn. 381 m.w.N.).
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IV. Gegen diese Entscheidung kann der Kläger nach Maßgabe nachfolgender Rechts mittelbelehrung Berufung einlegen.