Inhalt

VG Regensburg, Urteil v. 29.11.2022 – RN 12 K 20.3147
Titel:

Dienstunfall wegen Corona-Infektion

Leitsätze:
1. Der Gesundheitsdienst im Sinne der Nr. 3101 der Anlage 1 der BKV kann nach den jeweiligen Einzelfallumständen Tätigkeiten in einem staatlichen Gesundheitsamt umfassen.
2. Für die Anerkennung einer Corona-Infektion als Berufskrankheit nach Art. 46 Abs. 3 BayBeamtVG reicht die Durchseuchung des Tätigkeitsumfelds des Beamten allein nicht aus.
3. Bei der Corona-Pandemie kommt es darauf an, dass der Beamte auf Grund seiner konkreten Tätigkeit zur Zeit der Infektion einer gegenüber der übrigen Bevölkerung besonders erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt gewesen ist.
Schlagworte:
Dienstunfall wegen Corona-Infektion, Dienstunfall
Fundstellen:
LSK 2022, 36498
BeckRS 2022, 36498
NVwZ-RR 2023, 405

Tenor

I. Der Bescheid des Landesamts für Finanzen, Dienststelle R., vom 20.05.2020 und der Widerspruchsbescheid vom 20.11.2020 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, die Infektion und Erkrankung des Klägers an SARS-CoV-2/COVID-19 als Dienstunfall anzuerkennen.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren durch den Kläger war notwendig.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Infektion mit SARS-CoV-2 und Erkrankung an COVID-19 im März 2020 als Dienstunfall.
2
Der Kläger ist seit 01.04.2011 als Hygienekontrolleur/-obersekretär im Sachgebiet …, Gesundheitsamt, des Landratsamtes … tätig und seit 2013 verbeamtet. Dort war er unter anderem für den Bereich Infektionsschutz und Krankenhaushygiene zuständig. Nach Angaben des Klägers wurde sein Aufgabenbereich überwiegend im Innendienst, aber - schwankend zwischen ca. 15 und 40% - auch im Außendienst, vor allem im Bereich der Krankenhaushygiene, wahrgenommen.
3
Nach Beginn der Corona-Pandemie in der Bundesrepublik Deutschland ab Februar 2020 bezogen sich seine Aufgaben nahezu ausschließlich auf diese. Der Kläger hat seinen Aufgabenbereich folgendermaßen beschrieben: Nach Auftreten des ersten Verdachtsfalls im Landkreis … am 28.02.2020 sei er u.a. für die Schutzausrüstung, Versorgung und Einweisung der Testteams, die Rückverfolgung der Infektionsketten sowie die Ermittlung der Kontaktpersonen zuständig gewesen. Ab dem 06.03.2020 seien im Landkreis … neue Strukturen zur Bewältigung der Pandemie eingerichtet worden, darunter das Bürgertelefon, eine Kontaktermittlung, Überwachung häuslicher Quarantäne und Entlassmanagement. Für diese Strukturen sei Personal aus allen Abteilungen des Gesundheitsamtes abgezogen und eingesetzt worden. Der Kläger habe zusammen mit den Amtsärzten an Aufbau und Einrichtung dieser Strukturen und den einhergehenden Arbeitsabläufen gearbeitet. In den ersten Tagen sei das Bürgertelefon durch die Amtsärzte betreut worden. Das Auftreten erster positiver Covid-19 Fälle im Landkreis ab 09.03.2020 habe zu einer Überlastung der Amtsärzte geführt, so dass anschließend der Kläger das Bürgertelefon betreut habe. Der Kläger habe die folgenden zwölf Tage durchgearbeitet und sei täglich bis zu zwölf Stunden im Dienst gewesen. Zu Beginn habe die EDV (Ticket-System) des Bürgertelefons noch nicht funktioniert, daher habe mit handschriftlichen Zetteln gearbeitet werden müssen. Damit seien zahlreiche Fragen und persönliche Kontakte einhergegangen, vor allem, wenn die Schrift schwer leserlich gewesen sei. Der Austausch mit dem Personal und der Schichtleitung des Bürgertelefons sei dabei entweder im Büro der Schichtleitung - in Räumen der Katastropheneinsatzzentrale im Landratsamt - oder im Büro des Klägers erfolgt. In dieser Phase seien während des gesamten Prozesses generell sehr viele Besprechungen, also persönliche Kontakte, notwendig gewesen, vereinzelt auch mit externen Personen, wie Hausärzten, Kliniken und dem Bayerischen Roten Kreuz.
4
Am 12.03.2020 wurden in ganz Deutschland Großveranstaltungen untersagt. Ab 14.03.2020 waren in B. die Kindertagesstätten und Schulen geschlossen, am 16.03.2020 wurden Veranstaltungen und Versammlungen untersagt, sowie die Gastronomie und der Großteil des Einzelhandels geschlossen. In diesem Zeitraum erfolgten die Tests durch das Gesundheitsamt … hauptsächlich durch mobile Testteams. Deren Schaltzentrale war nach klägerischem Vortrag direkt neben dem Büro des Klägers gelegen. Nach Angaben des Klägers wurden vereinzelt auch vor Ort - im Außenbereich vor dem Gesundheitsamt - Testabstriche abgenommen. Der Kläger war assistierend tätig, Testabstriche wurden aber nur von medizinischem Fachpersonal durchgeführt. Die Dokumentation der Testteams erfolgte dabei in Papierform. Für die mobilen Testteams legte der Kläger die Testrouten fest und versorgte sie mit den notwendigen Unterlagen. Nach eigenen Angaben war der Kläger an einzelnen Tagen auch mit dem Handling der Teströhrchen betraut. Diese nahm er nach den Touren wieder entgegen und pflegte sie elektronisch ein. Ab 20.03.2020 wurde der Kläger in diesem Bereich von einem Mitarbeiter abgelöst.
5
Am 25.03.2020 maß der Kläger seine Körpertemperatur und stellte Fieber mit 39,5°C fest. Anschließend hatte er leichte Symptome wie Halskratzen und Husten. Wenige Stunden nach dem Kläger entwickelte seine Ehefrau ähnliche leichte Symptome, welche nach einigen Tagen wieder verschwanden. Am 26.03.2020 wurde ein Testabstrich für einen PCR-Test im Gesundheitsamt durchgeführt, am 28.03.2020 wurden dem Kläger und seiner Ehefrau die positiven Ergebnisse einer SARS-CoV-2/Covid-19-Infektion mitgeteilt. Der Zustand des Klägers verschlimmerte sich schnell, er musste von 01.04.2020 bis 13.04.2020 in stationäre Behandlung auf die Isolierstation der …- …-Kliniken in … Es wurde eine Lungenentzündung diagnostiziert. Am 11.05.2020 nahm er den Dienst wieder auf.
6
Im Umfeld des Bürgertelefons kam es nach Angaben des Klägers zu mehreren SARS-CoV-2/COVID-19 Fällen. Unter Umfeld des Bürgertelefons war dabei vor allem das Sachgebiet Öffentliche Sicherheit und Ordnung, da dieses das Bürgertelefon organisiert hat und es in deren Räumlichkeiten untergebracht war, gemeint. Aber auch alle anderen dafür eingezogenen Mitarbeiter waren damit gemeint. Nach Vortrag des Klägers waren im März 2020 bis zu 50 Personen des Landratsamtes unterstützend für das Gesundheitsamt tätig. Auf Nachfrage des Gerichts vom 13.10.2022 hat er mit Schriftsatz vom 17.11.2022 acht Personen konkret benannt, welche im gleichen Zeitraum positiv getestet worden seien. Auf die Details des Schriftsatzes wird verwiesen.
7
Der Kläger gab an, er selbst und seine Ehefrau hätten seit Beginn der Pandemie keinen Kontakt mehr zu Angehörigen, Freunden und Bekannten gehabt. Beide Kinder seien seit 14.03.2020 zuhause gewesen und hätten zu keiner Zeit Symptome von SARS-CoV-2/COVID-19 gehabt. Aus dem Umfeld des Kindergartens und dem beruflichen Umfeld der Ehefrau seien keine Infektionen bekannt.
8
Der Kläger beantragte am 21.04.2020 die Anerkennung seiner Infektion und Erkrankung an SARS-CoV-2/COVID-19 als Dienstunfall. Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 20.05.2020, versandt am 27.05.2020, die Anerkennung als Dienstunfall bzw. Berufskrankheit ab. Im Wesentlichen begründete er dies damit, dass eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 kein plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares Ereignis sei und der Kläger im Gesundheitsamt ausschließlich mit Verwaltungsaufgaben betraut sei und daher nicht zum Gesundheitsdienst im Sinne der Nr. 3101 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) gehöre. Auch sei der Kläger nicht typischerweise einer besonders erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 20.05.2020 (Bl. … der Unfallakte) Bezug genommen.
9
Mit Schreiben vom 18.06.2020, eingegangen beim Beklagten am selben Tag, ließ der Kläger Widerspruch einlegen, welchen er mit Schreiben vom 14.10.2020 begründete. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor, dass er ebenso mit anderen Tätigkeiten als bloßen Verwaltungstätigkeiten betraut war. Die Voraussetzungen des Art. 46 Abs. 1 BayBeamtVG seien gegeben, da es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehe, dass er sich bei einem Gespräch mit Frau … … (Schichtleitung des Bürgertelefons) am 23.03.2020 angesteckt habe. Jedenfalls seien die Voraussetzungen des Art. 46 Abs. 3 BayBeamtVG gegeben, denn der Kläger sei einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 als Mitarbeiter des Gesundheitsdienstes besonders ausgesetzt gewesen. Der Großteil der Bevölkerung wäre nach den Schließungen und Untersagungen Mitte März im Homeoffice gewesen, der Kläger selbst habe aber jeden Tag ins Gesundheitsamt gemusst. Er wäre dadurch einer deutlich erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt gewesen. Auf die ausführliche Widerspruchsbegründung wird Bezug genommen (Bl. … der Unfallakte).
10
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.11.2020, dem Verfahrensbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 28.11.2020, wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Infektion mit SARS-CoV-2/Covid-19 wegen der Situation einer Pandemie eine Allgemeingefahr darstelle und sich daher nur ein allgemeines Lebensrisiko verwirkliche. Im Übrigen sei es höchst zweifelhaft, dass der Kläger sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei dem Gespräch mit … … angesteckt hätte, dies sei allein wegen einer Inkubationszeit von bis zu 14 Tagen nicht möglich. Die Infektion mit SARS-CoV-2 würde eine Allgemeingefahr darstellen, die ohne jede Beziehung zu den Anforderungen des Dienstes stünde und sich als latent vorhanden dem Einfluss des Dienstherrn völlig entzöge. Einer Anerkennung als Berufskrankheit gem. Art. 46 Abs. 3 BayBeamtVG stünde entgegen, dass der Kläger nur Verwaltungsaufgaben wahrgenommen habe und daher nicht unter den Gesundheitsdienst nach Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV falle. Er sei nach Art seiner dienstlichen Verrichtung auch nicht typischerweise einer besonders erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt gewesen. Die Tätigkeit der Allgemeinheit im Homeoffice sei weder nachgewiesen noch ändere diese etwas an der dienstlichen Tätigkeit des Klägers. Auf die Details der Gründe des Widerspruchsbescheids wird Bezug genommen (Bl. … der Unfallakte).
11
Der Kläger hat durch seinen Verfahrensbevollmächtigten am 21.12.2020 Klage erheben lassen.
12
Der Kläger wiederholt sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. Er behauptet, sich bei dem Gespräch mit … … am 23.03.2020 mit SARS-CoV-2/COVID-19 angesteckt zu haben. Er meint, dies sei als Dienstunfall gem. Art. 45, 46 Abs. 1 BayBeamtVG anzuerkennen, jedenfalls aber nach Art. 45, 46 Abs. 3 BayBeamtVG.
13
Der Kläger beantragt,
Der Beklagte wird verpflichtet, unter Aufhebung des Bescheides vom 20.05.2020, in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2020, die Infektion und Erkrankung des Klägers an SARS-CoV-2/COVID-19 als Dienstunfall (Art. 46 Abs. 1 BayBeamtVG), hilfsweise als Berufserkrankung (Art. 46 Abs. 3 BayBeamtVG) anzuerkennen.
14
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
15
Zur Begründung verweist der Beklagte auf den Ablehnungsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides. Einer Anerkennung nach Art. 46 Abs. 1 BayBeamtVG fehlten die Voraussetzungen. Er meint, dass es schon an einem auf äußerer Einwirkung beruhenden Ereignis fehle. Das bloße Einatmen von Aerosolen könne kein Unfallereignis darstellen, sonst müsste jeder im Dienst erfolgende Atemzug und damit einhergehende Grippeerkrankung als potentieller Dienstunfall gewertet werden. Jedenfalls aber könne die Erkrankung des Klägers nicht örtlich und zeitlich bestimmt werden, dies erkläre sich vor allem aus der Inkubationszeit. Im Übrigen fehle es an einem dienstlichen Ursachenzusammenhang. Für eine Anerkennung nach Art. 46 Abs. 3 BayBeamtVG i.V. m. Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV als Berufskrankheit fehle es schon an einer Tätigkeit im Gesundheitsdienst, denn die bloßen Verwaltungsaufgaben des Klägers seien keinesfalls mit der Tätigkeit im medizinischen Gesundheitsdienst gleichzusetzen. Er sei zwar beim Gesundheitsamt grundsätzlich im Gesundheitsdienst tätig, ob das aber von der Nr. 3101 erfasst sei, beurteile sich aber nach der konkreten Tätigkeit, welche ausschließlich ungefährliche Verwaltungsaufgaben umfasst habe. Er sei keiner erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt gewesen.
16
In der mündlichen Verhandlung am 29.11.2022 wurde der Kläger informatorisch angehört. Auf Nachfragen des Gerichts präzisierte er seinen bereits schriftlich vorgetragenen Sachverhalt. Maßgeblich hat er vorgetragen, dass er in den drei Wochen vor seiner Infektion die Teströhrchen ca. fünf- bis sechsmal entgegengenommen und später übergeben habe und er bei den Testabstrichen im Außenbereich des Gesundheitsamts ca. 15 Mal mitgewirkt habe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.11.2022 verwiesen.
17
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der beigezogenen Unfallakte (Bl. … - …) Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

18
Die zulässige Klage ist begründet. Die Ablehnung des Antrags des Klägers vom 21.04.2020 ist rechtswidrig und der Kläger ist dadurch in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 5 S. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
19
Es handelt sich bei der hilfsweisen Beantragung, die Erkrankung als Berufskrankheit anzuerkennen, nicht um einen Hilfsantrag im Sinne einer eventualen Klagehäufung, da der Kläger diesen erkennbar nicht unter der Bedingung gestellt hat, dass neben einem Hauptantrag für den Fall dessen Unzulässigkeit oder Unbegründetheit eine Prüfung des Antrags erfolgen soll. Es handelt sich insoweit nur um zwei rechtliche - gestaffelte - Anknüpfungspunkte für eine Anerkennung als Dienstunfall, also das Klagebegehren des Klägers. Eine Berufskrankheit gilt nämlich als Dienstunfall, Art. 46 Abs. 3 S. 1 Bayerisches Beamtenversorgungsgesetz (BayBeamtVG).
20
Die Erkrankung des Klägers an COVID-19 ist kein Dienstunfall gem. Art. 46 Abs. 1 S. 1 BayBeamtVG (I.). Es handelt sich aber um eine Berufskrankheit gem. Art. 46 Abs. 3 S. 1 BayBeamtVG i.V. m. Nr. 3101 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) (II.).
I.
21
Die Infektion des Klägers mit SARS-CoV-2 erfüllt nicht die Voraussetzungen des Art. 46 Abs. 1 S. 1 BayBeamtVG.
22
Danach ist ein Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist. Nach ständiger Rechtsprechung kann auch eine Infektionserkrankung ein solches Ereignis sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.01.1993 - Az. 2 C 22/90 - juris).
23
Entgegen der Ansicht des Beklagten liegt ein äußeres Ereignis vor (1.) und es ist bei Art. 46 Abs. 1 S. 1 BayBeamtVG unerheblich, dass es sich bei SARS-CoV-2/COVID-19 um eine Pandemie und damit eine allgemeine Gefahr handelt (2.). Es fehlt allerdings an der örtlichen und zeitlichen Bestimmbarkeit (3.).
1.
24
Das Tatbestandsmerkmal „äußere Einwirkung“ dient in erster Linie zur Abgrenzung von Vorgängen im Inneren des menschlichen Körpers. Es soll Unfallereignisse und Körperschädigungen ausschließen, die auf eine in körperlicher oder seelischer Hinsicht besondere Veranlagung des Beamten oder auf willentliches (vorsätzliches) Verhalten des Beamten zurückgehen. Dabei wird die Abgrenzung negativ vorgenommen: Ist eine „innere“ Einwirkung nicht erkennbar, liegt eine äußere Einwirkung vor. Dabei kann eine äußere Einwirkung auch eine eigene Handlung des Beamten sein (vgl. zum Ganzen Kazmaier, in: Stegmüller/Schmalhoer/Bauer, Beamtenversorgungsrecht, Stand: Februar 2020, § 31 Rn. 21).
25
Eine Ansteckung mit SARS-CoV-2/COVID-19 erfolgt nach derzeitigem Wissensstand entweder als Tröpfcheninfektion oder als Schmierinfektion, dabei stellen beide Übertragungswege eine „äußere Einwirkung“ im Sinne des Dienstunfallrechts dar (vgl. hierzu auch Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, WD 6 - 3000 - 005/21, S. 10). Dabei ändert die Abhängigkeit der Schwere einer entwickelten Erkrankung von der körpereigenen Veranlagung nichts. Entgegen der Ansicht des Beklagten kommt es bei dem Tatbestandsmerkmal der äußeren Einwirkung nicht darauf an, ob es sich um ein alltägliches Ereignis handelt. Im Rahmen der äußeren Einwirkung erfolgt keine weitergehende Wertung, es kommt schlicht darauf an, ob das Ereignis von „innen“ oder von „außen“ wirkt. Die Auf- bzw. Einnahme - so schon der Wortsinn - auch kleinster Teilchen erfolgt „von außen“ und nicht „von innen“ (vgl. Günther/Fischer, VBlNW 08/2020, S. 309 ff., unter II. 2.).
2.
26
Für die Anerkennung als Dienstunfall ist es unerheblich, ob es sich bei der Erkrankung um die Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos handelt. Denn der Begriff des Dienstunfalles gem. Art. 46 Abs. 1 S. 1 BayBeamtVG bzw. § 31 Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG) setzt nicht voraus, dass der Beamte bei seiner Tätigkeit einer höheren Gefährdung als die übrige Bevölkerung ausgesetzt ist oder sich in dem Körperschaden eine der konkreten dienstlichen Verrichtung innewohnende typische Gefahr realisiert hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.02.2010 - 2 C 81/08 = NVwZ 2010, 708).
3.
27
Der Infektion des Klägers mit SARS-CoV-2 liegt allerdings kein örtlich und zeitlich hinreichend bestimmbares Ereignis zugrunde. Es kann kein eindeutiger Ansteckungszeitpunkt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bestimmt werden.
28
Durch das Erfordernis der örtlichen und zeitlichen Bestimmbarkeit wird zum einen der Schutzbereich der Dienstunfallfürsorge festgelegt. Zum anderen dient es der Begrenzung des Risikos des Dienstherrn. Dieser soll nur für Schadensereignisse haften, die einem Nachweis zugänglich sind. Erst die eindeutige Bestimmung des Ereignisses ermöglicht es, sicher festzustellen, ob und inwieweit Veränderungen des Gesundheitszustandes des Beamten auf einen Dienstunfall zurückzuführen sind und von der Dienstunfallfürsorge nach Art. 45 ff. BayBeamtVG umfasst werden. Deshalb müssen die Angaben zur den Umständen des konkreten Ereignisses in zeitlicher und örtlicher Hinsicht in ihrer Gesamtheit so bestimmt sein, dass es Konturen erhält, auf Grund derer es von anderen Geschehnissen eindeutig abgegrenzt werden kann. Jede Verwechslung mit einem anderen Ereignis muss ausgeschlossen sein. Daraus folgt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass sich genau bestimmen lassen muss, wann und wo sich das Ereignis abgespielt hat. Ort und Zeitpunkt müssen feststehen. Für die zeitliche Bestimmbarkeit genügt es nicht, dass sich ein über mehrere Tage erstreckender Zeitraum nach Anfangs- und Schlusstag eingrenzen lässt. Demnach reicht es bei Infektionen nicht aus, dass die Inkubationszeit und der Ort, an dem sich der Beamte während dieser Zeit aufgehalten hat, bekannt sind, um die Infektionserkrankung als einen Unfall zu bewerten. Es ist daher anzuerkennen, dass sich der Zeitpunkt der Ansteckung mit einer Infektionskrankheit fast ausnahmslos nicht mit der gemäß Art. 46 Abs. 1 S. 1 BayBeamtVG bzw. § 31 Abs. 1 S. 1 BeamtVG erforderlichen Genauigkeit feststellen lässt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.01.2006 - 2 B 46/05; Urt. v. 25. 2. 2010 - 2 C 81/08 = NVwZ 2010, 708; Kazmaier, in: Stegmüller/Schmalhoer/Bauer, Beamtenversorgungsrecht, Stand: Februar 2020, § 31 Rn. 35). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gelten im Dienstunfallrecht grundsätzlich die allgemeinen Beweisgrundsätze, dabei ist für das Vorliegen eines Dienstunfalles grundsätzlich der volle Beweis zu erbringen, das heißt er muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen (vgl. z.B. BVerwG, Urt. v. 22.10.1981 - 2 C 17/81).
29
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann der Kläger den hinreichenden Nachweis einer örtlich und zeitlich bestimmbaren Infektion nicht führen.
30
Nach dem epidemiologischen Steckbrief auf dem Stand des 26.11.2021 (abrufbar unter RKI - Coronavirus SARS-CoV-2 - Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19) zu SARS-CoV-2/COVID-19 beträgt die Inkubationszeit bis zu 14 Tagen, die mittlere Inkubationszeit beträgt 5,8 Tage und die 95%-Perzentile wird mit 11,7 Tagen angegeben. Der Kläger geht davon aus, dass er sich im Rahmen einer Besprechung mit seiner Kollegin Frau … … mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von ihr angesteckt hat. Er gibt an, am 23.03.2020, zwischen 10:00 und 12:00 Uhr ein ca. 15-minütiges Gespräch mit ihr geführt zu haben. Am Abend desselben Tages oder vielleicht auch noch während des Dienstes habe Frau … sodann Symptome gehabt. Der Kläger trägt auch vor, sich mit seiner Familie - auch wegen ihres beruflichen Hintergrundes - weitgehend isoliert zu haben. Er selbst sei, da er vom Land komme, allein mit dem Auto in die Dienststelle gefahren. Auch habe er im März 2020 im privaten Bereich keinen Kontakt über 15 Minuten gehabt oder sei nicht länger in einem Innenraum mit anderen Personen gewesen. Die Kinder wären nur zuhause gewesen und hätten auch keine Freunde getroffen. Ein ca. im Mai oder Juni 2020 durchgeführter Antikörpertest habe ergeben, dass die Kinder ebenfalls, aber symptomlos an COVID-19 erkrankt waren. Meistens sei seine Frau einkaufen gewesen, da er oft wegen seiner langen Arbeitszeit zeitlich nicht mehr einkaufen habe können. Seine Frau sei Anfang März 2020 von ihrem Arbeitgeber nach Hause geschickt worden. Sie sei als Krankenschwester auf der orthopädischen Station beschäftigt gewesen. Wegen Absehbarkeit der Pandemie sei die Station jedoch geschlossen und das Personal, so auch die Ehefrau des Klägers, nicht mehr benötigt worden. Die Station sei umstrukturiert worden, um COVID-19 Patienten zu beherbergen. Der Kläger konnte in der mündlichen Verhandlung mit Sicherheit angeben, dass das 14 Tage vor seiner Infektion gewesen sei. Er habe sich das damals zusammengeschrieben und könne sich daher genau erinnern. Die Ehefrau habe zum gleichen Zeitpunkt Symptome gezeigt und sei zeitgleich mit dem Kläger positiv getestet worden.
31
Mit diesem Vortrag hat der Kläger keinen bestimmten Zeitpunkt für die Infektion nachgewiesen. Im März 2020 ist davon auszugehen, dass der sog. Wildtyp des SARS-CoV-2 vorlag, dessen Ansteckungsgefahr verglichen mit der 2022 vorherrschenden Variante „omicron“ als geringer einzustufen ist. Die Möglichkeit einer Ansteckung von seiner Frau ist dennoch gegeben. Selbst bei gewissenhafter Vorsicht und Isolation ist eine Ansteckung im privaten Umfeld grundsätzlich möglich. Im Übrigen trägt der Kläger selbst vor, es seien zahlreiche Besprechungen notwendig gewesen, gerade auch im Rahmen des Bürgertelefons. Dabei wurden noch keine Masken getragen, da es noch keine allgemeine Maskenempfehlung gab. Eine solche hat das RKI - so gerichtsbekannt und vorgetragen - erst ab April 2020 ausgesprochen. Also ist eine Ansteckung in diesem anderen - dennoch dienstlichen - Rahmen ebenfalls nicht auszuschließen. Es steht also nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass sich der Kläger am 23.03.2020 zwischen 10:00 und 12:00 von Frau … … angesteckt hat.
II.
32
Die Infektion mit SARS-CoV-2 stellt allerdings eine sog. Berufskrankheit dar und gilt daher gem. Art. 46 Abs. 1 S. 1 BayBeamtVG i.V. m. Nr. 3101 der Anlage 1 der BKV als ein Dienstunfall. Der Kläger war im Gesundheitsdienst tätig (1.), würde man das verneinen, jedenfalls durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt (2.). Damit ist der Kläger als Beamter nach der Art seiner dienstlichen Verrichtung der Gefahr der Erkrankung gem. Art. 46 Abs. 3 S. 1 BayBeamtVG besonders ausgesetzt gewesen (3.). Der Beklagte konnte nicht darlegen und nachweisen, dass der Kläger sich die Krankheit außerhalb des Dienstes zugezogen hat (4.).
33
Nach Art. 46 Abs. 3 S. 1 BayBeamtVG gilt als Dienstunfall auch die Erkrankung an einer in Anlage 1 der BKV vom 31. Oktober 1997 (BGBl. I S. 2623) in der jeweils geltenden Fassung genannten Krankheit, wenn der Beamte oder die Beamtin nach der Art seiner oder ihrer dienstlichen Verrichtung der Gefahr der Erkrankung besonders ausgesetzt war, es sei denn, dass der Beamte oder die Beamtin sich die Krankheit außerhalb des Dienstes zugezogen hat.
34
Mit dieser Norm hat der Gesetzgeber der Schwierigkeit des Nachweises des Zeitpunkts einer Infektion im Rahmen des Art. 46 Abs. 1 S. 1 BayBeamtVG in der Form Rechnung getragen, dass diejenigen Infektionskrankheiten, die in der Anlage 1 der BKV aufgeführt sind, gem. Art. 46 Abs. 3 S. 1 BayBeamtVG als Dienstunfälle gelten, wenn die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind (BVerwG, Beschluss vom 19.01.2006 - 2 B 46/05). Gemäß Art. 46 Abs. 3 S. 1 BayBeamtVG bzw. § 31 Abs. 3 S. 1 BeamtVG tritt an die Stelle des den Körperschaden verursachenden Ereignisses die Erkrankung und an die Stelle des konkreten Zusammenhangs von Dienstausübung und Körperschaden die abstrakte Gefährdung durch die Art der dienstlichen Tätigkeit (vgl. Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz, Stand: Dezember 2021, § 31 BeamtVG Rn. 179).
35
Nach Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV sind Infektionskrankheiten erfasst, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war.
36
Solche Infektionskrankheiten sind Krankheiten, die von Mensch zu Mensch übertragbar sind. SARS-CoV-2/COVID-19 ist eine solche, von Mensch zu Mensch übertragbare Infektionskrankheit.
37
Zum Gesundheitsdienst zählen beispielsweise Krankenhäuser, Arztpraxen, Apotheken, Physiotherapieeinrichtungen, Krankentransporte, Rettungsdienste oder Pflegedienstleistungen. Einrichtungen der Wohlfahrtspflege sind vor allem solche der Kinder-, Jugend-, Familien- und Altenhilfe sowie zur Hilfe für behinderte oder psychisch erkrankte Menschen oder Menschen in besonderen sozialen Situationen (zum Beispiel Suchthilfe oder Hilfen für Wohnungslose). Gleiches gilt für Personengruppen, die bei ihrer versicherten Tätigkeit der Infektionsgefahr in einem ähnlichen Maße besonders ausgesetzt sind. Neben wissenschaftlichen und medizinischen Laboratorien werden auch Einrichtungen mit besonderen Infektionsgefahren erfasst, soweit die dort Tätigen mit Kranken in Berührung kommen oder mit Stoffen umgehen, die kranken Menschen zu Untersuchungszwecken entnommen wurden. Für die Beantwortung der Frage, ob einzelne Personen durch ihre Tätigkeiten in anderen Bereichen in ähnlichem Maße einer Infektionsgefahr ausgesetzt sind, kann es insbesondere auf die Art der Kontakte mit infizierten Personen ankommen (vgl. zum Ganzen Siefert, in: NZS 2022, 209, 211). Als Orientierungshilfe kann auch das Merkblatt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur BK Nr. 3101 vom 01.12.2000 (Bek. des BMA, BArbBl. 1/2001, S. 35) herangezogen werden. Dort wird ausgeführt:
38
Dies trifft hauptsächlich auf das Personal in stationären oder ambulanten medizinischen Einrichtungen der Human- oder Zahnmedizin, in wohlfahrtspflegerischen Einrichtungen und Laboratorien zu. Außerdem können in diesen Bereichen kurzfristig mit Arbeiten wie Warten, Instandsetzen oder Entsorgen tätige Personen betroffen sein. Ein Risiko in ähnlichem Maße kann auch bei Tätigkeiten in der Gentechnik, Biotechnologie, in Abwasser- und Kläranlagen bestehen.
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Daneben können zum Gesundheitsdienst auch Tätigkeiten in einem staatlichen Gesundheitsamt zählen. Hier wird teilweise die Auffassung vertreten, die auch der Beklagte im Ablehnungsbescheid vertritt, dass zwischen „geschlossener“ und „außerhalb geschlossener“ Gesundheitsfürsorge zu unterscheiden ist. Nur in der sog. geschlossenen Gesundheitsfürsorge, was medizinische Einrichtungen im engeren Sinne wie beispielsweise Krankenhäuser, Heil- und Pflegeanstalten umfasst, seien alle Tätigkeiten, insbesondere auch Verwaltungstätigkeiten, einbezogen. Bei Tätigkeiten in Krankenhäuser soll nämlich nach Ansicht des Bundessozialgerichts keine Einschränkung des geschützten Personenkreises auf „unmittelbar, das heißt mit direkter Patientenberührung“ beschäftigte Versicherte gerechtfertigt sein, da bei Krankhäusern allgemein Ansteckungsgefahren in besonderem Umfang vorhanden sind (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 28.01.2003 - L 2 U 180/01 mit Verweis auf BSG, Urt. v. 15.12.1982 - 2 RU 32/82). Daher ist nicht nur das Pflegepersonal von Krankenhäusern in den Versicherungsschutz nach Nr. 37 der Anlage 1 zur 7. BKVO einzubeziehen. Bei Tätigkeiten außerhalb geschlossener Gesundheitsfürsorge bedarf es danach der Berücksichtigung der konkreten Funktion des Beschäftigten.
1.
40
Nach Ansicht der Kammer war der Kläger im Gesundheitsdienst im Sinne der Nr. 3101 der Anlage 1 der BKV tätig.
41
Der Wortlaut der Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV ist hinsichtlich der Notwendigkeit einer Infektionsgefahr und damit einer soeben angesprochenen Differenzierung bei einer Tätigkeit im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium nicht eindeutig. In der 6. Verordnung über die Ausdehnung der Unfallversicherung auf Berufskrankheiten vom 21. April 1961 (BGBl. 1961 I S. 505 ff.) waren in der Nummer 37 Infektionskrankheiten nur dann erfasst, wenn sich der Versicherte diese in Krankenhäusern, Heil- und Pflegeanstalten, Entbindungsheimen und sonstigen Anstalten, die Personen zur Kur und Pflege aufnehmen, ferner Einrichtungen und Tätigkeiten in der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege und im Gesundheitsdienst sowie Laboratorien für wissenschaftliche oder medizinische Untersuchungen und Versuche zugezogen hat. Hier wurde noch nach der Art des Unternehmens der Beschäftigung unterschieden. Dies hat im Ergebnis zu nicht gewollten Härten geführt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21.01.1986, 4 S 2468/85; VG Sigmaringen, Urt. v. 02.02.2022 - 5 K 1819/21). Daher wurde dies in der 7. Berufskrankheiten-Verordnung vom 20. Juni 1968 (BGBl. 1968 I S. 721 ff.) erweitert. Danach waren unter „D. Durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten“ unter Nummer 37 „Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war“ erfasst.
42
Dass in einem Krankenhaus, bei dem eine Vielzahl verschiedener - auch infektiöser - Krankheiten behandelt wird, eine allgemeine Ansteckungsgefahr für das gesamte Personal - allein wegen der räumlichen Umgebung - herrscht, liegt auf der Hand. Der Wortlaut verlangt, dass der Beamte „im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig ist,“ anschließend wird in Variante 4 auf eine andere Tätigkeit abgestellt, bei der der Beamte „in ähnlichem Maße“ einer Infektionsgefahr besonders ausgesetzt war. Daraus folgt aber, dass die Nr. 3101 davon ausgeht, dass der Beamte bei der Tätigkeit im Rahmen der ersten Varianten gerade einem abstrakten besonderem Gefährdungspotential für die Übertragung von Infektionskrankheiten ausgesetzt ist. Da das offenkundig nicht stets der Fall ist, bedarf es regelmäßig genauerer Betrachtung. Unter den Begriff des Gesundheitsdienstes und der Wohlfahrtspflege fallen, wie insbesondere die historische Betrachtung zeigt, eine Vielzahl unterschiedlicher Einrichtungen. Eine Infektionsgefahr kann im Grundsatz sowohl im Kindergarten, Altenheim, Krankenhaus oder Laboratorium bestehen, aber je nach Tätigkeit ist diese höher oder geringer. In einem Laboratorium werden in der Regel nur die Personen, die unmittelbar mit infektiösem Material in Kontakt kommen, einer Infektionsgefahr ausgesetzt sein, währenddessen das auf in der Verwaltung beschäftigte Personen regelmäßig nicht zutreffen dürfte. Im Übrigen lässt sich auch der Zusammenhang einer Berufskrankheit der Nr. 3101 mit Art. 46 Abs. 3 S. 1 BayBeamtVG bzw. § 31 Abs. 3 S. 1 BeamtVG heranziehen. Durch die Bezugnahme soll dem Beamten über Beweisschwierigkeiten im Rahmen des Dienstunfalls hinweggeholfen werden, da ein örtlich und zeitlich bestimmbares Ereignis so gut wie nicht nachweisbar ist. Die Beweislast in Art. 46 Abs. 3 S. 1 BayBeamtVG ist hinsichtlich der Zuziehung der Krankheit außerhalb des Dienstes umgekehrt, nicht jedoch wegen der besonderen Gefährdung oder einer Erkrankung als solcher. Würde eine genauere Differenzierung im Rahmen der ersteren Varianten der Berufskrankheit nach Nr. 3101 der Anlage 1 der BKV ausbleiben, ginge das in die Richtung einer gesetzlichen Vermutung, denn die bloße - abstrakt als gefährlich angesehene - Tätigkeit in einer Einrichtung der ersten drei Varianten würde ausreichen. Das widerspräche gerade der Regelung der Beweislast in Art. 46 Abs. 3 Nr. 1 BayBeamtVG bzw. § 31 Abs. 3 S. 1 BeamtVG, in der gerade nur hinsichtlich des dienstlichen Zusammenhangs eine Beweislastumkehr geregelt ist. Bei Var. 4 der Berufskrankheit nach Nr. 3101 reicht eine abstrakte Gefahr gerade nicht aus, dort ist klar formuliert, dass eine solche andere Tätigkeit eine besondere Infektionsgefahr voraussetzt. Ein solch unterschiedliches Verständnis innerhalb der vier Varianten der BK Nr. 3101 kann vom Gesetzgeber nicht gewollt sein. Die Gefährdungstatbestände der Nr. 3101 sind auf einen einheitlichen Schutzzweck gerichtet, auch in den Var. 1 bis 3 muss eine Infektionsgefahr gegeben sein (so wohl auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21.01.1986, 4 S 2468/85). Daher ist davon auszugehen, dass eine Differenzierung innerhalb der BK Nr. 3101 Var. 1 bis 3 vorgenommen werden soll. Nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers sind in der Berufskrankheit nach Nr. 3101 der Anlage 1 der BKV gerade nur Tätigkeiten erfasst, die einen Bezug zu einer Infektionsgefahr aufweisen. Allein die Tätigkeit im räumlichen Bereich, der einer erfassten Einrichtung zuzuordnen ist, reicht dafür regelmäßig nicht aus. Dieser Bezug kann im jeweiligen Einzelfall, insbesondere bei reinen Verwaltungstätigkeiten fehlen.
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Das steht auch in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, dass Krankenhäuser gerade als eine Einrichtung des Oberbegriffs Gesundheitsdienst sieht, in denen eine besondere Ansteckungsgefahr stets gegeben sei. Es differenziert also im Gesundheitsdienst und hebt jedenfalls Krankenhäuser hervor. Gerade dort bergen aber alle Tätigkeiten, allein wegen der räumlichen Umgebung, die erhöhte Gefahr von Infektionen, da im Krankenhaus eine generelle hohe Ansteckungsgefahr mit verschiedenen Infektionskrankheiten gegeben ist, die auch Mitarbeitende mit reinen Verwaltungstätigkeiten treffen können.
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Der Kläger arbeitete im entscheidungserheblichen Zeitraum März 2020 im Gesundheitsamt …, welches in das dortige Landratsamt integriert ist, als Hygienekontrolleur/-obersekretär. Er war dort seit Februar 2020 ausschließlich mit der Bekämpfung der beginnenden Pandemie beschäftigt. Dabei wirkte er bei der Einrichtung und Organisation neuer Strukturen wie dem Bürgertelefon, einer Kontaktermittlung, Überwachung häuslicher Quarantäne und Entlassmanagement mit. Diese Tätigkeiten hat er ausschließlich im Bürowege erledigt, ohne näheren Kontakt zu infizierten Personen oder Objekten zu haben. Zwar ist der Kläger im normalen Dienstbetrieb mit Kollegen auch beispielsweise in Kindergarten oder Krankenhäuser gefahren, falls dort eine Infektion ausgebrochen ist, jedoch nach eigener Aussage nicht in den 14 Tagen vor seiner Infektion. Der Kläger legte jedoch in der mündlichen Verhandlung schlüssig und glaubhaft dar, dass das Gesundheitsamt … damals neben der kassenärztlichen Vereinigung im Landkreis die einzige Stelle war, die auf SARS-CoV-2/COVID-19 getestet hat. Dabei hat der Kläger bei den mobilen Testungen zwar nur in der Vor- bzw. Nachbereitung mitgewirkt, also in Schutz- und Testausrüstung eingewiesen und Testrouten erstellt und übergeben sowie Unterlagen anschließend entgegengenommen und elektronisch eingepflegt. Allerdings wurden damals auch Testungen im Außenbereich unmittelbar vor dem Gesundheitsamt durchgeführt. Nach Aussage des Klägers hat er damals bei ca. 15 Tests assistiert, also Stäbchen und Laborröhrchen gereicht und entgegengenommen. Die Abstriche selbst wurden von medizinischem Personal durchgeführt. Der Kläger konnte in der mündlichen Verhandlung nicht abschätzen, wie viele positive Testergebnisse hierunter fielen. Darüber hinaus hat er in den drei Wochen vor seiner Corona-Infektion ungefähr fünf bis sechs Mal die Teströhrchen von den mobilen Testteams entgegengenommen und anschließend an den Laborkurier übergeben.
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Nach den konkreten Einzelfallumständen stand die Tätigkeit des Klägers im Gesundheitsamt also in Bezug zu einer Infektionsgefahr. Zur Überzeugung der Kammer hat er im maßgeblichen Zeitraum, also 14 Tage vor seiner Infektion, nicht ausschließlich mit Verwaltungstätigkeiten verbracht, sondern hat darüber hinaus auch unmittelbar mit möglicherweise infizierten Personen und infektiösen Objekten hantiert. Daher ist seine Tätigkeit nach den Einzelfallumständen in den zwei Wochen vor seiner Infektion am 25. bzw. 26.03.2020 dem Gesundheitsdienst (geschlossene Gesundheitsfürsorge) im Sinne der Berufskrankheit nach Nr. 3101 der Anlage 1 der BKV zuzuordnen.
2.
46
Würde man den Kläger nicht schon dem Gesundheitsdienst zuzuordnen, wäre er jedenfalls durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt gewesen. Dieses nach Berufskrankheit nach Nr. 3101 der Anlage 1 der BKV geforderte Tatbestandsmerkmal ist im Zusammenhang mit dem in Art. 46 Abs. 3 S. 1 BayBeamtVG geregelten Tatbestandsmerkmal, dass der Beamte nach der Art seiner dienstlichen Verrichtung der Gefahr der Erkrankung besonders ausgesetzt war, zu sehen. Es kommt also darauf an, ob der Beamte nach der Art seiner dienstlichen Verrichtung der Gefahr der Erkrankung in ähnlichem Maße wie Beschäftigte in den aufgezählten Bereichen besonders ausgesetzt war.
47
Für einen auf § 31 Abs. 3 BeamtVG bzw. Art. 46 Abs. 3 S. 1 BayBeamtVG gestützten Anspruch trägt der Beamte, der die Dienstunfallfürsorge wegen einer Krankheit erreichen will, für das Vorliegen einer Erkrankung, für die besondere Erkrankungsgefahr und die rechtzeitige Meldung der Erkrankung die materielle Beweislast, wenn das Gericht die erforderliche Überzeugungsgewissheit, also vernünftige Zweifel ausschließende, nicht gewinnen kann. In diesem Rahmen können dem Beamten allgemein anerkannte Beweiserleichterung zu Gute kommen (BVerwG, Urt. v. 28.04.2011 - 2 C 55/09).
48
Durch die Siebente Berufskrankheiten-Verordnung vom 20.06.1968 (BGBl. 1968 I 721) wurde die Variante „durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt“ eingeführt, um zuvor bestehende unbillige Härten abzufedern (vgl. auch VG Sigmaringen, Urt. v. 02.02.2022 - 5 K 1819/21 mit Verweis auf VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 21.01.1986 - 4 S 2468/85). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss danach die konkret ausgeübte dienstliche Tätigkeit erfahrungsgemäß im Ganzen gesehen ihrer Art nach unter den besonderen zur Zeit der Krankheitsübertragung bestehenden tatsächlichen Verhältnissen und Begleitumständen eine hohe Wahrscheinlichkeit der Erkrankung in sich bergen (BVerwG, Urt. v. 28.01.1993 - 2 C 22/90; Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz, Stand: Dezember 2021, § 31 BeamtVG Rn. 187). Der Beamte muss durch seine dienstliche Tätigkeit der Infektionsgefahr besonders, also in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung gefährdet sein (VGH Baden-Württemberg, a. a. O.). Dabei kommt es nicht auf die individuelle Veranlagung des Beamten an. Ebenso wenig wird vorausgesetzt, dass die durch die Art der dienstlichen Verrichtung hervorgerufene Gefährdung generell den Dienstobliegenheiten anhaftet. Vielmehr entscheidet, ob die eintretende Gefährdung der Art der konkreten dienstlichen Verrichtung eigentümlich ist - allerdings nur dann, wenn sich die Erkrankung als typische Folge des Dienstes darstellt. Entscheidend für die Beurteilung, ob es sich um ein derart erhöhtes Ansteckungsrisiko handelt sind die Umstände des jeweiligen Einzelfalls (VGH Baden-Württemberg, a. a. O.). Es ist also zu prüfen, ob dem Beamten die von ihm konkret auszuführende dienstliche Verrichtung der Gefahr der betreffenden Erkrankung besonders aussetzte, also eine hohe Wahrscheinlichkeit gerade dieser Erkrankung anhaftete (vgl. BVerwG Beschluss vom 15.05.1996 - 2 B 106.95 mit Verweis auf weitere Rechtsprechung des BVerwG). Zu differenzieren ist in diesem Zusammenhang zwischen einer Gefährdung, die aus dem Tätigkeitsumfeld des jeweiligen Beamten herrührt, und einer Gefährdung, die aus der Tätigkeit selbst herrührt. Im Rahmen einer Quecksilberkontamination des Arbeitsplatzes hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof eine Gefährdung aus der konkreten dienstlichen Tätigkeit verneint und darauf verwiesen, dass sich der Gesetzgeber in § 31 Abs. 3 S. 1 BeamtVG (entspricht im Wesentlichen Art. 46 Abs. 3 S. 1 BayBeamtVG) dafür entschieden hat, auf die Art der jeweiligen Tätigkeit abzustellen und nicht auf sonstige dienstliche Bedingungen, wie insbesondere die Beschaffenheit der Diensträume (vgl. BayVGH, Urt. v. 17.05.1995 - 3 B 94.3181). Die generelle Ansteckungsgefahr, der ein Beamter ausgesetzt sein kann, wenn er im Dienst mit anderen Menschen in Kontakt kommt, genügt nicht (vgl. so auch VG Sigmaringen, Urt. v. 02.02.2022 - 5 K 1819/21 mit Verweis auf VG Würzburg, Urt. v. 26.10.2021 - W 1 K 21.536).
49
Zwar sind das beamtenrechtliche Dienstunfallrecht und die gesetzliche Unfallversicherung zwei jeweils eigenständig geregelte Sachbereiche, aber es bestehen zahlreiche parallel gelagerte oder ähnliche Rechtsfragen in beiden Systemen (vgl. Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz, Stand: Dezember 2021, § 31 BeamtVG Rn. 6 ff.). Das trifft auf den Bereich der Berufskrankheiten insoweit zu, als es um die Auslegung der Nr. 3101 der Anlage 1 geht, da auf diese im Dienstunfallrecht mit verwiesen wird. Daher kann für diese Tatbestandsmerkmale auch auf die sozialgerichtliche Rechtsprechung zurückgegriffen werden (so im Ergebnis auch VG Würzburg, Urt. v. 26.10.2021 - W 1 K 21.536 und VG Augsburg, Urt. v. 21.10.2021 - Au 2 K 20.2494).
50
Das Bundessozialgericht geht von zwei wesentlichen Kriterien aus, um das Tatbestandsmerkmal der „Infektionsgefahr besonders ausgesetzt sein“ auszuformen. In dieser Entscheidung ging es um eine Hepatitis-C-Infektion. Eine erhöhte Ansteckungsgefahr ist bei Versicherten (hier Beamten) anzunehmen, die auf Grund ihrer Tätigkeit oder ihres Arbeitsumfeldes einer Infektionsgefahr in besonderem Maße ausgesetzt sind. Die besondere Ansteckungsgefahr kann sich im Einzelfall auf Grund der Durchseuchung des Umfelds der Tätigkeit oder der Übertragungsgefahr der ausgeübten Verrichtungen ergeben. Der Grad der Durchseuchung ist hinsichtlich der kontaktierten Personen als auch der Objekte festzustellen, mit oder an denen zu arbeiten ist. Lässt sich das Ausmaß der Durchseuchung nicht aufklären, kann aber das Vorliegen eines Krankheitserregers im Arbeitsumfeld nicht ausgeschlossen werden, ist vom Durchseuchungsgrad der Gesamtbevölkerung auszugehen. Das weitere Kriterium der mit der versicherten Tätigkeit verbundenen Übertragungsgefahr richtet sich nach dem Übertagungsmodus der jeweiligen Infektionskrankheit sowie der Art, der Häufigkeit und der Dauer der vom Versicherten verrichteten gefährdenden Handlungen. Der spezifische Übertragungsweg eines bestimmten Krankheitserregers ist unter Zuhilfenahme medizinischer, naturwissenschaftlicher und gegebenenfalls technischer Sachkunde dem im Entscheidungszeitpunkt aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu nehmen. Daneben sind die individuellen Arbeitsvorgänge zu beachten. Da für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 3101 nicht eine schlichte Infektionsgefahr genügt, sondern eine besonders erhöhte Infektionsgefahr vorausgesetzt wird, kommt es darauf an, welche einzelnen Arbeitshandlungen im Hinblick auf den Übertragungsweg besonders gefährdend sind. Die Durchseuchung des Arbeitsumfelds auf der einen und die Übertragungsgefahr der versicherten Verrichtungen auf der anderen Seite stehen in einer Wechselbeziehung zueinander. An den Grad der Durchseuchung können umso niedrigere Anforderungen gestellt werden, je gefährdender die spezifischen Arbeitsbedingungen sind. Je weniger hingegen die Arbeitsvorgänge mit dem Risiko der Infektion behaftet sind, umso mehr gelangt das Ausmaß der Durchseuchung an Bedeutung. Allerdings muss zumindest die Möglichkeit einer Infektion bestehen. Ist das nicht der Fall, weil beispielsweise trotz eines hohen Durchseuchungsgrads die Art der konkret ausgeübten Tätigkeit einen Infektionsvorgang ausschließt, ist für die Annahme einer Gefahr von vornherein kein Raum. Kommt indes eine Infektion in Betracht, ist im Wege einer Gesamtbetrachtung der Durchseuchung und der Übertragungsgefahr festzustellen, ob sich im Einzelfall eine Infektionsgefahr ergibt, die nicht nur geringfügig erhöht ist, sondern in besonderem Maße über der Infektionsgefahr in der Gesamtbevölkerung liegt. Dabei legt der Nachweis einer infizierten Kontaktperson bei gleichzeitiger übertragungsgefährdender Tätigkeit das Vorliegen einer besonders erhöhten Infektionsgefahr nahe. Zwingend ist dieser Schluss aber nicht. Entscheidend ist immer die Gesamtwürdigung der das Arbeitsumfeld und die versicherte Tätigkeit betreffenden beiden Risikobereiche unter Berücksichtigung des spezifischen Übertragungsmodus und Verbreitungsgrades der jeweiligen Infektionskrankheit (vgl. zum Ganzen BSG, Urt. v. 02.04.2009, B 2 U 30/07 R = NJOZ 2010, 70 ff.).
51
Auch in verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung wird regelmäßig zwischen gehäuftem, „seuchenhaften“ auftretenden Krankheitsfällen einerseits und Einzelfällen andererseits unterschieden (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.11.1960 - VI C 144/58; offen gelassen in Urt. v. 28.01.1993 - 2 C 22/90; VG Gießen, Urt. v. 11.05.2000 - 5 E 1269/98, VG Sigmaringen, a. a. O., VG Würzburg, a. a. O.; VG Augsburg, a. a. O.; guter Überblick auch bei Günther/Fischer, VBlNW 08/2020, S. 309 ff., unter III. 1.). Bei einer Lehrerin wurde ein Einzelfall einer Erkrankung an Lungentuberkulose in ihrer Klasse nicht als ausreichend angesehen. Das BVerwG ließ jedoch ausdrücklich offen, wie die Sachlage zu beurteilen wäre, wenn die Erkrankung gehäuft aufgetreten wäre und verwies auf den Einklang mit sozialgerichtlicher Rechtsprechung (BVerwG, Urt. v. 28.01.1993 - 2 C 22/09). Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat als besondere Gefährdung ausreichen lassen, dass in einer Klasse nach einer Hochrechnung eines Gutachters - ausgehend von zwei manifest erkrankten Kindern - insgesamt sechs bis acht Kinder im Zeitraum von Oktober 1964 und März 1965 nicht sichtbar an Gelbsucht erkrankt waren und hat eine Epidemie angenommen. (Hessischer VGH, Urt. v. 14.03.1973 - OS I 70/66). So nahm der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg bei Vorliegen eine Kleinepidemie einer Lungentuberkulose an einer Schule an, dass ein Lehrer, der drei Wochenstunden in einer Klasse mit mindestens sieben erkrankten Schülern einer Infektionsgefahr besonders ausgesetzt war (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21.01.1986, 4 S 2468/85). Bei einer Hepatitis Erkrankung in einer JVA wurde das Erfordernis einer Kleinseuche angesprochen (Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Urteil vom 17.06.1993 - 1 R 74/90 -, Rn. 39, juris). Gerade nicht abgestellt auf ein signifikant gehäuftes Auftreten der Krankheit hat das Oberverwaltungsgericht NRW hinsichtlich einer Erkrankung an Röteln einer Lehrerin, in deren Grundschulklasse vier Schüler erkrankt waren. Es hat hier hauptsächlich darauf abgestellt, dass in einer Klasse, in der Kinder an Röteln erkrankt sind, ein erheblich höheres Risiko besteht als bei der übrigen Bevölkerung, an Röteln zu erkranken. Entscheidend war hier der enge Kontakt in einem Klassenzimmer (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 08.11.1973 - VI A 1244/71).
52
Diese Grundsätze folgen letztlich aus dem Gedanken, dass ein gehäuftes Auftreten einer Erkrankung im Sinne einer Kleinepidemie ein sehr stichhaltiges Indiz dafür sein kann, dass sich tatsächlich bei der dienstlichen Verrichtung infiziert wurde, die Beamten also bei ihr einer Erkrankung besonders ausgesetzt waren. Je mehr Infektionsfälle in einem eingrenzbaren dienstlichen Bereich auftreten, umso eher lässt sich eine zufällige, voneinander unabhängige Infektion ausschließen und desto wahrscheinlicher ist eine Ansteckung gerade im Dienst.
53
Die Kammer bezweifelt, dass diese Grundsätze auch auf SARS-CoV-2/COVID-19 übertragen werden können. Bei den bisherigen Fällen hat dies nämlich - soweit ersichtlich - stets Erkrankungen betroffen, die deutlich seltener auftreten, als dies bei einer Pandemie der Fall ist. Röteln, Gelbsucht, Lungentuberkulose oder auch Hepatitis-Variationen sind keine Krankheiten, die in der Allgemeinheit so weit verbreitet waren, wie es SARS-CoV-2/COVID-19 war bzw. ist. Denn für die Annahme eine Kleinepidemie, also ein signifikant erhöhtes Auftreten einer Krankheit in einem eng eingrenzbaren und sicher feststellbaren räumlichen Bereich, ist zu Zeiten einer Pandemie weniger Raum. Denn hier ist die Möglichkeit einer zufälligen Infektion außerhalb des Dienstes stets gegeben. Daher kann unter diesen Bedingungen eine Kleinepidemie eine zufällige, voneinander unabhängige Infektion nicht mit dem Maß an Sicherheit ausschließen, wie das bei Krankheiten der Fall ist, die nicht pandemisch verbreitet waren bzw. sind. Im Übrigen ist im Zusammenhang mit Art. 46 Abs. 3 S. 1 BayBeamtVG nicht das Tätigkeitsumfeld, insbesondere die Beschaffenheit der dienstlichen Räume, sondern die konkrete Art der dienstlichen Verrichtung entscheidend. Würde man allein die Durchseuchung der dienstlichen Räume bei einer pandemisch verbreiteten Krankheit ausreichen lassen, wäre aber nicht mehr die dienstliche Tätigkeit, sondern gerade das Tätigkeitsumfeld in den Vordergrund gestellt. Die Infektionsgefahr rührt zwar bei SARS-CoV-2 nicht von den Diensträumen her, sondern von der Zusammenarbeit mit anderen ggf. infizierten Menschen. Aber die bloße Zusammenarbeit mit anderen Menschen ist gerade nicht einer konkreten dienstlichen Tätigkeit eigentümlich, sie ist vielmehr generell einer Beschäftigung im Arbeitsleben und nicht nur im Beamtentum angelegt. Wenn zu prüfen ist, ob der Beamte wegen der konkret auszuführenden dienstlichen Verrichtung der Gefahr der betreffenden Erkrankung besonders ausgesetzt ist, kann das allein wegen einer Durchseuchung nicht angenommen werden. Die Durchseuchung betrifft lediglich das Tätigkeitsumfeld des Beamten, nicht jedoch die konkrete dienstliche Verrichtung. Bei einer pandemisch verbreiteten Krankheit ist ein Beamter bei einer Durchseuchung seines Arbeitsplatzes grundsätzlich auch nicht der Infektionsgefahr besonders, also in erheblich höheren Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt. Die Pandemie als solche bedeutet gerade für jede und jeden eine besondere - realistische und nicht nur rein theoretische - Gefahr der Infektion und Erkrankung. Für eine so leicht übertragbare Infektion wie bei dem Coronavirus SARS-CoV-2 gilt das besonders.
54
Das steht auch im Einklang mit dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Unfallfürsorgeregelung, der vor allem in dem besonderen Schutz des Beamten bei Unfällen liegt, die sich außerhalb seiner privaten (eigenwirtschaftlichen) Sphäre im Bereich der in der dienstlichen Sphäre liegenden Risiken ereignen. Das ist der Fall, wenn der Beamte den Unfall bei einer Tätigkeit erleidet, die im engen natürlichen Zusammenhang mit seinen eigentlichen Dienstaufgaben oder dienstlichen notwendigen Verrichtungen oder dem dienstlichen Über- und Unterordnungsverhältnis steht, bei der also der Beamte gewissermaßen „im Banne“ des Dienstes steht (BVerwG, Urt. v. 13.08.1973 - VI C 26.70). Der Gesetzgeber ist von dem allgemeinen Grundsatz ausgegangen, dass die Folgen schicksalsmäßiger - d.h. von niemandem verschuldeter - schädlicher Einwirkungen von dem Geschädigten selbst zu tragen sind, also regelmäßig nicht auf einen schuldlosen Dritten - hier den Dienstherrn - abgewälzt werden können; und er hat den öffentlich-rechtlichen Dienstherren in Abweichung von diesem Grundsatz das (wirtschaftliche) Risiko für eine von einem Beamten im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit erlittenen Infektion nur ausnahmsweise auferlegt (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.02.1965 - II C 11.62). Die Durchseuchung einer Dienststelle bzw. des konkreten Tätigkeitsbereichs eines Beamten allein kann jedoch bei einer pandemisch verbreiteten Krankheit nicht mehr der rein dienstlichen Sphäre zugeordnet werden und steht auch nicht in engen natürlichen Zusammenhang zu eigentlichen Dienstaufgaben.
55
Die Kammer ist dennoch der Auffassung, dass konkret der Kläger unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte, bei Betrachtung der Art seiner dienstlichen Verrichtung der Gefahr der Erkrankung in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war, Art. 46 Abs. 3 S. 1 BayBeamtVG i.V. m. Nr. 3101 der Anlage 1 der BKV. Dabei ist nicht auf die vom Kläger konkret vorgetragene Durchseuchung abzustellen. Der Kläger hat überzeugend und glaubhaft dargelegt, dass neben verwaltender Tätigkeit in den Wochen vor seinem positiven Test am 26.03.2020 auch Aufgaben wahrgenommen hat, bei denen er der Gefahr einer Erkrankung besonders ausgesetzt war, also in erheblich höheren Grade als die übrige Bevölkerung gefährdet gewesen ist. Schriftlich vorgetragen und in der mündlichen Verhandlung präzisiert hat der Kläger bei Testabstrichen direkt vor dem Gesundheitsamt … (im Außenbereich) assistiert, das heißt Material zunächst vorbereitet, Testutensilien den die Abstriche unmittelbar durchführenden Amtsärzten angereicht und nach Abstrich wieder entgegengenommen und Müll entsorgt. In den drei Wochen vor seiner SARS-CoV-2 Infektion war das nach eigener Schätzung des Klägers ca. 15 Mal der Fall. In Anbetracht der - offiziell bekannten (Dunkelziffer sicher deutlich höher) - Fallzahlen des Landkreises …, welche im Archiv auf der Homepage des Landkreises nachvollzogen werden können (unter www. …), ist diese Zahl glaubhaft - auch unter Berücksichtigung des Vortrags, dass hauptsächlich durch mobile Testteams getestet wurde. Am 09.03.2020 war der erste positiv Fall im Landkreis verzeichnet, sieben Tage später am 16.03.2020 waren 23 offizielle Fälle bekannt, weitere sieben Tage später am 23.03.2020 bereits 87 Infektionen; am 25.03.2020 waren es 144. Gerade zu Beginn der Pandemie, also der Zeitraum der für dieses Verfahren relevant ist, gab es sehr wenige Teststationen. Neben dem Gesundheitsamt selbst testete nach Angaben des Klägers nur die kassenärztliche Vereinigung. Daher konzentrierten sich die Verdachtsfälle gerade auf sehr wenige Stellen, insbesondere das Gesundheitsamt. Zu Beginn der Pandemie waren Tests noch nicht so verbreitet wie im späteren Verlauf. Daraus folgt, dass der unmittelbar bei der Testung beteiligte Kläger in Anbetracht der noch eher geringeren Zahlen (verglichen mit Herbst 2020) durchaus erheblich höher gefährdet war, sich zu infizieren, als die übrige Bevölkerung. Daneben hat der Kläger in den drei Wochen vor seiner Infektion ca. fünf- bis sechsmal die Teströhrchen der mobilen Testteams entgegengenommen und anschließend an einen Laborkurier weitergegeben. Diese Tätigkeit gehörte neben der Assistenz bei Testabstrichen auch zur konkreten dienstlichen Tätigkeit, wenn auch die Ansteckungsgefahr im Rahmen der Entgegennahme der Teströhrchen als geringer einzustufen sein sollte als die Beteiligung an den Tests.
56
Ohne dass es darauf ankommt, ist darauf hinzuweisen, dass der vom Kläger betonte Umgang mit den Testteams, sowohl auf dem Gang des Gesundheitsamtes als auch bei der dienstlichen Einweisung in Ausrüstung und Route, nicht zu einer besonderen Gefährdung führt. Dem Kläger ist, nach eigener Aussage in der mündlichen Verhandlung, kein Fall einer Infektion im Rahmen der mobilen Testteams bekannt - auch wenn er es nicht sicher ausschließen konnte. Zwar sind, bei allen Schutzvorkehrungen, diese Teams „an vorderster Front“ und deren dienstliche Verrichtung dürfte gerade die dem Gesetzgeber bei Schaffung der Norm vorschwebende gewesen sein. Aber der bloße Kontakt zu den Mitgliedern dieser Teams führt nicht zu Gunsten des Klägers zu einer Ausweitung der Gefährdung der Testteams auf ihn. Das würde letztlich darauf hinauslaufen, eine - bloß abstrakte - Durchseuchung anzunehmen, da diese Testteams vom Gesundheitsamt aus arbeiteten und dort ihre Schaltzentrale hatten.
3.
57
Die vorstehenden Erwägungen gelten auch für Art. 46 Abs. 3 S. 1 BayBeamtVG. Danach gilt eine solche Erkrankung als Dienstunfall, wenn der Beamte oder die Beamtin nach der Art seiner oder ihrer dienstlichen Verrichtung der Gefahr der Erkrankung besonders ausgesetzt war. Da sich dieses Tatbestandsmerkmal insoweit mit Nr. 3101 der Anlage 1 der BKV deckt, ist dies entsprechend dem Vorstehenden zu bejahen.
4.
58
Es ist davon auszugehen, dass der Kläger sich die Krankheit auch innerhalb des Dienstes zugezogen hat, Art. 46 Abs. 3 S. 1 BayBeamtVG.
59
Gemäß § 31 Abs. 3 S. 1 BeamtVG bzw. Art. 46 Abs. 3 S. 1 BayBeamtVG gilt eine Erkrankung nach Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV als Dienstunfall, wenn der Beamte oder die Beamtin nach der Art seiner oder ihrer dienstlichen Verrichtung der Gefahr der Erkrankung besonders ausgesetzt war, es sei denn, dass der Beamte oder die Beamtin sich die Krankheit außerhalb des Dienstes zugezogen hat.
60
Daraus folgt, dass der Beamte, der die Dienstunfallfürsorge wegen einer Krankheit erreichen will, für das Vorliegen einer Erkrankung i. S. des § 31 Abs. 3 S. 1 BeamtVG, bzw. Art. 46 Abs. 3 S. 1 BayBeamtVG für die besondere Erkrankungsgefahr i. S. von S. 1 der Vorschrift und die rechtzeitige Meldung der Erkrankung die materielle Beweislast trägt, wenn das Gericht die erforderliche, das heißt vernünftige Zweifel ausschließende Überzeugungsgewissheit nicht gewinnen kann. In diesem Rahmen können dem Beamten auch allgemein anerkannte Beweiserleichterungen wie der Beweis des ersten Anscheins oder eine Umkehr der Beweislast zu Gute kommen, wenn die hierzu von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen gegeben sind (BVerwG, Beschluss vom 11.03.1997 - 2 B 127/96). Lässt sich bei Vorliegen der beiden erstgenannten Voraussetzungen hingegen lediglich nicht klären, ob sich der Beamte die Erkrankung innerhalb oder außerhalb des Dienstes zugezogen hat, so trägt das Risiko der Unaufklärbarkeit hinsichtlich dieser Voraussetzung der Dienstherr. Andere Beweiserleichterungen lassen sich der Vorschrift nicht entnehmen (BVerwG, Urt. v. 28.04. 2011 − 2 C 55/09).
61
Der Kläger hat angegeben, dass er sich weitgehend mit seiner Familie isoliert hat. Seine Frau war nach Aktenlage seit 10.03.2020, der Kläger trug in der mündlichen Verhandlung vor, dass es genau 14 Tage vor seinem positiven Test gewesen ist, nicht mehr bei der Arbeit. Seine Kinder waren ab 13.03.2020 nicht mehr im Kindergarten und haben im März 2020 keine Freunde getroffen. Der Kläger fuhr allein mit seinem Pkw zur Arbeit. Damit hat er dargelegt, dass die Möglichkeit einer Ansteckung im privaten Bereich zumindest kein deutliches Übergewicht gegenüber einer im dienstlichen Bereich hat (vgl. dazu BSG, Urt. v. 21.03.2006 - B 2 U 19/05 R). Der Beklagte hat hierzu wenig vorgetragen und nur im Rahmen des Art. 46 Abs. 1 S. 1 BayBeamtVG auf die materielle Beweislast des Klägers hingewiesen. Es wurde im Wesentlichen damit argumentiert, dass eine Infektion im privaten Bereich ebenso wahrscheinlich ist, wie eine im dienstlichen Bereich. Dem ist zuzustimmen. Jedoch trägt der Beklagte nach der klaren Formulierung des Gesetzes die materielle Beweislast, so dass die Unaufklärbarkeit („non liquet“) zu seinen Lasten geht. Dabei ist unerheblich, dass es dem Beklagten unmöglich sein dürfte, einen solchen Beweis zu führen. Der Rechtssicherheit wegen bedarf es einer Beweislastentscheidung.
III.
62
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 162 Abs. 2 S. 2 VwGO. Die Entscheidung der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO i.V. m. 708 Nr. 11, 711 ZPO. Gründe für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht liegen nicht vor (§ 124a Abs. 1 VwGO).