Titel:
Baugenehmigung, Bebauungsplan, Nachbarschutz, Berufung, Verletzung, Wohnbebauung, Zulassung, Festsetzungen, Nachbar, Befreiung, Bebauung, Tekturgenehmigung, Nichtigkeit, Auslegung, Zulassung der Berufung, subjektives Recht, keinen Erfolg
Schlagworte:
Baugenehmigung, Bebauungsplan, Nachbarschutz, Berufung, Verletzung, Wohnbebauung, Zulassung, Festsetzungen, Nachbar, Befreiung, Bebauung, Tekturgenehmigung, Nichtigkeit, Auslegung, Zulassung der Berufung, subjektives Recht, keinen Erfolg
Vorinstanz:
VG München vom 07.05.2020 – M 29 K 19.2469
Fundstelle:
BeckRS 2022, 36408
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung nach §§ 124, 124a Abs. 4 VwGO hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen oder nicht hinreichend dargelegt wurden (§ 124 Abs. 4 Satz 4 VwGO).
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1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts begegnet im Rahmen der dargelegten Zulas sungsgründe keinen ernstlichen Zweifeln an seiner Richtigkeit (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Klägerin als Nachbarin kann eine Baugenehmigung mit dem Ziel ihrer Aufhebung nur dann erfolgreich angreifen, wenn öffentlichrechtliche Vorschriften verletzt sind, die auch ihrem Schutz dienen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Mit dem Erstgericht geht der Senat davon aus, dass die angegriffene Baugenehmigung nicht gegen solche Vorschriften verstößt.
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a) Mit dem Erstgericht geht der Senat davon aus, dass die hier verfahrensgegenständliche Baugenehmigung in der Gestalt der Tekturgenehmigung nicht bereits nach § 44 Abs. 1 BayVwVfG nichtig ist.
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Insoweit wiederholt die Klägerin nur unter Verweis auf ihre Klagebegründung im erstinstanzlichen Verfahren, dass aufgrund der völlig unterschiedlichen Darstellungen und Bezeichnungen der Geschoßflächenzahl sowie der unterschiedlichen Darstellungen der Höhen und weiteren entscheidungserheblichen Parametern eine Überprüfbarkeit für die Klägerin hinsichtlich der Baugenehmigung nicht gegeben gewesen sei. Die Klägerin setzt sich allerdings nicht mit der Feststellung des Erstgerichts auseinander, dass das Vorhaben in den genehmigten Plänen nachvollziehbar dargestellt sei. Es fehlt hier bereits an einer hinreichenden Darlegung. Auch der Senat vermag nicht zu erkennen, dass hier ein schwerer und offenkundiger Fehler vorliegt, der zur Nichtigkeit der Baugenehmigung in Gestalt der Tekturgenehmigung führen würde.
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Eine Nichtigkeit ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Willkürlichkeit. Die Klägerin beruft sich insoweit auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt/Main (v. 16.5.2011 - 8 K 3785/10.F - juris). Dieses sieht einen besonders schwerwiegenden Fehler in einem eklatanten Missbrauch des Instrumentariums der Befreiung und der damit verbundenen Verletzung der Grundzüge der Planung. Sowohl in seiner Zulassungsentscheidung als auch im Berufungsurteil (HessVGH, B.v. 1.3.2012 - 3 A 1330/11.Z - juris und U.v. 24.8.2021 - 3 A 565/12 - juris) stellt der Hessische Verwaltungsgerichtshof jedoch klar, dass das Verwaltungsgericht Frankfurt/Main mit seiner Rechtskonstruktion in der Sache den Bereich des subjektiven Rechtsschutzes, wie er sowohl in § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO als auch in § 31 Abs. 2 BauGB angelegt ist, verlässt und insoweit in unzulässiger Weise eine objektive Rechtskontrolle ausübt. Nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann ein Nachbar nur die Verletzung eigener Rechte geltend machen. Ein solches, Nachbarschutz vermittelndes Recht ist im Rahmen der Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB nur der Anspruch auf Würdigung nachbarlicher Interessen, nicht aber die objektivrechtlich angelegte Einhaltung der Grundzüge der Planung. Dass es der Klägerin nach ihrer Auffassung aufgrund der gänzlich unterschiedlichen Informationen und völlig unterschiedlichen Darstellungen schlichtweg nicht möglich gewesen sein soll, die für sie notwendigen drittschützenden Parameter im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens zu prüfen, führt nicht zu einer Drittbetroffenheit. Insoweit wiederholt die Klägerin die Argumentation zur Unbestimmtheit der Baugenehmigung, ohne jedoch hinreichend darzulegen, worin diese nun liegen soll.
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b) Hinsichtlich der erteilten Befreiungen nach § 31 Abs. 2 BauGB kann der Senat keine Rechtsverletzung der Klägerin erkennen. Auch eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauGB) liegt nicht vor.
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Die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung sind nicht nachbarschützend. In der Begründung zum Bebauungsplan wird unter Ziffer 4.2 lediglich davon gesprochen, dass mit der ausgewiesenen GFZ von 0,5 die Bebauungsdichte der nördlich anschließenden Wohnbebauung aufgenommen wird. Höhenentwicklung und Nutzungsdichte der künftigen Bebauung werden sich deshalb gut in die vorhandene Baustruktur integrieren und keine unverträglichen Spannungen auftreten lassen. Wie das Erstgericht richtig festgestellt hat, sollen damit städtebauliche Spannungen durch die Planung ausgeschlossen werden. Eine nachbarschützende Wirkung vermag auch der Senat hierin nicht zu erkennen. Das Wort „Spannungsverhältnis“, welches die Klägerin als subjektives Verhältnis interpretiert, kommt in der Begründung des Bebauungsplans nicht vor. Die insoweit erteilten Befreiungen nach § 31 Abs. 2 BauGB verletzen somit keine subjektiven Rechte der Klägerin.
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Auch hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung liegt kein Verstoß gegen nachbarschützende Rechte vor. Eine Befreiung wurde insoweit nicht erteilt oder beantragt. Das Erstgericht hat richtig festgestellt, dass nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO in reinen Wohngebieten Wohngebäude zulässig sind. Das Büro sowie der Gemeinschaftsraum sollen nach den Betriebsbeschreibungen ausschließlich den Bewohnern des Baugebietes dienen. In den Büroräumen sollen u.a. Beratungen in sozialen Fragen stattfinden. Unter Bezug auf die vom Senat im Urteil vom 5. Februar 2015 (- 2 BV 14.1202 - VGHE n.F. 68, 1) genannte Definition des Begriffs Wohnens als gekennzeichnet durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie der Freiwilligkeit des Aufenthalts hat das Erstgericht diese Räumlichkeiten dem Begriff des Wohnens untergeordnet im Gegensatz zu beispielsweise einer gewerblichen Büronutzung. Entgegen der Behauptung der Klägerin dienen die Räumlichkeiten lediglich den Bewohnern und eine Öffnung nach außen findet nicht statt. Zudem kann sich die Klägerin nicht auf einen sog. Gebietserhaltungsanspruch berufen, da ihr Grundstück außerhalb des Plangebiets liegt. Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme ist hier bei einer reinen gebietsinternen Nutzung nicht erkennbar und im Übrigen auch nicht dargelegt.
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Die ausgesprochenen Befreiungen stehen auch nicht im Widerspruch zu Europarecht, hier RL 2001/42/EG und 2003/35/EG oder § 2 Abs. 3 BauGB. Die Klägerin behauptet, dass aufgrund der Vielzahl der erteilten Befreiungen die Grundzüge der Planung berührt seien und daher eine Bebauungsplanänderung nach § 1 Abs. 3 BauGB erforderlich sei. Im Rahmen dieses Änderungsverfahrens hätte die Klägerin Beteiligungsrechte nach § 2 Abs. 3 BauGB. Bei einer europarechtskonformen Auslegung des § 31 Abs. 2 BauGB sei davon auszugehen, dass der Bürger grundsätzlich ein subjektives Verfahrensrecht im Rahmen des § 2 Abs. 3 BauGB habe. Zum einen legt die Klägerin insoweit bereits nicht hinreichend dar, dass die erteilten Befreiungen die Grundzüge der Planung tatsächlich berühren. Die bloße Anzahl der erteilten Befreiungen ist insoweit nicht maßgeblich. Auch auf die Qualität der Befreiungen kommt es in diesem Zusammenhang an. Zum anderen setzt sich die Klägerin nicht mit der Argumentation des Erstgerichts auseinander, die dahingeht, dass § 31 Abs. 2 BauGB lediglich städtebauliche Aspekte betrifft, nicht aber umweltbezogene. Im Übrigen dürfte mehr als zweifelhaft sein, aus den genannten europarechtlichen Regelungen, die allein dazu dienen, ein hohes Umweltschutzniveau zu sichern und dazu beizutragen, dass Umwelterwägungen bei der Ausarbeitung von Plänen und Programmen einbezogen werden, zu schließen, dass quasi alle verfahrensrechtlichen Regelungen ein subjektives Recht des Einzelnen darstellen. Dies wäre aber die Konsequenz aus der Argumentation der Klägerin.
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2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierig keiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Denn sie verursacht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine größeren, d.h. überdurchschnittlichen, das normale Maß nicht unerheblich übersteigende Schwierigkeiten und es handelt sich auch nicht um einen besonders unübersichtlichen oder kontroversen Sachverhalt, bei dem noch nicht abzusehen ist, zu welchem Ergebnis ein künftiges Berufungsverfahren führen wird. Vielmehr ist der Rechtsstreit im tatsächlichen Bereich überschaubar und die entscheidungserheblichen rechtlichen Fragen sind durch die Rechtsprechung hinreichend geklärt. Insoweit wird auf die Ausführungen unter Ziffer 1. verwiesen. Die Klägerin hat insoweit die besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten nicht hinreichend dargelegt (§ 124 Abs. 4 Satz 4 VwGO) und lediglich auf die Ausführungen zum Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel verwiesen.
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3. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass die im Zulassungsantrag dargelegte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, diese höchstrichterlich oder - bei tatsächlichen Fragen oder nicht revisiblen Rechtsfragen - durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist (vgl. BayVGH, B.v. 12.10.2010 - 14 ZB 09.1289 - juris). Gemessen an diesen Grundsätzen liegt kein Fall von grundsätzlicher Bedeutung vor.
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Die Klägerin hält es für grundsätzlich bedeutsam,
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ob § 31 Abs. 2 BauGB europarechtskonform dahingehend auszulegen ist, dass bei Verstoß gegen die Grundzüge der Planung eine subjektive individuelle Rechtsbetroffenheit dann nicht erforderlich ist, wenn sich hierdurch eine Bebauungsplanänderungspflicht im Sinn des § 1 Abs. 3 BauGB ergibt mit der Folge, dass Dritte sodann im Rahmen des § 2 Abs. 3 BauGB ein subjektives Partizipationsrecht hätten.
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Die Frage war für die Erstinstanz bereits nicht entscheidungserheblich. Im Übrigen legt die Klägerin die Klärungsbedürftigkeit der Frage nicht dar. Das Erstgericht hat ausgeführt, dass § 31 Abs. 2 BauGB allein an städtebauliche Aspekte anknüpft und nicht an umweltbezogene.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst (§ 162 Abs. 3 VwGO). Im Berufungszulassungsverfahren sind die außergerichtlichen Kosten eines Beigeladenen in der Regel nicht aus Billigkeitsgründen der unterliegenden Partei aufzuerlegen (vgl. BayVGH, B.v. 11.10.2001 - 8 ZB 01.1789 - BayVBl 2002, 378). Ein Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.