Inhalt

VGH München, Urteil v. 17.11.2022 – 20 B 19.1852
Titel:

Erhebung eines Herstellungsbeitrags für den Anschluss an die öffentliche Wasserversorgung – Festsetzungsverjährung

Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
BayKAG Art. 5 Abs. 2a S. 1, Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 lit. b
AO § 169 Abs. 2 S. 1, S. 2, § 170 Abs. 1, § 184 Abs. 1 S. 2, Abs. 3
BayBO Art. 78 Abs. 2 S. 1, S. 3
BewG § 222 Abs. 1
Leitsätze:
1. Stellt die Beitragssatzung für das Entstehen der Beitragspflicht auf den Abschluss der Maßnahme ab, setzt dies voraus, dass die nach Art. 78 Abs. 2 Satz 1 BayBO erforderliche Anzeige abgegeben wird. (Rn. 14 und 15)
2. Die Mitteilung nach § 184 Abs. 3 AO ist bei einer baulichen Erweiterung grundsätzlich nicht geeignet, die Festsetzungsfrist nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) cc) Spiegelstrich 1 KAG in Lauf zu setzen. (Rn. 18 – 20)
1. Stellt die Beitragssatzung auf den Abschluss der Maßnahme ab, ist damit die Herstellung des Bauvorhabens in einer Form, welche eine bauordnungsrechtliche Nutzbarkeit zulässt, mithin die Bezugsfertigkeit gemeint. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4b KAG iVm §§ 170 ff. AO beginnt die Festsetzungsfrist erst mit dem Ende des Kalenderjahres zu laufen, in dem der Abgabegläubiger von der Erfüllung des Tatbestandes erfährt, spätestens mit dem Ende des Kalenderjahres, in dem er ohne besondere Schwierigkeiten den Sachverhalt selbst feststellen kann. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ergänzungsbeitrag für die Wasserversorgung, Geschossflächenmehrung im Außenbereich, Festsetzungsverjährung, Berufung, Wasserversorgung, Herstellungsbeitrag, Ergänzungsbeitrag, Geschossflächenmehrung, Abschluss der Maßnahme, Grundsteuer, Grundlagenbescheid, Mitteilung Steuermessbescheid
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 18.04.2018 – RN 11 K 17.1034
Fundstelle:
BeckRS 2022, 36353

Tenor

1.    Das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 18. April 2018 wird geändert. Die Klage wird abgewiesen.
2.    Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt die Klägerin.
3.    Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4.    Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Klägerin wendet sich gegen die Erhebung eines Herstellungsbeitrags für den Anschluss an die öffentliche Wasserversorgung. Die Beklagte betreibt eine Wasserversorgungseinrichtung als öffentliche Einrichtung. Die Klägerin ist Eigentümerin des Außenbereichsgrundstücks FI.Nr. … Gemarkung W. …, Stadt H. …, welches sie mit Urkunde vom 28. Juni 2007 erworben hat. Das Anwesen war bereits mit einem Wohngebäude bebaut. Am 7. Dezember 2007 wurde der tatsächliche Anschluss an die öffentliche Wasserversorgung aufgrund einer Sondervereinbarung der Beteiligten vom 16. August 2007 hergestellt. Für das zu diesem Zeitpunkt auf dem Grundstück bereits vorhandene Wohngebäude erfolgte keine Festsetzung eines Herstellungsbeitrags für den Anschluss an die öffentliche Wasserversorgung von Seiten der Beklagten. Im Jahre 2007 wurden zahlreiche bauliche Maßnahmen durchgeführt. So wurde der Bereich des Wohngebäudes erweitert, eine Reithalle, Stallungen und weitere Nutzgebäude errichtet. Die Baumaßnahmen waren im Jahr 2010 abgeschlossen. Die Meldung der Fertigstellung der Baumaßnahmen von Seiten der Klägerin an die Beklagte erfolgte durch Schreiben vom 14. Juni 2016 und 2. August 2016. Mit Bescheid vom 22. November 2016 erhob die Beklagte Herstellungsbeiträge für den Anschluss an die öffentliche Wasserversorgungseinrichtung in Höhe von 22.890,03 €. Dabei ging sie von einer beitragspflichtigen Grundstücksfläche von 7.606 m² bei einem Beitragssatz von 0,95 €/m² (= 7.225,70 €) und einer beitragspflichtigen Geschossfläche von 1.901,59 m² bei einem Beitragssatz von 7,45 €/m² (= 21.392,55 €), zuzüglich 7% Mehrwertsteuer in Höhe von 1.497,48 € aus. Laut Bescheid war Frau … … die zuständige Sachbearbeiterin.
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Das Landratsamt P. wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheids vom 22. Mai 2017 zurück.
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Mit Urteil vom 18. April 2018 hob das Verwaltungsgericht den Bescheid der Beklagten vom 22. November 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Mai 2017 auf. Im Zeitpunkt der Beitragserhebung sei bereits Festsetzungsverjährung eingetreten, sodass ein Herstellungsbeitrag nicht mehr habe festgesetzt werden können. Gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb) KAG i.V.m. § 169 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) sei eine Abgabenfestsetzung nicht mehr zulässig, wenn die hier einschlägige Festsetzungsfrist von vier Jahren abgelaufen sei. Diese Frist beginne dabei grundsätzlich gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) cc) KAG i.V.m. § 170 Abs. 1 AO mit dem Ablauf des Kalenderjahres zu laufen, in dem die Abgabenschuld entstanden ist, folglich mit dem Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft, § 38 AO. Vorliegend sei die Beitragsschuld grundsätzlich mit Abschluss der baulichen Maßnahmen entstanden, mithin im Jahr 2010. § 170 Abs. 1 AO sei jedoch mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Festsetzungsfrist dann, wenn die Forderung im Zeitpunkt des Entstehens aus tatsächlichen Gründen noch nicht berechnet werden kann, erst mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Berechnung möglich ist, Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) cc) KAG. Ein tatsächlicher Grund für die Unmöglichkeit der Beitragsberechnung sei auch die Unkenntnis der Festsetzungsbehörde vom maßgeblichen Sachverhalt, von welchem ausgehend sich die genaue Beitragshöhe berechnen lässt. Die Festsetzungsfrist beginne daher erst mit dem Ende des Kalenderjahres zu laufen, in dem der Abgabegläubiger von der Erfüllung des Tatbestandes erfahre, spätestens mit dem Ende des Kalenderjahres, in dem er ohne besondere Schwierigkeiten den Sachverhalt selbst feststellen könne. Dies sei zumindest dann anzunehmen, wenn der Abgabengläubiger über die beitragsrelevanten Veränderungen mittels einer Fertigstellungsanzeige informiert werde. Da die Beklagte als Beitragsgläubigerin ohne nähere Auskünfte nur selten ausreichendes Wissen über alle beitragsrelevanten Tatsachen erhalte, sei in § 15 BGS-WAS eine Anzeigepflicht über beitragsrelevante Veränderung festgelegt. Die Klägerin habe die Fertigstellung der baulichen Maßnahmen jedoch erst im Jahr 2016 durch Übermittlung einer Fertigstellungsanzeige an die Beklagte gemeldet. Die Frist für die Festsetzungsverjährung habe jedoch auch ohne förmliche Fertigstellungsanzeige zu laufen begonnen, da die Beklagte ohne besondere Schwierigkeiten den beitragsrelevanten Sachverhalt selbst hätte feststellen können. Eine Behörde erlange dann positive Kenntnis von Tatsachen, die den Erlass eines Verwaltungsaktes rechtfertigen, wenn die nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zum Erlass des Verwaltungsaktes berufene Beamtin oder eine sonst innerbehördlich zur rechtlichen Überprüfung des Verwaltungsaktes berufene Amtswalterin die den Erlass des Verwaltungsaktes rechtfertigenden Tatsachen feststellt oder feststellen kann. Von einer solchen Kenntnisnahme sei vorliegend auszugehen, da mit Frau … … die hierzu berufene Amtswalterin spätestens im Jahr 2011 positive Kenntnis von Tatsachen, die den Erlass des streitgegenständlichen Bescheids rechtfertigten, erlangt habe. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs könne eine Gemeinde den Beitragstatbestand ohne Schwierigkeiten selbst feststellen, wenn der nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zuständige Amtswalter der Gemeinde Verbrauchs- oder Benutzungsgebühren festgesetzt habe. Die Kenntnis von der Bezugsfertigkeit sei damit belegt. Diese Erwägungen ließen sich für das vorliegende Verfahren entsprechend heranziehen. Die Möglichkeit einer Feststellung des beitragserheblichen Sachverhalts lasse sich aus dem Erlass des Änderungsbescheides zur Grundsteuer, datiert auf den 10. Dezember 2011, ableiten. Dieser habe Frau … … als zuständige Sachbearbeiterin ausgewiesen und habe auf dem Grundlagenbescheid des Finanzamtes P. vom 20. September 2011 beruht. Er habe eine Gesamtgrundstücksfläche des klägerischen Grundstücks von 14.132 m² ausgewiesen. Bei der Ermittlung des Gebäudewertes seien insgesamt sieben Gebäude herangezogen worden, im Einzelnen eine Einliegerwohnung, der Umbau des alten Wohnhauses, Stallungen, ein Reitershop, eine Reithalle, ein Aufenthaltsraum und ein Heulager. Dabei sei es für einen Einheitswertbescheid maßgeblich, ob es sich um ein unbebautes oder ein bebautes Grundstück handele. Unbebaute Grundstücke seien solche, auf denen sich kein benutzbares Gebäude befinde, § 145 Abs. 1 Satz 1 Bewertungsgesetz (BewG). Gemäß § 145 Abs. 1 Satz 2 BewG beginne die Benutzbarkeit im Zeitpunkt der Bezugsfertigkeit. Im Umkehrschluss handele es sich bei bebauten Grundstücken um solche, auf denen sich benutzbare Gebäude befänden, § 146 Abs. 1 BewG. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Bewertung sei die Bezugsfertigkeit. Dies gelte bei Grundstücken im Außenbereich auch für das Entstehen der Beitragsschuld. Bei der Bewertung bebauter Grundstücke sei zwischen verschiedenen Grundstücksarten, mitunter einem Geschäftsgrundstück zu unterscheiden, § 75 BewG. Der Einheitswertbescheid weise das klägerische Grundstück als Geschäftsgrundstück aus. Dabei sei es ausreichend, dass die Beklagte positive Kenntnis darüber erlangt habe, dass die Klägerin Nacherhebungstatbestände - hier eine Bezugsfertigkeit von Gebäuden - verwirklicht haben könnte. Aus dem Einheitswertbescheid hätte die zuständige Sachwalterin ohne weiteres die zusätzliche Existenz weiterer Geschossflächen feststellen können, zumal die vorangegangenen Einheitswert- und Grundsteuermessbescheide die Gebäude nicht aufgewiesen hätten. Es wäre folglich spätestens im Jahr 2011 möglich gewesen zu ermitteln, ob Herstellungsbeiträge für die geschaffenen Geschossflächen bereits entrichtet worden seien oder nicht. Frau … … sei bereits damals auch die nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständige Amtswalterin gewesen, sowohl für die Erhebung von Grundsteuern als auch für die Erhebung von Herstellungsbeiträgen.
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Mit ihrer vom Senat zugelassenen Berufung beantragt die Beklagte,
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das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 18. April 2018 zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Die einheitliche Gesamtmaßnahme des ausdrücklich so bezeichneten Bauvorhabens „Neubau einer Reithalle mit Stallungen bei bestehendem Wohnhaus + Reitplatz“ sei keineswegs bereits im Jahre 2010 abgeschlossen gewesen, vielmehr erst mit der Umsetzung der 2. Tektur gemäß Genehmigung vom 8. Februar 2016. In Konsequenz erfolgten die Fertigstellungsmitteilungen der Klägerin auch nicht etwa bereits 2010, sondern mit Schreiben vom 14. Juni 2016 und 2. August 2016. In beiden Genehmigungsbescheiden zu den Tekturen sind die zahlreichen Abweichungen von der ursprünglichen Genehmigung dargestellt. Erst mit der plangerechten und genehmigungskonformen Fertigstellung im Vollzug der 2. Tektur gemäß Genehmigung vom 8. Februar 2016 sei das Bauvorhaben faktisch abgeschlossen gewesen. Der Nacherhebungstatbestand im Sinne des § 3 Abs. 2 der BGS-WAS der Beklagten vom 6. Juni 2000 in der Fassung der 10. Änderungssatzung vom 17. Dezember 2014 knüpfe ausdrücklich an den Maßnahmenabschluss. Zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses am 22.November 2016 könne damit denklogisch noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten sein. Die vierjährige Festsetzungsfrist habe erst am 1. Januar 2017 zu laufen begonnen. Aber auch wenn man - wie nicht - eine Fertigstellung bereits 2010 unterstellen könnte, habe die Beklagte erst mit den Fertigstellungsanzeigen 2016 vom Maßnahmenabschluss Kenntnis erlangt und sei auch erst ab diesem Zeitpunkt eine Beitragserhebung zum diesbezüglichen Nacherhebungstatbestand möglich gewesen. Aus der Grundsteuererhebung seien keine Rückschlüsse auf den Abschluss eines Nacherhebungstatbestandes möglich. Die Grundsteuer werde unter Anwendung des satzungsmäßig festgelegten Hebesatzes auf den Grundsteuermessbetrag festgesetzt. Der Grundsteuermessbescheid sei für die hebeberechtigte Kommune bindend. Er enthalte keinerlei Anhaltspunkte in Bezug auf beitragsrechtlich relevante bauliche Veränderungen. Die Kommunen erhielten von den Finanzbehörden keine Einheitswertbescheide, könnten daher auch keinerlei Kenntnis von der dortigen Auflistung bzw. Bewertung einzelner Gebäudlichkeiten haben. Es verstehe sich von selbst, dass nicht bei jeder Grundsteuerveranlagung unter Berücksichtigung eben nur rudimentärer Angaben im Grundsteuermessbescheid Nachforschungen bezüglich etwaiger beitragsrechtlich relevanter Veränderungen erfolgen könnten.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung wird zurückgewiesen.
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Die sog. „2. Tektur“ vom 8. Februar 2016 sei letztlich nicht entscheidungserheblich. Bereits am 15. Januar 2009 sei durch den Architekten eine Tektur II eingereicht worden. Dieser Tekturantrag sei aus hier nicht näher bekannten Gründen im Hause der Genehmigungsbehörde nicht weiterbearbeitet worden. Dennoch sei die Baumaßnahme in den folgenden Monaten umgesetzt und im Jahre 2010 abgeschlossen worden. Im Jahre 2014 sei es sodann im Zuge einer (nicht entscheidungsrelevanten) Nutzungsänderung in der Garage zu einem Ortsbesuch durch die Mitarbeiterin des Landratsamtes gekommen. Hierbei sei aufgefallen, dass die 2009 eingereichte Tektur II noch immer nicht entschieden gewesen sei. Die Mitarbeiterin habe sodann den Vorschlag unterbreitet, schlicht eine neue Tektur II einzureichen, die sich an dem Status Quo des bestehenden Anwesens orientiere. Diese neue Tektur sollte die erste Tektur II ersetzen. Das besprochene Vorgehen habe die Mitarbeiterin der Klägerin mit E-Mail vom 1. Dezember 2014 bestätigt. Der Architekt habe daraufhin die neue Tektur II vom 2. Februar 2015 eingereicht. Entgegen der Ansicht der Berufungsführerin seien die Baumaßnahmen zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits komplett umgesetzt gewesen, konkret bereits seit 2010. Es sei lediglich die Tektur eingereicht worden, um die ausgeführten Maßnahmen plangerecht zu machen, sprich die Planung wurde dem Zustand nach Fertigstellung im Nachhinein angepasst. Es sei hier nicht bekannt, ob die Berufungsführerin den Einheitswertbescheid erhalten habe. Tatsache sei jedoch, dass die Kommunen bei Änderung einer Einheitswertbemessung grundsätzlich eine Ablichtung des Grundsteuermessbescheides erhielten, aus welchem sich auch der Einheitswert herauslesen lasse. Es sei daher davon auszugeben, dass auch die Berufungsführerin einen solchen Bescheid erhalten habe, welchem die für die Berechnung der Beitragsschuld maßgeblichen Tatsachen entnommen bzw. errechnet werden könnten.
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Auf Anforderung des Senates übermittelte das Landratsamt P. zwei Anzeigen nach Art. 78 Abs. 2 BayBO und teilte mit, dass diese Bauanträge aus den Jahren 2015 (Bauplannummer 201...) und 2016 (Bauplannummer 201...) betreffen würden. Für den Bauantrag aus 2007 (Hauptgenehmigung) mit der Bauplannummer 200... und einen Tekturantrag aus 2008 mit der Bauplannummer 200... lägen dagegen dem Landratsamt P. keine Anzeigen der Nutzungsaufnahme vor.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen. Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Entscheidungsgründe

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1. Die zulässige Berufung ist begründet und führt im Ergebnis zur Aufhebung des klagestattgebenden Urteils des Verwaltungsgerichts. Der Herstellungsbeitragsbescheid der Beklagten vom 22. November 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Mai 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Die von der Klägerin geltend gemachte Verjährung liegt entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht vor. Denn die vierjährige Festsetzungsverjährung beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Beitrag entstanden ist (vgl. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb 2. Spiegelstrich, Doppelbuchst. cc KAG, § 169 Abs. 2 Satz 1, § 170 Abs. 1 AO).
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Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 der BGS-WAS vom 6. Juni 2000 in der Fassung der 10. Änderungssatzung vom 17. Dezember 2014 (BGS/EWS) der Beklagten entsteht die Beitragsschuld mit dem Abschluss der Maßnahme, wenn sich die für die Beitragsbemessung maßgeblichen Umstände ändern (s.a. Art. 5 Abs. 2a Satz 1 KAG). Das Grundstück der Klägerin war bereits mit einem Wohnhaus bebaut, so dass die auf dem Grundstück durchgeführte Geschossflächenmehrung eine solche Veränderung der für die Beitragsbemessung maßgeblichen Umstände darstellt. Abschluss der Maßnahme ist damit die Herstellung des Bauvorhabens in einer Form, welche eine bauordnungsrechtliche Nutzbarkeit zulässt, mithin die Bezugsfertigkeit (vgl. BayVGH, U.v. 21.12.2000 - 23 B 00.1479 - juris; B.v. 5.1.2000 - 23 ZB 99.2490 - juris). Dabei ist nicht allein auf den formalen Abschluss abzustellen, sondern auf den tatsächlich geschaffenen Zustand des Bauobjektes und dessen rechtliche Sicherung (vgl. BayVGH, U.v. 21.12.2000 - 23 B 00.1479 - juris Rn. 19; BayVGH B.v. 5.1.2000 - 23 ZB 99.2490 - juris).
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Gemäß Art. 78 Abs. 2 Satz 1 BayBO hat der Bauherr die abschließende Fertigstellung genehmigungspflichtiger baulicher Anlagen mindestens jeweils zwei Wochen vorher der Bauaufsichtsbehörde anzuzeigen. Nach Art. 78 Abs. 2 Satz 3 BayBO darf eine bauliche Anlage erst benutzt werden, wenn sie sicher benutzbar ist, frühestens aber nach dem in der Anzeige nach Art. 78 Abs. 2 Satz 1 BayBO genannten Zeitpunkt der Fertigstellung (vgl. BayVGH, B.v. 5.1.2000 - 23 ZB 99.2490 - juris Rn. 4 zu Art. 79 BayBO 1982). Dies war ausweislich der am 30. Januar 2017 beim Landratsamt P. eingegangenen Anzeige der Nutzungsaufnahme (Bauplannummer 201...) am 1. August 2016 der Fall.
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Dass die Klägerin bereits 2010 die Baumaßnahme weitgehend tatsächlich beendet hatte, ändert an diesem Befund nichts. Insoweit geht das Verwaltungsgericht in seiner Einschätzung fehl. Zum einen ist bereits nicht ersichtlich, dass die Klägerin diesbezüglich eine Anzeige nach Art. 78 Abs. 2 Satz 1 BayBO abgegeben hat, denn im Landratsamt P. als zuständiger Bauaufsichtsbehörde ist eine solche nicht hinterlegt, so dass aus rechtlichen Gründen bereits nicht von einem Abschluss der Baumaßnahme ausgegangen werden kann. Zum anderen ist auf den Abschluss der Gesamtbaumaßnahme abzustellen, wenn gemäß der Beitragssatzung ein zusätzlicher Beitrag mit „Abschluss der Maßnahme“ entsteht (BayVGH, B.v. 5.1.2000 - 23 ZB 99.2490 - BeckRS 2005, 28959). Diese war nach eigener Erklärung der Klägerin erst am 1. August 2016 tatsächlich abgeschlossen.
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Die Festsetzungsverjährung begann hier nach dem Entstehen der Beitragspflicht, also mit dem Abschluss der Gesamtmaßnahme, und sobald die Beitragsschuldnerin die für die Beitragsbemessung maßgeblichen Umstände dem Beitragsgläubiger mitgeteilt hat, weil erst dann die Forderung berechnet werden konnte (Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) cc) Spiegelstrich 1 KAG). Dies war mit Eingang des Schreibens der Klägerin vom 2. August 2016 der Fall. Damit erfolgte die Festsetzung mit Bescheid vom 22. November 2016 innerhalb der vierjährigen Festsetzungsfrist.
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Erlass des Änderungsbescheides zur Grundsteuer, der auf dem Grundlagenbescheid des Finanzamtes P. vom 20. September 2011 beruht. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b KAG i.V.m. §§ 170 ff. AO beginnt die Festsetzungsfrist erst mit dem Ende des Kalenderjahres zu laufen, in dem der Abgabegläubiger von der Erfüllung des Tatbestandes erfährt, spätestens mit dem Ende des Kalenderjahres, in dem er ohne besondere Schwierigkeiten den Sachverhalt selbst feststellen kann. Eine Behörde erlangt dann positive Kenntnis von Tatsachen, die den Erlass eines Verwaltungsaktes rechtfertigen, wenn der nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zum Erlass des Verwaltungsaktes berufene Beamte oder ein sonst innerbehördlich zur rechtlichen Überprüfung des Verwaltungsaktes berufener Amtswalter die den Erlass des Verwaltungsaktes rechtfertigenden Tatsachen feststellt (BayVGH, B.v. 18.7.2017 - 20 ZB 16.624 - juris; B.v. 19.11.2011 - 20 ZB 11.1339 - juris Rn. 2; B.v. 17.8.2001 - 23 ZB 01.1553 - juris Rn. 4 unter Verweis u.a. auf Großer Senat BVerwG, B.v. 19.12.1984 - GrSen 1/84, GrSen 2/84 - NJW 1985, 819). Dies setzt aber nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) cc) Spiegelstrich 1 KAG voraus, dass der Beitrag bereits entstanden ist, was, wie oben aufgezeigt, erst am 2. August 2016 der Fall war. Erst nach Abschluss der Maßnahme mit dem Entstehen der Beitragspflicht kommt es auf die Frage der Berechenbarkeit der Beitragspflicht an.
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Der Grundlagenbescheid für die Grundsteuer ist dagegen nicht geeignet, die zur Entscheidung berufene Amtswalterin der Beklagten in die Lage zu versetzen, die den Erlass des Beitragsbescheids rechtfertigenden Tatsachen festzustellen. Die Grundsteuer wird in einem dreistufigen Verfahren ermittelt. Zunächst legt das Finanzamt den Einheitswert fest. In einem zweiten Schritt bestimmt das Finanzamt dann den Grundsteuermessbetrag. Dieser ergibt sich durch die Anwendung der im Grundsteuergesetz festgelegten Steuermesszahl auf den Einheitswert. Die zuständige Gemeinde setzt abschließend die Grundsteuer fest. Dabei wird der vom Finanzamt mitgeteilte Grundsteuermessbetrag mit dem Hebesatz, den die Gemeinde vorab in ihrer Satzung festgelegt hat, multipliziert. Nach § 184 Abs. 3 AO teilen die Finanzbehörden den Inhalt des Steuermessbescheids sowie die nach Absatz 2 getroffenen Billigkeitsmaßnahmen den Gemeinden mit, denen die Steuerfestsetzung (der Erlass des Realsteuerbescheids) obliegt. Im Steuermessbescheid wird u.a. über die persönliche und sachliche Steuerpflicht entschieden (§ 184 Abs. 1 Satz 2 AO). Die sachliche Steuerpflicht beinhaltet die Feststellung, was Steuergegenstand ist. Hierzu gehört auch die Höhe des Messbetrags, weshalb im Steuermessbescheid über alle Faktoren zu entscheiden ist, die die Höhe des Messbetrags beeinflussen (Vorbeck in Koenig, § 182 AO Rn. 10). Besteuerungsgrundlage der Grundsteuer ist der Grundstückswert (§ 2 GrStG), der nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes ermittelt wird. Eine Fortschreibung des Grundsteuerwerts im Einzelfall erfolgt gemäß § 222 BewG. Die bedeutsamste Fallgruppe stellt die Wertfortschreibung bei Änderung des Grundstückswerts um mehr als 15.000 EUR, etwa durch Bebauung des Grundstücks, gemäß § 222 Abs. 1 BewG dar (Schmidt in: Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2. Auflage 2022, Rn. 175).
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Demnach kann eine Änderungsmitteilung des Grundsteuermessbetrags zwar auf eine bauliche Veränderung auf dem veranlagten Grundstück hindeuten. Aus der Mitteilung des Finanzamtes vom 20. September 2010 an die Beklagte ist lediglich die Zusammensetzung des Steuermessbetrages und Steuermesszahl ersichtlich. Zudem kann dem Bescheid die Einstufung als Geschäftsgrundstück entnommen werden. Weiter hat die Beklagte glaubhaft versichert, dass ihr der Einheitswertbescheid nicht mitgeteilt wurde, so dass sich die Feststellungen des Verwaltungsgerichts hierzu erübrigen. Aus dem Grundsteuermessbescheid bzw. der Mitteilung nach § 184 Abs. 3 AO ergeben sich jedoch grundsätzlich nicht die für die Festsetzung des (Ergänzungs-)Beitragsbescheids notwendigen tatsächlichen Umstände. Dies gilt umso mehr für Außenbereichsgrundstücke, wie das der Klägerin, da dort neben der Geschossflächenmehrung auch zusätzlich auf die konkrete Nutzung abstellende Umgriffsflächen festgesetzt werden müssen. Insoweit ist dieser Befund entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht vergleichbar mit der erstmaligen Bebauung eines Grundstücks und der damit verbundenen erstmaligen Festsetzung von Verbrauchsgebühren (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 2.6.1997 - 23 CS 96.4151 - BeckRS 1997, 24954). Es kann in einem solchen Fall jedenfalls nicht die Rede davon sein, dass die zuständige Amtswalterin ohne besondere Schwierigkeiten den Sachverhalt selbst feststellen kann. Von dieser können keine weiteren Ermittlungen gefordert werden. Sie darf darauf vertrauen, dass der rechtstreue Bürger seiner satzungsrechtlichen (§ 15 BGS-WAS) und, ohne dass es im hier zu entscheidenden Fall darauf ankäme, seit der Einfügung von Art. 5 Abs. 2a Satz 2 KAG durch Gesetz vom 11. März 2014 (GVBl. S. 70) seiner gesetzlichen Meldepflicht nachkommt. Seit der Einführung der gesetzlichen Meldepflicht dürften gegebenenfalls auch die längeren Verjährungsfristen des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb) KAG i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO in Betracht zu ziehen sein. Im Übrigen bestehen keine weiteren Bedenken an der Rechtmäßigkeit des Bescheides.
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2. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO.
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3. Die Revision wird nicht zugelassen, weil kein Revisionsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).