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VGH München, Beschluss v. 18.11.2022 – 15 ZB 22.31172
Titel:

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag in asylrechtlicher Streitigkeit

Normenketten:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1
VwGO § 86 Abs. 1, § 108 Abs. 2
Leitsätze:
1. Ein Aufklärungsmangel als solcher begründet grundsätzlich weder einen Gehörsverstoß, noch gehört er zu den sonstigen Verfahrensmängeln iSd § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei Mängeln der Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs allenfalls in krassen Ausnahmefällen dann verletzt sein, wenn ein besonders schwerwiegender Verstoß vorliegt, vor allem wenn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylrecht (Georgien), Asyl, Berufungszulassung, Verfahrensrüge, rechtliches Gehör, Sachverhaltswürdigung, Beweiswürdigung, Aufklärungsmangel
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 22.09.2022 – RN 9 K 22.31033
Fundstelle:
BeckRS 2022, 36328

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens zu je einem Fünftel. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Der Kläger zu 1 und die Klägerin zu 2 mit ihren drei Kindern sind georgische Staatsangehörige und begehren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie hilfsweise die Zuerkennung subsidiären Schutzes und die Feststellung von Abschiebungshindernissen. Das Verwaltungsgericht Regensburg wies ihre Klage mit Urteil vom 22. September 2022 ab. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter.
2
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
3
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der von den Klägern ausschließlich geltend gemachte Zulassungsgrund der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor bzw. ist nicht gemäß den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG substantiiert dargelegt worden.
4
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Es gewährleistet im Sinn der Wahrung eines verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaßes, dass ein Kläger die Möglichkeit haben muss, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gibt einem Prozessbeteiligten das Recht, alles aus seiner Sicht Wesentliche vortragen zu können. Eine Verletzung des Grundsatzes liegt vor, wenn das Gericht einen entscheidungserheblichen Vortrag der Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen bzw. bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat oder einen entsprechenden Vortrag dadurch vereitelt hat, dass es unter Verstoß gegen das Prozessrecht den Beteiligten die Möglichkeit zu weiterem Vortrag abgeschnitten hat, und dieser übergangene bzw. vereitelte Vortrag nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich war (vgl. BayVGH, B.v. 8.7.2022 - 15 ZB 22.30694 - juris Rn. 15).
5
Einen derart relevanten Gehörsverstoß legt das Zulassungsvorbringen nicht dar. Das Verwaltungsgericht stellt im Tatbestand das Vorbringen der Klägerin zu 2 dar (UA S. 3) und bewertet dieses im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung (UA S. 7). Soweit die Kläger vortragen, die Polizei habe ihre Anzeige „unter den Tisch fallen lassen“ und das Verwaltungsgericht habe dies nicht berücksichtigt, wenden sie sich zum einen gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts, was regelmäßig keinen im Asylverfahrensrecht vorgesehenen Zulassungsgrund darstellt (BayVGH, B.v. 14.9.2022 - 15 ZB 22.30934 - juris Rn. 4). Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gewährleistet nämlich nicht, dass die angefochtene Entscheidung frei von einfach-rechtlichen materiellen Rechtsfehlern oder sonstigen Verfahrensfehlern ist, sondern sie soll nur sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Rechtsfehlern ergeht, die ihren Grund gerade in der unterlassenen Kenntnisnahme oder in der Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben. Auch ein gerügter Aufklärungsmangel als solcher begründet - unabhängig davon, ob die Rüge berechtigt oder unberechtigt ist - grundsätzlich weder einen Gehörsverstoß, noch gehört er zu den sonstigen Verfahrensmängeln im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 VwGO (vgl. BayVGH, B.v. 18.6.2020 - 15 ZB 20.30954 - juris Rn. 31 m.w.N.).
6
Bei Mängeln der gerichtlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V. mit Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2, § 138 Nr. 3 VwGO allenfalls in krassen Ausnahmefällen dann verletzt sein, wenn ein besonders schwerwiegender Verstoß vorliegt, vor allem wenn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet (vgl. BayVGH, B.v. 8.7.2022 - 15 ZB 22.30694 - juris Rn. 20). Dass ein solcher Mangel vorliegt, zeigt das Zulassungsvorbringen nicht substantiiert auf. Das Verwaltungsgericht macht in den Urteilsgründen lediglich ergänzende Ausführungen und nimmt zuerst gem. § 77 Abs. 2 AsylG Bezug auf die Begründung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 21. Juni 2022. Hieraus ergibt sich, dass nach dem Vortrag der Kläger die Polizei ihre Anzeigen wegen der verstorbenen Tiere bearbeitet habe (S. 3), auf eine Anzeige gegen eine Lehrerin hin eine mündliche Verwarnung ausgesprochen habe (S. 4), zu bedrohlichen Textnachrichten darauf verwiesen habe, dass die betroffene Familie sehr verbittert sei und sich dies mit der Zeit wieder legen würde (S. 4) und bei der Ausreise den Klägern die Auskunft gegeben worden sei, es lägen keine Anzeigen vor, die hätten mitgenommen werden können. Sämtlicher Vortrag wurde im Bescheid vom 21. Juni 2022 entsprechend gewürdigt (S. 8), was sich das Verwaltungsgericht durch die Bezugnahme zu eigen gemacht hat. Die dahingehende Würdigung des Verwaltungsgerichts, die Antragsteller hätten die Polizei ungehindert in Anspruch nehmen können und ihre Anzeigen seien offenkundig auch bearbeitet worden (S. 8 des Bescheids v. 21.6.2022 und UA S. 7), leidet auch unter dem Aspekt, dass die Anzeigen zum Zeitpunkt der Ausreise nicht haben mitgenommen werden können, nicht unter einem derart gravierenden Mangel.
7
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
8
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
9
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).