Inhalt

VG München, Urteil v. 29.11.2022 – M 19 K 19.1306
Titel:

Auflagen zur Fahrerlaubnis bei Einnahme von Medizinal-Cannabis – Teilanfechtung

Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
BtMG § 3 Abs. 2
FeV § 46 Abs. 2 S. 1, Anl. 4 Nr. 9.6
Leitsätze:
1. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Anfechtungsklage gegen Auflagenanordnungen ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung. Die angeordneten Auflagen verlängern sich fortwährend, sodass von einem Dauerverwaltungsakt auszugehen ist (vgl. VGH München BeckRS 2022, 9241 Rn. 11; BeckRS 2022, 958 Rn. 13, jeweils mwN). (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einer Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis wird vorausgesetzt, dass die Einnahme von Cannabis indiziert und ärztlich verordnet ist, ferner, dass das Medizinal-Cannabis zuverlässig nur nach der ärztlichen Verordnung eingenommen wird, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen sind, die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt, und nicht zu erwarten ist, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird (VGH München BeckRS 2022, 16886 Rn. 21 mwN). Die Klärung dieser Kriterien ist in einem jeweils im Einzelfall vorzunehmenden Gutachten zu treffen. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Auflagen zur Fahrerlaubnis, Erlaubnis nach BtMG für Selbsttherapie mittels Medizinal-Cannabisblüten, Erfordernis einer jährlichen Testung der Leistungsfähigkeit, Auflagenanordnungen, Dauerverwaltungsakt, Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis, jährliche Testung der psycho-physischen Leistungsfähigkeit, halbjährliche Haaranalysen, Mitteilung etwaiger Veränderungen der Medikation
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 31.05.2023 – 11 ZB 23.152
Fundstellen:
BeckRS 2022, 36319
LSK 2022, 36319
ZfS 2023, 117

Tenor

I. Der Bescheid des Landratsamts Freising vom 21. September 2018 und der Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberbayern vom 20. Februar 2019 werden aufgehoben, soweit als Auflage in der Nr. 2 Unterpunkt 3 eine in halbjährlichen Abständen zu veranlassende Haaranalyse auf die Substanz „THC-Säure-A“ und eine entsprechende Vorlage dieses Ergebnisses angeordnet wurde.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Beteiligten tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die in einem Fahrerlaubnisbescheid getroffenen Auflagen bezüglich der Einnahme medizinisch bedingten Cannabis.
2
Seit 12. August 2014 ist der Kläger Inhaber einer Erlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zur Selbsttherapie, nach der er Medizinal-Cannabisblüten entsprechend der Dosierungsvorgabe des betreuenden Arztes bis zu einem 4-Wochen-Bedarf erwerben darf.
3
Mit strafrechtlichem Urteil vom 21. April 2015 wurde der Kläger wegen des unerlaubten Besitzes von nicht geringen Mengen Betäubungsmitteln verwarnt. Er gab dabei u.a. an, Cannabis ausschließlich wegen seiner Krankheit eingenommen zu haben. Er konsumiere 1 bis 3 Gramm pro Tag, indem er sich einen Tee mache oder einen Verdampfer benutze.
4
Im Rahmen des Fahrerlaubnisverfahrens legte der Kläger verschiedene ärztliche Atteste vor, welche u.a. eine ausgeprägte Fruktoseintoleranz seit April 2011 bestätigen und ein Reizdarmsyndrom vom Bläh-/Schmerztyp bzw. chronisch rezidivierende Diarrhoen und krampfartige Bauchschmerzen, eine ADHS im Erwachsenenalter und eine schwere Depression attestieren. Zudem teilte er mit, dass er seit der begleiteten Cannabistherapie bezüglich ADHS und seiner Depression vollständig symptomfrei sei; insoweit sei er seit September 2014 nicht mehr in fachärztlicher Behandlung.
5
Nach entsprechender Gutachtensanordnung des Beklagten legte der Kläger ein Gutachten der … GmbH vom 2. Mai 2016 vor. Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen unter das erforderliche Maß hätten am Untersuchungstag nicht vorgelegen. In den sieben Leistungstests habe er hohe Prozentränge erreicht. Im Psychologischen Untersuchungsgespräch hätten sich keine inneren Widersprüche gezeigt, er habe situationsangemessenen kooperiert. Die während der Begutachtung durchgeführte Urinuntersuchung sei unauffällig gewesen und es habe keinen Hinweis auf sog. Beikonsum ergeben. Es handele sich jedoch nicht um eine Dauerbehandlung mit Arzneimitteln. Cannabisblüten aus der Apotheke seien keine zugelassenen Arzneimittel; dies seien nur Fertigarzneimittel. Zudem sei Beikonsumfreiheit nicht nachzuweisen, da es möglich sei, dass der Kläger die übliche Tagesdosis reduziert habe, um gute Ergebnisse im Leistungstest zu erzielen. Demzufolge sei das sichere Führen von Kraftfahrzeugen nicht zu erwarten.
6
Auf Grundlage dieses Gutachtens und nach vorheriger Anhörung vom 20. Mai 2016 entzog der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 13. Juni 2016 die Fahrerlaubnis aller Klassen und ordnete den Sofortvollzug an.
7
Den hiergegen gestellten Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vom 15. Juli 2016 lehnte das Verwaltungsgericht München mit Beschluss vom 7. September 2016 ab (VG München, B.v. 7.9.2016 - M 26 S 16.3079). Es beurteilte die Erfolgsaussichten der zeitgleich erhobenen Klage (M 26 K 16.3062) als offen, im Rahmen der Interessenabwägung habe das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit und damit des vorläufigen Weiterbestehens des Fahrerlaubnisentzugs das private Interesse des Klägers an dem vorläufigen Behaltendürfen seines Führerscheins überwogen.
8
Im Rahmen des Klageverfahrens veranlasste das Verwaltungsgericht Gutachten zu folgenden Fragen (VG München, B.v. 12.9.2017, B.v. 19.12.2017 - M 26 K 16.3062):
1. Führen die Erkrankungen des Klägers (ADHS, Depression, Reizdarmsyndrom) trotz aktueller medikamentöser Behandlung zu einer Beeinträchtigung seiner Fahreignung, sodass die Voraussetzungen zum sicheren Führen eines Kraftfahrzeuges nicht gegeben sind?
2. Falls Frage 1 zu verneinen ist: Wird die Fahreignung des Klägers durch die aktuelle medikamentöse Behandlung seiner Erkrankungen in verkehrsmedizinischer und psychologischer Hinsicht unter das erforderliche Maß beeinträchtigt?
3. Falls die Frage 2 zu verneinen ist: Besteht die Gefahr einer missbräuchlichen Einnahme des Medikaments? Falls ja, durch welche Auflagen bzw. Maßnahmen kann dieser Gefahr eventuell zuverlässig entgegengewirkt werden?
9
Das 18-seitige nervenärztliche verkehrsmedizinische Gutachten vom 16. Oktober 2017 des Facharztes für Psychotherapeutische Medizin Herrn Dr. … verneinte die ersten beiden Fragen. Bezüglich der dritten Frage hinsichtlich der Sicherstellung der Compliance durch Auflagen wird ausgeführt, dass sich anlässlich der Begutachtung keine Hinweise auf einen Missbrauch, also einen gesundheitsschädigenden oder einen die soziokulturelle Akzeptanzgrenze überschreitenden Konsum von Cannabisprodukten beim Kläger fänden. Er gehe seinem Beruf regelmäßig nach. Relevante Arbeitsunfähigkeitszeiten seien in den letzten Jahren nicht zu verzeichnen. Ein zukünftiger Drogenmissbrauch oder eine Toleranzentwicklung könne jedoch grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden. Es werde keine Möglichkeit gesehen, über bestimmte Auflagen einer missbräuchlichen Einnahme von Cannabisprodukten zuverlässig entgegenzuwirken.
10
Das 35-seitige nervenärztliche Fachgutachten vom 28. Mai 2018 des LMU Klinikums von Herrn Prof. Dr. … deckte den psychologischen Teil der Begutachtung ab. Es kam zusammenfassend zum Ergebnis, dass aktuell bei dem langjährigen medizinischen Konsum des Klägers von Cannabisblüten keine Leistungseinbußen in verkehrsrelevanten Funktionsbereichen bestünden. Unter Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Klägers seien keine Hinweise zu finden, die gegen eine ausreichende Compliance oder eine Verminderung seiner Fähigkeit zur Risikoabschätzung hinsichtlich seiner Fahrtauglichkeit sprechen würden. Da bei einem chronischen Konsum von Cannabis unabhängig vom aktuellen Zustand Leistungseinbußen auftreten könnten, aber auch weil ein zukünftiger Missbrauch nie völlig ausgeschlossen werden könne, sei eine weitere engmaschige ärztliche Begleitung der Behandlung mit Cannabisblüten mit jährlichen Testungen der Leistungsfähigkeit und bei jeder Änderung der Medikation aus nervenärztlicher Sicht dringend zu empfehlen.
11
Das Gutachten vom 28. Mai 2018 legte seiner Beurteilung sowohl eine zuvor ergänzend durchgeführte testpsychologische Untersuchung vom 20. April 2018 als auch ein toxikologisches Gutachten vom 15. Mai 2018 zugrunde. Dabei handelt es sich um das verkehrspsychologische Zusatzgutachten vom 20. April 2018 des kbo-Inn Salzach-Klinikum GmbH von Herrn Dr. … In der Untersuchung vom 17. April 2018 wurden beim Kläger keine verkehrsrelevanten Leistungseinschränkungen festgestellt. Er habe ausnahmslos unter der aktuellen medikamentösen Behandlung die erforderliche Leistungsfähigkeit zum Führen der Gruppe 1 erfüllt. Das toxikologische Gutachten erfolgte in Gestalt eines Gutachtens vom 15. Mai 2018 des Instituts für Rechtsmedizin der LMU München von Herrn Prof. Dr. … zum Nachweis von Cannabiskonsum und einem möglichen Ausschluss eines etwaigem Beikonsums anderer illegaler Substanzen. Eine chemisch-toxikologische Analyse der am 17. April 2018 entnommenen Blutproben belegte die vorangegangene Aufnahme von Cannabis-Zubereitungen, darüber hinaus fanden sich keine Hinweise auf weitere Arznei- oder Suchtstoffe.
12
Mit richterlichem Hinweis vom 12. Juni 2018 teilte das Verwaltungsgericht dem Beklagten mit, dass es alle vier Gutachten für plausibel und nachvollziehbar halte und regte an, den Entziehungsbescheid in einen Auflagenbescheid abzuändern, wobei geeignete Auflagen entsprechend der Empfehlung des Gutachtens vom 28. Mai 2018 festzusetzen seien.
13
Nach Einbindung der Regierung von Oberbayern und dortiger Rückkoppelung mit Herrn Prof. Dr. … vom Institut für Rechtsmedizin der LMU München hob der Beklagte mit Nr. 1 des Bescheids vom 21. September 2018, den vormaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 22. September 2018, den Entziehungsbescheid vom 13. Juni 2016 auf. Unter Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids vom 21. September 2018 wurde der Kläger verpflichtet,
- sich in jährlichen Abständen - beginnend ab April 2019 - einer Testung der psycho-physischen Leistungsfähigkeit zu unterziehen und das Ergebnis dieser Testung bis spätestens 15. Mai des jeweiligen Jahres der Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamtes Freising unaufgefordert vorzulegen,
- in halbjährlichen Abständen - beginnend ab November 2018 - die Bescheinigung über die monatliche ärztliche Begleitung (Therapie) der Cannabis Medikation entsprechend vorzulegen,
- in halbjährlichen Abständen - beginnend ab November 2018 - eine Haaranalyse auf die Substanz „THC-Säure-A“ zu veranlassen und dieses Ergebnis jeweils zum 15. des Folgemonats entsprechend vorzulegen, um so eine bestimmungsgemäße Verwendung des Vaporisators nachzuweisen (ein positiver Nachweis dieser Substanz würde den Verdacht nahelegen, dass keine bestimmungsgemäße Verwendung erfolgt und zusätzlich Cannabisblüten und/oder Haschisch konsumiert werden),
- etwaige Veränderungen der Medikation der Fahrerlaubnisbehörde unverzüglich mitzuteilen.
Die aufgeführten Auflagen seien nach den gerichtlich eingeholten Gutachten und der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin e.V. erforderlich, da bei einem chronischen Cannabiskonsum unabhängig vom aktuellen Zustand Leistungseinbußen aufträten und auch ein zukünftiger Missbrauch nie völlig ausgeschlossen werden könne.
14
Gegen Unterpunkt 3 der Nr. 2 des Auflagenbescheids vom 21. September 2018 erhoben die vormaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers am 9. Oktober 2018 Widerspruch, der mit Schreiben des Klägers vom 16. Oktober 2018 auf die Unterpunkte 1 und 4 der Nr. 2 des Bescheids erweitert wurde. Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, dass eine Haaranalyse weder geeignet noch erforderlich sei, um einen Nachweis einer bestimmungsgemäßen Verwendung des Vaporisators zu führen. Es sei schon unklar, was der Beklagte unter THC-Säure-A verstehe; in der nicht erhitzten Form habe THC-A keine psychoaktive Wirkung, erst durch Erhitzung werde die saure Form zum Cannabinoid THC transformiert. Dies belege eine vorgelegte Studie aus dem Scientific Report vom 11. Mai 2015. Bei der Cannabistherapie sei keine ausschließliche Verwendung eines Vaporisators vorgegeben, Konsum sei auch über Inhalation oder zur oralen Aufnahme möglich, was den Hinweisen vom 15. Oktober 2018 des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte zu entnehmen sei. Daher sei die Beschränkung auf den Vaporisator an sich unzulässig und damit auch ein Nachweis hierfür. Eine Überdosierung lasse sich auch durch die Haaranalyse nicht nachweisen. Diese sei vielmehr durch die engmaschige ärztliche Überwachung ausgeschlossen. Die Forschung zu THC-A stecke noch in den Kinderschuhen. Es werde befürchtet, dass THC-A auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch nachgewiesen werden könnte.
15
Nachdem der Kläger zwischenzeitlich (nach seinen Angaben im August 2016, Schreiben v. 3.12.2018, Bl. 474 BA) aus dem Landkreis Freising in die Landeshauptstadt München gezogen war, fragte der Beklagte mit Schreiben vom 11. Oktober 2018 bei der Fahrerlaubnisbehörde der Landeshauptstadt München an, ob das Verfahren bei ihm weiterbearbeitet werden könne. Mit Schreiben vom gleichen Tag, erteilte die Fahrerlaubnisbehörde der Landeshauptstadt München ihre Zustimmung zur Durchführung des Verfahrens gemäß Art. 3 Abs. 3 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG).
16
Nach beidseitiger Erledigungserklärung wurde das Gerichtsverfahren bezüglich der Entziehung der Fahrerlaubnis eingestellt (VG München, B.v. 26.10.2018 - M 26 K 16.3062).
17
Erstmals mit Schreiben vom 8. Dezember 2018 und sodann mit weiteren Schreiben übersandte der Kläger der Fahrerlaubnisbehörde seine Rezeptverschreibungen über Cannabisblüten zur Vaporisation/Inhalation oder oralen Einnahme in Gestalt von 0,2 g bis zu 3xtgl. bei Schmerzen.
18
Das Landratsamt Freising half dem Widerspruch mit Schreiben vom 20. November 2018 nicht ab und legte ihn mit Schreiben vom 21. November 2018 der Regierung von Oberbayern vor. Diese wies ihn mit Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 2019 als unbegründet ab. Es bedürfe einer jährlichen Testung der psycho-physischen Leistungsfähigkeit, da bei einer langfristigen, chronischen Einnahme hoher Mengen von Cannabis kognitive Defizite zu befürchten seien. Die halbjährliche Haaranalyse stelle allein sicher, dass die Verwendung eines Vaporisators im Interesse einer Compliance des Klägers und damit der Verkehrssicherheit gewährleistet sei. Bei ordnungsgemäßer Verwendung eines Vaporisators sei kein THC-Säure-A-Nachweis in den Haaren zu erwarten, bei einer nicht bestimmungsgemäßen Einnahme des Medizinalcannabis - also Rauchen - dagegen schon. Die Forschung sei hier hinlänglich bekannt. Richtig sei der klägerische Vortrag, dass ein Nachweis einer Über- oder Unterdosierung mittels THC-Säure-A-Bestimmung nicht möglich sei; ein solcher sei aber auch nicht beabsichtigt. Die Mitteilungsverpflichtung gegenüber Medikationsveränderungen erfolge präventiv und liege im Wesen von Verschreibungen betäubungsmittelbasierter Medikamente.
19
Am 20. März 2019 erhob der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten Klage beim Verwaltungsgericht München und beantragte zunächst die vollumfängliche Aufhebung des Bescheids vom 21. September 2018 und des Widerspruchsbescheids vom 20. Februar 2019. Mit Schriftsatz vom 19. Juli 2019 änderte er seinen Antrag und beantragte,
20
den Bescheid des Landratsamts Freising vom 21. September 2018 und den Widerrufsbescheid der Regierung von Oberbayern vom 20. Februar 2019 dahingehend aufzuheben, dass lediglich die Auflage verbleibt, in halbjährlichen Abständen - beginnend im August 2019 - die Bescheinigung über die monatliche ärztliche Begleitung (Therapie) der Cannabismedikation vorzulegen.
21
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass seit der im Jahr 2014 beginnenden Dauermedikation sämtliche Gutachten zum Ergebnis gekommen seien, dass von einer umfassenden psycho-physischen Leistungsfähigkeit im geforderten Maße auszugehen sei. Seitdem hätten sich keine neuen Tatsachen ergeben, die Eignungszweifel hätten begründen können. Die Auflage unter Nr. 2 Unterpunkt 1 sei der Anordnung zu einem ärztlichen Gutachten i.S.d. § 11 Abs. 2 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) vergleichbar, welche vorliegend mangels zweifelsbegründender Tatsachen rechtswidrig wäre. Im Übrigen sei sie aufgrund des halbjährlichen ärztlichen Nachweises der ärztlich begleiteten Therapie überflüssig. Rechtswidrig sei ebenfalls die Auflage unter Nr. 2 Unterpunkt 3 einer halbjährlichen Haaranalyse auf die Substanz „THC-Säure-A“. Diese sei entbehrlich, nachdem dem Kläger in sämtlichen im Verfahren M 26 K 16.3062 erstellten Gutachten eine ausreichende Compliance bescheinigt worden sei. Außerdem verstoße sie gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, da sie wissenschaftlich nicht geeignet sei, die vom Beklagten angenommene Differenzierung zwischen einer bestimmungsgemäßen und einer nicht bestimmungsgemäßen Verwendung des Vaporisators vorzunehmen. Diesbezüglich werde ein toxikologisches Sachverständigengutachten zur Frage beantragt, ob eine Differenzierung nach Rauchen oder Vaporisation durch den THC-A-Wert in Haaren festgestellt werden könne. Die Auflage unter Nr. 2 Unterpunkt 4, etwaige Veränderungen der Medikation unverzüglich mitzuteilen, sei rechtswidrig, da sie keinen Regelungsgehalt erkennen lasse. Die Frage der Medikation sei ebenso unter Beachtung des Therapieregimes des behandelnden Arztes zu klären und damit überflüssig, da sich der Kläger bereits verpflichtet habe, in halbjährlichen Abständen die Bescheinigung über eine monatliche ärztliche Begleitung vorzulegen.
22
Der Beklagte nahm mit Schriftsatz vom 30. April 2019 zur Klage Stellung und beantragte,
23
die Klage abzuweisen.
24
Es wurde im Wesentlichen vorgetragen, dass sich die Notwendigkeit der Auflagen aus dem gerichtlich eingeholten Gutachten vom 28. Mai 2018 und aus den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin e.V. ergebe.
25
Die vom Gericht initiierten Einigungsversuche zwischen den Parteien vom 3. Juni 2022 und vom 31. Oktober 2022 waren nicht erfolgreich. Das von Beklagtenseite unterbreitete Angebot vom 2. November 2022, die unter Nr. 2 Unterpunkt 1 des Bescheids vom 21. September 2018 vorgeschriebene Testung der psycho-physischen Leistungsfähigkeit auf eine einmalige Vorlagepflicht zu beschränken und auf die unter Nr. 2 Unterpunkt 3 des Bescheids vom 21. September 2018 vorgeschriebene halbjährliche Vorlage einer Haaranalyse auf die Substanz „THC-Säure-A“ gänzlich zu verzichten, lehnte der Kläger mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 11. November 2022 ab.
26
Der Kläger verzichtete mit Schriftsatz vom 11. November 2022, der Beklagte mit Schriftsatz vom 2. November 2022 auf eine mündliche Verhandlung.
27
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten - auch die beigezogenen Gerichtsakten M 26 K 16.3062 und M 26 S 16.3079 - und die vom Beklagten vorgelegte Verfahrensakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

28
Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu mit prozesswirksamen Erklärungen vom 2. und 11. November 2022 ihr Einverständnis erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
29
Streitgegenständlich sind vorliegend die unter Nr. 2 des Bescheids vom 21. September 2018 geregelten Unterpunkte 1, 3 und 4. Die unter Nr. 2 Unterpunkt 2 des Bescheids vom 21. September 2018 angeordnete Auflage einer halbjährlichen Vorlageverpflichtung einer Bescheinigung über die monatliche ärztliche Begleitung der Cannabis Medikation wurde nicht angefochten. Im Übrigen wurde diese Auflage bereits bestandskräftig, da sie auch vom Widerspruch nicht umfasst wurde.
30
Die Klage hat teilweise Erfolg. Sie ist zulässig und teilweise begründet. Der Auflagenbescheid der Fahrerlaubnisbehörde vom 21. September 2018 und der ihn bestätigende Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 2019 sind bezüglich der Auflage unter Nr. 2 Unterpunkt 3 (halbjährliche Haaranalyse) rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Hinsichtlich der Auflagen unter Nr. 2 Unterpunkte 1 und 4 (jährliche Leistungstestung und Mitteilungspflicht etwaiger Medikationsänderungen) sind sie rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
31
1. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Anfechtungsklage gegen die Auflagenanordnungen ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung. Die angeordneten Auflagen verlängern sich fortwährend, sodass von einem Dauerverwaltungsakt auszugehen ist (vgl. BayVGH, B.v. 25.4.2022 - 11 CS 21.2988 - juris Rn. 11; B.v. 20.1.2022 - 11 CS 21.2856 - juris Rn. 13; OVG Saarland, U.v. 6.10.2021 - 1 A 8/21 - juris Rn. 37; BVerwG, U.v. 4.12.2020 - 3 C 5.20 - Rn. 10).
32
2. Rechtsgrundlage für die angeordneten Auflagen ist § 46 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 FeV, wonach die Fahrerlaubnisbehörde gegenüber dem Inhaber einer Fahrerlaubnis, der sich noch als bedingt geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, die erforderlichen Auflagen anordnet.
33
3. Die formellen Voraussetzungen für die mit Bescheid vom 21. September 2018 verfügten Auflagen liegen vor. Insbesondere ist es unschädlich, dass der Bescheid durch den Freistaat Bayern, handelnd durch das Landratsamt Freising, und nicht durch die Landeshauptstadt München, in deren räumlichen Bereich der Kläger bei Bescheidserlass seinen Wohnsitz hatte, erlassen wurde.
34
3.1. Die örtliche Zuständigkeit des Beklagten dürfte vorliegend bereits aus Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG folgen, der die Fortführung des Verfahrens durch die Ausgangsbehörde ermöglicht, wenn nach Beginn, aber vor Abschluss des Verfahrens ein Zuständigkeitswechsel eintritt (sog. perpetuatio fori). Wenn sich im Lauf des Verwaltungsverfahrens die die Zuständigkeit begründenden Umstände ändern (hier durch Wohnsitzwechsel des Klägers), kann gemäß Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG die bisher zuständige Behörde das Verwaltungsverfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Behörde zustimmt.
35
Im Zeitpunkt des Entziehungsbescheids vom 13. Juni 2016 war das Landratsamt Freising gemäß § 73 Abs. 2 Satz 1 FeV als Wohnsitzbehörde des Klägers örtlich zuständig. Danach, aber noch vor Erlass des Rücknahme- und Auflagenbescheids vom 21. September 2018, erfolgte der Umzug in den Zuständigkeitsbereich der Landehauptstadt München. Eine Entscheidung durch die bisherige Fahrerlaubnisbehörde war angesichts des weit fortgeschrittenen Verfahrensstadiums im Zeitpunkt des Zuständigkeitswechsels zweckdienlich und hat den Kläger nicht unzumutbar in seinen Rechten einschränkt. Die Landeshauptstadt München hat ausdrücklich der Fortführung des Verfahrens durch die bisher zuständige Behörde zugestimmt (Schreiben v. 11.10.2018). Dies erfolgte zwar nach Erlass des Rücknahme- und Auflagenbescheids, dürfte aber unschädlich sein, da eine Zustimmungserklärung jedenfalls durch die Aufsichtsbehörde oder im gerichtlichen Verfahren ersetzt werden kann (vgl. HK-Kastner in Fehling/Kastner/Störmer, VwVfG 5. Aufl. 2021, § 3 Rn. 35).
36
3.2. Letztendlich kann es im vorliegenden Fall aber dahinstehen, ob das Landratsamt örtlich zuständig war. Denn nach Art. 46 BayVwVfG kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach Art. 44 BayVwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat (vgl. VG München, U.v. 27.10.21 - M 19 K 21.2669 - juris Rn. 29). Dies ist hier der Fall, weil es sich bei der in Rede stehenden Entscheidung über die Anordnung von Auflagen gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 FeV um eine gebundene, nicht im Ermessen der Behörde stehende Entscheidung handelt (vgl. BVerwG, U.v. 11.12.2008 - 3 C 26.07 - juris Rn. 19; OVG NRW, B.v. 23.2.2016 - 16 B 45/16 - juris Rn. 6 ff.; VG Köln, B.v. 18.8.2021 - 6 L 1039/21 - juris Rn. 10), sodass sich die Aufgabenwahrnehmung durch eine andere Behörde nicht zulasten des Klägers ausgewirkt hat.
37
4. Die materiellen Voraussetzungen für die streitgegenständlichen Auflagen des Bescheids vom 21. September 2018 liegen bezüglich der Nr. 2 Unterpunkte 1 und 4 vor (nachfolgend 4.2. und 4.3.), nicht dagegen bezüglich Nr. 2 Unterpunkt 3 (nachfolgend 4.4.).
38
Im Einzelfall sind im Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs Auflagen gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 FeV erforderlich, an die im Interesse des Betroffenen an einer Auflagenfreiheit die allgemeinen Maßstäbe der Verhältnismäßigkeit anzulegen sind. Die Bedingungen, die zur Sicherstellung der Fahreignung erforderlich sind, ergeben sich aufgrund der Einzelfallbezogenheit jedes Falles von Medizinalcannabis aus den bezüglich des Klägers durchgeführten Begutachtungen.
39
4.1. Von einer bedingten Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen ist auszugehen. Ein Kraftfahrer ist nur bedingt geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wenn er zwar nicht völlig ungeeignet, aber aufgrund bestimmter Mängel nur eingeschränkt geeignet ist, ein Kraftfahrzeug zu führen (BeckOK StVR/Will, 17. Ed. 15.10.2022, FeV § 46 Rn. 22 m.w.N.). Ein Eignungsgutachten muss die Frage bedingter Eignung ohne Weiteres mit umfassen; dies war vorliegend der Fall.
40
Bei der Einnahme von Cannabis ist zu differenzieren: Keine Eignung liegt im Falle der eigenmächtigen Einnahme von illegal beschafftem Cannabis vor; die Fahreignung beurteilt sich in diesem Fall nach den Vorgaben der Nr. 9.2. der Anlage 4 zu FeV. Hiervon zu unterscheiden ist dagegen eine ärztlich verordnete Einnahme eines betäubungsmittelhaltigen Arzneimittels bzw. die ärztlich begleitete Selbsttherapie mit ausschließlich auf der Grundlage einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG erworbenen Medizinal-Cannabisblüten im Sinne der Nr. 9.6. der Anlage 4 zur FeV (vgl. zur Differenzierung VGH BW, B.v. 25.10.2022 - 13 S 1641/22 - juris Rn. 6 m.w.N.; BayVGH, B.v. 30.3.2021 - 11 ZB 20.1138 - juris Rn. 12). Letzteren Vorgaben unterfällt der Kläger als Inhaber einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG.
41
Anzuwenden sind somit die von der Rechtsprechung und der Handlungsempfehlung der Ständigen Arbeitsgruppe Beurteilungskriterien - StAB - zur Fahreignungsbegutachtung bei Cannabismedikation (DGVP Stand: August 2018, https://dgvm-verkehrsmedizin.de/fahreigungsbegutachtung-bei-canabismedikation/ zuletzt abgerufen am 13.12.2022) aufgestellten Kriterien einer Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis. Dabei wird vorausgesetzt, dass die Einnahme von Cannabis indiziert und ärztlich verordnet ist, ferner, dass das Medizinal-Cannabis zuverlässig nur nach der ärztlichen Verordnung eingenommen wird, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen sind, die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt, und nicht zu erwarten ist, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird (BayVGH, B.v. 1.7.2022 - 11 CS 22.860 - juris OS 3, Rn. 21; B.v. 16.1.2020 - 11 CS 19.1535 - juris OS, Rn. 22; Rn. 4). Die Klärung dieser Kriterien ist in einem jeweils im Einzelfall vorzunehmenden Gutachten zu treffen.
42
Die Fahreignungsgutachten vom Oktober 2017 und April/ Mai 2018 kommen zum Ergebnis, dass die Fahreignung des Klägers bei Behandlung seiner Erkrankungen mit Medizinalcannabis unter Beachtung verschiedener Auflagen gegeben ist (Gutachten Dr. … v. 28.5.2018, S. 35; Gutachten Dr. … v. 16.10.2017, S. 17 f.). Denn bei chronischem Konsum des Klägers von Cannabis können - unabhängig von seinem aktuellen Zustand - Leistungseinbußen auftreten, aber auch ein künftiger Missbrauch kann nie völlig ausgeschlossen werden. Von einer bedingten Eignung im Sinne des § 46 Abs. 2 Satz 1 FeV ist daher auszugehen.
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4.2. So ergibt sich die Anordnung einer jährlichen Leistungstestung (Nr. 2 Unterpunkt 1 des Bescheids v. 21.9.2018) für den Kläger aus dem nervenärztlichen Gutachten des LMU-Klinikums (Gutachten Dr. … v. 28.5.2018, S. 35). Neben einer weiteren engmaschigen ärztlichen Begleitung der Behandlung mit Cannabisblüten - dies ist zwischen den Parteien unstreitig - spricht das Gutachten die dringende Empfehlung aus, jährliche Testungen der Leistungsfähigkeit vorzunehmen. Andernfalls blieben etwaige Leistungseinbußen, die bei einem chronischen Konsum von Cannabis grundsätzlich auftreten können, unerkannt. Dies entspricht im Übrigen auch der Handlungsempfehlung StAB in der Fassung vom August 2018 (a.a.O. S. 12), wonach eine Überprüfung des Leistungsbildes im Rahmen einer Nachbegutachtung insbesondere bei Verordnung hoch dosierter Cannabisblütensorten in längerem zeitlichen Abstand sinnvoll ist, da keine hinreichenden Erkenntnisse über die langfristige Auswirkung der dauerhaften Einnahme insbesondere in Wechselwirkung mit der jeweiligen Grunderkrankung vorliegen (vgl. Schreiben v. 15.1.2014 der Bundesanstalt für Straßenwesen an den anfänglich behandelnden Arzt des Klägers Dr. …*). Die Höhe der vorliegenden Dosierung kann dahinstehen, da es sich bei der vorgenannten Formulierung der Handlungsempfehlung StAB zum einen nur um eine beispielhafte Aufzählung handelt, zum anderen der Gutachter die Bedingungen der konkreten Einnahme kannte und daraufhin die Leistungsprüfung für erforderlich hielt. So wurde in die Gutachten unter anderem das junge Alter des Klägers zu Beginn der Behandlung (seit circa 2014, Gutachten Dr. … v. 16.10.2017, S. 4), aber auch der vorhergehende, vom Kläger im strafrechtlichen Verfahren von 2014 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zugegebene Konsum seit 2011 einbezogen (vgl. Handlungsempfehlung StAB in der Fassung vom August 2018, a.a.O. S. 6).
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Der klägerische Einwand, es bedürfe für eine weitere Leistungstestung zunächst zweifelsbegründender Tatsachen, wie auch im Falle einer Anordnung eines ärztlichen Gutachtens i.S.d. § 11 Abs. 2 FeV, kann nicht geteilt werden. Denn die erforderliche Leistungstestung des Klägers ergibt sich aufgrund der dargestellten denkbaren Leistungseinbußen im Falle der ständigen Einnahme von Medizinalcannabis bereits aus dem konkreten Gutachten (Gutachten Dr. … v. 28.5.2018, S. 35). Sie ist auch nicht aufgrund des halbjährlichen ärztlichen Nachweises der ärztlich begleiteten Therapie überflüssig, da dieser allein zu Dosierungsart und - menge Auskunft gibt, etwaige Auswirkungen auf die Fahreignung jedoch nicht erkannt werden können.
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Die Anordnung der jährlichen Leistungstestung entspricht angesichts des hohen Stellenwerts der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Gründe für eine Unzumutbarkeit im Falles des Klägers wurden nicht vorgetragen.
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4.3. Das Erfordernis der Anordnung, etwaige Medikationsänderungen mitzuteilen (Nr. 2 Unterpunkt 4 des Bescheids v. 21.9.2018), resultiert ebenfalls aus dem nervenärztlichen Gutachten des LMU-Klinikums (Gutachten Dr. … v. 28.5.2018, S. 35). Diesbezüglich kann das Gutachten sogar dahingehend verstanden werden, dass über eine bloße Mitteilung im Falle einer Medikationsänderung sogar eine Leistungsfähigkeitstestung erforderlich wäre. Das Landratsamt bleibt mit einer reinen Mitteilungsverpflichtung - zugunsten des Klägers - unter den gutachterlichen Anforderungen zurück. Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit sind damit nicht ersichtlich. Abgesehen davon ist die Verpflichtung zur Mitteilung einer Medikationsänderung im Falle einer Dauerbehandlung mit Arzneimitteln, deren Grundsätze im Falle der Einnahme von Medizinalcannabis gelten (vgl. Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV), nicht zu beanstanden. Andernfalls würde die Fahrerlaubnisbehörde über eine etwaige Erhöhung der Dosierung keine Kenntnis erlangen und nicht die erforderlichen fahrerlaubnisrechtlichen Maßnahmen treffen können. Eine Mitteilungspflicht erübrigt sich nicht schon durch Vorlage der Bescheinigungen über eine monatliche ärztliche Begleitung. Auch wenn die konkret vorgelegten Rezepte des Klägers den Zusatz „Blüten unverändert“ enthalten, ist eine explizite Erklärung einer veränderten Einnahme nicht mit einer Bescheinigung über eine ärztliche Begleitung gleichzusetzen, die nicht notwendigerweise Kenntnis über etwaige Medikationsänderungen liefert.
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4.4. Das Erfordernis einer halbjährlichen Haaranalyse (Nr. 2 Unterpunkt 3 des Bescheids v. 21.9.2018) zwecks Sicherstellung einer bestimmungsgemäßen Einnahme des Medizinalcannabis ergibt sich dagegen nicht aus den vorliegenden Gutachten. Zwar ist es richtig, dass der Kläger das Medizinalcannabis nicht durch Rauchen einnehmen darf, sondern vielmehr ausschließlich (entsprechend der vorgelegten ärztlichen Verschreibungen) durch Vaporisation/ Inhalation oder orale Einnahme. Die ordnungsgemäße Einnahme des Medikaments fällt allerdings unter die dem Kläger durch Gutachten zugesicherte Compliance. Die vom Verwaltungsgericht aufgegebene Fragestellung bezog sich explizit auf eine bestehende Gefahr einer missbräuchlichen Einnahme des Medikaments. Sämtliche Untersuchungen kamen daraufhin zu dem Ergebnis, dass keine missbräuchliche Einnahme von Cannabis nachgewiesen werden konnte (Gutachten Dr. … v. 28.5.2018, S. 29, 32; Gutachten Dr. … v. 16.10.2017, S. 17). Damit hat sich eine Überprüfung der bestimmungsgemäßen Einnahme erübrigt. Abgesehen davon kommt durch die Auflage nicht zum Ausdruck, dass neben der Verwendung des Vaporisators auch die orale Einnahme des Medizinalcannabis einen bestimmungsgemäßen Gebrauch darstellt. Die geforderte halbjährliche Haaranalyse ist daher rechtwidrig. Auf die ebenfalls vom Kläger in Frage gestellte Geeignetheit der Haaranalyse im Hinblick auf die Substanz „THC-Säure-A“ kommt es somit nicht mehr an.
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5. Der Klage war daher bezüglich der beantragten Aufhebung der Nr. 2 Unterpunkt 3 des Bescheids vom 21. September 2018 stattzugeben. Im Übrigen war sie abzuweisen.
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6. Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und entspricht dem Verhältnis des jeweiligen Obsiegens bzw. Unterliegens. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO, §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).