Inhalt

VGH München, Beschluss v. 02.12.2022 – 15 ZB 22.2361
Titel:

Erfolglose Nachbarklage gegen isolierte Befreiung für Gerätehaus

Normenketten:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, § 124a Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 2
BauGB § 31 Abs. 2
BayBO Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, Art. 63 Abs. 1, Abs. 3
Leitsätze:
1. Der Rechtsmittelführer muss bei Berufung auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis mit überwiegender Wahrscheinlichkeit falsch ist. „Darlegen“ bedeutet insoweit „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“. Erforderlich ist eine substantiierte - und auch in sich schlüssige - Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung, durch die der Streitstoff durchdrungen und aufbereitet wird. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. In bebauten Innerortslagen führt eine Nachbarbebauung im Regelfall zu einer gewissen Verschattung bzw. zu einer Verringerung des Lichteinfalls; diese sind in der Regel als typische Folgen der Bebauung bis zu einer im Einzelfall zu bestimmenden Unzumutbarkeitsgrenze hinzunehmen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Aufrechterhaltung einer ungeschmälerten Aussicht stellt lediglich eine durch die Baugenehmigung vermittelte Chance dar, deren Vereitelung nicht dem Entzug einer Rechtsposition gleichkommt; Anderes kann nur in einem Ausnahmefall einer besonderen, „situationsberechtigten“ Prägung als Aussichtslage gelten. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Standortalternativenprüfung findet im baurechtlichen Verfahren nicht statt; steht fest, dass ein Vorhaben an dem vom Bauherrn gewählten Standort Rechte des Nachbarn nicht verletzt, kann dieser die Baugenehmigung nicht durch einen Hinweis auf einen seines Erachtens besser geeigneten Alternativstandort zu Fall bringen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Zulassung der Berufung (abgelehnt), isolierte Befreiung von einer (nicht nachbarschützenden) Festsetzung eines Bebauungsplans, Nachbarschutz, Rücksichtnahmegebot, Darlegung, Unbestimmtheit, Gebietserhaltungsanspruch, Verschattung, Aussichtsmöglichkeiten, Standortalternativenprüfung
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 25.08.2022 – RO 2 K 20.2994
Fundstelle:
BeckRS 2022, 36300

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Kläger wenden sich als Nachbarn gegen eine der Beigeladenen erteilte isolierte Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans für die Errichtung eines Gerätehauses.
2
Die unmittelbar benachbarten, jeweils mit einem Wohngebäude bebauten Grundstücke der Kläger (FlNr. …51 der Gemarkung L.) und der Beigeladenen (FlNr. …50 derselben Gemarkung - Baugrundstück) liegen im Geltungsbereich des (in den Akten in kopierten Auszügen vorliegenden) Bebauungsplans „P., E. und R. Weg“ des Beklagten, der in Nr. 4 seiner textlichen Festsetzungen die Zulässigkeit von Nebengebäuden auf Garagen begrenzt.
3
Mit Bescheid vom 4. November 2020 erteilte der Beklagte der Beigeladenen auf deren Antrag für die Errichtung eines Gerätehauses auf dem Baugrundstück eine isolierte Befreiung gem. § 31 Abs. 2 BauGB, Art. 63 Abs. 3, Abs. 2 Satz 1 BayBO von der textlichen Festsetzung Nr. 4 des Bebauungsplans. Nach den Antragsunterlagen der Beigeladenen handelt es sich um ein fensterloses Pultdachgebäude aus Aluminium mit flacher Dachneigung, einer Fläche von 1,74 m x 2,14 m und einer Höhe (an der höchsten Stelle) von 2,18 m, das unmittelbar an der Grenze zum Grundstück der Kläger stehen soll bzw. nach Maßgabe der im Augenscheintermin des Verwaltungsgerichts gefertigten Lichtbilder dort tatsächlich bereits schon steht. In der Bescheidbegründung heißt es, eine Befreiung sei für das gem. Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 lit. a BayBO verfahrensfreie Vorhaben städtebaulich vertretbar und auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens habe der Bau- und Vergabeausschuss mit Beschluss vom 5. Oktober 2020 gemäß den Planunterlagen und unter Berücksichtigung der nachbarlichen Belange die Erteilung der beantragten Befreiung beschlossen.
4
Eine Fassung des Bescheids vom 4. November 2020 - mit Adressenangabe der Beigeladenen - wurde der Beigeladenen als Bauherrin per Einschreiben zugestellt. Eine weitere Fassung des Bescheids vom 4. November 2020 wurde mit demselben Betreff „Errichtung eines Geräteschuppens auf dem Grundstück E. …, … L., Flst. …50 der Gemarkung L. - Antrag auf Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans (…)“ auch den Klägern - und zwar diesmal mit deren Namen und deren Adresse im Adressfeld - durch Einschreiben zugestellt. In einem Begleitschreiben ebenso vom 4. November 2020 führte der Beklagte gegenüber den Klägern aus, dass sie als nicht vom Bauherrn beteiligte Nachbarn bzw. nicht dem Bauvorhaben zustimmende Nachbarn eine Ausfertigung des Bescheids erhielten und dass die dortige Rechtsbehelfsbelehrungfür sie entsprechend gelte.
5
Die Kläger erhoben unter Beifügung einer Kopie der an sie adressierten Bescheidfassung am 2. Dezember 2020 Anfechtungsklage. Dieses Verfahren wurde beim Verwaltungsgericht Regensburg unter dem Aktenzeichen RO 2 K 20.2994 angelegt.
6
Am 10. Februar 2021 erhoben die Kläger eine weitere Anfechtungsklage in der Sache mit dem Ziel der Aufhebung des Bescheids vom 4. November 2020 in der an die Beigeladene adressierten Fassung, den sie im Vergleich zu der Bescheidfassung, die unmittelbar an sie selbst adressiert wurde, als weiteren, hiervon zu unterscheidenden Bescheid bewerteten. Sie - so der erstinstanzliche klägerische Vortrag - hätten von diesem weiteren, an die Beigeladene adressierten Bescheid erst im Rahmen des anhängigen Klageverfahrens RO 2 K 20.2994 erfahren, sodass die Anfechtungsklage hiergegen nicht verfristet erhoben worden sei. Dieses Verfahren wurde vom Verwaltungsgericht unter dem Aktenzeichen RO 2 K 21.218 angelegt.
7
Mit Urteil vom 25. August 2022 wies das Verwaltungsgericht die Anfechtungsklage im Verfahren RO 2 K 20.2994 - als unbegründet - ab. In den Entscheidungsgründen führt das Erstgericht aus, der Bescheid vom 4. November 2020 sei hinsichtlich des Inhaltsadressaten nicht unbestimmt; auch im Übrigen verletze die Befreiung die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
8
Ebenfalls mit Urteil vom 25. August 2022 wies das Verwaltungsgericht die Klage im Verfahren RO 2 K 21.218 - als unzulässig - ab. Der weiteren Klage stehe - so die dortigen Entscheidungsgründe - das Prozesshindernis des Verbots der doppelten Rechtshängigkeit nach § 173 VwGO i.V. mit § 17 Abs. 1 Satz 2 GVG entgegen. Die zweite, am 10. Februar 2021 erhobene Klage im Verfahren RO 2 K 21.218 habe denselben Streitgegenstand wie die bereits vorher am 2. Dezember 2020 im Verfahren RO 2 K 20.2994 erhobene Anfechtungsklage.
9
Im vorliegenden Verfahren wenden sich die Kläger mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das (Sach-) Urteil des Verwaltungsgerichts im Verfahren RO 2 K 20.2994. Zu dem ebenfalls gegen das (Prozess-) Urteil des Verwaltungsgerichts im Verfahren RO 2 K 21.281 gestellten Antrag auf Zulassung wird auf den Beschluss des Senats vom heutigen Tag im Parallelverfahren 15 ZB 22.2360 verwiesen.
10
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
11
Der Zulassungsantrag hat in der Sache keinen Erfolg. Die von den Klägern geltend gemachten Zulassungsgründe, auf die sich die Prüfung des Senats beschränkt, liegen nicht vor bzw. sind nicht in einer Weise dargelegt worden, die den gesetzlichen Anforderungen gem. § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO genügt.
12
1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
13
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung in diesem Sinne bestehen nur dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der erstinstanzlichen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BayVGH, B.v. 27.8.2019 - 15 ZB 19.428 - juris Rn. 10 m.w.N.).
14
a) Soweit die Kläger der Ansicht sind, der angefochtene Bescheid sei hinsichtlich des Bescheidresp. Inhaltsadressaten unbestimmt, genügt die Antragsbegründung nicht den aus § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO folgenden Darlegungsanforderungen an die Geltendmachung des Zulassungsgrunds des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
15
Die nach § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO geforderte Darlegung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung des Erstgerichts erfordert eine konkret fallbezogene und hinreichend substantiierte Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung; es muss konkret dargelegt werden, dass und weshalb das Verwaltungsgericht entscheidungstragende Rechts- und / oder Tatsachenfragen unrichtig entschieden hat. Eine schlichte, unspezifizierte Behauptung der Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung genügt nicht. Der Rechtsmittelführer muss vielmehr konkret bei der Berufung auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis mit überwiegender Wahrscheinlichkeit falsch ist. „Darlegen“ bedeutet insoweit „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“. Erforderlich ist eine substantiierte - und auch in sich schlüssige - Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung, durch die der Streitstoff durchdrungen und aufbereitet wird; der Rechtsmittelführer muss im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen. Mit bloßer Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens wird dem Gebot der Darlegung im Sinn von § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO ebenso wenig genügt wie mit der schlichten Darstellung der eigenen Rechtsauffassung (BayVGH, B.v. 15.10.2019 - 15 ZB 19.1221 - juris Rn. 10 m.w.N.; B.v. 1.2.2021 - 15 ZB 20.747 - juris Rn. 32; B.v. 19.8.2022 - 15 ZB 22.1400 - juris Rn. 16; B.v. 21.9.2022 - 15 ZB 22.1621 - juris Rn. 12; B.v. 11.10.2022 - 15 ZB 22.867 - juris Rn. 27). Diesen Anforderungen werden die Kläger mit ihren Ausführungen in der Antragsbegründung zur Unbestimmtheit des angefochtenen Bescheids nicht gerecht.
16
Das Verwaltungsgericht hat in den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils vom 25. August 2022 (Az. RO 2 K 20.2994) seine Ansicht, dass und warum der den Klägern zugestellte Befreiungsbescheid vom 4. November 2020 nicht hinsichtlich des (Inhalts-) Adressaten gem. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG unbestimmt ist, unter Befassung mit der einschlägigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung damit begründet, dass sich der Adressat durch Auslegung des Bescheids ermitteln lasse. Für die Feststellung des Inhaltsadressaten sei dabei nicht entscheidend, wer in der Anschrift als Adressat benannt, sondern wer von dem Verwaltungsakt seinem Inhalt nach betroffen sei. Einer namentlichen Benennung bedürfe es nicht; dem Bestimmtheitserfordernis sei vielmehr bereits dann genügt, wenn der Inhaltsadressat auf sonstige Weise erkennbar sei. Nach dem ausschlaggebenden Empfängerhorizont sei vorliegend eine Auslegung dahingehend geboten, dass sich der den Klägern zugestellte Bescheid seinem Inhalt nach an die Bauherrin des in dem Bescheid angegebenen Bauvorhabens gerichtet habe und die Kläger als Nachbarn eine Ausfertigung des an die Bauherrin gerichteten Bescheides hätten erhalten sollen. Dies ergebe sich aus dem Betreff des Bescheids, der das an das klägerische Grundstück angrenzende Grundstück der Beigeladenen thematisiere. Ferner sprächen hierfür auch die Begleitumstände. Der Bescheid sei ausweislich der Behördenakten zusammen mit einem Begleitschreiben versandt worden, wonach die Kläger als nicht von der Bauherrin beteiligte Nachbarn bzw. nicht dem Bauvorhaben zustimmende Nachbarn eine Ausfertigung des Bescheids erhalten würden und dass die im Bescheid enthaltene Rechtsbehelfsbelehrungauch für die Kläger gelte. Der Bescheid sei daher objektiv dahingehend zu verstehen, dass er den Klägern lediglich in ihrer Funktion als nicht von der Bauherrin beteiligte Nachbarn bzw. nicht dem Bauvorhaben zustimmende Nachbarn und damit als Bekanntgabeadressaten übersandt worden sei. Daran ändere auch nichts, dass die Kläger in der ihnen übersandten Ausfertigung des Bescheids im Adressfeld aufgeführt seien, zumal die Nennung im Adressfeld für die Bestimmung des Inhaltsadressaten nicht entscheidend sei. Dafür, dass die Kläger selbst diesen dahingehend verstanden hätten, spreche ferner der Klageschriftsatz vom 2. Dezember 2020, worin es heiße, die Beigeladene habe vor, „einen Geräteschuppen auf ihrem Grundstück zu errichten“.
17
Unabhängig davon, dass die diesbezüglichen Erwägungen in den Entscheidungsgründen plausibel erscheinen (vgl. auch BayVGH, B.v. 14. 3.2019 - ZB 17.2005 - juris), haben die Kläger diesen im Zulassungsverfahren innerhalb der Antragsbegründungsfrist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) nichts Substantielles entgegengesetzt. Soweit im antragsbegründenden Schriftsatz vom 23. November 2022 pauschal „zur Vermeidung von Wiederholungen“ auf den erstinstanzlichen Vortrag Bezug genommen wird, genügt dies nach dem Voranstehenden gerade nicht den o.g. Darlegungsanforderungen zur Geltendmachung des Zulassungsgrunds. Auch soweit auf Seite 3 des Bescheids auf die „Ausführungen im Verfahren mit dem Az. 15 ZB 22.2360 verwiesen wird“, wird dem Darlegungsgebot nicht Genüge getan. Denn im parallelen Berufungszulassungsverfahren 15 ZB 22.2360 haben es die Kläger ebenso versäumt, die aus ihrer Sicht bestehende Unbestimmtheit des Bescheids hinsichtlich des Bescheidadressaten substantiiert zu belegen und insoweit die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils in einer dem Darlegungsgebot gem. § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO genügenden Art und Weise darzulegen. Denn auch dort findet sich nur eine allgemeine Bezugnahme auf die Ausführungen in erster Instanz sowie ein „Insichverweis“ auf die Ausführungen „im Verfahren mit dem Az. 15 ZB 22.2360“ (vgl. S. 3 und 4 der Antragsbegründung vom 23. November 2022 im Verfahren 15 ZB 22.2360). Warum die rechtliche Bewertung des Erstgerichts hinsichtlich des Bescheidresp. Inhaltadressaten falsch sein soll, wird mithin auch in der Antragsbegründung im Verfahren 15 ZB 22.2360 nicht substantiiert begründet (vgl. hierzu die Ausführungen im Beschluss des Senats vom heutigen Tag zu diesem Verfahren).
18
b) Die Richtigkeit der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts, dass mit der erteilten isolierten Befreiung gem. § 31 Abs. 2 BauGB keine subjektiven Rechte der Kläger i.S. von § 42 Abs. 2, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt worden sind, ist nach Maßgabe der Antragsbegründung nicht ernstlich zweifelhaft.
19
Dritte - wie hier die Kläger als Nachbarn - können sich mit einer Anfechtungsklage gem. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nur dann mit Aussicht auf Erfolg gegen einen Genehmigungsbescheid bzw. - wie hier - eine isolierte Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans nur dann zur Wehr setzen, wenn dieser nicht nur rechtswidrig ist, sondern die Rechtswidrigkeit auf der Verletzung einer Norm beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Dritten zu dienen bestimmt ist (sog. Schutznormtheorie, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 26.4.2021 - 15 CS 21.1081 - juris Rn. 23 m.w.N.). Der Umfang des Rechtsschutzes des Nachbarn hängt im Fall einer Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans davon ab, ob die Festsetzungen, von deren Einhaltung dispensiert wird, dem Nachbarschutz dienen. Bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung führt jeder Fehler bei der Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB zur Aufhebung der Baugenehmigung. Bei einer Befreiung von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung richtet sich der Nachbarschutz hingegen nach den Grundsätzen des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme, das aufgrund der gemäß § 31 Abs. 2 BauGB gebotenen „Würdigung nachbarlicher Interessen“ Eingang in die bauplanungsrechtliche Prüfung findet (vgl. BVerwG, U.v. 9.8.2018 - 4 C 7.17 - BVerwGE 162, 363 = juris Rn. 12 m.w.N.; BayVGH, B.v. 8.11.2021 - 15 CS 21.2449 - juris Rn. 19 m.w.N., B.v. 13.9.2022 - 15 CS 22.1851 - juris Rn. 15). Von diesen Grundsätzen ist das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils ausgegangen.
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aa) Das Verwaltungsgericht hat unter Befassung mit einschlägiger Rechtsprechung und Literatur umfassend begründet, warum aus seiner Sicht die hier betroffene Festsetzung Nr. 4 des einschlägigen Bebauungsplans, die ihre Rechtsgrundlage in § 14 Abs. 1 Satz 3 BauNVO finde, weder unter dem Gesichtspunkt des Gebietserhaltungsanspruchs noch nach dem Planungswillen des Beklagten nachbarschützend ist (UA S. 10 - 12). Insbesondere ergebe sich vorliegend weder aus dem Bebauungsplan selbst noch aus den zugrundeliegenden Verfahrensunterlagen ein hinreichender Hinweis darauf, dass mit der streitgegenständlichen modifizierenden Festsetzung sämtliche Nebenanlagen (außer Garagen) im Interesse der Nachbarn ausgeschlossen werden sollten und dass die Festsetzung deshalb ausnahmsweise nachbarschützend sei.
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Auch diesen Ausführungen hat die Antragsbegründung nicht entgegengesetzt, was den o.g. Anforderungen an die Darlegung ernstlicher Zweifel i.S. von § 124 Abs. 2 Nr. 1 BauGB genügt. In der Sache begrenzen sich die Kläger im Zulassungsverfahren insofern darauf, ihre eigene Gegenansicht vorzutragen, wonach die Festsetzung, von der befreit worden sei, nachbarschützend sei. Eine substanzielle Begründung hierfür ergibt sich aus dem Vortrag im Zulassungsverfahren nicht. Die ergänzende Erwägung, es gehe „um Nebengebäude, die grundsätzlich hier nicht zulässig wären (außer Garagen)“ und dass dies „eine Regelung ähnlich zu Art. 6 Abs. 7 BayBO (neue Fassung)“ darstelle, „deren nachbarschützende Funktion anerkannt sei“, vermag nicht ansatzweise plausibel zu machen, warum dieser Festsetzung - sei es unter dem Gesichtspunkt des Gebietserhaltungsanspruchs (hierzu vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1993 - 4 C 28.91 - BVerwGE 94, 151 = juris Rn. 9 ff.; B.v. 18.12.2007 - 4 B 55.07 - NVwZ 2008, 427 = juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 24.2.2020 - 15 ZB 19.1505 - juris Rn. 6 m.w.N), sei es unter dem Gesichtspunkt des planerischen Willens bzw. der Begründung eines nachbarlichen Austauschverhältnisses (hierzu BayVGH, B.v. 24.7.2020 - 15 CS 20.1332 - NVwZ-RR 2020, 961 = juris Rn. 23 ff.; B.v. 11.8.2021 - 15 CS 21.1775 - juris Rn. 13 ff., jeweils unter Befassung mit der sog. „Wannsee-Entscheidung“, BVerwG, U.v. 9.8.2018 - 4 C 7.17 - BVerwGE 162, 363 = juris Rn. 14 ff.; vgl. auch vgl. BVerwG, B.v. 11.6.2019 - 4 B 5.19 - juris Rn. 4) - nachbarschützende Qualität zukommen könnte, zumal es sich bei dem geplanten (von der streitgegenständlichen Befreiung betroffenen) Geräteschuppen der Beigeladenen um ein „Gebäude ohne Aufenthaltsräume und Feuerstätte“ innerhalb der Höhenmaße des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO handelt, das gerade „privilegiert“ - d.h. in Abweichung von den nachbarschützenden Grundsatzregelungen des Art. 6 BayBO - in den Abstandsflächen sowie ohne eigene Abstandsflächen (und damit wie hier grenzständig) errichtet werden darf.
22
bb) Auch soweit das Verwaltungsgericht eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots zulasten der Kläger abgelehnt hat, vermögen Letztere keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung zu begründen.
23
Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen - worauf das Verwaltungsgericht richtig abgestellt hat (UA S. 13) - wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. vgl. BayVGH, B. v. 4.12.2019 - 15 CS 19.2048 - juris Rn. 23 m.w.N.; B.v. 9.6.2020 - 15 CS 20.901 - juris Rn. 27; B.v. 24.5.2022 - 15 ZB 22.908 - juris Rn. 8 m.w.N.).
24
Das Verwaltungsgericht hat in korrekter Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs sowie mit Blick auf den einschlägigen abstandsflächenrechtlichen Privilegierungstatbestand gem. Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO (zum indiziellen Rückschluss, dass bei Einhaltung der Vorgaben des Art. 6 BayBO regelmäßig keine Verletzung des Rücksichtnahmegebots wegen Verschattung, Lichtentzugs, erdrückender / abriegelnder Wirkung oder wegen sonstiger „Nähebeziehung“ zum Nachbarn in Betracht kommt, vgl. - neben den vom Verwaltungsgericht zitierten Rechtsprechungszitaten - z.B. BVerwG, U.v. 28.10.1993 - 4 C 5.93 - NVwZ 1994, 686 = juris Rn. 22; BayVGH, B.v 13.9.2022 - 15 CS 22.1851 - juris Rn. 17 m.w.N.), plausibel begründet, dass die Errichtung des Geräteschuppens auch unmittelbar an der Grenze zum Grundstück der Kläger nicht zu deren Lasten unzumutbar bzw. rücksichtslos ist. Sofern in besonderen Ausnahmefällen selbst bei Einhaltung der Anforderungen des Art. 6 BayBO eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots aufgrund des Heranrückens eines größeren Vorhabens möglich bleibt, sind vorliegend keine besonderen Umstände des Einzelfalls ersichtlich, die dennoch eine unzumutbare Betroffenheit der Kläger begründen könnten (vgl. BayVGH, B.v 13.9.2022 - 15 CS 11.1851 - juris Rn. 21). Hierauf hat auch das Verwaltungsgericht einzelfallbezogen abgestellt. Es verweist in den Entscheidungsgründen zu Recht darauf, dass in bebauten Innerortslagen eine Nachbarbebauung im Regelfall zu einer gewissen Verschattung bzw. zu einer Verringerung des Lichteinfalls führt und dass diese Folgen daher in der Regel als typische Folgen der Bebauung bis zu einer im Einzelfall zu bestimmenden Unzumutbarkeitsgrenze hinzunehmen sind (neben der vom Verwaltungsgericht zitierten Rechtsprechung vgl. z.B. BayVGH, B.v. 13.9.2022 - 15 CS 22.1851 - juris Rn. 21 m.w.N.). Unabhängig davon, dass sich für den Senat sowohl mit Blick auf den täglichen Sonnenverlauf von Osten (morgens) über Süden (mittags) nach Westen (abends) (vgl. BayVGH, B.v. 13.9.2022 a.a.O.) als auch unter Berücksichtigung der geringen Höhe und der geringen Kubatur des Vorhabens der Beigeladenen unter logischen Gesichtspunkten nicht erschließt, wie das östlich bzw. südöstlich gelegene Anwesen der Kläger in unzumutbarer Weise verschattet werden oder von Lichtentzug betroffen sein könnte, vermochte auch das Erstgericht bezogen auf den vorliegenden Einzelfall keine Ausnahmelage zu erkennen, wonach die Unzumutbarkeitsgrenze überschritten sei. Nach dem im Rahmen des gerichtlichen Augenscheins gewonnenen Eindruck sei eine Verschattung des klägerischen Grundstücks durch das Bauvorhaben und eine dadurch bedingte unzumutbare Beeinträchtigung der Nutzung des Grundstücks nicht zu erkennen. Die von den Klägern vorgetragene Verdunkelung ihrer Küche sei nach dem Eindruck im Rahmen der Inaugenscheinnahme vornehmlich durch die sich vor dem Küchenfenster befindliche Überdachung des Kfz-Stellplatzes bedingt. Schließlich ergebe sich - so die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils weiter - ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme auch nicht aus einer möglichen Einschränkung der Aussichtsmöglichkeiten. Auf die Beeinträchtigung des Ausblicks aus dem Küchenfenster, aus der Haustüre und aus dem Dielenfenster könnten sich die Kläger nicht berufen. Das Erstgericht verweist insofern zu Recht darauf, dass die Aufrechterhaltung einer ungeschmälerten Aussicht lediglich eine durch die Baugenehmigung vermittelte Chance darstelle, deren Vereitelung nicht dem Entzug einer Rechtsposition gleichkomme und dass Anderes nur in einem - hier nicht gegebenen - Ausnahmefall einer besonderen, „situationsberechtigten“ Prägung als Aussichtslage gelten könnte (neben der im angegriffenen Urteil zitierten Entscheidung vgl. BayVGH, B.v. 17.6.2010 - 15 ZB 09.2132 - juris Rn. 13, vgl. auch BayVGH, B.v. 14.6.2013 - 15 ZB 13.612 - NVwZ 2013, 1238 = juris Rn. 11; B.v. 3.2.2017 - 9 CS 16.2477 - juris Rn. 26).
25
Auch mit diesen Detailerwägungen hat sich die Antragsbegründung nicht näher auseinandergesetzt. Mit dem den erstinstanzlichen Vortrag (vgl. Schriftsatz vom 11. März 2022) im Wesentlichen schlicht wiederholenden Gegenvorbringen in der Antragsbegründung,
26
- dass aufgrund des vom Befreiungsantrag umfassten Standorts des Geräteschuppens direkt gegenüber eines ihrer Küchenfenster und direkt gegenüber ihrer Haustüre der Lichteinfall auf ihrer Grundstücksseite „wesentlich geringer“ bzw. „wesentlich gemindert“ sei, sodass „alles dunkler“ wirke,
27
- dass „der Blick aus dem Küchenfenster, aus der Haustüre und aus dem Dielenfenster (…) optisch stark beeinträchtigt“ sei und
28
- dass „der dunkelgraue Block (…) wie ein bedrohlicher, unansehnlicher Klotz“ wirke,
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kann die Richtigkeit der Rechtsanwendung durch das Verwaltungsgericht hinsichtlich der Verneinung eines Verstoßes gegen das Rücksichtnahmegebots zulasten der Kläger nicht substantiiert infrage gestellt werden.
30
Dass es - wie die Kläger ergänzend vorbringen - möglicherweise einen alternativen Standort für den Geräteschuppen gibt, der sie als Nachbarn weniger stören oder belasten würde, ist für die Frage der Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme irrelevant. Eine Standortalternativenprüfung findet im baurechtlichen Verfahren nicht statt; steht fest, dass ein Vorhaben an dem vom Bauherrn gewählten Standort Rechte des Nachbarn nicht verletzt, kann dieser die Baugenehmigung nicht durch einen Hinweis auf einen seines Erachtens besser geeigneten Alternativstandort zu Fall bringen (BVerwG, U.v. 13.10.1998 - 4 B 93.98 - NVwZ 1999, 298 = juris Rn. 5 m.w.N.; BayVGH, B.v. 11.2.2022 - 1 CS 22.24 - juris Rn. 13 m.w.N.; Kremer, jurisPR-ÖffBauR 11/2022 Anm. 5).
31
cc) Soweit die Kläger rügen, die nachbarlichen Interessen seien nicht „gewürdigt“ worden, weil schon nicht das „Nachbarmaterial“ zusammengestellt worden sei, sodass es insofern jedenfalls an einer ordnungsgemäßen Ermessensentscheidung fehle und deshalb ein Ermessensausfall vorliege, ist im Lichte der Schutznormtheorie (s.o.) nicht ersichtlich, wie ein nachbarlicher Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung verletzt sein könnte, wenn es weder um ein Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung des Bebauungsplans geht noch ein Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot in Betracht kommt.
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2. Die Berufung ist nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten gem. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen.
33
Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten im Sinne dieser Vorschrift weist eine Rechtssache nur dann auf, wenn die Beantwortung der für die Entscheidung erheblichen Fragen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht voraussichtlich das durchschnittliche Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten bereitet, wenn sie sich also wegen der Komplexität und abstrakten Fehleranfälligkeit aus der Mehrzahl der verwaltungsgerichtlichen Verfahren heraushebt (vgl. BayVGH, B.v. 14.4.2022 - 15 ZB 21.2827 - juris Rn. 19 m.w.N.). Aus den voranstehenden Ausführungen zu 1. ergibt sich, dass diese Voraussetzungen vorliegend nicht erfüllt bzw. nicht substantiiert dargelegt sind.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst (§ 162 Abs. 3 VwGO). Im Berufungszulassungsverfahren sind die außergerichtlichen Kosten eines Beigeladenen in der Regel nicht der unterliegenden Partei aufzuerlegen, zumal sich ein Beigeladener im Berufungszulassungsverfahren unabhängig von einer Antragstellung grundsätzlich keinem eigenen Kostenrisiko aussetzt. Ein besonderer Ausnahmegrund (vgl. BayVGH, B.v. 11.10.2022 - 15 ZB 22.867 - juris Rn. 75 m.w.N.) ist vorliegend nicht ersichtlich. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47, § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt als Anhang in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022) und folgt in der Höhe der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.
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4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).