Inhalt

VGH München, Beschluss v. 01.12.2022 – 15 ZB 22.2051
Titel:

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag im Verfahren um ein bauaufsichtliches Einschreiten im Hinblick auf eine Terrasse

Normenketten:
VwGO § 124 Abs. 2, § 124a
BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 2
Leitsatz:
Weder das Bauplanungsrecht im Allgemeinen noch das Gebot der Rücksichtnahme im Speziellen vermitteln einen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken. Auch neu geschaffene Einsichtsmöglichkeiten begründen nicht aus sich heraus eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots. Allenfalls in besonderen, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls geprägten Ausnahmefällen kann sich etwas Anderes ergeben. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage auf bauaufsichtliches Einschreiten, Errichtung einer Terrasse, gebäudeähnliche Wirkung, Rücksichtnahmegebot, Einsichtnahmemöglichkeit
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 21.07.2022 – RO 7 K 20.2614
Fundstelle:
BeckRS 2022, 36293

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selber tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger begehrt vom Landratsamt Ch. bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Beigeladenen im Hinblick auf eine von diesen errichtete Terrasse.
2
Die Beigeladenen erneuerten im Bereich südlich der Doppelgarage auf ihrem Grundstück FlNr. …14 Gemarkung W. an der östlichen Grenze zum Grundstück des Klägers FlNr. …15 Gemarkung W. ihre bereits seit längerem vorhandene Terrasse. Im Zuge einer Baukontrolle am 9. Oktober 2019 wurde festgestellt, dass die maximale Höhe ab dem vorhandenen Gelände in einem kleinen Teilbereich im südöstlichen Eck der Terrasse 55 cm betrug; im Übrigen lag die Höhe unter 50 cm. Dieser Teilbereich wurde von den Beigeladenen aufgefüllt, so dass die Höhe anschließend bei ca. 46 - 47 cm lag.
3
Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 19. Mai 2020 beantragte der Kläger beim Landratsamt Ch. bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Beigeladenen, weil die Errichtung der aufgeständerten Terrasse baugenehmigungs- und abstandsflächenpflichtig sei. Nachdem das Landratsamt Ch. hierauf nicht tätig wurde, erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg, das diese mit Urteil vom 21. Juli 2022 abwies. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass der Kläger keinen Rechtsanspruch auf das begehrte bauaufsichtliche Einschreiten habe, weil kein Verstoß gegen das drittschützende Abstandsflächenrecht vorliege. Die streitgegenständliche Terrasse sei auch nicht bauplanungsrechtlich rücksichtlos. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in beiden Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
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Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Es liegen weder die vom Kläger geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) vor, noch weist die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) oder hat die behauptete grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
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1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
7
Ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger als Rechtsmittelführer innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Aus dem Zulassungsvorbringen ergeben sich solche Zweifel hier nicht.
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a) Das Verwaltungsgericht stellt darauf ab, dass der Kläger allein aus einer eventuellen Baugenehmigungspflicht der beanstandeten Terrasse keine drittschützenden Rechte ableiten könne (vgl. UA S. 6). Dies ist nicht ernstlich zweifelhaft (vgl. BayVGH, B.v. 10.4.2019 - 9 ZB 15.2481 - juris Rn. 6) und wird mit dem Zulassungsvorbringen auch nicht substantiiert in Frage gestellt.
9
b) Soweit der Kläger vorträgt, die Terrasse verletze wegen einer gebäudeähnlichen Wirkung gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO das drittschützende Abstandsflächenrecht, bleibt der Antrag erfolglos. Das Verwaltungsgericht kommt unter Berücksichtigung des Zwecks des Abstandsflächenrechts sowie der Art der Bauausführung und des verwendeten Materials zu dem Ergebnis, dass die Terrasse auch bei Zugrundelegung der vom Kläger angeführten Geländeaufschüttung in den 1980’er Jahren keine gebäudeähnliche Wirkung habe. Es begründet dies insbesondere damit, dass die Höhe weit unter 2 m liege (UA S. 7). Hiermit setzt sich das Zulassungsvorbringen schon nicht auseinander.
10
c) Das Verwaltungsgericht stellt weiter darauf ab, dass die errichtete Terrasse nicht rücksichtslos sei, weil keine unzumutbare Einsichtnahme ersichtlich sei und eine Terrassennutzung zum zulässigen Wohnen gehöre (UA S. 8). Dem tritt das Zulassungsvorbringen durch die Wiederholung der bloßen gegenteiligen Auffassung des Klägers nicht substantiiert entgegen. Weder das Bauplanungsrecht im Allgemeinen noch das Gebot der Rücksichtnahme im Speziellen vermitteln einen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken. Auch neu geschaffene Einsichtsmöglichkeiten begründen nicht aus sich heraus eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots. Allenfalls in besonderen, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls geprägten Ausnahmefällen kann sich etwas Anderes ergeben (vgl. BayVGH, B.v. 11.1.2022 - 15 CS 21.2913 - juris Rn. 36). Anhaltspunkte dafür, dass ein solcher situationsbedingter Ausnahmefall hier vorliegt, lassen sich weder dem Zulassungsvorbringen noch der Aktenlage entnehmen.
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2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
12
Dem Zulassungsvorbringen lässt sich bereits nichts über das zu § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO Dargelegte hinaus entnehmen, was sich nicht nach den obigen Ausführungen ohne weiteres und mit zweifelsfreiem Ergebnis im Zulassungsverfahren klären ließe. Eine lediglich unterschiedliche Bewertung des vorliegenden Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht und die Kläger genügt nicht für die Darlegung besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2022 - 15 ZB 22.1487 - juris Rn. 15).
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3. Die Rechtssache hat auch nicht die vom Kläger geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
14
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete, noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr eine allgemeine, über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zugemessen wird (vgl. BVerwG, B.v. 22.1.2019 - 5 B 1.19 D - juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 14.4.2022 - 15 ZB 21.2827 - juris Rn. 25). Dem wird das Zulassungsvorbringen hier nicht gerecht, weil schon keine Fragen formuliert werden. Im Übrigen lässt sich dem Zulassungsvorbringen auch hierzu nichts über das zu § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hinaus Dargelegte entnehmen, so dass die Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht erfüllt sind.
15
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Da die Beigeladenen im Zulassungsverfahren keinen die Sache förderlichen Beitrag geleistet haben, entspricht es der Billigkeit, dass diese ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen (§ 162 Abs. 3 VwGO).
16
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
17
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Entscheidung wird das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).