Inhalt

VGH München, Beschluss v. 23.11.2022 – 15 CS 22.2161
Titel:

Erfolgloser Nachbareilantrag gegen eine Baugenehmigung für den Neubau eines Milchviehstalles mit Güllegrube

Normenketten:
VwGO § 146 Abs. 4 S. 1, S. 6, § 152 Abs. 1
TA Luft Nr. 1 Abs. 6 Anh. 7
TA Luft 2002 Nr. 5.4.7.1, Nr. 5.4.9.36
Leitsätze:
1. Die mit landwirtschaftlichen Betrieben einhergehenden Immissionen, insbesondere Tiergeräusche, sind im Außenbereich und im Dorfgebiet regelmäßig grundsätzlich hinzunehmen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Abstandsregelung in Abbildung 1 der Nr. 5.4.7.1 TA Luft 2002 gilt für Geflügel und Schweine, nicht dagegen für Rinder. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarbeschwerde, Milchviehstall und Güllebehälter im Außenbereich, Gebot der Rücksichtnahme, Lärm- und Geruchsbelastung, Nachbarrechtsbehelf, Baugenehmigung, Außenbereich, Milchviehstall, Immissionen, Tiergeräusche, Geruchsbelastung, Abstand zur Wohnbebauung
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 21.09.2022 – RN 6 S 22.1913
Fundstelle:
BeckRS 2022, 36286

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen die Erteilung einer Baugenehmigung des Landratsamts Fr.-Gr. für den Neubau eines Milchviehstalles mit Güllegrube an den Beigeladenen.
2
Der Beigeladene beantragte mit Unterlagen vom 14. Juni 2021 den Neubau eines Milchviehstalles und eines Güllebehälters im nordöstlichen Bereich des Grundstücks FlNr. … Gemarkung N. Mit Schriftsatz vom gleichen Tag widerrief der Antragsteller, Eigentümer des westlich gelegenen, mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks FlNr. … Gemarkung N., seine hierzu erteilte Zustimmung. Beide Grundstücke liegen im bauplanungsrechtlichen Außenbereich.
3
Mit Bescheid vom 23. September 2021 erteilte das Landratsamt Fr.-Gr. dem Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung. Hiergegen erhob der Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg (RN 6 K 21.2085), über die noch nicht entschieden ist.
4
Mit weiterem Schriftsatz vom 2. August 2022 beantragte der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz. Das Landratsamt ergänzte die Baugenehmigung vom 23. September 2021 mit Bescheid vom 5. August 2022 und machte die Betriebsbeschreibung vom 1. September 2021 zum Bestandteil derselben. Den Antrag des Antragstellers auf vorläufigen Rechtsschutz lehnte das Verwaltungsgericht Regensburg mit Beschluss vom 21. September 2022 ab. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass das Bauvorhaben nicht rücksichtslos sei, da von ihm voraussichtlich keine für den Antragsteller unzumutbaren Lärm- oder Geruchseinwirkungen ausgingen.
5
Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde. Er ist der Ansicht, das Bauvorhaben sei rücksichtslos, weil 142 Rinder gemeinsam einen dauerhaften Geräuschpegel verursachten und deshalb der Immissionsrichtwert zur Tag- und Nachtzeit nicht eingehalten werden könne. Außerdem komme es bei seinem nur 69 m entfernten Wohnhaus zu unzumutbaren Geruchsbelästigungen. Die TA Luft sehe bereits bei 50 Großvieheinheiten (GV) einen Mindestabstand von 200 m vor und sei in Umfang und Qualität den vom Verwaltungsgericht herangezogenen Regelwerken vorzuziehen. Ohne Gutachten könne bei einem derart geringen Abstand und 142 Rindern nicht von zumutbarer Geruchsbelastung ausgegangen werden; notwendig sei eine Einzelfallprüfung. Dies treffe auch auf den geringen Abstand des Güllebehälters mit nur 55 m zu, für den der Mindestabstand nach der TA Luft bei 300 m liege. Schließlich habe das Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt, dass Festmist auf die alte Bauernhoffläche transportiert werde, was zu weiterer Geruchsbelästigung führe.
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Der Antragsteller beantragt,
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den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 21. September 2022 abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vom 19. Oktober 2021 gegen den Bescheid des Landratsamts Fr.-Gr. vom 23. September 2021 anzuordnen.
8
Der Antragsgegner beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
10
Die Nebenbestimmung Nr. II.8 des Bescheids vom 23. September 2021 gewährleiste die Einhaltung der Lärmwerte. Die vom Antragsteller genannten Mindestabstände nach der TA Luft seien unzutreffend, da sie sich nicht auf Rinderhaltung bezögen und nur für immissionsschutzrechtlich-genehmigungsbedürftige Anlagen gälten. Es sei zulässig, auf die in der landwirtschaftlichen Praxis entwickelten Regelwerke zurückzugreifen. Danach komme es nicht zu unzumutbaren Geruchsbelästigungen.
11
Der Beigeladene beantragt ebenfalls,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
13
Die Behauptung, 142 Rinder würden einen dauerhaften unzumutbaren Geräuschpegel verursachen, erfolge ins Blaue hinein. Im Übrigen könne der Vortrag des Antragstellers keine Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung begründen.
14
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in beiden Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
15
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben oder abzuändern wäre. Die vorzunehmende Abwägung der gegenseitigen Interessen geht demnach zulasten des Antragstellers aus.
16
1. Soweit der Antragsteller geltend macht, das Bauvorhaben verstoße gegen das Gebot der Rücksichtnahme, weil es offensichtlich sei, dass 142 Rinder einen dauerhaften Geräuschpegel verursachten, der die Einhaltung der Immissionsrichtwerte von 60 dB(A) zur Tagzeit und 45 dB(A) zur Nachtzeit nicht gewährleiste, bleibt die Beschwerde erfolglos.
17
Das Verwaltungsgericht hat darauf abgestellt, dass nach der in der Baugenehmigung enthaltenen Nebenbestimmung Nr. II.8 der Beurteilungspegel durch den Anlagenbetrieb und anlagenbezogenen Fahrverkehr nicht dazu führen dürfe, dass zusammen mit einer Lärmvorbelastung durch Geräusche anderer Anlagen der Immissionsrichtwert von tagsüber 60 dB(A) und nachts 45 dB(A) am maßgeblichen Immissionsort im Dorfgebiet, insbesondere der FlNr. … (Grundstück des Antragstellers) überschritten werde. Es kommt sodann zu dem Ergebnis, dass im Hinblick auf die Entfernung zum Grundstück des Antragstellers sowie der in der Umgebung nach Aktenlage derzeit nicht feststellbaren weiteren emittierenden Anlagen nicht angenommen werden könne, dass die nach der TA Lärm zulässigen Immissionswerte nicht eingehalten werden könnten (BA S. 13). Der bloße Hinweis des Antragstellers auf einen offensichtlich dauerhaften Geräuschpegel von 142 Rindern tritt dem nicht substantiiert entgegen, zumal sich aus der Stellungnahme des Technischen Umweltschutzes beim Landratsamt Fr.-Gr. vom 15. September 2021 ergibt, dass gemäß orientierenden Lärmprognoseberechnungen am nächstgelegenen Immissionsort (Wohnhaus des Antragstellers) die zulässigen Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.1 Buchst. d TA Lärm tagsüber eingehalten werden. Ein Nachtbetrieb findet nicht statt. Unabhängig davon sind die mit landwirtschaftlichen Betrieben einhergehenden Immissionen, insbesondere Tiergeräusche, im Außenbereich und Dorfgebiet regelmäßig grundsätzlich hinzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.2022 - 1 CS 21.2866 - juris Rn. 18; B.v. 23.2.2021 - 15 CS 21.403 - juris Rn. 83).
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2. Dem Beschwerdevorbringen lässt sich auch nicht entnehmen, dass das Bauvorhaben im Hinblick auf unzumutbare Geruchsbelästigungen rücksichtslos wäre.
19
Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht von einer unzumutbaren Geruchsbelastung für den Antragsteller auszugehen sei (BA S. 14 ff.). Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Geruchsbelastung hat das Verwaltungsgericht entsprechend Nr. 1 Abs. 6 Anhang 7 TA Luft 2021 zutreffend auf spezielle landesspezifische Regelungen als Orientierungshilfe zurückgegriffen (vgl. BayVGH, B.v. 4.12.2019 - 15 CS 19.2048 - juris Rn. 24; B.v. 9.6.2021 - 1 ZB 18.2158 - juris Rn. 10). Unter Heranziehung des Abstandsdiagramms der „Abstandsregelung für Rinderhaltung“ des Bayerischen Arbeitskreises „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ vom März 2016 ist das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis gekommen, dass bei einem Abstand von über 44 m - hier 69 m - Belästigungen ausgeschlossen werden können. Das Beschwerdevorbringen vermag mit dem Hinweis auf einen notwendigen Abstand von 200 m bei 50 GV gemäß Abbildung 1 der Nr. 5.4.7.1 TA Luft 2002 dem nichts entgegenzusetzen, weil diese Abstandsregelung für Geflügel und Schweine, nicht dagegen für Rinder gilt. Dies gilt auch für den Hinweis auf einen Mindestabstand von 300 m für den Güllebehälter gem. Nr. 5.4.9.36 TA Luft 2002, da dieser nur für immissionsschutzrechtlich-genehmigungspflichtige Anlagen nach Nr. 7.1 der 4. BImSchV gilt (Nr. 5.4 TA Luft 2002); eine solche Anlage liegt hier jedoch nicht vor. Hinsichtlich des Transports von Festmist vom neuen Milchviehstall zur alten Hofstelle legt das Beschwerdevorbringen nicht dar, dass hiervon im Hinblick auf die tatsächlichen Entfernungen, die Fahrwege und die Art des Transportgutes ein maßgeblicher Geruchsbeitrag zu erwarten wäre.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Da der Beigeladene im Beschwerdeverfahren einen eigenen Antrag gestellt hat und damit auch ein Kostenrisiko übernommen hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es der Billigkeit, dass dieser seine außergerichtlichen Kosten erstattet erhält (§ 162 Abs. 3 VwGO).
21
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5, 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
22
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).