Titel:
Erfolglose Klage gegen einen Planfeststellungsbeschluss nach Landesrecht für den Ausbau einer Staatsstraße wegen Präklusion nach § 6 UmwRG
Normenketten:
VwGO § 42 Abs. 1, § 58 Abs. 1, § 60 Abs. 1, § 87b Abs. 3, § 101 Abs. 2
UmwRG § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, § 6
BayStrWG Art. 40 Abs. 2
FStrG § 17e Abs. 5
Leitsätze:
1. Wird ein Planfeststellungsbeschluss angefochten, so muss sich der Kläger mit diesem als Klagegegenstand auseinandersetzen; eine pauschale Bezugnahme auf im Verwaltungsverfahren erhobene Einwände oder deren Wiederholung ohne Würdigung des Planfeststellungsbeschlusses genügt ebenso wenig wie ein bloßes Bestreiten tatsächlicher Feststellungen der Planung. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Belehrung über die Klagebegründungsfrist nach § 6 UmwRG gehört nicht zum notwenigen Inhalt der Rechtsbehelfsbelehrung nach § 58 Abs. 1 VwGO. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Ermittlung des Sachverhalts "mit geringem Aufwand" gem. § 6 S. 3 UmwRG iVm § 87b Abs. 3 S. 3 VwGO kommt nur in Betracht, wenn die klägerische Beschwer derart auf der Hand liegt, dass sich die Angabe von Klagegründen im Einzelfall als bloße Förmlichkeit erweisen würde. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Planfeststellungsbeschluss, Klagebegründungfrist, Präklusion, Prozessstoff, genügende Entschuldigung, Verschulden, Rechtsmittelbelehrung, unrichtig, irreführend, geringer Aufwand, erstmaliges Vorbringen, Vertiefung
Rechtsmittelinstanz:
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 05.07.2023 – 9 B 8.23
Fundstelle:
BeckRS 2022, 36262
Tenor
I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III.Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.
IV.Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen den Planfeststellungsbeschluss der Regierung von Oberbayern vom 9. August 2021 für den Ausbau der Staatsstraße (St) 20** F* … - P* … … … zwischen W* … und B* … (Baukm 0+000 bis 2+150).
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1. Das Vorhaben umfasst zwei Bauabschnitte: den Neubau einer Ortsumfahrung von P* … (Baukm 0+000 bis 1+290, Bauabschnitt 1) sowie den Ausbau der St 20** zwischen P* … und B* … (Baukm 1+290 bis 2+150, Bauabschnitt 2). Die Planung ist Teil eines Gesamtkonzepts zur Schaffung einer leistungsfähigen Staatsstraßenverbindung zwischen P* … … … und F* … (Bundesautobahn A 8).
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Der Ausbau beginnt am Kreisverkehrsplatz W* … südlich von P* … Von dort schwenkt die St 20** neu in Richtung Osten von der bestehenden Straße ab und umfährt P* … im Osten. Bei ca. Baukm 1+250 kreuzt sie die St 20** alt. Zwischen Baukm 1+250 und Baukm 1+600 wird die Linienführung (Radien) verbessert. Ab ca. Baukm 1+600 erfolgt eine bestandsorientierte Trassierung. Auf Höhe Baukm 2+150 schließt die St 20** neu wieder an den Bestand an. Die Gesamtlänge des Ausbaus zwischen dem Kreisverkehrsplatz W* … und B* … beträgt 2,15 km.
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2. Im 7. Ausbauplan für die Staatsstraßen in Bayern ist der Ausbau der St 20** W* … - P* … (Projekt RO350-07; Länge 4,2 km) in der Dringlichkeitsstufe 2 enthalten. Eine Ortsumfahrung P* … ist dort nicht vorgesehen.
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Der Beklagte hat mit dem beigeladenen Markt P* … … … unter dem 14. bzw. 20. Mai 2019 eine Vereinbarung geschlossen, wonach die Straßenbaulast für den Neubau der Ortsumfahrung P* … nach Erlangung des Baurechts auf den Beigeladenen übertragen wird; im Übrigen liegt die Straßenbaulast beim Beklagten.
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3. Der Kläger ist Eigentümer mehrerer Grundstücke, aus welchen Teilflächen für die Planung beansprucht werden. Die Grundstücke gehören zu seinem landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb als Obstbauer.
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4. Am 24. Juni 2019 beantragte das Staatliche Bauamt Rosenheim als Straßenbaubehörde die Planfeststellung für das Vorhaben. Das Staatliche Bauamt Rosenheim und der Beigeladene haben am 17. Juni 2019 vereinbart (vgl. dort § 2 Nr. 3), dass die Straßenbauverwaltung die Planfeststellung für die gesamte Baumaßnahme beantragt und den Beigeladenen in dem Verfahren vertritt. Die Planunterlagen wurden mit 1. Tektur vom 1. Juli 2020 und 2. Tektur vom 16. Februar 2021 fortgeschrieben.
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5. Der Kläger erhob im Anhörungsverfahren Einwendungen. Der Flächenverbrauch sei enorm. Durch die Inanspruchnahme seiner Grundstücke sei seine Existenz als Obstbauer gefährdet, zumal ihm für eine Straßenerweiterung („Schöllkopf“) weitere Flächen genommen werden sollen. Der Kaufpreis von 10 EUR sei unrealistisch und nicht durch ein Gutachten zum Marktwert belegt. Der Straßenverlauf sei überhöht und mit unschönen Leitplanken versehen. Durch das höhere Bankett werde eine Rampe nötig; bei Starkregen könnten sich Stauseen bilden. Für das Grundstück FlNr. … werde ihm die Zuwegung genommen. Die verwendeten Verkehrszahlen seien zu niedrig angesetzt worden. Das Schallgutachten zweifle er an; im Messbereich „Duft 2“ seien ihm keine Messungen bekannt. Die Planung betrachte isoliert die Situation in P* … und blende andere Orte aus. Das Vorgehen sei undurchsichtig; andere Staatsstraßen (St 20**, St 20**) hätten keine Fuß- und Radwege. Die Eingriffe in die angrenzenden Biotope … und B* … sei unberücksichtigt geblieben. Die Mehrbelastung der Natur durch Lärm und höheres Verkehrsaufkommen sei ungeklärt. Das große Nadelöhr der Strecke in St. S* … werde außer Acht gelassen.
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Am 24. Juni 2021 fand ein Erörterungstermin statt. Der Kläger nahm daran teil, hielt seine Einwendungen aufrecht und ergänzte diese.
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6. Der Plan wurde mit Planfeststellungsbeschluss vom 9. August 2021, dem Kläger zugestellt mit Postzustellungsurkunde am 18. August 2021, festgestellt. Die Einwendungen des Klägers wurden zurückgewiesen (vgl. PFB S. 107 ff. - Einwender …*).
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7. Am 17. September 2021 ließ der Kläger Klage erheben. Der angefochtene Planfeststellungsbeschluss wurde vorgelegt. Die Klagebegründung blieb einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten.
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Mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2021, beim Gericht eingegangen am selben Tag, hat der Kläger die Klage begründet. Er trägt im Wesentlichen vor:
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Die verspätete Klagebegründung nach Ablauf der Zehn-Wochen-Frist des § 6 UmwRG sei zu entschuldigen, weil dem Prozessbevollmächtigten die im Parallelverfahren Az. 8 A 21.40033 beantragte Akteneinsicht erst am 28. Oktober 2021 gewährt worden sei. In der verbleibenden Bearbeitungszeit sei eine Prüfung der Behördenakte mit 3.747 Seiten, Rücksprache mit dem Kläger und Abfassung der 44-seitigen Klagebegründung selbst unter Inanspruchnahme der Wochenenden nicht möglich gewesen. Die Rechtsbehelfsbelehrung im Planfeststellungsbeschluss sei fehlerhaft und in sich widersprüchlich; § 6 UmwRG werde für nicht anwendbar erklärt. Es sei mit geringem Aufwand möglich, den Sachverhalt ohne Mitwirkung des Klägers zu ermitteln. Die Bewältigung des Prozessstoffs falle allein in die Verantwortung des Gerichts. Der Beklagte habe darzulegen, welche Aufklärungsmaßnahmen nicht mit geringem Aufwand und ohne Mitwirkung des Klägers möglich seien. Die Klagebegründung erweise sich als bloße Förmlichkeit, weil der Kläger seine Einwendungen bereits im Verwaltungsverfahren substanziiert und schlüssig vorgetragen habe. Dies sei bei der Ermessensentscheidung des Gerichts über den (Nicht-)Eintritt der Präklusion zu berücksichtigen.
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Der Planfeststellungsbeschluss sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Der Flächenverlust sei für seinen Nebenerwerbsbetrieb als Obstbauer existenzbedrohend; auch bei der Straßenerweiterung für die Zufahrt „Schöllkopf“ müsse er Flächen abtreten. Dem Kläger werde die einzig tatsächlich vorhandene Zufahrt zum Grundstück FlNr. … über die St 20** entzogen. Der gewidmete Feld- und Waldweg im Süden des Grundstücks sei in der Natur nicht mehr vorhanden; es handle sich um Schutzwald bzw. ein Biotop, sodass eine Wiederherstellung ausgeschlossen sei.
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Das Vorhaben sei unzutreffend als Staatsstraße qualifiziert worden. Für eine Bewertung der Quantität der Verkehrsbeziehungen der St 20** fehle eine objektivierbare Grundlage. In welchem Umfang über die St 20** überhaupt überörtlicher Durchgangsverkehr abgewickelt werde, sei dem Verkehrsgutachten nicht zu entnehmen. Eine Herkunfts-Ziel-Verkehrsbefragung sei nie durchgeführt worden. Der Abschnitt der St 20** zwischen der Anschlussstelle (A 8) F* … und P* … habe seine Funktion im überörtlichen Verkehrsnetz verloren; die Autofahrer wichen dort auf die RO … oder die A 8 aus und setzten ihre Reise anschließend über die St 20** fort.
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Die Planrechtfertigung sei nicht gegeben. Gründe der Verkehrssicherheit erforderten die Ortsumfahrung nicht. Der Ausbau führe zu erhöhtem Verkehrsaufkommen; an der Engstelle in St. S* … („Nadelöhr“) sei die Verkehrssicherheit gefährdet. Das Vorhaben sei von der Obersten Straßenbaubehörde als nicht bauwürdig eingestuft wurden; eine Realisierung durch Sonderbaulast auf Kosten des Freistaats sei unzulässig.
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Die Abwägung sei rechtsfehlerhaft erfolgt. Die Abschnittsbildung sei unzulässig. Belange des Klimaschutzes seien rechtsfehlerhaft unberücksichtigt geblieben. Die Planungsbehörde habe verkannt, dass der Trassenverlauf der Ortsumfahrung zu einem erheblichen Eingriff in das landschaftliche Vorbehaltsgebiet führe. Bei der Variantenprüfung sei die „Nullvariante“ in der Grobanalyse zu Unrecht ausgeschieden worden.
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Die Sonderbaulastvereinbarung zwischen dem beigeladenen Markt P* … … … und dem Freistaat Bayern sei teilweise rechtswidrig. Das Vorhaben liege teilweise nicht im Gemeindegebiet des Markts. Gemeinden könnten keine öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen über Gegenstände außerhalb ihres Gemeindegebiets schließen.
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den Planfeststellungsbeschluss der Regierung von Oberbayern vom 9. August 2021 (Az. 4354.32_03-12-2) aufzuheben.
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8. Der Beklagte beantragt,
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Der Kläger sei mit seinem Vorbringen nach § 6 UmwRG präkludiert. Er habe überhaupt keine Akteneinsicht beantragt. Der Antrag im Parallelverfahren Az. 8 A 21.40033 ändere daran nichts; beide Verfahren seien getrennt zu betrachten. Abgesehen davon habe sich der Klägerbevollmächtigte auch in dem Parallelverfahren nicht umgehend Akteneinsicht verschafft; die Aktenübersendung sei überobligatorisch erfolgt.
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Rein vorsorglich verteidigt er den Planfeststellungsbeschluss.
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9. Der Beigeladene stellt keinen Antrag.
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10. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 VwGO), hat keinen Erfolg.
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A. Die Klage ist zulässig. Der Kläger ist insbesondere klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO). Er ist Eigentümer von Grundstücken, die für das planfestgestellte Vorhaben teilweise beansprucht werden und auf die sich die enteignungsrechtliche Vorwirkung des Planfeststellungsbeschlusses nach Art. 40 Abs. 2 BayStrWG erstreckt.
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B. Die Klage ist jedoch unbegründet.
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Der Kläger ist mit seinem Klagevortrag nach § 6 UmwRG präkludiert.
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Nach § 6 Satz 1 UmwRG hat eine Person innerhalb einer Frist von zehn Wochen ab Klageerhebung die zur Begründung ihrer Klage gegen eine Entscheidung im Sinn von § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG dienenden Tatsachen und Beweismittel anzugeben. Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf dieser Frist vorgebracht werden, sind nur zuzulassen, wenn die Verspätung genügend entschuldigt ist (vgl. § 6 Satz 2 UmwRG i.V.m. § 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Ob eine Zulassung verspäteten Vorbringens das Verfahren verzögern wurde, ist unerheblich (vgl. BVerwG, U.v. 27.11.2018 - 9 A 8.17 - BVerwGE 163, 380 = juris Rn. 13). Die Präklusion tritt nicht ein, wenn es mit geringem Aufwand möglich ist, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Klägers zu ermitteln (vgl. § 6 Satz 3 UmwRG i.V.m. § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO).
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1. Der Kläger hat die zehnwöchige Begründungsfrist ab dem Zeitpunkt der Klageerhebung versäumt. Bei dem angefochtenen Planfeststellungsbeschluss zum Ausbau der St 20** handelt es sich um einen Verwaltungsakt nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG (vgl. auch Beier in Zeitler, BayStrWG, Stand September 2021, Art. 37 Rn. 57), mit dem ein Vorhaben unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften im Sinn des § 1 Abs. 4 UmwRG zugelassen wird, das weder UVPpflichtig ist (vgl. Art. 37 BayStrWG) noch einer UVP-Vorprüfung (§ 7 UVPG) bedarf. Die Frist begann mit der Klageerhebung nach § 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO, d.h. mit dem Eingang der Klage am 17. September 2021 zu laufen und endete mit dem 26. November 2021 (vgl. § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB).
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2. Innerhalb dieser Frist hat der Kläger die zur Begründung seiner Klage dienenden Tatsachen und Beweismittel nicht angegeben. Die in der Klage vom 17. September 2021 angekündigte Klagebegründung mit gesonderten Schriftsatz ging beim Verwaltungsgerichtshof erst am 2. Dezember 2021 ein. Damit ist der Kläger seiner Obliegenheit, den Prozessstoff rechtzeitig festzulegen, nicht nachgekommen.
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Der Zweck des § 6 UmwRG besteht darin, zur Straffung des Gerichtsverfahrens beizutragen, indem der Prozessstoff zu einem frühen Zeitpunkt handhabbar gehalten wird (vgl. BT-Drs. 18/12146 S. 16). Schon innerhalb der Begründungsfrist hat der Kläger grundsätzlich den Prozessstoff festzulegen. Für das Gericht und die übrigen Beteiligten soll klar und unverwechselbar feststehen, unter welchen tatsächlichen Gesichtspunkten eine behördliche Entscheidung angegriffen wird, was späteren lediglich vertiefenden Tatsachenvortrag nicht ausschließt (vgl. BVerwG, U.v. 27.11.2018 - 9 A 8.17 - BVerwGE 163, 380 = juris Rn. 14; B.v. 17.8.2022 - 9 B 7.22 - NVwZ-RR 2022, 903 = juris Rn. 11). Zur Fixierung des Verfahrensstoffs muss der Vortrag ein Mindestmaß an Schlüssigkeit und Substanz aufweisen und dem Gericht einen Eindruck von der Sicht des Klägers auf den jeweiligen Tatsachenkomplex verschaffen (vgl. BVerwG, U.v. 9.12.2021 - 4 A 2.20 - NVwZ-RR 2022, 317 = juris Rn. 24; Fellenberg/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand April 2022, § 6 UmwRG Rn. 56 und 61). Der Vertretungszwang gemäß § 67 Abs. 4 VwGO soll dabei eine geordnete und konzentrierte Verfahrensführung sicherstellen (vgl. BVerwG, U.v. 3.11.2020 - 9 A 7.19 - BVerwGE 170, 138 = juris Rn. 17; Steinkühler UPR 2022, 241/247).
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Wird ein Planfeststellungsbeschluss angefochten, so muss sich der Kläger mit diesem als Klagegegenstand auseinandersetzen; eine pauschale Bezugnahme auf im Verwaltungsverfahren erhobene Einwände oder deren Wiederholung ohne Würdigung des Planfeststellungsbeschlusses genügt ebenso wenig wie ein bloßes Bestreiten tatsächlicher Feststellungen der Planung (vgl. BVerwG, U.v. 3.11.2020 - 9 A 7.19 - BVerwGE 177, 138 = juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 16.3.2021 - 8 ZB 20.1873 - BayVBl 2021, 556 = juris Rn. 13; OVG NW, U.v. 10.6.2022 - 20 D 212/20.AK - juris Rn. 40 f.).
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3. Die nach Ablauf der Klagebegründungfrist angegebenen Erklärungen und Beweismittel sind auch nicht deshalb zuzulassen, weil der Kläger die Verspätung genügend entschuldigt hätte (§ 6 Satz 2 UmwRG i.V.m. § 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
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Der gesetzgeberische Wille, den Prozessstoff frühzeitig zu fixieren und Ausnahmen nur aus Gründen der Verhältnismäßigkeit vorzusehen (vgl. BT-Drs. 18/12146 S. 16), spricht dafür, an den Ausnahmetatbestand der „genügenden Entschuldigung“ strenge Anforderungen zu stellen (so Fellenberg/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 6 UmwRG Rn. 78 ff.; Heinze/Wolff, NVwZ 2022, 931/934; deutlich großzügiger: Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 6 UmwRG Rn. 7). Ein pauschaler Verweis auf Umfang oder Komplexität des Verfahrensstoffs genügt nicht; der Kläger muss (atypische) Besonderheiten des Einzelfalls darlegen bzw. glaubhaft machen (§ 6 Satz 3 UmwRG i.V.m. § 87b Abs. 3 Satz 2 VwGO), die eine „genügende Entschuldigung“ rechtfertigen (vgl. Fellenberg/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 6 UmwRG Rn. 81; Marquard, NVwZ 2019, 1162/1166). Wie bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 Abs. 1 VwGO) fehlt es daran, wenn der Kläger diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die für einen gewissenhaften Prozessführenden, der seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnimmt, geboten ist und die ihm nach den Umständen des Einzelfalls zugemutet werden kann (vgl. Bunge, UmwRG, 2. Aufl. 2019, § 6 Rn. 30; BVerwG, B.v. 6.4.2000 - 9 B 50.00 - NVwZ 2000, 1042 = juris Rn. 8 zu § 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten muss er sich zurechnen lassen (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).
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a) Die Versäumung der Klagebegründungsfrist kann der Kläger nicht damit entschuldigen, dass er in dem Parallelverfahren Az. 8 A 21.40033 Akteneinsicht beantragt hat und ihm die Behördenakten erst am 28. Oktober 2021 übersandt wurden.
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aa) Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat im vorliegenden Verfahren keine Akteneinsicht beantragt. Der im Parallelverfahren Az. 8 A 21.40033 im Namen eines anderen Klägers gestellte Antrag entfaltet keine Rechtswirkung für andere Verfahren. „Prozessökonomische Gründe“, die es rechtfertigten, Akteneinsicht (§ 100 VwGO) nur in einem von mehreren - nicht miteinander verbundenen (vgl. § 93 Satz 1 VwGO) - Klageverfahren zu beantragen, sind nicht zu erkennen. Die Antragstellung in einem von mehreren beim selben Gericht anhängigen Klageverfahren mag ausreichen, um tatsächlich Einsicht in die Akten der Planfeststellungsbehörde zu erhalten; diese kann dann auch zur Bearbeitung anderer Verfahren förderlich sein. Will ein Beteiligter aus einer aus seiner Sicht verzögerten Gewährung von Akteneinsicht eine für ihn günstige Rechtsfolge herleiten (hier: genügende Entschuldigung i.S.d. § 6 Satz 2 UmwRG i.V.m. § 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO), bedarf es aber einer Antragstellung in jedem einzelnen Verfahren, in dem sich der Beteiligte auf diese Rechtsfolge beruft.
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bb) Abgesehen davon könnte der Kläger die Versäumung der Frist nach § 6 UmwRG auch nicht damit entschuldigen, dass ihm die Behördenakten im o.g. Parallelverfahren verspätet übersandt worden sind. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Urteilsbegründung im Verfahren Az. 8 A 21.40033 verwiesen (vgl. dort Rn. 38 ff.).
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b) Auch mit dem unzutreffenden Zusatz in der Rechtbehelfsbelehrung des Planfeststellungsbeschlusses, dass „§ 6 UmwRG nicht anzuwenden sei (§ 17e Abs. 5 FStrG)“, kann der Kläger die Versäumung der Klagefrist nicht entschuldigen.
42
aa) Die Belehrung über die Klagebegründungsfrist nach § 6 UmwRG gehört nicht zum notwenigen Inhalt der Rechtsbehelfsbelehrungnach § 58 Abs. 1 VwGO (vgl. BVerwG, U.v. 27.11.2018 - 9 A 8.17 - BVerwGE 163, 380 = juris Rn. 15, vgl. auch BT-Drs. 17/10957 S. 17 zu § 4a UmwRG in der bis 1.6.2017 gültigen Fassung). Eine Belehrung ist aber nicht nur dann „unrichtig“ im Sinn des § 58 Abs. 2 VwGO, wenn sie die in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend geforderten Angaben nicht enthält, sondern auch dann, wenn ihr ein unrichtiger oder irreführender Zusatz beigefügt ist, der objektiv geeignet ist, beim Betroffenen einen Irrtum über die formellen und materiellen Voraussetzungen des Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, diesen überhaupt, rechtzeitig und formgerecht einzulegen (stRspr, vgl. nur BVerwG, U.v. 25.1.2021 - 9 C 8.19 - BVerwGE 171, 194 = juris Rn. 18 m.w.N.). Auf die Frage, ob der zu beanstandende Zusatz tatsächlich einen Irrtum hervorgerufen und dazu geführt hat, dass das Rechtsmittel nicht (wirksam) eingelegt worden ist, kommt es nicht an (vgl. BVerwG, U.v. 25.9.2008 - 7 A 4.07 - NVwZ 2009, 588 = juris Rn. 15; Hoppe in Eyermann, VwGO, § 58 Rn. 18).
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bb) Der Zusatz in der Rechtsbehelfsbelehrung des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses, § 6 UmwRG sei auf die dagegen gerichtete Klage nicht anzuwenden (vgl. PFB S. 111), ist unrichtig im Sinn des § 58 Abs. 2 VwGO. Denn die vorrangige, inhaltlich gleichlautende (vgl. auch BT-Drs. 19/4459 S. 32) Vorschrift des § 17e Abs. 5 FStrG ist auf die Planfeststellung einer Staatsstraße nicht anwendbar.
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Der unrichtige Zusatz war aber nicht objektiv geeignet, potenziellen Klägern die rechtzeitige Klagebegründung zu erschweren. Die Rechtsbehelfsbelehrung gibt den Wortlaut des § 17e Abs. 5 FStrG wieder, der für Bundesstraßen eine inhaltsgleiche Regelung zu § 6 UmwRG i.V.m. § 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 und 3 VwGO enthält (vgl. auch BVerwG, U.v. 27.11.2018 - 9 A 8.17 - BVerwGE 163, 380 = juris Rn. 14). Sie führt die Vorschrift, die Anwendung findet, falsch an (§ 17e Abs. 5 FStrG statt § 6 UmwRG). Dieser Fehler konnte bei Rechtsmittelführern aber die (rechtzeitige und formgerechte) Klagebegründung nicht erschweren; für die Adressaten ist allein der materielle Inhalt der Rechtsbehelfsbelehrung entscheidend und nicht die Rechtsnorm, der dieser Inhalt zu entnehmen ist (vgl. SächsOVG, B.v. 12.1.2010 - 5 B 540/09 - juris Rn. 14; Kluckert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 58 Rn. 69c).
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4. Die Voraussetzungen des § 6 Satz 3 UmwRG i.V.m. § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO liegen nicht vor. Danach tritt die Präklusion nicht ein, wenn es mit geringem Aufwand möglich ist, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Beteiligten zu ermitteln.
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Auch dieser Ausnahmetatbestand ist eng auszulegen. Andernfalls wäre der mit der Klagebegründungsfrist des § 6 UmwRG verfolgte Zweck, den Prozessstoff durch frühzeitige Fixierung und Begrenzung handhabbar zu halten, nicht zu erreichen (vgl. BayVGH, U.v. 25.10.2019 - 8 A 16.40026 - juris Rn. 25; Steinkühler, UPR 2022, 241/248). Die Ermittlung des Sachverhalts „mit geringem Aufwand“ kommt deshalb nur in Betracht, wenn die klägerische Beschwer derart auf der Hand liegt, dass sich die Angabe von Klagegründen im Einzelfall als bloße Förmlichkeit erweisen würde (vgl. BayVGH, B.v. 16.3.2021 - 8 ZB 20.1873 - BayVBl 2021, 556 = juris Rn. 17 f.; OVG NW, B.v. 1.2.2022 - 11 A 2168/20 - ZUR 2022, 500 = juris Rn. 64 f.; OVG Hamburg, U.v. 29.11.2019 - 1 E 23/18 - VRS 137, 281 = juris Rn. 150). Dass diese Voraussetzungen vorlägen, zeigt der Kläger nicht auf und ist auch sonst nicht erkennbar.
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a) Allein der Umstand, dass der Kläger im Anhörungsverfahren Einwendungen erhoben hat (vgl. Schreiben vom 1.9.2019, BA S. 700 ff.; vom 29.9.2020, BA S. 3135 ff. [zur 1. Tektur]) und erörtern ließ (vgl. Niederschrift über den Erörterungstermin am 24.6.2021, BA S. 1412 ff.), führt nicht zu einem geringen Ermittlungsaufwand in diesem Sinn. Anders als im direkten Anwendungsbereich des § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO kommt es nicht darauf an, dass allein das Gericht den Sachverhalt ohne Mitwirkung der Beteiligten ermitteln kann (vgl. Fellenberg/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 6 UmwRG Rn. 84; vgl. auch Wortprotokoll Nr. 18/91 der 91. Sitzung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit S. 5). Die Klageerhebung impliziert auch nicht, dass sämtliche Einwendungen gegen das planfestgestellte Vorhaben, die im Verwaltungsverfahren erhoben wurden, im Klageverfahren aufrechterhalten bleiben sollen; eine solche Unterstellung durch das Gericht wäre spekulativ (vgl. OVG NW, B.v. 1.2.2022 - 11 A 2168/20 - ZUR 2022, 500 = juris Rn. 62 f.). Abgesehen davon stellt ein eigenständiges Durchsuchen umfangreicher Verfahrensakten nach Einwendungen oder anderen Stellungnahmen der Klagepartei regelmäßig keinen Aufwand dar, der als gering i.S.d. § 6 Satz 3 UmwRG i.V.m. § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO anzusehen wäre (vgl. BVerwG, U.v. 18.2.1998 - 11 A 6.97 - NVwZ-RR 1998, 592 = juris Rn. 25; OVG NW, B.v. 1.2.2022 - 11 A 2168/20 - ZUR 2022, 500 = juris Rn. 60 f.; NdsOVG, U.v. 2.9.2020 - 7 KS 17/15 - ZUR 2021, 176 = juris Rn. 142). Dass die Bewältigung des Rechtsstoffs in die Verantwortung des Gerichts fällt (vgl. NdsOVG, B.v. 28.5.2018 - 12 ME 25/18 - NuR 2018, 871 = juris Rn. 27), ändert daran nichts.
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b) Ob der Tatsachenvortrag zur Klagebegründung den bisherigen Vortrag des Klägers im Planfeststellungsverfahren ergänzt oder vertieft, ist damit rechtlich unerheblich. Soweit sich der Kläger auf die Möglichkeit der Vertiefung und Präzisierung des vorherigen Vortrags beruft (zitiert: Fertig in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.10.2022, § 87b Rn. 26), verkennt er, dass dies ein fristgerechtes Vorbringen des jeweiligen Tatsachenkomplexes voraussetzt. Wenn den Anforderungen aus § 6 UmwRG nicht entsprochen wurde, stellt sich späteres Vorbringen nicht als bloße Vertiefung fristgerecht erhobener Einwände, sondern als - verspätetes - erstmaliges Vorbringen dar (vgl. BVerwG, U.v. 3.11.2020 - 9 A 7.19 - BVerwGE 170, 138 = juris Rn. 287).
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Abgesehen davon wurden weite Teile der Klagebegründung vom Kläger im Planfeststellungsverfahren überhaupt nicht thematisiert (z.B. Einstufung als Staats straße; Abweichung vom 7. Ausbauplan für Staatsstraßen; Fehlen einer Herkunft-Ziel-Verkehrsbefragung; Nichtberücksichtigung von Klimaschutzbelangen; Rechtswidrigkeit der Sonderbaulastvereinbarung).
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5. Die innerprozessuale Präklusion nach § 6 Satz 2 UmwRG tritt kraft Gesetzes und als zwingende Rechtsfolge ein und hängt nicht von einer richterlichen Ermessensentscheidung ab (vgl. BT-Drs. 18/12146 S. 16). Auch damit sollen die Gerichte entlastet und die Verfahren gestrafft werden (vgl. auch BT-Plenarprotokoll 18/231 S. 23331).
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C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst, weil er keinen Antrag gestellt hat und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 162 Abs. 3 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO).
52
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.
53
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.