Titel:
Nachbarschutz zugunsten eines Industriebetriebs vor heranrückender Bebauung; Kastenfenster als Maßnahme des aktiven Schallschutzes der heranrückenden Bebauung; Bestimmtheit einer Baugenehmigung trotz fehlendem Abstandsflächenplan
Normenketten:
BauGB § 12, § 30 Abs. 2, § 34 Abs. 1
BauNVO § 15 Abs. 1
BayBO Art. 6
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
Leitsätze:
1. Ist eine Baugenehmigung ergangen, obwohl ein an sich vorzulegender Abstandsflächenplan fehlte, macht dieser Umstand die Baugenehmigung nicht unbestimmt iSv Art. 37 BayVwVfG, wenn den vorgelegten Unterlagen dennoch entnommen werden kann, dass die Anforderungen des Abstandsflächenrechts gegenüber dem nachbarlichen Grundstück unproblematisch eingehalten werden und eine Verletzung von Nachbarrechten eindeutig ausgeschlossen ist. (Rn. 37 – 38) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Nachbarin kann sich als Industriebetrieb auf eine schallschutzrechtliche Bestimmung in einer nachbarlichen Baugenehmigung berufen, wonach der Immissionsrichtwert einen bestimmten Wert einzuhalten hat (hier: 40 dB(A) nachts), soweit von ihr Maßnahmen zur Reduktion ihrer (eigenen) gewerblichen Emissionen deshalb verlangt werden würden, weil es an dem Bauvorhaben zu Überschreitungen der Immissionsrichtwerte kommt. Damit ist ausgeschlossen, dass die Nachbarin nachträglich mit weiteren Schallschutzmaßnahmen zur Reduktion ihrer Immissionen durch die herannahende Wohnbebauung belastet werden würde (keine Verletzung des Rücksichtnahmegebots). (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ist ein in einer Schallschutzauflage gefordertes Kastenfenster vollkommen vergleichbar mit einer hinterlüfteten Schallschutzwand, die vor die Fassade gestellt werden würde, handelt es sich dabei um eine Maßnahme des aktiven Schallschutzes (hier: der maßgebliche Immissionsort wird nicht verschoben). (Rn. 50 – 51) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, Einfügen, Gebot der Rücksichtnahme, aktiver/passiver Lärmschutz, Immissionsort, Schall, Industriebetrieb, heranrückende Wohnbebauung, Bestimmtheit, Baugenehmigung, aktiver Schallschutz, Kastenfenster, Lärm, Auflage, Rücksichtnahmegebot, Immissionsrichtwert, Abstandsflächenrecht
Fundstelle:
BeckRS 2022, 36121
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
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Gegenstand des Verfahrens ist der Baugenehmigungsbescheid der Beklagten vom 28.10.2019, Az.: … sowie der hierzu unter gleichem Aktenzeichen ergangene Ergänzungsbescheid vom 25.03.2022 und die in der mündlichen Verhandlung am 07.07.2022 zu Protokoll erklärten Auflagen. Mit den streitgegenständlichen Bescheiden erteilte die Beklagte die baurechtliche Gestattung zur Errichtung einer Wohnanlage mit gewerblichen Einrichtungen und einer Kindertagesstätte auf den Fl.-Nrn. …, … und …, alle Gemarkung … Im Ergänzungsbescheid wurden die eingereichten Bauvorlagen um Grüneintragungen ergänzt sowie weitere Bedingungen und Auflagen hinsichtlich des Schallschutzes verfügt. In der mündlichen Verhandlung am 07.07.2022 wurden weitere ergänzende Auflagen zu Protokoll des Gerichts verfügt.
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Das Bauvorhaben ist in 5 Baufelder eingeteilt. Im Baufeld 1 soll ein Gebäude für Wohnen/Gewerbe/Kindertagesstätte (Gebäude 1.01) sowie ein Wohngebäude (1.02) erstellt werden. Im Baufeld 2 sollen vier Wohngebäude (2.01 bis 2.04) entstehen. Im Baufeld 3 ist die Erstellung von zwei Wohngebäuden (3.01; 3.03) sowie die Erstellung eines Gebäudes für Wohnen und Boardinghaus (3.02) geplant. Im Baufeld 4 soll ein Gebäude für Wohnen/Seniorenwohnen/Tagespflege für Senioren (4.01; 4.02) erstellt werden sowie ein Wohngebäude (4.03 bis 4.05). Im Baufeld 5 ist die Erstellung einer Hochgarage geplant. Zusätzlich liegt innerhalb der Baufelder 1-3 eine Tiefgarage. Die Baugrundstücke bilden ein zusammenhängendes Gebiet im Süden der Stadt … Das streitgegenständliche Quartier ist im Norden, Süden und Westen durch die …-Straße umfasst, im Osten befindet sich die …-Allee. Nördlich anschließend an die …-Straße verläuft der …bach. Die gesamte Grundstücksfläche der Einzelgrundstücke beträgt ca. 30.546 m².
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Im Südwesten und Westen schließt eine Bebauung an, die vor allem durch Pflegeeinrichtungen und Seniorenwohnheime (…, …) geprägt ist. Südöstlich ist eine Eventhalle mit Minigolfanlage ansässig. Im Norden befindet sich das Betriebsgelände der Klägerin. Östlich der …-Allee befinden sich die Grundstücke einer ehemaligen Papierfabrik sowie eines Recycling-Unternehmens. Das Grundstück der Klägerin liegt nördlich der Vorhabengrundstücke. Derzeit wird dort ein Werk zur Herstellung und Veredelung von Folien für die Verpackungsmittelindustrie betrieben. Das Grundstück der Klägerin liegt im Bereich des Bebauungsplans Nr. 1/4-5.1. Dieser setzt als Art der baulichen Nutzung ein Industriegebiet fest.
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Die genehmigten Planunterlagen sind aus dem vorhabenbezogenen Bebauungsplan Nr. 1/4-10 der Beklagten entwickelt worden. In dessen Geltungsbereich befinden sich die einzelnen Grundstücke. Der vorhabenbezogene Bebauungs- und Grünordnungsplan Nr. 1/4-10 der Beklagten wurde in der Sitzung des Stadtrates der Beklagten am 23.07.2019 in der Fassung vom 02.04.2019 erstmals beschlossen. Am 22.02.2022 hat der Stadtrat der Beklagten den Bebauungsplan erneut in der Fassung vom 02.04.2019 beschlossen. Er wurde am 04.03.2022 durch den Oberbürgermeister der Beklagten ausgefertigt. Er wurde im Amtsblatt Nr. … vom …2022 der Beklagten, dort S. 12, bekanntgemacht.
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Zur Lösung des Lärmkonflikts zwischen dem Betrieb der Klägerin und den geplanten schutzbedürftigen Nutzungen wurden an das Vorhaben zahlreiche schallschutzbezogene Auflagen und Bedingungen gestellt:
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Ergänzend und teilweise abändernd zu den Auflagen und Bedingungen im Bescheid vom 28.10.2019 werden im 1. Ergänzungsbescheid vom 25.03.2022 weitere Bedingungen und Auflagen an das streitgegenständliche Vorhaben gestellt. Insbesondere darf danach die Nutzung der Gebäude der Blockrandbebauung Nr. 1.01, 4.01, 4.02, 4.03, 4.04, 4.05 und 3.02 erst aufgenommen werden, wenn sämtliche, zur lärmabschirmenden Blockrandbebauung im Westen, Norden und Osten gehörende Gebäude Nr. 1.01, 4.01, 4.02, 4.03, 4.04, 4.05, 3.02, das Parkhaus (Hochgarage) und die an der Ost- und an der Westseite des Gesamtareals geplanten Lärmschutzwände vollständig errichtet sind. Weiter wird im Bescheid vom 20.03.2022 geregelt, dass abweichend von den Ziffern 12a) und 12b) des Bescheides vom 28.10.2019 Lüftungsklappen an Kastenfenstern an der jeweils lärmabgewandten Seite zulässig sind. Diese Kastenfenster sind in die Grundrisse der Planunterlagen grün eingetragen. In der textlichen Beschreibung zum Grüneintrag GE01 wird geregelt, dass die Kastenfenster derart gestaltet sind, dass zwischen der inneren und der äußeren Fensterscheibe ein Abstand von 60 cm besteht. An der lärmabgewandten Seite erhalten die Kastenfenster einen Lüftungsflügel gem. dem Schallimmissionsschutzgutachten, P. 4.1.2 b. Dort wird geregelt, dass der Schalldämmwert der Konstruktion mindestens 10 db(A) im funktionsfertig eingebauten Zustand erreichen soll. Weiter wird im Grüneintrag GE16 beschrieben, dass Lärmschutzbalkone nun im Grüneintrag in den Planunterlagen mit zwei vollflächig geschlossenen vertikalen Seiten dargestellt sind. Weiter wird geregelt, dass an Fenstern und Balkonen, an denen der Immissionsrichtwert für ein allgemeines Wohngebiet nicht überschritten wird, öffenbare Fenster und Balkone zulässig sind. Weiter wird im Bescheid vom 25.03.2022 darauf hingewiesen, dass zur Sicherstellung der Auflagen in Ziffer 12b des Bescheides vom 28.10.2019 und zur Einhaltung der Festsetzungen des zugrundeliegenden vorhabenbezogenen Bebauungsplans Nr. 1/4-10 der Beklagten in den genehmigten Planunterlagen Änderungen mit grünem Eintrag erfolgt sind.
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Aus den Planunterlagen zum ursprünglichen Genehmigungsbescheid vom 28.10.2022 ergibt sich hinsichtlich des geplanten Boardinghouses, dass dieses im 3., 4. und 5. Obergeschoss des Hauses Nr. 3.2 verwirklicht werden soll. Insgesamt umfasst es 70 einzelne Apartments, die jeweils aus einem Wohn- und Schlafraum bestehen. Hinzu kommt jeweils ein Bad sowie eine eigene Kochnische. Im 5. Obergeschoss ist ein Speiseraum mit ca. 100 qm und eine Küche mit ca. 14,80 qm sowie ein Thekenbereich mit 10,8 qm vorgesehen. Eine Erschließung der Stockwerke erfolgt über jeweils zwei Treppenhäuser und Aufzüge, die bis in die unter dem Boardinghouse liegende Tiefgarage reichen. In den Fluren sind jeweils einzelne Aufenthaltsbereiche eingezeichnet.
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Die Klägerin ließ mit Schriftsatz vom 29.04.2022, eingegangen beim Verwaltungsgericht am darauffolgenden Tag, zuletzt den Antrag stellen:
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Der Baugenehmigungsbescheid der Stadt … vom 28.10.2019, Bauantragsnummer …, sowie der Ergänzungsbescheid der Stadt … vom 25.03.2022, Bauantragsnummer … (Tektur; 1. Ergänzung vom 25.03.2022), werden aufgehoben.
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Die Klägerin ist der Ansicht, dass die streitgegenständliche Baugenehmigung rechtswidrig ist und sie in subjektiven Rechten verletzt. So sei im Hinblick auf die nördlich und östlich bereits an das Betriebsgrundstück angrenzende Wohnnutzung die Mehrzahl der lärmintensiven Nutzungen und Tätigkeiten nach Süden zur bisherigen Sportplatzfläche, dem Vorhabengebiet, hin ausgerichtet. Die Klägerin hätte im Rahmen des Aufstellungsverfahrens mehrfach Einwendungen erhoben und im Wesentlichen gerügt, dass das Nebeneinander eines Wohngebiets und eines Industriegebiets gegen den Trennungsgrundsatz verstoße, zu nicht lösbaren Immissionskonflikten führe und abwägungsfehlerhaft sei.
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Es sei insbesondere nicht ersichtlich, dass die Einhaltung der Immissionsrichtwerte durch ein Gutachten nachgewiesen worden sei. Zugrunde liege der streitgegenständlichen Baugenehmigung das Gutachten vom 02.04.2019 der …-Ingenieure. Gemäß diesem Gutachten müsse die Schalldämmung der Konstruktion der Kastenfenster mindestens 10 dB (A) im funktionsfertig eingebauten Zustand betragen. Gleiches gelte für die Umfassungsbauteile der Schallschutzbalkone. Diese müssten zudem unten und oben geschlossen ausgeführt werden. Empfohlen werde zusätzlich, die Innenseite der „Deckel“ schallabsorbierend zu verkleiden. Diesen Vorgaben entspreche die jetzige Planung nicht. Weder aus den Eingabeplänen noch aus den Bescheiden seien die vorgenannten Regelungen aus dem Schallschutzgutachten ersichtlich bzw. als Auflage festgesetzt. Die genehmigte Bauausführung entspreche somit nicht den Rechenansätzen aus dem Schallschutzgutachten mit der Folge, dass ein gutachterlicher Nachweis der Einhaltung der Immissionsgrenzwerte bisher nicht vorliege. Im Ergebnis seien die genehmigten, teilweise öffenbaren Kastenfenster und Schallschutzbalkone nicht geeignet, die Einhaltung der Immissionsrichtwerte sicherzustellen.
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Auch seien die der Baugenehmigung zugrundeliegenden Bauvorlagen unvollständig und unbestimmt. Die der Baugenehmigung zugrundeliegenden Pläne müssten aus sich heraus vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei sein, anderenfalls führe dies zur Fehlerhaftigkeit der Baugenehmigung. Nachbarrechte seien dann verletzt, wenn in Folge der Unbestimmtheit einer Baugenehmigung bzw. der Bauvorlagen der Gegenstand und der Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und deshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass das genehmigte Vorhaben gegen nachbarschützendes Recht verstößt. Nach der Bauvorlagenverordnung gehöre zu den Bauvorlagen die Darstellung der Abstände der geplanten baulichen Anlage zu anderen baulichen Anlagen auf dem Baugrundstück und auf den benachbarten Grundstücken, zu den Nachbargrenzen sowie die Darstellung der Abstandsflächen der geplanten baulichen Anlagen und der bestehenden Anlagen auf dem Baugrundstück und den Nachbargrundstücken. Eine Darstellung der Abstandsflächen sei in den Bauvorlagen nicht ersichtlich. Nachdem in den Grundrissplänen auch die Grundstücksgrenzen nicht dargestellt und vermaßt seien, ließen sich die von den Gebäuden ausgelösten Abstandsflächen auch nicht aus den Grundrissplänen ermitteln. Weiter sei im Erdgeschossgrundriss des Gebäudes WA 1.01 anschließend an die Bäckerei/Café eine Terrasse mit Bestuhlung dargestellt. Weder aus der Baubeschreibung noch aus dem Grundrissplan selbst sei erkennbar, ob und ggf. innerhalb welcher Zeiten dieser Bereich als Freischankfläche genutzt werde. Gleiches gelte auch hinsichtlich des genehmigten Boardinghouse im Baufeld 3. Aus den Antragsunterlagen zur Baugenehmigung lasse sich lediglich entnehmen, dass hier ein Beherbergungsbetrieb mit 70 Zimmern zur Genehmigung beantragt worden sei. Eine gesonderte Betriebsbeschreibung zum genehmigten Beherbergungsbetrieb sei nicht ersichtlich. Weder den Bauvorlagen noch der Genehmigung seien die für einen Beherbergungsbetrieb wesentlichen Kenndaten zu entnehmen, wie beispielsweise die täglichen Öffnungs-/Rezeptionszeiten, Anlieferverkehr durch Lieferfahrzeuge, Anzahl des Personals, Angebot von hoteltypischen Nebenleistungen und anderes mehr. Ohne Kenntnis der konkreten Betriebsform, des konkreten Betriebsablaufs und des durch den Betrieb ggf. ausgelösten Fahr- und Anlieferverkehrs lasse sich auch hier nicht ermitteln, in welchem Umfang diese gewerbliche Nutzung zu Lärmimmissionen im Baugebiet und zu Belästigungen der übrigen Bewohner führen könne, mit der Folge, dass ein entsprechender Immissionsbeitrag in der schalltechnischen Beurteilung hätte mitberücksichtigt werden müssen.
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Eine Verletzung der Rechte der Klägerin ergebe sich vorliegend weiter aus dem in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauGB verankerten Rücksichtnahmegebot. Das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme sei unabhängig davon zu beachten, nach welcher Vorschrift das Bauvorhaben der Beigeladenen bauplanungsrechtlich zu beurteilen ist. Das Vorhaben lasse die gebotene Rücksicht auf die Bebauung und den Industriebetrieb auf dem klägerischen Grundstück vermissen. Die in der Baugenehmigung enthaltenen Auflagen seien nicht geeignet, einen Eingriff in den Gewerbetrieb der Klägerin zu verhindern. Ihre Einhaltung sei zudem unrealistisch. Der Betrieb der Klägerin, die östlich an das Vorhabengrundstück angrenzenden gewerblichen Nutzungen wie auch die Bundesstraße führten zu einem erheblichen Lärmeintrag auf das Vorhabengrundstück. Insbesondere im Nachtzeitraum komme es zu Überschreitungen der Immissionsrichtwerte der TA-Lärm, teilweise in erheblichem Umfang. Hierzu fänden sich auch Ausführungen in der Begründung zum Bebauungsplan, dort auf S. 74. Die in der streitgegenständlichen Baugenehmigung enthaltenen Auflagen zum Schallschutz stellten ein Minus zu den im Bebauungsplan festgesetzten Schallschutzmaßnahmen dar und verwiesen teilweise auf die Festsetzungen des Bebauungsplanes. Sie stellten im Ergebnis keinen ausreichenden Schutz des klägerischen Betriebs vor strengeren Auflagen und Anforderungen nach dem BImSchG dar, auch und gerade vor dem Hintergrund, dass selbst bei Umsetzung der Schallschutzmaßnahmen aus dem Bebauungsplan und Teilbereichen des Baugebiets zur Nachtzeit auch der für Mischgebiete geltende Immissionsrichtwert noch überschritten werde.
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Auch verstoße die Baugenehmigung gegen das Rücksichtnahmegebot, wenn diese nach § 34 BauGB zu beurteilen wäre. Unabhängig von der Auflage in Ziff. 12b der Baugenehmigung seien Immissionsorte vorhanden, an denen die Grenzwerte der TA Lärm überschritten würden. Dies habe zur Folge, dass die Klägerin mit Lärmschutzauflagen zu rechnen hätte. Die bestehenden Bedenken könnten auch nicht durch die nun erfolgten Änderungen im 1. Ergänzungsbescheid vom 25.03.2022 beseitigt werden. So sei es zweifelhaft, ob der Einbau der teilweise öffenbaren Kastenfenster dazu führe, dass an den betreffenden Fenstern keine Immissionsorte mehr vorlägen bzw. die Immissionsrichtwerte entsprechend der Vorgaben des Bebauungsplanes in Verbindung mit der TA Lärm eingehalten würden. Soweit erkennbar sei die Frage, ob teilweise öffenbare Kastenfenster ein taugliches Mittel der Konfliktbewältigung darstellen könnten, bisher höchstrichterlich nicht geklärt. Dies habe zur Folge, dass die Klägerin damit rechnen müsse, dass in einem späteren Streitfall diese Frage zu Ihren Lasten entschieden wird. Auch werde die zu den „Hamburger Fenstern“ ergangene Entscheidung des VG Hamburg (VG Hamburg, B. v. 06.09.2012 - 7 E 1236/12 - juris) in der Kommentarliteratur kritisch gesehen. Dass die Festsetzung passiver Schallschutzmaßnahmen auch im Anwendungsbereich der TA-Lärm zulässig ist, sei in Anbetracht der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.11.2012 fraglich. Die Zulassung von teilweise öffenbaren Kastenfenstern verstoße daher gegen das Gebot der Rücksichtnahme, da diese Fenster gerade nicht sicherstellten, dass kein zu berücksichtigender Immissionsort vorliege und die Immissionsrichtwerte entsprechend den Vorgaben der TA-Lärm eingehalten würden.
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Mit Schriftsatz vom 10.12.2019, eingegangen beim Verwaltungsgericht am gleichen Tag, beantragt die Beklagte:
Die Klage wird abgewiesen.
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Die Baugenehmigung verletze die Klägerin nicht in subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt. Die Drittanfechtungsklage der Klägerin sei daher unbegründet. Die Anfechtungsklage eines Dritten gegen eine Baugenehmigung könne nur dann Erfolg haben, wenn die Baugenehmigung Vorschriften verletzt, die dem Schutz des Dritten zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend finde auch im vorliegenden Verfahren keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt.
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Das streitgegenständliche Bauvorhaben sei bauplanungsrechtlich gemäß § 30 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 12 BauGB zulässig. Es liege im Geltungsbereich des vorhabenbezogenen Bebauungsplans Nr. 1/4-10 der Beklagten. Anhaltspunkte für die Unwirksamkeit des Bebauungsplanes insbesondere im Hinblick auf einzelne drittschutzvermittelnde Bebauungsplanfestsetzungen seien - entgegen der Einlassungen der Klägerin - nicht ersichtlich. Eine Verletzung nachbarschützender Belange sei im Hinblick auf die Festsetzungen des Bebauungsplans zur Abweichung von den in Art. 6 Abs. 5 Satz 1 und 2 BayBO vorgeschriebenen Abstandsflächentiefen nicht gegeben. Entgegen dem Vorbringen der Klägerin sei die Baugenehmigung in nachbarrechtlicher Hinsicht in Bezug auf die zugrundeliegenden Bauvorlagen nicht unbestimmt. Die Abstände der geplanten baulichen Anlagen auf dem Baugrundstück und zu den nördlich vorhandenen Grundstücken sei aus den Bauvorlagen ohne weiteres ermittelbar. Eine zentimeterscharfe Darstellung der Abstandsflächen komme hier gerade im Hinblick auf die Festsetzung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans und des Vorhaben- und Erschließungsplans nicht in Betracht. Die Bauvorlagen entsprächen den zeichnerischen Festsetzungen des vorhabenbezogenen Bebauungsplans zu den überbaubaren Grundstücksflächen und den Festsetzungen zur Höhe und Zahl der Vollgeschosse.
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Weiter weise die Klägerin ihrer Klagebegründung auf S. 16 selbst darauf hin, dass das genehmigte Gebäude 1 für eine Bäckerei/Café mit Freischankfläche am Südende des Plangebiets zum Liegen komme und es insoweit zu keinen Lärmbeeinträchtigungen der Klägerin komme. Gleiches gelte selbstverständlich auch für das genehmigte Boardinghouse im östlichen Baufeld 3. Eine Nachbarrechtsbetroffenheit der Klägerin auch unter dem Blickwinkel eines Verstoßes gegen das Gebot der Rücksichtnahme durch „unzumutbare Lärmbeeinträchtigungen“ für die eigenen gewerblichen Nutzungen sei deshalb nicht im Ansatz erkennbar.
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Die Baugenehmigung verstoße auch nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Vorhaben im Geltungsbereich eines Bebauungsplans müssten grundsätzlich auch den Anforderungen des in § 15 Abs. 1 BauNVO normierten Rücksichtnahmegebots entsprechen.
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Die angefochtene Baugenehmigung, die das Lärmschutzkonzept des vorhabenbezogenen Bebauungsplans vollziehe und geringfügig konkretisiere, verletze unter keinerlei Gesichtspunkten das in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO enthaltene Gebot der Rücksichtnahme. Die Bauantragsunterlagen und Bauvorlagen seien aus dem Vorhaben- und Erschließungsplan entwickelt, lediglich im Hinblick auf einzelne Details der Objektplanung, wie dem Einbau mechanischer Lüftungsanlagen, seien durch die Baugenehmigungsbehörde noch Detailfestlegungen erfolgt. Somit sei unter keinerlei Gesichtspunkten ersichtlich, dass die dem Schutz der genehmigten Wohnbebauung dienenden schallschutztechnischen Auflagen unter dem Blickwinkel des Rücksichtnahmegebots zu einer Verletzung der Klägerin führen. Die Klägerin würden bereits verkennen, dass die schallschutzbezogenen Festsetzungen des vorhabenbezogenen Bebauungsplans und die diese perpetuierenden Auflagen der angefochtenen Baugenehmigung vielmehr sicherstellten, dass die heranrückende Wohnnutzung auch unter Berücksichtigung der vorhandenen und auch künftig zulässigen Immissionen der Klägerin möglich ist.
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Dies gelte erst recht angesichts der weiteren Auflagen und Bedingungen im Bescheid vom 25.03.2022. Hierdurch würde sichergestellt werden, dass im Bereich der Gebäudefassaden der geplanten Wohnbebauung, an denen die für ein allgemeines Wohngebiet relevanten Immissionsrichtwerte überschritten würden, keine Immissionsorte entstünden. Maßgeblich für eine mögliche Rechtsbeeinträchtigung der Klägerin sei vorliegend ausschließlich die Regelungen des Ergänzungsbescheids vom 25.03.2022. Dieser setze alle Anforderungen aus Ziffer 7.3 der textlichen Festsetzungen des vorhabenbezogenen Bebauungsplans um. Dabei stehe außer Zweifel, dass Ziffer 7.3 a.E. der textlichen Festsetzungen des vorhabenbezogenen Bebauungsplans eine hinreichend bestimmte Grundlage für die Zulassung von geschlossenen Kastenfenstern und Schallschutzbalkonen bilde. Die Geeignetheit dieser Lärmschutzmaßnahmen sei bereits im Rahmen des Schallimmissionsschutzgutachtens vom 02.04.2019 nachgewiesen, dort Ziffer 4.1.2.
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Zudem sei weiter darauf hinzuweisen, dass auch bei einer Beurteilung der Baugenehmigung nach den Planersatznormen der §§ 34, 35 BauGB eine Anfechtungsklage nur Erfolg haben könne, soweit Vorschriften verletzt sind, die dazu dienten, die Klägerin selbst zu schützen. Insoweit könne sich die Klägerin auch dann nicht auf eine Verletzung des Gebots der nachbarlichen Rücksichtnahme berufen. Die schallschutztechnischen Auflagen in Ziffern 8. bis 12. der angefochtenen Baugenehmigung berücksichtigten, dass für die Betriebsflächen der Klägerin in dem festgesetzten Industriegebiet die maximal zulässige Immissionsbelastung von 70 dB(A) tags und 70 dB(A) nachts ausgeschöpft würde. In Bezug auf die Beigeladenen würden daher in der Baugenehmigung umfassende Schallschutzmaßnahmen geregelt, um sicherzustellen, das im Bereich des Vorhabens der Beigeladenen die Immissionsrichtwerte eines Allgemeinen Wohngebiets von 40 dB(A) eingehalten werden. Insbesondere die Auflage 12. im ursprünglichen Genehmigungsbescheid stelle zusammen mit den Regelungen im Ergänzungsbescheid sicher, dass für das Vorhaben der Beigeladenen innerhalb des Plangebiets keine Immissionsorte i.S.d. TA Lärm an schutzbedürftigen Räumen und öffenbare Fenster geschaffen werden dürfen. Die Auflage 12b lasse den Einbau von zu öffnenden Fenstern nämlich nur in den jeweiligen Fassadenbereichen zu, bei denen für den Nachtzeitraum die Immissionsrichtwerte für ein Allgemeines Wohngebiet nicht überschritten werden.
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Weiter regele die Ziff. 6 der textlichen Festsetzungen des vorhabenbezogenen Bebauungsplanes die Zulässigkeit der Vorhaben im Sinne einer Baureihenfolge. Eine derartig bedingte Festsetzung sei bei einem vorhabenbezogenen Bebauungsplan im Hinblick auf § 12 Abs. 3 Satz 1 BauGB ohne Weiteres zulässig. Die bedinge Festsetzung des Bebauungsplanes werde dementsprechend in der angefochtenen Baugenehmigung als Bedingung übernommen. Zusätzlich erfolge eine Absicherung der Bedingung im Durchführungsvertrag zwischen der Beklagten und der Beigeladenen in Abschnitt B Teil II § 4 Abs. 1 Nr. 1. Die Beigeladene habe sich als Vorhabenträger im Durchführungsvertrag verpflichtet, das konkrete Bauvorhaben auf der Grundlage des hier mit der Beklagten abgestimmten Vorhaben- und Erschließungsplans gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB insgesamt zu realisieren. Der Durchführungsvertrag zwischen der Beklagten und der Beigeladenen bilde dabei die „Klammer“ zwischen dem Vorhaben- und Erschließungsplan und der Satzung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans.
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Mit Schriftsatz vom 30.07.2020, eingegangen beim Verwaltungsgericht am 03.08.2020, beantragt die Beigeladene durch ihren ehemaligen Bevollmächtigten,
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Zur Begründung lässt sie im Wesentlichen vortragen, dass das geplante Projekt verdeutliche, dass Gewerbe und Wohnen ohne Konflikte nebeneinander entwickelt werden könnten. Das Projekt sei mit großer Sorgfalt geplant worden. Aus den Ausführungen der Klägerin ergebe sich insgesamt nicht, dass die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung rechtswidrig ist und sie in ihren Rechten verletzt ist.
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Soweit die von der Klägerin angesprochenen bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen auch bauplanungsrechtlich relevant sind, gehe es nach ihrem Vortrag vorwiegend um den Konflikt zwischen der auf ihrem Grundstück stattfindenden immissionsrelevanten Nutzung einerseits und der immissionsempfindlichen Nutzung auf den Bauflächen der Beigeladenen andererseits. Maßgeblich sei daher allein das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot. Dies sei für Vorhaben im Geltungsbereich eines Bebauungsplans in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO geregelt. Für Vorhaben im unbeplanten Innenbereich ergebe sich das Gebot der Rücksichtnahme aus dem Kriterium des Einfügens in § 34 Abs. 1 BauGB. Für Vorhaben im Außenbereich sei es in § 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB verankert. Daher könne vorliegend im Hinblick auf das Baunachbarrecht offenbleiben, ob gemäß den Ausführungen der Klägerin der Bebauungsplan „…“ unwirksam ist oder ob er, wovon die Beigeladene ausgehe, wirksam ist. Denn selbst wenn man die Richtigkeit der Auffassung der Klägerin unterstellt, könnten sie nicht mehr verlangen, als die Wahrung des Gebots der wechselseitigen Rücksichtnahme. Dies gelte unabhängig davon, welchen rechtlichen Anknüpfungspunkt man dafür wählt.
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Im Weiteren werde in der Klagebegründung die vermeintliche Unvollständigkeit und Unbestimmtheit der Bauvorlagen geltend gemacht. Zwar betreffe das Abstandsflächenrecht nach Art. 6 BayBO nachbarrechtlich relevante Aspekte, jedoch sei hier ohne Weiteres feststellbar, dass die entsprechenden Anforderungen gegenüber den Grundstücksflächen der Klägerin eingehalten sind. Die im nördlichen Teil des Plangebiets genehmigten Baukörper hätten eine als zwingend festgesetzte und so auch genehmigte Gebäudehöhe von 21 m (Gebäuderiegel WA 4.01 und SO Hochgarage). Der Bebauungsplan setze ergänzend auf der Grundlage von Art. 6 Abs. 5 Satz 3 BayBO in der bis zum 31.01.2020 geltenden Fassung ein einzuhaltendes Abstandsmaß von 0,5 H fest. Die einzuhaltende Abstandsfläche müsse in diesem Umfang gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO auf dem Baugrundstück selbst liegen, könne dafür jedoch ergänzend gemäß Satz 2 der Regelung auch öffentliche Verkehrs-, Grün- und Wasserflächen in Anspruch nehmen, dies jedoch nur bis zu deren Mitte. Aufgrund der Gebäudehöhe von 21 m und des nach den Bebauungsplanfestsetzungen einzuhaltenden Abstandsmaß von 0,5 H betrage die durch das Vorhaben der Beigeladenen in Richtung Norden, also in Richtung auf die Grundstücke der Klägerin, einzuhaltende Abstandsfläche 10,5 m. Unterstelle man vorsorglich, dass, wie von der Klägerin behauptet, der für die Vorhabenfläche maßgebliche Bebauungsplan „…“ unwirksam sei, so wäre die seit dem 01.02.2021 geltende Fassung des Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO maßgeblich. Dies gelte insbesondere auch für eine Baunachbarklage, bei der nachträglichen Änderungen zu Gunsten des Bauherrn berücksichtigt werden müssten. Entscheidend sei daher bei Änderungen zu Gunsten des Bauherrn die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Danach werde hier sogar nur ein Abstandsmaß von 0,4 H ausreichend.
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Selbst wenn man im Übrigen den Bebauungsplan „…“ außer Betracht lasse und zudem die am 31.01.2021 außer Kraft getretene alte Fassung der Landesbauordnung anwendet, liege keine Abstandsflächenüberschreitung vor. In diesem Falle wäre gemäß Art. 6 Abs. 5 BayBO a.F. eine Abstandsfläche von 1 H einzuhalten, also von 21 m. Insoweit sei auf eine Berechnung der … zu verweisen. Danach erreiche die durch das genehmigte Vorhaben ausgelöste Abstandsfläche in Richtung Norden selbst bei einem unterstellten Abstandsmaß von 1 H (21 m) maximal bis zur Mitte des zwischen dem … und dem Grundstück der Klägerin liegenden …bachs, also einer öffentlichen Wasserfläche im Sinne des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayBO. Die gegenüber den Grundstücken der Klägerin zu wahrende Abstandsfläche sei damit in jedem Fall gewahrt. Dabei komme im Übrigen noch hinzu, dass sich deren Betriebsfläche in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Industriegebiet befänden (Bebauungsplan Nr. 1/4-5.1) und daher in Richtung zum … ihrerseits nur ein Abstandsmaß von 0,2 H einhalten müssten. Selbst nach der am 31.01.2020 außer Kraft getretenen alten Fassung der BayBO wäre ein Abstandsmaß von 0,25 H ausreichend.
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In Bezug auf die vermeintliche Unbestimmtheit der Baugenehmigung werde weiter geltend gemacht, dass zu den Teilvorhaben Bäckerei/Café und Boardinghouse des Gesamtvorhabens keine ausreichende Immissionsprognose erstellt worden sei. Dem müsse im Hinblick auf den Nachbarschutz schon deshalb nicht weiter nachgegangen werden, weil sich die Klägerin nicht auf etwaige Nachbarrechte Dritter berufen könnten. Dass der Gewerbebetrieb der Klägerin, der in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Industriebetrieb liegt, selbst nicht durch die Geräuschimmissionen einer Bäckerei bzw. eines Cafés mit Terrasse oder eines Boardinghouse unzumutbar beeinträchtigt werde, sei offensichtlich.
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Weiter verstoße das Vorhaben der Beigeladenen nicht gegen das Gebot der nachbarlichen Rücksichtnahme. Die Klägerin könne sich nur insoweit auf das Gebot der nachbarlichen Rücksichtnahme berufen, soweit es um ihre eigenen Rechte und Interessen gehe. Soweit sie sich auf Interessen zukünftiger Bewohner in der Nachbarschaft berufe, etwa im Hinblick auf die in der Baugenehmigung teilweise ausgeschlossene Nutzung von Balkonen oder Fragen des Wohnkomforts, sei dies für den Nachbarschutz der Klägerin von vorneherein irrelevant. Ein neu hinzukommendes Vorhaben könne gegenüber einem bestehenden Gewerbebetrieb unzulässig sein, wenn es sich um unzumutbare Belästigungen oder Störungen durch den Betrieb aussetzt. Dem Gebot der nachbarlichen Rücksichtnahme werde dann hinreichend Rechnung getragen, wenn die heranrückende Wohnbebauung nur solchen Gewerbeimmissionen ausgesetzt ist, die mit der das Gebot der nachbarlichen Rücksichtnahme konkretisierenden TA-Lärm im Einklang stünden. Dies gelte zum einen für eine Lösung von Lärmkonflikten in einem Bebauungsplan, so wie sie hier durch die Lärmschutzfestsetzungen im Bebauungsplan … erfolgt sei. Aber auch dann, wenn ein Bebauungsplan keine derartige Konfliktlösung durch Schallschutzmaßnahmen vorsieht, werde das Gebot der nachbarlichen Rücksichtnahme gewahrt, wenn die Baugenehmigung für die heranrückende Wohnbebauung den Anforderungen der TA-Lärm so Rechnung trägt, dass sich die neu hinzukommende Wohnbebauung keinen unzumutbaren Gewerbelärmimmissionen durch den Bestandsbetrieb aussetzt. Dies sei hier nicht der Fall.
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Es würden nicht nur die maßgeblichen Grenzwerte eingehalten, ferner komme hinzu, dass eine Auswertung der Betriebsgenehmigungen für die im Bestand vorhandenen Anlagen der Klägerin und die durchgeführten Dauerschallmessungen selbst unter Einbeziehung der anderen, auf das Plangebiet einwirkenden Gewerbelärmquellen deutlich geringere Werte ergeben hätten, als die getroffenen Annahmen im Schallschutzgutachten. Die getroffenen Annahmen würden bei weitem nicht ausgenutzt werden. Die dem Bebauungsplan und der angegriffenen Baugenehmigung im Hinblick auf die betriebliche Tätigkeit der Klägerin zugrunde gelegten Eingangsdaten seien mehr als konservativ und lägen dementsprechend auf der sicheren Seite. Sie führten zugleich dazu, dass auch die daran anknüpfenden Schallschutzmaßnahmen eher überdimensioniert seien.
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Die Schallschutzmaßnahmen an dem Vorhaben der Beigeladenen seien so ausgelegt, dass an den maßgeblichen Immissionsorten im Sinne der TA-Lärm (0,5 m vor der Mitte des geöffneten Fensters, siehe Ziff. A.1.3.a des Anhangs 1 zur TA-Lärm) die nach Nr. 6.1 der TA-Lärm maßgeblichen Werte für ein allgemeines Wohngebiet eingehalten sein müssen. An den Fenstern, an denen dies nicht der Fall sei, dürften keine Immissionsorte im Sinne der TA-Lärm entstehen. Öffenbare Fenster seien daher dort ausgeschlossen oder aber es sind Fensterkonstruktionen vorzusehen, die sicherstellten, dass 0,5 m vor dem geöffneten Fenster die Werte eingehalten werden (etwa aufgrund einer mehr als 0,5 m vor das zu öffnende Fenster gesetzten Prallscheibe; siehe hierzu etwa auch OVG Lüneburg, B.v. 21.02.2020 - 1 MN 147/19 - juris Rn. 37). Diesen Anforderungen seien in die angegriffene Baugenehmigung aufgenommen worden und aufgrund der entsprechenden Nebenbestimmungen durch die Beigeladene auch umzusetzen. Dies gelte dabei auch dann, wenn man vorsorglich unterstelle, dass der Bebauungsplan „…“ unwirksam sein sollte. Die bestehenden Immissionskonflikte würden jedenfalls durch die Regelungen im Ergänzungsbescheid vom 25.03.2022 sowie durch die entsprechenden Grüneinträge in den Planunterlagen gelöst. Entsprechend dem Schallgutachten von …-Ingenieure werde durch diese Maßnahme sichergestellt, dass die Immissionswerte von 40 dB(A) nachts eingehalten würden.
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Die Klägerin könnte daher die ihr erteilte Genehmigung für ihre Betriebsanlagen weiter ausnutzen, ohne dass sie aufgrund des Vorhabens der Beigeladenen nachträgliche Anordnungen, Betriebseinschränkungen oder ähnliches befürchten müssten. Mehr ist nach dem Gebot der nachbarlichen Rücksichtnahme gegenüber einem bestehenden Gewerbetrieb nicht gefordert.
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Ebenso bleibe unberücksichtigt, dass die den Schallschutzmaßnahmen an dem Vorhaben der Beigeladenen zugrundeliegenden Immissionsrichtwerte für ein Allgemeines Wohngebiet gemäß Nr. 6.1e der TA-Lärm etwaigen Vorhaben der Klägerin auf ihrem Betriebsgrundstück ohnehin nicht entgegengehalten werden könnten. Vielmehr könnte sich die Klägerin darauf berufen, dass hier gewerblich oder industriell genutzte und zum Wohnen dienende Gebiete aneinandergrenzten und daher ein geeigneter Zwischenwert der für die aneinandergrenzenden Gebietskategorien geltenden Werte zu bilden sei (siehe hierzu Nr. 6.7 der TA-Lärm; dazu auch Bundesverwaltungsgericht B.v. 07.06.2019 - 8 B 36.18 - juris Rn. 5). Lege man dies zugrunde, bestünden noch weniger Anhaltspunkte dafür, dass das Vorhaben der Beigeladenen gegenüber dem Betrieb der Klägerin das Gebot der nachbarlichen Rücksichtnahme verletzt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte samt den Protokollen zur mündlichen Verhandlung vom 30.09.2021 und 07.07.2022 sowie den vorgelegten Behördenakten verwiesen, § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -.
Entscheidungsgründe
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I. Die angefochtene Baugenehmigung vom 28.10.2019, Az.: … erweist sich mit dem hierzu unter gleichem Aktenzeichen ergangene Ergänzungsbescheid vom 25.03.2022 und den in der mündlichen Verhandlung am 07.07.2022 zu Protokoll erklärten Ergänzungen im zur Prüfung gestellten Umfang als rechtmäßig. Die Baugenehmigung verletzt keine Rechte der Klägerin, § 113 Abs. 1 VwGO. Unabhängig von einer etwaigen objektiven Rechtswidrigkeit, kann eine Baunachbarklage nur dann Erfolg haben, wenn durch sie gerade Normen verletzt werden, die nachbarschützenden Charakter haben. Dies ist hier nicht der Fall.
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II. Der von der Klägerin gerügte Verstoß gegen die Bestimmtheit der Baugenehmigung führt nicht zum Erfolg der Klage. Wie jeder Verwaltungsakt muss die Baugenehmigung hinreichend bestimmt sein (Art. 37 Abs. 1 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes - BayVwVfG -). Sie muss - gegebenenfalls nach objektivierender Auslegung - das genehmigte Vorhaben, insbesondere Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung, eindeutig erkennen lassen, damit die am Verfahren Beteiligten (vgl. Art. 13 Abs. 1 BayVwVfG) die mit dem Genehmigungsbescheid getroffene Regelung nachvollziehen können. Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls, wobei Unklarheiten zu Lasten der Behörde gehen. Was Gegenstand der Baugenehmigung sein soll, bestimmt der Bauherr durch seinen Bauantrag. Der Inhalt der (erlassenen) Baugenehmigung ergibt sich aus der Bezeichnung, den Regelungen und der Begründung im Baugenehmigungsbescheid, der konkretisiert wird durch in Bezug genommenen Bauvorlagen und sonstige Unterlagen. Wird in der Baugenehmigung auf den Antrag oder auf bestimmte Antragsunterlagen verwiesen, ist die Baugenehmigung hinreichend bestimmt, wenn es der Antrag oder die in Bezug genommenen Antragsunterlagen sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt vor, wenn die Unbestimmtheit der Baugenehmigung ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft, wenn also wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen bzw. mangels konkretisierender Inhalts- oder Nebenbestimmungen der Gegenstand und / oder der Umfang der Baugenehmigung und damit des nachbarlichen Störpotenzials bei deren Umsetzung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann. Ein Nachbar kann somit eine unzureichende inhaltliche Bestimmtheit (nur) geltend machen, soweit dadurch nicht sichergestellt ist, dass das genehmigte Vorhaben allen dem Nachbarschutz dienenden Vorschriften entspricht, m.w.N. BayVGH, B. v. 11.01.2022 - 15 CS 21.2913 - juris Rn. 23.
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1. Hier fehlt bei den der Baugenehmigung zugrundeliegenden Planungsunterlagen ein Abstandsflächenplan entgegen der Anordnung in § 7 Abs. 3 Nr. 12 der Bauvorlagenverordnung - BauVorlV -. Das Abstandsflächenrecht betrifft auch nachbarrechtlich relevante Belange. Art. 6 der Bayerischen Bauordnung - BayBO - schützt die nachbarlichen Belange der Belichtung, Belüftung und des sozialen Friedens. Jedoch ergibt sich hier aus den konkreten Umständen des Einzelfalles, dass eine Verletzung von Nachbarrechten ausgeschlossen ist. Den vorgelegten Unterlagen kann entnommen werden, dass die Anforderungen des Abstandsflächenrechts gegenüber dem klägerischen Grundstück unproblematisch eingehalten werden und eine Verletzung von Rechten der Klägerin eindeutig ausgeschlossen ist.
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Der Bebauungsplan setzt für den nördlichen Gebäuderiegel eine zwingende Höhe von 21 m fest. Diese Höhe ergibt sich auch aus den Ansichten der Gebäude 4.01 und der Hochgarage in den genehmigten Planunterlagen. Legt man weiter zu Grunde, dass der Bebauungsplan eine Tiefe der Abstandsfläche von 0,5 H vorsieht, ergibt sich eine Abstandsfläche von 10,5 m. Soweit man von einer Unwirksamkeit des Bebauungsplanes ausgehen will, griffe die gesetzliche Regelung aus Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO. Die Tiefe der Abstandsfläche betrüge 0,4 H. Damit wäre nur eine Abstandsfläche von 8,4 m einzuhalten. Weiter ist Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayBO zu berücksichtigen. Danach dürfen Abstandsflächen auch auf öffentlichen Verkehrs-, Grün- und Wasserflächen zum Liegen kommen, jedoch nur bis zu deren Mitte.
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Bei einem Abgreifen der notwendigen Abstandsflächen im bei den Planunterlagen befindlichen nicht vermaßten Lageplan im Maßstab 1:250 zeigt sich deutlich, dass es zu keiner Überschreitung der Mitte der nördlich des Vorhabengrundstücks liegenden Verkehrsfläche kommt. Gleiches ergibt sich auch aus der mit Schriftsatz vom 15.02.2021 vorgelegten Planzeichnung, in der das Abstandsflächenmaß von 1 H zugrunde gelegt wird. Selbst dann kommt es allenfalls punktuell und nur geringfügig zu einer Überschreitung der Mitte der Verkehrs- und Grünfläche zwischen dem Grundstück der Klägerin und dem Vorhabengrundstück.
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2. Keine Unbestimmtheit der Baugenehmigung ergibt sich hier aus der Tatsache, dass eine Betriebsbeschreibung des Boardinghouses nicht vorhanden ist und somit der auf die Klägerin einwirkende Lärm nicht bestimmt sei. Dass die Klägerin als Industriebetrieb selbst nicht durch Lärmimissionen eines Boardinghouses beeinträchtigt ist, ist offensichtlich. Allenfalls denkbar ist eine Beeinträchtigung Dritter durch die Emissionen des Boardinghouses in Verbindung mit den Emissionen der Klägerin (siehe dazu unten).
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III. 1. Ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts kommt hier nur in Betracht, soweit diese im Gebot der Rücksichtnahme enthalten sind. Das planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme stellt weder ein eigenständig zu prüfendes Zulässigkeitserfordernis, noch eine allgemeine Härteklausel dar, die über den speziellen Vorschriften des Städtebaurechts oder gar des gesamten öffentlichen Baurechts steht. Vielmehr ist es Bestandteil einzelner gesetzlicher Vorschriften des Baurechts (BVerwG, B. v. 11.01.1999 - 4 B 128/98 - juris Rn. 6). Daher reicht der durch das planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme vermittelten Nachbarschutz nicht weiter, als der sich aus den Vorschriften des Bauplanungsrechts ergebende Nachbarschutz (BayVGH, B.v. 11.8.2014 - 15 CS 14.740 - juris Rn. 18). Das Gebot der Rücksichtnahme ist in unterschiedlichen Normen verankert. Es kommt im Ergebnis unabhängig von der Frage der Wirksamkeit des Bebauungsplans zur Anwendung, BVerwG U. v. 29.11.2012 - 4 C 8.11 - juris Rn. 15. Soweit man von der Wirksamkeit des Bebauungsplans ausgeht, ergibt sich die Anwendung aus § 15 Abs. 1 Satz 2 der Baunutzungsverordnung - BauNVO -. Aber auch bei unterstellter Unwirksamkeit greift das Gebot der Rücksichtnahme ein, entweder über den Begriff des Einfügens in § 34 Abs. 1 des Baugesetzbuches - BauGB - oder über § 35 Abs. 3 BauGB als ungeschriebener öffentlicher Belang, bzw. soweit die Vermeidung von Immissionskonflikten inmitten steht über § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB.
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Dem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Soweit - wie vorliegend - ein Rücksichtnahmeverstoß aufgrund von Immissionsbelastungen geltend gemacht wird, wird zur Konturierung der Zumutbarkeitsschwelle des Rücksichtnahmegebots auf die materiell-rechtlichen Maßstäbe des Immissionsschutzrechts, also auf die Schwelle schädlicher Umwelteinwirkungen i.S. von § 3 Abs. 1, § 22 Abs. 1 BImSchG zurückgegriffen (zum Ganzen vgl. BayVGH, B. v. 09.06.2020 - 15 CS 20.901 - juris Rn. 27 m.w.N.; B. v. 23.02.2021 - 15 CS 21.403 - juris Rn. 77). Eine heranrückende Wohnbebauung bzw. eine sonstige heranrückende immissionsempfindliche Nutzung verletzt gegenüber einem bestehenden emittierenden Betrieb das Gebot der Rücksichtnahme, wenn ihr Hinzutreten die rechtlichen immissionsbezogenen Rahmenbedingungen, unter denen der Betrieb arbeiten muss, gegenüber der vorher gegebenen Lage verschlechtert. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Betrieb aufgrund der hinzutretenden Bebauung mit nachträglichen immissionsschutzrechtlichen Auflagen rechnen muss (BayVGH, B. v. 27.05.2020 - 15 ZB 19.2305 - juris Rn. 6).
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2. Die Beklagte hat mit dem eingeschlagenen Weg einer schallschützenden Riegelbebauung und den umfangreichen Schallschutzmaßnahmen, die im Ergänzungsbescheid vom 25.03.2022 und durch die Erklärung zu Protokoll des Gerichts in der mündlichen Verhandlung am 07.07.2022 nochmals erweitert worden sind, eine vertretbare Lösung zur Bewältigung des vorhandenen Lärmkonflikts gefunden, der ausschließt, dass Rechte der Klägerin verletzt werden. Unter dem Gesichtspunkt des für die Klägerin Drittschutz vermittelnden Rücksichtnahmegebots alleine problematisch sind insoweit die Immissionen, die während der Nachtzeit auftreten und einen Wert von größer 40 dB(A) erreichen. Es kann bereits durch die in den Grüneinträgen GE16 und GE01 im Ergänzungsbescheid vom 25.03.2022 weitgehend ausgeschlossen werden, dass in schutzbedürftige Aufenthaltsräumen ein Lärmeintrag entsteht, der über den Immissionsrichtwerten liegt, die für ein Allgemeines Wohngebiet gelten. Hierdurch verbleibende Immissionsorte in der Nachtzeit im nördlichen Gebäuderiegel, werden wirksam durch die in der mündlichen Verhandlung am 07.07.2022 durch Erklärung zu Protokoll verfügte Auflage Nr. 7.4 ausgeschlossen. Demnach ist bei allen Lärmschutzbalkonen und Kastenfenstern sicherzustellen, dass am Immissionsort der Immissionsrichtwert von 40 dB(A) nachts eingehalten wird. Ausgangsbezugsgröße sind die Gebäudelärmkarten zur Textfestsetzung I 7.3 des vorhabenbezogenen Bebauungsplans. Andernfalls sind die Konstruktionen so zu schließen, dass keine Immissionsorte entstehen.
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Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang nochmals darauf, dass die Lärmbegutachtung von einem in einem Industriebetrieb maximal zulässigen Emissionswert von 70 dB(A) ausgeht. Dabei handelt es sich allerdings um eine rein rechnerische Annahme, die sich erheblich zu Gunsten der Klägerin auswirkt. Tatsächlich ist die Klägerin aufgrund der bereits vorhandenen Umgebungsbebauung und der bestehenden immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen bei weitem nicht mehr in der Lage, diesen Maximalwert auszuschöpfen, vgl. hierzu umfassend S. 19 ff. des Schallgutachtens der …-Ingenieure vom 02.04.2019.
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a) Die Grüneinträge GE16 und GE01 in Verbindung mit der zu Protokoll erklärten Auflage Auflage Nr. 7.4 sind hinreichend bestimmt, um sicherzustellen, dass an Fenstern, an denen Lärmschutzbalkone und Kastenfenster angebracht werden können, einen Immissionsrichtwert von 40 dB(A) nachts eingehalten wird. Aufgrund der neu hinzugekommenen Auflage kommt es nicht mehr darauf an, ob der zulässige Öffnungsflügel der Kastenfenster durchgängig auf der lärmabgewandten Seite angebracht wird.
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Man wird zwar davon ausgehen können, dass die Bestimmung der lärmabgewandten Seite grundsätzlich über die Lärmkarten B.1 bis B.14 aus dem Schallimmissionsschutzgutachten vom 02.04.2019 möglich ist. Diese Karten zeigen für jedes Stockwerk gesondert die Belastung mit dem hier maßgeblichen Gewerbelärm. Durch die zahlreichen Immissionsorte an der Hausfassade, für die die Lärmbelastung rechnerisch ermittelt worden ist, wird erkennbar, wie sich der Schalleintrag aus den umliegenden Betrieben innerhalb des Vorhabengebiets auswirkt. Entsprechend kann hieraus auch abgelesen werden, in welcher Richtung der zu öffnende Fensterflügel (bzw. die geöffnete Seite bei den Lärmschutzbalkonen nach dem Grüneintrag GE016) liegen muss. Weiter macht die textliche Beschreibung selbst deutlich, dass sie nicht abschließend ist und auch nicht so verstanden werden soll. So wird die lärmabgewandte Seite nur beispielsweise beschrieben. Zudem wird in einem Klammerzusatz am Ende des Grüneintrags GE16 darauf hingewiesen, dass die Richtungen der lärmabgewandten Seite je nach Etage im selben Gebäude auch wechselnd sein können. Die textliche Beschreibung des Grüneintrags ist bereits seiner Konzeption nach so zu verstehen, dass die einzelnen Grüneinträge in den genehmigten Plänen heranzuziehen sind, um jeweils die lärmabgewandte Seite, an der ein Öffnungsflügel zulässig ist, zu bestimmen. Aufgrund der Vielzahl der Immissionsorte muss die textliche Beschreibung ein gewisses Abstraktionsniveau erreichen, um eine umfassende Regelung zu schaffen.
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Soweit sich jedoch hieraus dennoch Unklarheiten ergeben oder eine eindeutige Bestimmung der lärmabgewandten Seite des Kastenfensters nicht möglich ist, etwa weil von beiden Schmalseiten der Lärm rechnerisch mit dem gleichen Schalldruckpegel auftritt, regelt jedenfalls die Auflage 7.4 unmissverständlich, dass der Immissionsrichtwert von 40 dB(A) nachts einzuhalten ist. Die Auflage stellt sicher, dass bei einer möglichen Überschreitung dieses Wertes an den maßgeblichen Immissionsorten die Beigeladene bzw. ihre Rechtsnachfolger in Anspruch genommen werden müssen, um Abhilfe zu schaffen. Die Klägerin kann sich auch hierauf berufen, soweit von ihr Maßnahmen zur Reduktion ihrer gewerblichen Emissionen deshalb verlangt werden würden, weil es an dem Bauvorhaben zu Überschreitungen der Immissionsrichtwerte kommt. Es ist daher ausgeschlossen, dass die Klägerin nachträglich mit weiteren Schallschutzmaßnahmen zur Reduktion ihrer Immissionen durch die herannahende Wohnbebauung belastet werden würde. Insoweit würde es an der Erforderlichkeit einer nachträglichen Anordnung fehlen.
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b) Die mit den Grüneinträgen GE16 und GE01 verfügten Maßnahmen regeln rechtmäßiger weise, dass die Immissionsrichtwerte am grundsätzlich maßgeblich Immissionsort, 0,5 m vor der öffenbaren Innenscheibe, nicht überschritten werden. Zwar ist die Auffassung der Beklagten, dass überhaupt kein Immissionsort wegen der Festverglasung an der Frontscheibe und an der lärmzugewandten Schmalseite des Kastenfensters wegen des zu öffenbaren Lüftungsflügels an der Schmalseite mehr als zweifelhaft, die gewählte Konstruktion schließt aber jedenfalls aus, dass 0,5 m vor der öffenbaren Innenscheibe des vom Geräusch am stärksten betroffenen schutzbedürftigen Raumes nach DIN 4109 (vgl. Anlage A.1.3 zur TA-Lärm) ein Schalldruckpegel besteht, der die Immissionsrichtwerte von 40 dB(A) nachts bzw. 55 dB(A) tags (vgl. Nr. 6.1 der TA Lärm) übersteigt. Die geschlossene Scheibe des Kastenfensters ist 0,6 m vor der Innenscheibe, die das Öffnen des Fensters zur Wohnung hin ermöglicht, zu setzen, mit der Folge, dass der nach der TA-Lärm maßgebliche Immissionsort vom Kastenfenster „eingehaust“ wird.
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aa) Die gewählte Konstruktion ist als Maßnahme zulässig. Das Kastenfenster mit dem zugelassenen Lüftungsflügel führt nicht dazu, dass der maßgebliche Immissionsort nun 0,5 m für den öffenbaren Lüftungsflügel verschoben wird. Vielmehr bleibt der Immissionsort 0,5 m vor dem Innenflügel, der sich nun hinter einer vorgesetzten und seitlich fest verschlossenen Prallscheibe befindet. Der Immissionsort verbleibt trotz der genehmigten Kastenfenster innerhalb desselben und damit an der Fassade bzw. Außenwand, an der die TA-Lärm die Immissionskonflikte gelöst wissen will, indem die maßgeblichen Immissionsrichtwerte eingehalten werden (vgl. BVerwG, U. v. 29.11.2012 - 4 C 8/11 - juris Rn. 24). Mit den vorgesetzten Kastenfenstern und Lärmschutzbalkonen wird es ermöglicht, die Innenscheiben trotz vorhandener Lärmquellen zu öffnen und dabei gleichzeitig durch den Lüftungsflügel für eine natürliche Belüftung zu sorgen sowie einen erweiterten Sichtkontakt in Anspruch nehmen zu können, ohne dass dabei die Kommunikation im Inneren des Wohnraums tagsüber bzw. das Ruhe- und Schlafbedürfnis nachtsüber gestört wird. Das Kastenfenster wirkt also wie eine luft- und lichtdurchlässige Schallschutzwand, die den maßgeblichen Immissionsort abschirmt. Der Schallschutz wirkt gleichsam am Immissionsort selbst (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 21.02.2020 - 1 MN 147/19 - juris Rn. 37 zu verglasten Vorhangfassaden, die in ihrer Funktion identisch sind mit der hier gewählten Lösung der Kastenfenster). Die Kastenfenster sind nicht als Maßnahmen des passiven Schallschutzes zu verstehen, sondern vielmehr als solche des aktiven Schallschutzes. Die Prallscheiben verhindern eine Ausbreitung des Lärms bis zum maßgeblichen Immissionsort i.S.d. TA-Lärm und liegen damit zwischen Lärmquelle und Immissionsort. Das Innenfenster zur Wohnung hin liegt wiederum hinter dem maßgeblichen Immissionsort. Der Innenraum des Kastenfensters ist nicht dem innenliegenden Wohnraum zuzuordnen, da er durch die Innenscheibe von diesem getrennt ist. Er stellt damit selbst keinen schutzbedürftigen Aufenthaltsraum dar, für den die Immissionsrichtwerte gelten würden. Insoweit ist das Kastenfenster vollkommen vergleichbar mit einer hinterlüfteten Schallschutzwand, die vor die Fassade gestellt werden würde. Die Kastenfenster sind lediglich auf die einzelnen Öffnungen „heruntergebrochen“ und ermöglichen kleinräumig und passgenau einen luft- und lichtdurchlässigen Schallschutz vor den eigentlichen Innenscheiben zur Wohnung hin.
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Es ist kein Grund ersichtlich, den maßgeblichen Immissionsort derart zu bestimmen, dass er 0,5 m vor dem Öffnungsflügel des Kastenfensters liegt. Der Innenraum des Kastenfensters bleibt Teil der Außenfassade und wird nicht Teil des zu schützenden Wohnraums. Erst diese Annahme würde es erfordern, den Immissionsort 0,5 m vor den Öffnungsflügel zu verlagern, um sicherzugehen, dass der Lärmkonflikt zwischen Gewerbe- und schutzwürdigen (Wohn-) Nutzungen bereits an der Fassade gelöst wird, wie dies die TA-Lärm verlangt (vgl. BVerwG, U. v. 29.11.2012 - 4 C 8/11 - juris Rn. 24). Der Innenraum des Kastenfensters ist ein bloßer Luftraum ohne eigene Aufenthalts- oder sonstige Nutzungsmöglichkeit. Er trägt vielmehr, wie jeder Luftraum an einer Außenfassade vor einem Fenster, dazu bei, dass ein Luftaustausch zwischen außen und innen und ein Blickkontakt nach außen erfolgen kann. Die gewählte Konstruktion der vorgesetzten Kastenfenster ermöglich den Nutzern im Inneren der Wohnung so das Öffnen ihres Fensters nach außen hin und vermittelt durch die entsprechende Tiefe auch das subjektive Gefühl eines sich nach außen öffnenden Luftraumes.
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bb) Aus der Auflage 7.4 ergibt sich auch, dass der Schalldämmwert der Kastenfenster und Lärmschutzbalkone so zu wählen ist, dass der Immissionsrichtwert von 40 dB(A) nachts eingehalten wird. Dies ermöglicht für die Beigeladene einerseits, dort geringeren Aufwand zu betreiben, wo nur eine geringe Überschreitung des Immissionsrichtwertes rechnerisch vorliegt und gleichzeitig stellt es sicher, dass die Klägerin keine Überschreitung der Richtwerte besorgen muss. Insoweit ergibt sich ein Dreiklang aus unterschiedlichen Regelungen: Aus den Ziffern 12 a) und 12 b) in der durch Bescheid vom 25.03.2022 ergänzten Fassung ergibt sich erstens, dass öffenbare Fenster ohne vorgesetzte Kastenfenster nur an Immissionsorten erlaubt sind, an denen die Immissionsrichtwerte nicht überschritten werden. Hingegen werden zweitens die schallschützenden Kastenfenster und Lärmschutzbalkone dort genehmigt, wo es zu Überschreitungen kommt, um die Immissionsrichtwerte erreichen zu können. Insoweit wird der Beigeladenen zusätzlich ermöglicht, die Konstruktionen auch zu schließen, um einen Immissionsort auszuschließen, wenn keine Schallschutzmaßnahmen im Wege von Kastenfenstern und Lärmschutzbalkonen technisch oder wirtschaftlich möglich sind. Drittens ist an Stellen, an denen auch mit den Kastenfenstern und Lärmschutzbalkonen der Immissionsort nicht derart abgeschirmt werden kann, dass nachts der Immissionsrichtwert von 40 dB(A) nicht überschritten wird, die Konstruktion zu schließen, dass kein Immissionsort mehr vorhanden ist. Möglich ist dies etwa durch eine Festverglasung.
53
c) Mit der Bedingung Nr. 2 im Ergänzungsbescheid vom 25.03.2022 wird ferner sichergestellt, dass die Riegelbebauung als wesentliches Element des geplanten Schallschutzes für die im inneren des Areals liegenden schutzbedürftigen Nutzungen zunächst fertiggestellt sein muss, bevor auch die Riegelbebauung selbst genutzt werden kann. Bereits mit der Bedingung A. im Genehmigungsbescheid vom 28.10.2019 wird sichergestellt, dass die Riegelbebauung zunächst gänzlich errichtet sein muss, bevor die Bebauung im inneren des Areals erfolgen kann.
54
d) Angesichts der eingereichten Pläne, ist nicht davon auszugehen, dass durch die Nutzung des Boardinghouses im Plangebiet ein Lärmeintrag entsteht, der zu berücksichtigen gewesen wäre. Nur unter diesem Gesichtspunkt kann die Klägerin überhaupt Nachbarrechte geltend machen. Dass die Klägerin in ihrem Betrieb durch das Boardinghouse beeinträchtigt wird, ist ausgeschlossen. Ein Boardinghouse stellt eine Übergangsform zwischen einer Wohnnutzung und einem Beherbergungsbetrieb dar, wobei die schwerpunktmäßige Zuordnung von den konkreten Verhältnissen des Einzelfalls abhängt, BayVGH, B. v. 09.12.2016 - 15 CS 16.1417 - juris Rn. 14. Soweit ersichtlich sind hier für einen Beherbergungsbetrieb typische Leistungen untergeordnet. Der Küchenbereich ist ersichtlich nicht danach ausgerichtet, ein dauerhaftes Speiseangebot für 70 Personen bereitzuhalten. Die Aufenthaltsbereiche liegen jeweils in den Fluren. Eine Bewirtung ist hier nicht vorgesehen. Durch die Kochnischen in den Apartments besteht vielmehr Gelegenheit zur eigenen Speisenzubereitung. Entscheidend gegen einen zu berücksichtigenden Lärmeintrag spricht jedoch, dass die Anlieferungen für das Boardinghouse nach den Plänen erkennbar über die Tiefgarage unter dem Gebäude Nr. 3.2 erfolgen soll.
55
Ein zu berücksichtigender Lärmeintrag durch die Bäckerei am südöstlichen Rand des Plangebiets während der Nachtzeit ist durch die in der mündlichen Verhandlung am 07.07.2022 verfügten Auflage Nr. 7.5 ausgeschlossen.
56
Auf die Wirksamkeit der Bauleitplanung, von der das Gericht ausgeht, kommt es nicht entscheidungserheblich an.
57
Als unterlegene Beteiligte hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO). Da die Beigeladene selbst einen Sachantrag gestellt und sich damit auch einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass die Klägerin auch dessen außergerichtliche Kosten trägt (§ 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO).
58
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 und 2 ZPO.