Inhalt

OLG Bamberg, Beschluss v. 11.07.2022 – 6 U 110/21
Titel:

Keine sittenwidrige Schädigung des Erwerbers eines Diesel-Fahrzeugs mit Thermofenster (hier: Porsche Cayenne Diesel) 

Normenkette:
BGB § 31, § 826
Leitsatz:
Die Bejahung eines Vermögensschadens (hier infolge des Erwerbs eines mit einem Thermofenster versehenen Diesel-Fahrzeugs) setzt voraus, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern dass auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht (hier verneint). (Rn. 5 – 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, sittenwidrige Schädigung, Kfz-Motorhersteller, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, EA896 Gen2, Prüfstandsbezogenheit, Thermofenster, Vermögensschaden
Vorinstanzen:
OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 27.05.2022 – 6 U 110/21
LG Aschaffenburg, Endurteil vom 14.10.2021 – 13 O 310/20
Fundstelle:
BeckRS 2022, 36093

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 14.10.2021 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 8.521,31 Euro festgesetzt.

Gründe

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Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Bamberg ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
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Zur Begründung wird auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 27.05.2022 Bezug genommen. Auch die Stellungnahme des Klägers vom 01.07.2022 gibt zu einer Änderung der Beurteilung der Sach- und Rechtslage keinen Anlass. Dazu sind lediglich folgende Anmerkungen veranlasst:
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1. Nach wie vor hat der Kläger die Tatbestandsvoraussetzungen für eine sittenwidrige Schädigung gem. § 826 BGB nicht hinreichend vorgetragen. Seine Stellungnahme setzt sich nicht vollständig mit den Senatshinweisen zum gegenständlichen Fahrzeug und zu den einzelnen Schlüssigkeitsmängeln auseinander. Der Verweis auf ein anderes Verfahren, in dem ein Sachverständiger ein anderes Fahrzeug überprüfen soll, begründet keine konkreten Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer Prüfstandserkennung im streitgegenständlichen Fahrzeug.
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2. Entgegen der nicht näher belegten Auffassung des Klägers ergibt sich weder bereits aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 17.12.2020 (Rechtssache C-693/18, NJW 2021, 1216) noch aus der im Anschluss an dieses Urteil ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass es sich bei dem hier in Rede stehenden Thermofenster um eine nach Maßgabe des Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG unzulässige Abschalteinrichtung handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 26.04.2022, VIII ZR 19/21, juris Rn. 23).
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3. Unabhängig von der Frage der Sittenwidrigkeit hat der Kläger auch einen Schaden nicht hinreichend dargelegt. Die Bejahung eines Vermögensschadens in der streitgegenständlichen Konstellation setzt voraus, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern dass auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, juris, Rn. 46 m.w.N.). Der Erfahrungssatz, ein Verbraucher kaufe generell kein stilllegungsgefährdetes Fahrzeug, fußt auf der ex post erkannten und dann ex ante zugrunde gelegten Annahme, die im Fahrzeug enthaltene Abschalteinrichtung trage das konkrete Potential in sich, zu einer Betriebsbeschränkung bzw. Betriebsuntersagung zu führen. In den Fällen des EA 189 leitet sich diese Annahme aus dem Wissen eines späteren Rückrufs sämtlicher Fahrzeuge durch das KBA mit nachfolgendem Versuch der Beklagten ab, eine Stilllegung der Fahrzeuge durch Updates zu verhindern. Im vorliegenden Fall hat das KBA unstreitig nach wie vor den Motor nicht beanstandet und auch nicht mitgeteilt, dies zu beabsichtigen. Dem Erfahrungssatz, der auf eine gesteigerte Rückrufwahrscheinlichkeit abhebt, ist zumindest nach derzeitigem Erkenntnisstand die Grundlage entzogen.
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Dass generell bei jedem Fahrzeug abstrakt ein Rückruf wegen abgastechnischer, fahrtechnischer oder sicherheitstechnischer Mängel drohen kann, genügt nach hiesiger Sicht nicht für einen entsprechenden Erfahrungssatz, der Kaufvertrag als solcher sei im Hinblick auf mögliche Rückrufpotentiale nicht geschlossen worden. Vielmehr hat für den Kläger bei verständiger Würdigung gerade keine Situation bestanden, welche den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig erscheinen ließe (so im Ergebnis auch 14. Zivilsenat, Urteil vom 04.11.2021 - 14 U 152/21; OLG München Urteil vom 14.04.2021 - 15 U 3584/20 - juris; OLG Schleswig, Urteil vom 13.08.2021 - 17 U 9/21 - juris). Vor diesem Hintergrund vermag der Senat einen Schaden des Klägers auch aus der zugrunde zu legenden exante-Betrachtung nicht zu erkennen.
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4. Der Senat sieht keinen Anlass, das vorliegende Verfahren gemäß § 148 ZPO analog bis zu der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) in dem dort anhängigen Verfahren C-100/21 auszusetzen. Es ist nicht erkennbar, inwieweit die dem Gerichtshof vorgelegten Fragen im vorliegenden Fall entscheidungserheblich sein sollen, sodass das beim Gerichtshof anhängige Vorlageverfahren nicht vorgreiflich ist.
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a) Wie im Hinweisbeschluss ausführlich dargelegt (dort S. 6), entspricht es bislang der - für den Senat verbindlichen - höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die von der Klägerin genannten Vorschriften keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB sind. Soweit der Generalanwalt R. in seinen Schlussanträgen vom 02.06.2022 in der Rechtssache C-100/21 (ECLI:ECLI:EU:C:2022:420) eine abweichende Ansicht vertritt, ist diese zum jetzigen Zeitpunkt weder für die deutschen Gerichte noch für den Gerichtshof der Europäischen Union rechtsverbindlich.
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b) Überdies bliebe die Klage auch dann ohne Erfolg, wenn der Senat der Auffassung des Generalanwalts R. folgen würde.
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(1) Zwar hat der Generalanwalt R. im Ergebnis angenommen, dass das Unionsrecht auch die Interessen eines Erwerbers eines Kraftfahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, schütze. Er hat diese Rechtsfolge jedoch von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht, insbesondere, dass die EG-Typgenehmigung erwirkt worden ist, ohne dass die Genehmigungsbehörde vom Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung etwas wusste (Rn. 48 der Schlussanträge). Es ist demnach erforderlich, dass der Genehmigungsbehörde die unzulässige Abschalteinrichtung nicht bekannt war, und dass diese Unkenntnis auf einer Täuschung der Genehmigungsbehörde beruht (vgl. OLG München, Beschluss vom 14.06.2022, 36 U 141/22).
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Für einen solchen Sachverhalt ist, wie im Hinweisbeschluss des Senats ausgeführt, im Streitfall - für das als unzulässige Abschalteinrichtung allein in Betracht kommende Thermofenster - nichts ersichtlich.
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(2) Zudem wäre der Beklagten nicht einmal fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen. Aus dem Bericht der vom Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur eingesetzten Untersuchungskommission „V.“ vom April 2016 ist zu entnehmen, dass in dem hier fraglichen Zeitraum Thermofenster von allen Autoherstellern verwendet und mit dem Erfordernis des Motorschutzes begründet wurden. Nach Einschätzung der Untersuchungskommission handelt es sich bei der Verwendung eines Thermofensters angesichts der Unschärfe der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a VO (EG) Nr. 715/2007, wonach zum Schutz des Motors vor Beschädigungen und zur Gewährleistung eines sicheren Fahrzeugbetriebs notwendige Abschalteinrichtungen zulässig sind, um keine eindeutigen Gesetzesverstöße, sofern ohne die Verwendung des Thermofensters dem Motor Schaden drohe und „sei dieser auch noch so klein“ (vgl. BMVI, Bericht der Untersuchungskommission V., Stand April 2016, S. 123).
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Nach der Mitteilung der Europäischen Kommission vom 19.07.2008 (Mitteilung über die Anwendung und die künftige Entwicklung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften über Emissionen von Fahrzeugen für den Leichtverkehr und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen (Euro 5 und Euro 6), 2008/C 182/08) waren trotz der erhöhten NOx-Emissionen bei niedrigen Temperaturen keine Messungen vorgesehen. Die Hersteller waren auch nicht verpflichtet, Informationen über das Emissionsverhalten von Dieselfahrzeugen bei niedrigen Temperaturen zur Verfügung zu stellen (dort Ziffer 7). Das Vorhandensein eines Thermofensters war also dem KBA als Typgenehmigungsbehörde bekannt, wenngleich es keine Beschreibung über die exakte Wirkungsweise mangels entsprechender Verpflichtung erhalten hat. Unter diesen Umständen durfte sich die Beklagte grundsätzlich darauf verlassen, dass das KBA im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG eine Ergänzung verlangen würde, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit des Thermofensters in dem betreffenden Fahrzeug zu prüfen. Anderenfalls durfte sich die Beklagte auf die Prüfungskompetenz des KBA als Genehmigungsbehörde verlassen und ohne Verschulden von der Zulässigkeit ihres Vorgehens ausgehen.
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Wenn also das KBA als zuständige Typgenehmigungsbehörde nach eigener Prüfung selbst von der Zulässigkeit des „Thermofensters“ für das streitgegenständliche Fahrzeug ausgeht, kann der Beklagten keine andere Einschätzung abverlangt werden. Selbst wenn also entgegen der Ansicht der Beklagten und des KBA eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegen sollte, liegt ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten nicht vor. Unter diesen Umständen kommt deshalb auch eine Aussetzung nicht in Betracht.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgt gemäß §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird in Anwendung der §§ 47 Abs. 1 i.V.m. 48 Abs. 1 GKG, §§ 3, 9 ZPO bestimmt.