Inhalt

OLG München, Beschluss v. 18.07.2022 – 8 U 5100/21
Titel:

Keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Motor EA 288 (hier: Audi A3 Sportback)

Normenketten:
BGB § 445a, § 823 Abs. 2, § 826
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 5 Abs. 2
ZPO § 522 Abs. 2
RL 2007/46/EG Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1, Art. 46
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; OLG Bamberg BeckRS 2022, 32236; BeckRS 2023, 3168; OLG München BeckRS 2022, 24992; OLG Nürnberg BeckRS 2021, 52232; OLG Koblenz BeckRS 2022, 25180; BeckRS 2022, 25178; BeckRS 2022, 25176; BeckRS 2022, 25174; BeckRS 2022, 25157; BeckRS 2022, 25155; BeckRS 2022, 25138; BeckRS 2022, 25151; BeckRS 2022, 25075 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2021, 55750 mit zahlreichen weiteren Nachweisen (auch zur aA) im dortigen Leitsatz 1; anders durch Versäumnisurteil OLG Köln BeckRS 2021, 2388. (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine eingeräumte Frist zur Stellungnahme gemäß § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO ermöglicht keine Art „zweite Berufungsbegründung“, so dass in der Gegenerklärung enthaltene und im Berufungsverfahren neue Angriffsmittel gemäß §§ 530, 296 Abs. 1 ZPO zwingend zurückzuweisen sind. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es fehlen zureichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Prüfstanderkennungssoftware bzw. Umschaltlogik beim Motor EA 288. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
4. Dass es neben § 445a BGB aus Gründen der „Äquivalenz und der Effektivität“ gleichwohl europarechtlich noch zusätzlich der Begründung einer auf Rückabwicklung des Kaufvertrags gerichteten unmittelbaren Fahrlässigkeitshaftung aus § 823 Abs. 2 BGB iVm Art. 5 Abs. 2, 3 Nr.10 der VO Nr. 715/2007 gegen den Fahrzeughersteller bedürfte, erscheint fernliegend. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Prüfstandserkennungssoftware, Kaltstartheizen, Thermofenster, Fahrkurvenerkennung, Schlussanträge des Generalanwaltes, Vorlage an den EuGH
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Endurteil vom 08.07.2021 – 41 O 1370/19 Die
Fundstelle:
BeckRS 2022, 36082

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 08.07.2021, Aktenzeichen 41 O 1370/19, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Ingolstadt ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 8.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Klagepartei macht gegen die Beklagte Ansprüche im Zusammenhang mit dem sog. Abgas-Skandal geltend.
2
Sie erwarb am 28.08.2017 von dritter Seite einen gebrauchten Audi A3 Sportback für 27.950,00 €. Am 29.02.2020 veräußerte sie das Fahrzeug zu einem Preis von 14.750,00 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 288 ausgestattet. Es unterliegt keinem Rückruf.
3
Die Klagepartei wurde mit Hinweisbeschluss des Senats vom 10.06.2022 darauf hingewiesen, dass und warum der Senat beabsichtigt, ihre Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen. Hierzu hat sie mit Schriftsatz vom 17.06.22 und 04.07.22 Stellung genommen.
4
Bezüglich der näheren Einzelheiten wird auf den Inhalt des angegriffenen Urteils, die Ausführungen im Hinweisbeschluss des Senats vom 10.06.2022 sowie auf die Schriftsätze der Parteien im Berufungsverfahren verwiesen.
II.
5
Die Berufung der Klagepartei ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO im Beschlussweg als unbegründet zurückzuweisen, da der Senat einstimmig davon überzeugt ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats nicht erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
6
Der Senat hält das Urteil des Landgerichts zumindest im Ergebnis für offensichtlich zutreffend. Auf die Hinweise vom 10.06.2022, in denen der Senat im Einzelnen erläutert hat, weshalb er die Berufung bei Abstellen auf die zur „Dieselproblematik“ ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung i.S.v. § 522 Abs. 2 ZPO für unbegründet hält, wird verwiesen.
7
1. Voranzustellen ist, dass die Gegenerklärung vom 04.07.2022 im Wesentlichen neuen Vortrag enthält. So wird u.a. nunmehr erstmals ein Zwischenbericht des Sachverständigen Dr. H. angesprochen und zu der Verwendung von drei Kennfeldern sowie zum Einsatz der Funktion des Kaltstartheizens vorgetragen. In der Berufungsbegründung finden keine entsprechenden Ausführungen zum Kaltstartheizen noch ist ihr zu entnehmen, dass erstinstanzlich hierzu Vortrag gehalten worden wäre. Gleiches gilt für die genannten drei Kennfelder.
8
Der jetzige Vortrag ist mithin unbeachtlich. Die der Klagepartei eingeräumte Frist zur Stellungnahme gemäß § 522 Abs. 2 S.2 ZPO ermöglicht keine Art „zweite Berufungsbegründung“. Die in der Gegenerklärung enthaltenen und im Berufungsverfahren neuen Angriffsmittel sind deshalb schon gemäß §§ 530, 296 Abs. 1 ZPO zwingend zurückzuweisen (vgl. z.B. Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl. 2015, § 530 Rnr. 4; Rimmelspacher in: Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Auflage 2012, § 522 Rnr. 28) und werden zurückgewiesen.
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Deren Zulassung würde die Erledigung des Rechtsstreits, die hier sogleich durch eine Zurückweisung der Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO erfolgen kann, verzögern, sollte diesbezüglich – wie nicht – eine Beweisaufnahme veranlasst sein.
10
Die Verspätung wurde auch nicht entschuldigt. Es wird nicht erläutert, weshalb erst jetzt zur Funktion des Kaltstartheizens sowie den drei Kennfeldern vorgetragen werden konnte. Außerdem erschließt sich nicht, dass und weshalb die Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme zu dieser Funktion, zu den drei Kennfeldern und auch zur Fahrkurve bei der gebotenen gründlichen Aufarbeitung des Prozessstoffes nicht bereits in erster Instanz bzw. jedenfalls innerhalb der Berufungsbegründungsfrist möglich gewesen sein sollte, zumal die Berufungsbegründung vom 13.09.2021 datiert. Der Senat hat daher davon auszugehen, dass die Verspätung des nunmehrigen Vortrags auf Nachlässigkeit beruht, d.h. unentschuldigt ist.
11
Eine in diesem Schriftsatz angegebene Anlagen K E 9 (Zwischenbericht der 43IT GmbH, S. 4) und Anlage K F 8 (E-Mail-Verkehr an KBA 01.10.2015) und K F 9 (Präsentation Umschaltstrategie 02.10.2015) und K D 15 (Bericht Tagesschau vom 01.12.2020) konnten ferner in den – i.ü. ungeordneten und überwiegend unbeschrifteten – Anlagenkonvoluten nicht aufgefunden werden; zum Schriftsatz vom 04.07.2022 ist kein Eingang von Anlagen vermerkt; die Vorlage wäre aber ebenfalls nunmehr verspätet (s.o.)
12
2. Die Gegenerklärung der Klagepartei vom 04.07.2022 ergab, dessen ungeachtet, keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung.
13
Für eine deliktische Haftung der Beklagten, insbesondere eine solche gemäß §§ 826, 31 BGB und § 831 BGB ist auch bei Abstellen auf die dortigen Darlegungen kein Raum. Eine Beweisaufnahme ist nicht veranlasst.
14
a. Die Ausführungen im Hinweisbeschluss zum Fehlen zureichender Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Prüfstanderkennungssoftware bzw. Umschaltlogik (entsprechend der im VW-Motor EA 189 implementierten) besitzen nach wie vor Geltung.
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(1) Auch aus dem Beschluss des BGH vom 25.11.2021, III ZR 202/20 vermag die Klagepartei nichts für sich herzuleiten. Die Entscheidung bezieht sich zunächst auf einen Audi 3,0 lMotor und nicht, wie vorliegend, auf einen VW EA 288, insoweit fehlt es bereits an der Vergleichbarkeit. Zudem lag dort der spezifische Sachverhalt zugrunde, dass ein konkreter Vortrag zu einer Prüfstandserkennung von Beklagtenseite nicht bestritten wurde; lediglich ergänzend wurden für die Beurteilung der Schlüssigkeit besonders gelagerte Messwerte eines vergleichbaren, getesteten Fahrzeugs herangezogen. Hier fehlt es aber bereits an einem konkreten Vortrag (vgl. Hinweis) sowie an dafür bestehenden hinreichenden Anhaltspunkten, geschweige denn dass dieser unstreitig wäre. Dass sich aber aus verschiedensten Messwerten ein derartiger konkreter Vortrag erst ergeben soll, ist dieser Entscheidung gerade nicht zu entnehmen.
16
Soweit die Klagepartei insoweit nochmals zu verschiedenen Messungen etwa der DHU ausführt, ist im Übrigen auf die Ausführungen im Hinweisbeschluss vom 10.06.2022 zu verweisen. Dass dabei – wie in der zitierten BGH-Entscheidung – Messwerte der Deutschen Umwelthilfe vorgelegt worden wären, aus denen sich ergeben hätte, dass ein getestetes vergleichbares EU6-Fahrzeug den Grenzwert für den NOxAusstoß im realen Fahrbetrieb um den Faktor 9,7 überschritten hat, ist der Gegenerklärung im übrigen nicht zu entnehmen. In der gebotenen Gesamtschau sind liegen hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer evident unzulässigen Abschalteinrichtung jedenfalls weiterhin nicht vor.
17
(2) Auch soweit sich die Klagepartei – verspätet – auf einen Bericht der Tagesschau vom 01.12.2020 (Anlage K D 15, nicht vorgelegt) beruft, ergibt sich nichts anderes. Darin ist – soweit aus dem Schriftsatz ersichtlich – lediglich von einer temperaturabhängigen Abgasregelung die Rede, konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Umschaltlogik im streitgegenständlichen Fahrzeug ergeben sich daraus in keiner Weise.
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(3) Der verspätete Vortrag zu dem – nicht vorgelegten, s.o. – Zwischenbericht des Sachverständigen Dr. H. ist ebenfalls nicht zielführend. Auch der Vortrag, der Sachverständige Dr. H. habe Kennfelder gefunden, die offensichtlich der Erkennung des NEFZ dienten führt nicht weiter. Maßgeblich ist, ob die Fahrkurvenerkennung vergleichbar der Umschaltlogik im EA 189 genutzt wurde, wofür sich – wie bereits im Hinweisbeschluss dargelegt – nichts ergibt. Auch aus dem – ebenfalls verspäteten – Vortrag zum sog. Kaltstartheizen lässt sich nicht entnehmen, dass eine Prüfstandserkennung im streitgegenständlichen Fahrzeug enthalten ist. Denn nach dem erstmaligen Vortrag in der Gegenerklärung zum Kaltstartheizen differenziert diese Funktion nicht gezielt danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befindet oder nicht. Dementsprechend kommt es gemäß dem Vorbringen auch im Realbetrieb auch zum Kaltstartheizen, nämlich in einem Temperaturbereich von 2 bis 30 Grad Celsius.
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(4) Letztlich entbehren aufgrund der dargelegten umfangreichen Untersuchungen auch die inkriminierenden Behauptungen, das KBA habe die Beklagte in Schutz nehmen oder eigene Fehler oder Fehlentscheidungen bei der Zulassung vertuschen wollen und daher die genannten Auskünfte erteilt, jeder Substanz.
20
(5) Hinsichtlich des weiteren Vortrags zur Applikationsrichtlinie und Fahrkurvenerkennung wird auf den Hinweisbeschluss verwiesen. Auch dem – verspäteten – Vortrag zu Präsentationsunterlagen der Beklagten vom 02.10.2015 nebst Stellungnahme der Beklagten gegenüber dem KBA vom 01.10.2015 lassen sich Anhaltspunkte für eine prüfstandbezogene Abschalteinrichtung nicht entnehmen. Zunächst zitiert die Klagepartei nur sehr partiell aus den im Übrigen nicht mit vorgelegten Unterlagen, so dass bereits nicht eingeschätzt werden kann, in welchem Zusammenhang die zitierten Passagen standen. Insbesondere waren diese Unterlagen der Beklagten dem KBA unstreitig seit Ende 2015 bekannt, ohne dass deswegen ein Rückruf des Fahrzeugs durch das KBA angeordnet worden wäre. Vielmehr geht aus dem bereits erstinstanzlich vorgelegten Bericht der Untersuchungskommission „Volkswagen“ (Anlage B 10) vom April 2016 hervor, dass sich Hinweise, nach denen die aktuell laufende Produktion der Fahrzeuge mit Motoren der Baureihe EA 288 (Euro 6) ebenfalls von der Abgasmanipulation betroffen sei, auf Grundlage der Überprüfung nicht bestätigt hatten.
21
b. Auch bezüglich des Thermofensters bzw. einer sonst in den Raum gestellten verwaltungsrechtlich unzulässigen Abschalteinrichtung bleibt es danach bei den Ausführungen im Hinweisbeschluss.
22
Anhaltspunkte dafür, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung des Thermofensters im Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, hat die Klagepartei bzw. Berufung nicht aufgezeigt.
23
Die, deshalb schon nicht zu sekundärer Darlegung verpflichtete, Beklagte hat dies auch nicht eingeräumt.
24
c. Letztlich kommt es darauf nicht einmal an, da jedenfalls die Beklagte hier bereits nicht passivlegitimiert ist:
25
Eine Haftung der Beklagten – das Vorliegen unzulässiger Abschalteinrichtungen unterstellt – stünde nach höchstrichterlicher Rspr., wie im Hinweisbeschluss dargelegt, nur inmitten, wenn nicht nur bei der V. AG, sondern auch bei der Beklagten eine auf arglistige Täuschung des KBA und letztlich der Fahrzeugerwerber gerichtete Strategieentscheidung getroffen worden wäre oder für die Beklagte handelnde Personen an der von der V. AG getroffenen Entscheidung zumindest beteiligt gewesen wären. Außerdem käme ein sittenwidriges Vorgehen der Beklagten dann in Betracht, wenn die für sie handelnden Personen wussten, dass die von der V. AG gelieferten Motoren mit einer auf arglistige Täuschung des KBA abzielenden Prüfstanderkennungssoftware oder sonstigen unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet waren, und die von der Beklagten hergestellten Fahrzeuge in Kenntnis dieses Umstandes mit diesem Motor versahen und in den Verkehr brachten (BGH, Urt. v. 08.03.2021 – VI ZR 505/19, Rz. 20 f.).
26
Für ein derartiges Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen ist die Klagepartei im Grundsatz voll darlegungs- und beweispflichtig. Eine diesbezügliche sekundäre Darlegungslast der Beklagten würde voraussetzen, dass das (unstreitige oder nachgewiesene) Parteivorbringen hinreichende Anhaltspunkte enthält, die den Schluss auf ein entsprechendes Wissen nahelegen.
27
Auch dem – ohnehin verspäteten – weiteren Vortrag in der Gegenerklärung lässt sich derartiges nicht entnehmen. Die Bezugnahme auf ein Urteil des OLG München vom 08.06.2020 – 21 U 4760/19 vermag einen Vortrag nicht zu ersetzen. Der Senat vermag sich eine derartige Überzeugung von einer Kenntnis der Beklagten von der Funktionsweise der verwendeten Software auf der Grundlage des hiesigen Vortrags nicht zu bilden. Vielmehr besteht nach Auffassung des Senats die ernsthafte und naheliegende, klägerseits nicht widerlegte Möglichkeit, dass (auch) die hiesige Beklagte von der V. AG nicht über das Vorhandensein einer Umschaltlogik bzw. sonstigen unzulässigen Abschalteinrichtung informiert worden ist. Denn welche Mutter (Gesellschaft) würde gegenüber ihrer (Tochter) Gesellschaft, die mit ihrem „Vorsprung durch Technik“ wirbt, schon ohne Not offenbaren, dass sie die einschlägigen Abgasnormen leider nur durch Betrug einhalten kann? Damit wurde die Klage bereits mangels Passivlegitimation im Ergebnis zutreffend ohne Beweisaufnahme abgewiesen.
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3. Ein auf Rückabwicklung des streitgegenständlichen Kaufvertrags gerichteter Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 5 der Verordnung (EG) 715/2007 kommt weiterhin nicht in Betracht.
29
a) Der Bundesgerichtshof geht in inzwischen ständiger Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 Rn. 72 ff., BGHZ 225, 316; Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20 Rn. 10 ff., ZIP 2020, 1715; vgl. auch Beschluss vom 10. Februar 2022 – III ZR 87/21 Rn. 8 ff, juris) davon aus, dass die Rechtslage im Hinblick auf § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV von vornherein eindeutig („acte clair“, vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 – Rs 283/81, NJW 1983, 1257, 1258; BVerfG, NVwZ 2015, 52 Rn. 35) sei. Zuletzt hat er dies im Beschluss vom 4. Mai 2022 – VII ZR 656/21 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das den Gegenstand der Schlussanträge des Generalanwalts R. vom 02.06.2022 bildende Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Ravensburg ausgesprochen. Selbst wenn die Verordnung (EG) 715/2007 dem Schutz der Käufer eines Fahrzeugs vor Verstößen des Herstellers gegen seine Verpflichtung, neue Fahrzeug in Übereinstimmung mit ihrem genehmigten Typ bzw. den für ihren Typ geltenden Rechtsvorschriften in den Verkehr zu bringen, diente, besage dies nichts für die Frage, ob damit auch der Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts und damit der Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrages erfasst sein solle. Es seien keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber mit den genannten Vorschriften (auch) einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezweckt habe und an die (auch fahrlässige) Erteilung einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück) Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags hätte knüpfen wollen (BGH, Beschluss vom 4. Mai 2022 – VII ZR 656/21 –, Rn. 3, juris).
30
b) Auch die Schlussanträge des Generalanwalts R. vom 02.06.2022 in der Rechtssache C, 100/21 (Celex-Nr. 62021CC0100) geben – entgegen der Ansicht der Klagepartei im Schriftsatz vom 17.06.2022 keine Veranlassung, von dieser gefestigten Rechtsprechung abzuweichen oder nunmehr eine Vorlage an den EuGH gemäß § 267 AEUV in dieser Sache in Erwägung zu ziehen:
31
(1) Die in dem Verfahren C-100/21 aufgeworfenen Fragen sind im vorliegenden Falle schon nicht entscheidungserheblich, nachdem die Klage bereits mangels Passivlegitimation der Beklagten abzuweisen war, s.o.
32
(2) Ferner ist zunächst festzuhalten, dass die Schlussanträge den Europäischen Gerichtshof nicht binden. Auch wenn der Europäische Gerichtshof ihnen in der Regel folgt, haben die Schlussanträge ebenso wenig Außenwirkung wie die entsprechende Einschätzung der EU-Kommission.
33
(3) Darüber hinaus schlägt der Generalanwalt inhaltlich zwar vor, die erste und zweite Vorlagefrage so zu beantworten, dass Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der RL 2007/46 dahin auszulegen sind, dass sie die Interessen eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs schützen, insbesondere das Interesse, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist (IV B. 50 der Schlussanträge vom 02.06.2022). Hinsichtlich der Vorlagefragen 3 – 6 beschränkt sich der Antrag jedoch auf die Feststellung, dass ein Erwerber eines Fahrzeugs einen Ersatzanspruch gegen einen Hersteller hat, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist. Es sei jedoch Sache der Mitgliedstaaten die Regeln für die Art und Weise der Berechnung des Ersatzes des Schadens, der dem Erwerber entstanden ist, festzulegen, sofern dieser Ersatz in Anwendung des Effektivitätsgrundsatzes dem erlittenen Schaden angemessen ist (IV C 65 der Schlussanträge vom 02.06.2022). Damit stünde es den Mitgliedstaaten, selbst wenn der Europäische Gerichtshof den Anträgen des Generalanwalts folgen sollte, weiterhin frei, einen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages wegen einer Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts zu verneinen. Ein solcher ist aber Gegenstand der vorliegenden Berufung.
34
(4) Die Schlussanträge des Generalanwalts vom 02.06.2022 bieten nach Auffassung des Senats auch in der Sache keine ausreichenden Anhaltspunkte, um nunmehr von einer durch den EuGH klärungsbedürftigen Frage auszugehen:
35
(a) Zur EuGH-Vorlage des BGH zur Klärung der Frage, ob es sich bei den nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Medizinprodukte-RL um Schutzgesetze gem. § 823 Abs. 2 BGB handeln könne (NJW 2015, 2737), hatte der EuGH seinerzeit entschieden, dass die Voraussetzungen, unter denen eine von einer benannten Stelle begangene schuldhafte Verletzung der ihr im Rahmen dieses Verfahrens gemäß dieser Richtlinie obliegenden Pflichten ihre Haftung gegenüber den Endempfängern begründen kann, vorbehaltlich der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität dem nationalen Recht unterliegen (EuGH, ECLI:ECLI:EU:C:2017:128 = NJW 2017,1161 [Schmitt/TÜV Rheinland] zur Haftung für Schäden durch fehlerhafte Brustimplantate).
36
Das sieht im Grundsatz auch der Generalanwalt R. so, wenn er in Rz. 55 seiner Schlussanträge vom 02.06.2022 ausführt, dass, abgesehen von einem Entschädigungsanspruch, der unmittelbar im Unionsrecht begründet ist, im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu bestimmen ist, wie der entstandene Schaden zu ersetzen ist, wobei die im nationalen Schadensersatzrecht festgelegten Voraussetzungen wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen zu verhängen ermöglichen müssen.
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(b) Bei der Beurteilung dieser Frage übersieht der Generalanwalt dann jedoch völlig, dass nach – im Wesentlichen auf der VerbrauchsgüterkaufRL beruhendem – nationalem deutschem Recht bei der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in erster Linie – sogar z.T. verschuldensunabhängige – „äußert wirksame und abschreckende“ kaufvertragliche Ansprüche gegen den Fahrzeugverkäufer bestehen (vgl. z. B. BGH, Urteil vom 21. Juli 2021 – VIII ZR 254/20, zum Motor EA189, BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19, zum Motor OM651) und Ansprüche aus unerlaubter Handlung gegen den Fahrzeughersteller deshalb erst nach Ablauf der – gem. der Verbrauchsgüterkauf-RL europarechtlich einheitlichen – Gewährleistungsfrist von 2 Jahren in den Fokus treten.
38
Deshalb trifft es entgegen der Auffassung des Generalanwalts in Rz. 58 auch nicht zu, dass „der Fahrzeughersteller nach derzeitigem Rechtsstand in Deutschland keine Inanspruchnahme zu befürchten“ hätte. Denn der Fahrzeughersteller unterliegt wegen der Aufwendungen des Fahrzeugverkäufers im Rahmen der Gewährleistung gem. § 445a BGB dem Rückgriff des Händlers, hat also wirtschaftlich die Folgen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen ggf. voll und alleine zu tragen, was nach Auffassung des Senats fraglos auch ausreichenden Anreiz böte, die Unionsvorschriften penibel einzuhalten (ähnlich OLG Stuttgart, Urteil vom 28.06.2022, Gz. 24 U 115/22, bisher n.v.).
39
(c) Dass es aus Gründen der „Äquivalenz und der Effektivität“ gleichwohl europarechtlich noch zusätzlich der Begründung einer auf Rückabwicklung des Kaufvertrags gerichteten unmittelbaren Fahrlässigkeitshaftung aus § 823 Abs. 2 BGB iVm Art. 5 Abs. 2, 3 Nr.10 der VO Nr. 715/2007 gegen den Fahrzeughersteller bedürfte, erscheint daher weiter fernliegend (vgl. bereits Senat, Beschluss vom 29.8.2019 – 8 U 1449/19, WM 2019, 1937, NJW-RR 2019, 1497, Rn. 78 ff., beck-online, rechtskräftig, NZB vom BGH mit Beschluss vom 15.09.2020, Gz. VI ZR 389/19, ohne Begründung zurückgewiesen).“
40
(d) Daran ändert auch die Pressemitteilung Nr. 104/2022 des BGH vom 01.07.2022 zum Verhandlungstermin am 21. November 2022 in Sachen VIa ZR 335/21 („Dieselverfahren“; …unionsrechtliche Folgefragen) nichts. Der Senat versteht diese Pressemitteilung dahingehend, dass der BGH nur vorsorglich einen Termin bestimmt hat, um sich ggf. zeitnah mit einer Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C100/21 befassen zu können. Dem kann nach Auffassung des Senats aber nicht entnommen werden, dass der BGH nunmehr davon ausginge, dass im Hinblick auf die – nach Auffassung des Senats sachlich verfehlten, s.o. – Schlussanträge des Generalanwalts kein „acte clair“ mehr vorläge.
III.
41
Einer Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO steht weder eine grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits entgegen, noch erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts.
42
Die Voraussetzungen einer deliktischen Haftung sind vorliegend höchstrichterlich geklärt. Hinsichtlich der Entwicklung und des Einsatzes einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 hat der Bundesgerichtshof diese durch zahlreiche Entscheidungen weiter konkretisiert. Ob die Voraussetzungen für eine Haftung der Beklagten vorliegen, hängt dabei von den in tatrichterlicher Würdigung des jeweiligen Sachvortrags zu treffenden Feststellungen des Berufungsgerichts ab und kann nicht Gegenstand einer grundsätzlichen Klärung durch den Bundesgerichtshof sein (BGH, Beschluss vom 21. März 2022 – VIa ZR 334/21 –, Rn. 13, juris).
43
Eine Divergenz zu anderen obergerichtlichen Entscheidungen ist zudem weder vorgetragen noch vor diesem Hintergrund ersichtlich.
IV.
44
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde entsprechend dem erteilten Hinweis gemäß §§ 47, 48 GKG in ausgesprochener Höhe festgesetzt.