Titel:
Keine Haftung von Audi für den entwickelten, hergestellten und eingebauten 3,0-Liter-Motor (hier: Audi Q 5 3.0 TDI Quattro)
Normenketten:
BGB § 445a, § 823 Abs. 2, § 826
ZPO § 148, § 522 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 5
RL 2007/46/EG Art. 3 Nr. 3, Nr. 36, Art. 18. Art. 46
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2021, 41003; BeckRS 2022, 21374; BeckRS 2022, 19714; OLG Bamberg BeckRS 2022, 33515; OLG Karlsruhe BeckRS 2021, 43408; OLG München BeckRS 2021, 54385; BeckRS 2022, 18804; BeckRS 2022, 18875; BeckRS 2022, 24486; BeckRS 2022, 28198; BeckRS 2022, 34469; BeckRS 2021, 52024; BeckRS 2022, 21228; BeckRS 2022, 23106; BeckRS 2022, 18807; BeckRS 2022, 21953; BeckRS 2023, 2581; OLG Nürnberg BeckRS 2022, 21211; LG Bamberg BeckRS 2022, 29502; LG Kempten BeckRS 2022, 28679; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2022, 30355; OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Schlussanträge des Generalanwaltes Rantos vom 02.06.2022 bleiben ohne Relevanz, wenn sich im konkreten Fall Klage und Berufung ausschließlich auf ein vorsätzliches Handeln der Herstellerin berufen. (Rn. 16 – 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Hinblick auf die Tatbestandswirkung der wirksamen Typgenehmigung fehlt es bereits an einem objektiven Verstoß gegen § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV. (Rn. 18 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
4. Vor dem Hintergrund der in § 445a BGB geregelten Rückgriffmöglichkeit des Verkäufers stellt dies auch mit Blick auf die Fahrzeughersteller, einen hinreichenden Anreiz dar, die Unionsvorschriften einzuhalten, um eine Haftung zu vermeiden. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, 3,0-Liter-Motor, Audi, unzulässige Abschalteinrichtung, Rollenprüfstandserkennung, Servolenkungssensor, Thermofenster, Tatbestandswirkung, Rückgriffmöglichkeit des Verkäufers, Schlussanträge des Generalanwalts
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 23.12.2021 – 30 O 13665/20
Fundstelle:
BeckRS 2022, 36080
Tenor
1. Der Antrag der Klagepartei auf Aussetzung des Verfahrens wird zurückgewiesen.
2. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 23.12.2021, Aktenzeichen 30 O 13665/20, wird zurückgewiesen.
3. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 44.644,13 € festgesetzt.
Gründe
1
Der Kläger hat einen Pkw AUDI Q 5 3.0 TDI Quattro mit einem 3,0 l Diesel-Motor der Schadstoffklasse Euro5, Motortyp EA896, Motorkennbuchstabe CDUD, erstzugelassen am 18.07.2013, am 8.7.2013 mit einem km-Stand von 10 erworben. Ein unter der Nr. 91759 vom KBA genehmigtes Software-Update unter der Aktionsnummer 23Z2 wurde im November 2019 aufgespielt.
2
Die Klagepartei hat - nachdem sie in der Klageschrift lediglich eine in ihrer Funktionsweise nicht näher beschriebene Abschalteinrichtung/defeat device behauptet hat, aufgrund derer ein Rückruf mit dem Code 23X6 erfolgt sei - mit Schriftsatz vom 18.02.2021 behauptet, folgende Abschaltvorrichtungen seien vorhanden (bzw. bis zum Aufspielen des Updates vorhanden gewesen):
- Rollenprüfstandserkennung durch einen Servolenkungssensor mit der Folge erhöhter Abgasrückführung und Leistungsreduktion durch ein Auxiliary Emission Control Device
- ein im Bereich von 17 bis 30 Grad bedatetes Thermofenster, wobei ab Temperaturen von unter 17 Grad die Abgasreinigung „geringer“ ausfalle.
3
Hinsichtlich der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen vollumfänglich klageabweisenden Urteil des Landgerichts München I vom 23.12.2021 Bezug genommen.
4
Im Berufungsverfahren wird beantragt,
- 1.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 44.644,13 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi Q5 mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer …108.
- 2.
-
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu Ziffer 1. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
- 3.
-
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Kosten für die Rechtsverfolgung in Höhe von 3.178,40 € freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Ergänzend wird Bezug genommen auf die Ausführungen in der Berufungsbegründung.
7
A. Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 23.12.2021, Aktenzeichen 30 O 13665/20, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist. Die hiergegen vorgebrachten Gründe greifen nicht durch.
8
B. Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen.
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C. Eine Gegenerklärung hierzu ist innerhalb der gesetzten und einmal um drei Wochen verlängerten Frist nicht eingegangen.
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D. Eine wiederholte Fristverlängerung um zwei Monate, die hilfsweise zu diversen weiteren Anträgen (Aussetzung, Terminierung) beantragt wurde, war nicht zu gewähren, da kein erheblicher Grund vorliegt. Es ist nicht dargelegt, dass die vorgetragene Befassung der klägerischen Prozessbevollmächtigten durch 500 Verfahren innerhalb der schon einmal um drei Wochen verlängerten ursprünglich zweiwöchigen Frist unerwartet eingetreten wäre. Die Beklagtenpartei ist einer erneuten Fristverlängerung entgegen getreten.
11
Auf die Frage, ob die Behauptung im ersten Fristverlängerungsantrag (die so im vorliegenden zweiten Antrag schon nicht konkret aufgestellt wurde) zutrifft, wonach Rechtsanwalt S. der alleinige Sachbearbeiter sei, kommt es nicht an.
12
E. Mangels Zustimmung der Beklagtenpartei kam eine Anordnung des Ruhens des Verfahrens nach § 251 ZPO nicht in Betracht.
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F. Ebenso wenig sieht der Senat Anlass zu einer Aussetzung analog §§ 148 Abs. 1 ZPO im Hinblick auf vor dem EuGH anhängige Verfahren.
14
1. Das Verfahren C-873/19 hat, soweit es klägerseits referiert wurde, keine Relevanz. Die Fragen einer „Letztentscheidungskompetenz“ des KBA und der Klagebefugnis von Verbänden sind für den vorliegenden Fall unerheblich; um eine etwaige Tatbestandswirkung bestehender Typgenehmigungen und deren Auswirkung auf etwaige Schadensersatzansprüche von Erwerbern geht es im dortigen Verfahren nicht.
15
2. Der Antrag des Generalanwalts R. vom 02.06.2022 im Verfahren C-100/21 ist ebenfalls ohne Bedeutung für das hiesige Verfahren.
16
Ungeachtet dessen, dass der Senat die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich bereits mehrfach zur Thematik des Vorabentscheidungsgesuchs des Landgerichts Ravensburg geäußert hat, zur Frage des acte clair im Hinblick auf fehlenden Drittschutz der Normen der EGFEV für vollumfänglich zutreffend ansieht, stützt sich die Berufung ausweislich ihrer Begründung 35 U 245/22 - Seite 4 - nicht auf Ansprüche aus diesen vermeintlichen Schutznormen, sondern macht lediglich Ansprüche wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung im Zusammenhang mit einem Thermofenster geltend.
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a) Ebenso wurden mit der Klageschrift lediglich Ansprüche aus § 826 BGB, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB geltend gemacht. Soweit mit Schriftsatz vom 18.02.2021 erstinstanzlich die Normen der EG-FEV als Schutzgesetze herangezogen wurden (S. 21 f.) geschah dies alleine unter dem Gesichtspunkt einer Täuschung „der Genehmigungsbehörden…über Jahre hinweg, die mit dem Ziel der Gewinnmaximierung erfolgte“. Die Klagepartei stützt sich damit auf ein vorsätzliches Handeln, für das jedenfalls aufgrund der unstreitig vorhandenen grundsätzlichen Kenntnis des KBA keine Anhaltspunkte vorliegen. Ansprüche aufgrund fahrlässiger Verstöße gegen die Normen der EG-FEV sind weder geltend gemacht noch ist ein fahrlässiges Verhalten dargelegt.
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b) Es fehlt zudem bereits an einem objektiven Verstoß gegen § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV.
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(1) § 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV schreibt vor, dass Fahrzeuge nur dann in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn sie mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen sind. Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV hat der Inhaber der EG-Typgenehmigung für jedes dem genehmigten Typ entsprechende Fahrzeug eine Übereinstimmungsbescheinigung nach Artikel 18 in Verbindung mit Anhang IX der RL 2007/46/EG auszustellen und dem Fahrzeug beizufügen. Die Übereinstimmungsbescheinigung ist nach dem der Verordnung über die EGGenehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbstständige technische Einheiten für diese Fahrzeuge zugrundeliegenden RL 2007/46/EG ein vom Hersteller ausgestelltes Dokument, mit dem bescheinigt wird, dass ein Fahrzeug aus der Baureihe eines nach dieser Richtlinie genehmigten Typs zum Zeitpunkt seiner Herstellung allen Rechtsakten entspricht (Art. 3 Nr. 36 der RL 2007/46/EG). Gemäß Art. 3 Nr. 3 der RL 2007/46/EG beschreibt die Typgenehmigung das Verfahren, nach dem ein Mitgliedstaat bescheinigt, dass ein Typ eines Fahrzeugs den einschlägigen Verwaltungsvorschriften und technischen Anforderungen entspricht.
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Die Beklagte hat die § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht verletzt, da das Fahrzeug des Klägers mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen ist. Die der Übereinstimmungsbescheinigung zugrundeliegende Typengenehmigung stellt einen Verwaltungsakt gemäß § 35 VwVfG dar (OLG Brandenburg, Beschluss vom 14. Juni 2021 - 11 U 173/20, juris Rn. 36; OLG Stuttgart, Urteil vom 22. September 2020 - 16a U 55/19, juris Rn. 54; OLG Celle, Urteil vom 13. November 2019 - 7 U 367/18, juris Rn. 38; Schröder, DVBl 2017, 1193, 1194). Diesem kommt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sog. Tatbestandswirkung zu, die - solange der Verwaltungsakt nicht durch die zuständige Behörde oder ein Verwaltungsgericht aufgehoben worden oder nichtig ist - zur Folge hat, dass die Zulässigkeit des beanstandeten Verhaltens einer Nachprüfung durch die Zivilgerichte entzogen ist (BGH, Urteile vom 14. Juni 2007 - I ZR 125/04, juris Rn. 14, vom 30. April 2015 - I ZR 13/14, juris Rn. 31; vom 16. März 2021 - VI ZR 773/20, juris Rn. 12; vom 4. August 2020 - II ZR 174/19, juris Rn. 35; vom 12. Januar 2007 - V ZR 268/05, juris Rn. 11; vom 4. Februar 2004 -XII ZR 301/01, juris Rn. 13; siehe auch: BeckOK VwVfG/Schemmer, 49. Ed., § 43 VwVfG Rn. 28; OLG Stuttgart, Urteil vom 22. September 2020 - 16a U 55/19, juris Rn. 54; OLG Brandenburg, Beschluss vom 14. Juni 2021 - 11 U 173/20, juris Rn. 50; OLG Celle, Urteil vom 13. November 2019 - 7 U 367/18, juris Rn. 38).
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Der Senat hat daher den verfügenden Teil des Verwaltungsakts - seinen Ausspruch, dass der Typ des klägerischen Fahrzeugs den einschlägigen Verwaltungsvorschriften und technischen Anforderungen entspricht - ohne inhaltliche Prüfung der Richtigkeit der darin getroffenen Regelung seiner Entscheidung zugrunde zu legen (BGH, Urteile vom 4. August 2020 - II ZR 174/19, juris Rn. 36; vom 12. Januar 2007 - V ZR 268/05, juris Rn. 11; vom 16. März 2021 - VI ZR 773/20, juris Rn. 12). Dies gilt auch dann, wenn die Beklagte bei der Beantragung der Typengenehmigung erforderliche Angaben zu den Einzelheiten der temperaturabhängigen Steuerung unterlassen haben sollte, da die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG gehalten gewesen wäre, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug zu prüfen (BGH, Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 190/20, juris Rn. 26).
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(2) Die Einordnung des Thermofensters als unzulässige Abschalteinrichtung durch den Europäischen Gerichtshof rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn selbst wenn das Fahrzeug des Klägers (noch immer) mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen sein sollte, führte dies nicht (automatisch) zur Unwirksamkeit der Typengenehmigung, sondern allenfalls zu deren Rechtswidrigkeit. Ein Nichtigkeitsgrund im Sinne des § 44 Abs. 1 VwVfG ist in der Abschalteinrichtung nicht zu erblicken, da ein Verstoß gegen EU-Recht allein keinen schwerwiegenden Fehler im Sinne dieser Vorschrift darstellt (BGH, Urteil vom 14. Juni 2007 - I ZR 125/04, juris Rn. 23; Huck/Müller/Müller, VwVfG, 3. Aufl., § 44 Rn. 10). Dem Grundsatz der Effektivität des Gemeinschaftsrechts wird durch § 25 EG-FGV hinreichend Rechnung getragen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 2007 - I ZR 125/04, juris Rn. 23).
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(3) Da auch objektive Anhaltspunkte für eine absichtliche Täuschung des KBA fehlen (zur insoweit fehlenden Bindungswirkung der behördlichen Genehmigung vgl.: OLG Celle, Urteil vom 13. November 2019 - 7 U 367/18, juris Rn. 39; OLG Brandenburg, Beschluss vom 14. Juni 2021 - 11 U 173/20, juris Rn. 37; OLG Stuttgart, Urteil vom 22. September 2020 - 16a U 55/19, juris Rn. 68) - die Beklagte hat gegenüber dem KBA im Rahmen der Gesamttypgenehmigung die Temperaturabhängigkeit der Abgasreinigung ausreichend offengelegt (BGH, Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 190/20, juris Rn. 26) -, ist die Typengenehmigung nicht erschlichen worden und daher auch nicht aus diesem Grund unwirksam. Bei der Übereinstimmungsbescheinigung selbst handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt, sondern eine (Wissens-)Erklärung des Herstellers (Schröder, DVBl 2017, 1193, 1196). Aus Art. 18 Abs. 1 Satz der RL 2017/46/EG ergibt sich, dass sich die Erklärung insbesondere darauf bezieht, dass das konkrete Fahrzeug in Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ hergestellt wurde.
24
Daraus folgt für die Gültigkeit der Übereinstimmungsbescheinigung, dass sie nicht anders beurteilt werden kann als die Wirksamkeit der Typengenehmigung. Die Übereinstimmungsbescheinigung partizipiert also insoweit an der Tatbestandswirkung der Typengenehmigung, als dass sie - soweit die übrigen Voraussetzungen des Art. 18 der RL 2017/46/EG gegeben sind (vgl. insoweit Schröder, DVBl 1193, 1197) - von den Zivilgerichten soweit und solange als gültig zu betrachten ist, soweit und solange die ihr zugrunde liegende Typengenehmigung wirksam ist.
25
c) Es fehlt überdies an dem gemäß § 823 Abs. 2 Satz 2 BGB (i.V.m. § 37 Abs. 1 EG-FGV) erforderlichen Verschulden der Beklagten.
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(1) Eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB setzt schuldhaftes Handeln voraus, wobei sich das Verschulden nach h. M. nur auf die Verletzung des Schutzgesetzes und nicht auch auf die Verletzung des betroffenen Rechtsguts beziehen muss (Staudinger/Hager, BGB (2021), § 823 G, Rn. 34). Mit Blick auf den für eine Haftung der Beklagten erforderlichen Verschuldensgrad wäre im Fall der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV fahrlässiges Handeln ausreichend (Staudinger/Hager, aaO Rn. 37). Eine Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB scheidet allerdings aus, wenn feststeht, dass die für den Vollzug des Schutzgesetzes zuständige Behörde die ex post als irrtümlich erkannte Rechtsauffassung des Schädigers bestätigt hätte, selbst wenn dieser eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt haben sollte (MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl., § 823 Rn. 610; Staudinger/Hager aaO Rn. 38; BeckOK BGB/Förster, 62. Ed., § 823 Rn. 285; BGH, Urteil vom 27. Juni 2017 - VI ZR 424/16, juris Rn. 15 ff.).
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(2) Dies zugrunde gelegt ist ein Verschulden der Beklagten zu verneinen. Wie sich aus den dem Verfahren C-134/20 des Europäischen Gerichtshofs zugrundeliegenden Feststellungen ergibt, genehmigte das KBA das Software-Update, das auf Fahrzeuge mit dem Motor EA 189 aufgespielt wurde. Dieses Update enthielt ein Thermofenster, das einen schadstoffarmen Modus nur dann gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt und der Fahrbetrieb unterhalb von 1.000 Höhenmetern erfolgt (EuGH, Urteil vom 14. Juli 2022 - C-134/20 Rn. 19 u. 24 f.). In mehreren in „Parallelverfahren“ erteilten amtlichen Auskünften hat das KBA erklärt, dass es die temperaturabhängige Steuerung der Abgasreinigung (Thermofenster) - auch in der ursprünglichen Bedatung - im Gesamttypgenehmigungsverfahren nicht beanstandet, sondern die Typgenehmigung erteilt hätte.
28
d) Schließlich besteht auf Seiten des Klägers kein Schaden (mehr) bzw. kann/konnte er aus§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, § 249 BGB allenfalls einen Anspruch auf Beseitigung des Thermofensters oder Veränderung desselben auf ein zulässiges Maß geltend machen.
29
Eine Schadensersatzpflicht nach § 249 BGB besteht nur, wenn der geltend gemachte Schaden nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fällt (Grüneberg, BGB, 81. Aufl., Vorb v § 249 Rn. 29). Verfahrensrechtlich ist für die Schadensbemessung der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend (BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 - VII ZR 46/17, juris Rn. 25 m.w.N.; Grüneberg, BGB, 81. Aufl., Vorb v § 249 Rn. 127).
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(1) Daran gemessen kann der Kläger von der Beklagten nicht die (Rück-)Zahlung des bezahlten Kaufpreises verlangen.
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aa) Wie oben ausgeführt, sollen die § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV sicherstellen, dass Fahrzeuge nur dann in den Verkehr gebracht werden, wenn sie mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen sind. Selbst wenn man also davon ausgehen sollte, dass das Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung dazu führt, dass keine gültige Übereinstimmungsbescheinigung vorliegt und die Beklagte dies verschuldete, kann sich aufgrund des Schutzzwecks der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus § 823 Abs. 2 BGB zwar ein Anspruch gegen den Inhaber der EG-Typgenehmigung auf Beifügung einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung (in Form der Beseitigung der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung), nicht aber auf (Rück-)Abwicklung eines Kaufvertrags mit einem Dritten ergeben.
32
bb) Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu einem sich aus § 826 BGB ergebenden Schadensersatzanspruch von Käufern eines Fahrzeugs mit einem Motor EA 189 gegen den Hersteller auf (Rück-)Abwicklung des Kaufvertrags steht hierzu nicht in Widerspruch. Denn soweit der Bundesgerichtshof den Schaden in diesen Fällen in dem Abschluss eines Kaufvertrags über ein bemakeltes Fahrzeug gesehen hat (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 44), hat er dies ausdrücklich auf § 826 BGB beschränkt, indem er ausgeführt hat, dass sich der Geschädigte auch von einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer „ungewollten“ Verpflichtung wieder befreien können muss und eine solche daher einen gemäß § 826 BGB zu ersetzenden Schaden darstellen kann (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 47). § 826 BGB bewirke insoweit einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen (BGH, aaO).
33
cc) Dies ist bei den § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV und den ihr zugrundeliegenden Regelungen der EU-RL 2007/46 indes nicht der Fall (vgl. BGH, Urteile vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 72 ff; vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, juris Rn. 10 ff.). Wie der Bundesgerichtshof unter dem Gesichtspunkt der Schutzgesetzqualität dieser Normen ausgeführt hat, liegt das Interesse des Klägers, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht in deren Schutzbereich (BGH, Urteile vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 76; vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, juris Rn. 11).
34
dd) Aus den Schlussanträgen des Generalanwalts beim Europäischen Gerichtshof im Verfahren C-100/21 ergibt sich nichts anderes. Zwar ist der Generalanwalt der Auffassung, dass die RL 2007/46/EG dahin auszulegen sei, dass sie die Mitgliedstaaten verpflichte, vorzusehen, dass ein Erwerber eines Fahrzeugs einen Ersatzanspruch gegen den Fahrzeughersteller hat, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist; die konkrete Ausgestaltung dieses Ersatzanspruchs sei allerdings Sache der Mitgliedsstaaten (Schlussanträge vom 2. Juni 2022 - C-100/21 Rn. 65). Die Auffassung des Senats, dass sich aus einer - zu Gunsten des Klägers unterstellten - schuldhaften Verletzung der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, wobei - ebenfalls zu Gunsten des Klägers - weiter unterstellt wird, diese Normen seien Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB, allenfalls ein Anspruch auf Beseitigung des Thermofensters oder Veränderung desselben auf ein zulässiges Maß ergibt, steht daher im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und nicht in Widerspruch zur Auffassung des Generalanwalts, da auch hierdurch die Interessen eines Erwerbers geschützt werden, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist (vgl. Schlussanträge vom 2. Juni 2022 - C- 100/21 Rn. 50).
35
Insoweit verbleibt es dabei, dass für die Bemessung des Schadens der Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung maßgeblich ist (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 57 m.w.N.). Denn die Erwägungen des Bundesgerichtshofs in den den Motor EA 189 betreffenden Fällen, dass die Durchführung eines Updates den mit dem Vertragsschluss entstandenen Anspruch eines Käufers auf (Rück-)Zahlung des für das bemakelte Fahrzeug gezahlten Kaufpreises nicht entfallen lassen, sind auf den dort zugesprochenen Anspruch gemäß § 826 BGB begrenzt (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 58). Da der Kläger aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, § 249 BGB nur die Beseitigung der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung verlangen kann, ist ein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages nicht gegeben.
36
e) Das gefundene Ergebnis erfüllt die Voraussetzungen des europarechtlichen Effektivitätsgrundsatzes (siehe dazu Schlussanträge vom 2. Juni 2022 - C-100/21 Rn. 55 u. 65). Dass § 823 Abs. 2 Satz 2 BGB etwaige Ersatzansprüche von einem Verschulden abhängig macht, verstößt nicht gegen europarechtliche Grundgedanken. Denn auch der Generalanwalt geht davon aus, dass die RL 2007/46/EG die Mitgliedstaaten zur Verfügungstellung von Ersatzansprüchen des Erwerbers gegen den Hersteller nur insoweit verpflichtet, als der Hersteller ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenes Fahrzeug schuldhaft in Verkehr gebracht hat (Schlussanträge vom 2. Juni 2022 - C-100/21 Rn. 54).
37
Der vom Senat als möglich erachtete Anspruch auf Beseitigung der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung ist eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion im Sinne des Art. 46 der Richtline 2007/46/EG gegen den Hersteller. Dabei darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Generalanwalt die Verpflichtung der Mitgliedstaaten aus Art. 46 der RL 2007/46/EG herleitet, die besagt, dass die Mitgliedstaaten die Sanktionen festlegen, die bei Verstößen gegen die in Anhang IV Teil I aufgeführten Rechtsakte anzuwenden sind, und alle für ihre Durchführung erforderlichen Maßnahmen mit wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen ergreifen. Der Richtliniengeber hat den Mitgliedstaaten bei der Bestimmung der Art der Sanktionen freie Hand gegeben. Daraus folgt, dass wenn ein Mitgliedstaat mehrere Sanktionen ergriffen hat, bei der Beurteilung der Effektivität der Maßnahmen das rechtliche Gesamtgefüge maßgeblich ist und der Blick nicht auf Ansprüche einzelner Käufer gegen den Hersteller verengt werden darf.
38
Die in der Bundesrepublik Deutschland zur Erfüllung der Verpflichtung gemäß Art. 46 der RL 2007/46/EG zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten sind ausreichend effektiv. Abgesehen davon, dass § 37 Abs. 1 EG-FGV vorsätzliche oder fahrlässige Verstöße gegen § 27 Abs. 1 Satz 1 FG-FGV mit einem Bußgeld belegt, sehen die §§ 29a, 30 OWiG die Möglichkeiten vor, Geldbußen gegen juristische Personen zu verhängen und Taterträge einzuziehen. Die deutschen Gerichte haben im Zusammenhang mit dem sog. „Dieselskandal“ von diesen Vorschriften Gebrauch gemacht und gegen die Beklagte eine Geldbuße und eine Einziehung in Höhe von einer Milliarde Euro und gegen eine Tochterfirma der Beklagten solche in Höhe von 800 Millionen Euro angeordnet. Über diese strafrechtlichen Vorschriften hinaus sieht das deutsche Gewährleistungsrecht bei der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen - sogar z. T. verschuldensunabhängige - kaufvertragliche Ansprüche gegen den Fahrzeugverkäufer vor (vgl. zum Motor EA189: BGH, Urteil vom 21. Juli 2021 - VIII ZR 254/20; zum Motor OM651: BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 - VIII ZR 57/19). Vor dem Hintergrund der in § 445a BGB geregelten Rückgriffmöglichkeit des Verkäufers stellt dies auch mit Blick auf die Fahrzeughersteller, einen - von dem Generalanwalt geforderten, in seiner Stellungnahme jedoch unberücksichtigt gebliebenen - Anreiz dar, die Unionsvorschriften einzuhalten, um eine Haftung zu vermeiden (vgl. Schlussanträge vom 2. Juni 2022 - C-100/21 Rn. 58).
39
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
40
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 ZPO.
41
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.