Inhalt

OLG München, Beschluss v. 01.08.2022 – 35 U 3061/22
Titel:

Kein Schadensersatz wegen angeblicher Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung

Normenkette:
BGB § 826
Leitsätze:
1. Eine Behauptung ist unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist, weswegen die Partei greifbare Umstände anführen muss, auf die sie den Verdacht gründet, ihr Fahrzeug weise eine oder mehrere Abschalteinrichtungen auf. Bei der Behauptung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Zusammenhang mit deliktischen Ansprüchen können greifbare Anhaltspunkte etwa staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung oder verpflichtende Rückrufe des Kraftfahrt-Bundesamts wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in dem im Streit stehenden Motortyp sein. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im realen Fahrbetrieb gemessene Emissionsgrenzwertüberschreitungen sind bereits als tatsächlicher Anhaltspunkt für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung untauglich. Der Umstand, dass die Emissionen im Realbetrieb über denen auf dem Prüfstand liegen, liegt auf der Hand. Dies folgt neben dem Einfluss von Witterung, Straßenbelag und individuellen Fahrverhalten auch aus den - zulässigerweise - auf dem NEFZ-Prüfstand bestehenden Optimierungsmöglichkeiten. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die der Übereinstimmungsbescheinigung zugrundeliegende Typengenehmigung stellt einen Verwaltungsakt gemäß § 35 VwVfG dar. Diesem kommt Tatbestandswirkung zu, die - solange der Verwaltungsakt nicht durch die zuständige Behörde oder ein Verwaltungsgericht aufgehoben worden oder nichtig ist - zur Folge hat, dass die Zulässigkeit des beanstandeten Verhaltens einer Nachprüfung durch die Zivilgerichte entzogen ist. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Thermofenster, Getriebeschaltprogramm, faktisches Abklemmen, Fahrkurvenerkennung, OBD
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Endurteil vom 08.04.2022 – 83 O 4755/20 Die
Fundstelle:
BeckRS 2022, 36079

Tenor

1. Der Antrag der Klagepartei auf Aussetzung des Rechtsstreits wird zurückgewiesen.
2. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 08.04.2022, Az. 83 O 4755/20 Die, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
3. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 2 Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
4. Innerhalb derselben Frist kann zur Streitwertfestsetzung Stellung genommen werden.

Gründe

I.
1
Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Weder weist der Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung auf noch erscheint eine Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund mündlicher Verhandlung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten.
2
Die Würdigung durch das Landgericht ist frei von Rechtsfehlern (§§ 513 Abs. 1, 546 ZPO). Unter zutreffender Würdigung des Parteivortrags, der Gesamtumstände sowie der vorgelegten Unterlagen hat das Gericht in 1. Instanz zu Recht die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.
II.
3
A. Mit der Berufung wird nunmehr beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 13.247,75 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an die Klagepartei zu bezahlen. Damit macht die Klagepartei den ihr entstandenen Schaden in Form einer Kaufpreiszahlung abzüglich eines von ihr erlangten Veräußerungserlöses sowie abzuziehender Nutzungsentschädigung geltend.
4
Erstinstanzlich hatte die Klagepartei einen Antrag auf Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen und weiterer Funktionen im vom Kläger erworbenen Pkw angekündigt (1), hilfsweise hierzu (1a) die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 38.500 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Pkw Audi Q7 3.0 V6 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer …074 sowie darüber hinaus die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden (1b)
5
Obwohl der Klagepartei bekannt war, dass sie den Pkw bereits im Dezember 2019 veräußert hatte, hat sie diesen Feststellungsantrag und hilfsweisen Zahlungsantrag auch noch im Termin vor dem Landgericht Ingolstadt am 14.01.2022 gestellt.
6
Nach Übergang in das schriftliche Verfahren hat die Klagepartei erstinstanzlich lediglich den Hilfsantrag 1a umgestellt dahingehend, die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei 24.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen abzüglich einer von der Beklagten darzulegenden und zu beweisenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des vorgenannten Pkw.
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Auch hat die Klagepartei vorgerichtlich mit Schreiben vom 07.12.2020 die Beklagte aufgefordert, den Kaufpreis zu erstatten und das Fahrzeug zurückzunehmen (Anlage K27), obwohl das Fahrzeug zu diesem Zeitpunkt bereits seit knapp einem Jahr veräußert war. Sie macht nach wie vor im Berufungsverfahren Gebühren für eine vorgerichtliche Tätigkeit auf Grundlage eines Gegenstandswerts von 38.500 €, mithin des vollen Kaufpreises, geltend.
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B. Der Kläger hat aufgrund Bestellung vom 12.08.2016 einen Pkw Audi Q7 3.0 TDI, erstzugelassen am 19.07.2012 mit einer Laufleistung von 72.500 km, einem Hubraum von 2967 cm3 und einer Leistung von 180 kW zum Kaufpreis von 38.500 € inklusive Umsatzsteuer erworben. Im Zeitpunkt der Veräußerung im Dezember 2019 betrug die Laufleistung 150.000 km.
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C. Ansprüche wegen etwaiger Abschalteinrichtungen bestehen nicht.
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1. Mit Ausnahme eines Thermofensters erweist sich der Vortrag der Klagepartei zu Abschalteinrichtungen als unbeachtlich. Dabei ist zunächst zu beachten, dass der klägerische Pkw im Jahr 2012 erstzugelassen wurde und unstreitig der Schadstoffnorm Euro5 unterliegt und nicht mit einem SCR-Katalysator versehen ist. Der Senat hält bereits den Vortrag zum Vorhandensein der Vorrichtungen für unbeachtlich, da ins Blaue hinein erfolgt.
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2. Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, haben die Gerichte in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (BGH, Beschluss vom 26.03.2019 - VI ZR 163/17 -, juris Rn. 11; Beschluss vom 25.09.2018 - VI ZR 234/17 -, juris Rn. 8). Eine Partei ist grundsätzlich auch nicht daran gehindert, Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genauen Kenntnisse hat, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält. Sie darf sich grundsätzlich auch auf nur vermutete Tatsachen stützen, wenn sie - wie hier - mangels Sachkunde und Einblick in bestimmte Prozesse keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen hat, wie der Bundesgerichtshof (Urteil vom 28.01.2020 - VIII ZR 57/19 -, juris Rn. 9 ff. obiter dictum, jedoch betreffend kaufrechtliche Gewährleistungsansprüche) gerade auch in einem Fall des sogenannten Abgasskandals festgestellt hat.
12
Eine Behauptung ist allerdings unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist, weswegen die Partei greifbare Umstände anführen muss, auf die sie den Verdacht gründet, ihr Fahrzeug weise eine oder mehrere Abschalteinrichtungen auf (vgl. BGH, a.a.O., juris Rn. 11 ff.). Bei der Behauptung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Zusammenhang mit deliktischen Ansprüchen können greifbare Anhaltspunkte etwa staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung oder verpflichtende Rückrufe des Kraftfahrt-Bundesamts wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in dem im Streit stehenden Motortyp sein, jedenfalls dann, wenn es um kaufrechtliche Gewährleistungsansprüche geht (BGH, Beschluss vom 28.01.2020, VIII ZR 57/19, juris Rn. 11). Es kann ausreichen, wenn die Partei Presseberichte einreicht, nach denen das Kraftfahrt-Bundesamt wegen des Verdachts einer unzulässigen Abschalteinrichtung in dem betroffenen Motor ein Anhörungsverfahren eingeleitet und amtliche Rückrufe durchgeführt habe (BGH, Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/21, juris Rn. 24).
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Dies ist hier jedoch nicht der Fall, sondern der hier streitgegenständliche Motor im klägerischen Fahrzeugtyp ist gänzlich unstreitig nicht von Maßnahmen des KBA im Hinblick auf unzulässige Abschalteinrichtungen betroffen.
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Auch im realen Fahrbetrieb gemessene Emissionsgrenzwertüberschreitungen sind bereits als tatsächlicher Anhaltspunkt für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn von Art. 3 Nr. 10, 5 VO (EG) Nr. 715/2007 untauglich. Der Umstand, dass die Emissionen im Realbetrieb über denen auf dem Prüfstand liegen, liegt auf der Hand (OLG München, Urt. v. 27.10.2021 - 20 U 5499/19, juris Rn. 42; BGH, Urt. v. 13.07.2021 - VI ZR 128/20, juris Rn. 23). Dies folgt neben dem Einfluss von Witterung, Straßenbelag und individuellen Fahrverhalten auch aus den - zulässigerweise - auf dem NEFZ-Prüfstand bestehenden Optimierungsmöglichkeiten (vgl. u.a. Urteile des OLG Stuttgart vom 16.06.2020 - 16a U 228/19, juris Rn. 94, und vom 04.05.2021 - 16a U 202/19, juris Rn. 60ff).
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3. Im Einzelnen ist ergänzend zu den behaupteten Abschalteinrichtungen Folgendes auszuführen:
a) Getriebeschaltprogramm
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Die Beklagte hat bereits in der KIageerwiderung bestritten, dass ein Getriebe des Typs AL551 verbaut sei, zu dem die Klagepartei eine prüfstandsbezogene Umschaltung der Schaltpunktsteuerung behauptet. Beweis hierfür hat die Klagepartei nicht angetreten, ungeachtet der Frage, wo sich der Pkw nunmehr befinden soll. Darüber hinaus ist eine Einwirkung auf Getriebeschaltpunkte unerheblich. Denn sie bewirkt keine Reduktion der Abgasrückführung oder - reinigung, wirkt somit nicht auf das Emissionskontrollsystem ein, sondern hat allenfalls Auswirkungen auf den Kraftstoffverbrauch.
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Die Anlage R17 ist unbehelflich, da dort nur auf einen Konformitätsmangel abgestellt wird, der klägerische Pkw völlig unstreitig anders als der tatsächlich vom KBA beanstandete Pkw Smart jedoch weder hinsichtlich einer Konformitätsabweichung noch insgesamt wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung beanstandet wurde. Zudem ist unklar, ob und welche einschlägigen Normen beim klägerischen Pkw (EZ 2012) im Gegensatz zu dem in Anlage R17 genannten Typgenehmigungsverfahren relevant sein sollen; letztere Typgenehmigung war am 10.06.2014 erteilt worden und wurde innerhalb eines Monats wieder aufgehoben.
b) „faktisches Abklemmen“ der Batterie infolge Vollaufladung vor Durchlaufen des NEFZ
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Auch dies ist bestritten, im Übrigen ist nicht dargelegt oder ersichtlich, dass für den NEFZ keine voll aufgeladenen Fahrzeugbatterien eingesetzt werden dürfen; im Gegenteil darf das Nachladen der Batterie sogar unterbunden werden. Eine technische Einrichtung in der Motorsteuerung trägt die Klagepartei schon nicht vor, vielmehr finde beim NEFZ eine Aufladung durch eine externe Stromquelle auf 100% statt. Hierzu muss aber ein fahrzeugexternes Gerät angeschlossen werden, was im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens also ohne weiteres erkennbar ist. Entgegen dem Berufungsvortrag wurde erstinstanzlich nicht behauptet, dass diese Aufladung wie auch immer und aus welcher Stromquelle auch immer - infolge einer Erkennung des NEFZ erfolge.
19
Eine Einwirkung auf das Emissionskontrollsystem i.S.d. Art. 3 Abs. 10 VO EG 715/2007 findet hierdurch nach der technischen Beschreibung der Klagepartei nicht statt. Mittelbare Effekte auf den Kraftstoffverbrauch begründen keine Abschalteinrichtung, zumal die Klagepartei lediglich 1520% niedrigere CO₂-Werte behauptet und ansonsten „geringere“ NOx-Werte. Dass diese notwendig seien, um die maßgeblichen Grenzwerte einzuhalten, wird nicht behauptet.
c) Fahrkurvenerkennung
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Diese ist bestritten. Die Klagepartei trägt zum Beleg hierfür vor, dass die Beklagte in einem Parallelverfahren vorgetragen habe „in dem streitgegenständlichen Fahrzeug ist keine Fahrzykluserkennung verbaut, die zur Einhaltung von Grenzwerten erforderlich wäre“ (Schrifts. v. 04.10.2021 S. 61). Wie sich aus einem klar bestreitenden Vortrag der Beklagten greifbare Anhaltspunkte entnehmen lassen sollen, erschließt sich nicht.
d) Precon/Timer
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Die Behauptung ist bestritten. Greifbare Anhaltspunkte sind nicht vorgetragen.
e) OBD
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Ein „On-Board-Diagnosesystem“ oder „OBD-System“ ist ein System für die Emissionsüberwachung, das in der Lage ist, mithilfe rechnergespeicherter Fehlercodes den Bereich von Fehlfunktionen anzuzeigen (Art. 3 Nr. 9 VO 715/2007/EG). Das Fahrzeug ist mit einem solchen System auszustatten (Art. 4 Nr. 1 VO 692/2008/EG). In Art. 4 Nr. 2 VO 692/2008/EG wird verlangt, dass es so ausgelegt, gebaut und im Fahrzeug installiert ist, dass es in der Lage ist, während der gesamten Lebensdauer des Fahrzeugs bestimmte Arten von Verschlechterungen oder Fehlfunktionen zu erkennen. Nach Absatz 2.1 des Anhangs XI der VO 692/2008/EG entsprechen die Vorschriften und Prüfungen für OBD-Systeme denen in Anhang 11 Absatz 3 der UN/ECE-Regelung Nr. 83. Diese sieht etwa in der zum 23. Juni 2011 in Kraft getretenen Fassung (ABl. 2012 L 42/1, S. 174) in Absatz 3.3.2 des Anhangs 11 vor, dass das OBD-System die Fehlfunktionen eines emissionsrelevanten Bauteils oder Systems anzeigen muss, wenn diese Fehlfunktion dazu führt, dass die Abgasemissionen bestimmte Schwellenwerte übersteigen. Daraus ist zu schließen, dass Veranlassung des OBD-Systems für eine Messung von Schwellenwerten (diese modifiziert im Anhang XI zur VO 692/2008/EG) nur im Fall des Ausfalls emissionsrelevanter Bauteile oder Systeme besteht; hingegen ist es nicht Aufgabe des OBD-Systems, konstante Messungen der Schadstoffemissionen vorzunehmen und bei Überschreitung bestimmter Schwellenwerte Signale und setzen bzw. zu speichern (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 28. Januar 2021 - 18 U 21/20, juris Rn. 164; OLG Oldenburg, Urteil vom 22. Juli 2021 - 8 U 201/20, juris Rn. 44 ff; OLG Saarbrücken, Urteil vom 15. Dezember 2021 - 2 U 68/21, juris Rn. 53; siehe auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 30. Oktober 2020 - 17 U 296/19, juris Rn. 72).
4. Thermofenster
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a) Ob in dem veräußerten Pkw das - unstreitig vorhandene - Thermofenster mit der klägerseits behaupteten Bedatung vorhanden ist, kann dahinstehen. Zur Bedatung hat die Klagepartei unwidersprochen vorgetragen, dass die Abgasrückführung außerhalb eines Temperaturfensters von 17 °C bis 30 °C reduziert werde. Bei Temperaturen unter -12 °C und über 38 °C werde die Abgasrückführung komplett eingestellt.
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b) Ansprüche aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung hat das Landgericht zutreffend anhand der hinreichend gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung von Erwerbern von Pkw, welche mit einem Thermofenster versehen sind, verneint.
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c) Auch im Übrigen ist ein nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG bestehender Anspruch des Klägers wegen etwaiger fahrlässiger Schutzgesetzverletzungen nicht ersichtlich.
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(1) Es fehlt schon an jeglicher Darlegung eines auf dem etwaigen Verstoß gegen die genannte Schutznorm beruhenden Schadens.
27
Der Kläger hat einen Pkw erworben, genutzt und wieder veräußert. In der Nutzungsmöglichkeit war er nicht beeinträchtigt, sondern hat in einem Zeitraum von drei Jahren und vier Monaten ab Erwerb bis Veräußerung eine Strecke von 77.500 km zurückgelegt, ohne dass diese Nutzung behördlicherseits durch einen Rückruf oder wenigstens dessen Androhung, oder eine abweichende Besteuerung u.ä. eingeschränkt worden wäre. Es ist auch nicht dargelegt, dass er infolge eines richtlinien- oder verordnungswidrigen Zustandes des Pkw bei dessen Verkauf einen Mindererlös gegenüber einem ordnungsgemäßen Pkw erzielt hätte. Einen reinen Schutz der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit bezwecken die Normen der mit der EG-FGV umgesetzten Richtlinie oder der VO 715/2007/EG nicht.
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(2) Es fehlt zudem bereits an einem objektiven Verstoß gegen § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV.
29
aa) § 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV schreibt vor, dass Fahrzeuge nur dann in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn sie mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen sind. Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV hat der Inhaber der EG-Typgenehmigung für jedes dem genehmigten Typ entsprechende Fahrzeug eine Übereinstimmungsbescheinigung nach Artikel 18 in Verbindung mit Anhang IX der RL 2007/46/EG auszustellen und dem Fahrzeug beizufügen. Die Übereinstimmungsbescheinigung ist nach dem der Verordnung über die EGGenehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbstständige technische Einheiten für diese Fahrzeuge zugrundeliegenden RL 2007/46/EG ein vom Hersteller ausgestelltes Dokument, mit dem bescheinigt wird, dass ein Fahrzeug aus der Baureihe eines nach dieser Richtlinie genehmigten Typs zum Zeitpunkt seiner Herstellung allen Rechtsakten entspricht (Art. 3 Nr. 36 der RL 2007/46/EG). Gemäß Art. 3 Nr. 3 der RL 2007/46/EG beschreibt die Typgenehmigung das Verfahren, nach dem ein Mitgliedstaat bescheinigt, dass ein Typ eines Fahrzeugs den einschlägigen Verwaltungsvorschriften und technischen Anforderungen entspricht.
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bb) Die Beklagte hat die § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht verletzt, da das Fahrzeug des Klägers mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen ist. Die der Übereinstimmungsbescheinigung zugrundeliegende Typengenehmigung stellt einen Verwaltungsakt gemäß § 35 VwVfG dar (OLG Brandenburg, Beschluss vom 14. Juni 2021 - 11 U 173/20, juris Rn. 36; OLG Stuttgart, Urteil vom 22. September 2020 - 16a U 55/19, juris Rn. 54; OLG Celle, Urteil vom 13. November 2019 - 7 U 367/18, juris Rn. 38; Schröder, DVBl 2017, 1193, 1194). Diesem kommt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sog. Tatbestandswirkung zu, die - solange der Verwaltungsakt nicht durch die zuständige Behörde oder ein Verwaltungsgericht aufgehoben worden oder nichtig ist - zur Folge hat, dass die Zulässigkeit des beanstandeten Verhaltens einer Nachprüfung durch die Zivilgerichte entzogen ist (BGH, Urteile vom 14. Juni 2007 - I ZR 125/04, juris Rn. 14, vom 30. April 2015 - I ZR 13/14, juris Rn. 31; vom 16. März 2021 - VI ZR 773/20, juris Rn. 12; vom 4. August 2020 - II ZR 174/19, juris Rn. 35; vom 12. Januar 2007 - V ZR 268/05, juris Rn. 11; vom 4. Februar 2004 -XII ZR 301/01, juris Rn. 13; siehe auch: BeckOK VwVfG/Schemmer, 49. Ed., § 43 VwVfG Rn. 28; OLG Stuttgart, Urteil vom 22. September 2020 - 16a U 55/19, juris Rn. 54; OLG Brandenburg, Beschluss vom 14. Juni 2021 - 11 U 173/20, juris Rn. 50; OLG Celle, Urteil vom 13. November 2019 - 7 U 367/18, juris Rn. 38).
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Der Senat hat daher den verfügenden Teil des Verwaltungsakts - seinen Ausspruch, dass der Typ des klägerischen Fahrzeugs den einschlägigen Verwaltungsvorschriften und technischen Anforderungen entspricht - ohne inhaltliche Prüfung der Richtigkeit der darin getroffenen Regelung seiner Entscheidung zugrunde zu legen (BGH, Urteile vom 4. August 2020 - II ZR 174/19, juris Rn. 36; vom 12. Januar 2007 - V ZR 268/05, juris Rn. 11; vom 16. März 2021 - VI ZR 773/20, juris Rn. 12). Dies gilt auch dann, wenn die Beklagte bei der Beantragung der Typengenehmigung erforderliche Angaben zu den Einzelheiten der temperaturabhängigen Steuerung unterlassen haben sollte, da die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG gehalten gewesen wäre, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug zu prüfen (BGH, Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 190/20, juris Rn. 26).
32
cc) Die Einordnung des Thermofensters als unzulässige Abschalteinrichtung durch den Europäischen Gerichtshof rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn selbst wenn das Fahrzeug des Klägers (noch immer) mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen sein sollte, führte dies nicht (automatisch) zur Unwirksamkeit der Typengenehmigung, sondern allenfalls zu deren Rechtswidrigkeit. Ein Nichtigkeitsgrund im Sinne des § 44 Abs. 1 VwVfG ist in der Abschalteinrichtung nicht zu erblicken, da ein Verstoß gegen EU-Recht allein keinen schwerwiegenden Fehler im Sinne dieser Vorschrift darstellt (BGH, Urteil vom 14. Juni 2007 - I ZR 125/04, juris Rn. 23; Huck/Müller/Müller, VwVfG, 3. Aufl., § 44 Rn. 10). Dem Grundsatz der Effektivität des Gemeinschaftsrechts wird durch § 25 EG-FGV hinreichend Rechnung getragen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 2007 - I ZR 125/04, juris Rn. 23).
33
dd) Da auch objektive Anhaltspunkte für eine absichtliche Täuschung des KBA fehlen (zur insoweit fehlenden Bindungswirkung der behördlichen Genehmigung vgl.: OLG Celle, Urteil vom 13. November 2019 - 7 U 367/18, juris Rn. 39; OLG Brandenburg, Beschluss vom 14. Juni 2021 - 11 U 173/20, juris Rn. 37; OLG Stuttgart, Urteil vom 22. September 2020 - 16a U 55/19, juris Rn. 68) - die Beklagte hat gegenüber dem KBA im Rahmen der Gesamttypgenehmigung die Temperaturabhängigkeit der Abgasreinigung ausreichend offengelegt (BGH, Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 190/20, juris Rn. 26) -, ist die Typengenehmigung nicht erschlichen worden und daher auch nicht aus diesem Grund unwirksam. Bei der Übereinstimmungsbescheinigung selbst handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt, sondern eine (Wissens-)Erklärung des Herstellers (Schröder, DVBl 2017, 1193, 1196). Aus Art. 18 Abs. 1 Satz der RL 2017/46/EG ergibt sich, dass sich die Erklärung insbesondere darauf bezieht, dass das konkrete Fahrzeug in Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ hergestellt wurde. Daraus folgt für die Gültigkeit der Übereinstimmungsbescheinigung, dass sie nicht anders beurteilt werden kann als die Wirksamkeit der Typengenehmigung. Die Übereinstimmungsbescheinigung partizipiert also insoweit an der Tatbestandswirkung der Typengenehmigung, als dass sie - soweit die übrigen Voraussetzungen des Art. 18 der RL 2017/46/EG gegeben sind (vgl. insoweit Schröder, DVBl 1193, 1197) - von den Zivilgerichten soweit und solange als gültig zu betrachten ist, soweit und solange die ihr zugrunde liegende Typengenehmigung wirksam ist.
34
(3) Es fehlt überdies an dem gemäß § 823 Abs. 2 Satz 2 BGB (i.V.m. § 37 Abs. 1 EG-FGV) erforderlichen Verschulden der Beklagten.
35
aa) Eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB setzt schuldhaftes Handeln voraus, wobei sich das Verschulden nach h. M. nur auf die Verletzung des Schutzgesetzes und nicht auch auf die Verletzung des betroffenen Rechtsguts beziehen muss (Staudinger/Hager, BGB (2021), § 823 G, Rn. 34). Mit Blick auf den für eine Haftung der Beklagten erforderlichen Verschuldensgrad wäre im Fall der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV fahrlässiges Handeln ausreichend (Staudinger/Hager, aaO Rn. 37). Eine Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB scheidet allerdings aus, wenn feststeht, dass die für den Vollzug des Schutzgesetzes zuständige Behörde die ex post als irrtümlich erkannte Rechtsauffassung des Schädigers bestätigt hätte, selbst wenn dieser eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt haben sollte (MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl., § 823 Rn. 610; Staudinger/Hager aaO Rn. 38; BeckOK BGB/Förster, 62. Ed., § 823 Rn. 285; BGH, Urteil vom 27. Juni 2017 - VI ZR 424/16, juris Rn. 15 ff.).
36
bb) Dies zugrunde gelegt ist ein Verschulden der Beklagten zu verneinen. Wie sich aus den dem Verfahren C-134/20 des Europäischen Gerichtshofs zugrundeliegenden Feststellungen ergibt, genehmigte das KBA das Software-Update, das auf Fahrzeuge mit dem Motor EA 189 aufgespielt wurde. Dieses Update enthielt ein Thermofenster, das einen schadstoffarmen Modus nur dann gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt und der Fahrbetrieb unterhalb von 1.000 Höhenmetern erfolgt (EuGH, Urteil vom 14. Juli 2022 - C-134/20 Rn. 19 u. 24 f.). In mehreren in „Parallelverfahren“ erteilten amtlichen Auskünften hat das KBA erklärt, dass es die temperaturabhängige Steuerung der Abgasreinigung (Thermofenster) in der ursprünglichen Bedatung - im Gesamttypgenehmigungsverfahren nicht beanstandet, sondern die Typgenehmigung erteilt hätte.
37
(4) Schließlich besteht auf Seiten des Klägers kein Schaden (mehr) bzw. kann/konnte er aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, § 249 BGB allenfalls einen Anspruch auf Beseitigung des Thermofensters oder Veränderung desselben auf ein zulässiges Maß geltend machen.
38
aa) Eine Schadensersatzpflicht nach § 249 BGB besteht nur, wenn der geltend gemachte Schaden nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fällt (Grüneberg, BGB, 81. Aufl., Vorb v § 249 Rn. 29). Verfahrensrechtlich ist für die Schadensbemessung der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend (BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 - VII ZR 46/17, juris Rn. 25 m.w.N.; Grüneberg, BGB, 81. Aufl., Vorb v § 249 Rn. 127).
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bb) Daran gemessen kann der Kläger von der Beklagten nicht die (Rück-)Zahlung des bezahlten Kaufpreises verlangen bzw. hier den Ersatz eines verbleibenden Schadens nach Nutzung und Weiterveräußerung eines nicht mittels Software-Updates nachgebesserten Fahrzeugs.
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Wie oben ausgeführt, sollen die § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV sicherstellen, dass Fahrzeuge nur dann in den Verkehr gebracht werden, wenn sie mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen sind. Selbst wenn man also davon ausgehen sollte, dass das Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung dazu führt, dass keine gültige Übereinstimmungsbescheinigung vorliegt und die Beklagte dies verschuldete, kann sich aufgrund des Schutzzwecks der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus § 823 Abs. 2 BGB zwar ein Anspruch gegen den Inhaber der EG-Typgenehmigung auf Beifügung einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung (in Form der Beseitigung der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung), nicht aber auf (Rück-)Abwicklung eines Kaufvertrags mit einem Dritten ergeben.
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cc) Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu einem sich aus § 826 BGB ergebenden Schadensersatzanspruch von Käufern eines Fahrzeugs mit einem Motor EA 189 gegen den Hersteller auf (Rück-)Abwicklung des Kaufvertrags steht hierzu nicht in Widerspruch. Denn soweit der Bundesgerichtshof den Schaden in diesen Fällen in dem Abschluss eines Kaufvertrags über ein bemakeltes Fahrzeug gesehen hat (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 44), hat er dies ausdrücklich auf § 826 BGB beschränkt, indem er ausgeführt hat, dass sich der Geschädigte auch von einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer „ungewollten“ Verpflichtung wieder befreien können muss und eine solche daher einen gemäß § 826 BGB zu ersetzenden Schaden darstellen kann (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 47). § 826 BGB bewirke insoweit einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen (BGH, aaO).
42
dd) Dies ist bei den § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV und den ihr zugrundeliegenden Regelungen der EU-RL 2007/46 indes nicht der Fall (vgl. BGH, Urteile vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 72 ff; vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, juris Rn. 10 ff.). Wie der Bundesgerichtshof unter dem Gesichtspunkt der Schutzgesetzqualität dieser Normen ausgeführt hat, liegt das Interesse des Klägers, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht in deren Schutzbereich (BGH, Urteile vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 76; vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, juris Rn. 11).
43
ee) Aus den Schlussanträgen des Generalanwalts beim Europäischen Gerichtshof im Verfahren C-100/21 ergibt sich nichts anderes. Zwar ist der Generalanwalt der Auffassung, dass die RL 2007/46/EG dahin auszulegen sei, dass sie die Mitgliedstaaten verpflichte, vorzusehen, dass ein Erwerber eines Fahrzeugs einen Ersatzanspruch gegen den Fahrzeughersteller hat, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist; die konkrete Ausgestaltung dieses Ersatzanspruchs sei allerdings Sache der Mitgliedsstaaten (Schlussanträge vom 2. Juni 2022 - C-100/21 Rn. 65). Die Auffassung des Senats, dass sich aus einer - zu Gunsten des Klägers unterstellten - schuldhaften Verletzung der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, wobei - ebenfalls zu Gunsten des Klägers - weiter unterstellt wird, diese Normen seien Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB, allenfalls ein Anspruch auf Beseitigung des Thermofensters oder Veränderung desselben auf ein zulässiges Maß ergibt, steht daher im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und nicht in Widerspruch zur Auffassung des Generalanwalts, da auch hierdurch die Interessen eines Erwerbers geschützt werden, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist (vgl. Schlussanträge vom 2. Juni 2022 - C- 100/21 Rn. 50).
44
ff) Insoweit verbleibt es dabei, dass für die Bemessung des Schadens der Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung maßgeblich ist (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 57 m.w.N.). Denn die Erwägungen des Bundesgerichtshofs in den Fällen betreffend den Motor EA 189, dass die Durchführung eines Updates den mit dem Vertragsschluss entstandenen Anspruch eines Käufers auf (Rück-)Zahlung des für das bemakelte Fahrzeug gezahlten Kaufpreises nicht entfallen lassen, sind auf den dort zugesprochenen Anspruch gemäß § 826 BGB begrenzt (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 58). Da der Kläger aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, § 249 BGB nur die Beseitigung der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung verlangen kann, ist ein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages nicht gegeben und - wie hier bei Veräußerung - eine Beseitigung eines den Kläger nicht mehr beeinträchtigenden Zustandes auch nicht mehr möglich.
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(5) Das gefundene Ergebnis erfüllt die Voraussetzungen des europarechtlichen Effektivitätsgrundsatzes (siehe dazu Schlussanträge vom 2. Juni 2022 - C-100/21 Rn. 55 u. 65). Dass § 823 Abs. 2 Satz 2 BGB etwaige Ersatzansprüche von einem Verschulden abhängig macht, verstößt nicht gegen europarechtliche Grundgedanken. Denn auch der Generalanwalt geht davon aus, dass die RL 2007/46/EG die Mitgliedstaaten zur Verfügungstellung von Ersatzansprüchen des Erwerbers gegen den Hersteller nur insoweit verpflichtet, als der Hersteller ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenes Fahrzeug schuldhaft in Verkehr gebracht hat (Schlussanträge vom 2. Juni 2022 - C-100/21 Rn. 54).
46
Der vom Senat als möglich erachtete Anspruch auf Beseitigung der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung ist eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion im Sinne des Art. 46 der Richtline 2007/46/EG gegen den Hersteller. Dabei darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Generalanwalt die Verpflichtung der Mitgliedstaaten aus Art. 46 der RL 2007/46/EG herleitet, die besagt, dass die Mitgliedstaaten die Sanktionen festlegen, die bei Verstößen gegen die in Anhang IV Teil I aufgeführten Rechtsakte anzuwenden sind, und alle für ihre Durchführung erforderlichen Maßnahmen mit wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen ergreifen. Der Richtliniengeber hat den Mitgliedstaaten bei der Bestimmung der Art der Sanktionen freie Hand gegeben. Daraus folgt, dass wenn ein Mitgliedstaat mehrere Sanktionen ergriffen hat, bei der Beurteilung der Effektivität der Maßnahmen das rechtliche Gesamtgefüge maßgeblich ist und der Blick nicht auf Ansprüche einzelner Käufer gegen den Hersteller verengt werden darf.
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Die in der Bundesrepublik Deutschland zur Erfüllung der Verpflichtung gemäß Art. 46 der RL 2007/46/EG zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten sind ausreichend effektiv. Abgesehen davon, dass § 37 Abs. 1 EG-FGV vorsätzliche oder fahrlässige Verstöße gegen § 27 Abs. 1 Satz 1 FG-FGV mit einem Bußgeld belegt, sehen die §§ 29a, 30 OWiG die Möglichkeiten vor, Geldbußen gegen juristische Personen zu verhängen und Taterträge einzuziehen. Die deutschen Gerichte haben im Zusammenhang mit dem sog. „Dieselskandal“ von diesen Vorschriften Gebrauch gemacht und gegen die Beklagte eine Geldbuße und eine Einziehung in Höhe von einer Milliarde Euro und gegen eine Tochterfirma der Beklagten solche in Höhe von 800 Millionen Euro angeordnet. Über diese strafrechtlichen Vorschriften hinaus sieht das deutsche Gewährleistungsrecht bei der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen - sogar z. T. verschuldensunabhängige - kaufvertragliche Ansprüche gegen den Fahrzeugverkäufer vor (vgl. zum Motor EA189: BGH, Urteil vom 21. Juli 2021 - VIII ZR 254/20; zum Motor OM651: BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 - VIII ZR 57/19). Vor dem Hintergrund der in § 445a BGB geregelten Rückgriffmöglichkeit des Verkäufers stellt dies auch mit Blick auf die Fahrzeughersteller, einen - von dem Generalanwalt geforderten, in seiner Stellungnahme jedoch unberücksichtigt gebliebenen - Anreiz dar, die Unionsvorschriften einzuhalten, um eine Haftung zu vermeiden (vgl. Schlussanträge vom 2. Juni 2022 - C-100/21 Rn. 58).
48
D. Aus den unter C. 4. c) genannten Gründen hat der Senat auch keinen Anlass, dem Antrag auf Aussetzung des Verfahrens analog § 148 ZPO nachzukommen, so dass der Antrag zurückzuweisen war.
49
E. Den Streitwert für das Berufungsverfahren beabsichtigt der Senat auf 13.247,75 € festzusetzen.
III.
50
Der Senat regt daher an, die Berufung zur Meidung weiterer Kosten zurückzunehmen, im Fall der Rechtsmittelrücknahme ermäßigen sich die zweitinstanziellen Gerichtsgebühren um die Hälfte.