Titel:
Wirksamkeit eines Widerrufs bei einem Verbraucherdarlehensvertrag und die sich daraus ergebenden wechselseitigen Rückabwicklungsansprüche
Normenketten:
BGB § 242, § 275 Abs. 1, Abs. 2, § 285, § 492 Abs. 2, § 495 Abs. 1, § 813 S. 1
EGBGB Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 1, S. 2
ZPO § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
Leitsätze:
1. Dass ein dauerhaftes Leistungsverweigerungsrecht dem Willen des nationalen Gesetzgebers widerspräche, lässt sich nicht erkennen. (Rn. 31 – 40) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Ausübung eines Rechts nach Treu und Glauben ist im Einzelfall unzulässig, wenn dem Berechtigten eine mit seinem Anspruch in engem Zusammenhang stehende schwerwiegende Verletzung eigener Pflichten zur Last fällt. (Rn. 44 – 48) (redaktioneller Leitsatz)
3. Grundsätzliche Bedeutung i. S d. § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO kommt einer Rechtssache zu, falls eine klärungsbedürftige Frage zu entscheiden ist, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt ist. Klärungsbedürftig ist insbesondere eine Rechtsfrage, falls zu ihr unterschiedliche Auffassungen bestehen und noch keine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt. (Rn. 51 – 56) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verbraucherdarlehensvertrag, Rückabwicklungsansprüche, Widerruf, Leistungsverweigerungsrecht, Treu und Glauben, Revision, grundsätzliche Bedeutung
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 29.12.2021 – 22 O 10873/21
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstellen:
MDR 2023, 179
BeckRS 2022, 36077
LSK 2022, 36077
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 29.12.2021, Az. 22 O 10873/21, wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer I genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision gegen dieses Urteil zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf Abschluss eines Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung des Klägers und sich daraus gegebenenfalls ergebende, wechselseitige Rückabwicklungsansprüche.
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Der Kläger erwarb im September 2016 bei der Autohaus … Zweigniederlassung Autohaus … GmbH, … (im Folgenden: Verkäuferin), einen gebrauchten Pkw, Marke ..., Typ ..., zum Kaufpreis von 18.779 €. Zur Finanzierung des Kaufpreises schlossen die Parteien mit Datum vom 07.09.2016 einen Darlehensvertrag (Anlage K 1/B 1) über einen Nettodarlehensbetrag von 16.607,59 € mit einem gebundenen Sollzinssatz von 1,00% p.a. Zins- und Tilgungsleistungen sollten, beginnend im Oktober 2016, in 47 Monatsraten zu je 172,44 € und einer Schlussrate von 9.013,92 € erbracht werden.
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Auf S. 5 des Darlehensvertrags ist unter der Überschrift „Ausbleibende Zahlungen“ angegeben:
„Für ausbleibende Zahlungen werden die gesetzlichen Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz pro Jahr sowie ggf. (…) berechnet.“
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Über sein Widerrufsrecht informierte die Beklagte den Kläger auf S. 8 des Darlehensvertrags. Dabei ist unter der Überschrift „Widerrufsrecht“ u.a. folgendes ausgeführt:
„Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nach dem Sie alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z.B. Angabe zur Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten haben.“
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Das Darlehen wurde vollständig an die Verkäuferin ausbezahlt.
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Mit Schreiben vom 07.01.2020 (Anlage K 2) erklärte der Kläger den Widerruf seiner auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung.
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Nachdem die Beklagte den Widerruf als verfristet zurückgewiesen hatte, forderte der Kläger mit Anwaltsschreiben vom 11.03.2020 (Anlage K 3) die Beklagte zur vollständigen Rückabwicklung des Darlehensvertrags auf und bot ihr die Übergabe des Fahrzeugs nebst Fahrzeugschlüsseln an.
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Ein tatsächlicher Rückgabeversuch fand nicht statt.
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Das Darlehen ist mittlerweile vollständig abgelöst.
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Im August 2020 übereignete und übergab der Kläger das Fahrzeug an die Verkäuferin zurück.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Widerrufsfrist sei bei Darlehenswiderruf schon abgelaufen gewesen, da die Widerrufsbelehrung im Darlehensvertrag wirksam gewesen sei. Auch seien die Pflichtangaben im Darlehensvertrag vollständig und richtig erteilt worden. Wegen der Einzelheiten wird auf das angegriffene Urteil verwiesen.
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Dagegen richtet sich die mit Schriftsatz vom 28.01.2022 (Bl. 134 f. d.A.) eingelegte und mit Schriftsatz vom 28.02.2022 (Bl. 143 ff. d.A.) begründete Berufung des Klägers. Er beantragt, das Urteil des Landgerichts abzuändern und stattdessen zu erkennen wie folgt.
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Die Beklagtenpartei wird verurteilt, an die Klagepartei 7.336,16 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
1. die Berufung zurückzuweisen;
hilfsweise im Wege der Widerklage:
2. die Beklagtenpartei wird verurteilt, an die Klägerin 2.428,92 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Der Kläger beantragt noch,
die Hilfs-Widerklage abzuweisen.
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Mit der Hilfs-Widerklage macht die Beklagte teilweise einen Wertersatzanspruch geltend, der sich berechnet aus der Differenz zwischen dem Verkehrswert des Fahrzeugs bei Übergabe an den Kläger und dessen Verkehrswert bei Rückübereignung an die Verkäuferin - laut Beklagten in Höhe von insgesamt 9.765,08 €. In Höhe der Klageforderung rechnet die Beklage damit hilfsweise auf.
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Hinsichtlich der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die Berufungsbegründung vom 28.02.2022 (Bl. 143 ff. d.A.), die Berufungserwiderung vom 21.06.2022 (Bl. 230 ff. d.A) und die weiteren eingereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen. Vor dem Senat fand am 01.08.2022 eine mündliche Verhandlung statt, wegen deren Inhalt und Verlauf auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen wird.
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Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Urteil des Landgerichts ist im Ergebnis richtig.
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1. Mit der vom Landgericht gegebenen Begründung kann ein wirksamer Widerruf des streitgegenständlichen, gemäß § 358 Abs. 3 BGB in der von 21.03.2016 bis 27.05.2022 geltenden Fassung (im Folgenden: a.F.) mit einem Kaufvertrag über ein Kraftfahrzeug verbundenen Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrags nicht verneint werden. Das Landgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass dem Kläger bei Abschluss des Darlehensvertrags gemäß §§ 495 Abs. 1 i.V.m. 355 BGB ein Widerrufsrecht zustand und die Widerrufsfrist nicht zu laufen begann, bevor der Kläger die Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB erhalten hatte. Es hat aber zu Unrecht angenommen, dass die Beklagte ihre aus § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 1 und 2 EGBGB resultierende Verpflichtung, über das nach § 495 Abs. 1 BGB bestehende Widerrufsrecht zu informieren, ordnungsgemäß erfüllt hat.
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a) Die dem Kläger erteilte Widerrufsinformation ist fehlerhaft, weil die in ihr enthaltene Verweisung auf „alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z.B)“ (Anlage K 1, S. 8) zwar nach den Maßstäben des nationalen Rechts klar und verständlich i.S.d.Art. 247 § 6 Abs. 1 EGBGB ist, dies aber im Geltungsbereich der RL 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.04.2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der RL 87/102/EWG des Rates (im Folgenden: VerbrKrRL) in Bezug auf Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge bei einer richtlinienkonformen Auslegung gleichwohl zu verneinen ist (BGH, Urteil v. 25.01.2022, Az. Az. XI ZR 559/20, Rz. 11; Urteil v. 10.11.2020, Az. Az. XI ZR 426/19, Rz. 14 ff.; Urteil v. 27.10.2020, Az. Az. XI ZR 498/19, Rz. 13 ff.)
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b) Zudem hat die Beklagte ihre aus § 492 Abs. 2 BGB, Art. 247 § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB in der vom 21.03.2016 bis 12.01.2018 geltenden Fassung (Im Folgenden: a.F.) resultierende Verpflichtung, über den Verzugszinssatz und die Art und Weise seiner etwaigen Anpassung zu unterrichten, nicht ordnungsgemäß erfüllt. Bei Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen im Anwendungsbereich der VerbrKrRL erfordert die Information über den Verzugszinssatz die Angabe des zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden konkreten Prozentsatzes (BGH, Urteil v. 24.05.2022, Az. XI ZR 166/21, Rz. 11; Urteil v. 12.04.2022, Az. XI ZR 179/21, Rz. 11 f.). Dies ist hier nicht erfolgt (s. Anlage K 1, S. 5).
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c) Daher steht dem Kläger dem Grunde nach ein Anspruch aus § 358 Abs. 4 S. 1 a.F. i.V.m. § 355 Abs. 3 S. 1 BGB auf Rückgewähr der an die Beklagte auf den Darlehensvertrag geleisteten Zahlungen zu.
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2. Das Ersturteil erweist sich jedoch aus anderen Gründen als richtig, so dass die Berufung zurückzuweisen ist. Der Anspruch des Klägers ist dauerhaft nicht durchsetzbar, weshalb seine Klage (endgültig) unbegründet ist.
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Der Beklagten steht - was sie bereits mit der Klageerwiderung (S. 57 = Bl. 72 d.A.) geltend gemacht hat - nach §§ 358 Abs. 4 S. 1 a.F. i.V.m. 357 Abs. 4 S. 1 BGB in der vom 13.06.2014 bis 27.05.2022 geltenden Fassung (Im Folgenden: a.F.) gegenüber dem vorleistungspflichtigen Kläger ein Leistungsverweigerungsrecht zu, bis sie das finanzierte Fahrzeug zurückerhalten oder der Kläger den Nachweis erbracht hat, dass er das Fahrzeug abgesandt hat (BGH, Urteil v. 24.05.2022, Az. XI ZR 166/21, Rz. 12; Urteil v. 15.06.2021, Az. XI ZR 376/20, Rz. 18; Urteil v. 11.10.2020, Az. XI ZR 426/19, Rz. 21).
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Der Beklagten steht das Leistungsverweigerungsrecht auch in Bezug auf von dem Kläger nach Widerrufserklärung auf das Darlehen erfolgte Zahlungen zu (BGH, Urteil v. 24.05.2022, Az. XI ZR 166/21, Rz. 13; Urteil v. 25.01.2022, Az. XI ZR 559/20, Rz. 17).
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Soweit der Kläger meint, die Beklagte könne sich auf das Leistungsverweigerungsrecht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht stützen, weil sie Wirksamkeit des Widerrufs und Rückgewähranspruch des Klägers bereits dem Grunde nach in Abrede stelle, trifft dies nicht zu (BGH, Urteil v. 24.05.2022, Az. XI ZR 166/21, Rz. 13).
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a) Solange der Kläger seiner Vorleistungspflicht nicht genügt, muss sich der Senat nicht mit dem durch die Beklagte im Wege der Hilfs-Aufrechnung und Hilfs-Widerklage geltend gemachten Wertersatzanspruch nach §§ 358 Abs. 4 S. 1 i.V.m. 357 Abs. 7 BGB a.F. in Höhe des Wertverlustes durch Abnutzung befassen (BGH, Urteil v. 15.06.2021, Az. XI ZR 376/20, Rz. 22; Urteil v. 27.10.2020, Az. XI ZR 498/19, Rz. 30 ff.; Urteil v. 27.10.2020, Az. XI ZR 525/19, Rz. 30 ff.).
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b) Da der Kläger das Fahrzeug vorliegend aber nicht zurückgeben kann, weil er es an die Verkäuferin zurück übereignet hat, ist ihm die Herausgabe des Fahrzeugs an die Beklagte nach § 275 Abs. 1 BGB unmöglich. Der Kläger hat nicht vorgetragen, noch ist sonst ersichtlich, dass er interessiert, willens und tatsächlich in der Lage wäre, das Fahrzeug in absehbarer Zeit von der Verkäuferin erneut zurück zu erwerben (dafür, dass ihm dies gemessen an § 275 Abs. 2 BGB nach den Umständen grundsätzlich unzumutbar sein soll: OLG Stuttgart, Urteil v. 22.03.2022, Az. 6 U 326/18, juris Rz. 41; Urteil v. 02.11.2021, Az. 6 U 32/19, juris Rz. 46; OLG Celle, Urteil v. 02.02.2022, Az. 3 U 51/21, juris Rz. 95 ff.; anders OLG Braunschweig, Beschluss v. 11.07.2022, Az. 4 U 639/21, juris Rz. 32: Kläger müsste für Berufung auf subjektive Unmöglichkeit zunächst vortragen und beweisen, dass die Verkäuferin nicht zum Rückverkauf des Fahrzeuges bereit ist).
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c) Damit besteht das Leistungsverweigerungsrecht der Beklagten aber nach Auffassung des Senats dauerhaft (ebenso Grüneberg in: Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 357 Rz. 5 a.E.) als peremptorische Einrede i.S.v. § 813 S. 1 BGB. Hierauf wies der Senat die Parteien nach § 139 ZPO hin (Bl. 347 f. d.A.).
30
Die Ansicht einiger anderer Oberlandesgerichte, wonach das Leistungsverweigerungsrecht des Unternehmers bei Unmöglichkeit der Herausgabe des Fahrzeugs durch den Verbraucher entfallen soll (OLG Stuttgart, Urteil v. 22.03.2022, Az. 6 U 326/18, juris Rz. 42; Urteil v. 02.11.2021, Az. 6 U 32/19, juris Rz. 44; OLG Celle, Urteil v. 02.02.2022, Az. 3 U 51/21, juris Rz. 76 ff.; OLG Braunschweig, Beschluss v. 11.07.2022, Az. 4 U 639/21, juris Rz. 33), überzeugt den Senat nicht.
Die Rechtsauffassung des Senats stützt sich auf folgende Erwägungen:
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aa) Die Annahme eines „ewigen“ Zurückbehaltungsrechts lässt sich mit dem Wortlaut des § 357 Abs. 4 S. 1 BGB a.F. zwanglos vereinbaren, wonach der Unternehmer die Rückzahlung „verweigern (kann), bis er die Waren zurückerhalten hat“ (oder der Verbraucher den Nachweis erbracht hat, dass er die Waren abgesandt hat). Kommt der vorleistungspflichtige Verbraucher seiner Rückgabeverpflichtung nicht nach, so kann der Unternehmer nach der Formulierung der Norm die Erfüllung seiner Rückzahlungspflicht auf Dauer verweigern.
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bb) Eine derartige Auslegung des § 357 Abs. 4 S. 1 BGB a.F. erweist sich nach Ansicht des Senats auch als richtlinienkonform.
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Der Wortlaut von Art. 13 Abs. 3 der RL 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der RL 93/13/EWG des Rates und der RL 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der RL 85/577/EWG des Rates und der RL 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (im Folgenden: VerbrRRL), auf deren Umsetzung § 357 Abs. 4 S. 1 a.F. beruht, ist nahezu identisch mit dem der nationalen Rechtsvorschrift: Danach kann der Unternehmer die Rückzahlung „verweigern, bis er die Waren wieder zurückerhalten hat“ (oder bis der Verbraucher den Nachweis erbracht hat, dass er die Waren zurückgeschickt hat).
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Zwar kann das Bestehen eines „ewigen“ Leistungsverweigerungsrechts dem Erwägungsgrund 48 der VerbrRRL nicht entnommen werden (insoweit richtig OLG Stuttgart, Urteil v. 22.03.2022, Az. 6 U 326/18, juris Rz. 43), aber dieser steht einem derartigen Verständnis auch nicht entgegen. Danach ist es dem nationalen Gesetzgeber überlassen, die Sanktionen festzulegen, die eingreifen, wenn der Verbraucher seine Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Ausübung des Widerrufsrechts nicht erfüllt.
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cc) Und auch der Blick auf die Gesetzgebungsgeschichte führt zu keiner abweichenden Beurteilung. Dass ein dauerhaftes Leistungsverweigerungsrecht dem Willen des nationalen Gesetzgebers widerspräche (so OLG Stuttgart, Urteil v. 22.03.2022, Az. 6 U 326/18, juris Rz. 43), lässt sich nicht erkennen.
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So führt der Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung vom 06.03.2013 (BT-Drs. 17/12637, S. 63, linke Spalte; im Folgenden: RegE VerbrRRLUG) zu § 357 Abs. 4 S. 1 BGB a.F. ausdrücklich aus, dass der Unternehmer die Rückzahlung „solange verweigern“ kann, „bis er die Ware zurückerhalten oder vom Verbraucher den Nachweis der Rücksendung (…) erhalten hat“.
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Zwar soll nach RegE VerbrRRLUG vom Wertersatzanspruch nach §§ 358 Abs. 4 S. 1 i.V.m 357 Abs. 7 BGB a.F. auch der vollständige Wertverlust oder Untergang der Sache erfasst sein (S. 63, rechte Spalte). Aber ein derartiger Wertersatzanspruch „ersetzt“ nicht etwa das - dafür entfallende - Leistungsverweigerungsrecht nach §§ 358 Abs. 4 S. 1 i.V.m. 357 Abs. 4 S. 1 BGB a.F., so dass der Unternehmer dann ausschließlich hierauf verwiesen ist (was aber OLG Stuttgart, Urteil v. 22.03.2022, Az. 6 U 326/18, juris Rz. 43, offenbar meint).
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Dabei ist einerseits zu beachten, dass im RegE VerbrRRLUG nur der durch unsachgemäßen Umgang verursachte Wertverlust oder Untergang der Sache angesprochen wird (gleiches Verständnis des Wertersatzanspruchs bei Grüneberg in: Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 357 Rz. 9 und Dauner-Lieb/Langen, BGB Schuldrecht, 4. Aufl., § 357 Rz. 21: Wertersatz für übermäßige Nutzung der Ware). Und hier geht es stattdessen um die Veräußerung des Fahrzeugs.
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Andererseits ist in RegE VerbrRRLUG nichts dazu gesagt, was das Bestehen eines derartigen Wertersatzanspruchs aus Sicht der Entwurfsverfasser für das Leistungsverweigerungsrecht des Unternehmers bedeuten soll.
40
Schließlich macht hier die Beklagte (nur) Wertersatz in Höhe der Differenz aus dem Verkehrswert des Fahrzeugs bei Übergabe an den Kläger und dem Verkehrswert bei Rückgabe an den Händler (Abnutzungswertersatz) geltend, nicht Wertersatz in Höhe des Wertes des Fahrzeugs bei Rückgabe (Restwertersatz). Und dieser beklagtenseits geltend gemachte Wertersatzanspruch ist kein „adäquater Ersatz“ für die Übergabe des Pkw.
41
dd) Soweit vertreten wird, dass das Leistungsinteresse der darlehensgebenden Bank und der Verkäuferin, deren Rechte und Pflichten die Bank nach § 357 Abs. 4 S. 5 BGB a.F übernommen hat, im Rahmen der Rückabwicklung nach Widerruf nie auf das Fahrzeug selbst, sondern stets nur auf den darin verkörperten Geldwert gerichtet sei (so OLG Stuttgart, Urteil v. 02.11.2021, 6 U 32/19, Rz. 46), ist dies eine durch nichts begründete Unterstellung.
42
ee) Außerdem ist mit Blick auf § 242 BGB zu sehen, dass der Kläger hier von der Beklagten Rückabwicklung des Darlehensvertrages verlangt, obwohl er durch Veräußerung des Fahrzeugs nach Erklärung seines Widerrufs die Unmöglichkeit dessen Herausgabe selbst herbeigeführt und dadurch sehenden Auges die Durchführung seiner eigenen Rückgewährverpflichtung gemäß §§ 358 Abs. 4 S. 1 i.V.m. 357 Abs. 1 BGB a.F., § 355 Abs. 3 S. 1 BGB und deren Durchsetzung durch die Beklagten mittels Leistungsverweigerungsrechts nach §§ 358 Abs. 4 S. 1 i.V.m. 357 Abs. 4 S. 1 BGB a.F. vereitelt hat.
43
aaa) Sollte - was im vorliegenden Verfahren aber offen ist - die Rückveräußerung des Fahrzeugs vom Kläger an die Verkäuferin in Ausübung eines verbrieften Rückkaufrechts erfolgt sein, dann könnte sich der Kläger schon wegen unzulässiger Rechtsausübung i.S.v. § 242 BGB nicht mehr auf den Widerruf seiner Vertragserklärung zum Darlehensvertrag mit der Beklagten berufen (venire contra factum proprium). Da der Kläger dann Rechte aus dieser Rückkaufvereinbarung hergeleitet hätte, hätte er sich damit selbst in einen unauflösbaren Widerspruch zu der zuvor von ihm abgegebenen Widerrufserklärung gesetzt, mit der er die Umwandlung des widerrufenen Darlehensvertrages und des mit ihm verbundenen Kaufvertrages - samt ergänzender Vereinbarungen - in Rückgewährschuldverhältnisse begehrte (ebenso OLG Brandenburg, Urteil v. 13.10.2021, Az. 4 U 283/20, juris Rz. 48 ff.; OLG Braunschweig, Urteil v. 08.07.2020, Az. 11 U 101/19, juris Rz. 146 ff.; Hinweisbeschluss v. 28.07.2021, Az. 11 U 174/20, Rz. 22 ff., BeckRS 2021, 44571; OLG Frankfurt a.M., Beschluss v. 30.11.2020, Az. 3 U 106/20, juris Rz. 14 ff.; Senat, Hinweisbeschluss v. 28.04.2022, Az. 19 U 1122/22, n.v.).
44
bbb) Dessen ungeachtet ist die Ausübung eines Rechts nach Treu und Glauben im Einzelfall unzulässig, wenn dem Berechtigten eine mit seinem Anspruch in engem Zusammenhang stehende schwerwiegende Verletzung eigener Pflichten zur Last fällt (BGH, Urteil v. 15.11.2006, Az. VIII ZR 166/06, Rz. 17; Urteil v. 26.11.2004, Az. V ZR 90/04, juris Rz. 28).
45
Dabei ist in den Blick zu nehmen, dass die Beklagte durch ein Entfallen des Leistungsverweigerungsrechts aufgrund der treuwidrigen Rückveräußerung des Fahrzeugs vom Kläger an die Verkäuferin in ihren aus dem Rückabwicklungsregime resultierenden Interessen verletzt würde. Der hierdurch entstehende Nachteil würde durch den Anspruch auf Ersatz des Fahrzeugrestwertes nach §§ 358 Abs. 4 S. 1 i.V.m. 357 Abs. 7 BGB a.F. oder den Anspruch auf Herausgabe des Surrogats nach § 285 BGB - insbesondere eines gegebenenfalls durch den Weiterverkauf erzielten Kaufpreises - nicht ausgeglichen (zum Folgenden zutreffend OLG Braunschweig, Beschluss v. 11.07.2022, Az. 4 U 639/21, juris Rz. 36 f.).
46
Zum einen ist es der Beklagten nach der Veräußerung des Fahrzeuges durch den Kläger nicht mehr möglich, das Fahrzeug in Augenschein zu nehmen. Die korrekte Berechnung des eingetretenen Wertverlustes wird damit zumindest erschwert oder gar unmöglich gemacht. Für die Erlangung eines Surrogats (im vorliegenden Verfahren unklar) wäre die Beklagte beweispflichtig; wegen der Höhe müsste sie einen Auskunftsanspruch gegen den Kläger geltend machen (BGH, Urteil v. 27.10.1982, Az. V ZR 24/82 [NJW 1983, 930]; OLG Hamm, Urteil v. 12.07.1985, Az. 20 U 148/85, juris).
47
Zum anderen würde der Beklagten durch das treuwidrige Verhalten des Klägers ein zusätzliches und allein von ihm verursachtes Prozessrisiko auferlegt. Kann der Kläger sich auf die Unmöglichkeit der von ihm zu erbringenden Vorleistung berufen, ist die Beklagte auf die Wertersatz- oder Surrogatansprüche beschränkt. Insoweit trägt sie indes das Risiko für die diese Ansprüche betreffende Uneinbringlichkeit.
48
Anders wird freilich die rechtliche Beurteilung auszufallen haben, wenn dem Verbraucher unverschuldet, bspw. aufgrund zufälligen Untergangs oder Diebstahls, die Rückgabe der finanzierten Kaufsache unmöglich wird (a.A. Grüneberg in: Grüneberg, BGB, 81 Aufl., § 357 Rz. 5 a.E.: dauerhaftes Leistungsverweigerungsrecht auch bei Diebstahl). Dann würde man ihn mit einem „ewigen“ Leistungsverweigerungsrecht und der daraus folgenden Sperrung der Rückabwicklung unbillig belasten (diesbezüglich korrekt OLG Celle, Urteil v. 02.02.2022, Az. 3 U 51/21, juris Rz. 90). Ob dann von einem Entfallen des Leistungsverweigerungsrechts auszugehen wäre oder es dem Unternehmer nach § 242 BGB verwehrt wäre, sich darauf zu berufen, kann vorliegend offen bleiben. ff) Etwas anderes müsste gleichfalls gelten, wenn die Beklagte statt des Fahrzeuges den Anspruch auf Ersatz des Fahrzeugrestwertes nach §§ 358 Abs. 4 S. 1 i.V.m. 357 Abs. 7 BGB a.F. oder den Anspruch nach § 285 BGB auf ein gegebenenfalls erhaltenes Surrogat tatsächlich verlangen würde (hinsichtlich letzterem ebenso Grüneberg in: Grüneberg, BGB, 81 Aufl., § 357 Rz. 5 a.E.). Dann „begnügte“ sich die Beklagte mit dem Wertersatz oder Surrogat statt dem Pkw und würde zu erkennen geben, dass ihr Leistungsinteresse nun durchaus nur noch auf den im Fahrzeug verkörperten Geldwert gerichtet ist.
49
Dies ist hier nicht der Fall. Mit der Hilfsaufrechnung und -widerklage macht die Beklagte den Abnutzungswertersatz für die Dauer der Nutzung des Pkw durch den Kläger geltend, nicht die Herausgabe eines Surrogats oder den Restwertersatz.
50
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10 S. 2, 713 ZPO.
51
1. Die Revision gegen dieses Urteil nach § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO.
52
Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Norm kommt einer Rechtssache zu, falls eine klärungsbedürftige Frage zu entscheiden ist, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt ist (BGH, Beschluss v. 04.07.2002, Az. V ZR 75/02, juris Rz. 5; Beschluss v. 04.07.2002, Az. V ZR 75/02, juris Rz. 5; Beschluss v. 19.12.2002 Az. VII ZR 101/02, juris Rz. 5).
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Klärungsbedürftig ist insbesondere eine Rechtsfrage, falls zu ihr unterschiedliche Auffassungen bestehen und noch keine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt (BVerfG, Kammerbeschluss v. 08.12.2010, Az. 1 BvR 381/10, Rz. 12).
54
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Rechtsstreitigkeiten über die Wirksamkeit des Widerrufs von auf Abschluss von Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen zum Zwecke der Finanzierung von Fahrzeugkäufen gerichteten Willenserklärungen sind massenhaft vor den Zivilgerichten anhängig. Dabei ist die Konstellation, dass die Kraftfahrzeuge nach Erklärung des Widerrufs von den Klägern weiterveräußert werden, eine typische und mannigfaltig vorkommende.
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Zur Frage, ob in diesen Fällen das Widerrufsrecht nach §§ 358 Abs. 4 S. 1 i.V.m. 357 Abs. 4 S. 1 BGB a.F. unter den oben geschilderten Voraussetzungen als dauerhaftes Leistungsverweigerungsrecht im Sinne einer peremptorischen Einrede einzustufen ist, gibt es bisher keine revisionsgerichtliche Entscheidung. Die zitierten Urteile des OLG Stuttgart, OLG Celle und OLG Braunschweig weichen von der Auffassung des Senats ab, da sie stattdessen ein Entfallen des Leistungsverweigerungsrechts bei Unmöglichkeit der Rückgabe des Pkw durch den Verbraucher konstatieren.
56
Damit wird diese Rechtsfrage in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte nicht einhellig beantwortet (BGH, Beschluss v. 24.05.2022, Az. XI ZR 390/21, Rz. 6; Beschluss v. 20.03.2019, Az. XII ZB 544/18, Rz. 4; Beschluss v. 08.02.2010, Az. II ZR 54/09, Rz. 3). Mithin ist eine klärende revisionsgerichtliche Entscheidung hierzu veranlasst.
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2. Die Revision war zum BGH zuzulassen.
58
In Verfahren, in denen ein bayerisches Berufungsgericht die Revision zulässt, hat dieses nach § 7 Abs. 1 Satz 1 EGZPO gleichzeitig über die Zuständigkeit entweder des BayObLG oder des BGH für die Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel zu befinden; die Entscheidung ist für das gesamte weitere Verfahren gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 EGZPO bindend (BGH, Beschluss v. 18.02.2021, Az. III ZR 79/20, Rz. 5).
59
Vorliegend ist der BGH und nicht das BayObLG für die Verhandlung und Entscheidung über die Revision der Klägerin zuständig, § 7 Abs. 1 EGZPO i.V.m § 8 Abs. 2 EGGVG und Art. 11 Abs. 1 BayAGGVG.