Inhalt

OLG München, Beschluss v. 10.08.2022 – 5 U 818/22
Titel:

Keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Motor EA 288 (hier: Audi Q5 2.0 TDI)

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
ZPO § 148, § 286, § 522 Abs. 2
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; OLG Bamberg BeckRS 2022, 32236; BeckRS 2023, 3168; BeckRS 2023, 5898; BeckRS 2023, 5900; OLG München BeckRS 2022, 24992; BeckRS 2022, 36082; BeckRS 2023, 754; OLG Nürnberg BeckRS 2021, 52232; OLG Bremen BeckRS 2022, 2362; OLG Koblenz BeckRS 2022, 25180; BeckRS 2022, 25178; BeckRS 2022, 25176; BeckRS 2022, 25174; BeckRS 2022, 25157; BeckRS 2022, 25155; BeckRS 2022, 25138; BeckRS 2022, 25151; BeckRS 2022, 25075 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2021, 55750 mit zahlreichen weiteren Nachweisen (auch zur aA) im dortigen Leitsatz 1; anders durch Versäumnisurteil OLG Köln BeckRS 2021, 2388. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Umsetzung der unionsrechtlichen Richtlinie RL 2007/46/EG in das deutsche Recht erfolgte im Rahmen des Fahrzeuggenehmigungsrechts und sollte nach der Systematik und dem Regelungswillen des Gesetzgebers keine Haftungsvorschrift zugunsten eines einzelnen Erwerbers enthalten. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein möglicher Schaden wegen einer „Nichtzulassung“ des Fahrzeugs liegt wegen dessen erfolgter und fortbestehender Zulassung nicht vor, wegen eines Weiterveräußerungsverbots ist er nicht erkennbar und auch ein Minderwert ist kaum vorstellbar, wenn ein Thermofenster im maßgeblichen Zeitraum der Typgenehmigung der Serie und der Herstellung des konkreten Fahrzeugs Stand der Technik war und von zahlreichen, wenn nicht sämtlichen Herstellern von Dieselfahrzeugen eingesetzt wurde. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
4. In Fällen, in denen der betreffende Motor (hier: EA 288) verschiedentlich überprüft und von dem KBA unter keinem Gesichtspunkt beanstandet worden ist, kommt eine Haftung der Motorenherstellerin nach § 826 BGB nicht in Betracht. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Thermofenster, Fahrkurvenerkennung, KBA, Kenntnis, (kein) Schaden, Schlussanträge des Generalanwaltes
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 11.01.2022 – 41 O 6839/21
Fundstelle:
BeckRS 2022, 36076

Tenor

1. Der Antrag des Klägers auf Aussetzung des Verfahrens wird zurückgewiesen.
2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 11.01.2022, Aktenzeichen 41 O 6839/21, wird zurückgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des insgesamt vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 35.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Kauf eines Diesel-Pkws geltend. Er erwarb am 29.08.2018 ein Fahrzeug der Marke … 2.0 TDI, 140 kW, Schadstoffklasse EU6 zum Preis von 33.820,00 €. Das Fahrzeug hatte bei Erwerb einen Kilometerstand von 52.163 km. Die Beklagte ist die Herstellerin des Wagens und des Motors, Typ .. Bis heute kam es weder zu einem Rückruf des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch das Kraftfahrtbundesamt (KBA) noch wurde die EG-Typgenehmigung entzogen. Der Motor weist eine Fahrkurvenerkennung auf sowie ein sog. Thermofenster.
2
Der Kläger begehrt in der Hauptsache Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des streitgegenständlichen PKW. Wegen aller weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes einschließlich der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München I vom 11.01.2022 Bezug genommen.
3
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Kläger seiner Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich einer unzulässigen Abschalteinrichtung im konkreten Fahrzeug nicht ausreichend nachgekommen sei.
4
Gegen das ihm am 13.01.2022 zugestellte Urteil hat der Kläger am 07.02.2022 Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerung bis 13.04.2022 mit an diesem Tag eingegangenem Schriftsatz begründet. Er führt aus, das Landgericht habe zu Unrecht seinen Vortrag zu Abschalteinrichtungen für nicht ausreichend substantiiert erachtet. Er verweise auf den Rückruf . sowie auf Messungen der Deutschen Umwelthilfe. Der Einsatz eines Thermofenster und einer Fahrkurvenerkennung in der Motorsteuerungssoftware seien sittenwidrig. Außerdem sei eine sittenwidrige Getriebemanipulation im Hinblick auf unterschiedliche Schaltpunkte des Automatikgetriebes auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb erfolgt, des Weiteren liege eine zeitliche Abschaltfunktion vor. Wegen der engen Verwicklung des KBA mit der Beklagten komme es nicht darauf an, wie dieses die Zulässigkeit verschiedener technischen Funktionen beurteile.
5
Der Anspruch des Klägers sei auch gemäß § 823 Abs. 2 BGB. i.V.m.§§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV begründet, weil diese Vorschriften - wie auch der Generalanwalt . beim EuGH in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache EuGH C 100/21 vertreten habe - drittschützend seien und eine Schadensersatzpflicht gegenüber dem Kläger begründeten. Im Hinblick darauf werde die Aussetzung des Verfahrens beantragt.
6
Der Kläger beantragt,
1.
Die Entscheidung des Landgerichts München I vom 11.01.2022, zugestellt am 13.01.2022, Az. 41 O 6839/21, wird abgeändert.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, Zugum-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs mit der Fahrgestellnummer …, an die Klagepartei 38.050,81 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich 3.072,71 € zu zahlen.
3.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs mit der Fahrgestellnummer … in Annahmeverzug befindet.
4.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 1.842,12 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
7
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
8
Der Senat hat mit Beschluss vom 15.07.2022 auf seine Absicht hingewiesen, die offensichtlich unbegründete Berufung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Dem ist der Kläger mit Schriftsatz vom 08.08.2022 entgegengetreten. Er wiederholt und vertieft seine bisherigen Ausführungen dahingehend, dass das Verfahren auszusetzen sei, da zu erwarten sei, dass der EuGH der Auffassung … folge. Ein Schaden liege bereits darin, dass das KBA handeln müsse wegen des rechtswidrigen Thermofensters. Jedenfalls bestehe latent die Gefahr einer Betriebsuntersagung. Das Thermofenster sei eine unzulässige Abschalteinrichtung. Aus der Applikationsrichtlinie gehe hervor, dass eine Fahrkurvenerkennung verbaut sei und dazu genutzt werde, die Emissionswerte auf dem Prüfstand zu manipulieren.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Ersturteil, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den Senatsbeschluss vom 15.07.2022 Bezug genommen.
II.
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Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 11.01.2022, Aktenzeichen 41 O 6839/21, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
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Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweisbeschluss des Senats vom 15.07.2022 Bezug genommen. Die Ausführungen in der Gegenerklärung des Klägers vom 08.08.2022 geben zu einer Änderung keinen Anlass. Nach nochmaliger Überprüfung hält der Senat daran fest, dass die Klagepartei die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB nicht nachvollziehbar dargelegt hat.
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1. Der Kläger hat wegen des unstreitig verbauten Thermofensters keinen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV bzw. i.V.m. Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007.
13
Es kann dahinstehen, ob den europarechtlichen Vorschriften drittschützende (individualhaftungsbegründende) Funktionen zukommen, was der BGH in gefestigter Rechtsprechung verneint (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 - Rn. 72 ff, juris; kürzlich BGH, Beschluss vom 10. 02.2022 - III ZR 87/21 - Rn. 8ff, juris; BGH, Beschluss vom 04.05.2022 - VII ZR 656/21 - Rn. 3, juris) und was den Senat (weiterhin) überzeugt.
14
Soweit sich der Kläger demgegenüber auf das Votum des Generalanwalts … in seinen Schlussanträgen vom 02.06.2022 in der Rechtssache EuGH C 100/21 bezieht, wonach die bezeichneten Normen auch die Haftungsinteressen eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs schützen, insbesondere das Interesse, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist (Rn. 50), kommt diesem Votum keine Außenwirkung zu. Der EuGH ist an dieses Votum nicht gebunden. Diese Stellungnahme übergeht argumentativ die systematische Einordnung der Bestimmungen in das europäische Produktrecht und sein Verhältnis zum Haftungsrecht (dazu Röhl DV 2020, 151). Auch geht dieses Gutachten nicht darauf ein, in welchem rechtlichen Gefüge, auf welcher Rechtsgrundlage und mit welchem Ziel die nach Ansicht des Generalanwalts entscheidende Ziffer „0“ des Anhangs IX zur RL 2007746/EG durch die VO der Kommission KOM-VO 385/2009 eingefügt wurde.
15
Die Voraussetzung für die Annahme eines Schutzgesetzes im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ist zudem, dass die Schaffung eines individuellen deliktischen Anspruchs sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheint. Dabei muss in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die Norm gestellt ist, geprüft werden, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen konnte, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktische Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit allen damit zugunsten des Geschädigten gegebenen Haftungs- und Beweiserleichterungen zu knüpfen (BGH, Urteil vom 14. Juni 2022 - VI ZR 110/21 -, Rn. 10, juris m.w.N.). Nach diesen nationalen Haftungsbestimmungen fehlt es vorliegend an einem Schutzgesetz, unabhängig davon, welches Ziel die o.g. Richtlinie verfolgt. Die Richtlinie selbst kann schon kein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB enthalten, da sie nicht an die Bürger, sondern an die Mitgliedstaaten gerichtet ist. Ihre Umsetzung in das deutsche Recht erfolgte wiederum im Rahmen des Fahrzeuggenehmigungsrechts und sollte nach der Systematik und dem Regelungswillen des Gesetzgebers gerade keine Haftungsvorschrift zugunsten eines einzelnen Erwerbers enthalten. Eine rückwirkende Uminterpretation dieser nationalen Vorschriften in eine zusätzliche Anspruchsgrundlage verschiebt unzulässigerweise die Grenzen der Gewaltenteilung des GG, wonach der Gesetzgeber eine derart weitreichende Ausdehnung der zivilrechtlichen Haftung für Konformitätszeichen, die jede schuldhafte Verkennung der materiellen Produktzulassungsvoraussetzungen umfasst, einführen müsste. Eine auf eine (inhaltlich in einem einzelnen Punkt unrichtige) Konformitätserklärung begründete individuelle deliktische Haftung fügt sich nicht in das haftungsrechtliche Gesamtsystem ein, so dass eine Haftung auch nicht im Wege der Auslegung des § 823 Abs. 2 BGB erfolgt.
16
Vielmehr stellt das deutsche Recht auf andere Weise sicher, dass notwendige technische Anpassungen des Fahrzeugs an die gebotenen (europa-)rechtlichen Standards auch über verwaltungsrechtliche Maßnahmen (z.B. in Form von verbindlich angeordneten Nachrüstungen und Änderungen) erfolgen können, die auf Kosten der Hersteller durchgeführt werden. Damit ist gewährleistet, dass der jeweils aktuelle Eigentümer des Fahrzeugs wegen dieser Maßnahmen keine spürbare wirtschaftliche Belastung erfährt, anderseits den Zielen des europäischen Rechts insgesamt genügt ist.
17
Aber auch bei einer unterstellten drittschützenden Wirkung der genannten (Umsetzungs-)Normen und einer sich aus § 823 Abs. 2 BGB gestützten Haftung der Beklagten, wäre ein danach notwendiger mindestens fahrlässiger Verstoß der Beklagten nicht feststellbar. Das KBA hat in einer Reihe von amtlichen Auskünften für den streitgegenständlichen Motortyp mitgeteilt, dass unzulässige Abschalteinrichtungen auch nach umfangreichen Untersuchungen nicht festgestellt worden seien. Gerade vor diesem Hintergrund ist ein fahrlässiges Handeln der Verantwortlichen der Beklagten in Bezug auf die Einhaltung der bezeichneten europarechtlichen Vorschriften im Zeitpunkt der Beantragung und Erlangung der Typgenehmigung nicht ersichtlich. Denn wie die Beklagte ausführt und der Kläger nicht bestreitet, hatte das KBA im fraglichen Zeitraum bereits Kenntnis von der verbauten temperaturgesteuerten Abgasregelung und hielt diese - wie auch die Beklagte selbst - ohne weiteres für zulässig. Mehr als im Typgenehmigungsverfahren dies gegenüber der zuständigen Behörde offenzulegen, konnte von der Beklagten nicht verlangt werden; jedenfalls treffen sie keine strengeren Sorgfaltsanforderungen als die für die Beurteilung der Zulässigkeit berufene Fachbehörde. Ein fahrlässiges Verhalten der Beklagten scheidet damit aus. Eine viele Jahre später erfolgte gerichtliche Auslegung der einschlägigen Vorschrift, die den Einsatz und die Grenzen eines „Thermofensters“ möglicherweise enger beschreibt (vgl. Urteil des EuGH vom 17.12.2020 - Rechtssache C-693/18 - NJW 2021, 1216) vermag an einer zum damaligen Zeitpunkt (Jahr 2013) vertretbaren Einschätzung der Beklagten nichts zu ändern.
18
Darüberhinaus ist die Frage des Drittschutzes getrennt von der Frage zu beurteilen, ob im Fall eines gegebenen Drittschutzes und des Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung dem Käufer (auch) ein gegen den Hersteller gerichteter Anspruch auf (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags zustehen sollte (vgl. BGH, Beschluss vom 04.05.2022, a.a.O., Rn.4). Dies deckt sich mit der in den Schlussanträgen des Generalanwalts … formulierten Rechtsauffassung, wonach in diesem Fall im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu entscheiden sei, wie ein ggfs. entstandener Schaden zu ersetzen sei und die Regeln hierfür zu bestimmen (Rn. 61). Allein entscheidend sei, dass der Ersatz angemessen sei. Daraus folgt gerade nicht, dass dem Kläger der geltend gemachte Anspruch auf Rückabwicklung des mit einem dritten Autohaus geschlossenen Kaufvertrags auch im Fall des zu bejahenden Drittschutzes der die EG-Typengenehmigung und Übereinstimmungsbescheinigung betreffenden Normen und eines Verschuldens der Beklagten zusteht. Einen etwaigen Minderwert des Fahrzeugs wegen des verbauten Thermofensters behauptet der Kläger nicht; er ist auch nicht Gegenstand seines Rechtsschutzbegehrens. Abgesehen davon ist ein entsprechender Minderwert schlechterdings kaum vorstellbar, da - wie der Kläger nicht bestritten hat - ein Thermofenster im maßgeblichen Zeitraum der Typgenehmigung der Serie und der Herstellung des konkreten Fahrzeugs Stand der Technik war und von zahlreichen, wenn nicht sämtlichen Herstellern von Dieselfahrzeugen eingesetzt wurde. Ein Schaden wegen einer „Nichtzulassung“ des Fahrzeugs liegt wegen dessen erfolgter und fortbestehender Zulassung nicht vor; ein Schaden wegen eines Weiterveräußerungsverbots ist - wie sich aus den obigen Ausführungen entnehmen lässt - nicht erkennbar.
19
Das deutsche Recht stellt, wie bereits ausgeführt, auf anderem Weg sicher, dass notwendige technische Anpassungen des Fahrzeugs an die gebotenen (europa-)rechtlichen Standards auch über verwaltungsrechtliche Maßnahmen (z.B. in Form von verbindlich angeordneten Nachrüstungen und Änderungen) nachträglich erfolgen können, die auf Kosten der Hersteller durchgeführt werden. Damit ist gewährleistet, dass der jeweils aktuelle Eigentümer des Fahrzeugs wegen dieser Maßnahmen keine spürbare wirtschaftliche Belastung erfährt, anderseits den Zielen und Vorgaben des europäischen Rechts insgesamt genügt ist.
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Nach alledem war auch der beantragten Aussetzung des Verfahrens gemäß § 148 ZPO nicht nachzukommen.
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2. Eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB wegen der Verwendung des Thermofensters kommt ebenfalls nicht in Betracht.
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Insoweit fehlt konkreter und nachvollziehbarer Vortrag des Klägers, aus dem sich das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung verknüpft mit einem sittenwidrigen Verhalten der für die Beklagten handelnden Personen, insbesondere einer arglistigen Täuschung oder eines bewussten Gesetzesverstoßes ergeben könnte.
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a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der in einer Gesamtschau durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (st. Rspr. vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 - Rn. 15, juris; BGH, Beschluss vom 09.03.2021 - VI ZR 889/20 - Rn. 12, juris).
24
Im Grundsatzurteil vom 25.05.2020 (Az. VI ZR 252/19), ergangen zum Motor … der Volkswagen AG, hat der Bundesgerichtshof die Sittenwidrigkeit damit begründet, dass der Fahrzeughersteller bei der Motorenentwicklung die strategische Entscheidung getroffen habe, die Typgenehmigung durch arglistige Täuschung des KBA zu erschleichen und die derart bemakelten Fahrzeuge sodann in den Verkehr zu bringen und dabei die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt auszunutzen. Entscheidend war, dass die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm nur im Abgasrückführungsmodus 1 auf dem Prüfstand unter Einsatz der Manipulationssoftware eingehalten wurden.
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b) Die temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) lässt sich jedoch nicht mit der Verwendung der Prüfstandserkennungssoftware vergleichen, die bei der Konzeption des Motors . eingesetzt wurde. Während Letztere unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielte und einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleichsteht, ist der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems nicht von vornherein durch Arglist geprägt. Sie führt nicht dazu, dass bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und der Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert wird, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Für die Qualifizierung des Verhaltens der Beklagten müssten daher weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Applikation der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine (weitere) unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (vgl. BGH, Beschluss vom 09.03.2021 - VI ZR 889/20 c) Rn. 26-28, juris). Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt. Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht der Umstand, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug des Klägers unstreitig durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei geringeren Außentemperaturen reduziert (und möglicherweise ganz abgeschaltet) wird, für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben (vgl. BGH, Beschluss vom 25.11.2021 - III ZR 202/20 - Rn. 14, juris m.w.N.).
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Der Kläger behauptet, dass die unstreitig vorhandene temperaturgesteuerte Abgasrückführung (Thermofenster) - die seinem Vortrag zufolge eine Reduzierung bzw. Abschaltung der Abgasrückführung in Abhängigkeit von der Außentemperatur (unter 20 °C und über 30 °C) bewirke -, eine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle. Es fehlt jedoch an Vortrag hinsichtlich der erforderlichen objektiven Sittenwidrigkeit des Verhaltens der Beklagten bzw. der für sie handelnden Personen. Auch bei Wahrunterstellung der klägerischen Behauptung wäre die Funktion nicht mit dem Einsatz der sog. Umschaltlogik bei dem Motortyp … gleichzusetzen, die zwischen dem erkannten Prüfstand und dem Straßenbetrieb unterscheidet und dazu führt, dass ausschließlich auf dem Prüfstand die Grenzwerte eingehalten werden. Während bei der reinen „Umschaltlogik“ deren Unzulässigkeit offenbar ist, so dass von einer arglistigen Täuschung des KBA durch Verschweigen derselben ausgegangen werden kann, ist selbst bei einem relativ eng definierten Thermofenster nicht auszuschließen, dass die Verantwortlichen der Beklagten unter Abwägung der mit der Abgasrückführung bekannten Probleme gemeint haben könnten, die konkret implementierte Temperatursteuerung sei (noch) zulässig.
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Es kommt daher auch nicht entscheidend darauf an, ob die Beurteilung des Thermofensters durch das KBA als zulässig zutreffend ist, sondern darauf, dass die Möglichkeit einer entsprechenden Vorstellung bei den verantwortlichen Personen der Beklagten nicht ausgeschlossen werden kann, wenn auch die zuständige Bundesbehörde dieselbe Rechtsansicht vertritt. Gegen ein besonders verwerfliches Verhalten der Beklagten spricht daher, dass die Rechtslage bei der Beurteilung der Zulässigkeit des von vielen Herstellern eingesetzten Thermofensters angesichts der Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. a VO (EG) Nr. 715/2007 als unsicher anzusehen ist. Dies findet seinen Ausdruck im Bericht der Untersuchungskommission „Volkswagen“ des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur von April 2016 (Anlage B 11), wonach der Wortlaut der Ausnahmebestimmung des Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. a der VO Nr.715/2007 (“Einrichtungen zum Schutz des Motors vor Beschädigungen“) eine „Unschärfe“ aufweise, „die auch weite Interpretationen zulasse“ (vgl. S. 123 des Berichts, vorgelegt als Anlage B 11). Im Hinblick auf diese nicht eindeutige Rechtslage können allein aus dem Einsatz eines Thermofensters keine Anhaltspunkte dafür hergeleitet werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen dies als illegal angesehen und gebilligt haben. Eine möglicherweise fahrlässige Verkennung der Rechtslage durch die Beklagte genügt jedenfalls für die Feststellung 5 U 818/22 - Seite 9 - der objektiven Sittenwidrigkeit ihres Verhaltens nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 25.11.2021 - III ZR 202/20 -, Rn. 15, juris). Die nunmehr vom EuGH vorgenommene Auslegung der genannten Vorschrift (Urteil vom 17.12.2020 - Rechtssache C-693/18 - NJW 2021, 1216) vermag an einer zum damaligen Zeitpunkt vertretbaren Einschätzung der Beklagten nichts zu ändern.
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3. Den Einbau anderer unzulässiger Abschalteinrichtungen und einen damit verbundenen Schädigungsvorsatz hat der Kläger nicht nachgewiesen (§ 286 ZPO).
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a) Detaillierten Vortrag zur Funktionsweise der von ihm behaupteten Prüfstandserkennung und Abschalteinrichtung hat der Kläger nicht gehalten.
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b) Umfangreiche Untersuchungen des KBA des streitgegenständlichen Motors und Fahrzeugtyps mehrfach, u.a. auch im Rahmen eines Anhörungsverfahrens im Jahr 2019 auf unzulässige Abschalteinrichtungen haben ebenfalls keine Anhaltspunkte für unzulässige Prüfstandserkennungs- oder Abschalteinrichtungen ergeben.
31
Unstreitig führten die Untersuchungen des KBA nicht zu einem Rückrufbescheid betreffend den streitgegenständlichen Motor. Es besteht lediglich ein freiwilliges Software-Update für das streitgegenständliche Fahrzeug. Gerichtsbekannt setzt das freiwillige Software-Update voraus, dass das Fahrzeug und seine Software eingehend geprüft und keine unzulässige Abschalteinrichtung durch das KBA festgestellt worden ist, wie sich auch der Website des KBA unter „Fragen und Antworten zu Software-Nachrüstungen“ entnehmen lässt.
32
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung schließt die Auskunft des KBA, unzulässige Abschalteinrichtungen ließen sich bei dem streitgegenständlichen Motortyp nicht feststellen, zwar die Möglichkeit einer solchen nicht aus, begründet aber auch kein Indiz dafür (vgl. BGH, Beschluss vom 15.09.2021 - VII ZR 2/21 -, Rn. 30, juris).
33
4. Von einer - vom Kläger nachzuweisenden - vorsätzlichen Täuschung mit dem Ziel der Erschleichung einer ansonsten nicht zu erreichenden Typgenehmigung und einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten kann nicht ausgegangen werden, wenn das KBA als zuständige Behörde nach gezielten eigenen Untersuchungen in Kenntnis der verwendeten Funktionen keine Veranlassung sieht, die Typgenehmigung zu widerrufen oder deren Fortbestand von verpflichtenden Software-Updates abhängig zu machen. In den Fällen, in denen - wie vorliegend - der betreffende Motor verschiedentlich überprüft und von dem KBA unter keinem Gesichtspunkt beanstandet worden ist, kommt eine Haftung der Motorenherstellerin nach § 826 BGB nicht in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 09.05.2022 - VIa ZR 303/21 -, juris, m.w.N.). Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
34
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
35
Die Revision war nicht zuzulassen. Es handelt sich vorliegend um einen Einzelfall, der wie ausgeführt anhand der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden werden konnte.
36
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.