Inhalt

OLG München, Beschluss v. 23.02.2022 – 32 W 1608/21
Titel:

Coronavirus, SARS-CoV-2, Prozesskostenhilfe, Beschwerde, Auslegung, Vergleich, Widerklage, Feststellung, Feststellungsinteresse, Ausgangsverfahren, Erinnerung, Rechtsverfolgung, Vollstreckbarkeit, Nebenkosten, Bestimmtheit, Voraussetzungen, Aussicht auf Erfolg, keine Aussicht auf Erfolg, Antrag auf Prozesskostenhilfe

Schlagworte:
Coronavirus, SARS-CoV-2, Prozesskostenhilfe, Beschwerde, Auslegung, Vergleich, Widerklage, Feststellung, Feststellungsinteresse, Ausgangsverfahren, Erinnerung, Rechtsverfolgung, Vollstreckbarkeit, Nebenkosten, Bestimmtheit, Voraussetzungen, Aussicht auf Erfolg, keine Aussicht auf Erfolg, Antrag auf Prozesskostenhilfe
Vorinstanz:
LG München I, Beschluss vom 03.08.2021 – 35 O 9111/20
Rechtsmittelinstanzen:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 08.11.2022 – VIII ZA 6/22
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 08.11.2022 – VIII ZA 5/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 35756

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 03.08.2021 (Az.: 35 O 9111/20) wird zurückgewiesen.
2. Der Antrag der Beschwerdeführer auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.
3. Der Antrag des Beschwerdeführers … vom 22.02.2022 auf Verlängerung der Frist zur Stellungnahme wird zurückgewiesen.
4. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
5. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

1
Die Beklagten wenden sich mit der Beschwerde gegen die Zurückweisung ihres Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine Widerklage mit verschiedenen Feststellungsanträgen.
I.
2
Die Beklagten schlossen mit dem Kläger in einem früheren Räumungsverfahren einen Vergleich, in dem sie sich unter bestimmten Voraussetzungen zur Räumung des von der Beklagten zu 1) angemieteten Anwesens … in … verpflichteten. Die Vollstreckung der Räumung scheiterte in der Folge daran, dass der Gerichtsvollzieher den Räumungsauftrag mangels ausreichend bestimmter Bezeichnung des zu räumenden Anwesens ablehnte. Der Kläger erhob daher im hiesigen Verfahren gegen die Beklagten Klage auf Feststellung, dass das Anwesen … aufgrund des Vergleichs zu räumen und an den Kläger herauszugeben sei. Die Beklagten beantragten die Gewährung von Prozesskostenhilfe zur Verteidigung gegen die Klage, die mangels Erfolgsaussichten der Rechtsverteidigung abgelehnt wurde. Eine sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung blieb erfolglos. Weiter beantragten die Beklagten die Gewährung von Prozesskostenhilfe zur Erhebung einer Widerklage mit sieben Feststellungsanträgen, die ebenfalls mangels Erfolgsaussichten abgelehnt wurde. Hiergegen richtet sich die hiesige Beschwerde, der das Landgericht nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 16.11.2021, Bl. 203ff).
3
Im Übrigen, insbesondere hinsichtlich des Inhalts der einzelnen Feststellungsanträge, wird auf den Antrag vom 16.11.2020 (Bl. 28/29 d.A.) sowie den Beschluss des Landgerichts vom 03.08.2021 (Bl. 179ff) Bezug genommen.
II.
4
Die zulässige, aber unbegründete Beschwerde ist zurückzuweisen, da das Landgericht zu Recht angenommen hat, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg hat. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe war daher schon unabhängig vom Vorliegen der wirtschaftlichen Voraussetzungen zurückzuweisen.
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1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde ergibt sich aus §§ 127 Abs. 2, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Die einmonatige Beschwerdefrist (§ 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO) ist gewahrt.
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2. Die mit der Widerklage angestrebten Feststellungsanträge haben keine Aussicht auf Erfolg.
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Zwar sind an die Erfolgsaussichten unter dem grundrechtlichen Aspekt der Rechtsschutzgleichheit keine zu strengen Anforderungen zu stellen, das Gericht muss den Rechtsstandpunkt der die Prozesskostenhilfe begehrenden Partei aber zumindest für vertretbar halten (Seiler in Thomas/Putzo, 42. Aufl., 2021, Rz. 3 zu § 114 ZPO). Dies ist hier nicht der Fall. Zur Begründung wird zum einen auf den zurückweisenden Beschluss des Landgerichts und den Nichtabhilfebeschluss Bezug genommen. Ergänzend und unter Berücksichtigung des Beschwerdevortrags ist Folgendes festzustellen:
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a. Soweit mit der Widerklage festgestellt werden soll, dass die Mieten für die Monate April bis Juni 2020 aufgrund von Art. 240 § 2 EGBGB erst zum 30.06.2022 fällig sind, hat dies schon deshalb keine Aussicht auf Erfolg, weil diese Regelung lediglich das Kündigungsrecht des Vermieters bei fortbestehender Mietzahlungspflicht des Mieters einschränkt (Geib in BeckOGK, Stand: 01.10.2021, Rz. 1 zu Art. 240 § 2 EGBGB). Eine Verschiebung der Fälligkeit wird damit gerade nicht geregelt.
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b. Soweit die Feststellung einer Minderung der Miete wegen Baumaßnahmen seit August 2019 beantragt wird, fehlt es unabhängig von der Frage der Vorrangigkeit der Leistungsklage schon an einer Anspruchsgrundlage für eine Minderung, da § 536 BGB in einem Abwicklungsverhältnis nicht anwendbar ist. Die Pflicht des Vermieters, die Mietsache gem. § 535 I 2 BGB in einem vertragsgemäßen Zustand zu erhalten, erlischt in der Regel mit Beendigung des Vertragsverhältnisses, sofern nicht aus Treu und Glauben bestimmte Pflichten auch im Abwicklungsverhältnis fortbestehen (BGH, Urteil vom 27.5.2015 – XII ZR 66/13). Eine Minderung wegen des hier vorgetragenen Baulärms kommt danach im Abwicklungsverhältnis nicht in Betracht. Dass es sich vorliegend um ein Abwicklungsverhältnis handelt, ergibt sich aus der in Ziff. 1 des Vergleichs geregelten Räumungsverpflichtung, auf deren Durchsetzung nur unter gewissen Umständen verzichtet wird. Der ehemalige Mieter hat in dieser Situation entgegen dem Vortrag in der Beschwerdebegründung nicht die gleiche Rechtsposition wie während des laufenden Vertragsverhältnisses.
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c. Soweit beantragt wird festzustellen, die Verpflichtung zur Tragung von Nebenkosten aus dem Vergleich vom 28.01.2019 beziehe sich nur auf die von der Beklagten zu 1) seit 1993 getragenen Nebenkosten, fehlt es ebenfalls an Erfolgsaussichten. Für den Begriff „Nebenkosten“ gibt es keine gesetzliche Definition und bei Fehlen einer vertraglichen Definition ist durch Auslegung zu ermitteln, welche Kosten davon erfasst sein sollen, wobei bei Wohnraum mit dem Begriff Nebenkosten in der Regel die Betriebskosten im Sinne der §§ 1 und 2 BetrKV gemeint sind (Cramer, Mietrecht, 2019, S. 107). Welche Kosten hier von der Regel im Vergleich erfasst sein sollen, bedarf einer Auslegung im Einzelfall, die nicht durch eine pauschale Bezugnahme auf die von der Beklagten zu 1) seit 1993 getragenen Nebenkosten ersetzt werden kann. Für einen entsprechenden Antrag fehlt es daher am Feststellungsinteresse.
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d. Hinsichtlich der beantragten Feststellung, dass die Verfahrenskosten von der Klagepartei zu tragen sind, besteht ebenfalls kein Feststellungsinteresse, da über die Kostentragungspflicht von Amts wegen zu entscheiden ist.
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e. Hinsichtlich der Feststellung der fehlenden Vollstreckbarkeit des Vergleichs mittels Vollstreckungsabwehrwiderklage nach § 767 ZPO fehlt es ebenfalls an Erfolgsaussichten, da keine die im Vergleich geregelten Ansprüche selbst betreffenden Einwendungen vorgetragen werden. Gerügt werden die Unbestimmtheit und die Unwirksamkeit des Vergleichs. Letzteres müsste im Ausgangsverfahren geltend gemacht werden, da dieses bei einem unwirksamen Vergleich nicht beendet wäre (Preuß in BeckOK ZPO, Stand: 01.09.2021, Rz. 67 zu § 767 ZPO). Die fehlende Bestimmtheit des Vergleichs wäre im Wege der Erinnerung nach § 766 ZPO beim Vollstreckungsgericht zu rügen (Seiler in Thomas/Putzo, 42. Aufl. 2021, Rz. 23 zu § 766 ZPO). Ein Feststellungsinteresse besteht daher nicht.
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f. Soweit die „Feststellung, dass die Vollstreckungsklausel nicht ordnungsgemäß erteilt worden ist, und zwar mittels einer Klage gegen die Vollstreckungsklausel gem. § 768 ZPO oder aber einer Erinnerung gegen die Vollstreckungsklausel nach § 732 ZPO“ beantragt wird, fehlt es schon an einem hinreichend bestimmten Antrag. Zwar hat der Schuldner bei dem Rechtsschutzziel der Überprüfung der Klauselerteilung grundsätzlich ein Wahlrecht zwischen der Erinnerung nach § 732 ZPO und der Klage nach § 768 ZPO, dieses wurde aber vorliegend nicht ausgeübt. Zudem fehlt es am Feststellungsinteresse, da sowohl im Rahmen der Klage nach § 768 ZPO als auch bei der Erinnerung vorrangig zu beantragen wäre, die Zwangsvollstreckung aus der konkret zu bezeichnenden vollstreckbaren Ausfertigung für unzulässig zu erklären. Zudem wurden auch hier keine konkreten Einwendungen gegen die Erteilung der Vollstreckungsklausel vorgetragen. Der Verweis auf die Unbestimmtheit oder Unwirksamkeit des Vergleichs stellt keine Einwendung im Sinne der §§ 732, 768 ZPO dar. Der unterbliebene Eintritt einer Bedingung für die Erteilung der Vollstreckungsklausel wurde nicht vorgetragen.
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g. Hinsichtlich der Widerklage auf Feststellung einer den Covid19-Pandemieumständen entsprechenden Räumungsfrist nach § 721 ZPO fehlt es ebenfalls am Feststellungsinteresse, da ein entsprechender Antrag grundsätzlich ohne Widerklage vom Schuldner im Räumungsverfahren gem. § 721 Abs. 1 Satz 2 ZPO zu stellen ist. Soweit vorgetragen wird, die Voraussetzungen für den Verzicht auf Räumungsschutz seien durch die Corona-Pandemie entfallen, wäre dies vorrangig im Wege der Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO geltend zu machen.
15
h. Soweit mit Schriftsatz vom 22.02.2022 gerügt wird, der Abhilfebeschluss vom 16.11.2021 sei nicht vom gesetzlichen Richter erlassen worden, ist schon fraglich, ob dies Auswirkungen auf das Beschwerdeverfahren hätte, da das Beschwerdegericht grundsätzlich auch ohne ordnungsgemäße Abhilfeentscheidung entscheiden darf (Seiler in Thomas/Putzo, 42. Aufl., 2021, Rz. 11 zu § 572 ZPO). Dies kann aber letztlich offen bleiben, da sich aus dem öffentlich zugänglichen Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts München I ergibt, dass der den Abhilfebeschluss unterzeichnende Einzelrichter Dr. … Nachfolger der früher zuständigen Einzelrichterin … in der 35. Zivilkammer geworden ist. Ein Verstoß gegen den gesetzlichen Richter ist daher nicht ersichtlich.
III.
16
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war zurückzuweisen, da es sich bei dem Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren und dem dazugehörigen Beschwerdeverfahren nicht um Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung im Sinne des § 114 ZPO handelt (z.B. OLG Köln, Beschluss vom 11.12.2014 – 7 W 52/14 unter Bezugnahme auf BGH NJW 1984, 2106). Bei der von den Antragstellern zitierten Entscheidung des LSG Schleswig-Holstein vom 12.01.2012, L 15 AS 305/11 handelt es sich um eine Mindermeinung. Selbst wenn man dieser Auffassung folgte, wäre die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren hier aber auch mangels Erfolgsaussichten abzulehnen.
IV.
17
Eine weitere Frist zur Stellungnahme konnte auch unter Berücksichtigung der Bedeutung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht bewilligt werden. Dabei war zum einen zu berücksichtigen, dass alle Beschwerdeführer bereits Stellung genommen haben und sich aus dem Antrag des Beschwerdeführers … nicht ergibt, zu welchen Punkten aufgrund der Akteneinsicht eine weitere Stellungnahme geboten ist. Zum anderen war der Beschleunigungsgrundsatz zu berücksichtigen, der in allen gerichtlichen Verfahren gilt und insbesondere in PKH-Verfahren eine zügige Erledigung gebietet (Seiler in Thomas/Putzo, 42. Aufl, 2021, Rz. 5 zu § 118 ZPO). Ein weiteres Aufschieben der Entscheidung über die Beschwerde gegen den Beschluss vom 03.08.2021 war unter diesen Umständen nicht mehr vertretbar.
V.
18
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da hinsichtlich der Beschwerde eine Kostenerstattung nicht stattfindet (§ 127 Abs. 4 ZPO) und für die Gerichtskosten eine Festgebühr anfällt, die von der Gerichtskasse auch ohne Kostenentscheidung eingefordert wird (Zöller, 32. Auflage, Rdn. 39 zu § 127 ZPO).
19
Hinsichtlich des Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren sind keine Kosten entstanden.
20
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 ZPO waren nicht gegeben. Rein vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der Zurückweisung des Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren die sofortige Beschwerde nach § 127 Abs. 2 Satz 1 ZPO gem. § 567 Abs. 1 nicht statthaft ist.