Titel:
Coronavirus, SARS-CoV-2, Leistungen, Auswahlentscheidung, Vergabeverfahren, Vergabekammer, Beteiligung, Zuschlag, Bieter, Teilnahmewettbewerb, Frist, Antragsgegner, Verfahren, Verhandlungsverfahren, Zulassung, Zuschlagserteilung, Kosten des Verfahrens, Bundesrepublik Deutschland, Aussicht auf Erfolg
Schlagworte:
Coronavirus, SARS-CoV-2, Leistungen, Auswahlentscheidung, Vergabeverfahren, Vergabekammer, Beteiligung, Zuschlag, Bieter, Teilnahmewettbewerb, Frist, Antragsgegner, Verfahren, Verhandlungsverfahren, Zulassung, Zuschlagserteilung, Kosten des Verfahrens, Bundesrepublik Deutschland, Aussicht auf Erfolg
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 31.10.2022 – Verg 13/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 35590
Tenor
1. Der Antrag des Antragsgegners nach § 169 Abs. 2 GWB auf Gestattung des Zuschlags im streitgegenständlichem Vergabeverfahren wird zurückgewiesen.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Zuschlagsgestattungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin.
3. Der Antragsgegner ist von der Zahlung der Gebühr befreit. Die Gebührenfestsetzung für das Zuschlagsgestattungsverfahren erfolgt zusammen mit der Entscheidung über die Hauptsache.
4. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin war notwendig.
Gründe
1
Mit Auftragsbekanntmachung vom07.06.2022, veröffentlicht im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union am 10.06.2022 unter Nr. 2022/S. 111-312433, schrieb der Antragsgegner einen Dienstleistungsauftrag über Bewachungsdienste in der …, im Wege eines offenen Verfahrens aus. Zuschlagskriterium war gemäß Abschnitt II.2.5) der Bekanntmachung der Preis. Ausweislich der Angabe in Abschnitt II.2.7) der Auftragsbekanntmachung hat der Auftrag eine Laufzeit vom 01.10.2022 bis zum 30.09.2023 mit Verlängerungsmöglichkeit bis längstens 30.09.2026.
2
Unter anderem die Antragstellerin als Bestandsdienstleisterin der Bewachung der …, sowie die Beigeladene beteiligten sich an dem Vergabeverfahren mit einem Angebot.
3
Mit Informationsschreiben gemäß § 134 GWB vom 26.07.2022 setzte der Antragsgegner die Antragstellerin davon in Kenntnis, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt werden könne. Es sei beabsichtigt, den Zuschlag am 06.08.2022 auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Der Antragsgegner erläuterte, dass gemessen an dem Zuschlagskriterium „Preis“ das Angebot der Beigeladenen aufgrund eines niedrigeren Preises wirtschaftlicher als jenes der Antragstellerin gewesen sei. Die Antragstellerin habe in der Bieterrangfolge – ohne die Berücksichtigung von Angebotsausschlüssen anderer Bieter – den 15. Platz belegt.
4
Mit Schreiben vom 03.08.2022 rügte die Antragstellerin den Inhalt des Informationsschreibens gemäß § 134 GWB als unzureichend sowie eine vergaberechtswidrige Angebotswertung. Letzteres stehe zu vermuten, da der Antragsgegner die Bieterreihenfolge explizit ohne die Berücksichtigung von Angebotsausschlüssen anderer Bieter mitgeteilt habe. Da die Beigeladene ihren Unternehmenssitz in Hessen habe, sei davon auszugehen, dass sie ihr Angebot auf Basis des für sie einschlägigen Lohntarifvertrags für Sicherheitsdienstleistungen in Hessen anstelle des vom Antragsgegner zwingend vorgegebenen Lohntarifvertrags Nr. 36 für Sicherheitsdienstleistungen in Bayern als Ergänzung jeweils des Manteltarifvertrags für Sicherheitsdienstleistungen in der Bundesrepublik Deutschland in der gültigen Fassung kalkuliert habe.
5
Mit Schreiben vom 04.08.2022 stellte der Antragsgegner gegenüber der Antragstellerin klar, dass die Angebotsprüfung vor Versand des Informationsschreibens gemäß § 134 GWB bereits beendet und keinesfalls vorläufig gewesen sei. Unter Berücksichtigung von Angebotsausschlüssen anderer Bieter habe die Antragstellerin den zwölften Platz belegt. Die Erstplatzierte habe die Formblätter mit den Stundenverrechnungssätzen vorgelegt, sodass dem Antragsgegner eine Prüfung auf Einhaltung der Ausführungsbedingung möglich gewesen sei. Eine Kalkulation nach dem Lohntarifvertrag für Sicherheitsdienstleistungen in Hessen könne der Antragsgegner infolgedessen ausschließen.
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Nachdem den Rügen der Antragstellerin nicht abgeholfen wurde, stellte diese mit Schreiben vom 05.08.2022 einen Nachprüfungsantrag gem. § 160 Abs. 1 GWB. Die Vergabekammer leitete das Verfahren ein und übermittelte dem Antragsgegner mit Schreiben vom 05.08.2022 den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin verbunden mit dem Hinweis, dass gemäß § 169 Abs. 1 GWB vor einer Entscheidung der Vergabekammer und dem Ablauf der Beschwerdefrist der Zuschlag nicht erteilt werden dürfe. Dieses Verfahren wird bei der Vergabekammer unter dem Aktenzeichen 3194.Z3-3_01-22-40 geführt. Mit Verfügung vom 24.08.2022 verlängerte die Vergabekammer die Frist bis zur Entscheidung gem. § 167 Abs. 1 Satz 2 GWB in diesem Verfahren bis zum 15.12.2022.
7
Mit rechtlichem Hinweis vom 08.09.2022 wies die Vergabekammer im Verfahren mit dem Aktenzeichen 3194.Z3-3_01-22-40 die Antragstellerin darauf hin, dass sie den Nachprüfungsantrag mangels Antragsbefugnis der Antragstellerin für unzulässig halte und wies auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach Aktenlage gem. § 166 Abs. 1 Satz 3 GWB hin.
8
Mit E-Mail vom 25.08.2022 fragte die Antragstellerin beim Antragsgegner nach, wie die fortlaufend sicherzustellenden Bewachungsleistungen ab dem 01.10.2022 erbracht würden. Die Antragstellerin sei grundsätzlich bereit, die Leistungen für den Antragsgegner auch nach dem 30.09.2022 zu erbringen. Ihr weiterhin bestehendes Interesse am Auftrag habe sie auch durch die Einreichung des Nachprüfungsantrags hinreichend zum Ausdruck gebracht. Für den Fall, dass der Auftrag ab dem 01.10.2022 von einem anderen Dienstleister erbracht werde, bat die Antragstellerin um Mitteilung, zu welchem Zeitpunkt und unter Beteiligung welches Bieterkreises ein entsprechendes Vergabeverfahren stattgefunden habe.
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Mit Schreiben vom 30.08.2022 bekräftigte die Antragstellerin ihr Auskunftsverlangen über ihren Verfahrensbevollmächtigten.
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Mit E-Mail vom 30.08.2022 antwortete der Antragsgegner der Antragstellerin, dass derzeit ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb mit hierfür vergaberechtskonform ausgewählten Bietern durchgeführt werde. In einem Schreiben an den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin ebenfalls vom 30.08.2022 ergänzte der Antragsgegner, dass es sich hierbei um eine Interimsbeauftragung handle. Ein Mindestmaß an Wettbewerb sei gewahrt, da der Interimsvergabe die Aufforderung zur Angebotsabgabe von mehr als drei Unternehmen zugrunde liege. Die Auswahlentscheidung sei auf objektiver Grundlage erfolgt. Die gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV erforderlichen äußerst dringlichen zwingenden Gründe seien gegeben, zumal der Bereich der Daseinsvorsorge berührt sei. Ausweislich der Vergabedokumentation hat der Vertrag eine Laufzeit vom 01.10.2022 bis zum 31.01.2023 und verlängert sich um jeweils einen Monat, jedoch längstens bis zum 30.09.2023, wenn er nicht mit einer Frist von einem Monat vor Ablauf des Verlängerungszeitraums in Textform gekündigt wird.
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Mit Schreiben vom 31.08.2022 reichte die Antragstellerin den vorliegenden Nachprüfungsantrag gemäß § 160 Abs. 1 GWB gegen die beabsichtigte Durchführung der Interimsbeauftragung im Wege eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb ein.
12
Die Antragstellerin führt aus, dass der Zuschlag nach ihrer Kenntnis bislang noch nicht erteilt worden sei. Ein dennoch bereits erteilter Zuschlag sei gemäß § 135 GWB für unwirksam zu erklären. Der Nachprüfungsantrag sei begründet, da die Antragstellerin aufgrund der nicht erfolgten Zulassung der Antragstellerin zur Teilnahme an diesem Verfahren in ihren Rechten als Bieter aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt sei. Die Auswahlentscheidung des Antragsgegners sei willkürlich. Die Antragstellerin sei ohne sachlichen Grund von der Beteiligung an dem Verhandlungsverfahren ausgeschlossen worden. Sie sei ein geeignetes, langjähriges und die streitbefangenen Leistungen bis zum Vertragsende am 30.09.2022 erbringendes Unternehmen und habe ein Interesse am Auftrag signalisiert. Schlechtleistungen oder dergleichen habe der Antragsgegner gegenüber der Antragstellerin in den letzten Jahren nicht geltend gemacht. Die Antragstellerin vermute, dass der Antragsgegner sie nicht am Verhandlungsverfahren beteiligt habe, um sie für ihren Nachprüfungsantrag vom 05.08.2022 betreffend die Hauptsache-Vergabe abzustrafen.
13
Auch lägen die Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV nicht vor; insbesondere sei die behauptete Dringlichkeit vom Antragsgegner selbst verschuldet und ihm zuzurechnen. Unstreitig bestehe eine Notwendigkeit der Leistungserbringung ab dem 01.10.2022. Die eingetretenen Verzögerungen seien jedoch für den öffentlichen Auftraggeber vorhersehbar gewesen, da im Anwendungsbereich des vierten Teils des GWB mit der Einleitung von Nachprüfungsverfahren und einer damit einhergehenden verzögerten Zuschlagserteilung gerechnet werden müsse. Auch habe der Antragsgegner erst 3,5 Monate vor dem benötigten Leistungsbeginn das Vergabeverfahren betreffend den Dienstleistungsauftrag über Bewachungsdienste in der …, eingeleitet.
14
Die Antragstellerin beantragt
1. die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens gemäß den §§ 160 ff. GWB.
2. die Gewährung von Akteneinsicht in die Vergabeakten der Antragsgegnerin gem. § 165 Abs. 1 GWB.
3. festzustellen, dass die Antragstellerin durch das Verhalten der Antragsgegnerin in dem Vergabeverfahren „Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb für Bewachungsdienstleistungen …, ab dem 01.10.22“ (Interimsvergabe) in Ihren Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt wird,
- 4.
-
der Antragsgegnerin zu untersagen, in dem von ihr aktuell durchgeführten Vergabeverfahren „Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb Bewachungsdienstleistungen …, ab dem 01.10.22“ (Interimsvergabe) einen Zuschlag zu erteilen,
- 5.
-
die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Leistungen im Rahmen eines europaweit bekanntgemachten Vergabeverfahrens zu vergeben,
- 6.
-
sowie geeignete weitere Maßnahmen zu treffen, um die von der Vergabekammer festgestellten Rechtsverletzungen zu beseitigen, insbesondere die Antragsgegnerin zu verpflichten, die geltend gemachten Verstöße gegen die Bestimmungen des Vergaberechts zu beseitigen und unter Rechtsauffassung der Vergabekammer die Leistungen in einem neuen, europaweit bekanntgemachten gesonderten Verfahren zu vergeben,
7. für den Fall der Erledigung des Nachprüfungsverfahrens durch Aufhebung oder in sonstiger Weise festzustellen, dass eine Rechtsverletzung vorgelegen hat, sowie im Weiteren:
8. festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für die Antragstellerin erforderlich gewesen ist,
- 9.
-
festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für die Antragsgegnerin nicht erforderlich ist,
- 10.
-
der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
16
Der Antragsgegnerbeantragt
1. Den Vergabenachprüfungsantrag zurückzuweisen.
2. Dem Antragsgegner gemäß § 169 Abs. 2 GWB zu gestatten im Interimsverfahren, Überwachungsdienstleitungen …, den Zuschlag zu erteilen.
3. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners für erforderlich zu erklären.
4. Der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners aufzuerlegen.
17
Der Antragsgegner führt aus, dass die Bewachungsdienstleistungen für die …, mit einem fast viermonatigen Vorlauf ausgeschrieben worden seien. Der bestehende Vertrag mit der Antragstellerin ende nach Ausübung der Verlängerungsoption zum 30.09.2022. Das Angebot der Antragstellerin in dem Vergabeverfahren über die Anschlussleistungen rangiere angesichts seines Preises an aussichtsloser Stelle. Zudem sei das Angebot der Antragstellerin auszuschließen. Aufgrund des von der Antragstellerin am 05.08.2022 eingeleiteten Nachprüfungsverfahrens, dessen Entscheidungsfrist mit Verfügung der Vergabekammer vom 25.08.2022 bis zum 15.12.2022 verlängert worden sei, sei der Antragsgegner gezwungen gewesen, den Auftrag interimsweise zu vergeben.
18
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin lägen die Voraussetzungen für eine Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV vor. Die ursprüngliche Vergabe sei rechtzeitig eingeleitet worden. Hierbei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass aus Gründen der Dispositionsfreiheit und der Wettbewerbsfähigkeit keine unverhältnismäßig langen Bindefristen gefordert werden dürften. Auch habe der Bedarf an Bewachungsleistungen nicht über einen deutlich längeren Zeitraum hinaus geplant werden können, da weder die Anzahl der zu beherbergenden Flüchtlinge über einen längeren Zeitraum vorherzusehen sei noch die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Mit der Vorabinformation am 26.07.2022 sei der Vorlauf auch unter Berücksichtigung eines etwaigen Nachprüfungsverfahrens ausreichend gewesen. Nachdem die Antragstellerin mit ihrem Nachprüfungsantrag ein Zuschlagverbot erwirkt und die Vergabekammer die Entscheidungsfrist bis zum 15.12.2022 verlängert hatte, habe der Antragsgegner eine Entscheidung treffen müssen, wie er ab 01.10.2022 die Bewachung der ANKER-Dependance in der Funkkaserne München sicherstellt. Der Antragsgegner habe sich für eine Interimsvergabe entschieden, da diese gegenüber einer vorzeitigen Zuschlagserteilung das mildere Mittel darstelle. Eine Dringlichkeit im Sinne von § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV sei aufgrund der zeitlichen Abläufe gegeben. Auf den Aspekt der Zurechenbarkeit käme es im Bereich der Daseinsvorsorge nicht an.
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Der Antragsgegner habe sich für die Durchführung eines Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb mit den vier nach der Angebotsprüfung aussichtsreichsten Bewerbern entschieden. Damit habe er den größtmöglichen Wettbewerb angesichts des zeitlichen Rahmens eingeleitet. Eine Beteiligung der aussichtslos platzierten Antragstellerin sei aus Sicht des Antragsgegners weder zielführend noch geboten gewesen. Die Beauftragung des bisherigen Auftragnehmers sei nicht statthaft, wenn im verfügbaren Zeitraum Wettbewerber eingebunden werden könnten. Die Antragstellerin habe in den letzten Monaten der Vertragslaufzeit mehrfach signalisiert, dass sie personell ausgezehrt sei, was mutmaßlich der Grund für die Einbeziehung eines Unterauftragnehmers in ihrem Angebot für die Neuvergabe der Bewachungsleistung gewesen sei. Auch müsse berücksichtigt werden, dass ein Nachprüfungsverfahren nicht als Instrument zur Erlangung eines Interimsauftrags zweckentfremdet werden dürfe.
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Dem Antragsgegner sei die vorzeitige Zuschlagserteilung wenigstens im Rahmen der Interimsvergabe zu gestatten, da der Nachprüfungsantrag keine Aussicht auf Erfolg habe und die Interessen der Allgemeinheit und des Antragsgegners jene der Antragstellerin überwögen. Der Antragsgegner habe weder das ursprüngliche Vergabeverfahren zu spät eingeleitet, noch sei ihm die Länge des Nachprüfungsverfahrens zuzurechnen. Der Auftraggeber habe neben den sich aus den rechtlichen Vorgaben ergebenden Zeitraum für die Durchführung des Vergabeverfahrens inklusive eines Zeitraums für die Prüfung der Angebote und die Zeit der Vorabinformation noch gut zwei Monate Puffer bis zum eigentlichen Beginn der Auftragsausführung bedacht. Ungeachtet dessen sei im Bereich der Daseinsvorsorge ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV auch dann zulässig, wenn die Dringlichkeit vom Auftraggeber selbst verschuldet ist. Eine Beteiligung der Antragstellerin an der Interimsauftragsvergabe sei aufgrund der aussichtslosen Platzierung ihres Angebots weder geboten noch sinnvoll gewesen. Insbesondere sei auch nicht anzunehmen gewesen, dass sie für den Interimsauftrag einen derart erheblichen Preisnachlass geben würde, dass sie eine echte Chance auf den Auftrag gehabt hätte. Eine Beteiligung der Antragstellerin hätte letztlich auch die Einladung der weiteren elf vor ihr platzierten Bieter erfordert, was jedoch dem Gedanken einer schnellen, weil dringlichen, Vergabe widerspreche.
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Neben den fehlenden Erfolgsaussichten des Nachprüfungsantrags sei im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner gem. § 44 Abs. 1 und Abs. 2a AsylG gesetzlich verpflichtet sei, Asylsuchende unterzubringen sowie für die Sicherheit sowie das Wohlergehen der in der … wohnhaften und insbesondere schutzbedürftigen Flüchtlinge zu sorgen. Ein Fortbetrieb der … über den 30.09.2022 sei unabdingbar, aber ohne einen Sicherheitsdienst nicht möglich. Neben dem Schutz der Bewohner würden vom Sicherheitsdienst weitere Aufgaben wahrgenommen wie beispielsweise die Alarmierung des Rettungsdienstes bei gesundheitlichen Problemen und relevante Aufgaben des Brandschutzes. Die … besitze momentan eine Auslastung von 103%. Die Schließung der … wegen eines ab 30.09.2022 nicht mehr vorhandenen Sicherheitsdienstes könne vom üblichen Unterbringungssystem in Oberbayern aktuell nicht aufgefangen werden. Zudem sei damit zu rechnen, dass mit Beginn der kalten Jahreszeit die Funktion der Einrichtung als Quarantäne- bzw. Isolationsunterkunft wieder verstärkt erforderlich werde.
22
Mit Beschluss vom 14.09.2022 wurde die Zuschlagsprätendentin zum Verfahren beigeladen.
23
Die Beigeladene stellt keine Anträge und äußert sich nicht zur Sache.
24
Mit Schriftsatz vom 16.09.2022 bezog die Antragstellerin zu dem Antrag gemäß § 169 Abs. 2 GWB Stellung. Für die im vorliegenden Nachprüfungsverfahren maßgebliche Rechtswidrigkeit der Interimsvergabe sei der Platz der Antragstellerin im Vergabeverfahren über die Hauptleistung nicht erheblich. Dem Antragsgegner sei darin zuzustimmen, dass der Betrieb einer … ohne einen Sicherheitsdienst wohl nicht möglich ist. Gleichwohl habe der Antragsgegner die für die Dringlichkeit angeführten Umstände allesamt vorhersehen können oder selbst verursacht. Auch sei es dem Antragsgegner möglich gewesen, bereits im Zeitpunkt der Zustellung des Nachprüfungsantrags am 05.08.2022 eine kurzfristige Interimslösung abzuschließen, um damit den Zeitraum zur Durchführung eines regulären Interimsvergabeverfahrens zu überbrücken. Insoweit sei zu unterscheiden zwischen kurzfristigen, ohne Wettbewerb möglichen Interimsvergaben bis zum Abschluss eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens über eine endgültige Interimsvergabe bis zur Neuvergabe. Bei der Frage nach der Eilbedürftigkeit sei zudem zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin seit dem Jahr 2018 im Wege von kurzfristigen Interimsverlängerungen vor dem jeweiligen Laufzeitende die tatsächliche Leistungserbringung der Sicherheitsdienstleistungen für den Betrieb der … wiederkehrend „gesichert“ habe. Ferner habe die Antragstellerin dem Antragsgegner in den letzten Wochen signalisiert, dass sie auch bereit sei, die Leistungen weitergehend über den 30.09.2022 zu erbringen. Auch dürfe dem Antragsgegner nicht die Möglichkeit eröffnet werden, im Bereich der von ihm regelmäßig für den Betrieb von … benötigten Dienstleistungen durch eine späte Einleitung von Vergabeverfahren den Primärrechtsschutz von Bietern zu vereiteln. Dass die Antragstellerin dem Antragsgegner im Vorfeld zum Laufzeitende am 30.09.2022 mehrfach signalisiert habe, personell ausgezehrt zu sein und dies der Grund für die Einschaltung eines weiteren Unternehmens in ihrem Angebot gewesen sei, sei unzutreffend. Die Frage einer angemessenen Bindefrist habe nichts mit dem erforderlichen ausreichenden Vorlauf für eine Neuvergabe zu tun. Der Antragsgegner lasse hierbei außer Acht, dass der Leistungsbeginn deutlich nach der Zuschlagserteilung liegen könne. Der Vortrag des Antragsgegners, dass das Vergabeverfahren mangels Planbarkeit der benötigten Leistungen nicht wesentlich früher hätte eingeleitet werden können, sei nicht nachvollziehbar, da die Leistungsbeschreibung vorsehe, dass der Auftragnehmer entsprechend dem tatsächlichen Bedarf variabel Sicherheitspersonal für die Sicherheitsdienstleistungen zu stellen habe.
25
Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweiligen Schriftsätze informiert. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
26
Die Vergabekammer Südbayern ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig.
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Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern ergibt sich aus §§ 155, 156 Abs. 1, 158 Abs. 2 GWB i. V. m. §§ 1 und 2 BayNpV.
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Gegenstand der Vergabe ist ein Dienstleistungsauftrag i. S. d. § 103 Abs. 4 GWB. Der Antragsgegnerist öffentlicher Auftraggeber gemäß §§ 98, 99 Nr. 1 GWB. Der geschätzte Gesamtauftragswert auch der vorliegend streitgegenständlichen Interimsvergabe überschreitet den gemäß § 106 GWB maßgeblichen Schwellenwert erheblich.
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Eine Ausnahmebestimmung der §§ 107 – 109 GWB liegt nicht vor.
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2. Dem Antrag des Antragsgegners nach § 169 Abs. 2 GWB auf vorzeitige Gestattung des Zuschlags kann nicht stattgegeben werden. Die Abwägung der Interessen der Beteiligten gibt keine Rechtfertigung für die Gestattung der Erteilung des Zuschlags vor Abschluss des Nachprüfungsverfahrens, da die nachteiligen Folgen einer Verzögerung der Vergabe bis zum Abschluss des Nachprüfungsverfahrens die damit verbundenen Vorteile nicht überwiegen.
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Entscheidend gegen die Zuschlagsgestattung spricht im vorliegenden Fall, dass die Ausgestaltung des Interimsauftrags mit einer potentiellen Laufzeit von bis zu einem Jahr dem Ausnahmecharakter einer vorzeitigen Zuschlagsgestattung nur schwer gerecht wird und anders als im Nachprüfungsverfahren mit dem Aktenzeichen 3194.Z3-3_01-22-40 der Nachprüfungsantrag in streitgegenständlichem Verfahren keineswegs aussichtslos ist.
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2.1. Es bestehen grundsätzlich erhebliche Bedenken, ob die Zuschlagsgestattung nach § 169 Abs. 2 Satz 1 GWB mit Art. 2 Abs. 3 und 5 der Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG in der Fassung der RL 2007/66/EG vereinbar ist. Nach Art. 2 Abs. 3 der Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG in der Fassung der RL 2007/66/EG sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass der öffentliche Auftraggeber den Vertragsschluss nicht vornehmen kann, bevor die Nachprüfungsstelle eine Entscheidung über einen Antrag auf vorläufige Maßnahmen oder eine Entscheidung in der Hauptsache getroffen hat, wenn eine gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber unabhängige Stelle in erster Instanz (wie die Vergabekammer) mit der Nachprüfung einer Zuschlagsentscheidung befasst wird. Nach Art. 2 Abs. 5 der Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG in der Fassung der RL 2007/66/EG können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die Nachprüfungsstelle die voraussehbaren Folgen der vorläufigen Maßnahmen im Hinblick auf alle möglicherweise geschädigten Interessen sowie das Interesse der Allgemeinheit berücksichtigen kann und dass sie beschließen kann, diese Maßnahmen nicht zu ergreifen, wenn deren nachteilige Folgen die damit verbundenen Vorteile überwiegen könnten. Aus diesen Vorschriften ergibt sich, dass nach der Rechtsmittelrichtlinie vor einer Entscheidung in der Hauptsache durch die Nachprüfungsinstanz nur vorläufige Maßnahmen getroffen werden können und dass insbesondere nur in Bezug auf vorläufige Maßnahmen die Mitgliedsstaaten Regelungen für eine Abwägung mit den Folgen einer solchen Maßnahme treffen dürfen. Die vorzeitige Zuschlagsgestattung ermöglicht aber den Vertragsschluss vor Entscheidung der Hauptsache und ist keine vorläufige Maßnahme, da sie den Primärrechtsschutz des Antragstellers irreversibel beseitigt (so auch Antweiler in Burgi/Dreher Beck’scher Vergaberechtskommentar § 169 Rn. 29). Das ist nur ausnahmsweise gerechtfertigt (OLG Celle, Beschluss vom 17.01.2003, 13 Verg 2/03). Das von Gesetzes wegen mit der Übermittlung des Nachprüfungsantrags eintretende Zuschlagsverbot nach § 169 Abs. 1 GWB dient der Durchsetzung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG). An dieser, nicht zuletzt auf verfassungsrechtlichen Erwägungen beruhenden Ausgangsposition, hat sich auch durch die teilweise Neufassung des § 115 GWB (a.F.) im Jahre 2009 nichts Entscheidendes geändert (OLG München, Beschluss vom 09.09.2010 – Verg 16/10). Die Vereinbarkeit des § 169 Abs. 2 Satz 1 GWB mit Art. 2 Abs. 3 der Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG in der Fassung der RL 2007/66/EG bedürfte der Klärung in einem Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV, was jedoch mit dem Eilverfahrenscharakter der Anträge auf vorzeitige Zuschlagsgestattung nicht vereinbar ist.
33
Vor diesem Hintergrund kann Anträgen nach § 169 Abs. 2 Satz 1 GWB allenfalls in ganz außergewöhnlichen Situationen stattgegeben werden. Kann der Antragsgegner gravierende Nachteile des verzögerten Zuschlags auf andere Weise vermeiden, muss er dies vorrangig tun. Insoweit ist zwar anzuerkennen, dass mögliche Interimsmaßnahmen regelmäßig Vorrang vor der vorzeitigen Zuschlagsgestattung genießen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.10.2017 – 11 Verg 13/17; Antweiler a.a.O. Rn. 40) und die aufgezeigten europarechtlichen Bedenken im Hinblick auf eine vorzeitige Zuschlagsgestattung derartiger Interimsmaßnahmen möglicherweise weniger schwer wiegen. Allerdings ist es insoweit nach Ansicht der Vergabekammer erforderlich, dass die Interimsmaßnahmen auch auf das erforderliche Maß begrenzt sind, um dem Ausnahmecharakter einer vorzeitigen Zuschlagsgestattung gerecht zu werden. Interimsmaßnahmen die nach Art und Umfang einer Ersatzbeschaffung gleichkommen oder einen nicht unerheblichen Teil der planmäßig zu vergebenden Leistung vorwegnehmen, können kaum mehr als vorläufige Maßnahme im Sinne der Rechtsmittelrichtlinie verstanden werden. Vorliegend entspricht jedoch bei im Wesentlichen identischem Leistungsinhalt die Maximallaufzeit des Interimsauftrags der Mindestlaufzeit des planmäßigen Auftrags. Im Falle einer Zuschlagsgestattung bestünde damit (zumindest theoretisch) die Möglichkeit, dass ein nicht unerheblicher Teil der planmäßigen Leistung durch den Interimsauftrag substituiert wird, zumal dessen Laufzeit auch nicht an den Fortgang des (Hauptsache-) Nachprüfungsverfahrens geknüpft wurde, zu dessen zeitlicher Überbrückung die Interimsbeauftragung gedacht ist. Eine derartige Ausgestaltung wird nach Auffassung der Vergabekammer dem Ausnahmecharakter der vorzeitigen Zuschlagsgestattung kaum gerecht.
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2.2. Gem. § 169 Abs. 2 Satz 4 GWB sind bei der gem. § 169 Abs. 2 Satz 1 GWB vorzunehmenden Interessenabwägung grundsätzlich auch die allgemeinen Aussichten des Antragstellers im Vergabeverfahren, den Auftrag oder die Konzession zu erhalten, zu berücksichtigen. Auch wenn nach § 169 Abs. 2 Satz 5 GWB die Erfolgsaussichten des Nachprüfungsantrags nicht in jedem Fall Gegenstand der Abwägung sein müssen, wäre es mit dem in der Rechtsmittelrichtlinie geregelten Anspruch auf einen effektiven Rechtsschutz kaum vereinbar, den Zuschlag bei offenen Erfolgsaussichten und erst recht bei absehbarem Erfolg des Nachprüfungsantrags vorzeitig zu gestatten und damit ein möglicherweise erfolgsaussichtiges Rechtsmittel zu vereiteln.
35
Die Erfolgsaussichten des Nachprüfungsantrags sind nicht aussichtslos. Die Antragstellerin hat als Bestandsauftragnehmerin ein nachvollziehbares Interesse am Erhalt des Auftrags und dieses auch dargelegt. Durch die Entscheidung des Antragsgegners, die Antragstellerin nicht zur Angebotsabgabe aufzufordern, wurde ihr die Chance genommen, sich mit einem möglicherweise aussichtsreichen Angebot am Vergabeverfahren zu beteiligen. Bereits mit Schreiben vom 30.08.2022 hat die Antragstellerin die Durchführung einer Interimsvergabe ohne Beteiligung der Antragstellerin vorsorglich als vergaberechtswidrig beanstandet. Diese Beanstandung musste die Antragstellerin nach Erlangung positiver Kenntnis von dem laufenden Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb nicht nochmals erneuern.
36
Im Hinblick auf die Begründetheit des Nachprüfungsantrags ist fraglich, ob die Voraussetzungen einer Dringlichkeitsvergabe vorliegen. Bei § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV handelt es sich um eine Ausnahmevorschrift, die eng auszulegen ist (vgl. VK Südbayern, Beschluss vom 21.10.2020 – 3194.Z3-3_01-20-31). Dringliche und zwingende Gründe kommen grundsätzlich nur bei akuten Gefahrensituationen und höherer Gewalt in Betracht, die zur Vermeidung von Gefahren und Schäden für Leib und Leben ein sofortiges, die Einhaltung von Fristen ausschließendes Handeln erfordern (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.12.2019 – Verg 18/19 m.w.N.). Unvorhersehbar sind Ereignisse, mit denen auch bei Anlegung eines hohen objektiven Sorgfaltsmaßstabs nicht gerechnet werden konnte (Ziekow/Völlink/Völlink, 4. Aufl. 2020, VgV § 14 Rn. 60). Zwar ist anerkannt, dass die Notwendigkeit einer Leistung im Bereich der Daseinsvorsorge, wo der Grundsatz der Kontinuität der Leistung eine nahtlose Weiterführung gegenüber den Nutzern erfordert, einen äußerst dringlichen, zwingenden Grund i.S.v. § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV bilden kann. Dabei kann eine besondere Dringlichkeit für einen kurzen Übergangszeitraum selbst dann gegeben sein, wenn die Gründe für die Dringlichkeit in der Sphäre des Auftraggebers liegen (vgl. VK Südbayern, Beschluss vom 12.08.2016 – Z3-3-3194-1-27-07-16). Jedoch bleibt zu beachten, dass im Hinblick auf den Wettbewerbsgrundsatz auch im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb regelmäßig mehrere Bieter beteiligt werden müssen (BayObLG, Beschluss vom 20.01.2022 – Verg 7/21). Ob vorliegend ausreichend Wettbewerb stattgefunden hat, wird im Rahmen der Hauptsacheentscheidung des hiesigen Nachprüfungsverfahrens zu klären sein. Dagegen spricht, dass nach der Rechtsprechung (OLG Hamburg, Beschluss vom 08.07.2008 – 1 Verg 1/08; OLG Dresden, Beschluss vom 25.01.2008 – WVerg 10/07) grundsätzlich auch diejenigen Unternehmen an dem Verfahren zur Vergabe der Interimsaufträge zu beteiligen sind, die sich an einem vorangegangenen Vergabe- und Nachprüfungsverfahren beteiligt hatten (ebenso Ziekow/Völlink/Antweiler, 4. Aufl. 2020, GWB § 119 Rn. 25 m.w.N.). Auch erscheint die Annahme des Antragsgegners, dass eine Beteiligung der Antragstellerin wegen ihres preislich abgeschlagenen Angebots in Bezug auf die regulär zu vergebende Leistung nicht geboten gewesen sei, als wenig tragfähig, da es sich bei der Antragstellerin um die Bestandsauftragnehmerin handelt, die insbesondere im Hinblick auf einen kurzfristigen Interimsauftrag möglicherweise nicht geringe Wettbewerbsvorteile für sich beanspruchen kann. Für ausreichend Wettbewerb im vorliegenden Fall spricht allerdings, dass der Antragsgegner immerhin die vier nach der Angebotsprüfung aussichtsreichsten Bewerber zur Abgabe eines Angebots für den Interimsauftrag aufgefordert hat und es nach der jüngeren Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts bei Vorliegen einer äußersten Dringlichkeit gerechtfertigt sein kann, dass nicht alle in Betracht kommenden Unternehmen an einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb beteiligt werden (vgl. BayObLG, aaO).
37
2.3. Auf Seiten des Antragsgegners ist neben seinem eigenen Interesse an einem zügigen Abschluss des Vergabeverfahrens allerdings ein besonderes Interesse der Allgemeinheit an der zügigen Beauftragung im Hinblick auf den Verfahrensgegenstand zu bejahen.
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Dass die streitgegenständlichen Bewachungsdienstleistungen für den Betrieb der … zwingend erforderlich sind, ist zwischen Antragstellerin und Antragsgegner unstreitig. Als Aufnahmeeinrichtungen für die vorüberbringende Unterbringung Asylbegehrender gem. §§ 44 ff. AsylG steht der Betrieb der Aufnahmeeinrichtungen im öffentlichen Interesse. Damit ist grundsätzlich auch ein besonderes Interesse der Allgemeinheit an der zügigen Vergabe der streitgegenständlichen Bewachungsdienstleistungen anzuerkennen. Dieses Interesse geht auch über die mit Nachprüfungsverfahren allgemein verbundenen Verzögerungen und Misshelligkeiten hinaus, da es sich konkret auf eine Interimsvergabe bezieht, die darauf abzielt, einen vertragslosen Zustand zu vermeiden, der die Aufrechterhaltung des Betriebs der Aufnahmeeinrichtung gefährden könnte.
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Vor diesem Hintergrund ist zumindest für den hier streitgegenständlichen Interimsauftrag ein besonderes Beschleunigungsinteresse des Auftraggebers anzuerkennen, welches über die üblichen Misshelligkeiten hinausgeht, die für den Auftraggeber regelmäßig mit einer zeitlichen Verzögerung seines Projekts verbunden sind (vgl. hierzu OLG München, Beschluss vom 09.09.2010 – Verg 16/10). Zwar ist hierbei auch zu berücksichtigen, dass ein Auftraggeber grundsätzlich mit Verzögerungen der Auftragsvergabe durch Nachprüfungsverfahren rechnen und diese bei seiner zeitlichen Planung einkalkulieren muss. Derartige Verzögerungen sind die zwangsläufige Folge eines jeden mit aufschiebender Wirkung verbundenen Rechtsmittels und fallen deshalb in den Risikobereich des Auftraggebers (OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.10.2017 – 11 Verg 13/17). Entgegen der Ansicht der Antragstellerin sieht die Vergabekammer vorliegend aber keinen dem Antragsgegner anzulastenden Verursachungsbeitrag, der sein besonderes Beschleunigungsinteresse entfallen lässt. Insbesondere sieht die Vergabekammer angesichts der zeitlichen Abläufe der hier streitgegenständlichen Interimsvergabe kaum Spielräume, die es dem Antragsgegner ermöglicht hätten, früher oder schneller zu agieren. So ist es dem Antragsgegner nach Ansicht der Vergabekammer insbesondere nicht vorzuwerfen, dass er nicht unmittelbar nach Einreichung des Nachprüfungsantrags vom 05.08.2022 mit der Durchführung einer Interimsvergabe begonnen hatte. Vielmehr durfte er sich angesichts der klaren Zielvorgabe des § 167 Abs. 1 GWB grundsätzlich darauf verlassen, dass die Vergabekammer innerhalb der Frist von maximal sieben Wochen eine Entscheidung fällen würde, auch wenn intern bei Bediensteten des Antragsgegners die Überlastung der Vergabekammer Südbayern grundsätzlich bekannt war. Mit einer mehrmonatigen Verlängerung der Entscheidungsfrist der Vergabekammer muss kein öffentlicher Auftraggeber rechnen.
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Soweit die Antragstellerin darauf verweist, dass der Antragsgegner erst 3,5 Monate vor dem benötigten Leistungsbeginn das Vergabeverfahren betreffend den Dienstleistungsauftrag über Bewachungsdienste in der …, eingeleitet habe, betrifft dies primär Verschuldensfragen in Bezug auf das Vergabeverfahren über die reguläre Bewachungsleistung, nicht aber die Frage, wann der Antragsgegner damit rechnen musste, einen Interimsauftrag zu vergeben.
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2.4. Im Ergebnis führt eine Abwägung des besonderen Beschleunigungsinteresses des Auftraggebers und der Allgemeinheit mit dem Interesse der Antragstellerin an Aufrechterhaltung des Zuschlagsverbots nicht dazu, dass die nachteiligen Folgen einer Verzögerung der Vergabe bis zum Abschluss der Nachprüfung die damit verbundenen Vorteile überwiegen. Denn dies setzt eine Gefährdung gewichtiger öffentlicher Interessen voraus, die nicht durch mögliche Interimsmaßnahmen abzuwenden sind.
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Der Antragsgegner hat zwar dargelegt, dass eine temporäre Übernahme der Aufgaben des Bewachungsdienstleisters durch eigenes Personal nicht zu stemmen ist. Gleichwohl bleibt eine Wiederholung der Interimsvergabe unter Beteiligung der Antragstellerin möglich. Dass einer Beteiligung der Bestandsauftragnehmerin an der Vergabe der Interimsleistungen (rechtliche) Hindernisse entgegenstehen, hat der Antragsgegner nicht vorgebracht. Sein – insoweit bestrittener – Vortrag erschöpfte sich lediglich darin, dass die Antragstellerin ihm gegenüber bekundet habe, personell ausgezerrt zu sein. Dass dies zugleich bedeutet, dass sie zur Leistungserbringung nicht (mehr) imstande ist, wurde nicht vorgetragen und ist angesichts der Tatsache, dass die Antragstellerin den Auftrag (noch) ausführt, auch nicht ersichtlich.
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3. Kosten des Verfahrens
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Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer hat gemäß § 182 Abs. 3 S. 1 GWB derjenige zu tragen, der im Verfahren vor der Vergabekammer unterlegen ist. Dies ist vorliegendin Bezug auf das Zuschlagsgestattungsverfahren der Antragsgegner.
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Die Antragsgegnerinist als Bundesland von der Zahlung der Gebühr nach § 182 Abs. 1 S. 2 GWB i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 2 VwKostG (Bund) vom 23. Juni 1970 (BGBl. I S. 821) in der am 14. August 2013 geltenden Fassung befreit.
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Die Gebührenfestsetzung für das Zuschlagsgestattungsverfahren erfolgt zusammen mit der Entscheidung in der Hauptsache.
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Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin beruht auf § 182 Abs. 4 S. 1 GWB. Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters wird als notwendig i. S. v. § 182 Abs. 4 S. 4 GWB i. V. m. Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2 BayVwVfG angesehen. Die anwaltliche Vertretung war erforderlich, daeine umfassende Rechtskenntnis und damit eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens nach dem GWB und erst recht des seltenen Zuschlagsgestattungsverfahrens von Bietern nicht erwartet werden kann. Zur Durchsetzung ihrer Rechte war die Antragstellerin hier aufgrund der komplexen Rechtsmaterie betreffend die Gestattung des Zuschlags im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb auf anwaltliche Vertretung angewiesen.
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Auch wenn die Beigeladene keine Anträge gestellt hat, muss die Vergabekammer von Amts wegen über die Aufwendungen der Beigeladenen entscheiden. Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beigeladenen beruht auf § 182 Abs. 4 S. 3, S. 2 GWB. Danach sind Aufwendungen der Beigeladenen nur erstattungsfähig, wenn die Vergabekammer sie als billig erachtet. Dabei setzt die Erstattungsfähigkeit jedenfalls voraus, dass die Beigeladene sich mit demselben Rechtsschutzziel wie der obsiegende Verfahrensbeteiligte aktiv am Nachprüfungsverfahren beteiligt hat (OLG Brandenburg, Beschluss vom 09.02.2010, Az.: Verg W 10/09). Die Beigeladene hat sich nicht aktiv am Zuschlagsgestattungsverfahren beteiligt; sie trägt insoweit ihre Aufwendungen selbst.